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ISBN: 9783746001883
Die Putzmacherin ist ein neuzeitliches Phänomen. Sie steht mit der Entstehung und Entwicklung der Mode in der Bekleidung in untrennbarer Verbindung. Die Produzentin von Damenhüten, in Frankreich La Modiste und in England The milliner, war und ist noch (man spricht freilich seit längerem von einem aussterbenden Handwerk) eine spezialisierte Fachfrau, die sich seit je auch als Modekünstlerin verstanden hat. Je nach Standort, Zeit, politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und PR-Überlegungen bezeichnete sie selbst sich als Putzmacherin oder Modistin – beide Begriffe werden in der Regel synonym gebraucht, allerdings nicht ohne Bedeutungsnuancen. Die Putzmacherin brachte es fertig, eine alleinige Zuständigkeit zu entwickeln für den oft apostrophierten „wichtigsten“ Teil der öffentlich getragenen weiblichen Bekleidung, den Hut als „Krone“ nicht nur des vestimentären Aufzugs, sondern der ganzen Persönlichkeit. Diese Zuständigkeit konnte sich bis hin zur Indienstnahme der Hutgestaltung für die höfische und bürgerliche Standesrepräsentation auswirken.
Über die Ausstattung, kulturelle Struktur und Entwicklung der Putzmacherei im 20. Jahrhundert (nachdem sie nach 1900 erstmalig als handwerklich-zünftisch anerkannt worden war) gibt es zwei aussagekräftige volkskundliche Untersuchungen, die auf Befragungen basieren und im zweiten Fall einen gut dokumentierten Einzelfall beschreiben und kontextuell einordnen.1 Trotzdem ist die Geschichte der Putzmacherei, und zwar sowohl vor als auch nach 1900, als Berufszweig mit seinen ökonomischen, sozialen und kulturellen Implikationen noch ungeschrieben. Stattdessen gibt es unzählige Geschichten von Hüten und Hutmoden.
Die Putzmacherei wurde eine rein weiblich besetzte Berufssparte, so dass sie im Prinzip keine Konkurrenz für Männer darstellen konnte. Die „denkbaren“ Männer, also Hutmacher, Schneider oder handelsbezogene Gewerbetreibende, verzichteten aus noch näher einzugrenzenden Gründen auf den Zugang zu dieser beruflichen Ausrichtung und überließen sie generell den Putzmacherinnen.2
Diese agierten in einer (in der wohl einzigen) Nische zwischen abhängiger, grundsätzlich unselbstständiger weiblicher Textilarbeit und handwerklich anerkannter Profession. Daraus ergeben sich Fragen nach der Stellung der Putzmacherin als relativ eigenständiger Figur in der männlich-patriarchalen Gesellschaft sowie die Suche nach dem Bild, welches in dieser Gesellschaft von ihr vermittelt wurde. Dazu gehörten offenkundige und eher versteckte Vorstellungen und Zuweisungen, die zusammen genommen eine ziemlich unbekannte historische Medienfigur ergeben.
Die Rollenbilder der Putzmacherin, in denen sie in der Gesellschaft, vor allem aber in der kulturellen Öffentlichkeit von Kunst, Musik, Schauspiel und Literatur bis hin zum Film gesehen und beschrieben wurde, sind bislang nur ganz am Rande betrachtet worden. Sie stehen in der vorliegenden Darstellung im Mittelpunkt. Den Angehörigen dieser Berufsgruppe haftete – offenbar: seit es sie gab – der Ruf an, besondere Frauen zu sein: umgeben von Mode, Luxus, Prestige und einem Schuss Exotik (sowie nicht ohne Erotik und „Un-“Sittlichkeits-Zuweisungen), umspielt von feudalen Klängen im Sinne bürgerlicher Fiktion. Solche Zuweisung des Besonderen und Geheimnisvollen erweisen auch Filmtitel wie Tod einer Putzmacherin. Dieser Film von 2005 schildert die Deportation der jüdischen Modistin Fanny Berger aus Paris nach Auschwitz im Jahre 1943.
