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© 1.Auglage
Gabi Haug 2021
© Illustration: Gabi Haug
© Umschlaggestaltung: Gabi Haug
© Layout: Gabi Haug
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7534-1590-1
Hinweis: Die Namen in dieser Geschichte sind frei erfunden und entstammen meiner Fantasie. Ähnlichkeiten mit anderen Geschichten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt
Mein großer Dank geht an …
Erika für die geopferte Freizeit
als Korrekturleserinnen.
Ebenso geht ein solcher Dank
an meine liebe Lektorin,
für die wertvolle Unterstützung.
Im Reich der Höhlenelfen herrschten die Frauen. So hatten die Hohepriesterinnen, im Glauben an die Göttin des unendlichen Schattens, die absolute Oberhand über das Volk. Männliche Höhlenelfen hatten, wenn überhaupt, nur wenig Macht. Es bestand für einen Höhlenelf nur die Möglichkeit ein wenig Ansehen bei den Kriegerinnen zu erlangen, indem er zum Waffenmeister aufstieg, was jedoch einer langen und intensiven Ausbildungszeit bedurfte. Es stand auch nur einer Hohenpriesterin zu, einen geeigneten Waffenmeister auszuwählen. So ein Waffenmeister bedurfte blitzschnelle Reflexe, musste im waffenlosen, so wie im gerüsteten Kampf bestehen. Wenn ein solcher Waffenmeister den gegebenen heiligen Eid, den er der Hohenpriesterin ablegte, verletzte, musste er ohne Einschränkungen in Demut deren Urteil hinnehmen.
Untergebene, darunter vor allem die Männer, die zu handwerklichen oder zu niederen Arbeiten und zur Fortpflanzung dienten, hatten stets widerspruchslos einen erhaltenen Befehl auszuführen - auch dann, wenn dieser die Hingabe des eigenen Lebens bedeutete. Diese Ideologie wurde jedem Höhlenelf von Kindesbeinen an eingeimpft und beigebracht. Befehle, die nicht ausgeführt wurden, zogen umgehende und meist grausame Strafen nach sich. Doch schon das bloße Infragestellen der Hohenpriesterin in ihrem Handeln konnte den Tod nach sich ziehen, denn sie galt durch ihre Weihe als gottgleiche Tochter der absolut vollkommenen Schattengöttin.
Andere Rassen galten bei den Höhlenelfen als minderwertig und sie zu töten gehörte nach deren Glauben zum Willen ihrer Göttin. Die Lichtelfen aber waren für die Höhlenelfen die größten Erzfeinde, die so schnell wie möglich beseitigt gehörten oder wenn man ihnen lebend habhaft werden konnte, wurden diese bei besonderen Opferzeremonien der Göttin als Opfergabe dargebracht.
Alsi-Jatha, die Höhlenelfe mit der fülligen hellen etwas ins strohblonde gehenden Haarpracht und den Alexandrit1 grünen mandelförmigen Augen, lief schnellen Schrittes die steinernen Stufen der langen Treppe hinab. Alsi-Jatha hatte einfach zu lange ihren Gedanken freien Lauf gelassen und somit wieder einmal die Zeit und ihre Übungen ganz vergessen. Hastig hatte sie sich noch etwas Ruß auf ihre Hände, dem Gesicht und dem Hals verteilt, denn sie hatte für Höhlenelfen einen Makel, ihre Haut war nicht so grau wie bei anderen ihres Volkes. Die Hohepriesterin bestand auf dieser Maßnahme. Als Grund, warum ihre Haut heller war, so war ihr schon als Kind gesagt worden, sei dies die Folge des Schrecks und die Trauer über den Tod der Eltern gewesen.
»Du hast es aber mal wieder eilig! Getrödelt was?«, hörte sie eine lachende Stimme hinter sich.
Alsi-Jatha blieb abrupt stehen, entrang sich ein genervtes Seufzen und zischte mit unwirschem Unterton in der Stimme ins Dunkel des Treppenganges hinein: »Sarl-Marad du Dummkopf, lass es gut sein, sonst komme ich wegen dir noch zu spät zu meinen Übungen!«
Sarl-Marad der drei Jahre ältere Höhlenelf, holte sie ein und äußerte empört: »Sei doch nicht immer so unfreundlich. Immerhin bin ich dein Bruder!«
Der hoch gewachsene Elf mit schlanker Figur, trug an diesem Morgen eine hellbraune Tunika unter einem Waffenrock aus Leder, dazu lederne Beinlinge und kniehohe Stiefel. Das graue Haar fiel ihm bis über die Schultern den Rücken herab.
»Du bist nicht mein Bruder, sondern lediglich mein Vetter und der Sohn des Waffenmeisters, der mein Oheim und Ziehvater ist, seit meine Eltern nicht mehr leben«, stieß sie hervor. »Dies auch nur, weil seine Schwester - unsere Tante die Hohepriesterin, als ich als Säugling zu euch kam, es so bestimmt hat.«
Er sah sie aus silbergrauen Augen an, während er bemüht beschwichtigend lächelnd, ihr erwiderte: »Ich bin auf dem gleichen Weg wie du, warum sollte ich ihn dann nicht mit dir gemeinsam beschreiten?«
»Ich will einfach nur meine Ruhe vor dir und deinen dümmlichen Bemerkungen! Also lass mich in Ruhe, oder ich beschwere mich bei unserer Lehrmeisterin Silz-Marla und sage ihr, dass du mich aufgehalten hast!«
Der Elf holte tief Luft. »Lehrmeisterin Silz-Marla jetzt ins Spiel zu bringen ist nicht gerecht.«
Sie zuckte leicht mit den Schultern. »Mag sein, aber lassen wir es doch einfach darauf ankommen, und sehen, wie sie dich bestraft.«
Solche Drohungen halfen immer, ihn sehr schnell los zu werden. Auch diesmal wollte er es anscheinend nicht darauf ankommen lassen. Sie grinste in sich hinein und applaudierte sich selbst, da er gleich eine Gangart mit langsamerer Geschwindigkeit anschlug und sich am Treppenabsatz angekommen, in eine andere Richtung begab.
