Besser auf neuen Wegen etwas stolpern
als in alten Pfaden auf der Stelle zu treten

Chinesisches Sprichwort

Evelyn Brennhausen hat mit ihrem Mann zwanzig Jahre im Mittleren Osten und in Asien gelebt. Die Erlebnisse ihres ersten Auslandsaufenthalts hat sie in ihrem Buch "Eva muss unters Kopftuch" festgehalten. Nun folgen spannende Ereignisse aus ihrem zweiten Auslandsaufenthalt: "Eva muss nach Taiwan". Heute lebt das Ehepaar am Bodensee.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2021 Evelyn Brennhausen

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-754386583

Inhaltsverzeichnis

  1. Deutschland Ade!
  2. Reif für die Insel
  3. Der Drachen-Palast
  4. Der Drache isst mit!
  5. Kleine Entdeckungstour
  6. Einladung bei den ‚Hausbesetzern‘
  7. Zum ersten Mal im Büro
  8. Hallo Taxi!
  9. Chinese New Year
  10. Der Hong Bao
  11. Laternenfest
  12. Die anfänglichen Herausforderungen!
  13. Wirren am Zoll
  14. Chiang Kai-shek
  15. Erste Bekanntschaften
  16. Hotel-Intermezzo
  17. Einzug ins Haus
  18. Ein Rundgang im Garten
  19. Mein neues Auto und ein Malheur
  20. Geschäftsbesuch
  21. Gebet der Reue
  22. Die Pagode
  23. Alles Chinesisch?
  24. Das schöne Schreiben
  25. Am Samstag will mein Süßer …
  26. Zu hart am Wind gesegelt
  27. Die lange Nacht des Wartens
  28. Rückkehr eines Helden
  29. Eine frivole Trauerzeremonie
  30. Trauerfall bei den Nachbarn
  31. Spukt die tote Greisin?
  32. Das letzte Geleit!
  33. Hausverbrennung
  34. Monatssitzen und das betrunkene Huhn
  35. Räucherstäbchengolf
  36. Der Long Shan Tempel
  37. Schlangengetier und andere Viecher
  38. Mr. Wu, der Akupunkteur
  39. Din Tai Fung
  40. Oolong Tea
  41. Kota Kinabalu
  42. Ein Besuch in der Chinese Opera School
  43. Fotosession in einem Brautgeschäft
  44. Hochzeit auf taiwanisch
  45. Auf den Spuren von Feng-Shui
  46. Feng-Shui in Hongkong
  47. Rückblick im siebten Jahr
  48. 7-Eleven macht mit!

1. Deutschland Ade!

Als wir im Herbst 1994 von unserem ersten Auslandsaufenthalt Iran, wo wir fast drei Jahre als Expatriierte gelebt hatten, von der Firma meines Mannes wegen der schlechten Wirtschaftslage des Landes abgezogen wurden, kam der Weggang für mich viel zu früh. Wie gerne wäre ich noch ein paar Jahre in diesem schönen Land geblieben.

Doch das neue Einsatzland ‚Taiwan‘ wartete bereits auf uns, wo Peter ab Januar als zukünftiger Geschäftsführer für die Vertriebsgesellschaft Taiwan eine Stufe höher auf der Erfolgsleiter klettern würde.

Bevor es losging, ‚parkten‘ wir drei Monate in unserer Wohnung in Deutschland, und während Peter sich auf unseren nächsten Auslandseinsatz vorbereitete, kümmerte ich mich um die Dinge drumherum. Angebote von Umzugsunternehmen einholen, Prospekte und Reiseführer besorgen usw.; auch machte ich mich kundig über Kultur, Traditionen, Land und Leute. Darüber hinaus musste unsere Wohnung gekündigt werden, denn Taiwan gilt als sicheres Land und es war kein Standbein in Deutschland mehr notwendig, wie es für unsere Zeit im Iran erforderlich gewesen war.

Nach einem Auslandsaufenthalt steht für Expatriierte eine Abschlussuntersuchung im Tropeninstitut auf dem Programm. Glücklicherweise waren wir ohne Befund. Was weniger erfreulich war, für Taiwan pumpte man uns mit den erforderlichen Impfstoffen voll: Polio, Tetanus, Diphtherie, Typhus, Hepatitis und Japanische Enzephalitis. Nach der überstandenen Prozedur liefen wir als wandelnde Apotheke umher und verweigerten vehement noch weitere Vakzine. In die abgeschiedenen Ecken eines taiwanischen Dschungels wollten wir auf keinen Fall vordringen.

Anfang November flog Peter zum ersten Mal nach Taipeh und als er von seiner zweiwöchigen Geschäftsreise zurückkam, war er begeistert. Den Stapel Fotos, auf den ich besonders neugierig war, riss ich ihm fast aus der Hand. Fotos aus dem Leben, das uns erwartete, damit konnte ich mehr anfangen als mit den schön präsentierten Aufnahmen der Reiseprospekte. Auch seine Erzählungen stimmten mich optimistisch und der taiwanische Ananaskuchen versüßte mir die Aussicht.

Zahlreiche Bilder gab‘s nicht nur von Taipeh, sondern auch vom Haus, das wir vom jetzigen Geschäftsführer übernehmen könnten. Der Vermieter sei bereits informiert und einverstanden.

Das Haus gefiel mir gut mit seinen großzügigen Zimmern, eingebauter Küche und dem Swimmingpool im Gartenbereich. Viel Grün war zu sehen und es befand sich in ruhiger Lage. Es zu übernehmen hieße, eine Wohnungssuche mit irgendwelchen Immobilienmaklern fiele aus, ebenso die Übergangsphase in einem Hotel! Welch große Erleichterung! Doch meine Freude wurde im gleichen Moment getrübt, da Peter auch eine bittere Pille im Gepäck hatte. Das Haus konnten wir bekommen, aber nicht im Januar!

„Wieso das denn?“, brauste ich auf.

„Die Tochter muss erst in Taipeh das Sommerschuljahr beenden, ansonsten nimmt man sie nicht in der internationalen Schule in China auf. Deswegen bleibt die Frau mit den beiden Kindern weiterhin im Haus in Taipeh und Wilfried wird wie gehabt für die Firma nach China entsandt!“

Die Tragweite dieser Fehlplanung sickerte mir mehr und mehr in mein Bewusstsein und ich wurde unruhig.

„Und wann endet dort das Sommerschuljahr?“, fragte ich, und hoffte auf April.

„Ende Juni!“, löschte er meinen aufgekommenen Lichtblick.

„Aber was machen wir denn jetzt?“

„Das ist die Frage!“, antwortete mein besonnener Mann, „Wir können etwas anderes suchen oder sechs Monate auf das schöne Haus warten!“

„Ein halbes Jahr im Hotel? Ich weiß nicht ...!“ Dabei dachte ich an unser Umzugsgut. Schließlich erwarteten wir zwei Ladungen, eine aus Deutschland und eine aus Teheran.

„Dann wären wir ein halbes Jahr ohne unsere Sachen!“, gab ich zu bedenken, „In Taiwan ist dann Sommer und die gesamte Sommerkleidung steckt in dem Iran-Umzug fest!“ Wenn Peter doch nur früher davon erfahren hätte, …

„Das ist doch kein Problem! Nachdem unsere beiden Umzüge durch den Zoll sind, holen wir das heraus, was wir brauchen und lagern es dann ein.“, war Peters Lösung.

