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Heimatländer der Phantasie ist eine Sammlung von Essays, Rezensionen und Glossen, die Salman Rushdie in den Jahren 1981 bis 1991 für bedeutende Zeitungen und Zeitschriften verfasst hat. Neben politischen und gesellschaftlichen Themen bilden Literaturkritiken einen Schwerpunkt. Rushdie setzt sich u .a. mit den Werken von Gabriel García Márquez, Günter Grass oder Mario Vargas Llosa auseinander und reflektiert dabei auch seine eigene literarische Entwicklung. Denn die Phantasie ist überall dort zu Hause, wo jemand eine Geschichte erzählt – auf wen könnte das besser zutreffen als auf Rushdie, der zwischen den Kulturen lebt und sich durch das Schreiben eine Heimat zurückerobert?

SALMAN RUSHDIE, 1947 in Bombay geboren, studierte in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman Mitternachtskinder wurde er weltberühmt. Seine Bücher erhielten renommierte internationale Auszeichnungen, u.a. den Booker Prize, und sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2008 schlug ihn die Queen zum Ritter.

SALMAN
RUSHDIE

Essays und Kritiken 1981–1991

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
Imaginary Homelands bei Granta Books, London.

1. Auflage

Genehmigte Taschenbuchausgabe November 2014

Copyright © 1981, 1982, 1983, 1984, 1985, 1986, 1987,
1989, 1990, 1991 Salman Rushdie

All rights reserved.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2014 btb Verlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Alle Rechte an der Übertragung ins Deutsche bei Rowohlt Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg.

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Umschlagmotive: © Julian Winslow/ableimages/Gallery Stock

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

MI · Herstellung: sc

ISBN 978-3-641-14411-1
V002

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Für meine Mutter Negin Rushdie
in Liebe

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Erster Teil

Heimatländer der Phantasie

»Errata« oder: Ein unzuverlässiger
Erzähler in den Mitternachtskindern

Das Rätsel der Mitternacht:
Indien, August 1987

Zweiter Teil

Zensur

Das Attentat auf Indira Gandhi

Dynastie

Zia ul-Haq. 17. August 1988

Tochter der Macht

Dritter Teil

Es gibt keine »Commonwealth-Literatur«

Anita Desai

Kipling

Hobson-Jobson

Vierter Teil

Attenboroughs Gandhi

Außerhalb des Wals

Satyajit Ray

Handsworth Songs

Wo liegt Brazil?

Fünfter Teil

Das neue Empire in Großbritannien

Ein unbedeutender Brand

Home Front

V. S. Naipaul

Der Maler und die Pest

Sechster Teil

Allgemeine Wahlen

Charter 88

Über die Identität der Palästinenser:
Ein Gespräch mit Edward Said

Siebter Teil

Nadine Gordimer

Rian Malan

Nuruddin Farah

Kapuscinskis Angola

Achter Teil

John Berger

Graham Greene

John Le Carré

Über das Abenteuer

Auf dem Festival von Adelaide

Reisen mit Chatwin

Chatwins Reisen

Julian Barnes

Kazuo Ishiguro

Neunter Teil

Michel Tournier

Italo Calvino

Stephen Hawking

Andrej Sacharow

Umberto Eco

Günter Grass

Heinrich Böll

Siegfried Lenz

Peter Schneider

Christoph Ransmayr

Maurice Sendak und Wilhelm Grimm

Zehnter Teil

Gabriel García Márquez

Mario Vargas Llosa

Elfter Teil

Die Sprache der Karten

Debrett Goes to Hollywood

E. L. Doctorow

Michael Herr: Ein Interview

Richard Ford

Raymond Carver

Isaac Bashevis Singer

Philip Roth

Saul Bellow

Thomas Pynchon

Kurt Vonnegut

Grace Paley

Der mit dem goldenen Esel reist

Der göttliche Supermarkt

Zwölfter Teil

Naipaul unter den Gläubigen

In God We Trust

In gutem Glauben

Ist gar nichts heilig?

