Titel
Impressum
Vorwort
Widmung
Prolog
Heimatloses Feindeskind
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
XXIII.
XXIV.
XXV.
XXVI.
XXVII.
XXVIII.
XXIX.
XXX.
XXXI.
XXXII.
XXXIII.
XXXIV.
XXXV.
XXXVI.
XXXVII.
XXXVIII.
XXXIX.
XL.
XLI.
XLII.
XLIII.
XLIV.
XLV.
XLVI.
XLVII.
XLVIII.
XLIX.
L.
LI.
LII.
LIII.
LIV.
LV.
LVI.
LVII.
LVIII.
LIX.
LX.
LXI.
LXII.
LXIII.
LXIV.
LXV.
LXVI.
LXVII.
LXVIII.
LXIX.
LXX.
LXXI.
LXXII.
LXXIII.
LXXIV.
LXXV.
LXXVI.
LXXVII.
LXXVIII.
LXXIX.
LXXX.
LXXXI.
LXXXII.
LXXXIII.
LXXXIV.
LXXXV.
LXXXVI.
LXXXVII.
LXXXVIII.
LXXXIX.
XC.
XCI.
XCII.
XCIII.
XCIV.
XCV.
XCVI.
XCVII.
XCVIII.
XCIX.
C.
CI.
CII.
CVIII.
CIV.
CV.
CVI.
CVII.
CVIII.
CVIII.
CIX.
CX.
CXI.
CXII.
CXIII.
CXIV.
CXV.
CXVI.
CXVII.
CXVIII.
CXIX.
CXX.
CXXI.
CXXII.
CXXIII.
CXXIV.
CXXV.
CXXVI.
CXXVII.
CXXVIII.
CXXIX.
CXXX.
CXXXI.
CXXII.
CXXIII.
CXXXIV.
CXXXV.
Schlusswort
Das Leben
Der Autor
Oskar Georg Siebert
Heimatloses
Feindeskind
Autobiografischer Roman
DeBehr
Copyright by: Oskar Georg Siebert
Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg
Erstauflage: 2020
ISBN: 9783957538130
Lektorat:
B.A. Miriam Bast
Verweise und Quellen:
Private Fotos des Autors,
Willibald Liebscher, Sabine Eckert,
Jiří Vlasák; Jan Neubauer; Václav Novotný.
Dokumente und Protokolle
aus dem Archiv des Tschechischen
Innenministeriums,
Abteilung Staatssicherheit -StB- (2018)
© Siebert 2020
Vorwort
Der Buchautor dieses Romans Heimatloses Feindeskind erzählte bereits in seinen Büchern Einmal ein Fremder, immer ein Fremder und Wie Bruno zum Spion wurde wahre Geschichten. Er versucht so lebensnah und authentisch wie möglich sein Leben voller zahlreicher Lebensläufe zu beschreiben.
Ein Mensch in einer Gesellschaft sollte nie nur eine Marionette im Fadengespinst politischer, aber auch religiös motivierter Machenschaften sein.
Der Buchautor warnt auf Grund der Erfahrungen, die er in verschiedenen Ländern mit verschiedenen politischen Systemen gemacht hat, vor der religiösen Finsternis des Islams und er wehrt sich, in seiner wahren Heimat erneut manipuliert und sozial diskriminiert zu werden.
Oskar Georg Siebert hat sich entschlossen, seine Lebenslinien und die wahren Begebenheiten seines Lebens in diesem Buch literarisch, als Mahnmal gegen das Vergessen, für die zukünftigen Generationen, zu verarbeiten.
B.A. Miriam Bast – Lektorin
Regensburg 2020
Widmung
Dieses Buch widmet der Autor allen, die auf der Suche nach der Wahrheit, Freiheit aber auch auf der Suche nach Heimat sind.
Es ist auch den Menschen gewidmet, die in ihrem Leben die Tentakel des Staatsicherheitsdienstes, die Mächte der Spionage oder der Politik und der Justiz zu spüren bekamen und auch denjenigen, die Opfer eines politischen Systems waren oder es immer noch sind.
Aber besonders den Menschen, die den Mut in ihrem Leben hatten, sich gegen die Macht der Politik und des Staatsapparates zu stellen und die für Freiheit, Gleichheit und auch die ‚wahre‘ Demokratie gekämpft haben.
Prolog
Wenn ich, als Buchautor, den Lebenslauf von Oskar erzählen und beschreiben will, dann gibt es nicht nur den einen Lebenslauf, den er immer seinen Bewerbungsunterlagen beilegte. Es sind mehrere, die sie sich in seinem Leben abgespielt haben.
Oskar hat viele Lebensläufe und Geschichten, die ich in diesem Buch aufzählen möchte, obwohl darunter auch einige sind, die er wohl lieber aus seinen Erinnerungen streichen würde.
Aber auch diese Erlebnisse sollten den Lesern dieses Buches als Warnung für Ungerechtigkeit, Diskriminierung, politische Machtausnutzung und die menschenverachtenden Systeme der Politik dienen und im Gedächtnis bleiben. Daher ist es so wichtig, die Erlebnisse eines Zeitzeugen niederzuschreiben.
Auch wenn seine Lebensläufe in diesem Buch in verschiedene Kapitel unterteilt sind, bleiben sie doch der Ablauf eines Lebens. Oskars außergewöhnliche Geschichte ist eine Warnung gegen das Vergessen und steht als Mahnmal für die Schrecken der jüngsten europäischen Vergangenheit.
In Heimatloses Feindeskind greift der Buchautor einzelne Geschichten seines ersten Buches Einmal ein Fremder, immer ein Fremder wieder auf.
Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Schroeder beschrieb mein erstes Buch mit folgenden Worten:
„Es ist das Schicksal eines ‚Wanderers zwischen den Welten - Deutschland und Tschechien, dem Sozialismus und dem Kapitalismus, dem Recht und dem Unrecht‘“.
Ich, als Buchautor, appelliere mit meinem Worten an die Leser dieses Buches:
„Ein Leben unter einer diktatorischen Politik, der Verfolgung, Verachtung und Diskriminierung, wie auch in der Finsternis der Religionen hat keine Zukunft für die Menschen dieses Jahrhunderts.
Im 21. Jahrhundert, der Zeit des unaufhaltsamen Fortschritts in Forschung und Wissenschaft, des freien Denkens und des gesunden Verstandes haben die Menschen das Recht, ohne Kriege und Morde im Namen eines Gottes und ohne Schandtaten unter dem Deckmantel einer Religion zu leben und zu arbeiten.“
Ich wehre mich persönlich gegen jeden Zwang, jede Anerkennung oder auch nur die Duldung einer dem Menschen übergeordneten Religion und gleichzeitig weigere ich mich, als freier Bürger jede Art der Religion mit meinen Steuern zu finanzieren und damit zu unterstützen.
Es ist höchste Zeit, dass auch in Deutschland Religion und Staat voneinander getrennt werden.
Die Religion ist für den Menschen eine Finsternis ohne Zukunft.
Dieses Buch habe ich vor allen Dingen für die Menschen geschrieben, die immer noch erfolglos auf der Suche nach Gerechtigkeit, Wahrheit, Gleichheit, einer echten Demokratie
oder auch ihrer ‚wahren‘ Heimat sind.
Der Buchautor
Heimatloses Feindeskind
I.