Zu fragen ist, wie das reale Tätigkeitsprofil, die personelle Ausstattung der Werkstätten und die soziale Herkunft der Putzmacherinnen, die wirtschaftliche Verortung und letztlich das Bild des Berufsstandes in Beziehung zu einander gestanden haben. Das Schillernde verschiedener Rollenbilder scheint bereits vor 1800 angelegt und lässt sich anhand von schriftlichen Quellen und Abbildungsbeispielen zeigen.
Über die exakte zeitliche Genese des professionalisierten Berufes und damit auch von Berufs- und Vorstellungsbildern der Putzmacherin zu spekulieren, würde entsprechende Quellensammlungen und insbesondere die Hinzuziehung vielfältiger Belege aus Frankreich und England voraussetzen. Grundsätzlich lässt sich für diese Genese aber ein relativ überschaubarer Zeitraum eingrenzen.
Aus dem Mittelalter heraus existierten die Hutmacher mit ihren Werkstätten, in denen auch viele Frauen mit Nebenarbeiten beschäftigt waren. Spätere Abbildungen, von Kupferstichen des 18. bis zu Sammelbildern des 20. Jahrhunderts, dokumentieren dies und zeigen (Ehe-)Frauen als Hilfsarbeiterinnen von Hutmachern, insbesondere als Näherin, aber auch als Verkäuferin im Laden oder auf dem Markt.
Das Handwerk des Hutmachers war viel mehr für den – männlichen – Hutkorpus zuständig als für einen eventuellen schmückenden Aufputz. Soweit erforderlich, gab es dafür die Hutstaffierer, die „dem von dem Hutmacher verfertigten Hut diejenige Gestalt geben, welche die Mode oder der Käufer verlangt, und mit solchen aufgestutzten Hüten handeln.“ Nach der hier zitierten Ökonomischen Enzyklopädie von Krünitz3 hat es sich bei den Hutstaffierern oft um Krämer gehandelt, die sich spezialisiert hatten.
Noch im ganzen 17. und in den ersten Phasen des 18. Jahrhunderts waren Hüte gemäß den vorherrschenden Bekleidungssitten weitgehend Männern vorbehalten. Bei Frauen war die Bedeckung des Haares zwar in der Regel verpflichtend, gehörte das Tragen eines Hutes jedoch nicht zu den allgemeinen Bekleidungsgewohnheiten einer noch deutlich längerfristig angelegten Damenmode. Perücken konnten, phasenweise mit Vorliebe, als Kopfbedeckung dienen.
Aus der Haube, die nach 1800 gemeinsam mit dem Turban noch mancherlei kleine Renaissance erlebte, entwickelte sich als öffentlich-modische Kopfbedeckung, langfristig gesehen, eindeutig der Hut, dessen Grundmaterial zunächst eher Stoff oder Stroh war und später im Regelfall von Filz abgelöst wurde.
Weitaus häufiger wurde aber spätestens seit dem Mittelalter die Stelle des späteren Damenhutes von Hauben oder haubenähnlichen Kopfbedeckungen eingenommen, etwa von der aufwändig herzurichtenden Flügelhaube, oder auch von Schleiern oder kapuzenartigen Ausformungen.
