»...was passierte, wenn das Schatzamt etwas Gold in diesen Markt verkaufte.«
Fed-Chef Alan Greenspan im Mai 1993
»Wir können den Goldpreis sehr leicht halten.«
Fed-Gouverneur Wayne Angell im Juli 1993
Abb. 1: Goldpreis ab 1970, in US-Dollar je Unze (31,1 g)
Werfen wir einen Blick zurück auf die Finanzkrisen der vergangenen Jahre: Im Jahr 2008 löst die Pleite der US-Großbank Lehman Brothers die größte Finanzkrise seit Jahrzehnten aus. Die Aktien fallen, viele Anleihen sind unverkäuflich. Die Banken misstrauen einander und leihen sich kein Geld mehr. Vor einigen Banken bilden sich lange Schlangen, panikartig wird Geld abgehoben. Mit kaum fassbarer Schnelligkeit folgt eine Schreckensnachricht der anderen. Man befürchtet den totalen Zusammenbruch des Finanzsystems. Institutionelle Anleger und private Sparer reagieren und schichten ihre Anlagen in sichere Staatsanleihen und in Gold um. Und was macht der Goldpreis? Er fällt.
Nur wenig später hält die Eurokrise die Menschen in Atem. Die seit der vorangegangenen Finanzmarktkrise angefallenen Rettungsmaßnahmen kosteten die Staaten viele Milliarden. Nun sind die Staaten selbst gefährdet. Viele haben hohe laufende Defizite. Immer mehr Menschen zweifeln an der Bonität von Griechenland, Portugal oder selbst Spanien. Erneut bringen die Anleger ihr Geld in Sicherheit, kaufen die verbliebenen sicheren Anleihen sowie Gold. Und was macht der Goldpreis während der kritischsten Phasen der Krise? Er fällt.
Bereits in den Krisen der Neunzigerjahre, der Asien-, Russland- oder LTCM-Krise, schien Gold seine typische Rolle als »sicherer Hafen« nicht wahrzunehmen. Es muss eine Erklärung dafür geben, dass Gold fällt, obwohl Panik an den Märkten herrscht. Verkäufe aufgrund krisenbedingten Liquiditätsbedarfs kommen dafür nicht in Frage, denn dann müsste dieses Gold auch verfügbar sein. 2008 etwa aber gab es sogar einen Mangel an Münzen und Barren. Es stellt sich die Frage, ob es einen »geheimen Spieler« gibt, der auf den Goldpreis einwirkt.
Seit Jahren kursieren Gerüchte, die Zentralbanken würden im Goldmarkt intervenieren. Sie wollten unkontrollierte Anstiege verhindern und würden dafür sogar Teile ihrer Bestände des edlen Metalls in den Markt geben. Zu den Anlässen für diese Gerüchte gehören auch extreme Auffälligkeiten im kurzfristigen Verlauf des Goldpreises. Immer wieder fällt der Goldpreis wie ein Stein, binnen Minuten um Beträge von 10 Dollar oder mehr. Ohne jeden äußeren Grund wie eine Marktnachricht. Der nachfolgende Chart zeigt einen solchen Rückgang im Innertagesverlauf, von denen es davor und danach hunderte gab.
Abb. 2: Der Intraday-Verlauf des Goldpreises am 23.4.2012
Doch wieso sollten die Zentralbanken Gold drücken? Sie halten sehr viel Gold und müssten an einem steigenden Kurs interessiert sein, das wäre ihr Gewinn. Denn auch Zentralbanken müssen die ihnen anvertrauten Mittel, die »Reserven«, nicht nur sicher, sondern auch rentabel anlegen. Zudem stellt sich die Frage, ob man eine solche Aktion langjährig durchführen kann, ohne dass es offiziell publik wird. Müssten nicht viele Personen involviert sein, was sich nur schwer verbergen ließe? Außerdem gibt es unzählige Geschichten, mit denen Anleger ihren Misserfolg auf andere abzuwälzen versuchen. Handelt es sich bei der These, dass regelmäßige Goldpreisinterventionen stattfänden, nicht auch um eine solche Schuldzuweisung, in diesem Fall auf die mächtigen Zentralbanken?
Zentralbanken bestimmen die kurzfristigen Zinssätze und kaufen in großem Stil Anleihen, um deren Kurse zu befestigen. An den Devisenmärkten haben sie immer wieder interveniert. In ihren Tresoren befindet sich aber auch Gold in Höhe des Vielfachen des Jahresverbrauchs. Sie können also auch problemlos auf diesen Markt Einfluss nehmen. Gründe dafür gäbe es, etwa die Beruhigung der Märkte in Krisenzeiten. Die breite Öffentlichkeit hat Kenntnis von Interventionen etwa im Devisenbereich, weil sie von den Zentralbanken selbst veröffentlicht werden. Volle Publizität ihrer Aktionen ist aber nicht gegeben. Sowohl an den Devisenmärkten als auch an den Anleihenmärkten haben Zentralbanken nicht nur offen, sondern oft verborgen Interventionen durchgeführt. Sie versprechen sich dadurch eine bessere Wirkung. Die Interventionen hinterlassen aber Spuren in Kursen oder Bilanzen, auf die Marktbeobachter oder Wissenschaftler in der Vergangenheit aufmerksam wurden. Viele der heute allgemein bekannten Interventionsaktionen waren ursprünglich geheim und wurden erst im Nachhinein zugegeben.
Auch für den Goldmarkt muss gelten, dass lange anhaltende Interventionen Spuren hinterlassen. Dies sind insbesondere Spuren am Kurs selbst. Denn der Kurs ist das unmittelbare Ziel von Interventionen, an ihm sollen sie sich ja auswirken. Der Kurs ist somit ein primärer Untersuchungsgegenstand für die Identifizierung von Interventionen. Schwieriger wird es im Fall von Gold bei den Bilanzen. Manche Bilanzposition, die in der Privatwirtschaft zwingend in eine Bilanz gehört, fehlt in den Zentralbankbilanzen. Stattdessen gibt es aber Spuren in Form von Zitaten von Zentralbankern. Einige ihrer Überlegungen zu Mitteln und vor allem Motiven der eigentlich verborgenen Interventionen im Goldbereich sind veröffentlicht worden.