„Das sind zwei Hausstände! Wie willst du von über vierhundert Kartons den richtigen finden? Außerdem wird bei dieser hohen Luftfeuchtigkeit alles verschimmeln und voller Stockflecke sein! Peter, unser gesamter Hausstand wird vermodern!“ Mir schwante ein heilloses Chaos!

„Das muss natürlich ordentlich gelagert werden, am besten in einer Halle mit Klimaanlage.“

„Du hast wohl auf alles eine Antwort!“, gab ich zurück.

„Eva, wir können jetzt endlos reden und reden, es bleiben doch nur diese zwei Möglichkeiten.“

„Ja, ich weiß.“

„Pass auf, wenn wir in Taipei sind, zeige ich dir sofort das Haus und du wirst sehen, es lohnt sich, darauf zu warten! Wenn du mal in Ruhe darüber nachdenkst, hat das auch eine praktische Seite. Du brauchst in der ganzen Zeit keine Betten machen, nicht kochen und nicht putzen, während ich im Büro sitze und hart arbeite!“, meinte er grinsend, „Und wenn dir das Hotelleben auf Dauer nicht gefällt, stöbern wir im Immobilienmarkt! Versprochen!“

Das versöhnte mich und ich willigte ein.

Wie vor der Iraneinreise, hatte ich auch jetzt eine lange Einkaufsliste mit unseren Wohlfühlprodukten erstellt. Neben Kaffee, Lakritze und Gummibärchen wanderten Saure Gurken-Gläser, Dosen mit Rotkohl und Sauerkraut in meine Taschen. Besser ich bin gerüstet, sagte ich mir, zumal ausländische Produkte dort teuer sein sollen.

Alkoholeinfuhr ist für dieses Land kein Problem, wenn es sich um die erlaubte Menge von je einem Liter pro Person handelt. Frisches Obst und Gemüse einzuführen ist allerdings verboten; und besonders empfindlich reagieren die Beamten, wenn sie Waffen und Drogen im Gepäck finden! Auf Drogen jeglicher Art steht die Todesstrafe! Und wo ordne ich da die Backmischung für Mohnkuchen ein? Fällt die auch unter Drogenschmuggel? Sicherheitshalber strich ich sie von meiner Liste. Unverfänglich hingegen erschien uns der Rat eines Freundes, der seit einiger Zeit unter Kreuzschmerzen litt.

„Kauft euch doch ein Wasserbett! Das ist super für den Rücken!“, schwärmte er uns vor, „Und erwärmen lässt es sich auch!“

Genau das war der entscheidende Punkt, uns solch ein Bett anzuschaffen. Damit konnte uns die feucht-kühle Jahreszeit in Taiwan nichts mehr anhaben. Allerdings brachte uns das Wort ‚Wasserbett‘ von unseren Freunden Geschmunzel und freche Bemerkungen ein. Eigene Erfahrungen hatte keiner von ihnen, doch wir versprachen zu berichten, wie es dann wirklich so zugehe auf einer Wassermatratze. Im Moment stand unsere neue Errungenschaft noch originalverpackt zum Abtransport für Taipeh in der Ecke. Wasser einfüllen, so hofften wir, wird bestimmt kein Problem sein.

Als wir dem Umzugsunternehmen grünes Licht gaben, verließ im Dezember unser Hab und Gut die Wohnung und der endgültige Schritt ‚Auswanderung‘ in unserem Leben war getan! Wir schlossen zum letzten Mal die Haustür unserer Wohnung ab, übergaben den Schlüssel dem Vermieter und mit vielen Koffern machten wir uns auf nach Taiwan.

2. Reif für die Insel

Aus politischen Gründen ist die Insel Taiwan mit einem Direktflug deutscher Airlines nicht zu erreichen, auch nicht mit vielen der anderen europäischen Fluggesellschaften. Für die Volksrepublik China gilt der Inselstaat, der sich nicht zum mächtigen Mutterland bekennt, als ‚abtrünnige Provinz‘, und Staaten, die diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik China unterhalten, bekommen keine Landeerlaubnis für Taiwan! ‚Republik China‘ ist der offizielle Name Taiwans, sie ist zwar unabhängig, doch der Status der Insel ist seit 1949 nicht geklärt.

Auf unserem Ziel nach Taipei hatten wir den Flug über Hongkong gebucht und nach fast 12 Stunden Flugzeit näherten wir uns endlich dem Hongkonger Flughafen Kai Tak. Der komplizierte Anflug und das Landemanöver gehörten zu den dramatischsten der Welt und wurde wegen der meistens vorherrschenden schweren Winde noch kniffliger.

Während mir das durch den Kopf ging, sank der Flieger plötzlich rapide ab und legte sich in eine scharfe Kurve. Vor Angst krallte ich mich an den Sitzlehnen fest, witterte schon einen Crash an den Bergen, die plötzlich an meiner Seite vorbeizogen!

„Eva, entspann dich!“, beruhigte mich Peter und streichelte meine Hand, „Die Piloten haben eine spezielle Ausbildung für diesen Flughafen! Schau doch mal, ist das nicht spektakulär?“

Mit Herzklopfen verfolgte ich aus den Augenwinkeln das weitere Landemanöver! Die Berge hatten wir hinter uns gelassen, flache Dächer zogen vorbei, und dann tauchten Hochhäuser neben mir auf. Und … in meinem starren Schreck bemerkte ich, wenn auch nur flüchtig, diesen Adonis! Er stand direkt vor einem Fenster und war splitterfasernackt! Bevor ich mir wie ein Spanner vorkam, schwenkte der Flieger wieder in die Horizontale und der Nackte verschwand aus meinem Blickfeld.

Als der Pilot die Maschine sicher aufsetzte und mit voller Kraft auf der recht kurzen Landebahn abbremste und auslief, atmete ich tief durch. Das Spektakel war vorbei und ich war froh, wieder Boden unter mir zu spüren. Boden des Kai Tak Flughafens in Hongkong.

(Kai Tak, der innerstädtische Flughafen, wurde am 6. Juli 1998 geschlossen und durch den neu erbauten Flughafen Chek Lap Kok ersetzt.)

Nach einer Stunde Wartezeit im Transitbereich gingen wir an Bord einer taiwanesischen Airline. In vollem Tempo jagte der Pilot die Maschine über die kurze Startbahn und ich betete, dass er die Nase der Maschine rechtzeitig in die Luft bekäme. Doch sie hob früh genug ab, landete nicht im Hongkonger Hafenbecken und meine Anspannung ließ nach.

Nach etwa einer Stunde Flugzeit durchströmte ein Kribbeln meinen Körper. Unter mir war bereits Taiwan, unser nächstes ‚Heimatland‘! Gerade überflogen wir die Gebirgskette, die sich wie eine Blattmittelrippe durch die Insel zieht. Viele Berge erreichen hier mehr als 3000 Meter Höhe und der höchste Berg mit fast 4000 Metern ist der Yu Shan, der Jade-Berg. Von Januar bis März soll in den oberen Höhenlagen sogar Schnee liegen. Den konnte ich aus meiner Vogelperspektive nicht entdecken, dafür aber jede Menge sattes Grün.