Die berühmt-berüchtigten stereotypen Konnotationen von Haube als weiblich-häusliche und Hut als männlich-repräsentative Kopfbedeckung dürften hier ihren Ursprung haben. Dass dem männlichen Hut seine Bedeutung als Herrschafts- und Machtsymbol zugeschrieben wurde, bildet also keine „natürliche Symbolverbindung“, sondern der herrschaftliche Ausdruck konnte variieren. Hermann Bausinger hat beispielhaft Schillers Bühnenwerk Wilhelm Tell betrachtet, in welchem der Landvogt Gessler versucht, „den Hut in den Rang höherer, kaum angreifbarer Würde zu rücken“.4
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts entwickelten sich Paris und der französische Königshof zum Zentrum der modeinteressierten Welt. In einer Art feudaler Endzeitstimmung in den Jahrzehnten vor der Französischen Revolution und vor dem Hintergrund einer brodelnden politischen Gesamtsituation führten Einflüsse von Aufklärung und Orientalismus in Verbindung mit großer Begeisterung für Exotisches und Fremdes zu immer rascheren, heute geradezu eilig wirkenden Frequenzen in der Kleidungsmode. Dazu gehörte auch der Damenhut, der sich in allmählicher formaler und typologischer Ablösung von der Haube immer häufiger neuen Kostümmoden anzupassen oder gar ihnen voraus zu gehen hatte bis hin zum Hut als konkretem Erkennungszeichen des Sozialstatus – nach dem bis heute allgemein anerkannten Motto: „Ein Hut ist eine Botschaft“, das, wie das Pendant des „Gut-Behütet-Seins“, als Relikt früherer hoher Symbolwerte anzusehen ist.5
Mit der fortschreitenden Modeentwicklung einher ging eine sich als zwingend erforderlich erweisende Spezialisierung gerade bei den Damenhüten, um immer höhere Ansprüche, variierende Funktionen und Anlässe sowie kürzere modische „Laufzeiten“ zu (er)füllen. Seitdem und bis heute bildet das „Aufputzen“ von bereits vorhandenen Damenhüten im Sinne modischer Aktualisierung einen ganz wesentlichen Arbeitsbereich in jeder Putzmacherwerkstatt. Die Putzmacherin spricht hier in ihrer Fachsprache von Garnierung und garnieren.
Die gleichzeitig vonstattengehende allgemeine Abkehr von den barocken Perücken darf grundsätzlich als Wechsel von Künstlichkeit und Luxus hin zu einer größeren Natürlichkeit beschrieben werden. Die aufwändigen Damenhüte des späten 18. Jahrhunderts haben diesen Übergang teilweise aufgefangen oder abgemildert, sind also in gewisser Weise auch als Gegenbewegung zur zumindest Teilerhaltung feudaler Traditionen interpretierbar.6
Es gibt neben dieser modegeschichtlichen Argumentation und in Verbindung mit ihr aber noch andere Spuren für die Genese der Putzmacherei. Eine solche Spur geht nicht von der Hutherstellung, sondern von der konkreten, Frauen vorbehaltenen, weil direkt körperbezogenen Ausstaffierung und Ausschmückung der „höhergestellten Dame“ zu besonderen Gelegenheiten aus. Denn als Putzfrau (und noch nicht etwa als Modistin) in Johann Zedlers Universal-Lexikon wurde 1741 „ein geschicktes Weibsbild“ bezeichnet, „so nicht nur allerhand Putz und Galanterien zu verfertigen, sondern auch das zu Kindtaufen und Hochzeit gehende Frauenzimmer selbst mit anzuzühen und auszuzieren pfleget.“7
Bei Krünitz tauchte dann 1773 der Begriff Putzmacherin auf „als eine Person weiblichen Geschlechtes, welche Putz, d. i. zierliche Hauben, Palatinen für das andere Geschlecht verfertigt, auch wohl Haubenmacherin, Haubensteckerin von den Hauben; dem vornehmsten Stücke des Putzes“.8 An gleicher Stelle wurden die Putzmacherinnen bereits als modebildende Künstlerinnen qualifiziert: „Die besonderen Stücke, welche die Putzmacherinnen verfertigen, kommen in eigenen Artikeln dieses Werkes vor. Zur Bildung solcher Künstlerinnen gehört außer einer Fertigkeit in den feineren weiblichen Handarbeiten, als Feinnähen, Blumenmachen, Sticken etc. eine gewisse Leichtigkeit in der Behandlung der mannigfaltigen Formen des Putzes, um etwas ohne Mühe nachahmen und auch wohl neue Moden darstellen zu können“.
Bereits zehn Jahre vor der Nennung bei Krünitz ist an ziemlich entlegener Stelle die Putzmacherin als vielleicht noch etwas diffus definierte Berufsbezeichnung benutzt worden. Die Belegstelle könnte leicht vom Thema abführen, ihr sei dennoch ein kurzer Exkurs gewidmet.