Wir gehen diesen Spuren nach. Fundierte Quellen bilden die Basis aller wesentlichen Schlussfolgerungen. Nur am Rande, um das Bild abzurunden, streifen wir, was am Markt kolportiert wird, auch wenn tatsächlich mehr davon stimmen dürfte. Es geht darum, die Situation um den mächtigsten Teilnehmer am Goldmarkt, die Zentralbanken, darzulegen. Wir werden sehen, dass seit vielen Jahren interveniert wird, wie diese Goldinterventionen funktionieren und welchen Zwecken sie dienen sollen.
Die Zentralbanken agieren aber nicht alleine, sondern kooperieren mit privaten Instituten. Solche Kooperationen gibt es auch in anderen Bereichen, etwa bei der Übernahme angeschlagener Bankhäuser. Auch beim 2012 aufgedeckten Libor-Skandal, bei dem Privatbanken langjährig den Referenzzinskurs manipulierten, scheint mit der Bank of England eine Zentralbank involviert zu sein. Motive für solche Kooperationen gibt es viele, etwa das Delegieren von Tätigkeiten. Außerdem können Kooperationen Aufwand und Zahl der unmittelbar involvierten Personen reduzieren, denn nicht jeder, der an einer Intervention mitwirkt, dürfte wissen, dass er sich an einer Intervention beteiligt. Viele dürften einfach ihre Arbeit im Gewinninteresse der Bank machen. Die involvierten Privatbanken agieren dabei nicht so nur als Agenten, sondern verfolgen aus Gewinnstreben dasselbe Ziel wie die Zentralbanken.
Wenn Zentralbanken am Goldmarkt intervenieren, betrifft das nicht nur die Edelmetalle, sondern auch andere Märkte. Denn sie wollen nicht ein paar Schmuckhändler begünstigen, sondern Einfluss auf eben diese anderen Märkte nehmen. Aber nicht nur die Devisen- und Zinsmärkte sind das eigentliche Ziel der Interventionen, sondern das Finanzsystem insgesamt. Zentralbanker wissen, dass das Kreditgeldsystem von Vertrauen abhängt, und sie stärken dieses auch mit Methoden, die erst auf den zweiten Blick einleuchten.
Wie bei jedem Markteingriff gilt auch für Goldinterventionen: Wenn man an einer Stelle eine Schraube dreht, rührt sich an anderer Stelle etwas, was gar nicht beabsichtigt und gewünscht war. Die Goldinterventionen sind seit den Neunzigerjahren ein prägendes Element der Finanzarchitektur. Sie waren eine der Grundlagen für das große Leistungsbilanzdefizit der USA. Vor allem aber unterstützten sie ein außergewöhnlich hohes Ausmaß der Verschuldung. Der weltweite Schuldenstand in allen Sektoren – Staat, Private und Wirtschaft – konnte so ein Rekordniveau erreichen.
Das mengenmäßig begrenzte Gold steht dem unbegrenzt vermehrbaren Kredit diametral gegenüber. Bei diesem sind die Schulden des einen immer auch die Forderungen des anderen. Den hohen Schuldenstand kann man deswegen nicht einfach abbauen, ohne einen Schaden anzurichten. Die gängigen Richtungen, die eine Wirtschaft dann einschlägt, sind gegensätzlich, nämlich Deflation oder Inflation. Bei der Deflation fallen die Schuldner und damit reziprok die Guthaben aus. Sie geht mit oft schweren Rezessionen einher. Bei der Inflation wird das Geld weniger wert. Bei ihr bleibt das eigentliche Problem, die Überschuldung, meist ungelöst.
Die Höhe des weltweiten Verschuldungsniveaus ist ohne historisches Beispiel in Friedenszeiten. Durch die Aufhebung der Goldbindung des Dollars Anfang der Siebzigerjahre und mit Hilfe der Goldinterventionen seit Anfang der Neunzigerjahre konnte die Kreditmenge exzessiv gesteigert werden. In der Geschichte folgten auf hohe Verschuldungsniveaus meist Finanzkrisen und darauf Wirtschaftskrisen. Auch diesmal werden nicht ein paar geldpolitische Maßnahmen reichen. Vielmehr steht zu befürchten, dass mindestens eine Generation vom Schuldenabbau geprägt sein wird. Gold ist das Gegenstück zum kreditbasierten Geld. Es ist schuldnerfrei und kann nicht weginflationiert werden. Es ist der natürliche Gegenspieler des Hauptgegenstandes der Zentralbanken, des »Papiergeldes«.
Das vorliegende Buch ist eine gründlich überarbeitete und aktualisierte Version der ersten beiden Auflagen der »Geheimen Goldpolitik«. Der englische Wissenschafts- und Wirtschaftsverlag Palgrave Macmillan hat sich erfreulicherweise bereiterklärt, eine englische Ausgabe der Thematik unter dem Titel »The Gold Cartel« zu veröffentlichen. Dazu mussten Text und Abbildungen gründlich überarbeitet werden. Die vorliegende Ausgabe ist der geringfügig an die Bedürfnisse einer deutschen Leserschaft angepasste deutsche Text dieser englischen Ausgabe.
Jahrhundertelang verband man Gold oder Silber mit dem Begriff »Geld«. Meist wurde unmittelbar mit dem Edelmetall bezahlt, beispielsweise mit silberhaltigen Münzen. Oft waren aber auch mit Gold unterlegte Geldscheine gebräuchlich. Dies war etwa im »Goldstandard« der Fall, bei dem zwar nicht mit physischem Gold bezahlt wurde, bei dem aber jede Währungseinheit (wie »Dollar«) durch eine festgelegte Menge Gold definiert war und in sie umgetauscht werden konnte. Es lag weitgehend außerhalb der Vorstellungskraft, dass mit »ungedecktem Papiergeld« gezahlt würde, und es gab in der Geschichte auch nur sehr wenige, zeitlich und örtlich begrenzte Episoden, in denen Geld nicht mit einer Ware gedeckt war. Heute, genauer seit den Siebzigerjahren, zahlt man weltweit mit Geld, das nur noch auf Forderungen basiert, die auf eine abstrakte Einheit lauten. Es berechtigt zu nichts, außer zum Tausch gegen andere Forderungen gleicher Art.
Diese »Dollar«, »Yen« oder »Euro« können als Geld fungieren, da ihr Entstehungsprozess Reglementierungen unterliegt, was sie zahlenmäßig begrenzen soll. Historisch kam es zu dieser Entwicklung, da auf Gold oder Silber basierende Geldsysteme Nachteile aufweisen. Deswegen wurde der Gebrauch von Edelmetallen als Geld häufig kritisiert, und sie wurden mit Bezeichnungen wie »barbarisches Relikt« oder »nutzloses Metall« belegt. Sprüche wie »Gold kann man nicht essen« sollen die vermeintliche Nutzlosigkeit suggerieren.
