Mareike Bröcheler
Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien
Eine qualitative Studie über die Relevanz alltagsunterstützender Angebote für die Entlastung erwerbstätiger Eltern
Eine qualitative Studie über die Relevanz alltagsunterstützender Angebote für die Entlastung erwerbstätiger Eltern
Institut für Wirtschaftslehre des Haushalts und Verbrauchsforschung
Professur für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen
INAUGURAL-DISSERTATION
zur Erlangung des Doktorgrades (Dr. oec. troph.)
im Fachbereich 09 – Agrarwissenschaften, Ökotrophologie
und Umweltmanagement
der Justus-Liebig-Universität Gießen
vorgelegt von
Mareike Bröcheler
aus Kleve
Mit Genehmigung des Fachbereichs Agrarwissenschaften, Ökotrophologie und Umweltmanagement der Justus-Liebig-Universität Gießen
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Alle Seitenangaben in diesem Buch beziehen sich auf die Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe.
© Mareike Bröcheler, Gießen 2019 – Haushaltsnahe Dienstleistungen für Familien
1. Auflage 2020
Titelgestaltung: Dagmar Papic, Martina Stolzmann
Layout: Martina Stolzmann
E-Book: Mirjam Hecht
ISBN 978-3-95409-806-4
Druck: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Die Idee zu dieser Arbeit entstand durch meine Arbeit im Projekt Kompetenzzentrum „Professionalisierung und Qualitätssicherung haushaltsnaher Dienstleistungen“ (PQHD), das mir den Einstieg in ein spannendes Forschungsfeld ermöglichte.1 Entlang der Entstehungs- und Arbeitsphasen haben mich zahlreiche Menschen zu diesem Vorhaben ermuntert, mich dabei begleitet und unterstützt.
Besonderen Dank möchte ich zuallererst meiner Doktormutter und Betreuerin Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe aussprechen. Den Weg in die Wissenschaft habe ich ihr zu verdanken. Seit meiner Zeit als Studentin verstand sie es, mich an Themen und Projekte heranzuführen, die mein Interesse gewinnen und jeweils nachhaltig Begeisterung in mir wecken konnten. Das stete Vertrauen, das sie mir und meiner Arbeit entgegengebracht hat, hat diese wesentlich getragen.
Ebenso danke ich Prof. Dr. Wencke Gwozdz für die Bereitschaft zur Übernahme der Zweitbetreuung unmittelbar nach ihrem Einstieg an der Universität Gießen. Ich danke ihr für ihre Unterstützung in den bereits fortgeschrittenen Arbeitsphasen, die ebenfalls zur Fertigstellung dieser Arbeit beigetragen hat.
Kern dieser Arbeit bilden die Alltagswelten der Familien, in die mir meine Interviewpartnerinnen Einblick gegeben haben. Ich bedanke mich ausdrücklich für die vertrauensvolle Beteiligung an diesem Projekt, für das sie sich trotz aller Arbeit des Alltags die Zeit genommen haben.
Danken möchte ich auch all meinen aktuellen und ehemaligen Kolleginnen im Institut und in der Arbeitsgruppe. Darunter vor allem Prof. Dr. Angela Häußler, Prof. Dr. Christine Küster, Dr. Sandra Obrem und Eva Regensburg, die mich bereits im Studium als Dozentinnen und später als Kolleginnen geprägt und unterstützt haben. Insbesondere danke ich außerdem Nina Klünder, die trotz der Arbeit an ihrer eigenen Dissertation immer ein offenes Ohr für mich hatte, für den steten Austausch und die fruchtbaren Diskussionen in allen Phasen dieser Arbeit. Zu zweit promoviert es sich einfacher als allein.
Gleichermaßen mentale Unterstützung verdanke ich meinen Scimento-Peers, die mir als ausgezeichnete Wissenschaftlerinnen und Frauen ein Vorbild waren und sind. Privat danke ich außerdem meinem Freundeskreis für die effizienten Regenerationsphasen, die wir zusammen verbracht haben.
Ich danke meinen Eltern und meinem Bruder, für die Ausdauer und den „stillen Support“ meiner Arbeit.
Schließlich danke ich Markus. Er hat immer an mich geglaubt und meine Arbeit moralisch ebenso wie grafisch unterstützt. Vor allem hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass sich für mich Beruf und Privates im Gleichgewicht befinden – die wohl entscheidende Voraussetzung dafür, dass ich diese Arbeit zu Ende bringen konnte.
1 Das Projekt war vom 01.05.2013 bis 30.06.2018 am Lehrstuhl für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen unter Leitung von Frau Prof. Uta Meier-Gräwe angesiedelt. Die finanzielle Förderung erfolgt durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).
Alltag prägt unser Leben. Alltäglich, also jeden Tag beschäftigen uns dieselben Aufgaben der Lebenserhaltung und Versorgung: Wir gehen einer Erwerbsarbeit nach, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen, stellen unsere Ernährung sicher, kümmern uns um unsere Gesundheit und Regeneration, ebenso wie um das Wohlergehen von Partnern und Partnerinnen, Kindern oder Angehörigen. Das definitionsgemäß ,,tägliche Einerlei“ („Alltag“ nach Duden 2018) ist keineswegs ein Selbstläufer, sondern bedarf aktiver Leistungen von Individuen und privaten Haushalten als Orten der alltäglichen Daseinsvorsorge (vgl. von Schweitzer 1991). Alltag herzustellen ist heute eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, insbesondere für erwerbstätige Eltern, die – zwischen Erwerbsarbeit und Familienleben, zwischen privater und öffentlicher Sphäre – den Alltag eines jeden einzelnen Haushaltsmitglieds „unter einen Hut bekommen“ müssen (vgl. Jurczyk, Rerrich 1993a; Meier-Gräwe 201Sa).