Nach den Kampfübungen hätte Alsi-Jatha ruhen sollen, doch sie machte einen Streifzug durch das spätherbstliche Tal. Das Licht an diesem Tag war samtig und die Luft klar. Der Wind schob die ersten Wolken am Himmel vor sich her. Sie genoss abseits der Höhlenfestung die Stille und Harmonie der Landschaft in vollen Zügen. Unter den Sohlen ihrer Stiefel raschelte gelb-braun-rotes herabgefallenes Laub, als sie ein kleines Waldstück durchquerte. Sie sah in die Baumkronen hinauf, an denen nur noch vereinzelt Blätter hingen. Der aufkommende Wind strich um die Zweige und nahm eines der letzten Blätter mit sich fort. Wohin wird es fliegen? Das weiß wohl nur der Wind! Sie war so in ihre Beobachtung und Gedanken vertieft und vergas dabei, wie so oft die Zeit und kehrte wieder einmal zu spät von ihrer kleinen Exkursion zurück. Sie wusste, es würde Ärger geben, wenn man davon erführe. Denn die Sonne versankt schon hinter dem Horizont. Auch hatten die anderen Höhlenelfen wenig Verständnis für ihre Vorliebe an der Natur. Es hatte aber auch andere Zeiten gegeben, das wusste sie. Doch ein paar junge Elfen hatten vor Jahrhunderten gegen den Willen der Ahnelfen von einem Magier den Umgang mit dunkler Magie erlernt. Eigentlich, für Wesen die nur Gutes im Herzen trugen – so wie sie damals dachten – zum Wohle ihres Volkes, um ihre Gebiete vor der immer stärker werdenden Macht der Menschen und der anderen Wesen zu schützen. Der Rat der Hochelfen wandte sich wegen des Ungehorsams dieser jungen Brüder und Schwestern gegen sie und verstießen sie. Keine andere Möglichkeit sehend, da dieser endgültige Ausschluss aus der Gemeinschaft alsbald in den ersten blutigen Konflikten endete, flohen die gebrandmarkten Verbannten auf der Suche nach neuem Lebensraum in ein Höhlengebiet und erbauten dort ihr eigenes Reich. Die Dunkelheit und der ständige Aufenthalt in diesen Höhlen, lies ihre Haut ergrauen und ihre Augen mit der Zeit gegen die Sonneneinstrahlung empfindlicher werden. Aus dem sonderlich tiefen Groll und Hass gegen die, die sie ihrer Meinung nach zu Unrecht verstoßen hatten, bauten sie eine intuitive Bindung zu ihrem eigenen Glauben auf und fuhren fort, jeder weiteren Generation dessen Ideologie beizubringen.
Rass-Baran der Waffenmeister, stand am Tor der Felsenburg und erwartete sie. Ihr Ziehvater sah wütend drein, als sie ihn erreichte.
Zu spät!, dachte sie.
Der Ziehvater maßregelte sie auch sofort in der trügerisch ruhigen Tonart, die dem Höhlenelfenwaffenmeister anhaftete, wenn er höchst ungehalten war. »Deine Ungebührlichkeit nimmt allmählich überhand, Alsi-Jatha! Ich will hoffen, du wirst verstehen, dass dies so nicht weitergehen kann. Ich werde die Hohepriesterin über den erneuten Vorfall deines Ungehorsams informieren, damit du eine angemessene Strafe für dein Verhalten erhalten wirst. Du wirst jetzt in deinen Raum gehen und ihn erst wieder verlassen, wenn ich es dir erlaube oder dich holen lasse.«
Alsi-Jatha schritt mit hängenden Schultern, ohne ein Wort zu sagen, neben ihrem Ziehvater her. Es gab Augenblicke, in den Alsi-Jatha nur zu gerne einmal ausgerufen hätte, lasst mich doch einfach so sein, wie ich bin! Doch sie hatte auch gelernt, dass man selbst als Familienmitglied die Oberpriesterin zufriedenstellen muss, oder einem Strafe droht. Denn all jene, welche eigene Ambitionen gegen die Matrone der Sippe gehabt hatten, waren stets bestraft worden. Solche Strafen waren immer drastisch und grausam. Also hatte sie im entscheidenden Moment geschwiegen, um das Wohlwollen von Para-Saran nicht zu verspielen oder bei einer ihrer Verfehlungen möglichst gut bei der Bestrafung wegzukommen.
Im Inneren der Höhlenelfenfeste angekommen, stieg sie die lange düstere Treppe zu ihrem Raum hinauf. Hach was ist das nur für ein langweiliges Leben!, dachte sie. Sie kannte fast jeden Stein in diesem Tal, und jede Spinne und jeden Käfer in der Feste persönlich. Meist hielt man sich sowieso in der dunklen Feste, deren Gänge verwinkelt waren, auf. Wie oft hatte sie sich aber auch schon vorgestellt mit den Kriegerinnen und der Hohenpriesterin reiten zu dürfen, um gegen die Feinde ziehen zu können, die weit entfernt außerhalb des Tales lebten. Vielleicht hätte sie dann sogar einen dieser Feinde fangen und der Folter unterziehen können, um ihn nach einer gewissen Zeit des Leidens der Göttin opfern zu können! Silz-Marla, ihre Lehrmeisterin, hatte ihr erzählt, dass sie lange vor Alsi-Jathas Geburt einen der kurzlebigen Menschen gefangen hatte. Ihr gesagt, dass sie die Haltung eines Sklavenwesens für besonders nützlich hielt. Das Sklavenleben des Menschen war für sie laut ihres Berichtes jedoch unbedeutend gewesen, genauso wie dessen Tod. Er hatte sein Ende nach für Elfen kurzen dreißig Jahren, als dargebotenes Opfer an die Göttin gefunden, da er zu alt für die geforderten Dienste geworden war. Menschen alterten schnell, aber ein Elf aus den verfeindeten Sippen, das wäre dann schon etwas anderes. Doch bis heute war es Alsi-Jatha vergönnt geblieben, an einem solchen Beutezug Teil zu nehmen. Ihre Tante Para-Saran, die Herrscherin über die Sippe, wachte, auch wenn ihr Bruder als Ziehvater für Alsi-Jatha eingesetzt war, nur zu gestreng über sie. Da ihr Bruder nur einen Sohn gezeugt hatte und seine Gemahlin im Kampf gefallen war, so hatte sie ihm nach dem Tod ihrer Eltern sie als Mündel übergeben.
Die steinerne Feste erhob sich mit ihrer Vorderseite hoch über dem Tal und war rückseitig tief in die südliche Felswand des Bergmassives getrieben worden. Nur auf der nördlichen Vorderseite gab es einige Balkone und einige kleine Fensternischen. Auf dieser Seite der Feste lag auch Alsi-Jathas Raum. Daher konnte die junge Höhlenelfe von ihrem Fenster aus das Tal überblicken, das von einem Bergmassiv gänzlich eingeschlossen war. Es gab nur einen Durchgang in das Tal, der durch das nördliche Felsmassiv führte und sehr verborgen von außen war.
Wehmütig blickte Alsi-Jatha eine Weile gen Himmel, der sich im Schein der untergehenden Sonne rot färbte. Sie sah gut im Dunklen, doch merkwürdigerweise machte ihr im Gegensatz zu den anderen Höhlenelfen selbst der Sonnenschein wenig aus. Diese mussten bei Sonnenschein die Augen zukneifen oder einen Augenschutz tragen, damit sie vom Licht nicht geblendet wurden. Sie sah kurz zur nördlichen Felswand hinüber, in der der Durchgang lag, als sie bemerkte, dass sich dort aus dem Spalt ein Trupp Kriegerinnen näherte.