Die Nachteile beginnen bereits bei der Produktion, denn man muss Gold mit großem Aufwand aus der Erde herausholen. Dabei wird die Umwelt in mitunter bedenklichem Ausmaß verschmutzt. Die Verteilung der Bestände an Gold ist zudem aus historischen und geografischen Gründen regional sehr unterschiedlich. Außerdem ist die Menge begrenzt, sodass es mit dem »Bedarf« einer wachsenden Wirtschaft – oder eines ausufernden Staatshaushaltes? – nicht Schritt halten kann (wobei genau dieser Aspekt bei den Gold-Anhängern als Vorteil gesehen wird).
Heute ist Gold kein Zahlungsmittel mehr. Es spielt auch bei großen Geschäften, im Außenhandel und selbst zwischen Staaten keine Rolle mehr. Es wird jedoch weiterhin als Wertaufbewahrungsmittel gehalten. Bei Privatpersonen geschieht dies meist in Form von Münzen oder Barren (in manchen Gegenden auch in Form von Schmuck, wenn dieser dort kaum teurer ist als der Materialwert). Auch bei den Zentralbanken lagert noch eine größere Menge Gold, nach offiziellen Angaben etwa 31 000 Tonnen. Dies ist ein Vielfaches des Jahresverbrauchs des Metalls.
Damit ist ein wichtiger Unterschied zu anderen Waren benannt. Denn diese Wertaufbewahrungsfunktion findet man in erwähnenswertem Maße ansonsten allenfalls noch bei Silber. Man schätzt, dass bisher etwa 170 000 Tonnen Gold gefördert wurden1 und dass das meiste davon heute noch zugänglich vorhanden ist. Dem stehen eine jährliche Minenproduktion von derzeit etwa 2800 Tonnen und ein jährlicher Verbrauch (Industrie, Schmuck, Zahnmedizin) von vielleicht 2400 Tonnen entgegen. Damit liegt der Bestand des bisher geförderten Goldes beim gut 70-fachen des jährlichen Verbrauchs. Dies ist eine ganz außergewöhnlich hohe Relation. Während bei anderen Waren der Bestand allenfalls für Monate reicht, könnte man bei Gold die Produktion für viele Jahre einstellen und dennoch den Verbrauch decken. Von den beiden wichtigsten Geldfunktionen hat Gold eben nur die Tauschmittelfunktion verloren, die Wertaufbewahrungsfunktion hat es weiterhin inne. Die nachfolgende Abbildung zeigt die Relation des Bestandes zur Produktion von verschiedenen Metallen. Auch wenn die Werte nur Schätzungen sind, abhängig vom Wirtschaftszyklus stark schwanken und definitionsabhängig sind (gehört Schmuck-Gold zum Bestand oder ist es verbraucht?), verdeutlichen sie doch die außergewöhnliche Rolle von Gold im Vergleich zu anderen Waren. Die nachfolgende Abbildung soll den Sachverhalt verdeutlichen (für sie wird nur die Hälfte des bisher geförderten Goldes als verfügbarer Bestand gewertet).
Abb. 3: Metalle: Relation des weltweiten Bestandes zur Produktion
Gold unterscheidet sich aber auch von anderen Geldanlagen. Werte aufbewahren kann man auch mit Sachwerten wie Aktien und Immobilien. Im Unterschied zu Gold sind diese aber weniger liquide, oft nicht langlebig und Sonderrisiken ausgesetzt, etwa unternehmerischer Art. Es gibt aber auch Unterschiede zu Finanzkapital, also zu Forderungen, Anleihen und Kreditgeld. Denn da unser Geld nicht mehr durch eine Ware gedeckt ist, ist es letztlich von der Forderungserfüllung durch Schuldner abhängig. Auch wenn durch das Zentralbanksystem niemand befürchten muss, dass sein Geld wertlos wird, weil irgendwo ein Wechsel platzt, ist diese Abhängigkeit immer noch gegeben, bloß dass sie jetzt auf die staatliche Ebene verlagert ist. Wenn der Staat seine diesbezügliche Aufgabe nicht mehr erfüllen kann oder will, ist das Geld schlagartig wertlos (was auch in der Vergangenheit immer wieder passierte).
Gold kann zudem nur äußerst mühsam vermehrt werden, nämlich durch Förderung. Darin besteht ein Unterschied zu auf Forderungen basierendem Finanzkapital, denn dies kann gesamtwirtschaftlich durch einfache Neuverschuldungsvorgänge entstehen. Dabei droht Inflation, wobei die einzelne Einheit, die Währung, weniger wert wird. Im Unterschied zu »Papiergeld« ist Gold somit weder vom Willen und Vermögen eines Schuldners abhängig, noch kann es weginflationiert werden. Dies macht Gold einmalig, es macht es zum ultimativen Wertbewahrungsmittel – und es macht es zum Gegenstand von Geld- und Zentralbankpolitik.
Gold ist staatenübergreifendes und staatenunabhängiges Geld. Es ist unabhängig von der Fähigkeit einer Gesellschaft, den Wert des Geldes aufrechtzuerhalten. Es behält seinen realen Wert über Inflationsphasen. Der Wert verschwindet selbst dann nicht, wenn Staaten oder ihre Währungen kollabieren. Gold aus der Antike ist heute noch etwas wert, die meisten der vor hundert Jahren umlaufenden nationalen Währungen sind es nicht. Gold steht als staatenunabhängiges Geld in direkter Konkurrenz zu dem Geld, für das heutige Zentralbanken verantwortlich sind. Wenn Gold steigt, denken Anleger und Sparer typischerweise, die Währungen seien schwach, es drohe Inflation, oder sie befürchten gar Schlimmeres wie einen totalen Verlust durch Bankenzusammenbrüche.
