18
Vgl. Diemer (1976, 117) – Zur wissenschaftstheoretischen Einordnung der Hermeneutik siehe: Gerber (Hrsg.) (1972).
19
Dilthey (1961 a, 144); Hervorhebung von mir. –Analog hierzu ist die Unterscheidung Windelbands (1848–1915) von „nomothetischen“ und „idiographischen“ Wissenschaften zu verstehen. Erstere sind auf Gesetzmäßigkeiten aus (Naturwissenschaften), die Zweiten auf das Beschreiben von Individuellem („Geisteswissenschaften“ bzw. „Kulturwissenschaften“). Vgl. hierzu Dilthey (1961 a, 256); Diemer (1974, 214). – Zu „Verstehen“ und „Erklären“ vgl. auch Spranger (1974).
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Es ist nicht haltbar, wenn K. Wuchterl behauptet, dass „Hermeneutik stets dem Denken christlicher religiöser Formen verhaftet“ bleibe (1977, 170). Denn die Als-Struktur des Verstehens hat nichts mit religiöser Gläubigkeit zu tun. Allerdings wird die Voraussetzung gemacht, dass es ein spezifisch Menschliches gebe, das u. a. zur Folge hat, dass Dingen eine bestimmte Bedeutung unterlegt wird. Wenn man dies leugnet, wird tatsächlich die Unterscheidung von Verstehen und Erklären hinfällig. Doch auch das Postulat eines spezifisch Menschlichen braucht keineswegs theologisch oder sonstwie religiös verstanden zu werden. Wuchterl argumentiert ganz im Sinne von Albert; vgl. Hufnagel (1976, 149); Diemer. Elementarkurs Philosophie – Hermeneutik, S. 113; Huwendiek (1977, 73). Gegen eine Gleichsetzung von Hermeneutik und Theologie spricht u. a. die Tatsache einer juristischen Hermeneutik; Vgl. z. B. Gadamer(1975, 311).
21
Siehe zur Begriffsunterscheidung und -differenzierung auch Danner (1981, 129–132), und hier Abb. 3. Skowronek und Schmied z. B. gehen mit ihrer
244Kritik des hermeneutischen Verstehensbegriffs an diesem völlig vorbei, da sie ihn nur umgangssprachlich auffassen (1977, 12).
22
Broecken weist darauf hin, dass Dilthey nur einen graduellen Unterschied zwischen Verstehen und Erklären zulassen wollte (1975, 230). Vgl. Huschke-Rhein (1979, 82 ff) – Problematisch wird diese Begriffsunterscheidung auch dann, wenn man den Gegensatz von Natur und Geist in Frage stellt, auch und gerade im Hinblick auf den Menschen; in der phänomenologischen Anthropologie L. Binswangers etwa gibt es weder „Körper“, „Seele“ noch „Geist“, sodass der Mensch in seinem Verhalten und seinen Produkten immer als der eine erscheint (1962). – Zur gegenwärtigen Diskussion siehe: Apel / Manninen / Tuomela (Hrsg.) (1978).
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Hier sei an E. Spranger erinnert, der ausdrücklich zwischen „objektivem Geist“ und „normativem Geist“ unterscheidet; mit ersterem ist für Spranger eine Sinn-Ebene der Bedeutungsgehalte gegeben; mit letzterem wird für Spranger eine absolute Dimension eröffnet. Vgl. Anm. 27. – A. Diemer (1977, 125 f), zählt einige Momente auf, die den hermeneutischen Sinn nicht ausmachen: so genannte hypothetisch-theoretische Entitäten, theoretische Konstrukte, ein Inneres, ein wie auch immer ausgesetztes Allgemeines, ein Systemprinzip.
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Aber auch jener „letzte Sinn“ muss in hermeneutischer Sicht in seiner erhellenden, aufschließenden Funktion verstanden und in Korrespondenz zum „Vorverständnis“ gesehen werden; vgl. Anm. 26. Vgl. hierzu Diemer (1977, 165 f), der von einer „Sinn-Hermeneutik“ spricht und diese einer Reihe anderer Typen entgegensetzt.
