mit Fotografien von
Andre Schönherr
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1. Auflage
© 2021 Bergwelten Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg
Die Originalausgabe von »Zurück in die Berge« ist 1970 erschienen.
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Gesetzt aus der Palatino, Madera, Mrs. Eaves
Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:
Red Bull Media House GmbH
Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15
5071 Wals bei Salzburg, Österreich
Umschlaggestaltung & Satz: b3K design, Andrea Schneider, diceindustries
Coverabbildung: shutterstock.com/pixpenart
Fotos Innenteil: Andre Schönherr (S. 14, 120/121, 134/135: Getty Images/Andre Schönherr), außer: S. 71: Getty Images/
EyeEm, S. 112/113: Getty Images/Pat Meier Photography, S. 124/125: Hans-BernhardHuber/laif/picturedesk.com
ISBN 978-3-7112-0024-2
eISBN: 978-3-7112-5023-0
Vorwort 1970
Zurück Zur Natur
DIE ERSCHLIESSUNG DER ALPEN IST ABGESCHLOSSEN
OB BERGSTEIGEN SPORT IST
BERGSTEIGEN – WEG ZUR SELBSTVERWIRKLICHUNG
DIE BERGE SIND KEIN AUSWEG
MEHR FREIZEIT
DIE EIGENE LEISTUNGSGRENZE
DIE ZUFRIEDENHEIT
DAS EINFACHE LEBEN
WAS ÜBER BERGSTEIGEN GESCHRIEBEN
EINE ERKLÄRUNG
WENN BISHER DIE RECHTFERTIGUNG
IN DEN ERSTEN 100 JAHREN
UM UNS ZU ENTSPANNEN
1970 – JAHR DES NATURSCHUTZES
Morgen
Abend
Europäische Seilschaft
Raum und Zeit
Gitter
Biwak
MANCHMAL SPÜRE ICH STEINE IN DEN SCHUHEN
UND NUN SPÜRE ICH STEINE IN DEN SCHUHEN
Frühling
Aufstieg
WANDERN
Nebel
KLETTERSTEIGE
GUGLIA DI BRENTA SCHMAL – SCHLANK – STEIL EINE NADEL AUS FELS
DAS WESENTLICHE
ORTLERNORDWAND
DER GIPFEL
VERGNÜGEN IST ZUGABE
Über die Berge
Letzter Blick am Abend Vor Der Hütte
UNSERE ERSTE WESTALPENFAHRT
AUF DEN SPUREN DER ALPINEN GESCHICHTE
Erstbegehung
EINE ERSTBEGEHUNG
SELBSTGESPRÄCH UNTER DER SÜDWAND
GESPRÄCH IN FALCADE
ERKUNDUNG, AUF DER ZWEITEN TERRASSE
AN DER STRASSE ZUM SELLAJOCH
GEHEIMNIS NACH DEM VORTRAG
IN DER SCHMIEDEWERKSTÄTTE
TELEFONGESPRÄCH MIT CLAUDIO BARBIER
IN ZWEI STUNDEN BIN ICH BEI DIR
WARUM GERADE DIESE WAND
DIE BERATUNG
IN DER BIWAKSCHACHTEL
WIEDER AM EINSTIEG
Glückbringende Dinge
ALLEINGANG
AM PIZ CIAVAZES ODER EIN ALLEINGANG
EIGERNORDWAND
UNTER DER NORDWAND ODER EIN RÜCKZUG
KLETTERMÜDE
Gewitter
HEILIGKREUZKOFEL LIVANOS-PFEILER
AM MITTELPFEILER
Berge
DER LETZTE HAKEN ODER EINE WINTERBEGEHUNG
EIN VOGELNEST IN DER CIVETTA-MAUER ODER EIN BIWAK
GEFAHREN
AUFPASSEN, AUFPASSEN
ANGST UND SICHERHEIT
Zurück
Ausstieg
BERGSTEIGEN – Richtig angefangen hat man damit vor 200 Jahren. Forscherdrang, Neugierde waren die Triebfedern. Zuerst galt es den höchsten Gipfeln der Alpen: Montblanc, Ortler, Matterhorn …
Engländer kamen und Deutsche, Franzosen und Italiener. Bewegungen kamen auf, die alpinen Vereine. Immer größer wurde die Zahl der Bergsteiger. Die Einheimischen zeigten ihnen den Weg durch die Täler, durch die Hochwälder bis hinauf in die Kare, und die unbestiegenen Gipfel wurden weniger, mit jedem Jahr.
Die ersten Zeitschriften erschienen. Man sprach viel von Abenteuer, Romantik, Kampf. 100 Jahre ist das her.
Die schwierigsten Gipfel waren übrig geblieben. Aber nicht lange trotzten sie dem Heldenmut und der Todesverachtung der neuen Generation. Der Eroberungsalpinismus in den Alpen war zu Ende, und noch vor der Jahrhundertwende begann der Schwierigkeitsalpinismus, der heute noch andauert und vom einen als Sport, vom anderen als Spiel betrieben wird. Immer schwieriger wurden die Routen, die große Könner über die Kanten, durch die Wände und Pfeiler der unzähligen Alpengipfel zogen. Die nächste Generation wiederholte diese Führen und suchte neue, noch schwierigere …
Um die fortwährend erhöhte Reizschwelle noch zu überbieten, mussten immerzu stärkere Reize gefunden werden. Und man fand sie. Senkrechte, ja sogar überhängende Wände, 1000 Meter und mehr, wurden durchstiegen. Jede Generation ging bis an die eigene Leistungsgrenze heran, und jede kam einen Schritt weiter. So lange wenigstens, bis mit der Überhandnahme der technischen Hilfsmittel ein Rückschritt begann. Oft sprach man vom Untergang des Alpinismus, vor dem Ersten Weltkrieg schon, und dann wieder nach der Erstdurchsteigung der Großen-Zinne-Nordwand (1933). Nach der Eigernordwand fiel die Westwand der Dru (1952). Bedeutet sie wirklich »eine Wende im Alpinismus«, oder war sie nur ein größerer Sprung in der bergsteigerischen Entwicklungskurve, die mehr und mehr vom Einsatz künstlicher Hilfsmittel bestimmt wurde?
