Victor Auburtin

Pfauenfedern

Phantastische Weltgeschichten






Impressum

Regenbrecht Verlag, Berlin 2012

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www.regenbrecht-verlag.de

Erstausgabe  Albert Langen Verlag, München 1921, 

ISBN: 978-3-943889-21-5

Über den Autor

Als alle Welt dem Tempo, der Technik und dem glänzenden Asphalt der Großstädte huldigte, lobte er das Landleben, die Langsamkeit und die Langeweile Posemuckels. Während der Hungerjahre der Inflationszeit gab er sich als Gourmet (sein Großvater noch, Charles Louis Benoit Auburtin, hatte König Friedrich Wilhelm IV. verköstigt). Als Forderungen nach dem Recht auf Arbeit unüberhörbar wurden, redete er der Faulheit das Wort. Neueste Errungenschaften in der hygienisch-vernunftgemäßen Einrichtung des Lebens, aber auch moderne statistische Erhebungen bildeten immer wieder Zielscheiben seines Spotts. Das Leben kann sehr unhygienisch sein, befand Auburtin in seinen geschliffenen Feuilletons. Alle Schönheit, alle Kunst, aller Genuss, alle Bildung, alles Individuelle entzieht sich dem Zählbaren, wurde er nicht müde dort zu betonen.

Überhaupt die Persönlichkeit. Sie war Ausgangspunkt seiner feuilletonistischen Erwägungen, die er als skeptischer Konservativer, der im »Massenzeitalter« das Ende der Kultur aufdämmern sah, ebenso wie als selbsternannter »Ironiker« anstellte: Mit anarchischem Sinn für die »feinen Unterschiede« spürte er die Besonderungsstrategien der bürgerlichen Schichten auf und demontierte sie fröhlich.

Geboren wurde Auburtin am 5. September 1870 in Berlin. Und da kaum zwei Tage vergangen waren, dass das französische Kaiserreich nach der Schlacht bei Sedan kapituliert hatte, kamen die Eltern nicht umhin, ihn Victor zu nennen. Preussens Sieg über Frankreich hinderte sie umgekehrt nicht, ihn – eingedenk der Herkunft der Familie – aufs zweisprachige Französische Gymnasium zu schicken. Nach dem Abitur folgt das Studium der Kunstgeschichte und Germanistik in Bonn, Berlin und Tübingen. Erste schriftstellerische Versuche und journalistische Erfolge schließen sich an: Seine Beiträge werden in der »Jugend«, im »Simplicissimus« und im »Berliner Börsen-Courier« veröffentlicht, dessen Feuilletonredakteur er 1906 wird. 1911 schließlich wird Theodor Wolff auf den Schriftsteller aufmerksam. Er holt ihn zu seinem renommierten »Berliner Tageblatt«. Auburtin arbeitet jetzt für kurze Zeit als Nachtredakteur, wird aber schon bald seines Postens enthoben. Der Grund: Er hatte – so jedenfalls will es eine der zahlreichen Anekdoten über ihn wissen – das sensationelle Erreichen des Südpols in die Sparte »Letzte vermischte Nachrichten« einrücken lassen. In der Folgezeit arbeitet der Journalist fürs »Berliner Tageblatt« als Korrespondent in Paris. 1914 als vermeintlicher deutscher Spion in Besançon verhaftet, wird er erst 1917 aus der Zivilinternierung entlassen und kehrt über die Schweiz (aus der er in der Zeit bis 1921 noch häufiger berichtet) nach Berlin zurück. Es entstehen nun in unabsehbarer Zahl und schneller Folge jene sprachlich äußerst akkurat gearbeiteten, populären und humorvollen Betrachtungen, die seinen Ruf als überragender deutscher Feuilletonist begründen. Will man der Überlieferung glauben, dann wird das »Berliner Tageblatt« zeitweilig nur seinetwillen gelesen. Mitunter im Dreitage-Rythmus erscheint dort ein kürzerer oder längerer Text von ihm. Reisen durch Österreich, durch Süddeutschland, Spanien, Griechenland und Italien schließen sich an. Lesenswert-launische Berichte entstehen, die gemeinsam mit seinen epigrammatisch knappen Feuilletons nicht selten in Buchform erscheinen. Am 28. Juni 1928 schließlich stirbt Victor Auburtin in Partenkirchen an den Spätfolgen eines sich in der Gefangenschaft zugezogenen Nierenleidens.