»Alsi-Jatha«, hörte sie die Stimme ihres Ziehbruders kurz darauf rufen und dann öffnete sich auch schon die Tür.
Verärgert fuhr sie herum. »Was willst du schon wieder von mir?«
»Na, na, schon wieder so garstig zu mir! Ich soll dir von Vater ausrichten, dass du hinunterkommen sollst.«
In diesem Augenblick hörte man eine Stimme von unten ungehalten heraufrufen: »Wo bleibt ihr?«
Als Alsi-Jatha mit Sarl-Marad unten ankam, sahen sie die zuvor in der Ferne erspähte Gruppe Höhlenelfenkriegerinnen durch das Tor auf den Vorhof treten. In ihrer Mitte führten diese einen Gefesselten mit sich. Dessen Augen waren verbunden und man hatte ihm zwei Schlingen um den Hals gelegt. Er wurde an den Stricken in den Innenhof gezerrt.
Plötzlich ergriff ein seltsames Gefühl ihr Inneres. Alsi-Jathas Gefühls- und Gedankenwelt geriet gerade aus den Fugen. Sie starrte den Gefangenen an. Sein Gesicht so hell und rein, als hätte er noch nie etwas Böses gesehen oder gehört. Seine Kleidung hell und freundlich, ja sie leuchtete sogar. Es war seltsam. Es kam ihr so vor, als ob der Gefangene ihr einen stummen Hilfeschrei zusenden würde. Was geschah hier gerade mit ihr? »Wer mag das sein?«, fragte Alsi-Jatha leise.
Sarl-Marad zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber egal, er wird jedenfalls sein Leben beenden, wie alle anderen die sie von Außen mit hierhergebracht haben. Die große Göttin wird mit ihm ein Opfer bekommen, an dessen Schmerzen sie sich wieder einmal ergötzen kann.«
Ras-Baran, der schon auf dem Hof gestanden und gewartet hatte, trat an die vorderste weißhaarige Kriegerin der Gruppe heran. Die in schwarze Lederrüstung mit Verzierungen gekleidete Elfe war schlank und groß. Er beugte sein Haupt ehrfürchtig und tief. »Es ist gut, dich wohlbehalten wieder zu sehen, meine liebreizende Schwester!«
»Auch ich bin erfreut wieder zu Hause zu sein, mein Waffenmeister!« Dann Verkündete die Höhlenelfenherrscherin: »Den Gefangenen legt in Ketten und sperrt ihn in ein Verlies. Wir werden uns später mit ihm beschäftigen.«
Die Kriegerinnen übergaben die Enden der Stricke an zwei Krieger, die als Wachen für den Kerker abgestellt waren. Als diese den Gefangenen in die dunkle Feste abführen wollten, begann sich dieser aus Leibeskräften dagegen zu wehren. Doch jener Versuch sich aufzulehnen fand mit einem Schlag ins Gesicht durch einen der Kerkerwachen ein jähes Ende. Blut strömte ihm aus der Nase.
»Endlich mal wieder eine Abwechslung!«, stieß Sarl-Marad erfreut hervor. »Mal sehen was unsere Tante und die Kriegerinnen sich für ein Martyrium für ihn einfallen lassen.«
Alsi-Jatha hatte aus dem Augenwinkel gesehen, dass der Ziehvater und seine Schwester noch etwas besprochen hatten, so ging sie nicht auf seine Bemerkung ein, sondern trat nach einem knappen Wink des Ziehvaters mit der Hand zu ihm. Sie nickte nur und drehte sich ihrer Tante zu, kreuzte ihre Arme vor der Brust und verbeugte sich dabei vor Para-Saran. »Hohepriesterin, seid willkommen zuhause!«, begrüßte sie.
Die Höhlenelfenherrscherin nahm ihre Worte mit einem sonderbaren Ausdruck im Gesicht zur Kenntnis.
»Vater, du hast mich rufen lassen!«, sprach Alsi-Jatha, ihren Ziehvater danach respektvoll an.
»Ja, das habe ich!«, antwortete dieser knapp.
Eindringlich wurde Alsi-Jatha von Para-Saran gemustert. Diese schien dabei über etwas nachzudenken. So war es nicht ihr Ziehvater, sondern die Höhlenelfenherrscherin, die zu ihr sprach: »Du warst wieder einmal ungehorsam, wie mir mein Bruder berichtet hat. Ich habe soeben über die Strafe nachgedacht, welche du für deine Nachlässigkeit im Gehorsam erhalten sollst. Du, Alsi-Jatha, wirst dich um den Gefangenen kümmern, bis ich mich entschieden habe, was mit ihm zu geschehen hat! Doch ich warne dich, sehe dich vor diesem vor. Sprich nicht mit ihm! Und vor allem, wenn er versucht mit dir zu sprechen, höre nicht auf dessen schändliche Lügen. Hab' acht, er ist eines der niederträchtigsten Wesen auf unserem Planeten, er ist ein Lichtelf und dem Tode durch unsere Hand geweiht! Er wird in geraumer Zeit auf dem Opferhügel unserer Göttin als Opfergabe dargeboten. Er ist der Sohn eines Lichtelfenherrschers und somit ein ganz besonderes Opfer. Unser Volk hat das Recht und die Freude, seinem Tod feierlich beizuwohnen! Geh nun wieder in deine Kammer, denke dort über dein für unser Volk wiedersittliches Verhalten nach. Ab dem morgigen Tag wirst du nach deinen Übungen die von mir erteilte Aufgabe pflichtgetreu erledigen, anstatt dich bei Tageslicht auf der Ebene aufzuhalten.«
Alsi-Jatha gefiel dies zwar nicht, doch sie nickte gehorsam, verbeugte sich noch einmal ehrerbietig vor der Hohepriesterin und ging ohne Umschweif dem Befehl nach.
Als sie in ihrer Kammer ankam wurde sie von einer unbekannten inneren Unruhe geplagt. Sie hatte mit einer anderen Strafe gerechnet, jedoch eine Aufgabe erhalten, die sie so nicht erwartet hatte. Die Hohepriesterin hielt sie mit ihrer Bestrafung und der ihr erteilten Aufgabe von der Ebene fern, die sie so sehr mochte. Sie sollte sich um den Gefangenen kümmern. Dies war eine der niederen Aufgaben, die ansonsten nur männliche Höhlenelfen zu verrichten hatten. Sie straffte dennoch ihren Körper und verabschiedete sich geistig für einige Zeit von der Ebene. Sie würde ihre Strafe annehmen und ihre Aufgabe erledigen, ohne Para-Saran und ihren Ziehvater zu enttäuschen.
1Alexandrit Kristall - Effekt: Bei Tageslicht erscheint ein herkömmlicher Alexandrit grün, bei Kunstlicht rot.
