Hedwig Dohm

Was die Pastoren

von den Frauen denken

 

 

 

Hedwig Dohm: Was die Pastoren von den Frauen denken

 

Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Fotografie um 1870

 

ISBN 978-3-8430-8276-1

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9388-0 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9389-7 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck Berlin, Verlag Reinhold Schlingmann, 1872

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 
Zur Frauenfrage, von Philipp von Nathusius
und Herrn Professor der Theologie Jacobi in Königsberg

 

Über jede Frage, die das Interesse der Zeit in Anspruch nimmt, wird heutzutage so unendlich viel geschrieben und gedruckt, dass eine Übersicht schwer fällt und es oft nur der Zufall ist, der einem dieses oder jenes Buch, diesen oder jenen Aufsatz in die Hände spielt.

In stetem Wachsen ist die Literatur über die Frauenfrage begriffen, und auf keinem Gebiete, scheint mir, macht sich die Abgeschmacktheit breiter als auf diesem. Die Gründe dieser Erscheinung zu erörtern, würde mich hier zu weit führen.

Trotz meines vollen, ja leidenschaftlichen Anteils an der Frauenfrage ist mir die Tagesliteratur über dieses Thema fast fremd geblieben, und es war in der Tat nur ein Zufall, der mich mit den Broschüren, denen dieser Aufsatz gewidmet ist, bekannt machte.

Beim Lesen derselben empfand ich Staunen; denn ich begegnete darin Auffassungen, die ich in unserm Jahrzehnt nicht mehr für möglich gehalten hatte.

Wenn ich den vorliegenden Schriften trotz ihrer Trivialität eine kurze Beleuchtung widme, so geschieht es, erstens, weil die Verfasser, streng konservative, fromme Herren, im Großen und Ganzen wohl auch in der Frauenfrage die Anschauungen ihrer einflussreichen Partei vertreten, der Orthodoxen in der Kirche, der Konservativen in der Politik, und zweitens, weil Herr von Nathusius den ganz besondern Wunsch ausspricht, dass man ihn widerlege. Ob sich die Seelen der frommen Pastoren (denn auch Herrn v. N. halte ich für einen Diener Gottes) in freier Wahlverwandtschaft gefunden, oder ob der Eine sein trübes Wasser aus dem Gischtquell des Andern geschöpft hat, das vermag ich nicht zu entscheiden. Selbstverständlich kann in diesem Aufsatz nicht von einer erschöpfenden Widerlegung der beiden Broschüren die Rede sein; die des Herrn v. N. allein ist über 150 Seiten stark. Ich musste mich begnügen, einige hervorspringende Punkte in den Theorien der beiden Herren dem Einblick und dem Urteil der Leser zu unterbreiten.

Wo sich die Verfasser auf religiöses Gebiet flüchten und als Beweisgründe Bibelstellen, als unmittelbare Offenbarungen Gottes, anziehen, da kann ich ihnen weder folgen noch sie verfolgen. Der Tempel war von jeher ein schützendes Obdach für Übeltäter jeder Art.

Herr von Nathusius beginnt sein Werk mit dem Versuch, die Bestimmung des Weibes ausschließlich für die Ehe beweisen zu wollen.

Aus der Fülle der Einleitungsphrasen will ich drei hervorheben, weil sie Herr von Nathusius fast mit allen Gegnern der Frauenbewegung gemein hat, Phrasen, die, kraft männlicher Machtvollkommenheit zu Naturgesetzen gestempelt, die sozial begrenzte Stellung des weiblichen Geschlechts rechtfertigen sollen.

Diese drei Phrasen lauten:

Gleich auf der ersten Seite heißt es: »Das Seelenleben, in welchem die Stärke des Kopfes beim Manne durch die Stärke des Herzens bei der Frau eine Ausgleichung findet zur schönen Ergänzung.«

Wer mit logischem Verstand eine etwas lebhafte Phantasie verbindet, der male sich einmal das Bild einer Gesellschaft aus, in der die Frauen vorwiegend Herz, die Männer vorwiegend Kopf, also Verstand, sind.

Armes Geschlecht voll schauerlicher Einsamkeit! Die Frauen, die den Gedanken der Männer nicht folgen können, die Männer, die nicht im Stande sind, die Zärtlichkeit der Frauen zu erwidern; denn, Herr von Nathusius, was über unsre Verstandeskräfte geht, können wir eben nicht fassen, also auch nicht würdigen, was unser Gefühlsvermögen übersteigt, nicht nachempfinden. Der Überschuss des Herzens der Frau würde dem Manne nur lästig fallen. Wie beim Turmbau zu Babel würden sich die Geschlechter gegenüber stehen. Gott hätte ihre Sprachen verwirrt; keines verstünde das andere.

Diese abgeschmackte Ergänzungstheorie nimmt an, dass durch die räumliche Nachbarschaft eines großen Herzens ein kleines komplett würde, desgleichen der Verstand. Ebenso gut könnte man behaupten, ein großer Mann und eine kleine Frau, oder eine dicke Frau und ein hagerer Mann ergänzten sich.

Aber, wendet man vielleicht ein, es ist mit dieser Ergänzung ja nur gemeint, dass in der Ehe durch den allmählichen gegenseitigen Einfluss der Geschlechter das Herz des Einen und der Kopf der Andern an Kraft und Inhalt gewinnen müssten.

Das kann aus zwei Gründen nicht die Meinung der Ergänzunstheoretiker sein.