In Familienhaushalten beeinflussen der jeweilige Erwerbsumfang beider Eltern, Anzahl und Alter der Kinder sowie die Institutionen und Netzwerke zu deren Betreuung und Versorgung maßgeblich das Alltagsmanagement. Eine breite gesellschaftliche Zustimmung zu politischen Maßnahmen, wie etwa dem Ausbau institutioneller Kindertagesbetreuung, der Einführung des einkommensabhängigen Elterngeldes oder des Gesetztes zur sog. Brückenteilzeit, verdeutlicht den gesellschaftlichen Stellenwert einer gelungenen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die viele Eltern allerdings nach wie vor nicht erreichen. Vielmehr ist für alle Eltern in der sog. Rushhour des Lebens eine enorme zeitliche Belastung durch Erwerbs- und Sorgearbeit charakteristisch. Deshalb verwundern die Ergebnisse verschiedener Befragungen nicht, dass sich Eltern heute zunehmend Unterstützung bei der Hausarbeit wünschen, die sie verstärkt als Belastung wahrnehmen. Neben den genannten familienpolitischen Maßnahmen tauchen in jüngsten Diskussionen daher haushaltsnahe Dienstleistungen als ein denkbares Mittel zur Förderung jener Vereinbarkeit (wieder) auf (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2012; Destatis 201Sa; MFKJKS 2015; Bujard, Panova 2016; Leopold 2018). Da der 2017 erstmals für Deutschland veröffentlichte „gender care gap“ aufzeigt, dass Frauen durchschnittlich (in allen Haushaltstypen) immer noch mehr als anderthalb Mal so viel unbezahlte Hausarbeit leisten wie Männer, und dieser in Familienhaushalten zudem deutlich höher ausfällt, wird den haushaltsnahen Diensten ein insbesondere gleichstellungspolitisch bedeutsames Entlastungspotenzial zugeschrieben (vgl. BMFSFJ 2017).
Hohe Erwerbs- und niedrige Arbeitslosenquoten sowie eine florierende Wirtschaft scheinen oberstes Ziel aller politischen Arbeit zu sein. Bildung und Qualifizierung sind auf eine erfolgreiche Integration aller Gesellschaftsmitglieder in den Arbeitsmarkt ausgerichtet. Gemeinhin rückt dabei zunächst die Tatsache in den Hintergrund, dass „keine menschliche Produktion möglich [ist], ohne dass die Natur schon produziert hat, und keine Erwerbsarbeit möglich [ist] ohne vorher geleistete Sorgearbeit“ (Biesecker 2014: 1). Diskussionen um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf scheinen hiermit zu brechen, weisen zugleich jedoch einen klaren Fokus auf die Sphäre der Erwerbsarbeit auf: Der Fachkräftemangel wird zum akuten Problem für viele Unternehmen und Arbeitgeber und lässt eine weitere Steigerung der Frauenerwerbsquote notwendiger denn je erscheinen. Dass es hierfür Angebote der Kinderbetreuung braucht, ist inzwischen im kollektiven Bewusstsein der deutschen Gesellschaft und Unternehmen angekommen (s.o.). Eine ganzheitliche Betrachtung der Vereinbarkeitsfrage jedoch sollte weiter gefasst werden. Seit einigen Jahren werden politische sowie wissenschaftliche Diskurse zur Erwerbsarbeit daher um den Aspekt der Care-Arbeit ergänzt.2 Dabei ist der Begriff ,,care“ (engl. für „sorgen, pflegen, sich kümmern“) in internationalen Debatten kein neuer, hat jedoch im deutschsprachigen Raum in den letzten zehn bis 15 Jahren wesentlich an Bedeutung gewonnen und wird hier inzwischen vorrangig mit „Fürsorge“ oder „Sorge“ übersetzt (ebenso findet aber auch der englische Begriff Verwendung).3 Kongruent zur Erwerbsarbeit entsteht daher der Begriff der Sorgearbeit, der auch im Rahmen dieser Arbeit vorrangig Verwendung finden wird4 und sich aus pflegerischen, betreuerischen, erzieherischen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, die Menschen für sich und andere erbringen, zusammensetzt (vgl. Praetorius 2015; BMFSFJ 2017). Entscheidend ist, dass sie tagtäglich in privaten Haushalten stattfindet und dabei von wesentlicher gesellschaftlicher Relevanz ist:
„,Care‘ umschreibt alle Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit der Umsorgung des Menschen stehen. Damit sind Haus- und Familienarbeit für andere und für sich selbst, die Erziehung von Kindern, die Pflege von älteren oder kranken Menschen angesprochen. Care beinhaltet auch Bildung, Erziehung und sozial emotionale Zuwendung. Im weiteren Sinne beschränkt sich Care nicht auf die unbezahlte Arbeit, sondern beinhaltet auch die bezahlte Sorgearbeit sowohl im privaten als auch im öffentlichen Raum (care worker, z. B. Altenpflegerinnen und -pfleger). Jane Jenson (1997) verweist darauf, unbezahlte Arbeit nicht als Synonym für Care zu verwenden, da auch private Fürsorgearbeit bezahlt sein kann, wie etwa die bezahlte Eltern- oder Pflegezeit. Zugleich ist Care aber nicht nur bloße Tätigkeit, sondern auch ein wesentlicher Teil und somit eine Form des gesellschaftlichen Lebens, also eine soziale Praxis.“ (Beckmann 2016: 3)
Der umfassenden Definition von Sorgearbeit zur Folge findet sich mitunter – und auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit – eine zusätzliche Differenzierung zwischen Hausarbeit und (weiterer) Sorgearbeit, wenn unterschiedliche Charakteristika von mehr sachbezogenen, hauswirtschaftlichen Tätigkeiten (Reinigung von Wohnraum, Wäsche, Gartenarbeit) einerseits und den eher personenbezogenen Tätigkeiten (bspw. der Betreuung und Erziehung von Kindern) andererseits hervorgehoben werden sollen.
Da sich also die Erkenntnis durchzusetzen scheint, dass „wir nicht über die Erwerbsarbeit sprechen [können] ohne die Hausarbeit in den Blick zu nehmen“ (Allmendinger, Haarbrücker 2013: 52), sind insbesondere familien- und gleichstellungspolitische, haushalts- und sozialwissenschaftliche Diskurse zunehmend von dieser Maxime geprägt. Das Gutachten der Sachverständigenkommission zum Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (2017) firmiert beispielhaft unter dem Titel „Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam neu gestalten“ und trägt unter dieser Zielformulierung u. a. die Forderung mit, hierfür haushaltsnahe Dienstleistungen zu forcieren. Eine Förderung dieses Dienstleistungsmarktes soll den Zugang zu alltagsunterstützenden Diensten für unterschiedlichste Typen privater Haushalte, insbesondere der Familienhaushalte, ermöglichen und erleichtern (vgl. BMFSFJ 2017). Mit haushaltsnahen Dienstleistungen werden Tätigkeiten (der Hauswirtschaft ebenso wie der Betreuung von Personen) erfasst, die in privaten Haushalten von (haushalts)externen Personen gegen Bezahlung erbracht werden (vgl. u. a. Eichhorst, Tobsch 2008)5 – sie stellen damit erwerbsförmige Sorgearbeit dar.