Umgekehrt wirkt es vertrauenerweckend, wenn Gold nicht steigt. Die Inflationserwartung wird gemindert, wenn der bekannteste Indikator für Preisentwertung keine Warnzeichen von sich gibt. Aber auch in Zeiten von Anspannung und Krisen an den Finanzmärkten wirkt ein nicht steigender Goldpreis beruhigend: Es besteht dann offensichtlich noch kein ausreichender Grund, in die ultimative Sicherheit zu gehen. Die Krise scheint nicht schlimm zu sein. Es könnte also im Interesse der Zentralbanken liegen, dass Gold nicht oder nicht unkontrolliert steigt. Genügend Gold hätten sie, um einen Anstieg zu bremsen, ein Vielfaches des Jahresverbrauchs lagert in ihren Tresoren. Aber haben Zentralbanken konkret dafür gesorgt, dass Gold in Krisen nicht steigt?
1 Fundamentale Schätzungen bei Gold sind grundsätzlich sehr unsicher. Man kann nur sehr vage schätzen, was historisch gefördert wurde, was an den Büchern vorbei produziert wird, was in diesem verschwiegenen Markt tatsächlich gehandelt wird und was Private und Institutionen wirklich halten.
Die Finanzmarktkrise 2008 und die Eurokrise gehören sicher zu den bedrohlichsten Krisen der letzten Jahrzehnte. Es gab aber auch vorher Krisen, wenn ihre Auswirkungen auch meist regional begrenzt blieben (dort aber durchaus für gewaltige wirtschaftliche Probleme sorgten). Im September 1992 machte die Krise um das Britische Pfund Schlagzeilen. Das Pfund war im Rahmen des Europäischen Währungssystems (EWS) fest an die übrigen Währungen des europäischen Raums gekoppelt. Dies führte allerdings dazu, dass das Pfund relativ zur britischen Wirtschaftskraft überbewertet war. Politiker und Zentralbanker wollten dies nicht sehen, zumindest zogen sie daraus keine Konsequenzen (ein zusätzlicher Hintergrund waren Spannungen im EWS nach der deutschen Wiedervereinigung und im Vorfeld der Europäischen Währungsunion). Verschiedene Fondsmanager jedoch, darunter George Soros, erkannten die Überbewertung des Pfundes und setzten mit Milliardenbeträgen dagegen. Sie verkauften Pfund und veranlassten damit die Briten, die Stützung ihrer Währung aufzugeben. Das Pfund fiel, die Fonds machten große Gewinne. In der Folge wurden sie beschuldigt, für die Krise verantwortlich gewesen zu sein. Allerdings mussten die Fonds genau die gleiche Summe, die sie auf ein fallendes Pfund gesetzt hatten, danach wieder eindecken. Wären die Fonds für die Krise verantwortlich gewesen, hätte das Pfund danach im Zuge der Eindeckungen wieder auf das Ausgangsniveau steigen müssen. Das tat es aber nicht. Die Fonds gaben somit nur den Anstoß. Der eigentliche Grund war zuvor gelegt worden, im Zuge der Fixierung des Wechselkurses. Das Pfund war in Relation zur Leistung der britischen Wirtschaft überbewertet.
»Der Mann, der die Bank von England knackte«, wie man Soros später nannte, konnte einen Milliardengewinn erzielen, da er eine Fehlbewertung erkannte, die Politiker erst geschaffen hatten. Vor allem aber zeigte er den Politikern die Grenzen ihrer Macht auf. Grundlegende Wirtschaftsgesetze wie das von Angebot und Nachfrage lassen sich nicht per Verordnung abschaffen. Allerdings zogen nicht alle Politiker die Konsequenz, im Rahmen dieser Gesetze zu agieren. Vielmehr scheint die EWS-Krise die Vorstellung geweckt zu haben, dass es besser sei, Interventionen an den Märkten möglichst zu verbergen. Wenn Spekulanten wie Soros sie nicht bemerken, können diese auch nicht gegen die Interventionen vorgehen. Interventionen könnten länger erfolgreich sein. Die EWS-Krise sei an dieser Stelle aus noch zwei weiteren Gründen aufgeführt: Sie ereignete sich nämlich, wie wir noch sehen werden, nur zehn Monate vor Beginn der Interventionen gegen Gold. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Politiker und Zentralbanker unter dem Eindruck der EWS-Krise standen. Auf jeden Fall entschieden sie sich dafür, die Interventionen beim Gold möglichst unauffällig durchzuführen. Außerdem ist Soros von Bedeutung, da er auch im Goldmarkt aktiv geworden sein soll.
Im Dezember 1994 folgte eine weitere Währungskrise. Sie wird oft als Tequilakrise bezeichnet. Der mexikanische Peso war an den Dollar gebunden, und wie im Falle Großbritanniens war er relativ zur Wirtschaftsleistung überbewertet. Hinzu kam eine geringe politische Stabilität. Der Peso geriet unter Druck und musste abgewertet werden. Der Währungskrise folgte eine Wirtschaftskrise. Der Internationale Währungsfonds (IWF), der diese Krise für neuartig erachtete und als »erste Finanzkrise des 21. Jahrhunderts« bezeichnete, half mit Milliardenbeträgen aus.
Auch aus den USA kamen Mittel. Diese wurden über den Exchange Stabilization Fund (ESF) erbracht. Der von der Regierung geführte ESF wurde 1934 gegründet, vor allem um den Dollar und die Devisenmärkte zu stabilisieren. Er agiert relativ autonom und weitgehend im Verborgenen. Im Zuge der Pesokrise geriet er aber in die Schlagzeilen, da mit seiner Hilfe der Kongress umgangen wurde, der Mexiko Hilfen verweigert hatte. Die Stützung anderer Länder wurde von vielen amerikanischen Politikern nicht als Aufgabe eines amerikanischen Stützungsfonds angesehen.2 Der ESF ist in Bezug auf die Goldpolitik von Bedeutung, da von einigen Beobachtern vermutet wird, dass er ein Akteur bei den Goldinterventionen ist. Er hätte wohl am ehesten die rechtliche Handhabe, an den Devisen- und den Goldmärkten zu intervenieren. Dazu später noch mehr.
