Clemens Brentano

Die Schachtel mit

der Friedenspuppe

 

 

 

Clemens Brentano: Die Schachtel mit der Friedenspuppe

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

John William Waterhouse, Psyche öffnet die goldene Schachtel, 1903

 

ISBN 978-3-8430-8372-0

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8619-9424-4 (Broschiert)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden im Herbst 1814. Erstdruck in der Wiener Literaturzeitschrift »Friedensblätter« zwischen dem 3. und 28. Januar 1815.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Ein preußischer Edelmann, dessen Güter dicht an der sächsischen Grenze lagen, hatte ein junges Weib und seine zwei Knaben verlassen, um als Freiwilliger mit mehreren Männern und Jünglingen seiner Herrschaft den Fahnen des Fürsten Blücher von Wahlstadt zu folgen. Er hatte die Schlachten an der Katzbach, bei Leipzig, bei Laon und auf dem Montmartre mitgeschlagen, hatte geholfen, die entführte preußische Viktoria von Paris nach Berlin, heiliger und bedeutender als je, zurückzubegleiten. Die Sache des Vaterlandes war getan, und seiner Verpflichtungen entlassen, kehrte er nach seinem Gute zurück, und fand Weib und Kind, Freunde, Nachbarn und Untertanen liebender, treuer, bewährter und heiterer, als er sie verlassen. Nachdem er die ersten acht Tage seiner Rückkehr ganz seiner Gattin und seinen Kindern gelebt hatte, wendete er seine Aufmerksamkeit auf den Zustand seines Gutes, das, in der Nähe eines Schlachtfeldes liegend, mehrere Brandstätten aufzuweisen hatte. Bei seinen noch durch die Nachwehen vieler angestrengten Kriegsleistungen mannigfach behinderten Glücksumständen nur das Dringendste vermögend, beschloß er zuerst, eine Scheune wiederherzustellen, die niedergebrannt war. Als die Arbeiter alle berufen waren, die ihrem lieben Herrn zum Wiedersehen die Hände drückten, teilte er ihnen die Geschäfte aus, und sein Jäger wies den Zimmerleuten die Stämme im Forste an. Einige Steine, zum Fundamente nötig, schienen schwieriger herbeizuschaffen, denn da jene Gegend durchaus eine Ebene von leichtem Sandboden ist, waren die nächsten Felder um das Schloß seit langer Zeit zu vorkommenden Bauten von allen Steinen abgelesen worden. Sein Amtsbote sagte ihm, daß einige hundert Schritte vor dem Dorfe auf einer kleinen Anhöhe, wo das französische Bivouak gestanden, durch ausgehöhlte Feuerstellen ein großer Steinblock entblößt worden sei. Der Baron begab sich mit dem Amtsboten nach jener Stelle, und fand den entblößtem Stein noch angeschwärzt von dem Feuer der Feldküche jener Feinde, die nie wieder im freien Felde bei uns kochen sollen. Indem er, den Stein anschauend, unwillkürlich ausrief: »Die Flamme ist hinausgefahren, der Ruß ist geblieben!«, bemerkte er in dem Betragen des neben ihm stehenden Amtsboten ein Zucken und ungeduldiges Zurückhalten, und da er ihn deshalb schärfer anblickte, wollte dieser seine Unachtsamkeit hinter einem untertänigen Lächeln verstecken, aber zur großen Verwunderung des Barons sah dieser den schmunzelnden Mund des Amtsboten sich in ganz widernatürliche Lachfalten ziehen; die rechte Wange blieb unbewegt, und die linke, das ganze Lachgeschäft auf sich nehmend, zog den Mund bis zum Ohrläppchen hinauf. »Was Teufel schneidet Er für Gesichter?« sprach der Baron. Worauf der Amtsdiener wieder seine gewöhnliche Amtsmiene annahm, und seinem Herrn antwortete: »Ach, Herr Baron, hier auf der Stelle ist mir die Fatalität geschehen, hier an dem Stein, und darum übernahm mich der Zorn und die Ungeduld, als ich hierher trat, daß es mir in allen Gliedern zuckte. Als die Franzosen hier bivouakierten, war ich im Schlosse ziemlich allein; Weiber und Kinder aus dem Dorfe waren mit dem Vieh in den Wald geflüchtet, die Bauern hatten sich bewaffnet gegen Groß-Beeren gezogen, und ich war zurückgeblieben, um doch das Schloß nicht ganz leer dem Feinde zu überlassen. Sie hatten mich bald erwischt, ich hatte mir den Kopf verbunden und mich krankstellend zu Bette gelegt. Die Türen flogen