1763 erschien in Paris, als deutsche Übersetzung aus dem Französischen, die schmale Schrift: Der Madame Beaumont berühmten Putzmacherin zu Paris lehrreiches Kopfzeugermagazin zum Nutzen des schönen Geschlechts in Deutschland eingerichtet. Die Schrift besteht aus einem knappen Textteil, dem Abdruck eines miniaturhaft-komödienartigen Bühnenstückes sowie einigen Tafeln mit Kupferstichen, die unterschiedlichste Formen von modischem Kopfputz, Frisuren, Perücken, Hauben und Hüten zeigen. Der Titel der Schrift suggeriert, von der französischen Schriftstellerin Jeanne-Marie Leprince de Beaumont (1711-1780) verfasst worden zu sein, die als „Madame Beaumont“ bekannter gewesen ist.
Der Autor dieses Werkes ist aber wohl Jean Henri Marchand gewesen, ein Pariser Anwalt und „königlicher Zensor“, von dem mehrere gesellschaftspolitische Kritik-Schriften, unter anderem eine Schmähschrift gegen Voltaire, überliefert sind. Auch an dieser Stelle hat er national geprägte politische Polemik betrieben und für diese die „hohe Bedeutung“ der – französischen – weiblichen Kopfbedeckung instrumentalisiert. Er blieb anonym, skizzierte jedoch einige geheimnisvolle Bemerkungen zu seiner Person und Herkunft: „Der Verfasser der zu diesen Abbildungen gehörigen Schrift, ist ein gewisser Herr ***, der besondern Nachrichten zufolge ein Arbeiter in dem Laden der Madame Beaumont, und also in den Geheimnissen der Kunst vollkommen eingeweihet ist. In Frankreich hat seine Schrift den größten Beifall erhalten, und die artigen Französinnen haben ihm gänzlich recht gegeben, wenn er behauptet, daß ein Frauenzimmer die die Moden und den Putz nicht liebet, entweder keyn Frauenzimmer sein, oder doch nicht bleiben werde. Vielleicht stimmet ihm auch der deutsche Beau-monde bey.“9
An dieser Stelle kann offenbleiben, ob „Madame Beaumont“ auch als Putzmacherin tätig war, und auch, ob der Autor seine „Zugehörigkeit“ kompetenzheischend nicht vollständig und frei erfunden hat. Dafür spricht sicherlich vieles, denn auch die Vorbemerkung der deutschen Ausgabe mit der Mitteilung, dass es sich um einen „der berühmtesten Haarfriseure von Paris“ handle, dürfte ironischen Charakter besitzen. Interessant an den in der Schrift enthaltenen politischen, polemischen und durchweg in ironischem Ton gehaltenen, häufig querbeet herum fabulierenden Ergüssen ist hier nur die – insgesamt karikierte – Tatsache, dass dem weiblichen Mode-Kopfputz eine übersteigerte Bedeutung bis hinein ins Politische beigemessen wird: „Von allen Arten der französischen Handlung versprechen die Kopfzeuge der Frauenzimmer den ausgebreitesten, sinnreichsten und erstaunendesten Handel, deren Ausfuhr zugleich die leichteste, die originalste, und wegen Simplicität der Materialien diejenige ist, dabey der aller nur erdenklichste Gewinn zu machen seyn wird.“10
In Deutschland wurde die Schrift, ihrer Art gemäß, mit Humor aufgenommen: „Der Text [...] enthält in einer Einleitung ein ironisches Lob der Moden, die Frankreich eine Uebermacht über alle Welt geben. [...] Ganz Europa streckt vor ihnen das Gewehr, und alles was unsere Feinde bisher von zehn Millionen Soldaten haben befürchten können, wird künftig das Resultat von zehn Millionen liebenswürdiger Capricen seyn.“11
Der hier zitierte deutsche Kommentar der übersetzten Neuerscheinung nahm die „Spottschrift“, wenn sie denn so richtig interpretiert wäre, als Beleg für den Übermut der Franzosen und das Übermaß ihrer – vermeintlichen – kulturellen Überlegenheit, insbesondere auf dem Gebiet der Mode. Im vorliegenden Zusammenhang bemerkenswert bleibt die Einführung der Berufsbezeichnung Putzmacherin in der deutschen Übersetzung, mit offenbar durchaus etabliertem Bedeutungsgehalt einer ganzheitlichen Vorstellung von „Kopfputz“. Das französische Vorlagewerk hatte demgegenüber noch geheißen: „L’Enciclopedie Carcassiere, ou tableaux des coifures a la Mode gravees sur les desseins des Petites maitresses de Paris“.