Die Hebamme schaute nochmal die junge Mutter im Entbindungsaal an, schüttelte dann ihren Kopf und sagte ganze leise, wie nur zu sich selbst:
„Ein Junge. Wieder ein Soldat mehr.“
Marie war erschöpft, aber gleichzeitig auch glücklich, dass alles vorbei war und sie endlich ihr Kind in den Armen halten konnte. Nachdem der Arzt Marie noch einmal untersucht hatte, durfte sie die Krankenschwester zusammen mit ihrem Sohn Kind in ein Krankenzimmer bringen. Am Nachmittag, gegen halb vier, betrat Georg das Patientenzimmer. Als er Marie mit dem Kind im Bett liegen sah, war er so überwältigt, dass er vor Freude weinte. Nachdem er sich wieder gefangen hatte, fragte er die Krankenschwester, warum sie ihn nicht sofort angerufen hätte. Diese redete sich heraus, dass sie ziemlich viel Arbeit mit anderen Müttern gehabt hätte und darum nicht hätte anrufen können. Noch während Georg an Maries Bett saß, kam der Oberarzt zusammen mit dem Assistenzarzt und in Begleitung einer weiteren Krankenschwester zur Visite. Die beiden Ärzte unterhielten sich zunächst ausführlich mit den anderen zwei Patientinnen, die sich mit der jungen Mutter das Zimmer teilten. Dann fragte der Oberarzt Marie, wie sie sich fühlte. Der Assistenzarzt schaute sich nur kurz das Kind an und dann schüttelten die beiden Ärzte dem frisch gebackenen Vater die Hand. Der Oberarzt, der bei der Geburt dabei gewesen war, meinte zu Georg, die Geburt wäre ganz normal verlaufen und Mutter und Kind wären gesund und munter. Dann verließen die Ärzte das Zimmer.
Marie begann zu weinen, sie fühlte sich in diesem Zimmer nicht wohl und auch durch das Krankenhauspersonal schlecht behandelt. Sie wollte nichts anderes als sofort nach Hause. Georg stand auf und ging zum Arztzimmer. Der diensthabende Oberarzt wie auch die Hebamme teilten ihm mit, dass Mutter und Kind wenigstens noch zwei Tage in der Klinik bleiben müssten. Als Georg Marie dies mitteilte, fing diese wieder bitterlich an zu weinen. Sie beharrte darauf, keine Stunde mehr in der Klinik bleiben zu wollen. Georg versuchte Marie zu beruhigen noch zu beruhigen:
„Wenigstens über Nacht musst du noch hierbleiben und morgen hole ich euch beide ab. Ich verspreche es.“
Marie aber weinte weiter und versicherte ihm, dass, wenn er die beiden nicht sofort mit nach Hause nähme, sie sich selbst ein Taxi bestellen und mit ihrem Kind alleine nach Hause fahren würde.
Georgs Versuche Marie zum Bleiben zu überreden scheiterten, sie stand fest entschlossen auf und fing an ihre Sachen einzupacken. Sie würde lieber zu Fuß nach Hause gehen als noch eine Stunde länger in dieser Klinik zu bleiben. Georg, ratlos und mit der Situation überfordert, suchte noch einmal die Hebamme auf. Diese erklärte ihm, dass die junge Mutter nach der Entbindung sicherlich noch unter Schock stünde. Sie konsultierte den leitenden Arzt, der vorschlug, Marie eine Spritze oder ein anderes Medikament zur Beruhigung zu verabreichen, aber diese lehnte alles kategorisch ab. Die Hebamme gab dem frisch gebackenen Vater zu verstehen, dass sie die Mutter seines Sohnes nicht zum Bleiben zwingen könnte und dass es in dieser Situation vielleicht das Beste wäre, wenn er sie tatsächlich mit nach Hause nehmen würde. Wichtig wäre vor allem, und das betonte die Hebamme ausdrücklich, dass sich Mutter und Kind in Ruhe von den Strapazen der Geburt erholen könnten. Sie sicherte Georg zu, noch am gleichen Abend zu ihnen nach Hause zu kommen und nach Marie und dem Baby zu sehen.
Bevor aber die junge Familie aus der Klinik entlassen wurde, fragte die Hebamme Georg noch, welchen Namen sie in die Geburtsurkunde des Kindes eintragen sollte. Bevor Marie antworten konnte, brach aus Georg heraus:
„Oskar. Oskar wie mein Vater und sein Großvater.“
Marie sah Georg an und fügte hinzu:
„Aber auch Georg nach seinem Vater. Und vielleicht auch Anton nach meinem Vater und seinem Großvater.“
Georg hatte Tränen in den Augen. Die Hebamme trug alle drei Namen in die Geburtsurkunde und das Geburtenbuch ein. Georg bedankte sich bei Arzt und Hebamme, rief ein Taxi und verließ mit Marie und seinem Sohn Oskar die Klinik.
II.
Zu Hause angekommen, waren Georgs Mutter und ab dem jetzigen Zeitpunkt auch Oskars Großmutter sehr überrascht, dass Marie so kurze Zeit nach der Geburt bereits aus der Klinik entlassen worden war. Sie schickte die junge Mutter sofort ins Bett, um sich auszuruhen. Martha ging in die Küche, wärmte auf dem Herd etwas Milch auf und brachte Marie eine große Tasse davon. Ganz vorsichtig schaute sie das Kind in der Wiege im Schlafzimmer an. Ohne ein Wort zu sagen, verließ sie den Raum wieder und schloss leise die Tür hinter sich.
Später brachte Georg Marie das Abendbrot ans Bett, das zuvor von seiner Mutter in der Küche zubereitet worden war. Nachdem sie gegessen hatte schlief sie kurz ein, bis gegen 22.00 Uhr wie versprochen die Hebamme bei ihnen vorbeischaute. Sie unterhielt sich sehr lange mit der jungen Mutter und zeigte ihr, wie sie das Kind stillen und wickeln sollte. Georg musste währenddessen draußen vor der Zimmertür warten. Es war bereits kurz vor Mitternacht, als sich die Hebamme schließlich verabschiedete und Georg ihr ein Taxi rief.
Als sie fort war, stand Marie auf und packte für ihr Kind noch ein paar Sachen in ihren Notkoffer. Georg saß derweil auf einem Stuhl neben der Wiege und beobachtete seinen Sohn. Die Großmutter war schon lange zu Bett gegangen. Als es dann auch für die jungen Eltern an der Zeit war, schlafen zu gehen, nahm Marie ihren Sohn aus der Wiege und legte ihn neben sich ins Bett.
Der Morgen war schon fast angebrochen, als lautes Sirenengeheul die Menschen aus dem Schlaf riss. Georg sprang sofort auf und schaltete das Licht im Schlafzimmer ein. Derart in Panik versetzt, wusste er zunächst gar nicht, womit er beginnen sollte. Auch das Kind wachte durch die plötzlich aufheulenden Sirenen auf und fing laut an zu schreien. Marie, die natürlich auch wach geworden war, bat Georg inständig, sich zu beruhigen. Sie wies ihn an, er sollte sich anziehen und dann seiner Mutter helfen. Sie würde sich in der Zwischenzeit um sich und das Baby kümmern. Marie zog erst sich selbst, dann ihr Kind an, bevor sie ihren Sohn fest in eine Decke wickelte. Die Großmutter hatte sich selbst fertig gemacht und wartete bereits im Flur vor der Wohnungstür. Marie hielt ihren Sohn in einem Arm und mit dem anderen half sie ihrer Schwiegermutter die Treppen hinunter zu gehen. Georg ging mit allen drei Koffern hinter ihnen. Langsam gingen die drei das Treppenhaus hinab, über den Hof, in den Schutzkeller.