Eine Thematisierung haushaltsnaher Dienstleistungen ist in familien-, gleichstellungs- und arbeitsmarktpolitischen, ebenso wie hauswirtschaftlichen und haushaltswissenschaftlichen Fachdiskursen bereits seit den 1990er Jahren, in den letzten fünf bis zehn Jahren jedoch verstärkt, zu beobachten. Dazu beigetragen haben einerseits gesamtgesellschaftlich die Herausforderungen, Alltag im Zuge sich verändernder Lebens- und Arbeitswelten sowie des demografischen Wandels zu gestalten; andererseits hat auf der Ebene wissenschaftlicher Politikberatung die in Folge europäischer wie nationaler Empfehlungen zur Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen im Jahr 2013 vorgenommene Implementierung eines Kompetenzzentrums bewirkt, dass konkrete Konzepte und Strategien der ,,Professionalisierung und Qualitätssicherung haushaltsnaher Dienstleistungen“ (PQHD)6 ausgearbeitet und vorangetrieben wurden (vgl. Meier-Gräwe 2015b). Zahlreiche Diskussionen drehen sich dabei um eine (neben der vorhandenen steuerlichen Begünstigung von 20 %)7 zusätzliche Förderung in Form einer Nachfragesubvention mit Dienstleistungsgutscheinen, die sich im europäischen Ausland bereits etabliert hat (vgl. Eichhorst, Tobsch 2008; Reinecke, Gess, Stegner et al. 2011; Weinkopf 2015; Meier-Gräwe 2015b; BMFSFJ 2017 u. a.).
Unter der Schlagzeile ,,warum die Haushaltshilfe glücklich macht“8 berichteten Medien 2017 über die Erkenntnisse aus einer international angelegten Studie, die anschaulich darlegt, wie sich die Zufriedenheit von Menschen erhöht, wenn diese Geld für Dienstleistungen ausgeben, die ihnen Zeit verschaffen. Zudem steigt diese in einem größeren Maße, als wenn Personen (zusätzliches) Geld für materielle Güter oder Dienstleistungen ausgeben (vgl. Whillans, Dunn, Smeets et al. 2017). Der Frage, ob oder inwiefern sich positive Auswirkungen haushaltsnaher Dienstleistungen für die nutzenden Personen auch für den aufgezeigten Kontext der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ergeben, soll im Rahmen dieser Arbeit daher nachgegangen werden.
2 Plakativ verdeutlicht dies etwa die 2013 gestartete Initiative „Care.Macht.Mehr – Von der Care-Krise zur Care-Gerechtigkeit“ (www.care-macht-mehr.com, zuletzt abgerufen am 21.03.2019) oder der Aufruf zu einer „Care-Revolution“ (Winker 2015).
3 Da Fürsorge ein persönlicher und emotional besetzter Bereich ist, wird er gemeinhin nicht als Arbeit empfunden und als quasi natürliche Ressource der Gesellschaft angesehen. Kennzeichnend für diese Tätigkeiten ist ein asymmetrisches Verhältnis zwischen den zu versorgenden Personen (hilfsbedürftig und daher in dieser Hinsicht abhängig) auf der einen und sorgenden Personen (hilfeleistend) auf der anderen Seite. Im Kern geht es dabei stets um eine existenzsichernde Daseinsfürsorge für Menschen, die (nicht immer, aber meist) in private Haushalte integriert sind (vgl. Praetorius 2015: 51, ff.).
4 Mitunter wird jedoch synonym auch auf den englischsprachigen Begriff „Care“ (statt „Sorge“) zurückgegriffen werden, etwa wenn es um Quellen mit internationalem Bezug (etwa in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung, siehe Kapitel 3.2) oder feststehende Begrifflichkeiten (Bsp. „gender care gap“, siehe Kapitel 4.1) geht, die eine zur Quelle analoge Verwendung des Begriffs sinnvoll erscheinen lassen.
5 Eine genaue Definition wird in Kapitel 5.3 dieser Arbeit vorgenommen.
6 Zum 01. Mai 2013 wurde das Kompetenzzentrum „Professionalisierung und Qualitätssicherung haushaltsnaher Dienstleistungen“ (PQHD) am Lehrstuhl für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen unter Leitung von Prof. Uta Meier-Gräwe als Projekt implementiert. Nach Beendigung der Projektlaufzeit an der Universität Gießen im Juni 2018 hat das Kompetenzzentrum „PQHD“ zum 01. Januar 2019 an der Hochschule Fulda unter Leitung von Prof. Christine Küster seine Arbeit wieder aufgenommen. Das Projekt wird getragen und finanziert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).
7 Details hierzu finden sich in Kapitel 5.6.
8 So auf www.diepresse.com, ähnlich bei www.SpiegelOnline.de.
In der vorliegenden Arbeit werden diese Beobachtungen und Diskurse aufgegriffen und zusammengeführt. Unter der Fragestellung „Welchen Einfluss haben haushaltsnahe Dienstleistungen auf die Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit und damit das Alltagsmanagement in Familienhaushalten?“ werden die alltäglichen Handlungsmuster von Familienhaushalten mit zwei erwerbstätigen Eltern beleuchtet. Dabei will die Arbeit aufdecken, ob und inwiefern haushaltsnahe Dienstleistungen (in Form von mindestens einer regelmäßigen Haushaltshilfe) den Alltag zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit erleichtern und zu einer spürbaren Entlastung der Eltern insgesamt sowie der Mütter im Speziellen führen können. Das forschungsleitende Erkenntnisinteresse ist an den folgenden Fragen ausgerichtet:
• Welche Bedeutung hat die Nutzung haushaltsnaher Dienstleistungen für die Realisierung einer Erwerbstätigkeit beider Eltern?