Der neue Tag war angebrochen, die Kampfübungsstunde im Morgengrauen beendet und die Stunde gekommen, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Mit einem Krug voll Wasser und einem flachen Holzteller, auf dem zwei Scheiben altes Brot lagen, machte sich Alsi-Jatha auf den Weg hinunter in das Kerkergewölbe. Zweihundert Stufen hinab ins tiefste für ihr Volk freundliche Dunkel, bis sie die Tür zur Nächsten noch tiefer gelegenen Ebene erreichte.
Neben dem Eingang, der noch weiter hinab in die Tiefe führte, hielt ein Höhlenelf, mit Lanze und Dolch bewaffnet, wache.
»Nehmt Euch vor ihm in Acht, Alsi-Jatha!«, warnte dieser ernst, als er ihr die Tür öffnete.
»Das brauchst du mir nicht zu sagen Belo-Retz!«, erwiderte sie kurz und streng.
Sie kannte die Schrecken erregenden Geschichten über die Lichtelfen nur zu gut. Angst hatte sie jedoch keine vor dem Gefangenen! Eher war sie ein wenig neugierig und mit jedem Schritt, den sie die von Kristallen matt beleuchtete Treppe hinabging und dem schmalen Gang entlang folgte, wurde diese Neugier in ihr noch stärker.
Ihr Weg führte sie an einer der Qualkammern, dann an den Türen einiger nicht besetzter Verliese vorbei bis ans Ende des Ganges, wo der Lichtelf gefangen gehalten wurde.
Um ihre Hände freizubekommen, damit sie die Tür öffnen konnte, stellte sie Teller und Krug auf dem Boden ab. Sie schob den großen Riegel an der Tür zurück und öffnete diese. Die Tür knarrte und ein gähnend dunkler Raum tat sich vor ihr auf, der selbst für ihre Augen fast zu finster war. Kaum konnte sie die Konturen des Gefangenen sehen. Sie nahm eine Fackel aus einer Halterung und entfachte diese an einer brennenden blassorange leuchtenden vor der Kerkertür im Gang. So trat sie in den pechschwarzen Raum hinein und steckte die brennende Fackel in eine Halterung an der Wand.
Der Raum wurde heller. Sie trat zurück auf den Gang und griff nach dem Krug und dem Teller, trat wieder in die Zelle ein und zog die Tür hinter sich zu.
Sie fand den gefangenen Elf ausgestreckt am Boden liegend vor. Seine Hand- und Fußgelenke waren umschlossen von Eisenringen und diese waren mit Ketten am Boden an weiteren dort eingelassenen Ringen befestigt. Der Elf hatte helle, im orangenen Flammenschein, rotgoldglänzende Haare. Diese reichten ihm weit über die Schultern, wie sie am Tag zuvor bei der Ankunft schon gesehen hatte. Seine feinen Gesichtszüge waren männlich, jung und alterslos. Seine Augen hatten eine erstaunlich hellblaue Farbe, als er sie anblinzelte. Die Ohren des Gefangenen liefen nach oben hin spitz zu und sprachen deutlich dafür, dass er ein Elf war. Seine Kleidung glänzte und war aus edlem Stoff, obwohl sie an einigen Stellen schmutzig war. Auf einmal wurde Alsi-Jatha sich bewusst, dass der Gefangene sie ebenfalls musterte.
»Was starrt Ihr mich so dämlich an?«, fragte er mit glockenheller und für sie ungewohnt abfälliger Stimme.
Unweigerlich zuckte Alsi-Jatha leicht zusammen, bei den für sie laut erscheinenden, respektlosen Worten. Wie sie an seinem Blick erkannte, schien ihm das auch noch zu amüsieren. Der Kerl grinste all zu unverschämt. Arroganter, überheblicher Kerl! Genau so, wie die Lehrmeisterin mir diese Lichtelfen beschrieben hat!, dachte sie. Wie kann er in der Lage, in der er sich befindet, so unverschämt dreinschauen? Sie ließ sich jedoch nicht mehr weiter von ihm beirren. Man hatte ihr auch ausdrücklich gesagt, sie sollte nicht mit ihm reden, sonst hätte sie ihm gehörig ihre Meinung gesagt und ihm für die Unverschämtheit mit Folter gedroht. So jedoch kniete sie sich schweigend und missgelaunt, seine Worte ignorierend, neben ihn, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Sie stellte den Teller ab und gab ihm erst einmal etwas zu trinken. Dies mit ernstem, ausdruckslosem Gesicht. Nachdem sie den Krug zur Seite gestellt hatte, brach sie vom Brot ein Stück ab und hielt es ihm hin.
Er brach erneut das Schweigen: »Danke! Sag wie heißt du und was hat die Priesterin und ihre Kriegerinnen eigentlich mit mir vor?«
Nachdem sie ihm erneut keine Antwort gab, fragte er: »Verstehst du mich etwa nicht oder kannst du nicht sprechen?«
»Natürlich kann ich sprechen!«, rutschte es Alsi-Jatha heraus. »Doch ich bin nicht hier, um mich mit einem gefangenen Feind zu unterhalten, sondern um eigens meine Pflicht gegenüber meiner Hohenpriesterin und meiner Göttin zu tun. Nicht mehr und nicht weniger!«
»Mein Name ist Albarell, ich hätte wohl nicht so unbekümmert sein sollen. Aber ich konnte ja nicht ahnen, dass ein Haufen verrückter Höhlenelfinnen in unser Tal eindringt und über mich herfällt. Nun liege ich hier gefesselt herum. Was eigentlich unnötig ist, bei der dunklen Magie, die in dieser Feste herrscht, zumal ich den Weg zurück aus diesem bezaubernden Reich sowieso nicht kenne. Bestimmt ist Euer Gebiet gut von Euren Kriegerinnen bewacht! Oder haben die etwa Angst vor mir?«
Sofort wurde Alsi-Jatha argwöhnisch. Was versuchte dieser Lichtelf da gerade? Erhoffte er sich, dass sie ihn von den Fesseln befreite oder ihm gar etwas über den Weg aus dem Tal erzählte? Da hatte er sich aber gewaltig geirrt!
»Wenn Du so ein Gesicht machst, kommen deine für eine Höhlenelfe ungewöhnlich grünen Augen besonders gut zur Geltung!«, sagte er und heftete dabei seinen Blick fest auf den Ihren. »Du könntest mir ruhig mal deinen Namen nennen.«
»Alsi-Jatha!«, nannte sie ihm auf einmal ihren Namen und wusste nicht einmal, warum sie es getan hatte. Wütend über sich selbst, richtete sie sich auf und ging zu Tür.
»Willst du schon gehen, Alsi-Jatha?«, fragte er.
