Friedrich Hebbel

Demetrius

 

 

 

Friedrich Hebbel: Demetrius

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Friedrich Pecht, Demetrius, 1859

 

ISBN 978-3-8430-8749-0

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9891-5 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9919-6 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden 1858/1859 und 1863. Erstdruck: Hamburg (Hoffmann und Campe), 1864. Uraufführung, bearbeitet durch Ludwig Goldhann am 10.05.1869, Berlin.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Friedrich Hebbel: Werke. Herausgegeben von Gerhard Fricke, Werner Keller und Karl Pörnbacher, Band 1–5, München: Hanser, 1963.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Vorspiel

Personen des Vorspiels

Der Cardinal-Legat

 

Mniczek, Woiwod von Sendomir

 

Marina, dessen Tochter

 

Demetrius

 

Odowalsky

Poniatowsky, polnische Edelleute

 

Gregory, ein Mönch

 

Maschinka, Marinas Amme

 

Woiwoden, Gefolge des Mniczek

 

Ort der Handlung: Sendomir

 

Zeit: 1605[324]

 

Erste Szene

Odowalsky und Poniatowsky treten auf.

 

ODOWALSKY.

Da geht er wieder hin und grüßt uns nicht.

PONIATOWSKY.

Ist das was Neues? Doch, gerecht zu sein,

Er sah uns dies Mal nicht.

ODOWALSKY.

Das eben ists,

Was mich an ihm verdreußt. Er soll uns sehn.

Für einen heimatlosen Vagabonden

Geziemt sichs nicht, daß er uns nicht bemerkt.

Die Augen auf, mein Herr von Habenichts,

Den Hut herab gezogen, eh ich huste,

Und dann den Blick zur Erde hübsch gekehrt,

Um aufzuheben, was ich fallen ließ!

So sichert sich ein Bettler vor der Knute

Und mehrt dabei im stillen seinen Schatz.

PONIATOWSKY.

Da kannst du lange warten. Falle selbst

Und ruf ihn an, er reicht dir nicht die Hand,

Er sieht sich höchstens um nach deinem Diener

Und das nur, wenn du ihm im Wege liegst.

Schau dort den Mönch! Vor dem Gekreuzigten

In der Kapelle bückt er sich nicht tiefer,

Wie vor dem Junker mit dem Federhut.

Woher es ihm auch immer kommen mag,

Er hat die Art, die manchem König fehlt,

Den Mantel gleich so feierlich zu falten,

Daß er die Stirn nicht mehr zu falten braucht.

ODOWALSKY.

Das wüste Erbteil einer wilden Nacht,

Das einzge, was ihm blieb von seinem Vater,

Und diesen respektier ich gern in ihm,

Wenn ich nur auch die Mutter peitschen darf.

PONIATOWSKY.

Gleichviel, mein Freund! Man sieht nur, daß ers hat,

Und nicht, woher es stammt. Ich glaube selbst,

Daß seine Eltern ohne Papst und Kaiser

Die Hochzeit hielten und am nächsten Morgen

Verschwören könnten, daß sie sich gesehn!

Allein, was gilt die Wette? Tritt mit ihm[325]

In eine Schenke, wo man euch nicht kennt,

Und ruf nach Wein! Mit Diamanten laß ich

Dir die Schabracke sticken, wenn man ihm

Das Glas nicht bringt, das du für dich bestellt!

ODOWALSKY.

Ich zweifle doch!

PONIATOWSKY.

Was auch geschehen mag:

Er schaut darein, als hätte ers befohlen!

Teil Münzen aus, wirf Perlen auf die Straße,

Steht er dabei, so fliegen ihm die Mützen,

Du bist der Marschall, er dein gnädger Herr!

Sieh doch den Mönch nur an! Noch immer blickt er

Ihm nach!

ODOWALSKY.

Wer weiß, warum! Er wird vielleicht

An ein Gesicht erinnert, das er sich

Gemerkt hat, weil es doppelt gibt.

PONIATOWSKY.

Er kommt![326]

 

Zweite Szene

GREGORY tritt auf.

Gelobt sei Jesus Christ!

PONIATOWSKY.

In Ewigkeit!

GREGORY.

Ihr Herrn, verzeiht! Wer war der feine Junker?

ODOWALSKY.

Und wer seid Ihr?

GREGORY.

Dies sagt euch mein Gewand:

Ein armer Mönch, der milde Gaben sammelt!

ODOWALSKY.

Und warum fragt Ihr nach dem jungen Fant,

Anstatt vor uns die Büchse gleich zu schütteln?

GREGORY.