In diesem Augenblick hörte man nicht nur die Motoren der Flugzeuge, die schon über Berlin kreisten, sondern auch bereits die Schüsse der Flaks. Aus der Ferne konnte man erste Bombeneinschläge und Explosionen vernehmen. Plötzlich erleuchteten Raketen den Himmel taghell. Der Wachmann, der immer bei der Tür des Schutzkellers stand, lief ihnen entgegen und half der Großmutter die Treppen hinab bis zu den Bänken im Schutzkeller. Eine ältere Frau machte für die drei und das Neugeborene Platz auf einer Bank in der Ecke des Kellers.
Der Schutzmann lief wieder zurück zur Tür. Er schaute noch kurz nach draußen, verriegelte dann die Tür von innen und setzte sich auf die letzte Stufe der Kellertreppe. Im Schutzkeller saßen vorwiegend Frauen mit ihren Kindern und ein paar Ältere, Kranke. Dazwischen einige wenige verwundete Männer. Die Menschen im Schutzbunker kannten sich nach der monatelangen Bombardierung schon – zumindest vom Sehen und da es eigentlich immer die gleichen Personen waren, die sich während der Bombenangriffe hier unten versammelten, achtete man darauf, ob auch alle aus der Nachbarschaft anwesend und geschützt waren.
Links neben Marie saß Oskars Großmutter und auf der andere Seite Georg, ihr Kind hatte sie schützend an sich gedrückt. In der hintersten Ecke des Kellers in der sie saßen, war es am Sichersten. Als die ersten und unglaublich lauten Detonationen den Keller erschütterten, zog Marie die Decke, in die sie ihr Baby gewickelt hatte, über ihren Kopf und das Kind. Sie beugte sich über ihren Sohn, als könnte sie ihn so vor den Bomben schützen. Die Decke sollte nicht nur die Lautstärke der Detonationen schwächen, sondern auch verhindern, dass herabfallender Staub aus der Betondecke auf sie oder das Kind fiel. Auch alle anderen Mütter drückten bei jedem Bombeneinschlag ihre Kinder fester an sich, ganz so, als wollten sie ihre Kinder mit ihrem Körper schützen. Bei jeder Detonation rückten die Menschen im Keller näher zusammen. Als nach einer besonders starken und lauten Explosion die Lichter im Keller erloschen, fingen die Kinder vor Angst an zu weinen und die meisten Menschen begannen laut zu beten. Die Kinder weinten und schrien, so natürlich auch Oskar.
Marie versuchte, ihren Sohn mit dem Schnuller zu beruhigen. Oskar war nicht einmal einen Tag alt und musste bereits die Schrecken des Krieges miterleben.
Der Schutzmann an der Eingangstür, mit dem Helm und der Gasmaske ausgerüstet, hatte seine Taschenlampe eingeschaltet und leuchtete mit dem Lichtstrahl hin und her. Er fragte laut in die Runde, ob alles in Ordnung sei, doch niemand gab ihm eine Antwort. Alle waren vor Angst wie versteinert, man hörte nur die Gebete und die weinenden Kinder. Ein paar der Anwesenden schalteten ebenfalls ihre Taschenlampen ein, denn aufgrund der Gefahr eines möglichen Gaseingriffs war es in den Schutzkellern verboten, Kerzen anzuzünden. Die Explosionen durch die einschlagenden Bomben wurden immer stärker. Jemand im Keller sagte sehr laut:
„Diesmal sind sie schon über uns, lieber Gott, beschütze uns!“
Bei jedem Einschlag vibrierte der Boden wie bei einem Erdbeben. Staub und Sand fielen von der Decke auf die Menschen herab. Eine Serie mehrerer Explosionen hintereinander erschütterte den Keller und die Lautstärke machte die Menschen fast taub.
Die ganze Zeit über war Marie über ihr Kind gebeugt und hielt ihm die Ohren zu. Sie selbst fragte sich bei jeder Explosion, ob das das Ende sein sollte und sie sterben würden, und drückte ihr Kind noch stärker an sich. Georg drückte sich fest an seine Frau und hielt noch eine weitere Decke über sein Kind. Georgs Mutter, die neben Marie saß, streckte plötzlich unter der Decke ihre Hände über das Kind. Mit ihrer Hand zeichnete sie ein Kreuz auf seine Stirn und sagte dabei leise:
„Lieber Gott, ich bin schon alt und krank, aber das Kind …“,
nach einer kurzen Pause, als müsste sie sich erst noch an den Namen ihres Enkelkindes erinnern, fuhr sie fort:
„… Oskar, Oskar hat das ganze Leben noch vor sich,
lieber Gott, bitte beschütze das Kind!“
Dann fing die Großmutter an, laut zu beten. Erstmals nach der langen Zeit, seit Marie von Prag nach Berlin gezogen war und mit Georg und seiner Mutter gemeinsam in einer Wohnung lebte, spürte sie die Hand ihrer zukünftigen Schwiegermutter auf ihrer. Sollte diese Berührung etwa ein Zeichen der Annährung sein?
Als die Explosionen allmählich nachließen und die Sirenen mit einem langen Ton das Ende des Luftangriffs ankündigten, öffnete der Schutzmannmann langsam und vorsichtig die Tür des Schutzkellers.
Draußen roch es nach Staub der bombardierten Häuser und Straßen und der Rauch der Bomben lag in der Luft. Die ganze Babelsberger Straße und auch der Innenhof wurden durch die brennenden Häuser ringsherum hell ausgeleuchtet. Man hörte Menschen schreien und das Aufheulen der Martinshörner von Feuerwehr und Rettungswagen. Ohne ein Wort zu sagen und ohne sich zu verabschieden, gingen die Menschen über die Treppe aus dem Schutzkeller nach oben. Zunächst sah sich ein jeder um, ob sein Haus oder seine Wohnung noch stand. Ausgebombte rannten sofort zu ihren Wohnhäusern und versuchten zu retten, was noch zu retten war.
III.
Oskars Vater, der mit vollem Namen Georg Ludwig August Richard Georg Siebert hieß, wurde im Mai 1902 in Berlin geboren. Georgs Vater, Oskar Siebert, kam am 8.8.1871 in Cöln zu Welt. Von Cöln, heute Köln, war er vor der Jahrhundertwende nach Berlin umgezogen. Dort lernte er seine spätere Ehefrau Martha, eine geborene Greiser, kennen und kurz darauf wurde geheiratet. Oskar Siebert hatte zu dieser Zeit in Berlin am Kurfürstendamm zwei Kinos erworben. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Familie Siebert in Berlin sehr angesehen und durch ihre zwei Filmtheater auch recht vermögend. Georgs Vater Oskar Siebert konnte sich dadurch ein Haus in Berlin Wilmersdorf kaufen, in das er mit seiner Familie einzog. Seine Ehefrau Martha gehörte schon damals zu den eher prominenten Damen Berlins und verkehrte in gehobenen Kreisen.