Es folgten weitere Krisen nach vergleichbaren Mustern: 1997 die Asienkrise in Thailand, Indonesien und Malaysia und 1998 die Russlandkrise. Jeweils waren die Währungen von Schwachwährungsländern mit hohem Zinsniveau an eine härtere Währung mit geringem Zinsniveau gekoppelt worden. Ein solcher fester Wechselkurs führt zu Investitionen von Ausländern, die ihre Investitionen sicherer wähnen. Er begünstigt aber auch eine stärkere Verschuldung von Inländern in Fremdwährung. Sie müssen einen geringeren Zins bezahlen als vorher. Beides führt zu einem Wirtschaftsboom, der aber in hohem Maße vom überproportionalen Kreditwachstum getragen ist. Er wird begleitet von einem hohen Leistungsbilanzdefizit, einem Überschuss an Importen und Dienstleistungen. Auch diese werden durch Schulden finanziert. Das bedeutet, dass diese Länder mehr verbrauchen, als sie produzieren. Eigentlich ist klar, dass solche Entwicklungen nicht ewig anhalten können. Es kommt auch regelmäßig im Anschluss an solche Exzesse zu Anpassungskrisen mit teilweise heftigen Wirtschaftseinbrüchen.
Dennoch entscheiden sich Politiker immer wieder dafür. Auch die europäischen Politiker taten dies. Obwohl durch solche Beispiele genug gewarnt, haben sie mit der Einführung des Euro ebenfalls Schwachwährungen an Hartwährungen gebunden (mit dem einzigen Unterschied, dass durch eine Einheitswährung eine bereinigende Trennung erschwert ist). Die Fixierung von Schwachwährungen an eine Hartwährung ist dabei ein wichtiger Hintergrund der seit Ende 2009 ablaufenden Euro-Krise. Solche Krisen aufgrund von Währungsfixierung haben meist eine jahrelange Vorgeschichte mit schweren Fehlallokationen aufgrund zu niedriger Zinsen, ohne die sich die spätere Krise nicht entwickelt hätte. Wie der Goldkurs sich in der Eurokrise und in der Finanzkrise 2008 entwickelte, werden wir später noch genauer untersuchen. Doch gibt das Verhalten des Goldpreises in Krisen auch grundsätzlich einen Hinweis auf Goldinterventionen?
2 Tatsächlich geschah dies aber bereits in den Dreißigern, siehe Bordo, Michael; Humpage, Owen; Schwartz, Anna: »The Historical Origins of U.S. Exchange Market Intervention Policy« (NBER Working Paper 12662), 2006, http://michael.bordo.googlepages.com/w12662.pdf, S. 20.
Vorab: Gold ist keine gute Geldanlage. Über viele Jahrzehnte bleibt sein Kurs gleich, während Immobilien, Anleihen und Aktien Erträge abwerfen oder auch im Preis steigen. Selbst in Zeiten moderater Geldentwertung schützt Gold entgegen einer weitverbreiteten Meinung oft nicht vor realen Wertverlusten. Ganz anders sieht es aber aus, wenn die Risiken für die Geldstabilität erheblich sind. Hier kommt bei Gold eine Schutzfunktion zum Greifen, denn es ist weder von einem Zahlungsversprechen abhängig noch weginflationierbar. Gold schützt somit bei Finanzkrisen mit Ausfallrisiken und bei stärkerer Geldentwertung. Das wurde für vergangene Zeiten auch statistisch untersucht.3
Sobald Menschen um die Sicherheit und den Wert ihrer Anlagen fürchten, fliehen sie in Sicherheit. Sie verkaufen panikartig alles, was fallen oder wertlos werden könnte, und investieren ihr Geld dort, wo sie es für sicher halten. Wir wollen nun zuerst untersuchen, wie Gold sich 1998 im Zuge der Russlandkrise verhielt. Diese Krise war eine der letzten schweren Krisen vor der Finanzmarktkrise 2008. Zu ihren Folgen gehörte, dass Anleger generell aus Anleihen nicht sehr guter Schuldner flohen. In der Folge kam es beim amerikanischen Hedgefonds »Long Term Capital Management« (LTCM) zu Schwierigkeiten, denn er war mit hohem Fremdkapitaleinsatz Geschäfte auf Zinsdifferenzen eingegangen. Ein Kollaps des Finanzsystems drohte. Die amerikanische Zentralbank Fed (Federal Reserve Bank) organisierte eine damals einzigartige Rettungsaktion, um eine Kettenreaktion abzuwenden.4
Zwischen Mitte Juli und Ende September 1998 fielen die Aktien in den USA um etwa 20 Prozent. Im gleichen Zeitraum stiegen die Staatsanleihen massiv, da sie als »sicherer Hafen« angesehen wurden. Und was machte Gold? Insgesamt bewegte es sich kaum, phasenweise fiel es sogar! Als wäre es keine sichere Anlage, sondern unsicher wie die Anleihe eines zweifelhaften Schuldners. Der nachfolgende Chart zeigt die Wertentwicklung einer Unze Gold in US-Dollar, eines Investments in zehnjährige US-Staatsanleihen und von US-Aktien im Maße des Dow-Jones-Aktienindex.
Abb. 4: Gold, US-Anleihen und Dow Jones 1998 (indexiert)
Es ist auffällig, dass Gold von der schweren Krise nicht profitierte, sondern ganz im Gegenteil zusammen mit den Aktien fiel. Natürlich hat Gold nicht als »sicherer Hafen« ausgedient, noch dürfte es marktübliche Gründe für den Kursrückgang wie etwa Gewinnmitnahmen gegeben haben. Wieso sollten diese ausgerechnet dann stattfinden, wenn die Märkte nach Sicherheit streben? Ganz auszuschließen wären marktübliche Gründe im Einzelfall allerdings nicht, denn manchmal wird im Zuge von Finanzmarktkrisen Liquidität um jeden Preis benötigt und dann alles verkauft, auch Gold. Dies kommt aber recht selten vor. Alternativ stellt sich die Frage, ob gezielte, von Zentralbankseite initiierte Goldverkäufe dem Markt Ruhe suggerieren sollten. Die Krise würde so gemildert, die Investoren würden von sich steigernder Panik abgehalten.
Um den Kursverlauf von Gold in Krisensituationen besser abschätzen zu können, wollen wir nun anstelle von Einzelbeispielen eine Vielzahl an Finanzmarktkrisen auf einmal untersuchen. Durch Durchschnittsbildung können wir den typischen Verlauf in Krisen untersuchen und gegebenenfalls Auffälligkeiten feststellen. Finanzmarktkrisen sind aber nicht immer eindeutig anhand äußerer (wie politischer) Merkmale zu identifizieren; außerdem laufen sie oft über viele Monate, zur Panik an den Märkten kommt es aber nur über einige Wochen. Deshalb wenden wir uns nicht einfach bekannten Finanzmarktkrisen, sondern grundsätzlich problematischen Finanzmarktphasen zu. Wir identifizieren solche Problemphasen anhand scharfer Kursrückgänge an den Aktienmärkten, durch die sich Krisenstimmungen recht zuverlässig äußern.