Ei nun, ich mögte wissen, wer er ist.

ODOWALSKY.

Das weiß er selber nicht.

GREGORY.

Ihr spottet mein.

ODOWALSKY.

So viele Namen im Kalender stehn:

Ich zweifle, ob ein einzger ihm gehört.

PONIATOWSKY.

Da schält ihn deine Zunge doch zu scharf,

Das geht ja über Hemd und Haut hinaus! –

Man nennt ihn Dmitri.

ODOWALSKY.

Doch mit welchem Recht?

Warum nicht Iwan oder Feodor?

Er kennt den Priester nicht, der ihn getauft,[326]

Die Kirche nicht, an der der Priester dient,

Und selbst das Dorf nicht, drin die Kirche steht.

GREGORY.

Der feine Junker!

ODOWALSKY.

Ja, mein guter Vater!

Ihr habt, wie's scheint, das Sprichwort nicht erdacht,

Mit dem der Pole einem schlauen Russen

Das Katzenfell zurück gibt auf der Messe,

Wenn ers als Hermelin verkaufen will,

Es heißt: Der Schein betrügt!

GREGORY.

Das Wort ist wahr!

ODOWALSKY.

Von unserm Junker ist nur das gewiß,

Daß er kein Mohr ist, das bezeugt die Farbe,

Doch selbst sein Christentum beschwör ich nicht.

GREGORY.

Wie kommt er denn auf dieses stolze Schloß,

Das, irr ich nicht, dem edlen Woiwoden

Von Sendomir gehört?

PONIATOWSKY.

Bei Nacht und Sturm

Hat ihn ein Mönch als Kind durchs Tor geschmuggelt!

Der hatte ihn, Gott weiß, auf welchem Mist,

Dem Hungertode nah, sich aufgeladen,

Und bat bei allen Wunden unsers Herrn

Für ihn um eine Streu im Pferdestall.

GREGORY.

Unmöglich!

ODOWALSKY.

Mniczek hatte kurz zuvor

Zufällig einen Judenbalg erschossen,

Als er durchs Fenster sein Gewehr entlud,

Und da er überdies betrunken war,

Sprach er aus Reu: Hm! Ja! ich nehm ihn auf.

GREGORY.

Nein! Nein!

ODOWALSKY.

So ists! Marina, seine Tochter,

Bedurft auch just zum Glück des Spielgefährten,

Der auf sich reiten und sich schlagen ließ,

Denn sie war klein und wild!

GREGORY.

Allmächtger Gott!

ODOWALSKY.

Man prüft' ihn dann, wie einen jungen Hund,

Den man behält, wenn er schon Künste kann,

Und betteln könnte er in sieben Sprachen,

Ob auch in einer beten, weiß ich nicht.[327]

GREGORY.

Der Mönch, ihr Herrn –

PONIATOWSKY.

Was ists, das Euch bewegt?

GREGORY.

Nicht ich! Nicht ich! Ein Höh'rer sag euch das!

 

Ab.

 

ODOWALSKY.

Was hat der alte Narr?

PONIATOWSKY.

Ich weiß es nicht,

Doch er bestätigt alles, was ich sagte!

Wenn er von unserm König Siegismund

Erführe, daß er ein Zigeuner sei,

Er könnte kaum so seltsam sich gebärden,

Als da er hörte, wer der Junker ist.

ODOWALSKY.

Da wird es Zeit, die Münze umzuprägen,

Und heut noch solls geschehn!

PONIATOWSKY.

Was hast du vor?

ODOWALSKY.

Beschimpfen will ich ihn!

PONIATOWSKY.

Doch wie und wo?

ODOWALSKY.

Was er auch tut, – ich packe ihn dabei,

Und ob er betet, mir genügts als Grund!

 

Beide ab.[328]

 

Dritte Szene

MASCHINKA tritt auf.

Heut paß ich ihm zum letzten Male auf!

Man glaubt schon von den Kindern Last zu haben,

Wenn man sie füttert und vor Beulen schützt,

Doch das ist alles eitel Zeitvertreib,

Die Plage kommt erst, wenn sie älter werden.

»Ich bitt dich, Mutter, sag ihm, ich sei krank,

Wenn er dich fragt, warum man mich nicht sieht,

Und merk auf sein Gesicht, ich stick indes

Für ihn die Schärpe fertig, die du kennst,

Und geh nicht vor die Tür.« Ja, wenn er fragt!