Vor etwa 10 000 Jahren sollen die ersten Menschen auf die Insel gekommen sein, Proto-Malaien, eine Ethnie in Südostasien. Als später die Insel besiedelt wurde, gab es wilde Stämme mit Kopfjägern, die sich in den Bergen blutige Kämpfe lieferten und bis weit ins 20. Jahrhundert ihr Unwesen trieben. Nicht auszudenken, so jemanden heute noch gegenüberzustehen! Da bevorzugte ich doch die andere Gruppe, die sesshaft wurde und Landwirtschaft in den fruchtbaren zentralen und südwestlichen Ebenen der Insel betrieb, wie die Hakka, eine verfolgte Ethnie aus China. Sie hatte sich um 1000 n. Chr. im Süden Taiwans angesiedelt.

1517 erspähten portugiesische Seefahrer dieses Fleckchen Erde und sie nannten es ‚Ilha Formosa‘ - ‚Schöne Insel‘. Sie wussten sicher nicht, dass ihr gerade entdecktes Land die Form eines Tabakblattes hat. Was ich allerdings von hier oben aus auch nicht erkennen konnte, aber ein Blick in meinen Atlas hatte genügt.

Nicht nur die Portugiesen zeigten Interesse an ‚Ilha Formosa‘! Chinesen, Japaner, Niederländer und Spanier, unter ihnen auch Piraten und Gauner, stellten fest, dass hier ‚Milch und Honig‘ floss. Einmal ließ es sich hier gut leben, andererseits konnte man für eine Weiterfahrt die Lagerräume der Schiffe mit reichlich Lebensmittel auffüllen.

Die Niederländer, die 1624 an der Südküste Taiwans drei Befestigungsanlagen bauten, saugten die Inselbewohner allerdings bis aufs Blut aus. Mit dem Handelsmonopol der niederländischen ostindischen Kompanie für Taiwan, importierte man unter anderem Opium, was sich von Taiwan aus gut nach China weiterverbreiten konnte.

Ich las weiter in meinen Reiseführer, dass in jener Zeit der ehemalige chinesische Kaiser Koxinga vor Chinas neuen Machthabern nach Taiwan geflüchtet war. Kaum angekommen, verjagte er die niederländischen Blutsauger aus dem Land und übernahm die Macht. Ungewöhnlich war, dass er es mit dem Inselvolk gut zu meinen schien; denn in seiner Regierungszeit sorgte er für den Bau von Transportwegen, förderte die Landwirtschaft und das Ausbildungssystem. Ebenso lebten die chinesischen Traditionen, Bräuche und Lebensgewohnheiten wieder auf, die durch die Niederländer und auch durch christliche Missionare unterdrückt worden waren. Später wurde Koxinga für Taiwan zum Nationalhelden erklärt! Er war für die Taiwaner ‚Chun Tzu‘ – der ‚Perfekte Mann‘!

Im 17. Jahrhundert begann jedoch der Leidensweg, als die großen Mächte an der Insel zerrten. Der Handel blühte, doch britische und amerikanische Firmen profitierten am meisten durch den Export von Reis, Zucker, Holz, Kohle und Tee, wobei Opium noch immer die größte Einnahmequelle ausmachte.

Ob sich heute noch jemand wagen würde, Opium auf Taiwan zu verticken? Wer weiß! Für mich waren Drogen sowieso tabu, die hatten mich selbst in jungen Jahren nicht interessiert, obwohl manche von dem ‚Kick‘ geschwärmt hatten.

Einen Kick bringen sicher die Erdbeben, die hier an der Tagesordnung sind. Die meisten bleiben unbemerkt, doch ab und zu sollen sie spürbar sein. Davor hatte ich größten Respekt, nicht zu vergessen die Taifune, diese mächtigen tropischen Wirbelstürme, die nach dem Sommer über die Insel fegen. Beides hatte ich bisher noch nicht erlebt und ich wäre dankbar, wenn es so bliebe. Ein weiteres Problem stellen die unzähligen giftigen Schlangen dar, die auf der Insel beheimatet sind. Eine Spezies, die ich nur im Terrarium akzeptieren kann.

Doch gespannt war ich auf die zwei Jahreszeiten, die Taiwan kennt. Bei unserer Ankunft werden wir die kalte erleben, die von Dezember bis März dauert, mit Temperaturen von 6°C bis 15°C. Erst ab Mai wird es wärmer und im Sommer steigen die Höchsttemperaturen bis zu 35°C, die ab Oktober wieder stetig sinken.

Wir lernen den subtropischen Norden kennen, während das tropische Klima im Süden der Insel liegt, doch beide wetteifern um die ergiebigsten Niederschläge; eine Luftfeuchtigkeit um die 80% ist fast immer präsent.

Taiwan hat mehr als zwanzig Millionen Einwohner und davon leben fast drei Millionen in Taipeh. Mit einer Länge von 400 Kilometer und einer Breite von etwa 140 Kilometer plus die vorgelagerten Inseln, ist Taiwan etwas größer als Baden-Württemberg. Aber statt schwäbisch oder badisch spricht man Chinesisch-Mandarin, das ist die Amtssprache. Doch vor nicht allzu langer Zeit war das anders!

50 Jahre lang war Taiwan unter japanischer Herrschaft und die neuen Kolonialherren zwangen die Bevölkerung zu einer ‚ordnungsgemäßen‘ Lebensweise. Was natürlich hieß: die japanische Lebensweise! In allen Lebenszweigen wurde modernisiert und damit wollte man Taiwan zu einer beispielhaften ‚Musterkolonie‘ machen!

Selbst chinesisch-sprachige Schulen wurden geschlossen, auch einheimische Dialekte, Sitten und Gebräuche nicht mehr gefördert. Per Gesetz wurde die Bevölkerung verpflichtet, die japanische Sprache zu erlernen und sie auch im öffentlichen Leben zu sprechen! Man lehrte die taiwanische Bevölkerung sogar, sich als Japaner zu betrachten, animierte sie, japanische Namen anzunehmen, japanische Kleidung zu tragen, japanische Kost zu essen und religiöse Rituale aus Japan zu übernehmen. Damit wollte man Taiwan für die Integration in das japanische Kaiserreich gleichmachen.

Obwohl die Lebensqualität der Einwohner unter der japanischen Herrschaft enorm gestiegen war, hatte das strenge System aus den Taiwanern trotzdem keine Japaner machen können. Zum Glück fand nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 die japanische Besetzung auf Taiwan ihr Ende.

Gottlob lag das 50 Jahre zurück und für uns blieb das Chinesisch! Eine Sprache mit sieben Siegel; und dazu diese Schriftzeichen! Peter und ich werden auf jeden Fall wieder Analphabeten sein und können nichts, aber auch gar nichts davon lesen, geschweige denn verstehen! Vielleicht nehmen wir diese Sprache in Angriff, wenn wir vor Ort sind. Vielleicht.

Vor Ort sein hieß Taipeh, die Hauptstadt Taiwans. Noch eine viertel Stunde bis zur Landung, sagten die Flugdaten auf dem Bildschirm und ich konnte bereits Häuser unter mir erkennen. Am liebsten wäre ich noch ein bisschen weitergeflogen, die kommenden Monate lagen mir im Magen. Als hätte Peter meine Gedanken gelesen, meinte er tröstend: „Wird schon werden!“

3. Der Drachen-Palast

Endlich war der Flieger auf dem Chiang Kai-Shek International Airport gelandet und rollte aus. Mit gemischten Gefühlen sah ich aus dem Fenster. Das graue Wetter, das uns empfing, passte zu meiner Stimmung. Mir graute vor einem halben Jahr Hotelleben.