Siebert hatte eine Leidenschaft für Pferde und eine große Schwäche für Pferdewetten. So schenkte er beispielsweise seinem Sohn Georg ein Pony samt Kutschenwagen. Mit dem Wagen ans Pony gespannt kutschierte der junge Georg häufig über den Kurfürstendamm.
Diese Unbeschwertheit fand aber eher jähes Ende, als Martha mit ihrem Sohn am 4. November 1919 vom Einkaufen nach Hause kam und dort ihren Ehemann leblos über den Schreibtisch gebeugt in einer großen Blutlache liegend, im Arbeitszimmer vorfand. Die Todesursache, wie sich später bei der Obduktion herausstellte, war eine tödliche Schusswunde. Ob es Selbstmord oder ein Komplott gegen den reichen Kinobesitzer war, wurde nie aufgeklärt. Zeugen sagten später bei der Polizei aus, dass sie einen Schuss gehört hatten und wenig später zwei ihnen unbekannte Männer die Wohnung der Familie Siebert verließen. Später machten Gerüchte die Runde, Oskar Sieber hätte sich bei Pferdewetten verzockt, und sein gesamtes Vermögen verloren. Aus Verzweiflung hätte er sich dann selbst erschossen.
Nach dem Tod ihres Mannes musste die Witwe das gesamte Vermögen an die Gläubiger abgeben. Sie durfte aber mit ihrem Sohn weiterhin als Untermieterin in dem Haus in der Babelsberger Straße 40 wohnen, es gehörte ihr aber nicht mehr. Ihr Lohn als Eintrittskarten-Verkäuferin, womit sie sich nach dem Tod ihres Ehemannes verdingte, reichte allerdings bei Weitem nicht aus, um den Familienunterhalt zu bestreiten. Auch die Hyperinflation zu dieser Zeit in Deutschland war für Familie Siebert, so wie auch für viele andere, eine Existenzbedrohung. So war Georg schon früh dazu gezwungen seinen Teil zum Einkommen der Familie beizutragen.
Artur, Marthas Bruder und Georgs Onkel, versuchte seine Schwester Martha und seinen Neffen finanziell so gut es ging zu unterstützen, obwohl er selbst eine Frau und zwei Töchter versorgen musste. In dieser Zeit erkrankte aber Georgs Mutter schwer, es wurde Brustkrebs diagnostiziert. Der mittlerweile 18-jährige Georg hatte, auch durch die früheren Beziehungen seines Vaters als Kinobesitzer, eine Ausbildung beim Film in den Potsdamern Filmateliers angefangen.
Es war für Georg wichtig, in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und Inflation in Deutschland eine Beschäftigung zu finden, die ihm auch noch Freude bereitete. Mit kleinen Aufgaben in den Büros und bei den Dreharbeiten am Filmset hatte sich Georg nach und nach oben gearbeitet und für verantwortungsvolle Aufgaben qualifiziert. Nach ein paar Jahren als Kameraassistent erhielt der junge Georg durch den Regisseur Gernot Bock-Stieber die Chance, selbstständig als Kameramann zu arbeiten. 1924 wirkte er in dieser Funktion bereits bei der Verfilmung von Höhenfieber mit. Wenig begeistert von der Arbeit als Kameramann, war dies sein erster und gleichzeitig auch letzter Einsatz.
In den folgenden Jahren übernahm er die Organisation und die administrativen Aufgaben bei verschiedenen Filmproduktionen.
Im September 1933 wurde ihm zusammen mit Erich Roehl bei der K.M.R.-Tonfilm GmbH Berlin die Aufgabe als Aufnahmeleiter bei dem Film, Wenn ich König wäre!, übertragen. In den Jahren 1934 bis 1935 folgte dann der Auftrag als Regieassistent bei Regisseur Johann Alexander Hübler-Kahla beim ersten Karl-May-Tonfilm mit dem Titel Durch die Wüste. Es folgten die Filme Lärm um Wiedemann und 1935/1936 Ritt durch die Wüste und Der geheimnisvolle Mister X. Noch im selben Jahr folgte eine weitere Regieassistenz bei Das Veilchen vom Potsdamer Platz. Georg war zwar begeistert von seiner Arbeit, doch die Hektik am Filmset missfiel ihm sehr. Die Technik war noch nicht ausgereift und deshalb musste das Filmteam bei Dreharbeiten sehr oft improvisieren. In den Jahren 1936 bis 1938 waren die Drehorte fast über ganz Berlin verstreut. Man verfügte noch nicht über Filmateliers, wie wir sie heute kennen, so wurde jede ausreichend große Halle damals für Filmaufnahmen genutzt.
Mit der Neugründung vieler Ateliers konzentrierten sich die Drehorte dann später auf die Jofa-Ateliers (Berlin-Johannisthal), Ufa-Ateliers (Neubabelsberg) oder das Tobias-Atelier (Berlin-Grunewald).
Bei den neu entstandenen Filmgesellschaften fand Georg weitere Beschäftigung. Es ist gelang ihm, zusammen mit einigen Kollegen, die neue Abteilung „Aufnahmeleitung“ für die wachsende Anzahl von Produktions- und Filmfirmen aufzubauen.
1938 war Georg Siebert erstmals Aufnahmeleiter bei Filmproduktionen wie Nanu, Sie kennen Korff noch nicht? und Ich liebe Dich. 1939 wirkte Georg als Aufnahmeleiter zusammen mit seinen Kollegen Georg Koscher und Hans Neudorf an weiteren Filmproduktionen mit wie Im Namen des Volkes, Wer küsst Madeleine? und Alarm auf Station III.
Mit Hans Neudorf folgte eine weitere Filmproduktion, Sein Sohn, zusammen mit dem Regisseur Peter Paul Brauer. Das Drehbuch zu diesem Filmhatte hatte nach eigenen Ideen Willy Clever in Zusammenarbeit mit Peter Paul Brauer geschrieben, aber aufgrund der Zensur durch das Nationalsozialistische Kultusministerium ging das Drehbuch mehrmals zur Überarbeitung an die Produktionsfirma zurück, was dazu führte, dass sich die Dreharbeiten um mehrere Monate verschoben. In dieser Zeit hatte sich in den Babelsberger Filmateliers auch die neue Filmgesellschaft Terra-Filmkunst GmbH Berlin unter der Herstellungsgruppe von Walter Tost gegründet.
Georg Siebert lebte mit seiner Mutter in der Vier-Zimmer-Wohnung im Haus in der Babelsberger Straße 40. Als Aufnahmeleiter musste er oft auch selbst Aufnahmestädte für die nächsten Dreharbeiten aussuchen, so reiste er des Öfteren nach Polen oder Böhmen.
Georg Ludwig August Richard Siebert
*17.05.1902, †01.06.1959
Die Stadt Prag mitten in Böhmen war Georg nicht unbekannt. In den damals modernsten Filmateliers Europas in Hostivař bei Prag und in den Filmateliers Barrandow direkt in Prag, drehten schon vor der Okkupation deutsche Filmgesellschaften ihre Filme.
Siebert war damals in keiner politischen Partei aktiv, er konzentrierte sich voll und ganz auf seinen Beruf als Aufnahmeleiter in den Babelsberger Filmateliers.