Doch wenn er schweigt? Es sind nun sieben Tage,

Und er verlor kein Wort an mich, ihm sitzt

Der dumme Falke immer noch im Kopf,

Der sich verflogen hat. Nun hat sie mich

Behängt mit ihren Kleidern, weil sie glaubt,

Daß er sie kennen wird. Ich glaubs zwar nicht,

Allein sie bat mit Tränen in den Augen

Und schwur mir, daß sie, wenn er noch nicht frage,[328]

Sein Roß mit ihrer Schärpe schmücken wolle,

So ließ ichs denn geschehn. Da kommt er her.[329]

 

Vierte Szene

DEMETRIUS tritt im Jagdkleid auf, er will vorübergehen und bemerkt Maschinka nicht.

MASCHINKA tritt ihm in den Weg.

Ei, guten Morgen!

DEMETRIUS.

Guten Morgen, Mutter!

Ist deine Herrin auf?

MASCHINKA.

Was gehts dich an?

Dir wird sie ihren Traum wohl nicht erzählen,

Wenn sie sich ihn nicht selber deuten kann!

DEMETRIUS.

Wie unwirsch! Aber sprich!

MASCHINKA.

Hat sie vielleicht

Ein Roß bestellt, das du ihr bringen sollst?

DEMETRIUS.

Das ist der Diener Sache.

MASCHINKA.

Guter Gott,

Wir dienen alle, und der Federbusch

Macht keinen Unterschied, der wird zur Ehre

Des Herrn getragen, nicht zur eignen Zier!

DEMETRIUS.

Wir setzens morgen fort!

MASCHINKA.

Warum nicht heut?

Was sagt ich doch? Ja! Diener sind wir alle,

Und Diener müssen fein zusammenhalten

Und es nicht treiben, wie das dumme Vieh,

Das sich im Stall beständig stößt und beißt

Und eins das andere zur Schlachtbank hetzt.

Es ist kein Zufall, daß der Kellermeister

Den Koch am liebsten zu Gevatter bittet,

Das macht die Taufe billig.

DEMETRIUS.

Alte Hexe,

Was soll das mir?

MASCHINKA.

Schmeckt dir mein Wermut nicht?

Nimm ihn nur ein, der Kranke kennt das Fieber

Nur selten, das in seinen Knochen nagt,

Allein, er traut dem Arzt und wird gesund.

So höre auf mein Wort, ich mein es gut.[329]

Du frugst mich eben nach der Palatina

Und machst dir mehr, als not, mit ihr zu schaffen,

Nimm dich in acht!

DEMETRIUS.

Warum?

MASCHINKA.

Ich weiß gar wohl,

Warum dus tust, du denkst schon an den Tag,

An dem sie sich vermählt und willst dir zeitig

Durch sie die Gunst des edlen Gatten sichern –

DEMETRIUS.

Weib, Weib, du denkst doch, wie ein Spatz!

MASCHINKA.

Das ist

Auch richtig, wen die Braut zuerst empfiehlt,

Dem wird das reichlichste Geschenk zuteil,

Und du mußt deine eigne Hochzeit einst

Von dem bestreiten, was dir ihre trägt,

Doch treibst dus unvorsichtig!

DEMETRIUS.

Weiter! Weiter!

Der Spaß wird lustig!

MASCHINKA.

Deine Blicke sind

Zuweilen etwas kühner, als ein Freier

Gestatten dürfte!

DEMETRIUS.

Meine Blicke gelten

Der Spielgefährtin, die's noch nicht vergaß,

Wie oft ich sie durchs Wasser trug.

MASCHINKA.

Ich weiß!

Doch solch ein stolzer, hochgeborner Herr

Ist ungestüm und rasch in seinem Zorn

Und fragt nicht erst beim Geometer an,

Ob du die Grenze eingehalten hast.

DEMETRIUS.

Was folgt daraus?

MASCHINKA.

Im besten Fall ein Stoß,

Der einen reinen Degen schmutzig macht,

Im schlimmsten –

 

Sie macht die Bewegung des Schlagens.

 

DEMETRIUS.

Vettel, du wirst unverschämt.

MASCHINKA.

Wie nennst du mich?

DEMETRIUS.

Wie dus verdienst! Ich griffe

Zur Peitsche, wärst du nicht so alt!

MASCHINKA.

Zur Peitsche?[330]

 

Fünfte Szene

MARINA tritt auf.

Was gibts? Du bist erhitzt, mein Mütterchen,

Wer hat dich so in Zorn gebracht? Der Marder?

Hat er dein bestes Huhn gewürgt und schiltst du

Den Junker, daß er keine Fallen stellt?

Das ist auch wirklich schlecht!

MASCHINKA.

Der Fallen stellen!

Der Marder jagen!

MARINA.

Ist die Zeit vorbei?