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Vgl. Diemer (1971, 16); Broecken (1975, 259). Zu dem differenzierten Problem der Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften bei Dilthey siehe: Huschke-Rhein (1979, 98 f).
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In diesem Zusammenhang sei auf die Unterscheidung von drei Verstehensbegriffen bei Diemer (1977, 122–124), verwiesen. Die ersten beiden decken sich inhaltlich mit dem elementaren und höheren Verstehen Diltheys; hinzu kommt als weitester Verstehens-Begriff das Vorverständnis. Im einzelnen differenziert Diemer wie folgt:
a. Verstehen i. e. S.: „die einfache spezifische Begegnungsweise mit dem entsprechenden (hermeneutischen) Gegenstandstypus. Im einfachen und schlichten Sinne verstehen wir im Alltagsleben wie auch in den Fachbereichen usw. unter dem Verstehen eine bzw. die spezifische Begegnungsweise mit Gegebenheiten, die den entsprechenden hermeneutischen Typus besitzen … Bei allem ist bestimmend, daß der Gegenstandstypus immer durch einen Sinn usw. ausgezeichnet ist …“
b. Interpretation, Deuten: „Es geht hier darum, eine Vorgegebenheit, vor allem Texte ,so-oder-so-zu-verstehen. In diesem Sinne versucht das verstehende … Interpretieren eine vorgegebene Sinnmengengegebenheit (etwas ,als‘ Gedicht, als Roman ,vorverstanden‘) in einen entsprechenden relativ widerspruchsfreien Sinnzusammenhang zu bringen.“
245
c. Vorverständnis: „,Vor‘ aller konkreten Begegnung mit einem Wirklichen, einem Gegenstand, einem ,Seienden‘ ist dieses immer schon ,vor-verstanden‘ in seinem ,als‘.“ „Dieses Vor-Verständnis macht damit eine Art ,Vorentwurf‘ über alles Gegebene hinweg; dieser Entwurf konstituiert so gewissermaßen einen ,Hintergrund‘, den man seit Husserl, vor allem aber seit Heidegger, wie auch Gadamer als Horizont bezeichnet. Alles Gegebene steht damit im ,Vor-der-grund‘ … eines jeweils konstitutiven Horizonts. Die sich so konstitutierende Gesamtwirklichkeit wird dann als jeweilige ,Welt‘ vorverstanden …“ (138).
Man beachte auch das von Diemer angegebene grafische Schema (1977, 138).
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Dilthey unterscheidet seinen Begriff des „objektiven Geistes“ von dem Hegels. In den Gesammelten Schriften (1961 b, 150) heißt es: Hegel „konstruierte die Gemeinschaften aus dem allgemeinen vernünftigen Willen. Wir müssen heute von der Realität des Lebens ausgehen; im Leben ist die Totalität des seelischen Zusammenhanges wirksam. Hegel konstruiert metaphysisch; wir analysieren das Gegebene“ (Hervorhebungen von mir). – Zweierlei wird hier im Hinblick auf den „objektiven Geist“ sichtbar: 1. Sein Begriff wird phänomenologisch aus der Realität, dem Gegebenen gewonnen; hierzu gehört auch die Geschichte. 2. Die Realität aber ist Realität des „Lebens“; in ihm scheint uns aber bei Dilthey wiederum eine „metaphysisch konstruierte“ Größe gegeben zu sein.
