Henriette Wich

Tatort Filmset

Kosmos

Umschlagillustration von Natascha Römer-Osadtschij, Schwäbisch Gmünd

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© 2010, 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-440-13673-7

Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Überraschung beim Abendessen

»Mensch, Marie! Du hast gesagt, es gibt ein kleines Abendessen.« Kim stand in der Tür zur Penthousewohnung und sah ihre Freundin vorwurfvoll an.

Franzi grinste. »Hätten wir uns eigentlich denken können, dass das bei Marie ein Geheimcode ist für: Ich lege meinen Christbaumschmuck an.«

»Ihr übertreibt mal wieder schamlos«, kicherte Marie. Mit einem Seitenblick in den Spiegel überprüfte sie ihr Styling, für das sie insgesamt zweieinhalb Stunden gebraucht hatte, Duschen nicht eingerechnet. Der Aufwand hatte sich gelohnt. Passend zum kleinen Abendessen trug Marie ein kleines Schwarzes mit Spaghettiträgern und Spitze am Saum. Ihre Füße steckten in High Heels, am rechten Handgelenk klimperte ihr silbernes Bettelarmband und an den Ohren blinkten Ohrhänger in Tropfenform.

»Essen wir hier draußen im Flur oder dürfen wir reinkommen?«, fragte Franzi halb amüsiert, halb genervt. Sie mochte Marie, aber ihr Kleidertick war ganz schön anstrengend. Besonders wenn Marie den Detektivclub Die drei !!! mit einem Modeclub verwechselte.

»Natürlich dürft ihr reinkommen!«, sagte Marie. »Schön, dass ihr da seid.« Sie begrüßte Kim und Franzi mit Küsschen und hinterließ auf den Wangen ihrer Freundinnen einen Hauch Maiglöckchenparfüm. »Auf der Dachterrasse ist es leider schon zu kühl. Deshalb habe ich am Esstisch im Wohnzimmer gedeckt. Aber den Aperitif nehmen wir am besten auf dem Sofa. Papa kommt gleich.« Marie stöckelte lächelnd voraus.

Kim seufzte. Am liebsten wäre sie gleich wieder nach Hause gefahren, um Jeans und Strickpulli gegen ein Kleid zu tauschen, aber dafür war es jetzt zu spät. Wenn Helmut Grevenbroich, der berühmte Hauptkommissar Brockmeier in der Vorabendserie Vorstadtwache, sie zum Abendessen einlud, durften sie ihn nicht warten lassen. Marie hatte es gut: Ihr Vater trug seine einzige Tochter auf Händen und las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Kim dagegen musste sich mit zwei nervigen Zwillingsbrüdern und einer überängstlichen Mutter herumschlagen, die ständig ihre Hausaufgaben kontrollierte.

Franzi streckte sich auf dem weißen Ledersofa aus und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Im Kerzenlicht wirkte das Wohnzimmer wie der Eingangsbereich eines Fünf-Sterne-Hotels: matt schimmerndes Parkett, Orientteppiche, ein riesiger Fernseher mit Flachbildschirm und als Highlight ein schwarzer Konzertflügel.

»Herzlich willkommen! Es ist mir eine große Ehre, die berühmtesten Detektivinnen der Stadt in meinem bescheidenen Zuhause begrüßen zu dürfen.« Helmut Grevenbroich kam mit einem Tablett herein. Er trug ein gelbes Polohemd zur schlichten schwarzen Hose. Wenn man nicht genau hinsah, hätte man ihn für Maries älteren Bruder halten können. »Na, wie wär’s mit einem erfrischenden Passionsfruchtsaft?«, fragte er.

»Klingt super«, sagte Kim.

Maries Vater verteilte die Gläser und prostete den Mädchen zu. »Auf die drei !!!. Ich wünsche euch, dass ihr ganz bald euren nächsten Fall an Land zieht!«

»Auf die drei !!!«, riefen Kim, Franzi und Marie.