1000 Tage im Ballon

Einleitung

Der Titel dieser Sammlung ist einem Essay entnommen, der mein Beitrag zu einem Seminar über indische Literatur in englischer Sprache auf dem Indien-Festival 1982 in London war. Damals regierte Indira Gandhi zum zweiten Mal als Premierministerin von Indien. In Pakistan war nach der Hinrichtung Zulfikar Ali Bhuttos das Zia-Regime damit beschäftigt, seine Macht zu festigen. Großbritannien lag in den ersten Wehen der Thatcher-Revolution, und in den Vereinigten Staaten gab sich Ronald Reagan immer noch als unverbesserlicher Kalter Krieger. Die Weltordnung hatte sich ihre wenig aufregende, altvertraute Form bewahrt.

Die Umwälzungen von 1989 und 1990 haben das alles drastisch verändert. Wenn wir heute die gewandelte Struktur der internationalen Szene betrachten mit ihren neuen Möglichkeiten, Ungewissheiten, Unversöhnlichkeiten und Gefahren, erscheint es uns angebracht, ein paar Gedanken über jenes rasch hinter uns versinkende Jahrzehnt zusammenzufassen, in dem, wie Gramsci es ausgedrückt hätte, das Alte starb, das Neue aber noch nicht geboren werden konnte. »In diesem Interregnum entstehen die unterschiedlichsten morbiden Symptome«, schrieb Gramsci. Das vorliegende Buch ist eine unvollständige, sehr persönliche Übersicht über das Interregnum der 80er-Jahre, deren Symptome, es muss gesagt sein, durchaus nicht alle morbid waren.

Im Jahre 1981 hatte ich gerade meinen ersten Roman veröffentlicht und genoss das einzigartige Gefühl, zum ersten Mal ein Buch geschrieben zu haben, das den Menschen gefiel. Vor den Mitternachtskindern1 hatte ich einen Roman eingereicht, der abgelehnt wurde, zwei weitere Projekte von selbst abgebrochen und einen Roman, Grimus, veröffentlicht, der jedoch, vorsichtig ausgedrückt, ein Reinfall wurde. Nun jedoch, nach zehn Jahren Misserfolg, Unzulänglichkeit und Commercials für Sahnetorten, Haarfärbemittel und den Daily Mirror, konnte ich endlich von meiner Schreiberei leben. Ein schönes Gefühl.

An jenem Londoner Seminar nahmen fast alle wichtigen »angloindischen« Schriftsteller teil, darunter Nirad C. Chaudhuri, Anita Desai, Raja Rao, Mulk Raj Anand. Von den Großen fehlte nur R. K. Narayan, obwohl man mir zuvor mitgeteilt hatte, er habe die Einladung angenommen. »Narayan ist so höflich, dass er alle Einladungen akzeptiert«, erklärte mir jemand, »aber erscheint niemals wirklich.« Es war aufregend für mich, diese Schriftsteller kennenzulernen und ihnen zuzuhören. Aber es gab auch ärgerliche Vorkommnisse: So deutete einiges darauf hin, dass manche Teilnehmer die Absicht hatten, die indische Kultur – die ich immer als reiche Melange von Traditionen gesehen hatte – allein und ausschließlich im Hinblick auf die Hindus zu schildern.

Ein anerkannter Romancier begann seinen Auftritt mit dem Vortrag einer Sanskrit-sloka und erklärte anschließend, statt seine Dichtung zu übersetzen: »Jeder gebildete Inder wird verstehen, was ich soeben gesagt habe.« Das war nicht etwa nur intellektueller Größenwahn. In diesem Saal waren indische Schriftsteller und Gelehrte jeder nur vorstellbaren Herkunft versammelt: Christen, Parsen, Moslems, Sikhs. Keiner von uns war in der Sanskrittradition erzogen worden. Aber wir waren alle relativ »gebildet«. Was also wollte er uns damit sagen? Etwa, dass wir gar keine richtigen »Inder« seien?

Später am selben Tag hielt ein hervorragender indischer Akademiker einen Vortrag über die indische Kultur, in dem er sämtliche Minderheiten schlicht ignorierte. Als ihm einer der Zuhörer eine entsprechende Frage stellte, lächelte der Professor gütig und gab zu, dass es in Indien in der Tat zahlreiche verschiedene Traditionen gebe – darunter die der Buddhisten, der Christen und der mughals. Die Moslemkultur mit diesem Wort zu charakterisieren war mehr als absonderlich. Es handelte sich um eine Ausgrenzungstaktik. Denn wenn die Moslems mughals sind, wären sie ausländische Eindringlinge, und die indische Moslemkultur wäre imperialistisch und nicht authentisch. Damals nahmen wir diese Verhöhnung auf die leichte Schulter, aber sie verfolgte und quälte mich noch lange wie ein Dorn, der tief im Fleisch sitzt.