Die Einzige, aber auch sehr wichtige Stütze bei seiner Arbeit, war seine Mutter, die Beziehung zwischen seiner Mutter und ihm war schon fast übertrieben eng. Georg musste seiner Mutter jeden Tag von seiner Arbeit bei der Filmproduktion berichten, sie wiederrum versuchte Georg mit viel Rat und Vorschlägen zu unterstützen, und hoffte, dass ihr Sohn einmal die Leitung der neuen Abteilung Aufnahmeleitung übernehmen könnte.
Es war für Georg als Einzelkind schwer, selbstständig zu sein und eigene Entscheidungen zu treffen, da er als ihr einziges Kind voll im Fokus seiner Mutter stand
IV.
Im Januar 1920 wurde Marie als älteste Tochter von Anton und Marie Bartoš in Prag geboren und auf den Namen ihrer Mutter getauft. In regelmäßigen Abständen hatte ihre Mutter weitere Kinder zur Welt gebracht, das zweit-älteste war Václav, dann folgten Anna und Anton. 1936 wurde der Nachzügler, wie sie alle den jüngsten Bruder Miroslav nannten, geboren. Nach der Besetzung Prags und der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren durch die Deutschen im Oktober 1938 heiratete Anton, Maries Vater, ein zweites Mal.
Vom Mann verlassen, blieb Marie Bartošová, später Oskars Großmutter, mit den fünf Kindern allein.
Als das älteste Kind der Familie musste Marie die Schule abbrechen und ihrer Mutter im Gasthaus der Familie helfen. Damals suchte sogar der Direktor der Schule die Mutter mehrmals auf, und bat sie, Marie weiterhin die Schule besuchen zu lassen. Marie war eine sehr begabte Schülerin und dafür geeignet auf das Gymnasium zu gehen. Die finanzielle Lage der Familie verwehrte Marie aber den Besuch einer höheren Schule und da ihre Mutter selbst keine Ausbildung hatte, war sie davon überzeugt, dass auch ihre älteste Tochter für das Führen ihres Gasthauses keine Schule brauchte. So arbeitete Marie weiterhin bei ihrer Mutter, damit die Ausbildung ihrer Brüder bezahlt werden konnte.
Die meiste Zeit über war Frau Bartošová in der Küche und ihre Tochter Marie bediente die Gäste. Eines Tages wurde Marie von einem Gast angesprochen, dem sie sehr gefiel und zu einem Casting in das Filmatelier Hostivař eingeladen. Es stellte sich heraus, dass der Unbekannte beim Film arbeitete und in Marie das Potenzial einer Schauspielerin zu erkennen meinte. Ihre Mutter war darüber nicht sehr erfreut und wollte davon auch nichts wissen, denn schließlich sollte sich Marie um das Gasthaus kümmern. Als der Gast ihrer Mutter aber versicherte, dass Marie auch neben der Arbeit als Bedienung im Gasthaus beim Film arbeiten und viel Geld verdienen könnte, war sie mit dem Vorsprechen bei dem Herrn vom Film einverstanden.
Wenig später fand sie heraus, dass der unbekannte Herr vom Film Martin Frič, der erfolgreiche tschechische Filmregisseur, war. Er war von Maries souveränem Auftreten, ihren langen blonden Haaren und langen Beinen sehr beeindruckt. Marie war schlank, selbstbewusst und sehr fotogen. Am Tag des Castings bat Marie einen Freund ihres Bruders Václav sie mit dem Motorrad zum Casting nach Hostivař zu fahren. Nach dem Gespräch und ersten Fotoaufnahmen unterschrieb Marie bei Martin Frič ihren ersten Künstlervertrag und ihre Arbeit als Filmschauspielerin begann.
So pendelte Marie mit ihren 18 Jahren während der Dreharbeiten zwischen der Kneipe in Košíře und den Filmateliers in Hostivař und Barrandow. Nicht nur die Gage, die Marie bei dem Film als Statistin verdiente, half der Familie finanziell sehr, sondern Marie brachte dem Gasthaus „U Bartošů“ auch viele neue Gäste. Sie hatte zu jener Zeit mehrere kleine Statistenrollen in verschiedenen Filmen, wie zum Beispiel Dívka v modrém (Mädchen in Blau) und Eva tropí hlouposti (Eva macht Blödsinn). 1939 engagierte Martin Frič die junge Marie für seinen erfolgreichsten Film Kristian. Der damalige tschechische Filmstar Oldřich Nový spielte in diesem Film die Hauptrolle.
Marie, geb. Bartošová *11.01.1920, † 21.06.1997
V.
Im Juni 1940 steckte der deutsche Regisseur Geza von Bolvary mitten in den Vorbereitungen für die Verfilmung von Der Vogelhändler, einer Operette von Carl Zeller. Für die Film-Aufnahmen hatte sich die Produktionsfirma Terra-Filmkunst GmbH Berlin, Zell am See in Österreich und die Prager Filmateliers ausgesucht. Georg Siebert war zu dieser Zeit schon bei Terra-Filmkunst beschäftigt und so war er auch bei den Dreharbeiten in Prag dabei. Für diesen Film castete das Produktionsteam mehrere tschechische Statisten, darunter auch Marie Bartošová, sie spielte ein Mädchen aus Tirol. Die Dreharbeiten im Filmatelier Hostivař bei Prag dauerten von Anfang Juni bis Ende September 1940.
So lernten sich Georg, der als Aufnahmeassistent bei den Dreharbeiten beschäftigt war, und die junge tschechische Statistin Marie Bartošová kennen.
Marie Bartošová als Statistin im Film „Rose in Tirol“ 1940
Georg Siebert wohnte, wie auch der Rest des Filmteams während der Filmaufnahmen in Prag im Hotel Flora. Der wesentlich ältere Georg verliebte sich sehr schnell in die junge Tschechin. So verlebten Georg und Marie die Dreharbeiten in Prag als frisch verliebtes Paar. Als der Regisseur Peter Paul Brauer für seinen neuen Film Sein Sohn Georg mit der Aufnahmeleitung betraute, schlug dieser für die Filmaufnahmen gleich die A.B. Filmateliers in Prag vor. Sein Sohn wurde in dem Filmatelier Hostivař bei Prag für ca. 1.061.000 RM am 18.08. 1941 begonnen und war zum Oktober 1941 abgedreht.
Georg hatte bereits damals gesundheitliche Probleme und war sehr dankbar, dass Marie für ihn Diätkost kochte. Oft brachte Marie Georg das Essen entweder direkt ans Set oder abends nach den Dreharbeiten ins Hotel. Die glückliche Zeit in Prag sollte aber ein jähes Ende finden, da Georg beruflich wieder nach Berlin zurückkehren musste und das Paar somit zumindest räumlich voneinander getrennt wurde. Er sollte in Berlin anschließend gleich die Organisation zweier neuer Filme übernehmen. Seine Aufgaben waren die Vorbereitung der Dreharbeiten von Kleine Mädchen – große Sorgen und Wenn ich König wäre.