Es klirrte leise, als sie anstießen. Der eiskalte Saft schmeckte herrlich exotisch. Marie warf ihrem Vater einen Luftkuss zu. Hoffentlich hatte er recht. Seit der Clubgründung hatten die drei !!! schon 25 Fälle gelöst, aber Marie würde wohl nie genug bekommen. Sie liebte den Nervenkitzel, wenn sie Verbrechern hinterherjagten, auf Spurensuche gingen oder sich verkleideten, um dem Täter eine Falle zu stellen. Trotzdem hatte sich Marie noch nicht entschieden, ob sie später Detektivin oder lieber Schauspielerin oder Sängerin werden sollte.

»Ich habe Auberginen-Auflauf gemacht«, verkündete Helmut Grevenbroich.

Kim fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Hmmm, lecker!« Maries Vater war berühmt für seinen Auberginen-Auflauf. Nun war Kim doch froh, dass sie ihre Wohlfühljeans anhatte. Sie wusste jetzt schon, dass sie sich eine doppelte Portion gönnen würde.

Herr Grevenbroich verschwand in Richtung Küche. Wenig später kam er mit einer großen Auflaufform zurück. Kim, Franzi und Marie wurden von dem köstlichen Duft nach Tomaten, Kräutern und Käse wie magisch angezogen. »Ich habe das Gericht übrigens erweitert«, erzählte Maries Vater. »Ihr habt mir doch aus Berlin das Rezept von Sylvies Freund Sven mitgebracht. Sein Trick sind geröstete Pinienkerne und frische Basilikumblätter.«

Kim lief das Wasser im Mund zusammen. »Genial!« Sie dachte gern an Sylvie. Die Schauspielschülerin hatte den drei !!! in Berlin bei den Ermittlungen geholfen. Damals hatte sie kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung gestanden. Wie es ihr jetzt wohl ging?

»Ach, Marie, bist du so lieb und holst noch zwei Teller?«, bat Herr Grevenbroich.

»Warum das denn?«, fragte Marie verwundert. »Erwartest du noch jemanden?«

Ein geheimnisvolles Lächeln spielte um die Lippen ihres Vaters. »Ich habe zwei Überraschungsgäste eingeladen. Eigentlich müssten sie längst hier sein.«

Kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen, klingelte es an der Haustür. Marie sprang auf und stöckelte trotz High Heels in erstaunlicher Geschwindigkeit aus dem Wohnzimmer. Kurz darauf hörten Kim und Franzi einen spitzen Schrei. »Helga, Tom! Kommt doch rein.«

Helga? Tom? Kim und Franzi sahen sich fragend an. Die Namen kamen ihnen irgendwie bekannt vor. Als die Gäste im Wohnzimmer erschienen, waren Kim und Franzi sofort im Bilde. Die zierliche rothaarige Frau mit den lebhaften Augen war Helga Meister, die Produzentin der Vorstadtwache. Und Tom Ring, der hochgewachsene sympathische Mann neben ihr, schrieb die spannenden Drehbücher zur Serie. Kim und Franzi hatten die zwei bei einer Dachterrassenparty von Maries Vater kennengelernt.

Herr Grevenbroich begrüßte seine langjährigen Freunde. »Herzlich willkommen! Bitte setzt euch. Kim und Franzi, Maries Detektivkolleginnen, kennt ihr ja schon.«

»Und ob«, sagte Tom. »Erst neulich wart ihr drei wieder in der Zeitung. Ihr seid ganz schön erfolgreich, was?«

»Unsere Vorstadtwachen-Krimis sind alle frei erfunden, aber ihr jagt echte Verbrecher. So was könnte ich nie. Ich würde mir vor lauter Angst in die Hosen machen.« Helga lachte und zeigte dabei ihre kleinen, weißen Zähne.

Das Lob ging runter wie das Olivenöl des Auberginen-Auflaufs. Marie strahlte. »Ach, das ist alles halb so wild.« Im Gegensatz zu Kim, die rot wurde, weil sie nicht gern im Mittelpunkt stand, genoss Marie Komplimente jeglicher Art nach dem Motto: Mehr ist mehr!