• Welche Bedeutung hat die Vergabe von Haushaltstätigkeiten für die innerpartnerschaftliche Arbeitsteilung?
• Welche Auswirkungen hat die Rolle als Auftrag- oder Arbeitgeberin für Dienstleistende auf die Haushaltsführenden?
• Welche weiteren Auswirkungen auf das Alltagsmanagement werden durch die Nutzung haushaltsnaher Dienstleistungen in den Familienhaushalten sichtbar?
Aus einer haushaltswissenschaftlichen Perspektive soll diesen Fragen mithilfe eines qualitativen Forschungsdesigns nachgegangen werden, welches durch einen Ansatz rekonstruktiver Sozialforschung die subjektiven Realitäten der interviewten Personen (jeweils Haushaltsführende der rekrutierten Familienhaushalte), deren individuelle Wahrnehmung von sowie Sichtweise auf ihren Alltag in den Vordergrund stellt. Gleichzeitig ermöglicht deren Perspektive, ein Bild des gesamten familiären Alltags zu zeichnen. Mit Einblick in diese Wechselwirkungen einer Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen mit weiteren Elementen familiärer Alltagsarrangements soll deren Nutzen für eine gelungene Vereinbarkeit und damit eine mögliche Entlastung von erwerbstätigen Eltern aufgedeckt werden.
Zunächst gilt es, den Untersuchungsgegenstand zum Alltag in Familienhaushalten konzeptionell zu erfassen. So legt Kapitel 2 mit den Begriffsbestimmungen zu privaten Haushalten und Familienhaushalten sowie den Theorien und Konzepten zur Haushalts- und Lebensführung die Basis für das Verständnis von Alltag und Alltagsmanagement in Familien. Orientierung im Alltag bieten Leitbilder, die sowohl auf der Makroebene der Politik wie auch der Mikroebene individueller Lebensentwürfe in Kapitel 3 aufgezeigt werden. Wie Alltag zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit tatsächlich ausgestaltet wird, stellt Kapitel 4 anhand des Standes der Forschung zu Zeitverwendungs- und Arbeitsteilungsmustern von Paaren in Familienhaushalten vor, die unter dem Aspekt der Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit kritisch beleuchtet werden. Kapitel 5 wendet sich schließlich makroperspektivisch dem Komplex der haushaltsnahen Dienstleistungen zu und zeigt deren Bedeutung für eine Dienstleistungsgesellschaft aus Angebots- ebenso wie Nachfrageperspektive auf. Daraufhin gilt es zudem in Kapitel 6, mikroperspektivisch die Charakteristika haushaltsnaher Dienstleistungen aus Sicht der Privathaushalte als Nutzende zu betrachten. Nach Darstellung des Forschungsdesigns in Kapitel 7 präsentiert Kapitel 8 schließlich die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung. Es zeigt die Variationen von Alltagsmanagement in Familienhaushalten mit Haushaltshilfen auf und leitet daraus eine Theorie des Alltagsmanagements von Familien mit haushaltsnahen Dienstleistungen ab. Kapitel 9 diskutiert die Ergebnisse im Spiegel des zuvor präsentierten Status quo der Lebenslagen erwerbstätiger Eltern sowie der haushaltsnahen Dienstleistungen in Deutschland, bevor Kapitel 10 auf Basis der gewonnenen Schlussfolgerungen mit Handlungsempfehlungen und einem Ausblick abschließt.
Die Arbeit des Alltags sowie die Strukturen privater Haushalte, in denen sie stattfindet, sind u. a. durch die Haushaltswissenschaften, Alltagssoziologie, Frauen- und Geschlechterforschung untersucht und definiert worden. In diesem Kapitel gilt es daher, zunächst den Gegenstandsbereich privater Haushalte und Familienhaushalte zu definieren (Kapitel 2.1) und dann die Arbeit des Alltags anhand ausgewählter Theorien konzeptionell zu untermauern (Kapitel 2.2), bevor der Fokus im folgenden Kapitel auf eben jene Arbeiten in Familienhaushalten gelegt wird.
Private Haushalte sind die kleinste ökonomische Einheit einer Volkswirtschaft. Neben Staat und Unternehmen sind sie die dritte Instanz zur Sicherung der Daseinsvorsorge einer Gesellschaft. Während unter den Bereich der öffentlichen (oder: staatlichen) Daseinsvorsorge vorrangig Leistungen der Infrastruktur zur Herstellung eines grundlegenden Lebensstandards für die Bevölkerung, etwa durch Energie- oder Wasserversorgung, Verkehrswesen, Kommunikationsdienstleistungen oder Einrichtungen des Bildungs- und Gesundheitswesen gefasst werden,9 hat die private Daseinsvorsorge in Haushalten die Befriedigung der Grundbedürfnisse seiner Mitglieder nach u. a. Essen, Schlaf, Wohnraum oder Hygiene zum Ziel. Die Sicherstellung der privaten Daseinsvorsorge ist daher Daseinsberechtigung jedes Haushaltes und Ziel aller haushälterischen Tätigkeiten (vgl. von Schweitzer 1983, 1991; Neu 2009). Lehren vom richtigen und guten Haushalten, im Sinne eines ökonomischen, sparsamen Umgangs mit den vorhandenen Ressourcen für die Daseinsvorsorge finden sich bereits seit der Antike in der Literatur wieder. Der private Haushalt selbst hingegen rückt erst im 20. Jahrhundert in den wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fokus. Egner definiert den privaten Haushalt ,,als die Einheit der auf Sicherung der gemeinsamen Bedarfsdeckung einer Menschengruppe im Rahmen eines sozialen Gebildes gerichteten Verfügungen“ (Egner 1976: 34). Er grenzt sich damit von früheren Definitionen ab, die allein die (haus)wirtschaftlichen Handlungen fokussierten (vgl. Egner 1976; von Schweitzer 1991; Richarz 2001).10 Auch nach der heute gültigen, amtlichen Definition von Privathaushalten gilt als Haushalt ,,jede zusammenwohnende und eine wirtschaftliche Einheit bildende Personengemeinschaft (Mehrpersonenhaushalte) sowie Personen, die allein wohnen und wirtschaften (Ein-Personen-Haushalte, zum Beispiel auch Einzeluntermieter)“ (Destatis 2018: 24). Personengemeinschaft und wirtschaftliche Aktivität werden damit um die räumliche Dimension des gemeinsamen Wohnens ergänzt.11