Dazu verwenden wir ein manuelles Verfahren.5 Wir selektieren die betreffenden markanten Rückgänge manuell. Entscheidend für die Auswahl ist, dass die Rückgänge schnell erfolgten und in Relation zum vorherigen Verlauf ein bedeutendes Ausmaß erreichten. Solche Rückgänge sind typischerweise mit einer Verunsicherung der Anleger verbunden, mit dem Eindruck von Krise und einsetzender Panik. Der Chart zeigt den Verlauf des Dow Jones vom 5. August 1993 bis zum 7. September 2007. Der Beginn entspricht dem Beginn der systematischen Interventionen gegen einen steigenden Goldpreis (den wir später datieren werden), das Ende ist so gelegt, dass die Zeit ab der Finanzmarktkrise nicht enthalten ist (die wir eigens untersuchen werden).
Abb. 5: Dow Jones – Scharfe Rückgänge
Im Chart markiert sind die zwölf Tiefstkurse der problematischen Marktphasen, auf die die Wahl fiel. An diesen Tagen erreichten die Aktienmärkte Tiefpunkte im Zuge der zwölf markanten Rückgänge. Hier in etwa dürfte auch die Panikstimmung jeweils am größten gewesen sein. Wodurch die Rückgänge im jeweiligen Einzelfall veranlasst waren, interessiert hier nicht weiter, es geht für die weitergehende Untersuchung vom Einzelfall zum Generellen darum, wie sich die Märkte durchschnittlich verhielten. Wir machen dazu eine Mittelwertbetrachtung.
Dazu wird der Tag des tiefsten Kurses am Ende des jeweiligen Einbruchs genommen und als zeitlicher Anker verwendet. Das bedeutet, dass wir um den jeweiligen Tiefstkurs den Verlauf davor und danach verwenden und einen Durchschnitt über alle zwölf Ereignisse ermitteln. Es wird also der durchschnittliche Verlauf aller zwölf Kurseinbruchsphasen drei Monate vor und nach dem Tief ermittelt. Der nachfolgende Chart zeigt das Ergebnis im Detail. Es ist kein normaler Chart, sondern einer, der den durchschnittlichen Verlauf des Dow-Jones-Index in den betreffenden zwölf Einbrüchen über insgesamt sechs Monate zeigt. Es handelt sich also um den Verlauf einer typischen Korrektur an den Aktienmärkten.
Abb. 6: Durchschnittlicher Verlauf des DJ um markante Tiefs
Man sieht, dass der Markt im Mittel seinen Höchstkurs gut anderthalb Monate vor dem Tief ausbildete. Dann folgte eine etwa vierwöchige Abschwächung und erst dann eine deutliche Beschleunigung, etwa zwei Wochen vor dem Tief. Der Grund für diesen scharfen Einbruch ist, dass der einzelne Aktienbesitzer seine Verluste nicht begrenzen kann, ohne den Gesamtmarkt durch Verkäufe oder Absicherungen zu schwächen. Unsicherheit und einsetzende Panik führten zu einem durchschnittlichen Rückgang von gut 10 Prozent, da die Marktteilnehmer das endgültige Ausmaß vorher nicht kennen. Sie müssen befürchten, dass die Märkte stärker fallen (was sie ja mitunter dann auch tun). Der Chart visualisiert zudem etwas, das an den Märkten seit langem bekannt ist: Typischerweise gehen Einbrüche schneller vonstatten als die anschließenden Erholungen. Aufgrund der bei Kursrückgängen einsetzenden Panik gehen Rückgänge beschleunigt voran. Erholungen benötigen hingegen länger, da die Angst, etwas zu verlieren, in der Regel größer ist als die Befürchtung, etwas zu verpassen.
Als Nächstes untersuchen wir die Staatsanleihen. Sie gelten in der Regel wie Gold als sichere Anlage. Wie verhalten sich nun Staatsanleihen bei Aktienmarktrückgängen, beim Einsetzen einer Panikstimmung? Dazu verwenden wir die gleiche Methode wie eben, bloß mit einem bedeutenden Unterschied: Als zeitlichen Anker verwenden wir erneut die Tiefstkurse der jeweiligen Rückgänge des Dow Jones und nicht die der Anleihen. Der nachfolgende Chart zeigt somit den durchschnittlichen Verlauf eines Investments in zehnjährige US-Staatsanleihen drei Monate vor bis drei Monate nach einem markanten Tief an den Aktien- und nicht an den Anleihenmärkten. Dadurch können wir den Einfluss des Aktienmarktes auf die Rentenmärkte während Panikphasen untersuchen. Die lange Mittellinie markiert die Dow-Jones-Tiefs, dort wo typischerweise auch die Panikstimmung hoch sein dürfte.
Abb. 7: Durchschnittlicher Verlauf der US-Bonds um markante Tiefs des DJ
Wir erkennen, dass Anleihen typischerweise etwa anderthalb Wochen vor dem Dow-Jones-Tief markant zu steigen beginnen. Dies deckt sich weitgehend mit der Zeit, in der die Aktienmärkte beschleunigt fallen. Anleihen erfüllen also erwartungsgemäß ihre Funktion als sichere Geldanlage und steigen, wenn an den Märkten Unsicherheiten auftreten. Wenn die Aktien schnell fallen, steigen typischerweise die als sicher geltenden Anleihen.
Nun betrachten wir das zu den Staatsanleihen konkurrierende Kriseninvestment Gold. Dazu verwenden wir erneut die gleiche Methode, wobei wir diesmal den Verlauf des Goldpreises um den zeitlichen Anker in Form der Tiefstkurse der jeweiligen Rückgänge des Dow Jones analysieren. Der nachfolgende Chart zeigt somit den durchschnittlichen Verlauf des Goldes drei Monate vor bis drei Monate nach einem markanten Tief an den Aktienmärkten. Die lange Mittellinie markiert erneut die Dow-Jones-Tiefs.