Jetzt, ein Jahrzehnt später, befindet sich Indien in einer massiven Identitätskrise. Religiöse Militanz bedroht die Grundfesten des Säkularstaates. Zahlreiche indische Intellektuelle scheinen heutzutage die nationalistische Staatsdefinition der Hindus zu übernehmen; Minderheitsgruppen reagieren darauf zunehmend mit einem eigenen Extremismus. Bezeichnend ist wohl, dass es im Hindustani kein allgemein gebräuchliches Wort für »Säkularismus« gibt; die große Bedeutung des säkularen Ideals wurde in Indien auf eine eher unkritische Art und Weise ganz einfach vorausgesetzt. Nun, da die kommunalistischen Kräfte die Energie gepachtet zu haben scheinen, geraten die Verteidiger des Säkularismus in helle Aufregung. Gäbe man jedoch das säkularistische Prinzip auf – Indien würde schlicht explodieren. Es ist ein Paradoxon, dass der Säkularismus, der sowohl außerhalb Indiens als auch im Land selbst in jüngster Zeit häufig angegriffen wurde, die einzige Möglichkeit ist, die Verfassungs-, Bürger- und, jawohl, Glaubensrechte der Minderheiten zu schützen. Besitzt Indien noch genug politische Willenskraft, sich diesen Schutz weiterhin zu erhalten? Ich hoffe es sehr. Wir alle müssen es sehr hoffen. Und abwarten.

Die ersten drei Teile dieses Buches behandeln Themen des Subkontinents. Teil eins enthält Arbeiten, die sich mehr oder weniger mit den Mitternachtskindern beschäftigen; Teil zwei befasst sich mit der Politik in Indien und Pakistan, Teil drei mit Literatur. Die angloindische Literatur ist augenblicklich in erstklassigem Zustand. Viele neue Schriftsteller haben sich in den 80er-Jahren einen guten Ruf erworben – Vikram Seth, Allan Sealy, Amitav Ghosh, Rohinton Mistry, Upamanyu Chatterjee, Shashi Tharoor und andere – und liefern Arbeiten von immer größerer Selbstsicherheit und Originalität. Wenn nur die politische Szene ebenso gesund wäre! Aber ach, der Schaden, der dem Leben Indiens durch die sogenannte Emergency – den Ausnahmezustand – zugefügt wurde, das heißt Mrs Gandhis autoritäre Herrschaft von 1974 bis 1977, ist auch heute noch nur allzu eklatant. Der Grund, warum viele von uns so empört waren über die Emergency, ging weit über die diktatorische Atmosphäre jener Tage, über die Festnahme politischer Gegner und die Zwangssterilisierungen hinaus. Der Grund war – wie ich vor sechs Jahren schon in dem Essay erwähnt habe, der hier den Titel »Dynastie« trägt –, dass während der Emergency der Deckel von der Pandorabüchse der Uneinigkeit im Volke gesprengt wurde. Die Büchse mag inzwischen wieder geschlossen sein, die bösen Geister des fanatischen Sektierertums sind aber noch immer am Werk. Indische Maler wie Vivan Sundaram zeigten sich der Herausforderung der Emergency mit Würde gewachsen. Und diese neue Krise werden die indischen Schriftsteller und Künstler zweifellos genauso geschickt bewältigen. Schlechte Zeiten haben schließlich immer schon gute Bücher hervorgebracht.