In der systemischen Betrachtung von privaten Haushalten nach von Schweitzer bildet die Wohnung (samt ggf. vorhandenem Außenbereich, wie Balkon oder Garten) die räumliche Grenze des Haushaltes und bildet zugleich den Handlungsspielraum für die Haushaltsführung (durch Art der Nutzung, Optionen des Umbaus etc.) ab. Als System lässt sich der Haushalt zudem anhand seiner Haushaltsmitglieder, deren verfügbarer Arbeitskraft, ebenso wie Verantwortung und Verfügungsgewalt über Einkommenserzielung und -verwendung, sowie anhand der hauswirtschaftlichen Arbeits- und Funktionsbereiche abgrenzen. Die Bedeutsamkeit der sozialen Systembestandteile, der Haushaltsmitglieder, verdeutlicht von Schweitzer zudem über die Abbildung der personellen Gefüge im sog. Familiensystem, welches das Haushaltssystem ergänzt.12 Die Schnittmenge beider Systeme stellen die jeweiligen Subsysteme Sachbezugssystem der Familie und Personalsystem des Haushaltes dar (siehe Abbildung 1). Haushalte sind zudem auf verschiedenen Ebenen in ein Umfeld eingebettet, angefangen bei der Mikroebene mit ,,Wohnung und Schwellenbereich“ (Grundstück, Garten etc.), der Mesoebene von ,,Nahbereich und Infrastruktur“ (hiermit sind Einrichtungen für Einkauf, Bildung oder Freizeit, ebenso wie die jeweiligen Arbeitsplätze gemeint), sowie der Makroebene von „Geschichte und Kultur“ (u. a. Gesetze, Werte, Leitbilder, Medien) des Staates (vgl. von Schweitzer 1983, 1991).
Abbildung 1: Das Familien- und Haushaltssystem nach von Schweitzer
Quelle: Eigene Darstellung nach von Schweitzer 1991: 142
Je nach Anteil der eigens verrichteten hauswirtschaftlichen Aktivitäten, der „Versorgungs-, Pflege- und Erziehungsleistungen“ (von Schweitzer 1991: 135), sowie im Umkehrschluss je nach Anteil der über den Markt beschafften Güter oder Dienstleistungen, lassen sich unterschiedliche Haushaltsstrukturtypen differenzieren: Selbstversorger-, Dienstleistungs- und Vergabehaushalt. Die meisten heutigen Haushalte industriell geprägter Gesellschaften stellen Formen eines Dienstleistungshaushaltes dar, in dem ein nicht unwesentlicher Teil an Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs (bspw. Lebensmittel, Kleidung, Versicherungen) eingekauft wird (vgl. von Schweitzer 1983, 1991). Zum Zwecke der Daseinsvorsorge sind Privathaushalte zudem in ein Verbundsystem eingebettet, in dem sie durch andere private Haushalte, bedarfswirtschaftliche, personale Versorgungsbetriebe (etwa Heime), erwerbswirtschaftliche Betriebe (etwa Caterer, Wäschereidienste, Haushaltsservice) sowie verschiedenste Institutionen und Organisationen ergänzt werden (vgl. von Schweitzer 1991; Bottler 1997).
Aus soziologischer Perspektive handelt es sich bei privaten Haushalten auf einer Makroebene zunächst um ein deskriptives Merkmal für statistische Untersuchungen und Auswertungen sozialer Phänomene, während auf der Ebene einer Mikrosoziologie allen voran Kaufmann den Haushalt definiert und eine „Theorie der Haushaltstätigkeit“ (Kaufmann 1999) entwickelt hat (vgl. Thiessen 2004). Im Kern stehen dabei nach Kaufmann die Bemühungen um das Schaffen und Aufrechterhalten von Sauberkeit und Ordnung, da das Sich-Reinigen des Menschen (und seiner Umgebung) in zivilisierten Kulturen sein grundlegendes Handlungsmotiv ist (vgl. Kaufmann 1999). Der Haushalt ist bei Kauffmann daher unmittelbar an die Hausarbeit gebunden.
In der vorliegenden Arbeit steht mit den Familienhaushalten eine besondere Form privater Haushalte im Fokus, weshalb Familien und deren Haushalte hier zunächst ebenfalls zu beschreiben sind. Die heute oftmals proklamierte „Pluralisierung von Lebensformen“ beschreibt die quantitativen Veränderungen von Haushalts- und Lebensmodellen – ohne und mit Kind(ern). Bei den familialen Lebensformen (d. h. jenen mit Kindern) unterliegt die über weite Teile des 20. Jahrhunderts wahrgenommene Dominanz der ,,Normalfamilie“ (Kernfamilie aus Elternpaar mit biologischen Kindern, meist verheiratet) als Ergebnis von Trennungen, Scheidungen, Wiederverheiratung, steigenden Zahlen von Alleinerziehenden sowie unverheirateten Paaren oder gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften mit Kindern einem Bedeutungsverlust. Die Variabilität familialer Lebensformen spiegelt stets den soziokulturellen Kontext einer Gesellschaft wider und unterliegt natürlicherweise einem steten Wandel. So gab es auch in vorindustriellen Gesellschaften vielfältige Lebensformen, jedoch mit dem Unterschied einer geringeren gesellschaftlichen Anerkennung, etwa von unehelichen oder gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Veränderte rechtliche Rahmenbedingungen, wohlfahrtsstaatliche Neuerungen oder veränderte Wertvorstellungen, Lebensentwürfe und Lebensverläufe (bspw. Bildungsexpansion, Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern) bedingen und ermöglichen diese dynamischen Prozesse gleichermaßen (vgl. Meier 2000; Nave-Herz 2014; Nave-Herz 2015; Krack-Roberg, Rübenach, Sommer et al. 2016).