Abb. 8: Durchschnittlicher Verlauf von Gold um markante Tiefs des DJ
Wir erkennen, dass Gold typischerweise gut eine Woche vor dem Dow-Jones-Tief noch ein Zwischenhoch ausbildet. Zu diesem Zeitpunkt beginnen die Aktienmärkte beschleunigt zu fallen. Nun aber fällt auch Gold! Der Tiefstkurs wird in Vergleich zu den Aktienmärkten später ausgebildet. Der Goldpreis bleibt einige Wochen unten. Der Rückgang dauert insgesamt länger. Grundsätzlich scheint ein Zusammenhang zwischen Finanzmarktkrisen und Gold vorzuliegen, wie es viele Marktbeobachter auch gesehen haben. Gold fungiert aber gerade in den Tagen vor dem Tief, wenn die Aktienkurse beschleunigt fallen und die Unsicherheiten über den weiteren Verlauf am höchsten sind, nicht als »sicherer Hafen«. Vielmehr ist sein Kursverlauf so, als gehörte Gold wie Aktien zu den in Krisenzeiten mit hohen Risiken behafteten Investments.
Die Durchschnittsbetrachtung der zwölf Kurseinbrüche bestätigt also, was der zuvor betrachtete Einzelfall der Russlandkrise des Jahres 1998 bereits andeutet. Nun haben sich die Eigenschaften von Gold in den letzten Jahren nicht invertiert. Die Zentralbanken hingegen dürften Interesse an einem niedrigen Goldpreis haben. Ein fallender Goldpreis stärkt das Vertrauen in die Finanzmärkte. Dazu gibt es wohl keinen wichtigeren Anlass als Finanzmarktkrisen. Es stabilisiert die Märkte, wenn Gold schwach ist. Gold wird so als Krisen-Investment uninteressant, die Gelder strömen in die verbleibenden Anlageklassen, insbesondere in die Staatsanleihenmärkte. Anschließend fließen sie auch wieder schneller in die Aktienmärkte zurück. Zudem wird der Eindruck einer unkontrollierbaren Krise vermieden. Man stelle sich umgekehrt vor, der Goldpreis würde in Zeiten von Unsicherheit stark steigen. Das würde suggerieren, es gäbe größere, unkontrollierbare Probleme. Dies könnte die Panikstimmung verstärken. Die Zentralbanken haben also genügend Gründe, sich gerade in schwierigen Marktphasen einen fallenden Goldpreis zu wünschen. Es dürfte ihnen gut gefallen, dass der Goldpreis in der Zeit aufkommender Panik an den Märkten nicht steigt, aber auch nicht in den Wochen darauf, in denen sich die Märkte noch nicht wieder gänzlich beruhigt haben. Aber sorgen sie auch tatsächlich für fallende Goldpreise?
Abb. 9: »Sichere Häfen« im Vergleich
3 Jastram, Roy: »The Golden Constant: The English and American Experience, 1560–1976«, New York 1977.
4 In Bezug auf Gold ist die Krise auch deshalb von Bedeutung, da es Gerüchte gab, dass LTCM 300 Tonnen Gold leer verkauft hätte. Diese Gerüchte wurden nie offiziell bestätigt und konnten auch nicht weiter untermauert werden, weshalb hier nicht weiter auf sie eingegangen wird. Sie waren jedoch Anlass für viele Marktteilnehmer zu glauben, dass Zentralbanken am Goldmarkt hinter den Kulissen tätig sind.
5 Ein manuelles Verfahren ist hier ausreichend gut geeignet und vermeidet potenzielle Probleme automatisierter Verfahren, wie der Messung bestimmter prozentualer Rückgänge innerhalb bestimmter Zeiten (was zum Übersehen etwas zu schwacher Krisen führen kann, aber auch zu mehrfacher Berücksichtigung bei einer in Wellen ablaufenden Krise).
»Guten Morgen, Amerika« oder »Man kann seine Uhr danach stellen« – so scherzten Marktbeobachter um die Jahrtausendwende, wenn sie den Goldpreis verfolgten und mal wieder sahen, dass er nach der Eröffnung der New Yorker Terminbörse Comex fällt. Er tat dies so regelmäßig, dass viele keinen Zufall annahmen. Vielmehr vermuteten sie hinter dieser Anomalie gezielte Interventionen gegen Gold, die typischerweise zu einer bestimmten Zeit, nämlich während der Handelszeiten des wichtigen Terminmarkts, stattfanden. Gerüchte um solche Interventionen kursierten schon länger, mindestens seit 1995.6
Abb. 10: Gold intraday am 1., 2. und 3.6.2004
Seit 1999 half dann das Gold Anti Trust Committee (Gata; www.gata.org), eine US-Bürgerrechtsorganisation, diese Interventionen aufzuzeigen. Es hatte sich zum Ziel gesetzt, diese publik zu machen und möglichst zu deren Beendigung beizutragen. Nachfolgend sehen Sie zur Verdeutlichung den Intraday-Kursverlauf des Goldes über drei Tage.
Der Chart zeigt den Verlauf des Goldpreises von 0.00 Uhr bis 24.00 Uhr New Yorker Zeit an, am 1.6.2004 sowie an den beiden folgenden Tagen. Die Handelszeit des Terminmarktes Comex ist hervorgehoben. Man erkennt deutlich, wie der Preis an diesen drei Tagen zu dieser Handelszeit fällt. Es waren solche Rückgänge in gehäufter Zahl, die die Marktbeobachter annehmen ließen, dass es sich nicht um eine zufällige Kursentwicklung handeln würde. Hatten sie Recht?
Um das zu überprüfen, wollen wir für eine große Zahl an Tagen den Kursverlauf des Goldes innerhalb des Tages untersuchen. Dazu verwenden wir erst einmal die Methode, die wir bereits bei der Untersuchung der zwölf krisenähnlichen Kursrückgänge am Aktienmarkt angewendet haben: Wir bilden einen durchschnittlichen Kursverlauf. Dazu benutzen wir minütliche Intraday-Kurse7 um die Jahrtausendwende, vom August 1998 bis Juli 2003. Der nachfolgende Chart zeigt somit den durchschnittlichen Intraday-Verlauf des Goldpreises über 5 Jahre. Die horizontale Skala zeigt die Uhrzeit (New Yorker Zeit), die vertikale das durchschnittliche Preisniveau (Basis = 1000). Da über viele Tage gemittelt wird, ist das Ausmaß der Bewegungen naturgemäß relativ klein (von 999,6 auf 1000,1 entspricht gerade mal 0,05 Prozent). Der Chart zeigt also den typischen Intraday-Verlauf des Goldpreises, ermittelt über mehr als tausend Tage und mehr als eine Million Einzelkurse. Er ist somit von hoher statistischer Aussagekraft.