Der vierte Teil beschäftigt sich hauptsächlich mit Film und Fernsehen. Ich habe an der ursprünglichen Form dieser Arbeiten nur sehr wenig herumgebastelt, muss aber jetzt, nach sieben Jahren, doch sagen, dass ich in »Außerhalb des Wals« George Orwell wie auch Henry Miller gegenüber ein bisschen unfair gewesen bin. Meine Meinung über Richard Attenboroughs Film Gandhi habe ich nicht geändert, man muss jedoch wohl akzeptieren, dass der Film außerhalb von Indien einen vielfach positiven Einfluss ausgeübt hat; radikale und progressive Gruppen und Bewegungen in Südamerika, Osteuropa und auch Südafrika fanden ihn ermutigend. Der Beitrag über die Handsworth Songs löste eine lebhafte Debatte unter den schwarzen Filmemachern in England aus, von denen einige meine Ansichten unterstützten, andere sie kritisierten, alle sie aber faszinierend und, glaube ich, recht hilfreich fanden. Eine Anmerkung noch zu meiner Arbeit über Satyajit Ray. Als ich ihn kennenlernte, drehte er in einer alten Zamindar-Villa mitten im tiefsten ländlichen Bengalen Szenen für The Home and the World. In diesem Herrenhaus sah er zu Recht einen perfekten Schauplatz für seinen Film. Und da auch ich fand, dass ich es recht gut verwenden könne, wurde es zum Vorbild für die Traumvilla »Perownistan«, bewohnt von Mirza Saeed Akhtar und seiner Frau in den Titlipur-Kapiteln der Satanischen Verse. (Den mit Schmetterlingen besetzten Riesenbanyan gab es dort allerdings nicht. Den hatte ich in Südindien gesehen, in der Nähe von Mysore.)

Teil fünf enthält fünf Beiträge über die Erfahrungen von Auswanderern, vor allem indischen Auswanderern in Großbritannien. Von diesen erfordert »Das neue Empire in Großbritannien« wegen seines seltsamen Schicksals einige erklärende Worte. Der Beitrag wurde ursprünglich für die Sendung Options in den frühen Anfängen von Channel 4 verfasst. (Als zweiter Teil dieser Serie, unmittelbar gefolgt von E. P. Thompson.) Die vielen britischen Schwarzen und Asiaten, die daraufhin anriefen oder schrieben, bestätigten mir fast einstimmig, der Vortrag enthalte die reine Wahrheit. In ihren Augen war ich weit über das Einmaleins rassistischer Vorurteile in Großbritannien hinausgelangt. Davon abgesehen gab es jedoch, kaum überraschend, feindselige Reaktionen von einigen Angehörigen der weißen Bevölkerung, obwohl diejenigen weißen Briten, die meine Arbeit informativ und nützlich fanden, Ersteren zahlenmäßig weit überlegen waren. Meine Absicht war recht simpel gewesen: der weißen Mehrheit aufzuzeigen, wie die Angehörigen der Rassenminderheiten in Großbritannien nur allzu oft leben müssen. (Ich selbst habe mein Leben lang rassischen Minderheiten angehört: als Mitglied einer indischen Moslemfamilie in Bombay, dann einer mohajir, das heißt Einwandererfamilie, in Pakistan und jetzt als asiatischer Brite.) Indem ich einer Klage Ausdruck verlieh, vermochte ich Brücken des Verstehens zu bauen – das hoffte ich jedenfalls.

Ich hatte Fernsehprogramme immer für vergänglich gehalten, nur für den flüchtigen Moment gemacht. Aber wir standen am Anfang des Videobooms, und so kursierte eine Aufnahme von dieser Sendung in den verschiedensten Kreisen, so auch in der Commission for Racial Equality und ähnlichen Organisationen. Ich hatte in einem bestimmten Augenblick der Geschichte der britischen Rassenbeziehungen mündlich und schriftlich das Wort ergriffen. Diese Beziehungen machten Fortschritte, entwickelten und veränderten sich. Manches (mehr schwarze Gesichter in den Fernsehprogrammen und den Werbeblöcken) wurde ein bisschen besser, anderes (Rassenunruhen) wurde schlimmer. Aber das Videoband blieb immer dasselbe.