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Aufgrund dieses Denkens kann es umgekehrt für die Geschichtswissenschaft nur einen adäquaten Zugang zu ihrem Gegenstand geben: das hermeneutische Verstehen. Denn Geschichte muss als Manifestation eines fremden Geistes begriffen werden, die nur durch einen verwandten Geist verstehend erschlossen werden kann. Vgl. Wuchterl (1977, 170); Gadamer (1975, 228), siehe dort auch die Kritik Gadamers an Diltheys Auffassung von Geschichte und Hermeneutik. – Husserl wirft der Position Diltheys Historizismus vor; diese Kritik fasst Scholtz (1974, 1145) wie folgt zusammen: „Während der ,Naturalismus‘ alles zur Natur machen und durch Gesetze begreifen möchte, versteht der mit den Geisteswissenschaften aufkommende ,Historizismus‘ alles ,als Geist, als historisches Gebilde; jener ist Wissenschaft, gefährdet aber die Kultur – dieser hat auf Wissenschaftlichkeit Verzicht geleistet und bereitet der Weltanschauungsphilosophie den Boden. Husserl weist nach, daß Diltheys Historizismus, der in alle historischen Geistesgestaltungen verstehend sich einfühlen und ihre Eigenheit begreifen möchte, entgegen der eigenen Intention in den Skeptizismus führt und außerdem einen Widerspruch beinhaltet: Die von Dilthey behauptete Relativität aller Philosophien und Weltanschauungen kann man nicht historisch, sondern nur orientiert an einem Ideal von geltender Wahrheit konstatieren.“ Freilich muss auch hier wiederum bedacht werden, dass sich in dieser Kritik die eigene Position Husserls ausdrückt. Zu dem ganzen Problemkreis siehe Huwendiek (1977); Froese (1965, 280).
29
Boehm (1950) gibt Hinweise hierzu im Hinblick auf Dilthey. Siehe vor allem:
246Bollnow (1966); Lipps (1959). Zu Lipps nimmt Wuchterl (1977, 180 ff) Stellung. – Zur Voraussetzungslosigkeit, Allgemeingültigkeit und Objektivität der Wissenschaft siehe: Schwarz (1957, 175–202); Spranger (1963); Kaltschmid (1968); Litt (1959).
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Zu Schleiermacher siehe: Schleiermacher (1959); Schulz (1953); Diemer (1977, 55–59); Gadamer / Boehm (1976, 31 ff); Gadamer (1974 und 1975, 172 f).
31
Die einzelnen Textstellen sind zu finden Dilthey (1961b, 191) (Satz 1–3); S. 213–217 (Satz 4–49). Die Sätze 43–49 gehören bereits zum nächsten Abschnitt, der überschrieben ist: „Die Auslegung oder Interpretation“. Der Text ist auch abgedruckt in Gadamer / Boehm (1976, 189, 212–217, und: Oppolzer (Hrsg.) (1966, 25, 45–49).
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Gadamer (1975, 295 (Satz 1), 311 (Satz 2–22), 316f (Satz 23–41), 323 (Satz 42–54)). Wir bringen Auszüge aus dem Abschnitt, der überschrieben ist: „Die exemplarische Bedeutung der juristischen Hermeneutik“, da hier die Applikation anschaulich entfaltet wird, während in dem Abschnitt: „Das hermeneutische Problem der Anwendung“ nur die These einer Notwendigkeit von Applikationen erarbeitet wird. Unser erster Satz ist der Schluss dieses Abschnitts. Hierauf sei jedoch ausdrücklich verwiesen: Gadamer (1975. 290 ff).
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Vgl. Linke (1966, 171). – Zur pädagogischen Verantwortung vgl. vor allem Lichtenstein (1967); Flitner (1974 und 1966). Flitners Begriff der „réflexion engagée“ wäre unter diesem hermeneutischen Gesichtspunkt näher zu untersuchen. Siehe auch Danner (1985 a).
34
Zur Hermeneutik in der Pädagogik vgl. auch: Linke (1966, 157–171); Broecken (1975, 247–269); Beckmann (1978); Thiersch (1978).
35
Klafki u. a. (1970, 134–153). Als besonderen Gesichtspunkt nimmt Klafki die Ideologiekritik bei den hermeneutischen Regeln mit auf. Diese wird hier nicht berücksichtigt, da sie ein dogmatisches Moment darstellt, das den Rahmen der Hermeneutik im aufgezeigten Sinn sprengt. Der Interpret müsste die Maßstäbe seiner Ideologiekritik am Autor legitimieren, was er schwerlich rein hermeneutisch kann. Auch er selbst müsste sich ideologiekritisch in Frage stellen lassen. Zur Kritik an Klafki vgl. auch Reich (1978, 287–290); ebenso Broecken (1975, 261 f), die darauf hinweist, dass emanzipatorisches Interesse ebenso den Sinn verstellt wie ein antiquarisches Interesse. – Zu den Regeln: Broecken (1975, 261 f); Groothoff (1975 a, 165).