Der Chart bestätigt den Eindruck vieler Goldmarktbeobachter: Der Kurs fällt typischerweise, wenn die Börse in New York aufmacht. Diese Abwärtsbewegung fand hauptsächlich in den ersten zwei Stunden des amerikanischen Handels statt. Außerdem sehen wir, dass das Tief des mittleren Verlaufs zeitnah mit dem Nachmittagsfixing (PM Fixing) stattfindet. Das Nachmittagsfixing ist eine Art offizieller Weltgoldpreis und wird nachmittags in London ermittelt (wegen der Zeitverschiebung ist es in der Abbildung vormittags nach New Yorker Zeit eingetragen). Auch zum weniger bedeutenden Londoner Vormittagsfixing (AM Fixing) gibt es im Mittel einen wenn auch leichten Rückgang. Einen kurzfristigen scharfen Einbruch sehen wir dann gezielt zum Schlusskurs des New Yorker Terminmarktes (wobei die Uhrzeit der Börsenschließung im Untersuchungszeitraum von 14.30 Uhr auf 13.30 Uhr wechselte; zu beiden Uhrzeiten ist aber ein Rückgang erkennbar). Tendenziell stieg der Goldpreis danach. Grob vereinfacht könnte man sagen, er fiel in der amerikanischen Handelszeit, während er in der asiatischen und europäischen stieg.
Abb. 11: Durchschnittlicher Intraday-Verlauf des Goldes 8/1998-7/2003
Es gibt somit eine auffällige Anomalie im Intraday-Kursverlauf des Goldpreises. Diese lässt sich gut für statistische Untersuchungen verwenden. Eine Statistik mit Tausenden von Ereignissen ist von hoher statistischer Signifikanz (sie ist aussagekräftiger, als es etwa die Betrachtung der zwölf krisenähnlichen Kursrückgänge am Aktienmarkt sein könnte). Eine solche Untersuchung der Intraday-Kursanomalien eignet sich als statistischer Beweis von Goldinterventionen. Ferner kann sie eine genaue Datierung ihres Beginns ermöglichen.
6 Siehe Anhang 5.
7 Disk Trading, Iavor Kindekov, http://disktrading.is99.com/disktrading.
Die Untersuchung der Intraday-Anomalien hat einen großen Vorteil: Interventionen zielen auf den Kurs, sie müssen sich somit am Kurs bemerkbar machen. Wir messen also die Intervention direkt, wenn wir den Kurs betrachten. Wir werden später noch andere Beweismittel, wie Zitate von Zentralbankern, heranziehen. Ihre Beweiskraft ist meist aber nur indirekter Natur (da sie keine offizielle Bestätigung der Interventionen beinhalten). Erst in Kombination mit dem statistischen Beweis (und dem durch die Statistik gewonnenen zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang) entfalten sie ihre volle Kraft. Die Beweisführung anhand der Kursverläufe ist aber nicht nur direkt, sondern durch die sehr hohe Zahl an Intraday-Anomalien auch signifikant. Denn es geht bei unserer Untersuchung nicht um irgendeinen Kursverlauf, der uns nicht passt, sondern um ein regelmäßig wiederkehrendes kurzfristiges Muster, das weit außerhalb eines markttypischen Verlaufs liegt und das sich nicht anderweitig erklären lässt.
Im März 2000 veröffentlichte Harry Clawar eine Statistik, die sich diesen Intraday-Anomalien widmete.8 Er griff die in Internetforen geäußerten Beobachtungen auf, dass die Bemühungen, den Goldpreis vom Steigen abzuhalten, vor allem in New York angesiedelt seien. Ab September 1999 beobachtete er den Goldpreis genauer. Ihm schien, dass er nach dem Schlusskurs in New York tendenziell stieg und dass er während der New Yorker Handelszeit, beginnend grob zur Zeit des Vormittagsfixings in London, meist fiel. Wir schauen uns an, inwieweit seine Beobachtung im Intraday-Chart um 2000 nachvollziehbar ist. Dazu verwenden wir vorherigen Chart über den durchschnittlichen Goldpreisverlauf innerhalb der etwa 1250 Tage von August 1998 bis Juli 2003. Wir zeichnen zusätzlich die Linien zwischen den Punkten ein, auf die sich Clawar bezieht. Man erkennt deutlich, dass der Markt zwischen dem Vormittagsfixing (AM Fixing) und dem New-Yorker-Schlusskurs im Mittel fiel, während er nach dem New-Yorker-Schlusskurs bis zum Vormittagsfixing des Folgetags durchschnittlich stieg. Clawars Annahme kann also als grobe Approximation gelten.
Abb. 12: Durchschnittlicher Intraday-Verlauf des Goldes 8/1998-7/2003
Clawars Originalstichprobe ging vom 25.1. bis 10.3.2000 über 31 Handelstage. Dort fiel der Goldpreis in 69 Prozent der Fälle in der durch diese Punkte definierten New Yorker Handelszeit, während er in 74 Prozent der Fälle im Rest der Welt stieg – wohlgemerkt während der gleichen Tage. Wären die auf den Preis wirkenden Kräfte gleichverteilt und nicht vom Ort abhängig, hätten beide Zahlen etwa 50 Prozent betragen müssen. Während des Betrachtungszeitraums veränderte sich der Goldkurs kaum (um weniger als einen Dollar). Die während der außeramerikanischen Handelszeit aufgelaufenen Gewinne summierten sich dabei auf etwa 41 Dollar, während der Preis zugleich in New York insgesamt um 41 Dollar fiel. Clawar schließt mit der Frage nach einer US-geführten und in New York angesiedelten Manipulation des Goldpreises. Die Abbildung zeigt seine Berechnungen.9
Abb. 13: Clawars Untersuchung
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8 Clawar, Harry: »A New Gold War?« www.gold-eagle.com/editorials_00/clawar031300.html.
9 Das Anfangsdatum (»99«) ist anscheinend fehlerhaft.
10 Des Frontmonats (das heißt des jeweils nächsten Terminmonats), die im Börsianerslang auch »Spotpreise« genannt werden, echte Spotpreise aber nur approximieren, was das Ergebnis seiner Untersuchung aber nicht nennenswert beeinträchtigt zu haben scheint. Bolser, Michael: »Evidence of Gold Manipulation on the COMEX« www.goldensextant.com/commentaryBA.htmlanchor51667.