,,Familie ist da, wo Menschen kontinuierlich füreinander sorgen und Verantwortung übernehmen“ (Heinrich-Böll-Stiftung 2017: 9). Dieses familienpolitisch hinterlegte Verständnis von Familie bringt eine Annäherung an das familienwissenschaftliche Verständnis des Familienbegriffs. Demnach ist Familie in Folge eines Perspektivwechsels („practical turn“) nicht mehr als natürliche, gegebene Form sondern als Praktik13, d. h. als Ergebnis aktiver Herstellungsleistung, zu sehen (vgl. Jurczyk 2014; siehe Kapitel 2.2.2). Das Konzept der Familien- und Lebensformen im Mikrozensus definiert Familien als Eltern-Kind-Gemeinschaften, zu denen folglich gemischt- oder gleichgeschlechtliche Ehepaare ebenso wie nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kind(ern) zählen (vgl. Krack-Roberg, Rübenach, Sommer et al. 2016). Familien bilden – je nach Perspektive – zwar meistens, jedoch nicht zwangsläufig einen gemeinsamen Haushalt. Das Leben von Familien als soziales Netzwerk kann auch über Haushaltsgrenzen hinweg stattfinden, dies zunehmend auch über mehr als zwei Generationen hinweg. Beziehungen in multilokalen Mehrgenerationenfamilien, etwa zwischen Eltern und ihren erwachsenen, in eigenen Haushalten lebenden Kindern, sind auch überweitere Entfernungen emotional stabil und versprechen intergenerationelle Solidarität und Unterstützungspotenzial. In den letzten Jahrzehnten haben multilokale Familienbeziehungen zugenommen, sodass Alltag in Familien heute als soziales Netzwerk zu verstehen ist, aufgrund des Reziprozitätsprinzips funktioniert und Daseinsvorsorge sichern kann (vgl. Hennig 2014).
Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind Familienhaushalte, die aus zusammenwohnenden Eltern-Kind-Gemeinschaften bestehen. Im Sinne einer intergenerationellen Übernahme von Fürsorge sind für den familiären Alltag dabei häufig auch die Beziehungen zu weiteren Haushalten (vorrangig denen von Großeltern) entscheidend, wie im Laufe der Untersuchung deutlich werden wird (siehe Kapitel 8).
Mit dem Ziel der unmittelbaren Daseinsvorsorge obliegen Haushalten „Aufgaben der Lebenserhaltung, der Persönlichkeitsentfaltung und der Kultur des Zusammenlebens“ (von Schweitzer 1991: 134), die sowohl durch eigens erstellte ebenso wie über den Markt bezogene Güter und Dienstleistungen hergestellt werden. Die gesellschaftliche Relevanz der Hausarbeit, der in privaten Haushalten und damit auch in Familienhaushalten erbrachten Leistungen, wird anhand der Funktionen deutlich, die von Schweitzer privaten Haushalten zuordnet (vgl. von Schweitzer 1983, 1991). Diese sind:
• Ökonomische Funktion: Durch die Erzielung von Einkommen und das Auftreten der Haushaltsmitglieder als Arbeitskraft in der Erwerbs- ebenso wie Sorgearbeit können im Privathaushalt Ressourcen erhalten und gesichert werden. Einkommenserzielung und -sicherung durch Erwerbsarbeit ist hierbei ebenso bedeutsam wie die Versorgung des Haushaltes mit Gütern und Dienstleistungen zur Sicherung der Daseinsvorsorge. Dies bildet zugleich die Basis für die Erfüllung der übrigen Funktionen.
• Generative Funktion: In privaten Haushalten werden Kinder geboren und zu vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft herangezogen. Leistungen der Generationenfolge zum Fortbestand der Gesellschaft sowie die intergenerationelle Fürsorge im Lebensverlauf sind essenzielle Aufgaben privater Haushalte.
• Regenerationsfunktion: Eine stete Aufgabe der privaten Haushalte besteht in der Regeneration und Gesunderhaltung seiner Haushaltsmitglieder. Das Ziel ist es, durch Leistungen der Erholung, der bedarfsgerechten Ernährung oder (Körper-)Pflege, diese gesund zu erhalten und ihre gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.
• Sozialisationsfunktion: Durch Leben und Alltag im privaten Haushalt, die damit vermittelten Werte und Normen sowie durch aktive Erziehungsleistungen tragen Haushalte wesentlich zur Bildung von Humanvermögen und damit der Integration von Individuen in die Gesellschaft bei.
Krüsselberg betont ebenfalls, dass Familienhaushalte in modernen Gesellschaften durch ihre generativen und regenerativen Leistungen der Bildung und Erhaltung von Humanvermögen die Funktionalität, nicht nur von Familien selbst, sondern ganzer Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Wahlstandsentwicklung sicherstellen (vgl. BMFSFJ 1995; Krüsselberg 2007; Nave-Herz 2014). Alle Leistungen der alltäglichen Daseinsvorsorge in privaten Haushalten im Allgemeinen sowie – aufgrund ihrer intergenerationellen Beziehungen – in Familienhaushalten im Besonderen sind damit wertschöpfende Leistungen: Sie zeigen sich mittelbar im Humanvermögen der Familien- und Haushaltsmitglieder sowie unmittelbar in den durch sie erbrachten und gesellschaftlich bewerteten Leistungen im Erwerbsleben (vgl. Meier 1995).