„Die internationalen Flüge werden nur hier in Taoyuan, im Nordwesten der Insel, abgewickelt!“, kommentierte Peter sachlich in meine grauen Gedanken hinein, „Deswegen können wir nicht auf dem Stadtflughafen von Taipeh landen. Schade, dann wären wir schneller im Hotel!“

„Wie bitte?“, ich hatte gar nicht zugehört.

„Eva! Ich habe gesagt, …“, wiederholte Peter und versuchte, mich aufzuheitern, „Taoyuan bedeutet Pfirsichgarten. Ist das nicht ein schöner Name? Früher gab es hier zig Pfirsichbäume, aber mittlerweile sind die meisten davon verschwunden. Dafür blüht jetzt die Industrie in dieser dichtbesiedelten …!“

Plötzlich ließ eine Durchsage Peter verstummen. Ungehalten forderte eine Stewardess die Fluggäste auf, sich umgehend wieder zu setzen und sich anzuschnallen, da das Flugzeug die Parkposition noch nicht erreicht habe. Die Aufforderung verhallte ungehört. Gepäckstücke und jede Menge Plastiktüten waren bereits von einigen Fluggästen aus der Ablage gezerrt worden.

Als plötzlich der Flieger mit einem heftigen Ruck zum Stehen kam, gerieten die Übereiligen bedrohlich ins Schlingern. Ich musste grinsen und fragte mich, ob der Pilot etwa absichtlich so ruckartig gebremst hatte …

Als die Anschnallzeichen auf Grün sprangen, nahm das Chaos so richtig Fahrt auf. Jetzt wollten die Fluggäste der Fenster- und Mittelplätze ebenfalls an ihr Handgepäck, doch die Gänge blieben von den Übereiligen verstopft. Daraus entwickelte sich unter den Asiaten ein heftiger Wortwechsel, der bei mir als lauter Singsang ankam und mich zum Hinhören zwang. Was für eine Sprache dieses Chinesisch doch ist, dachte ich, zischelnde Laute und bellende Vokale.

Ich hatte gelesen, dass Mandarin das Hochchinesisch unter den vielen weiteren Dialekten ist und vier verschiedene Tonhöhen hat. Je nach Betonung sogar ein gleiches Wort unterschiedliche Bedeutungen haben kann.

‚Ma, Ma, Ma, Ma!‘, hatte mir Peter vorgesprochen, und dabei seine Stimme unterschiedlich geschwungen. ‚Mutter, Hanf, Pferd, schimpfen.‘ Damit nicht genug, es gibt sogar gleiche Worte in gleicher Tonlage, wo die Lösung nur im Schriftzeichen zu erkennen ist. Da soll noch einer durchblicken!

Als die Fluggastbrücke endlich angeschoben war, öffneten sich die Türen und der Pulk im Gang löste sich auf. Mit unseren vier Handgepäckstücken schlossen wir uns den anderen an, die Richtung Passkontrolle hechteten.

Der Beamte unserer Schlange war emsig. Als wir an der Reihe waren, guckte er nur kurz hoch, haute flugs den Stempel in den Pass und schon waren wir durch. Am Kofferband angekommen, drehten bereits einige Gepäckstücke aus unserem Flieger die Runde! Die sind hier aber von der flotten Truppe, staunte ich.

„Wenn ich an unsere Iran-Einreisen zurückdenke, war das bis jetzt ein Spaziergang!“, stupste ich Peter in die Seite.

„Sogar neben dir, ohne Geschlechtertrennung!“, stupste er zurück, „Das ist wieder Reisenormalität!“

Ich nickte und war doppelfroh, als uns dann der Beamte vom ‚Nothing to Declare-Bereich‘ mit unseren ungewöhnlich vielen Koffern durchwinkte. Schmuggelware hatten wir ohnehin nicht dabei, trotzdem waren wir gut gewappnet für die nächsten Wochen. Noch schipperte unser deutscher Hausstand irgendwo auf dem Meer und der Hausstand ‚Iran‘ ebenso. Niemand wusste so genau, wann unsere Sachen eintrudelten. Von vier bis sechs Wochen war die Rede.

„Wir müssen uns rechts halten, Eva, im Bereich Abholer erwartet uns Axel.“

Axel, das war der Fahrer für den Chef und er arbeitete fast sieben Jahre für die Vertriebsgesellschaft. Peter hatte ihn mir auf einem Foto gezeigt, aber ich hätte ihn niemals unter den Abholern wiedererkannt. Für mich sahen die Asiaten alle gleich aus. Und wie klein sie doch sind, Ausländer wirken daneben oftmals wie Riesen.

Axel entdeckte uns sofort. Auch er war nicht groß, da konnten sich seine Stoppelhaare noch so in die Höhe recken. Nach seiner äußeren Erscheinung schätzte ich ihn auf dreißig Jahre, aber ich wusste, er hatte die Vierzig bereits überschritten. Nach der Begrüßung und Vorstellung, glücklicherweise auf Englisch, begaben wir uns zum Parkdeck. Es fegte ein frischer Wind durch die offene Etage und ich war froh über meine Jacke. Am Firmenwagen angekommen, hielt Axel mir sofort die hintere Autotür auf. Ich bedankte mich und ließ mich in die weichen Polster fallen. Als Peter sich neben mich setzte, fand ich das etwas ungewöhnlich.

„Sitzt du nicht vorne?“, fragte ich ihn.

„Nein, wo denkst du hin. Der Boss sitzt immer hinten! Und hat freien Blick!“, schmunzelte er.

Die Kopfstütze vom Beifahrersitz war tatsächlich entfernt worden.

Ich hörte Axel stöhnen. „Willst du ihm nicht …“

„Das darf ich nicht. Er will das allein machen.“, meinte Peter gelassen.

Obwohl Axel nicht wie ein Hüne aussah, schien er Kraft zu haben. Ich war beeindruckt, dass er ‚problemlos‘ unser schweres Gepäck in den Kofferraum hievte. Unser Handgepäck legte er auf den Beifahrersitz.

„Was hat er vorhin zu dir gesagt? ‚Lau…‘ was?“

„Lauban! Ich bin der lauban, der Chef und du bist ab jetzt die lauban niang, die Frau des Chefs!“, erklärte mir Peter. „Daran wirst du dich gewöhnen, ist taiwanische Art!“

Aha, ich war also die lauban niang. Das hörte sich viel klangvoller an als das Chinesisch im Flieger. Vielleicht hatte ich auch Kantonesisch vernommen, den Dialekt, den man in Hongkong spricht.

Als Axel sich hinters Steuer setzte, hieß er uns nochmals Willkommen und meinte, dass wir in einer knappen Stunde im Hotel ankämen. Eigentlich hätte Axel mit seiner Größe kaum übers Lenkrad gucken können, aber ich schmunzelte, als ich ein dickes Sitzkissen unter seinem Po bemerkte. Nach einigen Kilometern fasste ich Vertrauen in seinen Fahrstil, entspannte mich und beobachtete grüne Hügel, die an mir vorbeirauschten.