Über das Buch

Ein Kater durchschwimmt den Atlantischen Ozean; Dr. Prohasca, Chefredakteur der »Babylonischen Volksstimme«, unterbreitet Großkönig Xerxes revolutionäre Pläne; ein Schwanz wird abgebissen; Kapitän Buller vom Kanonenboot »Arrogant« nimmt für England das Paradies in Besitz: Im Parallel-Universum dieses Buches geschieht das Unfassbare – kein Ort ist zu abgeschieden, keine Zeit zu entlegen, kein Gedanke zu gewagt, um nicht vom Autor gefasst oder herbeizitiert zu werden.

Unvergänglich in ihren Lehren über Macht und Liebe, Entfremdung, Eifersucht und Gier enthält diese 1921 erstmals veröffentlichte Sammlung Auburtinscher Feuilletons viel von den Schicksalen damaliger Zeit: So wird – pars pro toto – ein Kriegsheimkehrer namens Odysseus zum Fremdling und Störfaktor für all’ jene, die zu Hause den Alltag zu bewältigen hatten. Andere dagegen sind glücklicher dran: Als lebte er in einer Gegenwelt, darf sich ein Wissenschaftler in diesen unruhigen Zeitläuften seinen Studien über das Vorkommen des lateinischen Wortes »quamquam« widmen. Und schließlich: Für manche hat die Zeit schlichtweg keine Verwendung. So wird der Tischlermeister Haberlandt, mit dessen Werkstatt es in der Ära industrieller Möbelproduktion rapide bergab ging, von gutgenährten Pfaffen aber auch Parteifunktionären mit Sprüchen über das Jenseits und den Zukunftsstaat abgespeist, das macht nicht satt und tröstet kaum.

Nicht immer sind diese zumeist im »Berliner Tageblatt« vorab publizierten Feuilletons, in denen Auburtin erstmals seine ureigenste Diktion entwickelte, so zeitbezogen und bitterböse wie die letztgenannten. Manchmal schillern und prunken sie auch nur wie »Pfauenfedern«. Oder kommen auf Taubenfüßen daher, kinderleicht, schalkhaft und heiter, mit liebenswürdiger Ironie: So, wenn in einer der besten Geschichten des Buches, ein Wiener Stammtisch von Theaterkritikern über die Ortstreue von Tieren räsonniert. Wollte man Victor Auburtin ein Denkmal setzten, dann sollte es katzenförmig sein: Schon aufgrund dieser aberwitzigen Erzählung mit dem heimatverbundenen dreibeinigen Kater Cleveland – einem der smartesten Tiere, das die deutsche Literatur dank Victor Auburtin kennt.



Einleitung

Vor mir auf dem Tische liegen drei Bogen Papier, liniert, etwas gelblich. Daneben ein gut angespitzter Tintenstift.

Ich untersuche diesen Tintenstift und bemerke, dass sein Name ist: Dessin Wilson 416 B. 

Und mehr Werkzeug brauche ich nicht beisammen zu haben, um der berühmteste Mensch der Welt zu werden.

Auch sonst sind die Umstände dem großen Vorhaben recht günstig.

Es ist Februarabend. Die weißen Vorhänge sind heruntergelassen, die Tischlampe brennt und die Tabakpfeife ist in richtigem Gang; sammetweich, ohne Nebengeräusche, zieht der Rauch durch das Rohr.

Aber drüben aus dem Wandbrett schimmern im Halblicht die Raritäten und die Zierrate; die bronzenen Schalen mit den Löwenköpfen, die gefleckten Schnecken, die Millefiorigläser vom Rialto in Venedig und die stillen Gläser mit den Pfauenfedern.

Also beispielsweise so: an diesem Februarabend könnte ich mit diesem Tintenstift auf dieses gelbe Papier einen Gesang in Terzinen schreiben, gegen den die Divina Commedia erblasste wie eine Gaslaterne am Mittag. Es liegt das nur bei mir, alles ist zur Hand. Einen Sonnengesang mit Feuerrädern und tausend flammenden Fenstern.

Oder was hinderte mich, eine Entdeckung naturwissenschaftlicher Art jetzt einfach hier auf dieses Papier so hinzuschreiben? Bunsens Abhandlung über die Spektralanalyse war anderthalb Druckseiten lang und hat die wissenschaftliche Welt umgeworfen. Und was wäre Bunsens Abhandlung über die Spektralanalyse gegen die Entdeckung, die ich jetzt hier aufzuzeichnen die beste Gelegenheit habe?