Während Erwerbsarbeit, wie andere über Märkte organisierte Dienstleistungen oder Waren, in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) abgebildet wird, fallen die in privaten Haushalten erbrachten, wertschöpfenden Leistungen der unbezahlten Arbeit zunächst durch das ökonomische Raster. Private Haushalte (und damit auch Familienhaushalte) werden volkswirtschaftlich lediglich als konsumierende, wertvernichtende (oder sparende) Wirtschaftseinheiten sichtbar (vgl. exempl. Meier, von Schweitzer 1999; Richarz 2000; Thiessen 2004; Meier-Gräwe 2015b). Die Abgrenzung dieser beiden gleichermaßen gesellschaftlich relevanten Arbeitsbereiche nimmt mit Entstehung der Industriegesellschaft Einzug in das wirtschaftswissenschaftliche Denken (oft beschrieben als die Entstehung der sog. Nationalökonomie, die die heutige Volkswirtschaft bezeichnet). Eine Folge dieses neuen wirtschaftswissenschaftlichen Paradigmas verdeutlicht bereits 1920 der britische Nationalökonom Pigou mit dem Phänomen des sog. „Hausfrauenparadoxons“ (Pigou 1920, zit. in Thiessen 2004: 73). Dies ergibt sich für ihn daraus, dass Dienstleistungsarbeit von Frauen nur in das Bruttoinlandsprodukt (BIP) einfließt, wenn sie hierfür bezahlt werden, nicht jedoch, wenn sie diese Leistungen unentgeltlich erbringen, wie in ihrer Position als Hausfrau. „So sinkt das Sozialprodukt, wenn ein Mann seine Haushälterin oder Köchin heiratet.“ (ebd.) Die sich im Zuge der Industrialisierung etablierende geschlechtstypische Aufteilung auf die beiden Arbeitssphären (öffentlich und privat) bilanziert der sozialkritische Ökonom Galbraith als „Verwandlung der Frauen in eine heimliche Dienerklasse“ und damit „eine ökonomische Leistung ersten Ranges“ (Galbraith 1974: 51).14 Die ökonomische Nicht-Beachtung der Sorgearbeit in den „androzentrische[n] Wirtschaftsmodelle[n]“ (Meier-Gräwe 2015b: 6) wurde später insbesondere durch die Frauenforschung der 1970er Jahre kritisiert. Um die in privaten Haushalten geleistete Arbeit sichtbar werden zu lassen, solle auch sie ökonomisch sichtbar werden. Zu Beginn der 1990er Jahre führte diese Kritik in Deutschland zur Einführung von Zeitverwendungserhebungen (ZVE)15, die im nächsten Schritt eine Bewertung der unbezahlten Arbeit ermöglichten. Seitdem bildet das Satellitensystem Haushaltsproduktion ergänzend zur VGR den Wert der unbezahlten Arbeit16 ab und macht ihn mit dem Wert der geleisteten Erwerbsarbeit vergleichbar. In den bisherigen drei Erhebungswellen wies der Bereich der unbezahlten Arbeit dabei stets eine höhere Zeitverwendung auf als der Bereich der Erwerbsarbeit – zuletzt (2013) betrug der Mehraufwand 35 % (siehe Abbildung 2). Nach Bewertung17 der unbezahlten Arbeit weist diese einen Umfang von nahezu 40 % der gesamten im BIP erfassten Bruttowertschöpfung Deutschlands auf (vgl. Schwarz 2017). Der monetarisierte Wert der in allen privaten Haushalten und Familienhaushalten geleisteten Sorgearbeit bestärkt damit deren gesellschaftliche Relevanz.
Abbildung 2: Jahresvolumen bezahlter und unbezahlter Arbeit im Zeitvergleich
Quelle: Eigene Darstellung nach Schwarz 2017: 249
Die – auch nach Einführung des Satellitensystems Haushaltsproduktion – gesellschaftlich und (wirtschafts)wissenschaftlich weitgehend missachtete Relevanz von formeller und informeller Sorgearbeit induziert nach wie vor Kritik. In den 1970er Jahren diskutierten feministische Ökonominnen das Phänomen der – im Gegensatz zu den vorindustriellen Gesellschaften – nicht mehr vorhandenen Wertschätzung von Sorgearbeit unter dem Schlagwort „Arbeit aus Liebe“ (Bock, Duden 1977). Heute hingegen wird etwa von Meier-Gräwe (2012) mit der Systemrelevanz generativer Sorgearbeit argumentiert,18 um deren gesamtgesellschaftliche Aufwertung zu begründen. Sie betont damit die Tatsache, dass ohne die Leistungen privater Haushalte (Versorgung, Erziehung, Regeneration und Gesunderhaltung) kein gesellschaftliches System überhaupt funktionieren könnte, kein Gesellschaftsmitglied überlebens- oder arbeitsfahig wäre. Nach Meier-Gräwe sind die unbezahlten Tätigkeiten in privaten Haushalten, ebenso wie die niedrig entlohnten Tätigkeiten in den personenbezogenen Dienstleistungsberufen (siehe Kapitel 5.2), daher sogar „Systemvoraussetzung“ (Meier-Gräwe 2012: 176) für die Funktionalität und das Wohlergehen einer Gesellschaft. Aus der Kritik resultiert die Forderung nach einem Paradigmenwechsel in der Ökonomie. Eine Abkehr von der marktzentrierten Nationalökonomie hin zu einer „Care-Ökonomie“19 würde nicht nur diese Arbeitsbereiche aufwerten, sondern auch die Ökonomie als Wissenschaft zu ihren aristotelischen Anfängen zurückführen und die Erfüllung der Bedürfnisse von Menschen (zurück) in den Fokus rücken. Care-Ökonom/innen sprechen sich hierzu etwa für eine Reformation des Produktivitäts- und Arbeitsbegriffes aus (vgl. Meier 1995; Madörin 2007; Meier-Gräwe, Ohrem, Häußler 2012; Meier-Gräwe 2012; Praetorius 2015). Winker (2015) schlägt ebenfalls eine umfassende gesellschaftliche Neuausrichtung vor, durch die Sorgetätigkeiten fokussiert, Dualismen – etwa von Monetarisierung und Nicht-Monetarisierung – überwunden und durch neue Bewertungsansätze abgelöst werden („Care Revolution“; Winker 2015).
Familienhaushalten, die im Zuge der alltäglichen Daseinsvorsorge ihre gesellschaftlich relevanten Funktionen erfüllen, indem sie Leistungen der Haushaltsproduktion erbringen, kommt letztlich eine enorme Bedeutung nicht nur individuell, für die in ihnen versorgten Haushaltsmitglieder, sondern auch für den Wohlstand und die Wohlfahrt einer Gesellschaft insgesamt zu – sie sind sogar deren unmittelbare Voraussetzung.