Doch eine Antwort auf seine Frage bekam er nicht. Sie öffnete die Tür ein Stück, schlüpfte durch den Spalt hinaus und schob den Riegel vor. Draußen atmete sie erst einmal tief durch. Eilte dann verwirrt den Gang entlang, die Treppe hinauf und an dem Wächter vorbei. Dann blieb sie nach dreißig weiteren Stufen, ruckartig stehen. Sie hatte die Fackel brennend im Kerker des Gefangenen gelassen. Ach, auch egal!, dachte sie, Der kommt so festgekettet sowieso nicht an sie heran. So setzte sie ihren Weg aus dem Kerkergewölbe fort.
Den Rest des Tages ruhte Alsi-Jatha bis zum Abend hin, ging dann ihren normalen Aufgaben, wie lernen und üben nach. Doch mit ihren Gedanken war sie merkwürdigerweise oftmals bei dem Elf im Kerker.
An diesem Tag begann es auch das erste Mal im Tal der Höhlenelfen zu schneien. Der Winter stand vor der Tür.
Immer und immer wieder überlegte sie, ob sie ihre Tante und Herrin nicht bitten sollte, ihre Strafe in eine andere zu verwandeln, damit sie nicht wieder zu dem Gefangenen hinunter in den Kerker musste, um ihm Nahrung und Wasser zu bringen. Irgendwie hatte sie der Kontakt mit dem Elf, und seinem Gerede etwas aus ihrem gewohnten Gleichgewicht geworfen. Sie hatte den Gedanken jedoch dann schnell wieder verworfen, als ihr Ziehvater ihr eine Schale mit Suppe für den Gefangenen in die Hand drückte. Er hatte ihr gesagt, dass der Gefangene bei Kräften bleiben musste, um eine recht lange und peinvolle Opferung zu überstehen. So ging sie in den Kerker hinunter.
Als sie die Tür öffnete, empfing sie der Elf mit den Worten: »Schön, dass du wieder da bist, dass macht diesen Kerker nur noch halb so trist.«
»Ach ja!«, stieß sie hervor. Erschrocken stellte sie fest, dass sie dem Elf schon wieder geantwortet hatte.
»Das meine ich ernst«, bekräftigte Albarell mit fester Stimme. »Immerhin bekomme ich dann etwas von diesem seltsam orangen leuchtenden Fackellicht! Die andere, die du mir dagelassen hattest, sie ist schon ewig ausgebrannt.«
Sie kniete sich neben ihn, hielt ihm den Löffel und die Schale vor die Nase.
Er nahm Beides aus ihrer Hand, was mit den Ketten um seine Handgelenke nicht so einfach war. Er kostete verhalten von der Suppe, ließ dann jedoch Löffel für Löffel davon in seinem Mund verschwinden, bis die Holzschale leer war.
»Das hat ganz gut geschmeckt und es wärmt ein wenig. Danke!« Er lächelte dankbar.
Sie lächelte zaghaft und unbeholfen zurück. Dann erinnerte sie sich wieder daran, warum sie eigentlich bei ihm war, und gab ihm aus dem mitgebrachten Krug zu trinken. Sie versuchte jedoch verbissen kein weiteres Wort mehr zu ihm zu sagen.
Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Haben dir diese Höhlenelfen vielleicht gedroht dich zu bestrafen, wenn du mit mir sprichst?«
Alsi-Jatha starrte ihn irritiert an, wie konnte er von ihrer Strafe wissen? Sie befürchtete, dass er einen Zauber auf sie durch seine Worte ausüben wollte. Doch dann rief sie sich innerlich zur Ordnung. Es gab hier nur eines, an das sie zu denken hatte und das war, ihm Nahrung zu bringen, damit er nicht schon vor seiner Opferung starb. Und sie hatte die über sie verhängte Strafe abzuleisten. Mehr nicht!
Albarell bemerkte ihre innere Anspannung, immer wenn er mit ihr sprach. Er konnte die Magie ihrer dunklen Aura dann noch ein wenig mehr spüren. Doch was ihn wunderte, diese ihr anhaftende Aura und ihre Magie schmerzten seine Seele nicht. Bei den anderen Höhlenelfen hatte er das Gefühl gehabt, sie wollten in seine Seele eindringen und sie zerstören, denn deren Nähe hatte ihn geschmerzt und geschwächt.
»Es gibt anscheinend nicht viele Lichtelfen, die du gesehen hast?«, fragte er. Als er keine Antwort auf seine Frage erhielt sprach er weiter: »Glaubst du vielleicht, ich wäre in der Lage dir irgendetwas anzutun, wenn du mir antwortest oder mich gar durch ein Gespräch mit dir befreien zu können?« Er versuchte es noch einmal, auch wenn sein Instinkt ihm sagte, dass es nicht einfach sein würde, sich mit ihr zu unterhalten.
Alsi-Jatha ging hingegen gerade eine Sache nicht aus dem Kopf, über die sie gegrübelt hatte. Dieser Elf kam von außerhalb des Tals und sie wollte schon immer wissen, wie es da draußen war. Was wenn sie ihn fragen würde. Doch ihre Hohepriesterin und auch die Lehrmeisterrinnen hatten immer gesagt, dass Lichtelfen nur Lügen erzählten. Wie es wohl da draußen ist!, dachte sie erneut und merkte nicht einmal, dass sie die Frage laut ausgesprochen hatte.
»Außerhalb Eures Tals?«, fragte er auch schon nach.
Alsi-Jatha war sich nicht sicher, würde auch nur ein einziges wahres Wort über seine Lippen kommen, wenn sie auf seine Frage bejahend einging?
»Soll ich dir davon ein wenig berichten? Natürlich aber nur, wenn es dir keinen Ärger einbringt! Ich habe Zeit, und hier gerade nichts anderes zu tun.«
Sie nickte nur bejahend.