Eine weitere Spur zur Herausbildung solcher bereits inhaltlich und begrifflich entwickelter „Mode-Kunst-Putzmacherinnen“ führt zurück zu den als Hutstaffierer spezialisierten Krämern. Dabei steht nicht die kreative handwerkliche Tätigkeit, sondern der Handels-Aspekt im Vordergrund. Danach ging der Beruf der Putzmacherin, der marchande de modes statt der modiste, „hervor aus der Zunft der merciers, der Kurzwarenhändler, hatte sich aber von ihnen getrennt und ein eigenes Berufsbild entwickelt. Über sie, die weiblichen oder männlichen Geschlechts sein konnten, heißt es in der Encyclopedie [von Diderot/d’Alembert], sie verkauften ‚alles das, was den Putz und den Schmuck von Männern und Frauen betrifft, und das, was Ornamente und Verzierungen genannt wird. Oft sind sie es, die diese auf der Kleidung anbringen, und die die Art und Weise erfinden, wie man sie am besten anbringt. Sie machen auch Kopfbedeckungen.‘“12
Es spricht viel dafür, dass um die Mitte des 18. Jahrhunderts in verhältnismäßig kurzer Zeit das neue Berufsbild der Putzmacherin, zuerst in Frankreich als Modistin, mit spezifischem Profil entstanden ist, in welchem die geschilderten historischen Berufsspuren in den Formen frühneuzeitlicher Textil-Profession zusammen fanden: der Hutmacher, vor allem aber der Hutstaffierer, der Kurzwarenkrämer, die ambitionierte Näherin, vor allem aber die „Putzfrau“, die zwar auch als Produzentin schönen Zierwerks und der geläufigen Hauben, aber mehr noch als Dienstleisterin bei der Ausschmückung zum Beispiel von Kindsmutter und Braut beteiligt war.
Um 1770 war jedenfalls das Berufsbild der Putzmacherin (einschließlich ihrer Benennung) im heutigen Sinn voll entwickelt, ergänzt um die wesentliche unternehmerische Komponente des „Mode-Machens-und-Verkaufens“. Die Entwicklung ging unzweifelhaft aus von den Herrschafts-, Kultur- und Modezentren der europäischen Feudalstaaten, insbesondere von Paris, etwas später auch von London, gleichzeitig oder noch etwas später auch von Berlin, mehr noch von Wien. In Habsburg-Österreich wurde für die Putzmacherin nicht selten der Begriff Visierschneiderin benutzt.
Die Putzmacherin mit ihrem spezifischen und einigermaßen einheitlichen Tätigkeitsprofil erlangte relativ rasch eine immer größere Eigenständigkeit und zumindest eine gewisse Akzeptanz seitens des etablierten Handwerks- und Handelsgefüges. Parallel verlief und zumindest anlassgebend war sicher der modeformende und -dominierende, formale, konstruktive und typologische Übergang von der Frauenhaube zum Damenhut als Höhepunkt repräsentativer Bekleidung.
(In ihrem 2008 erschienenen Roman Das Orakel von Paris lässt Antonia Munoz eine Putzmacherin mitspielen, nach verbreiteten Erzählmustern als eine Art Schutzdame für ein Mädchen vom Land. Danach soll es im Jahre 1678 bereits „Putzmacherinnen“ in Paris gegeben haben. Die Autorin dürfte den „Putzarbeiterinnen“ jener Zeit die moderne Berufsbezeichnung gegeben und das erst später sachlich wie auch begrifflich gefestigte Gewerbe ein Jahrhundert zurückverlegt haben.)