Georg war, auch weil seine Freundin wesentlich jünger war als er, sehr eifersüchtig und nicht mehr damit einverstanden, dass Marie weiterhin als Statistin beim Film arbeitete. Marie fügte sich und so hatte sie im Herbst 1940 ihren letzten Einsatz als Statistin und arbeitete ab diesem Zeitpunkt wieder bei ihrer Mutter im Gasthaus. Georg rief Marie fast jeden Tag aus Berlin an. Nicht nur die räumliche Trennung von seiner Freundin machte ihm zu schaffen, er wollte auch nicht, dass Marie weiterhin als Bedienung im Gasthaus ihrer Mutter arbeitete. Um dieses Problem zu lösen fragte er Marie kurzerhand, ob sie nicht l zu ihm nach Berlin umziehen wolle. Diese Entscheidung traf er ohne seine Mutter, denn er wollte endlich eine eigene Familie gründen. Die Wohnung in der Babelsberger Straße schien ihm dafür ideal.
Doch Georg hatte diese Rechnung ohne Maries Familie gemacht, denn nicht nur Maries Mutter, sondern auch ihre Geschwister wollten von ihrer Beziehung zu dem wesentlich älteren Deutschen nichts wissen. Diese Beziehung war häufig Anlass für familiäre Auseinandersetzungen, auch verstärkt dadurch, dass Maries Bruder Václav ins Arbeitslager nach Deutschland verschleppt worden war.
*
Die Besetzung des Sudetengebiets
Nach Monaten der Krise und der von Adolf Hitler provozierten Kriegsgefahr, schlossen am 30. September 1938 Großbritannien, Frankreich, Italien und das Deutsche Reich das sogenannte Münchner Abkommen, in dem die Abtretung des Sudetengebiets durch die Tschechoslowakei an Deutschland festgelegt wurde.
Am 1. Oktober 1938 durchbrach die deutsche Wehrmacht die Grenzen zur Tschechoslowakischen Republik auf der ganzen Länge zwischen Tschechien und Deutschland und ohne jeden Widerstand marschierten die deutschen Soldaten bis nach Prag vor. Adolf Hitler ernannte den SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich zum stellvertretenden Reichsprotektor in Böhmen und Mähren. Die Bereinigung des Protektorats Böhmen und Mähren von Juden und anderen Delinquenten und Regimekritikern wurde von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich sofort vorangetrieben.
Jüdische Geschäfte wurden geplündert, Juden öffentlich durch die Straßen gehetzt und bei Widerstand an den Straßenlaternen aufgehängt. Sofort wurden alle Juden durch die deutschen Besetzer, aber auch durch die Sudetendeutschen selbst, enteignet, ihre Familienangehörigen verhaftet und in ein KZ deportiert.
Auch Tschechen, vor allem Kommunisten und Widerständler gegen das Protektorat und Hitler wurden verfolgt, inhaftiert und in Internierungslager deportiert. Die Namen der vielen Städte, wie auch deren Straßennamen wurden umgehend entweder deutsch geschrieben oder einfach umbenannt. Amtssprache war ab sofort Deutsch, der Straßenverkehr verlief auf einmal rechtsspurig. Die Posten auf Ämtern wurden durch deutsche Beamte oder Mitglieder der NSDAP besetzt. Über die tschechische Polizei stellte SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich die Gestapo. Sämtliche Versammlungen waren mit sofortiger Wirkung verboten. Heydrich herrschte von der Prager Burg auf dem Hradčín (Hradschin) über das tschechische Land und Volk.
Die Menschen lebten in Angst. Ein Nachbar traute dem anderen nicht mehr. Es reichte ein Verdacht oder eine Anzeige bei der Gestapo und die ganze Familie wurde in die Konzentrationslager verschleppt oder gleich ausgelöscht.
Nur sehr wenige Künstler und Intellektuelle, darunter insbesondere die, jüdischer Abstammung, schafften es noch rechtzeitig das Protektorat zu verlassen und ins Ausland zu fliehen. Obwohl Heydrich den Künstlern Freiheit versprochen hatte wurden sie, darunter auch die Schauspieler, sukzessive inhaftiert und anschließend in Konzentrationslager gebracht. Die tschechischen Theater wurden geschlossen, tschechische Bücher durch die SS verbrannt. Nur wenige Menschen jüdischer Abstammung oder tschechische Intellektuelle und Künstler wie auch Widerständler des Nationalsozialismus überlebten diese Bereinigung unter deutscher Führung.
Auch viele Freunde der Familie Bartoš flohen ins Ausland.
VI.
In diesen schweren Zeiten kämpfte Maries Mutter mit ihrem kleinen Gasthaus und den fünf Kindern ums nackte Überleben. Aus dem Haus im Košíře waren schon alle jüdischen Mitbewohner in verschiedene KZs abtransportiert worden. In ihrem Haus hielt sich aber weiterhin der 19-jährige Sohn einer Familie, der als Einziger der Verhaftung entronnen und von dem Transport ins KZ verschont geblieben war, versteckt. Als die Gestapo seine Familie verhaftete, befand sich Kurt, so hieß der Junge, mit seinem Freunden, darunter Maries Bruder Václav, außerhalb Prags und entkam der Verhaftung.
Václav baute zusammen mit ein paar Freunden auf dem Dachboden des Hauses seiner Familie ein Versteck für Kurt.
Tagsüber war Kurt in seinem Versteck auf dem Dachboden und abends ging er meistens hinunter in die Wohnung seines Freunds Václav. Bei den Bartoš wusch sich Kurt und konnte dort auch essen.
„Ein hungriger Hals mehr oder weniger bringt uns nicht um“, pflegte Frau Bartoš immer zu sagen
Anna, Maries jüngste Schwester, war ein bisschen in Kurt verliebt, aber sie hätte das nie zugegeben. Obwohl sie das sonst nie tat, wusch sie Kurts Wäsche, denn sie sagte stets über sich selbst, sie sei für Hausarbeit nicht geeignet, da sie gelernte Frisörin war und durch Hausarbeiten wie Geschirr oder Wäsche waschen ihre Fingernägel kaputtgehen könnten.
Václav schenkte Kurt oft Kleidung und Schuhe, die ihm nicht mehr passten. Nicht nur die Familie Bartoš, auch alle anderen Hausbewohner waren sich darüber im Klaren, wie gefährlich es für sie war, einen Juden zu verstecken.
Dennoch hielten sie Kurt über ein Jahr vor der deutschen Polizei und insbesondere der Gestapo versteckt. Das war gar nicht so einfach, aber wie Frau Bartošová immer sagte:
„Unter einem Lampenschirm ist auch immer ein Schatten.“
Damit meinte sie die Polizeistation, die sich im selben Haus befand. Das Verstecken von Kurt auf dem Dachboden war hoch riskant, gerade weil die Polizei so nah war, aber andererseits waren die Hausbewohner durch die ständige Polizeipräsenz im Haus bisher von nächtlichen Gestapo-Razzien verschont geblieben.
Obwohl er sich und die anderen einer großen Gefahr aussetzte, fühlte sich Kurt sicher auf dem Dachboden, das wäre auch so geblieben, wenn ihn nicht eine Person aus dem eigenen Freundeskreis bei der Gestapo angezeigt hätte: ein Verrat an einem Freund und das nur wegen ein paar Reichsmark!
Regelmäßig, fast jeden Abend, trafen sich mehrere Freunde in der Wohnung der Familie Bartoš oder oben auf dem Dachboden in Kurts Versteck und spielten gemeinsam Karten, meistens spielten sie um kleinere Geldbeträge, um sich die Zeit zu vertreiben.