Franzi blieb als Einzige cool und konzentrierte sich aufs Essen. Auch Helga Meister und Tom Ring schlemmten jetzt genüsslich. Es dauerte keine zehn Minuten, da war die große Auflaufform bis auf den letzten Krümel leer gekratzt.

Kim rieb sich stöhnend den Bauch. »Bin ich satt! Noch eine Gabel und ich platze.«

»Wie schade!«, sagte Herr Grevenbroich. »Es gibt nämlich Vanillepudding mit Himbeeren als Dessert.«

Bei der Erwähnung ihres Lieblingsnachtischs leuchteten Kims Augen. »Ich glaube, einen Nachtisch schaffe ich noch.«

Marie und Franzi grinsten sich an. Typisch Kim! Bei süßen Leckereien konnte sie nicht widerstehen. Kim behauptete immer, sie brauche die Süßigkeiten als Nervennahrung. Dem konnten Marie und Franzi nicht widersprechen. Schließlich war Kim der Kopf der drei !!!, ausgesprochen clever und ein Ass in Sachen Technik und Computer.

Der Nachtisch war genauso schnell verputzt wie die Hauptspeise. Helga Meister tupfte sich die Mundwinkel mit der Serviette ab. »Dürfen wir Marie nun die große Neuigkeit erzählen?«, fragte sie geheimnisvoll.

»Natürlich«, sagte Herr Grevenbroich.

Marie platzte fast vor Neugier. »Was für eine Neuigkeit? Worum geht es?«

»Du weißt ja, dass in den Herbstferien eine neue Folge der Vorstadtwache gedreht werden soll«, fing die Produzentin an. »Diesmal brauchen wir mehr Komparsen als sonst. Wenn du Zeit und Lust hast, eine kleine Rolle zu übernehmen, würden wir uns sehr freuen.«

»Und ob ich Lust habe!« Marie fiel Helga um den Hals. Seit ewigen Zeiten hatte sie von solch einem Angebot geträumt. Jetzt ging es endlich in Erfüllung.

»Was ist das für eine Rolle? Was muss ich machen? Wo drehen wir? Wann geht es genau los?« Die Fragen sprudelten wie ein Wasserfall aus Maries Mund.

Tom Ring lachte. »Heute Abend geht es noch nicht los, so viel steht schon mal fest.«

Maries Wangen glühten. Sie blickte in die Runde und stellte überrascht fest, dass Kims und Franzis Lächeln angestrengt wirkte. Waren ihre Freundinnen etwa neidisch? Marie konnte sich keinen Grund dafür vorstellen. Kim bekam schon Lampenfieber, wenn sie einen Scheinwerfer aus hundert Metern Entfernung sah, und Franzi hatte mit dem Showbiz auch nichts am Hut. Sie spielte mit dem Gedanken, später mal Tierärztin zu werden wie ihr Vater.

»Hey, was ist los?«, fragte Marie. »Ihr freut euch ja gar nicht!«

»Doch, doch …«, sagte Kim schnell, klang jedoch alles andere als begeistert.

Franzi nickte mechanisch wie der Wackeldackel ihrer Oma, der einen Ehrenplatz auf der Ablage im Auto hatte. »Das ist eine tolle Chance für dich. Gratuliere!«

Marie schwieg beleidigt. Eigentlich hatte sie mit einer zweiten Runde Saft auf die große Neuigkeit anstoßen wollen. Darauf würden ihre Freundinnen wohl verzichten müssen.

Da räusperte sich Tom Ring. »Entschuldigt bitte! Kim, Franzi, ihr seid natürlich am Set jederzeit willkommen. Ihr dürft zusehen, sooft ihr möchtet.«

»Echt?« Franzis Mundwinkel wanderten sofort nach oben. »Ich hab übrigens schon mal als Lichttechnikerin ausgeholfen, beim Sommerfestival Junge Bühne in Berlin.«

Kim nickte eifrig. »Und ich war dort Kostüm- und Maskenbildnerin. Also falls mal Not am Mann sein sollte … oder an der Frau …« Kim wurde verlegen. »Wir helfen gerne aus.«

»Gut zu wissen«, sagte Helga Meister.