Peter nickte ein, aber ich war hellwach, wollte nichts verpassen von meinem Einzug in die Stadt Taipeh. Nach etwa einer halben Stunde veränderte sich die Landschaft. Die saftig grünen Berge verzogen sich und Wohngebiete kamen in Sicht. Die Autobahn fraß sich mitten durch die Hochhäuser, die wie eine dicht gedrängte Truppe von Zinnsoldaten in hellbrauner Uniform strammstanden, in denen sich dazwischen Wohnhäuser als ‚Zivilisten‘, planlos aneinanderreihten. Die Baustile ließen mich schlucken. Sichtlich hatten hier Architekten mit unterschiedlichsten Geschmäckern gewirkt, so zusammengewürfelt wie es aussah. Zartrosa, hellgrün oder lichtblau in Kachellook war die Vorliebe der Fassaden und fast auf jedem der Flachdächer wuchsen wilde Konstruktionen der Marke Eigenbau. Kleine Hütten, zusammengeschusterte Holzverschläge, die für mehr Stauraum oder manchmal sogar für mehr Wohnraum herhalten mussten.

Noch kein einziges Haus im chinesischen Baustil hatte ich entdeckt! Stattdessen hatte man diesen Landstrich der ‚Ilha Formosa‘ mit einer hässlichen Bauweise verschandelt. Ob es wohl überall so aussieht, fragte ich mich enttäuscht. Jedenfalls dehnten sich hier die eigentümlichen Wohngebilde weiter aus, doch das Grün der Natur hatte sich zum Glück nicht ganz verdrängen lassen. Als dann der Verkehr dichter wurde, war ich sicher, wir hatten die Hauptstadt erreicht.

In welchem Hotel wir wohl landen? Peter hatte mir nichts verraten. Mein Favorit war das im chinesischen Baustil errichtete Grand Hotel, von dem ich Bilder im Reiseprospekt gesehen hatte. Dieses Hotel hatte mich schwer beeindruckt.

Und plötzlich sah ich es von weitem. Das Wahrzeichen Taipehs! Wie ein Palast thronte es erhaben hoch oben auf dem grünbewachsenen Hügel, ganz in Rot, nur das geschwungene Doppeldach trug goldfarbene Ziegeln. Was für eine Augenweide! Bald, ganz bald, sehe ich mir dieses Hotel von innen an, versprach ich mir.

Doch dieses ‚Bald‘ kam für mich schneller als gedacht. Axel bog doch wahrhaftig in die Straße ein, die zum Hügel führte. Irrtum ausgeschlossen, eine Hinweistafel bestätigte mir, dass wir auf dem direkten Weg zu meinem Wunschhotel fuhren. Ich war völlig aus dem Häuschen vor Freude. Mein Peter!!! Hat er mich doch tatsächlich überrascht.

„Peter, Peter!“, weckte ich ihn leise.

„Was ist los?“

„Wir sind da. Du bist mir ja einer! Hast du uns ins Grand Hotel eingebucht?“

„Na klar, was denn sonst? Wenn schon kein Zuhause, dann der beste Einstieg für uns! Hier bleiben wir erstmal und entscheiden dann, was wir tun!“

Ich drückte Peter schnell einen dicken Kuss auf die Wange und genoss dann jede Sekunde meines Ankommens. Gerade passierten wir ein chinesisches Portal, ebenfalls mit geschwungenen Dächern; und entlang einer gepflegten Gartenanlage ging’s hoch bis vor den überdachten Hoteleingang. Ehe ich mich versah, öffneten Pagen in traditioneller chinesischer Kleidung mit dem freundlichsten Lächeln der Welt die Autotüren.

Als ich ausstieg, blickte ich auf die Stadt Taipei, auch wenn sie im Moment mit einem Grauschleier zu kämpfen hatte. Doch ich konnte den bleifarbenen Keelung-Fluss erkennen, über dem sich gerade ein Flieger im Landeanflug befand. Das muss der Stadtflughafen sein, den Peter erwähnt hatte, er lag gefährlich nahe.

Während sich ein Page um das Gepäck kümmerte, betraten wir die Hotellobby und das Einzige, was ich in meiner Überraschung stammeln konnte, war: „Peter, ist alles hier so überdimensional groß?“

Er nickte und führte mich weiter zum Check-in-Counter.

Nur langsam folgte ich ihm und sog dabei das mich umgebene China in mich ein. Ich konnte mich gar nicht sattsehen. Auch hier in der Lobby war traditionelle chinesische Kleidung für die Angestellten Usus. Die Frauen allerdings trugen ein rotes Kleid, den Qipao. Der Stoff schillerte, es war bestimmt Seide, dachte ich; und sah mich selbst schon in diesem körperbetonten Dress mit dem hoch geschlossenen Stehkragen, Schlaufenverschlüsse und einem Schlitz an einer Seite.

In dieser riesigen Empfangshalle dominierte Rot überall. Stattliche, auf Glanz polierte rote Säulen trugen eine goldverzierte Holzdecke, an der rote Lampions zart im Wind der Klimaanlage baumelten. Es war, als schwebten sie und auch ich schwebte auf diesem roten Teppich dahin, der sich auf dem Marmorboden ausbreitete. Direkt vor mir erblühte ein riesiges Blumenarrangement mit feinsten Orchideen in Weiß und Gelb, und zwischendrin sprießten rote Blütenschnäbel. Weiter hinten lockte eine breite Prachttreppe, auf der sich ebenfalls ein roter Teppich schmiegte und sie noch erhabener wirken ließ.

Links von mir saßen Besucher in einem Restaurant beim Mittagessen oder bei einer Erfrischung. Leises Stimmengewirr und zarte Klaviermusik drangen an mein Ohr und verführerische Essensdüfte in meine Nase. Kein Wunder, Hunger meldete sich an, aber ich musste weiter zur Rezeption, jetzt gefolgt von Axel und dem Pagen, der einen goldfarbenen Leiterwagen mit unserem Gepäck schob. Nach etwa zehn Minuten hatte Peter, unter Beobachtung von Axel, eingecheckt und erhielt zwei Zimmerschlüssel.

Axel verabschiedete sich und wir machten uns auf den Weg zu einem der 490 Zimmer, die in dem 14-stöckigen Gebäude untergebracht sind. Der Page mit unseren Koffern schlug einen anderen Weg ein.

Ein Aufzug brachte uns in die sechste Etage, jedenfalls hatte Peter die sechs gedrückt. Doch dann fiel mir auf, dass es auf dem Display gar keine Vier gab! Ich machte Peter darauf aufmerksam.

„Hier ist die Vier eine Unglückszahl, sie klingt in der chinesischen Sprache wie ‚tot‘!“, wusste Peter, „Nirgends wirst du eine vierte Etage finden. Ähnlich wie bei uns die Dreizehn, die fehlt ja auch bei den Sitzreihen in Flugzeugen oder auf Zimmertüren in Krankenhäusern.“

Ah, die Taiwaner sind auch abergläubisch, dachte ich, als sich in dem Moment die Aufzugtür öffnete und Peter lachend verkündete: „Willkommen in der sechsten Etage, die eigentlich die fünfte ist!“

Das Zimmer war schnell gefunden und als er mir die Tür zu unserem ‚Gemach‘ aufhielt, blieb ich wie angewurzelt im Eingang stehen. „Wow!“, war alles, was ich sagen konnte. Vor mir breitete sich ein chinesischer Wohn-Schlafraum aus!

