Cover

Ingo Siegner, geboren 1965, lebt und arbeitet in Hannover. Er war in verschiedenen Berufen tätig, zuletzt bei einem Reiseveranstalter, bevor er sich ganz dem Schreiben und Illustrieren von Kinderbüchern widmete. Bekannt wurde er vor allem durch seine Bücher vom Kleinen Drachen Kokosnuss.

Bei Beltz & Gelberg erschienen von ihm schon die Romane Eliot und Isabella – Abenteuer am Fluss, Eliot und Isabella und die Jagd nach dem Funkelstein, Eliot und Isabella und das Geheimnis des Leuchtturms und Eliot und Isabella im Finsterwald. Dieses Buch ist nun das fünfte Abenteuer der beiden unwiderstehlich charmanten Rattenkinder.

Inhalt

1. Kapitel
Dampferfahrt zum Wurzelwald

2. Kapitel
Fahrt im Kleintier-Express

3. Kapitel
Wachtmeister Willi Wumpe

4. Kapitel
Wandern, Zelten, Nachtgewitter

5. Kapitel
In der Felswand

6. Kapitel
Bocky Bockwurst!

7. Kapitel
Die Räuberhöhle

8. Kapitel
In Don Ratzos Kerker

9. Kapitel
Auf Schienen durch die Nacht

10. Kapitel
Ein Tresor voll Gold!

1. Kapitel

Dampferfahrt zum Wurzelwald

Es ist Mittag, die Sonne funkelt durch die Fenster des Rathausturms. Eliot, der kleine Rattenjunge, sitzt am Frühstückstisch und mümmelt sein Müsli.

Eliot freut sich riesig, denn die Ferien haben begonnen. Gleich bricht er auf zu Isabella, dem tollsten Rattenmädchen der Welt. Gemeinsam wollen sie wandern, über die Berge bis ans Meer! Der Rucksack ist schon gepackt, mit Zelt und allem Drum und Dran. Und ein Gedicht hat sich Eliot auch schon ausgedacht, als Geschenk für Isabella zum Wiedersehen. Isabella wohnt nämlich im Wurzelwald, eine Nachtfahrt mit dem Biberdampfer entfernt:

Über Wurzel, über Stein,

geht es tief ins Tal hinein,

über Felsen, über Gletscher,

vorbei an Wasserfall-Geplätscher,

erklimmen wir die höchsten Berge,

fröhlich munter wie die Zwerge.

Und kommt die Nacht über die Welt,

schlüpfen wir ins Camping-Zelt.

»Hihihi«, kichert Eliots Vater. »Über das Gedicht wird Isabella sich freuen.«

Eliots Vater räumt gerade das Geschirr in den Küchenschrank. Die Gläser stellt er in die obere Etage, die Teller in die untere. Das Besteck verteilt er ordentlich in die Schubladen. Dann trägt er ein kleines Tablett mit dampfendem Tee, Blümchentasse, Milch und Keksen zu Eliots Mutter ins Atelier.

Zurück in der Küche, brüht er sich einen Kaffee auf, putzt seine Brillengläser und atmet tief durch. Dann setzt er sich zu Eliot an den Tisch und schlägt die Zeitung auf.

»Papa«, sagt Eliot.

»Hm«, murmelt der Vater.

»Mama freut sich bestimmt jedes Mal, wenn du ihr den Tee bringst.«

»Denke schon«, sagt Eliots Vater.

»Und dass du so gut kochen kannst, findet sie bestimmt gut.«

»Sicher.«

»Dann muss sie nicht so oft kochen.«

»Hmm, ein Glück«, murmelt Eliots Vater und wendet den Blick nicht von der Zeitung.

»Als du Mama zum ersten Mal gesehen hast, warst du da aufgeregt?«

Der Vater blickt auf, kratzt sich am Ohr und sagt: »Und wie! Ich bin schier aus den Puschen gekippt und war aufgeregt wie ein Hühnchen im Frühling.«

In diesem Augenblick ruft Eliots Mutter aus ihrem Atelier:

»Eliot, hast du deinen Rucksack schon gepackt? Du musst gleich los!«

»Alles super gepackt!«, sagt Eliot und holt gleich den neuen Rucksack aus seinem Zimmer.

Als Eliots Vater den Rucksack sieht, grinst er und sagt:

»Der ist ja größer als du selbst. Wenn du den aufsetzt, kippst du doch um.«

Sofort wuchtet Eliot den Rucksack auf seinen Rücken, zieht die Gurte fest und sagt: »Passt!«

Eliots Mutter kommt in die Küche und blickt ungläubig auf den riesigen Rucksack.

