Richard Wagner: Das Rheingold. Der Ring der Nibelungen Vorabend Textbuch – Libretto
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Arthur Rackham, Siegfried und die Rheintöchter, um 1900
ISBN 978-3-7437-0308-7
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-86199-164-9 (Broschiert)
ISBN 978-3-86199-165-6 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Entstanden 1848–1874. Erstdruck der Dichtung als anonymer Privatdruck: Zürich 1853. Uraufführung 13.–17.08.1876, Festspielhaus, Bayreuth.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
Vorspiel und Erste Szene: In der Tiefe des Rheines
Zweite Szene: Freie Gegend auf Bergeshöhen
Dritte Szene: Nibelheim
Vierte Szene: Freie Gegend auf Bergeshöhen[523]
Wotan
Donner
Froh
Loge, Götter
Fasolt
Fafner, Riesen
Alberich
Mime, Nibelungen
Fricka
Freia
Erda, Göttinnen
Woglinde
Wellgunde
Flosshilde, Rheintöchter
Nibelungen[524]
In der Tiefe des Rheines
Grünliche Dämmerung, nach oben zu lichter, nach unten zu dunkler. Die Höhe ist von wogendem Gewässer erfüllt, das rastlos von rechts nach links zuströmt. Nach der Tiefe zu lösen sich die Fluten in einen immer feineren feuchten Nebel auf, so daß der Raum der Manneshöhe vom Boden auf gänzlich frei von Wasser zu sein scheint, welches wie in Wolkenzügen über den nächtlichen Grund dahinfließt. Überall ragen schroffe Felsenriffe aus der Tiefe auf und grenzen den Raum der Bühne ab; der ganze Boden ist in ein wildes Zackengewirr zerspalten, so daß er nirgends vollkommen eben ist und nach allen Seiten hin in dichtester Finsternis tiefere Schlüffte annehmen läßt.
Um ein Riff in der Mitte der Bühne, welches mit seiner schlanken Spitze bis in die dichtere, heller dämmernde Wasserflut hinaufragt, kreist in anmutig schwimmender Bewegung eine der Rheintöchter
Volles Wogen der Wassertiefe.
WOGLINDE kreist um das mittlere Riff.
Weia! Waga!
Woge, du Welle,
walle zur Wiege!
wagala weia!
wallala weiala weia!
WELLGUNDES STIMME von oben.
Woglinde, wachst du allein?
WOGLINDE.
Mit Wellgunde wär ich zu zwei.
WELLGUNDE sie taucht aus der Flut zum Riff herab.
Laß sehn, wie du wachst!
Sie sucht Woglinde zu erhaschen.
WOGLINDE entweicht ihr schwimmend.
Sicher vor dir!
Sie necken sich und suchen sich spielend zu fangen.
FLOSSHILDES STIMME VON OBEN.
Heiala weia!
Wildes Geschwister!
WELLGUNDE.
Floßhilde, schwimm!
Woglinde flieht:
hilf mir die Fließende fangen!
FLOSSHILDE taucht herab und fährt zwischen die Spielenden.
Des Goldes Schlaf
hütet ihr schlecht![525]
Besser bewacht
des Schlummernden Bett,
sonst büßt ihr beide das Spiel!
Mit muntrem Gekreisch fahren die beiden auseinander: Floßhilde sucht bald die eine, bald die andre zu erhaschen; sie entschlüpfen ihr und vereinigen sich endlich, um gemeinsam auf Floßhilde Jagd zu machen. So schnellen sie gleich Fischen von Riff zu Riff, scherzend und lachend. – Aus einer finstren Schlufft ist währenddem Alberich, an einem Riffe klimmend, dem Abgrund entstiegen. Er hält, noch vom Dunkel umgeben, an und schaut dem Spiele der Rheintöchter mit steigendem Wohlgefallen zu.
ALBERICH.
Hehe! ihr Nicker!
wie seid ihr niedlich,
neidliches Volk!
Aus Nibelheims Nacht
naht ich mich gern,
neigtet ihr euch zu mir.
Die Mädchen halten, sobald sie Alberichs Stimme hören, mit dem Spiele ein.
WOGLINDE.
Hei! wer ist dort?
FLOSSHILDE.
Es dämmert und ruft.
WELLGUNDE.
Lugt, wer uns belauscht!
Sie tauchen tiefer herab und erkennen den Nibelung.
WOGLINDE UND WELLGUNDE.