Ich trat vollends ein und begann nun neugierig, unser momentanes Zuhause zu erkunden. An der linken Wand zog sich nach einem Einbauschrank eine XXL-Kommode entlang, die Platz für eine Art Schreibtisch mit einem Stuhl bot und für einen großen Fernseherapparat, der wie ein Riesenauge ins Zimmer glotzte. Einen Blick in die Minibar direkt darunter genügte! Ja, hier war sie mit alkoholischen Getränken, Softdrinks und Wasser bestückt und gähnte nicht vor Leere wie in einem iranischen Hotel!

An der Fensterfront luden zwei mächtige Holzstühle im chinesischen Stil mit kleinem Tisch zum Verweilen ein. Peter zog die Gardine beiseite. Das Zimmer hatte zu meiner Freude sogar einen Balkon und wie konnte es anders sein, mit roter Brüstung. Wir traten hinaus und sahen auf einen grünbewachsenen Berg. Leider lag das Zimmer nach hinten hinaus, ohne Blick auf die Stadt. Doch wir trösteten uns, dass es dafür ruhiger sein würde als eines über dem Hoteleingang.

Das Bett jedoch war der Kracher! Übergroße Kissen lehnten an dem Kopfteil, das von einer zart geblümten Tapete à la Chinoise umrahmt wurde. Und im Stil dazu passten die zwei Nachttischchen. Eine riesige Bettdecke ummantelte die Liegefläche der Matratze, die bestimmt 2,40 x 2,40 Meter maß.

„Meine Güte, Peter! Hier drin müssen wir uns nachts ja suchen!“, neckte ich ihn.

Gerade wollte er mir einen Schubs geben, damit ich auf der Matratze lande, da klopfte es. Der Page hatte uns gefunden und ich verschwand derweil im Bad.

Was für ein Kontrast! Ich stand in einem kleinen Raum, in dem nicht viel mehr Platz war als für die Toilette, das Waschbecken, die Wanne mit Duschvorhang und mich. Mein erster Eindruck, dieses Hotel war in die Jahre gekommen, doch es war sehr sauber und das Handtuch flauschig weich, an dem ich mir meine gerade gewaschenen Hände abtrocknete.

Der Page war weg und ich machte Peter Platz, der sich auch schnell erfrischte, denn unser plötzlicher Hunger mahnte zu Aufbruch, unsere leeren Mägen doch im Lobby- Restaurant zu füllen.

Der Aufzug brachte uns bis in den zweiten Stock, von hier aus wollten wir über die Prachttreppe mit dem roten Teppich zur Eingangshalle ‚hinunterschreiten‘.

„Was für eine Treppenbrüstung?“, schwärmte ich und strich dabei über den hellgrauen Handlauf aus Marmor. Aber das war erst der Beginn dieses Marmorprachtwerkes. In den Steintafeln darunter wälzten sich fantasievoll eingemeißelte Drachen und an jeder Seite hielten Pfosten diese Kunstwerke.

„Die Marmorknospe auf den Pfosten ist eine Lotusblüte!“, bemerkte Peter, „Sie steht für Reinheit, und der Drache ist ein kaiserliches Symbol, der Stärke und Macht verleiht! Das Hotel heißt deshalb ‚Der Drachen-Palast‘; und Drachenornamente findest du hier überall!“

„Wie dieses Rot. Das hat doch bestimmt auch eine Bedeutung!“

„Ja, Rot ist die Farbe des Lebens und bringt Glück!“

„Dann sind wir ja im richtigen Hotel!“

Mittlerweile standen wir auf dem Podest, von dem aus wir die exquisite Lobby überblicken konnten. Unter uns herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Hier und da standen Grüppchen von Touristen, das verrieten ihre blitzenden Kameras. Erstaunt war ich über die verhaltene Geräuschkulisse, sicher wurde der Lärm vom Teppich verschluckt. Ich ließ das alles auf mich wirken und mutierte kurz zu einer chinesischen Prinzessin. Kein Wunder, diese hohe Halle ist wahrlich kaiserlich, imponiert mit ihrem chinesischen Stil und mit der Farbe des Glücks.

4. Der Drache isst mit!

Nach der Prachttreppe steuerten wir zielstrebig das Restaurant an. Eine freundliche Bedienung führte uns zu einem freien Tisch und reichte uns die Speisenkarte. Köstlichkeiten mit exotischen Namen, soweit mein Auge reichte. Wie soll ich mich da entscheiden? Am liebsten hätte ich alles probiert.

Peter kannte bereits einige Gerichte und bestellte für uns Kung Bau Chicken, Pak Choi Gemüse, gedämpften Reis und Jasmin-Tee. Ich war gespannt. Als Peter aus einer fahrbaren Theke, die ein Ober immer wieder durch die Reihen schob, noch zwei dampfende Bambuskörbchen aussuchte, wuchs meine Spannung aufs Unermessliche!

Kaum waren die Gerichte auf dem Tisch platziert, verströmten sie eine wunderbare Duftpalette, dass mir das Wasser im Mund zusammenlief. Und wie farbenfroh alles aussah. Das Gemüse war so grün wie irisches Gras, der Reis so weiß wie frisch gefallener Schnee und das Hähnchengericht gab die braune Farbe der Erde wieder, in denen sich dunkelrote Chilischoten tummelten. Feuer!

„Ist das nicht zu scharf?“, äußerte ich sofort meine Bedenken.

„Nur ein bisschen, aber es wird dir schmecken. Doch lass‘ uns zuerst mit Dim Sum beginnen!“, empfahl Peter, „Diese gedämpfte Köstlichkeit ist ein kantonesisches Mittagsgericht, aber sie schmecken auch hier. Probiere mal das Ha Gau, Garnelen in Reismehlteig.“

Interessiert schaute ich in das Bambuskörbchen und es lachten mich kleine Maultäschchen an.

„Warum gibt es nur drei Stück davon? Es wäre doch …!“

„Ja, wäre es, aber du weißt ja, die Vier!“

Aha, sogar beim Essen legt man Wert darauf, wunderte ich mich, während Peter sich mit den Essstäbchen eines der kleinen Wunderwerke schnappte. Obwohl die Bedienung Gabeln und Löffel hingelegt hatte, wappnete ich mich auch mit Essstäbchen, deren Handhabung ich in Deutschland tüchtig geübt hatte. Behände fischte ich mir ein Täschchen aus dem Geflecht und betrachtete es genauer. Wie ein Hauch umhüllte der glasige Teig die Füllung und ließ die Garnele rosig hindurchscheinen. Oben schloss sich der Teig mit einer Reihe von millimeterschmalen Biesen. Das war feinste Handarbeit! Ich war beeindruckt.

Wie auch Peter benetzte ich die kleine Garnelentasche mit der Soja-Essig-Soße. Kurz bevor ich etwas davon abbiss, streifte ein nussiger Duft meine Nase und dann spürte ich den feinen Geschmack, der so zart war, wie das kleine Ding aussah.

„Hm, himmlisch!“ Die andere Hälfte verschwand wie der Blitz in meinem Mund.

„Ja, das sind sie. Dim Sum heißt übersetzt: ‚Es berührt und wärmt das Herz‘!“

Wie schön das klingt, kein anderer Name hätte passender sein können. Aber woher kam der mir so unbekannte Duft?

„In dem Soja-Gemisch ist Sesamöl!“, wusste Peter.

Was für eine Abrundung! Das musste ich mir unbedingt merken.