Überhaupt fällt mir ein, dass das wahre Wort der Welt noch gar nicht gesprochen worden ist, das Wort, auf das sie alle warten. Sehen wir die Werke der Großen durch: sie hauen alle immer irgendwie daneben. Sie sind in der Enge ihrer Zustände befangen, wie jener Dante, oder sie sind, wie Goethe, so stolz, dass sie niemals mit der rechten Sprache herausrücken. Ich könnte es schreiben, das Weltwort, das die Geschlechter der Menschen hinrisse, auf dieses Papier schrieb ich es hin mit dem Tintenstift Dessin Wilson 416 B.

Gott könnte ich werden. Bisher hat noch kein Gott geschrieben. Buddha träumte unter dem Feigenbaum, Phöbus Apollon leuchtete, Jesus ließ sich ans Kreuz schlagen ... alles ganz schön und gut, aber nicht verständlich genug. (Wenn Jesus seine Lehre bei dem Verlag James Königsberger in Jerusalem herausgegeben hätte, mancher Streit wäre den Späteren erspart geblieben.) Also auf; ich wäre der erste Gott mit einem Tintenstift, und feurige Apostel trügen meine Flugschriften in die Welt und lehrten alle Völker.

Oder soll man einen Operettentext entwerfen? 20.000 Mark ließen sich in einem Schmiss verdienen.


***


Das Zimmer ist voll Rauch, gewaltige Schwaden umgeben mein Haupt und die Strahlen des Geistes zucken in ihnen. Die drei Bogen sind vollgeschrieben.

Nun, ich glaube nicht, dass man mich darum zum Gott ausrufen wird, und noch weniger wird mir einer 20.000 Mark dafür geben. Aber es ist mein Werk, in seinem Gewebe, mit seinen Fäden und Stufen und Lichtern.

Und vorsichtig fasse ich es an, und setze das Schimmerwesen auf das Wandbrett zwischen die Raritäten und Zierrate.


Der Dreifuß der Helena

Ilion lag am Boden und die griechische Flotte fuhr mit weit ausgespannten weißen Segeln nach Westen zu ab. Nur eines der Fahrzeuge hatte ein rotes Segel, und von allen anderen Schiffen sah das Seevolk auf dieses rote Segel hin; denn das war das Schiff des Menelaos und auf ihm fuhr Helena nach Hause, um die der große Krieg gekämpft worden war.

Sie lag auf dem Verdeck auf Kissen ausgestreckt und sah nach dem Lande zurück, wo zehn Jahre lang die Männer Griechenlands und Asiens sich ihretwegen gemordet und verstümmelt hatten, und über dem jetzt ein flacher brauner Rauch gebreitet war. Und als das Land im Meere verschwunden war, nahm sie einen goldenen Spiegel vor, öffnete die Lippen und betrachtete ihre Zähne, die klein und zahlreich waren wie die Zähne eines Hechtes.

Aber Zeus zürnte den Griechen und sandte jenen großen Sturm, der die Flotte zerstreute. Odysseus wurde nach dem Vorgebirge Malea verschlagen, Agamemnon nach Kreta und die anderen gegen das offene Meer. Das Schiff des Menelaos zog die roten Segel ein und wiegte sich im Wellensturm, und es war eine große Gefahr. Da rief Helena die Götter an und gelobte, wenn sie aus der Not entkäme, würde sie im ersten Tempel, den sie träfe, einen goldenen Dreifuß aufstellen. Und weil die Götter Helena liebten, wie sie immer nur das Schöne geliebt haben, glätteten sich die Wogen, und ruhig lief das Schiff in den Hafen der Insel Kos ein.

In der Hafenstadt ging Helena zu einem Goldschmied und bestellte einen Dreifuß aus Gold; oben um den Rand sollte eine Schlange liegen, deren Augen aus Smaragden einzusetzen seien; und die Füße sollten die Form von Tigertatzen haben. Die Arbeit dauerte einige Wochen, und während dieser Zeit musste das Schiff des Menelaos in dem Hafen warten. Und als der Dreifuß fertig war, trug Helena ihn mit eigenen Händen in den Tempel der koischen Aphrodite; sie stellte ihn vor den Altar, sah zu dem Bilde der Göttin auf und flüsterte: »Freundin.«


***