»Die drei !!! am Filmset!«, rief Marie. »Das wird genial.«

Die Detektivinnen klatschten sich gegenseitig ab. Jetzt waren alle rundum glücklich.

»Interessiert es euch gar nicht, worum es in der Folge gehen wird?«, fragte Maries Vater.

»Doch, klar!«, sagte Marie. »Erzähl!« Ungeduldig zupfte sie an seinem Hemd.

Herr Grevenbroich schüttelte den Kopf. »Das soll Tom machen. Er hat das Drehbuch geschrieben. Kompliment übrigens, Tom! Ich finde, es ist dein bestes Drehbuch.«

Tom Ring lächelte geschmeichelt. »Freut mich, dass es dir gefällt. Also: Der Krimi spielt am Hafen. Helmut alias Hauptkommissar Brockmeier muss einen Mord im Drogenmilieu aufklären. Eine Drogendealerin wird samt Auto tot aus dem Hafenbecken gefischt. Ich muss euch schon mal vorwarnen: Die ›Leiche‹ wird richtig gruselig aussehen.«

Über Maries nackte Schultern lief eine Gänsehaut. In dem Thriller, den sie in den letzten Sommerferien verschlungen hatte, kam auch eine Wasserleiche vor. Die Beschreibung war der reinste Horror: Gesicht und Körper aufgedunsen, hervorquellende Augen, Haare und Fingernägel, die sich bereits teilweise ablösten … Marie schüttelte sich vor Ekel.

»Kein Problem! Wir wissen ja, dass die Leiche nicht echt ist.« Franzi klang betont munter. Nur Kim und Marie merkten, dass sie längst nicht so abgebrüht war, wie sie vorgab.

Kim versuchte ihr Gruseln zu verdrängen, indem sie überlegte, wie aufwendig es wohl sein mochte, jemanden in der Maske so perfekt zu schminken, dass er wie ein Toter aussah.

Tom Ring erzählte inzwischen weiter: »Marie wird mit anderen Komparsen eine sensationslustige Passantin am Tatort sein. Sie soll mit ihrem Handy Fotos von der Leiche knipsen, bis sie von der Polizei weggedrängt wird.«

»Cool!«, sagte Marie. »Das kriege ich hin.« Sie tastete nach dem Handy in ihrer Tasche, eins der großzügigen Geschenke ihres Vaters mit Touchscreen, GPS, Internet und allen Schikanen. Ein Leben ohne dieses Teil konnte sie sich überhaupt nicht mehr vorstellen. Von daher war sie die perfekte Besetzung für die Rolle.

»Zum ersten Mal stehe ich zusammen mit meiner Tochter vor der Kamera«, sagte Helmut Grevenbroich stolz. »Darauf müssen wir anstoßen. Ich hab eine Flasche extraguten Rotwein aufgemacht. Und für euch wieder einen Passionsfruchtsaft?«

»Das wäre super«, sagte Kim. »Warten Sie, ich helfe Ihnen.«

Kurz darauf klirrten sechs Gläser aneinander. Helga und Tom lobten den ausgezeichneten Wein und fingen an, über technische Details der Dreharbeiten zu plaudern. Marie unterdrückte ein Gähnen. Eine Weile hörten die drei !!! noch höflich zu, dann ließen sie die Erwachsenen allein und zogen sich in Maries Zimmer zurück.

Marie ließ sich in die Polster ihres gemütlichen Sofas sinken. »Kneift mich mal! Ich kann’s immer noch nicht glauben … autsch! Doch nicht so fest, Franzi!«

»Ich kann auch noch fester zwicken«, sagte Franzi ungerührt.

»Oder sollen wir dich durchkitzeln?« Kim setzte eine unschuldige Miene auf.