Was ich – möglicherweise allzu naiv – nicht vorausgesehen hatte, war die Tatsache, dass der Text des Beitrages von Menschen mit einer anderen politischen Meinung verdreht, verfälscht und gegen mich verwendet werden würde. Ich wurde sowohl von Geoffrey Howe als auch von Norman Tebbit beschuldigt, Großbritannien mit Nazi-Deutschland verglichen und dadurch mein Adoptivvaterland »verraten und beleidigt« zu haben. Nun stimmt es zwar, dass der Text dieses Essays bewusst polemisch ist, und das hat die Howes und Tebbits in diesem Land zweifellos verärgert. Ich entschuldige mich nicht für meinen Zorn über Rassenvorurteile. Aber in meiner Stellungnahme wird immer wieder darauf hingewiesen, dass das Leben unter dem Nationalsozialismus oder der Apartheid nicht mit der Lage in Großbritannien zu vergleichen ist. Das möchte ich an dieser Stelle betonen, weil Verdrehungen und Verfälschungen die Neigung haben, durch häufige Wiederholung mehr oder weniger wahr zu werden. Der »Nazi-England«-Vorwurf hat inzwischen lange genug überlebt. Die Wiederveröffentlichung meines Vortrags »Das neue Empire in Großbritannien« in diesem Buch ermöglicht es dem Leser, selbst zu entscheiden, ob er gerechtfertigt war oder nicht.

Ich bin natürlich keineswegs der einzige englische Schriftsteller, der in den vergangenen Jahren unter Beschuss geriet. Die letzte Dekade war gekennzeichnet von der regelmäßigen Schelte, mit der die Presse uns alle belegte, die wir gegen den Tenor des Thatcherismus schrieben. Ian McEwan wurde von einem leitenden Mitarbeiter der Sunday Times wegen seines Romans Ein Kind zur Zeit beschimpft, Harold Pinter wegen seiner Meinung über die amerikanische Politik in Nicaragua. Margaret Drabble wurde als ehrenwert, »hampsteadisch« und langweilig bezeichnet. Zwischendurch tat man diese und andere Schriftsteller dann wiederum als »Champagnersozialisten« ab. Und zwar nur, weil ihre Bücher, Stücke und Filme populär waren. Wären die Arbeiten unpopulär gewesen, hätte man sie zweifellos als Misserfolge angegriffen. Es war ein Jahrzehnt, in dem man es niemandem ganz recht machen konnte.

Teil sechs besteht aus drei Abschnitten – Reflexionen über die Thatcher/Foot-Wahl, über die Charter 88 und die Palästinafrage –, allesamt von der, wie ich vermute, Beschimpfung provozierender Art.

Die folgenden fünf Teile – über Schriftsteller aus Afrika, Großbritannien, Europa, Südamerika und den Vereinigten Staaten – bedürfen keiner Anmerkung. Der letzte Teil befasst sich dann mit einem Thema – nämlich der Krise, die mein Roman Die Satanischen Verse auslöste –, über das schon viel zu viele Kritiken veröffentlicht wurden. Dem habe ich wenig hinzuzusetzen. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Vernunft allmählich den Zorn aus dem Mittelpunkt der Debatte verdrängt, dass die Feuer des Hasses nach und nach von Verständnis gelöscht werden. Dieser Prozess muss gefördert werden, und ich werde natürlich weiterhin meinen Teil dazu beitragen.

Zuletzt noch ein paar wichtige Worte der Anerkennung. Mein Dank gilt den ursprünglichen Herausgebern all dieser Arbeiten, darunter London Review of Books, The Guardian, Index on Censorship, Observer, die Literaturzeitschrift Granta, The Times, American Film, New Society, New York Times, Washington Post, New Republic, Times Literary Supplement und Independent on Sunday, er gilt vor allem Bill Webb und Blake Morrison, den Besten aus zwei Generationen englischer Literaturherausgeber. Meinen Dank ebenfalls an Bill Buford, Bob Tashman und all jene von Granta Books, die mir geholfen haben, dieses Buch zusammenzustellen. Edward Said gestattete mir freundlicherweise den Nachdruck der Protokolle unserer öffentlichen Diskussion im Institute of Contemporary Arts. Und Susannah Clapp, die aus dem Text eines Essays den Satz herausgefischt hat, der zunächst sein und nun der Titel dieses Buches wurde, umarme ich in Dankbarkeit.

1991

1 Bücher und Filme werden im Folgenden mit dem deutschen Titel aufgeführt, sofern eine deutsche Fassung vorliegt; zwecks besseren Verständnisses werden ausländische Titel gegebenenfalls sinngemäß übersetzt (in Klammern). Anm. d. Red.

Erster Teil

Heimatländer der Phantasie

»Errata« oder:
Ein unzuverlässiger Erzähler
in den Mitternachtskindern

Das Rätsel der Mitternacht:
Indien, August 1987