Von männlichen Putzmachern ist zuweilen, aber eher sehr selten, die Rede, ohne dass bisher namentlich bekannte Personen belegbar wären: mit einer Ausnahme, welche in gewisser Weise ex negativo die neue Entwicklung einer Geschlechterspezifik bezeugt. Durchaus Bekanntheit erlangt hat Heinrich Hößli (1784-1864) als Protagonist und Galionsfigur der bekennenden Homosexualität. Sein Werk Eros. Die Männerliebe der Griechen gilt als wichtiger Meilenstein in der Verteidigung der gleichgeschlechtlichen Liebe. Hößli war Sohn eines Hutmachers und erlernte auch dessen Gewerbe. Er muss eine überaus aktive Persönlichkeit gewesen sein und war unter anderem als Tuchmacher und Schriftsteller erfolgreich sowie als Modeausstatter und Wohndekorateur.
Seine Biographie von Ferdinand Karsch trägt den Titel Der Putzmacher von Glarus, Heinrich Hößli, ein Vorkämpfer der Männerliebe.13 Es ist erwiesen, dass Hößli neuartige Herrenhüte besonderer Prägung und besonderen Typs entwickelt und gefertigt hat. Doch es scheint, dass er sich zumindest phasenweise in seiner Werkstatt schwerpunktmäßig dem Kopfputz für Damen zugewandt hat: „In seinem bürgerlichen Berufe war Heinrich Hößli Putzmacher; er besaß einen ausgebildeten weiblichen Geschmack, den sogenannten Schick; in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts war er 'die erste Putzmacherin' von Glarus; er war auch zeitlich der erste, welcher dort Damenhüte herstellte; diese lieferte er geleimt, nicht genäht, und er war so ganz bei seiner Arbeit, daß man im schwarzen Adler sein Mittagessen um 7 Uhr Abends noch unberührt neben ihm stehen fand.“14
„Weil Heinrich Hößli die Mode angab und Modewaren verkaufte, so erhielt er den Spitznamen 'Modenhößli'.“15 Er war also ein anerkannter Modeschöpfer, sicherlich einer der ersten in der Neuzeit, und seine Homosexualität war bekannt und offenbar zumindest auf sein Gewerbe bezogen toleriert. Es erscheint an dieser Stelle bezeichnend, dass in der Historiographie der Homosexualität die „weibliche“ Form der Hutmacherei, in der direkten Apostrophierung als der „ersten Putzmacherin von Glarus“, zur Anwendung kam und weiter überliefert wurde, gleichsam als Vorläufer eines modernen trans-gender-Aktes.
Dass die Putzmacherei und in ihrer Ausübung die Putzmacherin im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts als „modernes“ Phänomen etabliert war, bedeutet freilich nicht, dass ihre Ausbreitung als Gewerbe ebenso rasch stattfand. Mit teilweise erheblichem Zeitverzug hielten in kleineren Städten und dann auch in ländlichen Regionen Putzmacherinnen Einzug, dort im Wesentlichen erst im späteren 19. oder gar im 20. Jahrhundert. Viele Haubenmacherinnen, Ehefrauen oder Witwen von Schneidermeistern und vielleicht auch versierte Näherinnen sowohl in den Städten als auch auf dem Land dürften sich rasch in Putzmacherin umbenannt haben ungeachtet ihres Tätigkeitsprofils, um den Nimbus des „neuen“, modischen Berufsbildes für sich nutzen zu können.
An dieser Stelle wäre auch, in anderer Richtung noch weitergehend, nach den Herstellerinnen von Trachtenhauben im 19. Jahrhundert zu fragen sowie danach, inwieweit die Haube sich als häusliche Alternative oder besser Ergänzung zurückzog und, vielleicht ähnlich wie bei der Tracht, entsprechend neue Konnotationen entwickelte bis hin zu einer Anti-Mode. In der Tracht hat es im 19. Jahrhundert dann sowohl Hauben als auch Hüte gegeben, mit wohl ziemlich unterschiedlichen Geneselinien, aber den gleichen Auswahlmöglichkeiten.