»Womit fange ich da nur am besten an?«, überlegte er laut. »Eure Festung hier scheint sehr versteckt in den Bergen des Tales zu liegen, denn der Weg war weit. Na ja, ich schätze dies, denn sehen konnte ich ja nichts. Die Kriegerinnen, die mich gefangen nahmen, die hatten mir die Augen gleich nach dem sie mich überwältigt hatten verbunden. Wir Lichtelfen betreten ansonsten schon das Gebiet vor dem Gebirge normalerweise nie. Die Ebene hat bei uns den Namen Dunkelebene und das Bergmassiv Dunkelgebirge. Wir meiden ein mögliches Aufeinandertreffen mit euch Höhlenelfen, denn seit Jahrtausenden sind wir schon die erbittertsten Feinde. Aber das dürftest du ja auch wissen. Jedenfalls, das Land vor dem Bergmassiv ist sehr groß. Es gibt dort weitere Gebirge, Wälder, Landstriche der unterschiedlichsten Art, Flüsse, Strände - die aus Stein oder auch welche die nur aus Sand bestehen und die großen Meere. Die unterschiedlichsten Völker wie Zwerge, Trolle, Menschen, sie alle leben dort und auch Frauenstämme, die eine Herrscherin haben, so wie ihr. Es sind schöne Kriegerinnen aus den Steppen des Nordens, die nur ihre Töchter aufziehen und ihre Söhne den Vätern übergeben. Die Väter sind Männer, die sie sich auf ihren Beutezügen zeitweilig zur Bettgenossenschaft und Fortpflanzungsabsicht bei sich behalten. Sie sind jedoch in ihrem Handeln nicht einmal so grausam und sadistisch veranlagt, wie ihr weiblichen Höhlenelfen, die sich für ihre Opfer natürlich besonders grausame und schreckliche Methoden ausdenken, um sie zu quälen und um sie im Namen ihrer Göttin zu töten.«
Alsi-Jatha warf ihm für diese Bemerkung einen höchst ungehaltenen Blick zu und stieß die Luft hörbar durch die Nase aus, was ihn aber keineswegs zu stören schien, denn er fuhr einfach fort: »Die einen dieser Völker sind gefährliche Feinde, die anderen sind friedlich und freundlich. Auch die verschiedensten Tiere gibt es. Bunte Vögel, Insekten, Schlangen, Fische, Raub-, Wald und auch Nutztiere.«
Alsi-Jatha sah ihn irritiert an.
»Kann es sein, dass du die Bedeutung mancher Worte, die ich gebraucht habe, nicht kennst oder verstehst?«
»Was bedeutet das Wort Meer?«, fragte sie ihn auf einmal, denn hier war eine Möglichkeit mehr von der Außenwelt zu erfahren.
»Ein Meer, ist eine riesige Wasserfläche, so weitläufig, dass man von einem Ufer nicht bis zum anderen sehen kann. Weißt du was ein Boot ist?«
Sie nickte heftig. Natürlich wusste sie was ein Boot war! Immerhin gab es bei ihnen im Tal einen Bergsee und in diesem Fische, die nicht nur vom Ufer, sondern von Booten aus geangelt wurden. Gerade kam er ihr wieder sehr überheblich vorm, genauso wie ihre Sippe die Lichtelfen charakterisierten.
»Mit einem Boot, einem sehr großen Boot, auf das viele Lebewesen passen, mit dem kann man ein Meer mehrere Tagelang befahren, ohne jemals Land zu sehen. Es gibt in seinem Wasser Tiere und Fische, die du bestimmt noch nicht gesehen hast und auch nicht kennen wirst.«
Alsi-Jatha wurde sich auf einmal bewusst, dass sie seiner Erzählung trotzt einiger unfreundlicher Bemerkungen fasziniert gelauscht hatte. Das war nicht gut, sie sollte gehen. »Ich muss gehen!«, sagte sie daher, so als sei sie ihm eine Erklärung schuldig.
»Ich verstehe! Wenn du zu lange bleibst, dann wirst du Ärger bekommen.
Was ist mit der Fackel?«, fragte er, als sie schon an der Tür war und gerade nach ihr greifen wollte, um sie mit sich zu nehmen.
Alsi-Jatha bemerkte das seine Stimme gerade sehr bedrückt klang. Sie überlegte einen Moment. »Ich lasse sie dir, sie wird sowieso in kürze ausbrennen.«
»Danke!«
Sie schloss die Tür, dann klackte es, als sie den Riegel vorschob und sie ihn dem Schicksal der Einsamkeit seiner Zelle überließ.
Alsi-Jatha ging langsam die vielen Stufen hinauf.
Als sie gerade den Absatz der Treppe zu ihrem Raum emporsteigen wollte, trat ihr Para-Saran entgegen.
Ihre Tante hob die Augenbraue und sah sie scharf und prüfend an. »Hast du Deine Aufgaben erfüllt, Alsi-Jatha?«
»Ja, Herrin!«
»Dann geh, begib dich jetzt zu Ruhe!«
»Ich wünsche eine gute Ruhe, Tante!«, sagte Alsi-Jatha schnell und lief die Treppe empor. Sie eilte in ihr Zimmer und schloss dessen Tür von innen ab.
Ihr Herz klopfte wild. Sie hätte Para-Saran sagen müssen, dass sie einiges von dem Gefangenen erfahren hatte. Doch dann hätte sie auch zugeben müssen, dass sie mit ihm gesprochen hatte. Das würde jedoch für sie eine weitere Bestrafung nach sich ziehen, also schwieg sie lieber.
Sie wusch sich den Ruß vom Gesicht und sah sich in der glänzenden Metallschale nachdenklich an, die ihr als Spiegel diente. Ihre Haut war fast so hell wie die seine. Ein paar Minuten lang saß sie nur da, fragte sich: Was ist nur los mit mir? Diese Frage hatte sie sich schon einige Male, doch häufig vor allem in der letzten Zeit gestellt. In ihrer Regenerierungsruhe hatte sie in tiefster Entrückung Bilder von hellen und lichtdurchfluteten Gebäuden und Räumen gesehen. Sie fand es beeindruckend, was sie erlebt hatte, auch wenn sie sich immer wieder fragte, woher diese Geistesbilder überhaupt hergekommen sein konnten, da sie noch nie eine Siedlung oder eine Stadt eines anderen Volkes gesehen hatte.
Auch davon hatte sie nie jemanden erzählt. Der einzigen, der sie sich und ihre Geheimnisse anvertraute, war ihre langbeinig und behaarte schwarze Freundin Zillaria.
Belo-Retz, der Wächter, der auch am nächsten Tag wieder Wache hatte, sah sie fragend an. »Was wollt Ihr denn heute hier, Alsi-Jatha?«
Empört sah sie ihn an. Was erdreistete sich dieser Elf eigentlich, einer ihm übergestellten Elfe, wie ihr, eine solche Frage zu stellen? »Dem Gefangenen Essen bringen, du Tölpel von Wächter!«, fauchte sie daher ungehalten.
»Verzeih mir Niederen! Die ehrenwerte Hohepriesterin ist unten im Kerker bei dem Gefangenen, dies mit einigen Kriegerinnen ihrer persönlichen Garde! Ich konnte ja nicht wissen, dass sie auch Euch dabeihaben will«, äußerte der Wächter ein wenig kleinlauter und öffnete ihr die schwere Tür, die er bewachte.
Schon als Alsi-Jatha die Treppe hinabstieg, bemerkte sie, dass etwas anders war. Selbst sie verspürte die noch stärkere dunkle Magie, die von unten her ihr entgegen strömte. Dann hörte sie einen hellen, gellenden Schrei. Sie erkannte die Stimme sofort. Albarell!, dachte sie.
Kurz darauf drang die gefährlich klingende Stimme ihrer Tante, ihr ans Ohr. »Wir werden dir schon noch deine Zunge lösen, Lichtelfenprinz! Das Seil hier wird dich würgen, bis deine Zunge anschwillt und dir die Augen aus den Höhlen treten werden. Wir werden unser Vergnügen und unsere Freude an deinem Leiden haben. Du wirst erleben was du alles aushalten kannst, da du keine andere Wahl hast.« Para-Sarans Worte waren noch leiser als sonst.