Die andere Variante der Dim Sum hieß Shumai, kleine geöffnete Nudelteigsäckchen, aus denen eine Paste aus Schweinehack und eine kleine Garnele hervorlugten. Eine erstaunliche Mischung. Neugierig probierte ich eine davon. Auch die war köstlich, allerdings etwas rustikaler im Geschmack als die Garnelentäschchen, die jetzt schon mein Favorit waren.

„Zu Shumai passt Ingwer, das gibt Würze und regt die Verdauung an!“

Was Peter schon alles wusste! Aber er wusste auch, Ingwer war so gar nicht mein Geschmack. Trotzdem schob ich mir drei von den hauchfein geschnittenen Streifen hinterher und kaute. Eine scharf aromatische Substanz vermischte sich mit meinem Mundinhalt und wirklich, alles zusammen war es eine äußerst delikate Mischung.

Über die zwei restlichen Täschchen wurden wir uns einig und wendeten uns daraufhin dem Hauptgericht zu. Ganz nach chinesischer Art häufte Peter in eine feine Porzellanschale Reis, legte darauf etwas von dem Hähnchengericht und reichte es mir. Auch das nahm ich genau in Augenschein. Zwischen Lauch, Ingwerscheiben und Knoblauch lagen in Würfel geschnittenes Hähnchenfleisch, Cashewkerne verteilten sich in der braunen Soße, doch vor der Schar getrockneter Chilischoten hatte ich Respekt.

Vorsichtig, um nicht eine zu erwischen, klemmte ich nur ein Stück Fleisch zwischen meine zwei Stäbchen und kostete. Hui, der Drache war geweckt und spie Feuer, doch der Reis milderte die Flammen. Trotz der Schärfe schmeckte ich noch eine salzige und eine süße Note, die sich hier in absoluter Harmonie paarten. Die Cashewkerne malten das Tüpfelchen auf dem i!

„Zuviel versprochen?“, kam von Peter, der sich schon zum zweiten Mal die Schale füllte.

„Das ist richtig gut!“, bestätigte ich und verputzte meine erste Portion, von der nur die Chilischoten und die Ingwerscheiben zurückblieben.

Danach nahm ich das exotische Gemüse in Augenschein, das mich vage an eine Babysorte des Mangolds erinnerte. Die Pak Chois mit ihren langen dunkelgrünen Blättern, deren helle Blattrippen sich rosettenartig zu einer walnussgroßen Knolle vereinen, lagen etwas entfernt von mir auf einer Platte. Stäbchen sind doch eine geniale Erfindung, dachte ich, und fasste mir damit einen Gemüsestrauß.

Erwartungsvoll biss ich oberhalb der Knolle hinein, wollte beherzt durchbeißen, doch meine Zähne blieben in den noch knackigen Krautstielen stecken. Obwohl ich hin und her malmte, war es unmöglich, diese faserigen Teile zu entzweien. Das hätte man auch vorher klein schneiden können, empörte ich mich und mit einer leisen Hoffnung auf ein Messer ließ ich meine Augen über den Tisch gleiten. Ich sah nur Löffel und Gabel, mit denen ich jedoch nichts ausrichten konnte. Ernüchternd senkte ich meinen Kopf wieder ab. Was soll ich denn nun machen? Ich konnte doch das angebissene Teil nicht mehr aus meinem Mund ziehen! Leicht drehte ich meinen Kopf zu Peter und quetschte zwischen Lippen und Gemüseblätter „Gibt es keine Schere?“ hervor.

Peter lachte, als er meinen Kampf mit dem Pak Choi sah, das halb im Schälchen und halb in meinem Mund hing.

„Ich glaub‘, das musst du ganz schlucken.“, riet er mir und hörte nicht auf zu grinsen.

Haha, mich so auflaufen zu lassen! Na warte! Aber die stille Drohung befreite mich nicht aus meiner Misere. Ich traute mich auch nicht, hochzugucken. Ein Ausländer mit einem Strauß Blätter im Mund. Auf keinen Fall wollte ich mich in diesem edlen Hotel blamieren!

Von Peter konnte ich keine Hilfe mehr erwarten, wie denn auch, ohne Schneidwerkzeug! Und so kaute ich kräftig, stopfte nach, kaute, bis das gesamte Ding nach und nach in meinem Mund verschwunden war. Damit niemand meine Hamsterbacken sehen konnte, hielt ich meinen Kopf weiterhin gebeugt und mühte mich mit Beißen, Schlucken und Atmen ab. Nach einer gefühlten Ewigkeit rutschte endlich die letzte Faser durch meinen gekrümmten Schlund und erst dann kam ich wieder aus der Versenkung hervor.

Mit einem „Gut gemacht!“ bestellte Peter daraufhin ein Messer und er schnitt das restliche Gemüse in mundgerechte Happen. Das versöhnte mich. Und jetzt erst konnte ich den nussigen, leicht bitteren Geschmack auskosten, der bei meinem Gefecht völlig untergegangen war.

Plötzlich drehte Peter den Deckel der Teekanne herum.

„Meinst du, dadurch füllt sie sich wieder auf?“, fragte ich verwundert.

„Na, klar, du wirst schon sehen!“

Mein Kopfschütteln blieb auf halber Strecke stecken, als jemand die Teekanne wegnahm und sie nach ein paar Minuten wieder auf den Tisch stellte. Schwer, heiß, dampfend.

„Der herumgedrehte Deckel ist das Zeichen, dass wir gerne noch mehr Tee trinken möchten! Die Teeblätter, die in der Kanne verbleiben, werden mehrmals aufgebrüht. Der dritte Aufguss soll sogar der Beste sein.“, lüftete er das Geheimnis der chinesischen ‚Tee-Trinkgewohnheit‘.

Und ich lüftete den Deckel der Kanne. Kleine weiße Blüten schwammen mit Teeblättern im heißen Wasser und ein kräftiger Jasmin-Duft stieg mir in die Nase. Kaum zu glauben, aber der Tee nahm wieder eine dunkle Farbe an. Dann muss in ‚unseren‘ Teebeuteln nur Ausschussware sein, dachte ich, denn die geben beim zweiten Mal kaum mehr Farbe ab, geschweige denn solch ein volles Aroma!

Wir genossen unseren zweiten Aufguss, ließen uns den dritten auch nicht entgehen, der für mich dann doch ein wenig wässrig schmeckte. Das Deckelspiel war beendet und nach einem Spaziergang um das Hotel herum waren wir mit unseren Kräften am Ende. Ein anstrengender Tag lag hinter uns und der Jetlag tat sein Übriges. Übermüdet fielen wir in das King Size-Bett und niemand kam auf die Idee, den andern zu suchen. Die chinesische Prinzessin schlief tief und fest, und der Prinz ebenso!

5. Kleine Entdeckungstour

Am nächsten Morgen ließ Peter mich schlafen, während er sich ins Büro aufmachte. Gegen elf wurde ich wach. Nun aber raus aus dem Bett; und bevor ich wieder vom Schlaf übermannt wurde, ließ ich schnell Tageslicht in den Raum. Das Wetter schien freundlicher zu sein als gestern. Zwischen weißen Wolken entdeckte ich blaue Flecken am Himmel, die mir zuwinkten.

Fürs Frühstück war es längst zu spät. Stattdessen ließ ich mir mitgebrachte Plätzchen aus Deutschland schmecken, und als Wachmacher kam mir der Instantkaffee des Hotels gerade recht. Danach erwachten vollends meine Lebensgeister für alle möglichen Taten. Viel blieb nicht übrig, nur die Hotelanlage erkunden, vor allem den Pool, dessen Blau ich vom Balkon sehen konnte.