Wüchse allmählich Kopf und Herz der Betreff enden, so würde ja, etwa auf der Höhe des Lebens, der Unterschied geschwunden sein und damit die schöne Phrase von der notwendigen Ergänzung sich in nichts auflösen. Und 2) die zu erreichende Höhe jedes organischen Gebildes wird ja durch den Keim, die Naturanlage bedingt. Reifte also der kleine Frauenverstand an der Sonne des männlichen, bis er ihn annähernd erreichte, und ebenso das Herz des Mannes an dem der Frau, so wäre das Naturgesetz umgestoßen die Naturanlage eine gleiche.

Die Ergänzung der Geschlechter besteht nicht darin, dass der Eine von seinem Verstand, die Andre von ihrem Herzen abgibt, sondern einfach darin, dass die Frau des Mannes bedarf und der Mann der Frau – um der Liebe willen nur bei annähernder Übereinstimmung der Herzen und Köpfe gibt es im höheren Sinne eine glückliche Ehe. Im höheren Sinne sage ich, Herr von Nathusius. Denn ein jeder von uns kennt gewiss sogenannte glückliche Ehen, in denen die Frauen hochbegabter Männer an Bildung ihre Köchinnen kaum überragen. Goethe war glücklich mit seiner Christiane. Wer aber hat den Mut, diese Ehe als eine solche zu bezeichnen, die dem wahren und eigentlichen Begriff der Ehe entspricht?

Übrigens spricht die Beobachtung dafür, dass wenig Verstand meist mit wenig Herz gepaart ist. Gerade nach den Anschauungen des Herrn von Nathusius hätte es vielleicht noch eher Sinn, den Männern mehr Herz zuzusprechen. In dem tiefsinnigen Ausspruch (wenn ich nicht irre, der Frau v. Staël): »Les grandes idées viennent du coeur« liegt eine packende Wahrheit.

Ich kann nicht sagen, mit welchem Widerwillen mich die Verlogenheit jener landläufigen Phrasen erfüllt. Selbst der Einfältigste braucht sich nur einigermaßen unbefangen in der Welt umzusehen, um zu gewahren, dass es ungefähr ebenso viel kluge Frauen wie kluge Männer, und dumme Frauen, wie dumme Männer gibt, und dass es sich mit dem Empfindungsvermögen in gleicher Weise verhält.

Die zweite der erwähnten Phrasen ist die von der den Frauen angeborenen Sanftmut und Passivität gegenüber der Charakterstärke des Mannes. Die Lebenszähigkeit dieser Sentenz muss in Erstaunen setzen. Ein Minimum von Beobachtung genügt hier, um zu der Wahrheit zu gelangen, dass die Männer der Gegenwart im Allgemeinen sanfter und milder sind als die Frauen. Nicht als wollte ich damit behaupten, Gott habe jenen eine sanftere Gemütsart verliehen. Ihre größere Milde ist eben eine Folge ihrer höheren Bildung und entwickelteren Intelligenz. Ruhiger milder, voll größerer Selbstbeherrschung zeigt sich stets der Intelligentere. Meint man aber etwa, dass dieselbe Ursache nicht dieselbe Wirkung zu haben brauche, dass Bildung, welche auf die Männer veredelnd wirke, die Frauen erniedrige – und der Verfasser spricht das an verschiedenen Stellen aus, so Seite 78 – warum dann überhaupt die höhere Töchterschule? Zwar weist Herr von Nathusius nicht jeden Unterricht von der Hand, aber nirgends deutet er auch nur die Grenze an, bei welcher die Erniedrigung ihren Anfang nimmt ... beim Rechenunterricht Herr von Nathusius? Wirkt das Erlernen der vier einfachen Spezies günstig auf die Frauennatur, und beginnt die Erniedrigung etwa bei den Brüchen?

Oder beim Schreiben? Ist das Erlernen der Buchstaben zu billigen, das orthographisch richtige Schreiben aber vom Übel?

Herr von Nathusius schwärmt für die Unmittelbarkeit des Weibes, für ihren Instinkt, den sittlichen Instinkt, den die Natur in sie gelegt hat und den sie nur braucht walten zu lassen; er beklagt die armen Weiber, die den Instinkt verloren haben. Ich wünschte Ihnen denn doch nicht, Herr von Nathusius, dass Sie z. B. in Südafrika in öder Gegend Gelegenheit hätten, diesen Instinkt auf die Probe zu steilen bei einer Begegnung etwa mit einigen jungen reichsunmittelbaren Kannibalinnen, zu einer Zeit, wo dieselben in Erwartung ihres Diners an Hunger leiden sollten! Ich fürchte, Herr von Nathusius, der Instinkt würde diese jungen Damen antreiben, Sie, – verzeihen Sie mir die schreckliche Vorstellung – Sie – aufzufressen. Vielleicht würden Sie nachträglich von diesen Menschenfresserinnen sehr günstig und höflich als ein wohlschmeckender Herr rezensiert werden. Aber was hülfe Ihnen das?

Ich habe Männer mit absoluter Sicherheit über die angeborene Sanftmut und Stille des weiblichen Charakters reden hören, und dieselben Männer standen, um es in der plattesten Volkssprache auszudrücken, in lächerlicher Weise unter dem Pantoffel ihrer Xanthippen.

Herr von Nathusius und seine Gesinnungsgenossen meinen aber vielleicht, in unserer Zeit sei der natürliche Charakter des Weibes bereits entartet, in Gärung geraten an der verderblichen Sonne der Zivilisation und das Losungswort in der Frauenfrage heiße: »Umkehr«.

Über den Frauencharakter zur Zeit der Pfahlbauten wissen wir nichts. Aber bleiben wir bei den deutschen Frauen, die als besondern Typus weiblicher Milde und Sanftmut zu betrachten, wir von jeher angehalten worden sind.