Es war vorauszusehen, dass sich dieser Trend zum immer Steileren mit immer mehr künstlichen Hilfsmitteln totlaufen muss.
Der Umstand, dass die Entwicklung so und nicht anders verlaufen ist, besagt aber nicht, dass nicht auch eine andere Entwicklung möglich gewesen wäre als genau diese, die Tatsache geworden ist.
Paul Preuß hat eine andere Richtung vorgeschlagen. Hätte man sie befolgt, so wären viele Wände noch undurchstiegen, viele Zinnen ohne Gipfelbuch, und die Erschließung wäre noch lange nicht abgeschlossen.
Es hat keinen Sinn, der Vergangenheit nachzuweinen. Was jetzt ist, betrifft uns. Für uns ist das Bergsteigen noch nicht getan. Wir können es tun, und das ist es, was am Bergsteigen geblieben ist.
Zudem birgt das Bergsteigen noch viele wesentliche Aufgaben, und die meisten Probleme sind noch offen: eine Unzahl von Fragen, die zu beantworten sind und in deren Mitte wir stehen. Wir können sie nicht übersehen.
Beim flüchtigen Hinsehen werden wir uns dessen nicht bewusst. Deshalb will ich hineingreifen in den Fragenhaufen und einige aufwerfen, so wie sie mir gerade einfallen.
Dieses Buch ist vor mehr als 50 Jahren erstmals erschienen, kurz nach der Tragödie am Nanga Parbat 1970, wo mein Bruder Günther starb. Nicht mein Lebenssinn, mein inneres Gleichgewicht war mir am Nanga Parbat abhandengekommen. Auch weil sich Werte wie Kameradschaft, Idealismus oder Achtsamkeit verflüchtigt hatten. Ich war am Ende der Welt allein und verloren geblieben.
Die Auseinandersetzung mit dem Berg kann uns – wie ich erfahren hatte – zu besseren Individuen machen, muss aber nicht: Wenn wir gesund sind und unseren Platz in der Natur gefunden haben, finden wir diesen auch in der Gesellschaft.
In diesem Sinne ist dieses Buch eine Anregung geblieben, selbstbestimmt zu leben, unsere Aufmerksamkeit mit geschärften Sinnen auf das Wesentliche zu richten, um dem Leben Stück für Stück Sinn zu geben. Indem wir die Sinnhaftigkeit über die Nützlichkeit stellen, den Verzicht über den Konsum, leben wir eine Haltung, die den Bergen gerecht wird. Die Bergnatur hilft uns zu heilen, wenn Respekt und nicht Überheblichkeit gegenüber den Bergen uns leiten. Wo die Bergnatur nicht konsumiert, sondern respektiert wird, bleibt auch sie heil. Bei körperlicher Aktivität in den Bergen – zu Fuß durch Wälder, im Auf und Ab in einer unverbrauchten Landschaft, auf Anhöhen und durch Schluchten – sind wir im Hier und Jetzt! Die Zukunft ist weit weg, die Vergangenheit vorbei, das Dasein ein Fest. Solche Augenblicke passieren oft zufällig, ohne dass wir uns anstrengen müssen, wir nennen es heute »Flow«. Damals, zur Zeit des Erscheinens meines Erstlings, gab es den Ausdruck nicht, wohl aber den Zustand.
Die Natur ist immer wieder neu, unerschöpflich, kreativ, sie eröffnet uns dauernd besondere Entdeckungen, schenkt uns Herausforderungen verschiedenster Art. Sie fordert aber auch eine besondere Achtsamkeit – nach innen und nach außen – auf die Berge, auf uns selbst gerichtet.
In der Natur passiert alles absichtslos. Sie ist immerzu in Bewegung, und auch wir selbst bleiben darin gesund, solange wir in Bewegung bleiben. Im gleichmäßigen Rhythmus des Steigens wird die Erfahrung des Gehens zu unserer Natur, werden Gedanken zu Emotionen, verschwinden Lebensängste.
Der Berg schenkt uns das tiefe Bewusstsein, Teil der Natur zu sein. Berggehen heißt immerzu achtsam sein – auf unsere Partner/-innen, die elementarsten Bedürfnisse, auf die uns umgebende Bergwelt. Diese Haltung der Vorsicht, der Dankbarkeit, des Staunens auch erfüllt mich seit meiner Kindheit, seit ich erstmals in die Berge – in die Dolomiten – mitgenommen wurde.
Diese Haltung war es auch, die mir in einem immer schneller gelebten Leben Staunen, Entschleunigung, Respekt vor der Natur abverlangte. Und diese Haltung floss in meinen Erstling ein. Deshalb sind meine Texte von damals immer noch aktuell, vielleicht aktueller denn je.