»Nein, nicht!«, protestierte Marie, da stürzten sich ihre Freundinnen schon kreischend auf sie. Marie hatte nur eine Chance, die Kitzelattacke zu überstehen. Sie strampelte so lange mit Armen und Beinen, bis sie sich endlich befreit hatte. »Das reicht«, keuchte sie. »Ich hab’s begriffen. In zwei Wochen spiele ich bei der Vorstadtwache mit. Und ihr seid dabei, um mir die Daumen zu drücken.«

»Falls wir nicht gerade mit anderen wichtigen Dingen beschäftigt sind«, schränkte Franzi ein. »Zum Beispiel mit dem Licht oder den Kostümen.«

Kim setzte sich neben Marie aufs Sofa. »Oder mit Recherchen. Wir können uns sicher jede Menge Anregungen für unsere Detektivarbeit holen. Vielleicht bekomme ich auch wieder Lust, an meinem Kurzkrimi weiterzuschreiben.«

Marie verschränkte die Hände im Nacken. Ihr Bettelarmband klirrte, als sie träumerisch zum Fenster hinaussah. In ihrer Fantasie machte sie eine Zeitreise in die Zukunft. In fünf Jahren schritt sie auf einem Filmfestival über den roten Teppich. Als Nachwuchsstar der Vorstadtwache räumte sie einen Preis nach dem anderen ab. Ein Reporter stürmte auf sie zu und fragte, wie alles angefangen hätte. Marie antwortete bescheiden: »Zuerst hatte ich nur eine kleine Rolle als Komparsin …«

»Hallo, jemand zu Hause?« Kim wedelte mit einer Zeitschrift vor Maries Gesicht herum. »Gib’s zu, du träumst gerade von Jo«, sagte Franzi. »Oder von Adrian, obwohl er viel zu alt für dich ist. Oder doch von Leonard? Bei dir komme ich immer durcheinander, weil du so viele Eisen im Feuer hast.«

Marie trat gegen Franzis Schienbein. »Du liegst völlig falsch. Ich habe gerade überlegt, wie ich meine Komparsenrolle ausbauen könnte. Ich könnte zum Beispiel mit einem Freund am Tatort sein und wir springen beide über die Absperrung …«

»Gute Idee«, sagte Kim. »Leonard wäre sicher begeistert …«

Marie wurde rot. »Hört endlich auf mit Leonard! Seit dem Rock Camp haben wir uns nicht gesehen. Ich weiß nicht mal, wo er wohnt. Im Internet stand auch nichts über ihn. Da war nur dieses süße Foto vom Abschlusskonzert …«

»Aha!« Franzi kicherte. »Ich liege also völlig falsch. Verstehe.«

Marie verdrehte die Augen. »Tust du auch. Ich bin völlig frei und unabhängig. Ein bisschen Flirten wird ja nicht verboten sein. Apropos flirten: Wie läuft es eigentlich zwischen dir und Tom Jeremias? Du hast dir ja den erfolgreichsten Sänger des Rock Camps geschnappt.«

Jetzt war Franzi an der Reihe, rot zu werden. »Äh … also wir mailen uns fast jeden Tag«, gab sie zögernd zu. Wenn Franzi an Tom dachte, kribbelte es in ihrem Bauch, als ob sie zu viel Cola getrunken hätte. Aber das würde sie Marie garantiert nicht auf die Nase binden. Schnell gab sie den Ball an Kim weiter. »Und du und Michi? Seid ihr immer noch das Traumpaar?«

»Du, bei uns ist so weit alles in Ordnung«, sagte Kim und zupfte einen Fussel von ihrem Pulli.