Mit dem Aufzug fuhr ich in die zweite Etage; dort führte ein langer Flur zum hinteren Ausgang des Hotels. Verkaufsstände lockten blinkend und farbenfroh mit Schmuck und chinesischer Keramik, doch ich hatte anderes vor. Als ich das klimatisierte Hotel verließ, umgab mich eine feuchte Wärme, die mich kurz nach Luft schnappen ließ. Von Frische keine Spur, es war viel wärmer als gestern bei unserer Ankunft. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Nur gut, dass ich an meine Sonnenbrille gedacht hatte.

Ein Schild wies mir den Weg zum Pool und als es nach einer Kurve serpentinenartig bergab ging, grünten auf einmal Buschwerk und Farne üppig neben mir. Hu, … gerade huschte eine Eidechse oder ähnliches über den Weg. Oder war es gar eine Schlange? Besser ich gehe nur noch in der Mitte des Weges und trete auch fester auf, denn Schlangen sollen bei Erschütterungen das Weite suchen. Hoffentlich!

Nach etwa fünfzehn Minuten erreichte ich mein Ziel. Donnerwetter, der Pool hat ja olympische Größe! Hier scheint wirklich alles ‚Grand‘ zu sein.

Eine Schwimmerin zog tapfer ihre Bahn durch das 50 Meter lange Schwimmbecken. Am liebsten wäre ich auch hineingesprungen, so verlockend war das helle Blau, aber die angegebenen 17°C ist nicht meine Temperatur. Interessant war, dass das Restaurantgebäude neben dem Pool eine kleine Kopie des Grand Hotels war, das mir oberhalb vom Pool entgegentrutzte. Leider hatte es wegen der ‚kalten Jahreszeit’ geschlossen.

Ich trat den steilen Rückweg an und als ich das Hotel wieder erreichte, war ich verschwitzt und lechzte nach einem Getränk. Nie wieder ohne eine Wasserflasche, merkte ich mir, und vorbei an der chinesischen Keramik lief ich schnurstracks in Richtung Lobby-Restaurant. Ein großes Wasser und ein Glas Fruchtsaft waren meine Rettung, ebenso der kühlende Wind der Klimaanlage, der mich ebenfalls erfrischte. Bald schaltete mein Körper wieder auf normal. Dann schaute ich mich um in dem bereits gut besuchten Restaurant.

Als ich die vielen Leute beobachtete, wurde mir bewusst, dass ich momentan ganz allein auf mich gestellt war. Außer Peter und der Familie, die noch in ‚unserem‘ Haus hockte, kannte ich niemanden. Auf einmal kam ich mir in diesem großen Hotel verloren vor, dachte an meine Familie, an meine Freunde und an …

Eva, nun wird nicht sentimental, das sind die Anfänge im Ausland, das geht vorbei, sprach ich mir gut zu. Dabei fiel mein Blick auf Süßes! Verführerisch lachte mich der Kuchen in der Auslage an, wo sich mehrere Torten mit Sahneüberzug und Schokoladenglasur aufreihten. Die Trostpflaster!

Ich schmunzelte, als ich sogar die berühmte Torte entdeckte, deren Namen auf dem Kärtchen als ‚Schwarzwalder Kirschtorte‘ angepriesen wurde.

Ein Cheese Cake wurde meiner mit dem leckeren Jasmin-Tee. Im Gegensatz zu dem ‚Grand‘ des Hotels servierte man mir jedoch ein übersichtliches Stückchen Kuchen auf einem Tellerchen klein und zart, und so war auch die Kuchengabel. Damit trennte ich vorsichtig ein Kucheneckchen ab, probierte und …, oh, schade, das war nicht der saftige Geschmack eines deutschen Käsekuchens. Dieser Cheese Cake war fest und kompakt und blieb mir fast im Halse stecken. Gut, dass ich den Tee bestellt hatte! Und nach dem letzten Krümel wusste ich auch, warum er so klein war. Ich war pappsatt.

6. Einladung bei den ‚Hausbesetzern‘

Samstag! Wochenende! Heute hatten wir die Frühstückszeit des Hotels verschlafen, denn Wilfried, der nicht mehr amtierende Geschäftsführer, und seine Frau Bettina hatten uns zum Brunch in ‚unser‘ Haus eingeladen. Bevor der Wechsel für Wilfried nach China anstand, wollte er uns das Haus zeigen, in das wir nicht einziehen konnten. Danach würde die endgültige Entscheidung fallen, Hotel oder Haussuche!

Bevor ich in Peters Firmenwagen einstieg, bemerkte ich, dass der Wagen blitzte.

„Wird der jeden Tag gesäubert?“, fragte ich und strich zart über den Lack.

„Im Kofferraum liegt ein Staubwedel“, klärte Peter mich auf, „damit wedelt Axel ständig auf dem Auto herum!“

Axel scheint großen Wert auf Sauberkeit zu legen, schätzte ich.

„Außerdem ist er ist Autoliebhaber, er kennt alle Schlitten aus dem Effeff.“, wusste Peter.

„Dann steht bei ihm sicher eine rasante Kiste zu Hause?“

„Nee, er fährt nur einen Motorroller!“

„Oh!“

Nachdem Peter die Kopfstütze für mich eingesetzt, Fahrersitz und Spiegel auf seine Größe eingestellt hatte, fuhren wir den Hotelberg hinunter. Ohne Probleme fädelte er sich in den Verkehr ein.

Als wir auf eine breite Straße gelangten, wies mich Peter auf ein Schild hin: „Siehst du, das ist die Chung-Shan-Bei-Lou, die Mittlere-Berg-Nord-Straße, sie führt immer geradeaus bis in den Norden von Taipei.“

Ich fand es sehr hilfreich, dass die Straßennamen auf den Hinweisschildern nicht nur in chinesischen Schriftzeichen, sondern auch in lateinischen Buchstaben angeschrieben waren. Und Peter hatte recht, diese Hauptstraße zog sich breit durch den Stadtplan, den ich zur Sicherheit auf meinem Schoß parat hielt. Um mich einigermaßen zu orientieren, musste ich wissen, wo ich war.

Die Straßeneinteilung Taipehs ist schachbrettartig angelegt und Abzweigungen mit Ampeln kreuzten unseren Weg. Der Verkehr war dicht an diesem Samstagmorgen und wir kamen nur langsam voran. In Zeitlupe zogen Hochhäuser, Wohnhäuser, Banken und Geschäfte vorbei. Cafés, Restaurants und Imbissstände gesellten sich dazwischen und neben all dem Beton versuchten schattenspendende Bäume das Sonnenlicht zu ergattern. Menschen hetzten auf den Gehsteigen hin und her und oft mussten sie den Motorrollerfahrern ausweichen, die dort frech ihre Zweiräder hinstellten. Doch niemand erboste sich darüber, man machte ihnen sogar noch Platz.

Nach einiger Zeit bog Peter ab, Geschäftigkeit und Verkehr nahmen ab. Als er daraufhin in eine schmale Straße ohne Gehweg hineinfuhr, ging’s steil bergan; und plötzlich waren wir von Büschen und Bäumen umgeben.

„Sag bloß, die wohnen hier?“

„Ja, mitten in der Natur! Man guckt nur auf Grün!“

Peter schien begeistert zu sein.