durch Kolbenstöße auf. Zu plündern war nicht viel, wir hatten alles geflüchtet und vergraben, ich schien ihnen noch das Beste, was sie gefunden. Sie rissen mich aus dem Bette, da war ich bald frisch und gesund; aber die Not ward noch größer, ich sollte einem fatalen kümmerlichen blassen Gesellen, dem der Geiz und die Habsucht aus den Augen sah, tausend Fragen beantworten, die ich nicht verstand, denn er sprach französisch. Er war Sergeant, so nannte ihn sein Geselle, und während dieser, der besser Deutsch zu können glaubte, mein Examen übernahm, und auch nichts weiter vorbrachte als: ›Vor dich Coujon, vor dich Spißbub, vor mich du vin, de l'eau de vie, vor mich du pain, du beurre, poulets, poulets!‹ und ich immer lamentierte: ›Allfort, allfort!‹ schnitt der Sergeant mit dem Säbel die rotseidene Tapete an den Wänden herunter, denn ich hatte mich in die Gerichtsstube gelegt, weil ich da den ganzen Hof übersehen konnte. Ich protestierte gegen die verletzte Tapete, aber er gab mir ein Messer in die Hand, und trieb mich mit den Worten: ›Allons! coupez, Monsieur Allforte!‹ an, mit zu schneiden. Wir waren im besten Schneiden, als er mich etwas von Kosaken fragte, und da ich ihm hierauf antwortete: ›Viel, viel Kosaken!‹, ärgerte er sich, daß ich nicht auch ›Allfort‹ erwidert hatte. Er mußte nun in dem Schlosse nicht mehr recht trauen, und gab, indem er den Rock auszog, dem anderen mehrere Befehle, und ich mußte ihm die Tapete um den Leib herumwinden, wobei er einigemal sagte: ›Kolik, Kolik!‹ Nun gingen sie in den Hof, der sich währenddem mit Soldaten angefüllt hatte, ich mußte folgen. Der Offizier sprach noch etwas von Kosaken, und führte die Schar, die aus höchstens 150 Mann bestand, hierher auf den Hügel, weil hier die Heerstraße zu übersehen ist. Sie hatten bald ihre Einrichtung getroffen. Hier brieten sie einen Hammel am Spieß, und ich mußte den Braten wenden, der Sergeant begehrte wieder allerlei von mir; da ich aber immer ›Allfort‹ erwiderte, faßte er im Zorn mir die Haare hier über dem linken Ohr und riß sie mir mit solcher Gewalt aus, daß mir der Mund schief davon in die Höhe fuhr. Ich fing ein heftiges Geschrei an, und in demselben Augenblick schlug die Flamme aus dem Scheunendach. Einige Franzosen, die mit Licht unter dem Strohdach versteckten Vorrat gesucht, hatten die Scheune angesteckt. Als der Offizier die Flamme sah, wurde er äußerst ergrimmt. Es war Abend, er fürchtete sich, durch sie verraten zu werden, und mit Recht, denn ein Trupp Kosaken, der in der Nähe streifte, zog sich nach der Flamme heran. Es fiel ein Schuß der ausgestellten Vorposten, bald hörten wir Hurrah, und sahen am hellen Schein des Abendhimmels die Spieße der Kosaken vorüberfliegen. Es schien eine große Menge zu sein; die Franzosen waren schnell beisammen, sie eilten dem Walde zu, doch dort drüben am Jägerhaus, wo sie etwas vorsichtiger gingen, weil sie die Stangen von des Jägers Bohnenfeld, das verdächtig gegen den Abendschein abstach, etwa auch für Kosaken hielten, kamen sie in die Mache; es fielen noch einige Schüsse, die Flamme der brennenden Scheune leuchtete über das Feld; ich sah, wie das Getümmel sich in den Wald verlor, und eilte sodann mit mehreren Bauern, welche das Feuer herbeigelockt, die Scheune vollends niederzureißen, damit das Feuer nicht um sich griffe. Bis gegen Morgen waren wir fertig, in der Angst und Arbeit hatte ich die Schmerzen nicht so an meiner Kopfwunde empfunden, am Morgen wurden sie heftig, ich bekam einen Gesichtskrampf, und erst seit die gnädige Frau mir etwas Balsam gegeben, leide ich keine Schmerzen mehr, nur daß mir das Maul beim Lachen so hinauffährt. Das wird mir wohl ewig anhängen! – Wie ich nun mit dem gnädigen Herrn hierher trat, kam mir die ganze Geschichte wieder in die Glieder.« Der Baron gab hierauf dem Amtsboten einen Taler, und bezeugte ihm sein Mitleid, scherzhaft schließend: »Er muß sich des Lachens enthalten und immer eine rechte Amtsmiene machen.«

Chapeau à l'Angoulême au Bouquet de Lys»Ah, la boîte fatale!«