Anna, die Kurt ab und zu auf dem Dachboden Gesellschaft leistete, war auch meistens mit dabei, wenn die Jungs dort Karten spielten. Eines Abends verlor einer der Freunde ein bisschen mehr Geld, als er erwartet und war darüber so erzürnt, dass er nach dem Spiel von Kurt das Geld, das er an ihn verloren hatte, zurückverlangte. Kurt sah dies aber nicht ein, stattdessen schenkte den ganzen Gewinn Anna, sie sollte sich etwas Hübsches davon kaufen. Wütend auf Kurt, weil er sich um sein Geld betrogen fühlte, verließ der Freund den Dachboden, ohne sich überhaupt richtig zu verabschieden.
Es war eine Nacht im Herbst 1941, als Schläge gegen die Haustür und Schreie von SS-Soldaten mit heulenden Hunden das ganze Haus aufweckten. Als der Hausmeister die schwere Eingangstür öffnete, stürmten die Soldaten der Waffen-SS zusammen mit den Herren der Gestapo gezielt zum Versteck auf dem Dachboden des Hauses, wo sich Kurt befand.
Währenddessen wurde jede Wohnung im Haus in dieser Nacht gestürmt und durchsucht. Alle Bewohner mussten sich, aufgrund der späten Stunde lediglich im Schlafgewand bekleidet, mit ihren Ausweisen vor ihrer Wohnungstür aufstellen. Der Kommandant der tschechischen Polizei, welcher die SS-Soldaten begleitete, musste jede Person identifizieren und bestätigen, dass es sich nicht um Juden handelte.
Die Schreie und Schläge vom Dachboden waren so laut, dass man sie bis ins Erdgeschoss des Hauses hören konnte. Nachdem alle Wohnungen durchsucht und kontrolliert worden waren, mussten die Bewohner dabei zusehen, wie die Männer der Gestapo Kurts blutüberströmten und leblosen Körper die Treppen hinunterschleiften.
Dann trieben die SS-Soldaten die Menschen Vieh in den Hof des Hauses. Alle mussten sich dort in einer Reihe aufstellen und der SS-Offizier befragte jeden, ob er oder sie Kurt kenne und ob sie gewusst hätten, dass er ein Jude sei und sich wochenlang auf dem Dachboden ihres Hauses aufhielt. Alle schwiegen. Keiner hatte Kurt gekannt. Der Offizier der SS wählte aus den aufgereihten Bewohnern, darunter auch Václav, drei junge Männer aus. Er befahl ihnen, sofort in ihre Wohnungen zu gehen, um sich dort anzuziehen die Soldaten der SS begleiteten die Männer. Die ganze Zeit mussten die anderen Bewohner des Hauses weiter in ihren Schlafanzügen im Hof stehen und warten.
Als sie in Begleitung der SS-Soldaten angezogen in den Hof zurückkehrten, ließ der Offizier die jungen Männer abführen. Die Mütter und Geschwister weinten und schrien, aber es war ihnen nicht einmal mehr erlaubt, sich von ihren Söhnen oder Brüdern zu verabschieden. Dies war die Rache der Deutschen und sollte ein Exempel statuieren, was mit Leuten passiert, die einen Juden versteckt hielten.
In dieser Nacht machte niemand im Haus ein Auge zu. Das Schicksal der jungen Männer blieb für alle ungewiss.
Weil sich eben dieser Freund, der so wütend auf Kurt gewesen war, nachdem man Kurt gefunden und die anderen verhaftet hatte, nie mehr meldete, waren alle Hausbewohner davon überzeugt, dass er es gewesen war, der Kurt und sein Versteck an die Gestapo verraten hatte. Niemand konnte sich erklären, wie es die Gestapo sonst hätte erfahren können. Erst kurz nach Kriegsende wurde in den Papieren der Prager Gestapo sein Name gefunden. Noch vor 1945 verschwand der Verräter, der einmal ein Freund war, aus Prag.
In der Nacht der Razzia war Marie nicht zu Hause, sie hatte bei Georg auf Vinohrady im Hotel Flora übernachtet.
Erst als sie am nächsten Tag nach Hause kam, erfuhr sie von Václavs Verhaftung. Sofort machte sich Marie auf den Weg zu Georg in die Filmateliers nach Hostivař, um ihm bitterlich weinend von der Verschleppung ihres Bruders zu erzählen. Sie fragte ihn, ob er als Deutscher und Freund der Familie ihrem Bruder nicht helfen oder wenigstens ein paar Informationen über die Gründe seiner Verhaftung oder seinen Aufenthalt in Erfahrung bringen könne. Doch nicht nur für Georg selbst, sondern auch für seine einflussreichen Freunde war es sehr gefährlich, sich über einen verhafteten Tschechen zu informieren. Zu groß war die Gefahr, dass die Gestapo misstrauisch wurde. Wochenlang erhielt die Familie keine Nachricht über Václav und seinen Verbleib.
VII.
Kurz vor Weihnachten erhielt Maries Mutter den ersten Brief von Václav. Er war nach Deutschland verschleppt worden.
Die ganze Familie versammelte sich nach der Arbeit in der Küche des Gasthauses und Marie las seinen Brief mehrmals hintereinander laut vor. Auch viele Bekannte der Familie und Gäste, die Václav kannten, waren in die Küche der Bartoš gekommen, um zu erfahren, was mit ihm passiert war.
Gleich am nächsten Tag fuhr Marie mit dem Brief zu ihrem Vater nach Malá Strana (Altstadt). Ihr Vater, Anton Bartoš, war inzwischen von ihrer Mutter geschieden und wiederverheiratet. Als er den Brief gelesen hatte, war auch er sehr erleichtert, dass Václav lediglich als Zwangsarbeiter nach Berlin und nicht in ein KZ der Deutschen verschleppt worden war.
Václav schrieb unter anderem:
… „das Essen ist hier nicht nur schlecht, sondern auch zu wenig. Bei der Arbeit werden alle Arbeiter streng bewacht und jede Sabotage wird ohne Gericht mit sofortiger Erschießung bestraft. Die Arbeit ist nicht nur zu schwer, sondern der Akkord und die viele Stunden führen oft zu totaler Erschöpfung. Schlimm sind auch die Luftangriffe auf Berlin, die den erschöpften Arbeitern die Nächte und die Zeit zur Erholung rauben.“
Weiter schrieb Václav:
„Nur eine Bombe in der Nähe, wo wir untergebracht sind, und wir werden alle sterben,“
Und zum Schluss noch:
„Bitte, könnt ihr uns, mir und meinem Freund Josef, der auch aus Prag ist, etwas warme Kleidung, Socken, Schuhe, Decken, Lebensmittel und natürlich auch ein paar Zigaretten schicken? Das Essen aus den Paketen wird meistens in den Zimmern verteilt. Aber Kleidung dürfen wir uns behalten. Bitte schreibt mir!!
Ich liebe euch.
Euer Vašek
Die ganze Familie freute sich, Nachricht von Václav zu erhalten, aber sie alle machten sich auch große Sorgen um ihn. Sofort packten sie das Nötigste in ein erstes Paket für Václav und schickten es noch am gleichen Tag nach Berlin. Auch sein Vater packte neben Fleischkonserven und Zigaretten warme Unterwäsche ein und verschickte es.
VIII.