9 Ich habe mich hier auf eine knappe Darstellung des umfassenden Begriffs der Daseinsvorsorge beschränkt, der sich insbesondere durch den Mangel einer klaren und allgemeingültigen Definition auszeichnet. Unstrittig ist offenbar, dass der Begriff zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch den Verwaltungsjuristen Forsthoff Einzug in die Wirtschafts-, Rechts- und Politikwissenschaften gehalten hat und seit Ende des 21. Jahrhunderts auch sozialwissenschaftliche Diskurse in Deutschland prägt. International finden sich zur Daseinsvorsorge vergleichbare Konzepte, die jedoch ebenso wenig klar definiert sind. Im Allgemeinen stellt die Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge nach Forsthoff wesentliche Daseinsberechtigung für die öffentliche Verwaltung dar (vgl. exempl. Neu 2009; Knorr 2018).
10 Ferner thematisiert Egner das Verhältnis des Haushaltes zur Haushaltung (Organisation, Planung, Management) und zur Hauswirtschaft, die er beide als gleichwertige Bestandteile eines Haushaltes definiert (vgl. Egner 1976)
11 Bei Haushalten, im Sinne der eine wirtschaftliche Einheit bildenden Personengemeinschaft, die mehrere Wohnorte aufweisen, kann es daher in der amtlichen Statistik zu Mehrfachzählungen kommen. Darüber hinaus können in einem Haushalt mehrere Familienformen zugleich vorkommen (vgl. Destatis 2018: 24).
12 Auch für Ein-Personen-Haushalte oder andere, nicht-familiale Lebensformen in Mehr-Personen-Haushalten gilt, dass diese als soziale Einheit ein Sachbezugssystem haben, welches dem Personalsystem des Haushaltssystems gleichgestellt ist (vgl. von Schweitzer 1991).
13 (Soziale) Praktiken sind routinisierte Verhaltensmuster: ,,A ‚practice‘ (Praktik) is a routinized type of behaviour which consists of several elements, interconnected to one other: forms of bodily activities, forms of mental activities, ‚things‘ and their use, a background knowledge in the form of understanding, know-how, states of emotion and motivational knowledge. A practice – a way of cooking, of consuming, of working, of investigating, of taking care of oneself or of others, etc. forms so to speak a ‚block‘ whose existence necessarily depends on the existence and specific interconnectedness of these elements, and which cannot be reduced to any one of these single elements. […] The single individual – as a bodily and mental agent – then acts as the ‚carrier‘ (Träger) of a practice – and, in fact, of many different practices which need not be coordinated with one another.“ (Reckwitz 2002: 249 f.)
14 Während vorindustrielle Aufgabenbereiche von Frauen in der Landwirtschaft durch technischen Fortschritt wegrationalisiert wurden (bspw. die Herstellung von Kleidung) und gleichzeitig die Dienstboten aus vielen Haushalten (zuvor Hausgemeinschaften) verschwanden, fand sich in der Haushaltsführung ein neues Aufgabenfeld. Die neuen „Hausfrauen“ hielten fortan ihren im Industriesektor beschäftigten Männern den Rücken frei und trugen zu einer enormen Weiterentwicklung des sozialen Lebens bei, in dem ein gut geführter Haushalt zum Präsentierteller weiblicher Tugend wurde. Paradoxerweise werden Frauen dadurch in Haushalten mit hohen Einkommen zu den niedersten Dienerinnen, da hier besonders viele häusliche Pflichten anfallen und unentgeltlich erledigt werden (vgl. Galbraith 1974).
15 Bei der Erhebung 1991/92 und 2001/02 noch als „Zeitbudgeterhebung“ oder „Zeitbudgetstudie“ bezeichnet.
16 Für die Erfassung der unbezahlten Arbeit wird im Rahmen des Satellitensystems Haushaltsproduktion eine Abgrenzung dieser Tätigkeiten „von persönlichen Tätigkeiten und Freizeitaktivitäten notwendig. Dies erfolgt anband des sogenannten ‚Dritt-Personen-Kriteriums‘. [… ] Danach zählen alle Aktivitäten, die auch von einer anderen Person gegen Bezahlung übernommen werden können, zur unbezahlten Arbeit.“ (Schwarz 2017: 246) Hierunter fallen Haus- und Gartenarbeit, handwerkliche Tätigkeiten, Aufgaben der Pflege und Betreuung ebenso wie ehrenamtliche Arbeit (vgl. ebd.).
17 Die Bewertung erfolgt anhand des Generalistenansatzes, der im Vergleich zum konzeptionell ebenfalls denkbaren Spezialistenansatz oder der Bewertung mit Durchschnittslöhnen im Falle des herangezogenen Lohnes eines/einer Hauswirtschafter/in niedriger ausfallt. Zusätzlich wurde für den Anwendungsbereich Privathaushalt lediglich der Nettolohn ohne Aufschläge für Ausfallzeiten angesetzt (vgl. Schwarz 2017).
18 Den Begriff der Systemrelevanz nutzt Meier-Gräwe in Rekurs auf die Begründung der ausgewählten Industriezweige im Konjunkturförderpaket der Bundesregierung Deutschlands Ende der 2000er Dekade. Die Systemrelevanz begründet Milliarden-Subventionen, allen voran über die ,,Abwrackprämie“ in der Autoindustrie (vgl. Meier-Gräwe 2012).
19 „Die Care-Ökonomie umfasst sorgende und vorsorgende Tätigkeiten zur Pflege und Erziehung von Menschen in privaten Haushalten als auch vom Staat, von Sozialversicherungsträgern oder von der Privatwirtschaft getragene bezahlte Versorgungsarbeiten [in Heimen, Krankenhäusern]. Damit werden Bereiche bezahlter und unbezahlter Arbeit umfasst, in denen nach wie vor hauptsächlich Frauen für die Versorgung und Pflege anderer zuständig sind. Die Care-Ökonomie wird damit als eigenständige Kategorie für die Sorgetätigkeiten von der feministischen Ökonomie eingeführt.“ (Vinz 2011, zit. nach Praetorius 2015: 51) Die Ursprünge dieses Diskurses liegen in den Debatten der feministischen Ökonomie in den 1970er Jahren und ihrer Kritik an der unbezahlten Haus- und Fürsorgearbeit. Auch das Konzept des „Vorsorgenden Wirtschaftens“ (Jochimsen, Knobloch, Seidl 1994) ist ein in die Care-Ökonomie eingebetteter Ansatz zur Definition eines neuen, sozial-verträglichen Ökonomie-Verständnisses.