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Vgl. Broecken (1975, 264). Zur Hypothesenbildung in der Pädagogik vgl.: Klafki (1970, 129–134); Brezinka (1978, 112 ff und 130 ff); Skowronek / Schmied (1977, 29 ff).
37
Das Problem einer „Hermeneutik der Erziehungswirklichkeit“ greifen u. a. auf: Rutt (1971); Beckmann (1978, 57 f); Broecken (1975, 242 und 247 ff); Groothoff (1975 a). – Ein beachtenswerter Versuch in dieser Richtung liegt von R. Uhle (1978) vor. Allerdings greift Uhle bestimmte Ansätze der Sozialforschung auf, die alltägliche Weisen sozialer Interaktionen thematisieren,
247vor allem die „Ethnomethologie“ oder „Konversationsanalyse“ (13). „Verstehen“ und „Verständigung“ werden darum auf einer etwas anderen Ebene als der streng hermeneutischen untersucht.
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So sieht Ritzel im exemplarischen Prinzip ein hermeneutisches Verfahren, weil hier zum einen das Ganze am Teil erkannt wird und weil als exemplarisch dasjenige gelernt werden kann, was den Geist anspricht (1970, 170ff). – Ebenso sind Verstehensvorgänge angesprochen, wenn W. Flitner Erziehung und Bildung im Sinne der geistigen Erweckung versteht als „Selbstbildung am sichtbar gemachten Sinn“. (1974, 45 ff) – Den Verstehensprozess und die Zirkelstruktur im Lern- und Bildungsvorgang arbeitet J. Schurr ausdrücklich heraus in seinem „Entwurf einer pädagogischen Hermeneutik“ (1975 a). – Zu diesem Gedanken vgl. auch: Broecken (1975, 221, 223, 239, 248). – Dilthey bietet als Modell für den Bildungsprozess die Korrespondenz von Teleologie des Seelenlebens mit dem Leben überhaupt an. Dies aber ist ein anderer Entwurf, der von dem aufgezeigten Gedanken durch eine Reihe von Setzungen abweicht. Vgl. hierzu: Blaß (1978, 123ff) – Siehe auch Huschke (1973); Buck (1981).
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Zur Kritik an der Hermeneutik vgl.: Wuchterl (1977, 187ff); Diemer (1977, 144ff, 219); Benner (1973, 203ff); Reich (1978, 67f); Albert (1966); Wimmer (1978, 26f).
40
Vgl. Reich (1978, 67f): Hier wird der Hermeneutik darüber hinaus vorgeworfen, dass sie „faschistisch“ sei. Dieser Vorwurf ist wohl nur ideologisch verständlich, nämlich nach dem Motto: Alles, was nicht marxistisch ist, ist faschistisch! Wie wäre demnach das Schicksal einiger Geisteswissenschaftler im Dritten Reich zu erklären oder auch, weshalb damals die geisteswissenschaftliche Zeitschrift „Die Erziehung“ eingestellt werden musste? Vgl. hierzu: Flitner (1976, 185ff). – Siehe vor allem auch: Lassahn (1976, 40–42), insbesondere dort die Anmerkungen 21 und 27; Emden (1977, 415).
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Spranger (1974, 205); vgl. Rutt (1971, 119). Zu den „Grenzen der Hermeneutik“ vgl. außerdem: Bollnow (1947); Froese (1965).
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Zu Phänomenologie, Anthropologie und Philosophie vgl. Bollnow (1969b, 39, 43, 45); zu Ideologiekritik: Klafki (1970, 153); zu Theologie: Hufnagel (1976, 149 (H. Albert)). Vgl. Broecken (1975, 246, 257ff).