Ei wohl, die Bären laufen jetzt vor ihm!

Doch, denk ich, wird er dir noch immer helfen,

Das Ei, das dir ein böses Huhn verlegt,

Für deine magre Küche beizutreiben,

Und wenn auch nicht aus Dank für deine Bissen,

So doch, weil man in einer alten Scheune,

Die man durchkriecht, so leicht den Hals sich bricht.

Nicht wahr, Demetrius? Wenn alles kracht,

Und unten jemand steht, der für uns zittert,

Das ist so gut, wie eine Bärenhatz.

DEMETRIUS.

Es zittert keiner mehr für mich!

MASCHINKA.

Der Lügner!

Er weiß recht wohl!

MARINA.

Ja, das ist undankbar!

Maschinka läßt den Eierkuchen fallen,

Wenn ihre Katze einen Sprung versucht,

Und soll nicht zittern, wenn ihr Pflegling klettert.

Mein Mütterchen, jetzt seh ich endlich ein,

Wie recht du hast, die Welt so arg zu finden

Und dich zu sehnen nach dem Jüngsten Tag.

MASCHINKA.

Ach!

MARINA.

Gilt es Ernst? Da halt ich gleich Gericht.

Wo ist ein Stuhl? Verklagter hole einen,

Das sei die Strafe seines bösen Leumunds,

Praesumptio ist immer gegen ihn.

Ja, ja, ich kann Latein! Auch hab ich mir

Die Miene wohl gemerkt, womit mein Vater

Am weitsten bei mir kam, wenn er mich schalt,[331]

Und werde Reu und Leid zu wecken wissen!

Das Leugnen hilft dem Sünder hier zu nichts,

Er ist bekannt, er hat sich einst sogar

An unsrer eigenen Person vergriffen

Und uns an unserm langen Haar gezupft.

Es war den Tag, wir merktens uns genau,

An dem wir unsre vielgeliebte Puppe

Verstießen, und wir nahmens gleich als Strafe

Der Grausamkeit und habens still verziehn.

Doch immer zeigte es ein arges Herz,

Und Klägerin wird gläubge Ohren finden,

Wenn der Beweis ihr auch nur halb gelingt.

So sprich, was gibts? Mit Olga stehts doch wohl?

MASCHINKA.

Du fragst doch noch! Der sah sie sieben Tage

Schon nicht und hat es nicht einmal bemerkt.

MARINA.

Ich auch nicht, Mütterchen!

MASCHINKA.

Du hast das Recht,

Du bist des ersten Woiwoden Tochter

Und zeigst dich uns schon gnädig, wenn du nicht

Den Küster schiltst, der dich im Schlummer stört,

Weil er uns in der Früh zu Grabe läutet,

Und wenn du dem, der uns verscharren will,

Die Zeit vergönnst, die dazu nötig ist.

MARINA.

Maschinka!

MASCHINKA.

Willst du beide überdies

Für ihre Müh durch einen Trunk belohnen,

So sollst du doppelt mir gesegnet sein!

Doch dieser, der im nächsten Türkenkrieg

Erst Arm und Bein gelassen haben muß,

Bevor dein Vater einen Kastellan

Und einen Torwart aus ihm machen kann,

Ja, dieser, dächt ich, könnt es wohl bemerken,

Wenn meine Olga sieben Tage fehlt.

Das arme Kind hat täglich nachgefragt

Und wird zuletzt noch wirklich krank. Was red ich?

Zuletzt wirds noch gefährlich, wollt ich sagen,

Weil sie sich ärgert, daß der Hochmut hier

Den Falken gleich vermißt, der sich verfliegt,[332]

Doch sie in sieben langen Tagen nicht!

Heut morgen zog ich Kleider von ihr an,

Als hätt ich sie beerbt, dies Tuch hier ist

Von ihr, und auch die Schürze! Doch, was halfs?

MARINA.

Verteidigt Euch, Demetrius!

DEMETRIUS.

Sie sagt

Die Wahrheit. Ja, ich habe ihre Olga

In diesen sieben Tagen nicht vermißt

Und kann auch sieben Jahre sie entbehren!

MASCHINKA.

Kannst du? Ei wohl! Hier steht die Palatina,

Und die ist freilich vorzuziehn. Darf ich

Sogleich die Werbung machen? Fürstin, schau,

Du hast die Huld und Gunst so vieler Jahre

An diesen Edelmann nicht weggeworfen,

Er reicht dir jetzt zum Dank dafür die Hand!

 

Ab.[333]

 

Sechste Szene

MARINA ihr nach.

Nicht doch! Er hält durch mich um Olga an!