»Was hast du denn vor? Willst du etwa ausziehen?«

»Na ja«, sagt Eliot, »für’s Zelten braucht man ein Zelt, einen Schlafsack, eine Matte, Kochgeschirr …«

»Schon gut, schon gut«, unterbricht ihn seine Mutter und seufzt. »Dann mach dich mal fertig. Ich bringe dich gleich zum Biberdampfer. Dann kann ich auch noch neue Pinsel besorgen.«

Eliot trägt seinen Rucksack selbst zum Hafen. Schließlich muss er schon mal üben. Aber, puh, das Ding ist ganz schön schwer!

»Du bist wie dein Vater«, sagt Eliots Mutter. »Der nimmt auch immer riesige Koffer und stopft sie mit Dingen voll, die er auf der Reise gar nicht braucht.«

»Aber diesmal habe ich wirklich versucht, nur das Allerallernötigste einzupacken!«

»Schon klar«, brummt die Mutter. »Na ja, du musst es ja tragen, nicht ich.«

Immer wieder gehen die beiden in Deckung, wenn ein Mensch ihren Weg kreuzt. Einmal zischt ein hungriger Kater auf sie zu. Im letzten Moment retten sie sich in die sichere Kanalisation. So marschieren die beiden unterirdisch weiter bis zum Hafen.

»Mama, als du Papa zum ersten Mal gesehen hast, warst du da aufgeregt wie ein Hühnchen?«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Egal, sag mal!«

»Hm, ich glaube, ich war eher genervt, weil er mich dauernd angestarrt hat. Und er war so ungeschickt und immer so umständlich. Aber er war sehr lustig, er hat mich ständig zum Lachen gebracht. Und dann hat er gekocht. Dein Vater kann ja ziemlich gut kochen.«

»Und dann hast du dich in ihn verliebt?«

»Hm, kann sein. Nach seinem Käsesoufflé haben wir uns jedenfalls geküsst.«

Eliot wird ein bisschen rot.

»Hier geht es hinauf«, sagt Eliots Mutter und lugt vorsichtig durch eine Gully-Öffnung ins Freie. »Die Luft ist rein.«

Gerade klettern sie wieder an die Oberfläche, als das Horn des großen Flussdampfers ertönt. Nur kurz darauf hören sie die Schiffsglocke des kleinen Biberdampfers.

Die Mutter nimmt Eliot bei der Hand und rennt los. Eliot hat Mühe, ihr zu folgen, der Rucksack zerrt an seinen Schultern, doch seine Mutter zieht ihn am Containerhafen vorbei hinunter zu dem kleinen Seitenarm des Flusses. Dort liegt der Biberdampfer im Schatten einer Weide am Ufer.

Bertram Biber lichtet gerade den Anker, als die beiden über die Böschung gelaufen kommen. »Eliot!«, ruft Bertram freudig. »Sind schon wieder Ferien?«

Berta Biber, die Flusskapitänin, blickt von der Schiffsbrücke herab und ruft: »Hallo, Eliot, willkommen an Bord! Dann haben wir ja doch noch einen Passagier!«

Zum Abschied drückt Eliot seine Mutter ganz fest und fragt: »Mama, wenn Papa kein Käsesoufflé gebacken hätte … dann gäbe es mich überhaupt nicht, stimmt’s?«

Die Mutter schüttelt verwundert den Kopf und sagt:

»Hätte, hätte, Lutschtablette. Wer weiß das schon! Hauptsache ist, dass es dich gibt! Und jetzt geh lieber auf das Schiff, sonst legen Berta und Bertram ohne dich ab!«

Sie gibt Eliot einen Kuss und macht sich auf den Weg zurück in die Stadt.

»Wo soll’s denn diesmal hingehen?«, fragt Berta und schielt auf Eliots Rucksack. »Auf Weltreise?«

»Nein, äh, Isabella und ich wollen in den Bergen zelten.«

»Dann hast du sicher auch ein Zelt in deinem Rucksack?«

»Genau«, sagt Eliot. »Und einen Schlafsack und eine Matte und einen Kocher und eine Taschenlampe.«

»Na, dann bist du ja für alle Fälle gerüstet!«, sagt Berta und manövriert ihren Dampfer flussabwärts in Richtung der Wälder.

In der Nacht ist es so warm, dass Eliot an Deck schläft. Er breitet seine Matte aus, legt sich auf den Rücken und betrachtet die Sterne.

Bertram legt von Zeit zu Zeit Holz unter den Dampfkessel, und Berta steuert das Boot sicher und ruhig durch das träge nachtschwarze Wasser.