Alsi-Jatha wusste, dass dieses nichts Gutes für Albarell zu bedeuten hatte. Eine ihr nicht bekannte Verzweiflung überflutete auf einmal ihr Inneres. So holte sie tief Luft, um sich ein wenig zu beruhigen, hatte jedoch Schwierigkeiten ihr Entsetzen unter Kontrolle zu halten. Ihr Instinkt sagte ihr jedoch, dass sie jetzt schon gar kein Mitleid für den Gefangenen zeigen durfte. Er war für eine Opferung bestimmt. Ein Fest, das im Namen der Göttin aus wohlverstandenem Interesse öffentlich und lange dauern sollte. So würde man ihn bis dahin auch am Leben lassen.
Sie ging langsam bis zu Folterkammer und dann sah sie die Kriegerinnen und Para-Saran, die Albarell dort einer sogenannten Befragung unterzogen.
Der junge Elf lag mit nacktem Oberkörper, gefesselt an Händen und Füßen auf dem Gestell. Sein blasser Körper war überstreckt, ihre Tante würgte ihn und eine der Kriegerinnen drehte die Kurbel mit den Seilen, an denen seine Hände und Füße befestigt waren, noch um eine Kerbe weiter in dem Rad, bevor sie es wieder einrasten ließ. Punktförmige Einblutungen in seinen Augenbindehäuten und ein Würgemal an seinem Hals waren zu sehen, als Para-Saran den Strick um seinen Hals losließ.
»Rede endlich! Glaube nicht, dass wir dich sonst einfach sterben lassen werden.«
»Dies werdet… ihr doch… sowieso nicht!«, presste Albarell nach Luft ringend und mit schmerzverzerrter Miene hervor.
Para-Saran lachte leise auf: »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Prinz der Lichtelfen, wenn es so weit ist, dass der Tod dir Erlösung schenkt, dann wirst du nicht lange allein bleiben. Dein Vater und deine Sippe, sie werden dir daraufhin alsbald folgen. Denn diesmal wird er gewiss aus seinem Bau herauskriechen, um Rache für den Tod seines geliebten Sohnes an uns zu nehmen.«
»Ihr scheint mir … etwas zu vorschnell, bei der Vorstellung … dem Ziel unserer Vernichtung … durch mich … ein Stück näher gekommen zu sein. Wenn Ihr Euch da nicht mal … gehörig … verrechnet«, hörte Alsi-Jatha Albarell auf die Worte ihrer Tante kontern.
Para-Saran hielt theatralisch eine Hand an den Mund, dann jedoch flüsterte sie höhnisch klingend: »Jetzt bekommen wir aber Angst! Doch erlaube mir festzustellen, du hast mir ein ziemlich großes Mundwerk, dafür dass du hier auf der Folter liegst, Prinz! Ich denke du musst vor deinem Tod noch lernen den Realitäten unendlichen Schmerzes und die deines Versagens, dein Volk vor uns zu retten können, noch ins Auge sehen! Na, dann wollen wir mal weiter machen ….
Alsi-Jatha fragte sich, ob diese Grausamkeiten an Albarell gerechtfertigt und überhaupt nötig waren.
Albarell versuchte mit aller Macht der Folter trotzend stand zu halten. Doch sie wusste genau, so wie er auch, der Schmerz, er würde seine Zunge bald lösen. Wenn nicht heute, dann doch in einigen Tagen.
Eine der Kriegerinnen drehte sich auf einmal um, sagte dann etwas zu Para-Saran, deutete dabei mit ihrer Hand auf den Gang in dem Alsi-Jatha stand, die in dem Moment Ekel gegen die eigenen Kriegerinnen und deren Handeln in sich aufsteigen fühlte.
»Macht weiter mit blutigen Lehren für den Prinzen!«, befahl Para-Saran. »Was willst du hier Alsi-Jatha?«, hörte sie die Stimme ihrer Tante.
Alsi-Jatha trat näher. Eine der Kriegerinnen nahm gerade ein Messer auf. Grausame Sekunden schwebte die Klinge über der Schulter Albarells, bis sie gesenkt wurde. Die schwarze Klinge schnitt tief, an der Schulter, in des Lichtelfen zarte, milchweiße Haut. Tapfer hielt er stand, kein Schmerzenslaut drang über seine Lippen. Seine Augen waren auf einmal auf Alsi-Jatha gerichtet. Sie erkannte, der Elf versuchte sich eine andere Vorstellung zu suggerieren, um somit dem Schmerz zu entkommen. Alsi-Jatha sah, wie der Schmerz ihm jedoch Tränen in die Augen schießen ließ, doch gestattete er den salzigen Perlen nicht, aus diesen zu entweichen.
Als die Kriegerin das Messer aus der Wunde zog, überströmte das aus seiner Wunde quellende Blut seinen Oberarm.
Es dauerte einen Augenblick, bis Alsi-Jatha sich über den grausamen Anblick beruhigt hatte. Sie holte noch einmal tief Luft.
Zum Glück hatte Para-Saran in dem Moment auf das Geschehen geachtet und ihr Luftholen so verstanden, als hätte sie die Folter genossen, die man dem Elfen zukommen ließ.
Alsi-Jatha setzte ein gespielt grausames Lächeln auf, als ihre Tante sie wieder ansah.
Diese Posse schien ihr ausgezeichnet gelungen zu sein, denn Para-Saran nickte ihr sogar noch anerkennend zu. Sie vergas sogar das Alsi-Jatha ihr nicht auf ihre Frage geantwortet hatte und setzte dann im Glauben, an ihrem Interesse an der Folter, die man dem Gefangenen angedeihen ließ, zu einer Erklärung an: »Alsi-Jatha, solange ein Gefangener, schon gar einer aus dem Adelshaus der Lichtelfen, nicht redet, so lange sollte man ihn nicht zum Schweigen bringen. Das musst du wissen! Doch ich kenne deine stille Sehnsucht, wenn es bei ihm soweit ist, dass er unserer Göttin geopfert wird, werde ich dich, meine Nichte, daran teilnehmen lassen!«
Alsi-Jatha konnte die Vorfreude auf das Töten in den kalten Augen der Tante erkennen.
»Gehe wieder deinen Pflichten nach, mein Kind«, wies diese sie an.
Im nächsten Augenblick hatte sich ihre Tante auch schon umgedreht.
Ihr Blick und der Albarells trafen sich noch einmal kurz. Sichtbar deutlich werdender abschätzige Verachtung blitzte in seinen Augen auf. Sein durchdringender Blick erschütterte sie und sie schloss unwillkürlich ihre Augen, dann lief sie davon.