Als verhältnismäßig rasche Entwicklung ist das Entstehen der „Art of Millinery“, der Putzmacherkunst, auch in England, insbesondere in London, beschrieben worden für die Jahre nach 1750. Der auf die Stadt Mailand zurück geführte Name milliner stellte direkte Verbindungen zum Strohhut und indirekte zum Florentinerhut her, der ebenfalls eine norditalienische Stadt als Namengeber besitzt: „The original meaning of die word ‚milliner‘ was a purveyor of fancy goods such as straw hats, gloves and other fancy articles for which Milan was famous in the sixteenth and seventeenth centuries.“16 Mit einer seinerzeit aktuell in Entwicklung befindlichen, also sich wandelnden Bedeutung wies Diderots Enzyklopädie von 1765 den Begriff aus.
Mit der Putzmacherei aufs engste verknüpft sind Filz und Stroh als wichtigste Materialien für den Korpus eines Hutes sowie künstlich hergestellte Blumen als häufiger Hauptbestandteil der Garnierung. Mehr noch als die Filzhutmacherei und die Strohhutproduktion, die beide eine eigene Wirtschafts- und Sozialgeschichte aufweisen, überschneiden sich die verschiedenen Bereiche der Kunstblumenherstellung mit denjenigen der Putzmacherei. Dies betrifft, das sei hier vorausgeschickt, nicht zuletzt auch das Rollenbild der „Blumenarbeiterin“ oder Kunstblumenverkäuferin auf der einen und der Putzmacherin auf der anderen Seite. Beide Bilder hängen zusammen, was zumindest teilweise auch auf die Inhalte der zugrundeliegenden Tätigkeiten zutrifft.
Wurden in der Frühzeit der Putzmacherei Seidenblumen und vergleichbare oder ähnliche Aufputzmaterialien durchaus noch von den Modistinnen selbst hergestellt und sodann zu Garnierungen verarbeitet und verkauft, so entwickelte sich die Kunstblumenproduktion immer stärker zu einem fabrikmäßigen Gewerbe mit seriellem Charakter, der sich von der kreativen Komponente der künstlerischen Weiterverarbeitung in der Putzmacherei zunehmend entfernte. In den Jahrzehnten um 1800 lagen die beiden Bereiche aber noch eng zusammen, so dass es häufig schwierig ist, Quellenbelege etwa über Pariser „Mode“-Arbeiterinnen oder -Geschäfte eindeutig einem der Bereiche zuzuordnen.18
Das Beispiel, welches die Schwierigkeiten solcher Zuordnung vielleicht am besten zu illustrieren vermag, bildet der „Fall“ Johann Wolfgang von Goethe. Bereits im Alter von 14 Jahren soll sich Goethe in das späterhin berühmte „schöne Gretgen“, nach Überlieferung oder Legende eine Putzmacherin, verliebt haben, der Beziehungen zur Halbwelt nachgesagt wurden. 1788, im Alter von 39 Jahren, begegnete er der 23-jährigen „Putzmacherin“ Christiane Vulpius – so verkündet jedenfalls die offizielle Geschichtsschreibung des berühmten Literaten-Paares. Christiane Vulpius wurde seine Lebensgefährtin und sein „kleines Eroticon“, jedoch erst 1806 von ihm geheiratet. Sie war für Goethe „ein Geschöpf, das in glücklicher Gelassenheit den engen Kreis seines Daseins hingeht, von einem Tag zum anderen sich durchhilft.“ Der Weimarer Gesellschaft galt sie als ordinär, von Biographen nachgesagt wird ihr aber auch ein ausgeprägtes Empfinden für ästhetische Sachverhalte. Das scheint alles zusammen zu passen, wird aber infrage gestellt durch die unzweifelhaft überlieferte Tatsache, dass Christiane Vulpius als Lohnarbeiterin in der Weimarer „Blumenfabrik“ von Bertuch tätig war, bevor Goethe sie traf, also in einer Manufaktur für künstliche Blumen und mitnichten in einem Putzmacheratelier. Sie soll in der besseren Weimarer Gesellschaft späterhin deshalb als „das Blumenmädchen“ (mit „eindeutigen“ Konnotationen) verspottet worden sein.19
Wann, wie und warum die berufliche (Höher-)Qualifizierung als „Putzmacherin“ im Sinne biographischer Kosmetik auch immer entstanden sein mag: Das Beispiel verdeutlicht sicherlich die begrifflichen und inhaltlichen Schnittmengen, die auch in der biographisch-literarhistorischen Forschungsliteratur, die auf seriöser Quellenrecherche beruht, bis heute fortgeschrieben werden, indem in der „Bertuchschen Putzmacherinnen-Werkstatt“20, die keine war, „feine Blumen zu einigen Damens Hüthen“ auch von Christiane Vulpius gefertigt worden sein dürften.