Pfui! der Garstige!
FLOSSHILDE schnell auftauchend.
Hütet das Gold!
Vater warnte
vor solchem Feind.
Die beiden andern folgen ihr, und alle drei versammeln sich schnell um das mittlere Riff.
ALBERICH.
Ihr, da oben!
DIE DREI.
Was willst du dort unten?
ALBERICH.
Stör ich eu'r Spiel,
wenn staunend ich still hier steh?
Tauchet ihr nieder,
mit euch tollte
und neckte der Niblung sich gern.
WOGLINDE.
Mit uns will er spielen?
WELLGUNDE.
Ist ihm das Spott?
ALBERICH.
Wie scheint im Schimmer
ihr hell und schön
Wie gern umschlänge[526]
der Schlanken eine mein Arm,
schlüpfte hold sie herab!
FLOSSHILDE.
Nun lach ich der Furcht:
der Feind ist verliebt!
Sie lachen.
WELLGUNDE.
Der lüsterne Kauz!
WOGLINDE.
Laßt ihn uns kennen!
Sie läßt sich auf die Spitze des Riffes hinab, an dessen Fuße Alberich angelangt ist.
ALBERICH.
Die neigt sich herab.
WOGLINDE.
Nun nahe dich mir!
Alberich klettert mit koboldartiger Behendigkeit, doch wiederholt aufgehalten, der Spitze des Riffes zu.
ALBERICH hastig.
Garstig glatter
glitschriger Glimmer!
Wie gleit ich aus!
Mit Händen und Füßen
nicht fasse noch halt ich
das schlecke Geschlüpfer!
Feuchtes Naß
füllt mir die Nase –
verfluchtes Niesen!
Er ist in Woglindes Nähe angelangt.
WOGLINDE lachend.
Prustend naht
meines Freiers Pracht!
ALBERICH.
Mein Friedel sei,
du fräuliches Kind!
Er sucht sie zu umfassen.
WOGLINDE sich ihm entwindend.
Willst du mich frei'n,
so freie mich hier!
Sie taucht zu einem andern Riff auf.
ALBERICH kratzt sich in den Kopf.
Oh weh! du entweichst?
Komm doch wieder!
Schwer ward mir,
was so leicht du erschwingst.
WOGLINDE schwingt sich auf ein drittes Riff in größerer Tiefe.
Steig nur zu Grund:
da greifst du mich sicher.
ALBERICH hastig hinabkletternd.
Wohl besser da unten!
WOGLINDE schnellt sich rasch aufwärts nach einem höheren Riffe zur Seite.
Nun aber nach oben!
WELLGUNDE UND FLOSSHILDE lachend.
Hahahahaha!
ALBERICH.
Wie fang ich im Sprung[527]
den spröden Fisch?
Warte, du Falsche!
Er will ihr eilig nachklettern.
WELLGUNDE hat sich auf ein tieferes Riff auf der andern Seite gesenkt.
Heia, du Holder,
hörst du mich nicht?
ALBERICH sich umwendend.
Rufst du nach mir?
WELLGUNDE.
Ich rate dir wohl:
zu mir wende dich,
Woglinde meide!
ALBERICH indem er hastig über den Bodengrund zu Wellgunde hin klettert.
Viel schöner bist du
als jene Scheue,
die minder gleißend
und gar zu glatt. –
Nur tiefer tauche,
willst du mir taugen.
WELLGUNDE noch etwas mehr sich herabsenkend.
Bin nun ich dir nah?
ALBERICH.
Noch nicht genug!
Die schlanken Arme
schlinge um mich,
daß ich den Nacken
dir neckend betaste,
mit schmeichelnder Brunst
an die schwellende Brust mich dir schmiege!
WELLGUNDE.
Bist du verliebt
und lüstern nach Minne,
laß sehn, du Schöner,
wie bist du zu schaun? –
Pfui! du haariger,
höck'riger Geck!
Schwarzes, schwieliges
Schwefelgezwerg!
Such dir ein Friedel,
dem du gefällst!
ALBERICH sucht sie mit Gewalt zu halten.
Gefall ich dir nicht,
dich faß ich doch fest!
WELLGUNDE schnell zum mittleren Riffe auftauchend.
Nur fest, sonst fließ ich dir fort!
WOGLINDE UND FLOSSHILDE lachend.
Hahahahaha!
ALBERICH Wellgunden erbost nachzankend.
Falsches Kind!
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