Einmal steigt ein großer Vogel flügelschlagend vom Ufer auf. Eliot erschrickt kurz, doch hier an Bord muss er sich keine Sorgen machen. Bei Berta und Bertram Biber ist er in Sicherheit.

Ob Isabella morgen früh auch pünktlich am Anlegesteg ist? Eliots Herz beginnt zu pochen. Morgen sieht er Isabella wieder! Erst fahren sie mit dem Dampfer bis zum Bahnhof der Tiere, dann mit der Eisenbahn in die Berge. Und danach beginnt die Wanderung. Die Nächte wollen sie in der Wildnis verbringen, im Zelt, mitten im Gebirge!

Noch bevor der Mond aufsteigt, ist der Rattenjunge eingeschlafen.

Am nächsten Morgen läutet Berta die Schiffsglocke und ruft: »Nächster Halt, Wurzelwald!«

Mühsam öffnet Eliot die Augen. Was hat Berta gerufen? Hm, am besten noch etwas dösen. Das ist immer gut, um richtig wach zu werden. Eliot schlummert wieder ein. So bekommt er nicht mit, dass der Biberdampfer am Anlegesteg des Wurzelwaldes hält und eine Passagierin an Bord kommt.

»Isabella, das hab ich mir fast gedacht!«, sagt Bertram Biber.

Das Rattenmädchen trägt einen kleinen Rucksack und einen Sonnenhut.

»Ist Eliot gar nicht auf dem Schiff?«, fragt sie verwundert.

»Doch, doch«, sagt Berta und schaut von der Brücke herab.

»Er hat sein Lager an Deck achtern aufgeschlagen.«

»Achtern?«, fragt Isabella.

»Das ist hinten«, sagt Bertram.

»Guten Morgen, du Murmeltier!«

Eliot blinzelt in die Morgensonne. Diese Stimme kennt er doch … wer … wie ein Blitz durchfährt es den Rattenjungen: Isabella!

Im Nu ist Eliot hellwach (jedenfalls fast). Er wird knallrot, richtet sich auf und sagt: »Oh, äh, guten Morgen! Äh, sind wir schon am Wurzelwald?«

»Ja, klar, sonst wär ich ja nicht hier«, sagt Isabella. »Wir sind schon ein ganzes Stück weiter flussabwärts.«

»Oh …«

Isabella blickt auf Eliots Rucksack und die Sachen, die Eliot um sich herum ausgebreitet hat: Schlafmatte, Kissen, Schlafsack, Block, Stifte, Taschenlampe, ein Stapel Bücher, eine Trinkflasche, eine Dose für Butterbrote, eine Dose für Obst, Wanderschuhe, eine Wanderkarte und einen Wecker.

»Sind das etwa alles deine Sachen?«, fragt sie und guckt Eliot ungläubig an.

»Ja, klar, das brauchen wir doch für unsere Wanderung. Ich habe mir sogar extra neue Wanderschuhe gekauft!«

»Neue Schuhe? Hast du die auch eingelaufen?«

»Öh, ich dachte, das mache ich dann beim Wandern.«

»Oje …«, murmelt Isabella. »Und was sind das für Bücher?«

»Ein Wanderführer, ein Bergführer, ein Sprachführer, ein Restaurantführer und drei Romane.«

»Restaurantführer? Wozu das denn?«

»Na ja, äh, es ist doch wichtig zu wissen, wo es gutes Essen gibt.«

Isabella schüttelt den Kopf und brummt: »Das ist ja eine halbe Bibliothek. Wo verstaust du das alles?«

»Öh, im Rucksack ist noch Platz. Den kann man nämlich aufstocken. Siehst du?«

Eliot faltet das Oberteil seines Rucksackes auf und beginnt, den Schlafsack, die Bücher und all die anderen Dinge darin unterzubringen.

»Sag mal, was ist denn da noch alles?«, fragt Isabella.

»Öh, na ja, was man so braucht … Kulturtasche, Wechselkleidung, Sonnencreme, Eispickel, Schneegamaschen, Kletterhelm, Regenzeug, Kocher, Töpfe, Geschirr, Pflaster, Lupe …«

Isabella seufzt. »Dafür sieht der Rucksack direkt klein aus. Der ist ja gerade einmal doppelt so groß wie du.«

»Wie? Also, das stimmt aber nicht!«, sagt Eliot empört und hievt den Rucksack auf seinen Rücken. »Siehst du! Passt wie angegossen!«

»Ich bin sehr beeindruckt!«, sagt Isabella und tippt Eliot anerkennend auf die Brust.

Da verliert Eliot das Gleichgewicht und fällt rücklings zu Boden. Wie ein Käfer liegt er hilflos auf dem Rucksack, die Beine in der Luft.