DEMETRIUS.

Marina, keinen Hohn! Ich kenne mich

Und kenne dich und werd in meinem Traum

Viel eher noch an einem Regenbogen

Den Sternenhimmel zu erklettern suchen,

Als mir aus eitlen Hoffnungen die Brücke

Erbaun, die mich hinüber führt zu dir!

MARINA.

Wie feierlich für einen halben Bruder!

DEMETRIUS zieht eine Schleife hervor.

Hier ist die Schleife, die dir jüngst entfiel,

Du hast es nicht bemerkt, ich hob sie auf,

Damit sie nicht im Staub zertreten würde,

Doch fürchte nichts, sie wurde nicht befleckt,

Ich habe keinen Kuß darauf gedrückt,

Ich hab sie nicht auf meiner Brust verwahrt,

Denn ich bin viel zu stolz in meinem Sinn,

Mir gegen deine Schleife zu erlauben,

Was ich nicht wagen dürfte gegen dich!

 

Reicht sie ihr.[333]

 

MARINA.

Behalt sie nur!

DEMETRIUS.

Als rotes Band, nicht wahr?

Es sei! Sowie ich dir den Hänfling fange,

Bringt er es dir an seinem Hals zurück,

Das hab ich gleich beschlossen, als ichs fand,

Doch sind die Sprenkel auch noch heute leer.

MARINA.

Du wunderlicher Mensch!

DEMETRIUS.

Ich bin nun so!

Ich setz mich lieber auf die nackte Erde,

Als auf den Stuhl des Bauern, trinke lieber

Aus hohler Hand, als aus dem Napf des Knechts,

Und such mir lieber Beeren für den Hunger,

Als daß ich schwelge, wo der Bettler zecht! –

Marina, laß mich deine Locken küssen!

 

Er tritt auf Marina zu.

 

MARINA weicht zurück.

Du meinst, sie zürnen noch von ehmals dir?

Nicht doch, sie haben keinen eignen Willen,

Sie mußten mit verzeihn, als ich verzieh.

DEMETRIUS.

Was mahnst du mich an diesen Knabenstreich!

Und doch, ich danke dirs. Wer mich verklagt,

Gibt mir das Recht, mich zu verteidigen.

So hör denn, was ich dir zu sagen habe,

Du kennst die Missetat, doch nicht den Grund.

MARINA.

Ich bin bereit, den strengen Spruch zu mildern,

Wenn dieser Grund die Schuld verringern kann.

DEMETRIUS.

Als ich an jenem Morgen bei dir stand –

MARINA.

Was für ein Morgen wars? Was sichert ihm

Den Platz in unserm christlichen Kalender?

Ich weiß nun schon! Mein Abschied von der Puppe,

Wir zeigten unser mannhaft-starkes Herz.

DEMETRIUS.

Ich weiß nicht, wie mir ward –

MARINA.

Es ist zu lange!

DEMETRIUS.

Mich faßte die unsäglichste Begier,

Dich zu berühren, doch mir fehlte plötzlich

Der Mut, die Hand noch einmal zu ergreifen,

Die ich im Spiel schon tausend Mal ergriff –

MARINA.

Natürlich! Wenn ein Mädchen seine Puppe

Verschenkt, gebietets auch Respekt! Du konntest[334]

Nicht ahnen, daß ichs gleich nachher bereute

Und mich noch sehnte nach dem letzten Kuß.

DEMETRIUS.

Ich schlich mich hinter dich und wickelte

Die Hand in deine Locken –

MARINA.

Damals nanntest

Du sie noch Haare, oder wurden sie

An jenem großen Morgen umgetauft?

DEMETRIUS.

Ich drückte sie und hatte ein Gefühl,

Als könnten sie, wie Finger, wieder drücken –

MARINA.

Und ich, ich stand geduldig still?

DEMETRIUS.

Du blicktest

Dem Kinde nach, das fröhlich mit der Puppe

Von dannen hüpfte –

MARINA.

Voll von Reu und Schmerz.

DEMETRIUS.

Auf einmal flog von einer Rosenhecke

Ein Schmetterling empor –

MARINA.

Weiß oder rot?

DEMETRIUS.

Dem sprangst du plötzlich nach, bevor ichs ahnte

Und deine Locken ließ, und tatst dir weh.

MARINA.

Und warum wird mir alles dies erst heute

Vertraut und nicht in jener schweren Stunde,

Wo ich Maschinka rief und sie dich schalt?

DEMETRIUS.

Die Scham verschloß des Knaben Mund, ich hätte

Mich eher züchtgen lassen, als bekannt.