»Oh, oh …«, unkte Marie. »Du klingst, als würdest du von deinem Computerprogramm erzählen. Tröste dich, bei einer Dauerbeziehung ist das ganz normal. Da kann schon mal Routine aufkommen. Brauchst du Tipps, wie du eure Beziehung auffrischen kannst?«

»Nein danke, kein Bedarf«, lehnte Kim ab. »Wenn wir den nächsten Fall an Land ziehen, kannst du deine Tipps gerne anbringen.«

Marie war so gut drauf, dass sie Kim die spitze Bemerkung nicht krummnahm. »Alles klar, mach ich!«

Marie im Filmfieber

Marie hüpfte wie ein Flummi über das Gelände der Filmstadt. »Endlich kann ich euch alles zeigen! Es gibt vier große Hallen. Hier vorne in Halle 1 ist der Lokalsender der Stadt untergebracht. In Halle 2 werden die Daily Soaps gedreht. Und in Halle 3 dort drüben sind die Innenkulissen der Vorstadtwache. Kommt, gehen wir rein!«

Das ließen sich Kim und Franzi nicht zweimal sagen. Von außen sah die Halle wie ein unscheinbares Industriegebäude aus, mit Flachdach und Betonplatten, die vom Regen grau geworden waren. Aber im Inneren wartete eine aufregende Welt auf sie, die Kim und Franzi heute zum ersten Mal betreten würden.

Als Marie die schwere Stahltür öffnete, sahen sie erst mal einen Wald von Stellwänden. Über den grauen Steinfußboden schlängelten sich Unmengen von Kabeln. Kameraleute und Lichttechniker liefen hektisch hin und her. Es roch nach Staub, Make-up und leicht verbrannt nach dem Licht, das die Scheinwerfer verbreiteten. Fernsehluft, Theaterluft. Maries Herz klopfte schneller. Sie spürte es ganz deutlich: Der Ruhm war zum Greifen nah!

Kim stand unschlüssig herum. Im Gegensatz zu Marie fühlte sie sich in der Showbusiness-Atmosphäre immer leicht unwohl. »Wo müssen wir denn jetzt hin?«

»Die erste Szene spielt im Präsidium, aber wir haben noch ein bisschen Zeit«, sagte Marie. »Ich führ euch herum.« Kichernd hakte sie sich bei Franzi und Kim unter.

Nach einem verwirrenden Weg durch das Labyrinth der Gänge standen sie plötzlich in der Privatwohnung von Hauptkommissar Brockmeier. Franzi erkannte auf den ersten Blick die Möbel, den Billardtisch und die Wohnküche, aber alles wirkte viel kleiner als im Fernsehen. Als hätte jemand die Wohnung geschrumpft. Franzi war fast ein bisschen enttäuscht.

Kim dagegen kam sich vor wie in einem Museum mit wertvollen Gemälden, die alle an eine Alarmanlage gekoppelt waren. Sie traute sich nicht, irgendwas anzufassen, und murmelte immer wieder: »Ist das cool …«

»Es wird noch besser«, verkündete Marie. Sie zog ihre Freundinnen weiter. »Hereinspaziert! Hier ist das Lieblingsrestaurant von Hauptkommissar Brockmeier: Piccola Italia mit der besten Thunfisch-Pizza der Stadt – nur im Film natürlich! Und gleich daneben ist die angesagte Jazzkneipe. Da spielt der Kommissar in seiner Freizeit Saxofon.« Marie zwinkerte Kim und Franzi zu. »Play-back, aber so gekonnt, dass es keinem auffällt …«

»Wer verrät hier mein streng gehütetes Geheimnis?« Helmut Grevenbroich tauchte hinter einer Stellwand auf und drohte Marie mit dem Zeigefinger. »Wenn das die Fans erfahren, sind sie todunglücklich. Die denken, ich bin ein Jahrhunderttalent.« Er grinste breit.

Marie schmiegte sich an seine Schulter. »Kim und Franzi halten dicht, keine Sorge.«

Herr Grevenbroich grinste noch breiter. »Das will ich hoffen. Aber jetzt sollten wir rüber ins Präsidium gehen. Es gibt gleich einen Begrüßungs-Umtrunk für die Crew.«

Marie zupfte aufgeregt an ihrem Schal in Leopardenoptik, den sie zu Boyfriend-Jeans und weißem T-Shirt kombiniert hatte. »Den sollten wir uns auf keinen Fall entgehen lassen.«