Auf die Kunstblumenproduktion, nicht zuletzt auch in ihrer ausnehmend wichtigen Funktion für die jeweilige Hutmode sowie in deren Konsequenz für florierende Umsätze der Putzmacherinnen, wird nachfolgend nicht weiter eingegangen - gut dokumentierte Beispiele wie die modische Kopfbekleidung der preußischen Königin Luise kurz nach 1800 erweisen die große Fläche dieses Feldes.21
Exkurs: der Florentinerhut
Als ein auch literarisch und ikonographisch interessantes „Produkt“ bildet der Florentinerhut einen bedeutsamen Faktor auch für die Entwicklung der Putzmacherei und ihrer Erscheinungsbilder. Gemeinhin werden Strohhüte, die in ein geläufiges optisches Schema passen und eine relativ bestimmte Form haben, unabhängig von ihrem Herstellungsort als Florentinerhüte bezeichnet: üblicherweise breitkrempige Damen-Strohhüte mit bunter Aufschmückung nach Art der Putzmacherei oder zumindest mit einem farbigen Band. Eine einheitliche oder technologisch verbindliche Definition gibt es dennoch nicht.
Der aus Stroh geflochtene Florentinerhut war in Teilen Europas ein wichtiges Wirtschafts- und Exportgut, was durch Darstellungen der Strohhutherstellung in verschiedenen europäischen Ländern dokumentiert wird. Bei seinem Namen handelte es sich nie um einen geschützten Begriff im Sinne einer Markenbezeichnung, sondern um eine schillernde Handelsware, die bestimmte kollektive und zeitlich wandelbare Vorstellungen umfasste und hervorrief.
Der geflochtene Strohhut war lange Zeit eine funktionale Kopfbedeckung unterer ländlicher Bevölkerungsschichten, ein schlichter Sonnenschutz bei der Arbeit in der Landwirtschaft. In der Frühen Neuzeit wurde er langsam zu einem gewerblich relevanten Produkt. Mit der Herausbildung des modernen Bürgertums entwickelte sich der fioretto genannte Strohhut mit breiter Krempe zu einem Prestigeprodukt höher gestellter Frauen, vom Arbeitshut zum Freizeithut, in dessen Konnotation Müßiggang mit Naturverbundenheit sowie mit „produktiver“ agrarischer Tätigkeit verbunden wurde. Seit dem frühen 17. Jahrhundert avancierte der Florentiner als Gartenhut zum Symbol der Sommeridylle, allerdings noch nicht sogleich öffentlich-repräsentativ, sondern eher „privat“, und das „Gärtnern“ mit Florentinerhut wurde zum symbolisch-visuellen Handlungsideal.
Die verstärkte – und semantisch verstärkende – Rezeption des Strohhutes in den Oberschichten wird auf den Einfluss der Schäferspiele zurückgeführt mit ihren Maskeraden und Theaterstücken, die eine Idealisierung der Begegnung verschiedener Stände „in lieblicher Natur“ propagierten und die Forderungen der Aufklärung im Sinne der herrschenden Schichten umdeuteten. Man schuf sich eine künstliche Natur mit Papierblumen einschließlich geschmücktem Strohhut als bedeutungsvollem Accessoire neben seidenen Phantasiekleidern. In einer Bezeichnungsübertragung konnte die Bergère, die Schäferin, zur „typischen“ ländlichen Kopfbedeckung bürgerlicher Frauen werden.