Die ständigen Schuldzuweisungen und Vorwürfe ihrer Familie aufgrund der Beziehung mit Georg führten dazu, dass Marie ernsthaft darüber nachdachte, die Beziehung zu beenden. Aber sie wollte noch abwarten, bis Georg wieder nach Prag käme, um ihm ihre Entscheidung persönlich mitzuteilen. Das war sie ihm schuldig.
Marie fühlte sich in der letzten Zeit nicht sehr wohl und nahm an, eine Erkältung zu haben. Sie wollte wegen ihrer kleinen Beschwerden nicht gleich zum Arzt laufen, aber als sie sich auch noch des Öfteren übergeben musste, entschloss sie sich doch, einen Arzt aufzusuchen. Der Arzt untersuchte sie und die Diagnose, die er stellte, warf für Marie zunächst aus der Bahn. Der Arzt teilte ihr mit einem kleinen Lächeln mit:
„Sie sind nicht krank, Sie sind schwanger.“
Diese Nachricht traf Marie absolut unvorbereitet. Sie wusste nicht, wie sie ihrer Mutter und dem Rest der Familie eine Schwangerschaft beibringen sollte. Marie fühlte sich sehr alleine, denn nur ihr selbst oblag es, eine Entscheidung zu treffen.
Was sollte sie tun? Abtreiben oder unverheiratet, als alleinstehende Mutter ein Kind aufziehen? Oder war es besser, sich gerade jetzt nicht von Georg zu trennen und vielleicht zu ihm nach Berlin ziehen und ihn zu heiraten? Diese Entscheidung über ihre eigene Zukunft und die ihres Kindes zu treffen war alles andere als leicht für sie. Da sie sich nicht traute jemandem von ihrer Schwangerschaft zu erzählen, fühlte sie sich von der ganzen Welt verlassen. Oft weinte sie deshalb aus Verzweiflung.
Marie aber nahm letztendlich ihren ganzen Mut zusammen und vertraute sich ihrer Mutter an. Der Familienstreit war vorprogrammiert. Ihre Mutter war fassungslos, fing an auf Marie einzuschreien und ihr mit den Fäusten auf den Bauch einzuschlagen. Marie sei eine Schande für die ganze Familie und solle sofort abtreiben, statt den Deutschen zu heiraten. Sie drohte Marie, ihren Vater anzurufen und ihm von der Schwangerschaft zu erzählen. Auch Maries jüngere Schwester Anna und ihr Bruder Anton versuchten sie zu einer Abtreibung zu überreden.
Marie weinte nicht nur in den Nächten, sondern häufig auch am Tage. Sie wusste, dass ihr niemand diese Entscheidung abnehmen konnte. Keiner in der Familie hatte Verständnis für sie. Sie wollte die Entscheidung über ihr Kind aber nicht alleine treffen und so schrieb sie Georg einen Brief nach Berlin. Marie bat ihn darin eindringlich bald nach Prag zu kommen, weil sie mit ihm etwas sehr Dringendes besprechen müsste. Von der Schwangerschaft schrieb sie jedoch vorerst noch nichts. Nach ein paar Tagen rief Georg aus Berlin an und versprach Marie gleich nach Weihnachten zu ihr nach Prag zu kommen. Er könne nicht sofort nach Prag fahren, weil er gerade mitten in der Vorbereitung für den nächsten Film steckte, teilte ihr er mit, dass er sich schon jetzt sehr darauf freue, Marie wiederzusehen.
IX.
Die Vorbereitungen für das Weihnachtsfest verliefen in der gesamten Familie Bartoš sehr ruhig, aber auch traurig. Václav war noch immer in deutscher Gefangenschaft und es sah nicht danach aus, als würde er so schnell zurückkehren. Marie, die sich um die ganze Familie kümmern sollte, war schwanger von einem Deutschen. Sie hatte sich noch immer nicht dazu durchgerungen, eine Entscheidung zu treffen.
Maries Mutter ließ sie hart arbeiten und schwere Sachen tragen. Heimlich verfolgte sie das Ziel, Marie könnte dadurch das Kind verlieren. Es waren sehr harte Zeiten für Marie. Sie wartete sehnsüchtig auf Georgs Besuch, um mit ihm gemeinsam über die Schwangerschaft zu entscheiden. Denn schließlich war es auch sein Kind.
Endlich war es so weit und kurz nach Weihnachten kam Georg mit dem Zug in Prag an. Am Bahnhof angekommen, fuhr er sofort mit dem Taxi zu Marie nach Karlín in das Gasthaus U Bartošu. Als er das Gasthaus betrat, fand er Marie dort zum Glück alleine vor, denn ihre Mutter war einkaufen gegangen. Marie bat Georg, lieber ins Hotel zu fahren, sie würde ihn dann später dort besuchen, denn sie musste etwas sehr Wichtiges besprechen, was sie lieber im Hotel tun würde. Sie berichtete noch kurz von Václavs Brief und seinem Verbleib in der Gefangenschaft, anschließend fuhr Georg mit dem Taxi ins Hotel Flora.
Als Maries Mutter nach dem Einkauf nach Hause kam, erzählte Marie ihr von Georgs Ankunft und, dass sie sich mit ihm im Hotel treffen würde.
Den ganzen Abend lief Marie in der Wohnung auf und ab und überlegte fieberhaft, wie sie Georg von ihrer Schwangerschaft erzählen könnte und zerbrach sich den Kopf, wie er wohl auf diese Nachricht reagieren würde.
Am nächsten Morgen rief Georg wie versprochen um neun Uhr an und teilte ihr mit, dass er sie jetzt mit dem Taxi abholte. Bevor sich Marie anzog, betrachtete sie im Spiegel noch ihren wachsenden Bauch. Sie wollte nicht, dass Georg etwas merkte bevor sie es ihm gesagt hätte und entschied sich für etwas weiter geschnittene Kleidung.
Fertig angezogen ging Marie in die Küche und teilte ihrer Mutter mit, dass sie sich jetzt mit Georg treffen werde. Ihre Mutter, voll und ganz aufs Kochen konzentriert, reagierte nicht. Marie zog sich ihren Mantel an und setzte einen Hut auf. Dann ging sie langsam aus dem Gasthaus auf die Straße und wartete dort auf Georg. Draußen war es empfindlich kalt und auf dem Bürgersteig lag Schnee.
Ein Taxi hielt an und Georg stieg schnell aus, um Marie über den Schnee in den Wagen zu helfen. Endlich konnte er Marie inniglich begrüßen. Anschließend fragte er sie, wohin sie mit ihm fahren wollte. Marie war ziemlich egal, sie wollte nur weg von zuhause. Georg spürte, dass mit Marie etwas nicht stimmte, wollte aber abwarten, ob sie es ihm von sich aus erzählen würde.
Draußen war es kalt und so schlug Georg vor, in das Café an der Moldau-Insel Žofín zu fahren. Im Taxi kam das Gespräch zwischen den beiden nochmals auf Václavs Brief. Georg versprach ihr zu versuchen ihren Bruder im Lager zu besuchen und ihn mit Lebensmitteln und Zigaretten zu versorgen.
Als das Taxi auf der Straße vor der kleinen Brücke zum Žofín anhielt, reichte Georg dem Taxifahrer das Geld nach vorne und bedankte sich auf Tschechisch mit einem komischen Akzent:
„Děkuji“ (Dankeschön).