Albarell schrie erneut vor Schmerzen gepeinigt auf, als eine Höhlenelfe ihm etwas in die Wunde an der Schulter träufelte. Es schien ihm, als würde sein Körper in Flammen stehen. Einen Augenblick lang wurde er von Krämpfen geplagt. Doch die erhoffte Wirkung der Höhlenelfinnen blieb aus, denn eine erlösende Dunkelheit umfing ihn kurz darauf.
Alsi-Jatha indes, die Treppe schon ein Stück empor gelaufen, hörte den schrecklichen, schmerzerfüllten Schrei, der anhielt, dann in ein Stöhnen überging und auf einmal schlagartig verstummte.
Albarells Schrei verfolgte sie jedoch weiter in ihrem Kopf, als sei er ihr Schatten. Sie grub ihre Fingernägel tief in ihre Handflächen, da sie glaubte, seine Pein nicht ertragen zu können. Sorge, ja sogar Angst um ihn machte sich tief in ihrem Herzen breit. Sie war überrascht so zu fühlen, verstand es nicht. Das Schicksal Albarells hatte sie in dem Moment, als sie sah, was ihm Para-Saran mit ihren Kriegerinnen ihm antat, sie unheimlich stark berührt. Sie hatte das Bedürfnis empfunden ihn vor der Folter zu schützen. Doch das durfte sie nicht! Er war der Feind!
Die ganze Zeit über waren ihre Gedanken bei Albarell dem Lichtelfenprinzen gewesen, den sie doch eigentlich hassen sollte und musste. Doch die Frage, die ihr Herz sich stellte, war … was war mit ihm weiter geschehen? Was hatten sie ihm noch alles angetan? Para-Saran hatte ihr versichert, dass sie seiner Opferung beiwohnen würde. Sein Blick, war er daher so voller Verachtung gewesen oder warum? Dann fragte sie sich, durfte sie überhaupt weiterhin noch zu ihm, um ihm Nahrung zu bringen? All die Fragen und Gedanken bewegten sie.
Als der Nachmittag des nächsten Tages über das Tal hereinbrach, bekam sie die Antwort auf all diese Fragen, denn ihr Ziehvater schickte sie mit den Worten in den Kerker: »Bring dem Gefangenen etwas zu essen und sieh auch nach seinen Wunden, vor allem nach der an der Schulter. Da ist das Risiko einer Wundinfektion sehr hoch. Sollte dir da etwas auffallen musst du entsprechende Maßnahmen treffen. Er darf vor der Opferungszeremonie nicht sterben.«
Bei jeder Stufe hinunter zu dem Verließ in dem er eingesperrt war, wurde ihr Herz ein Stück mehr von der Furcht ergriffen, wie sie ihn dort vorfinden würde. Hatte man ihm ein Gegenmittel gegeben? Oder, würde sie ihn unkontrolliert zuckend, kaltschweißig und im Fieberwahn vorfinden?
Vor der Tür angekommen, schob sie den Riegel langsam zurück und öffnete die Tür, so als wollte sie jedes Geräusch vermeiden. Dann trat sie langsam in den Kerkerraum ein. Einen Moment glaubte sie, ihr Herz würde aufhören zu schlagen, als sie den geschundenen, zusammen gekauerten Körper des Elfen auf dem Boden liegen sah. Sie starrte regelrecht auf seinen Oberkörper, der nackt, aber an der Schulter verbunden und mit Blutergüssen übersät war. Albarell war dieses Mal jedoch nur mit einem Eisenring am linken Fuß an die Wand gekettet. Dies hatte ihm wenigstens das zusammenrollen seines Körpers möglich gemacht.
»Gefällt dir …, was du … siehst, hinterlistige Höhlenelfe?«, hörte sie ihn leise und abgehackt sagen.
Sie erkannte die träge Verachtung und dennoch den Schmerz, der in seinen Worten mitschwang.
»Nein! Das tut es nicht!«
Albarells Körper erbebte, als er sich aus der Kauerstellung ein wenig aufrichtete. Er sah sie aus stumpfen, glasigen Augen an. Sein Gesichtsausdruck beunruhigte sie. Dennoch ging sie zu ihm, kniete sich nieder und legte ihre Hand sanft auf die seine.
Sein Mund verzog sich gequält. »Haben sie dich jetzt geschickt, damit ich mein Volk an dich verrate, weil du mir erneut glauben machen sollst, dass dich mein Zustand interessiert?«
Albarell fühlte sich müde und dachte sehnsüchtig an seinen Vater, seine Freunde und sein Volk.
Alsi-Jatha wollte zuerst etwas auf seine Verdächtigung erwidern, doch sie schwieg.
Seine Augen musterten sie ausdruckslos, dennoch sah er sie an, als suche er darin nach der Wahrheit. »Du kannst ihnen sagen, dass ich der Nichte der Hohenpriesterin auch nicht verrate, wo unsere Feste sich genau befindet. Auch nicht, wo unsere Wachen im Wald ihre Posten beziehen. Ich bin bereit für den Tod! Selbst die Androhung, dass man mir die Haut in Streifen mit der Peitsche vom Körper zieht, die schreckt mich nicht im Geringsten.«
Ohne sich dessen bewusst zu sein, was sie tat, fuhr Alsi-Jatha ihm sanft mit der Hand über die Wange. Dann sah sie zu seiner Schulter hin. Der Verband wies einen dunkelroten Fleck auf, an der Stelle, wo sein Blut durchgesickert war. Sie tastete vorsichtig seine Schulter um den Verband herum ab.
Er verzog das Gesicht schmerzvoll. »Aua! Hör auf!«, entkam es seinen Lippen, ohne dass er es wollte.
Alsi-Jathas Gesichtsausdruck wurde mit einem Mal weich, sie hatte begriffen, er hatte sie wohl ebenfalls für eine Gefangene oder was auch immer gehalten. Doch nun wusste er, dass sie die Nichte der Herrscherin der Höhlenelfen war. Sie gab ihm daher einen kurzen Einblick in ihre Gedanken frei.
Albarell konnte Mitgefühl, für ihn, in ihrer Seele lesen, als sie ihm in die Augen sah. Er schloss seine jedoch resigniert und zog sich geistig in seine eigene Welt zurück. Langsam begann er ein Lied zu summen, eines das sich seiner Seele annehmen und ihn ins Reich seines inneren Friedens tragen sollte.
Alsi-Jatha sah in zuerst verständnislos, dann auf einmal wütend an, denn sie begriff den Sinn in dem Summen. »Hör sofort auf damit! Tu gefälligst, was ich dir sage. Verdammt, Albarell, gib dich nicht auf!«
Nicht ein Zucken seiner Augenlider offenbarte seine Gefühle, als er seine Augen wieder öffnete und sie ansah.
»Du bist eine von ihnen!«, stellte er trocken fest.
»Was dachtest du denn?«
»Eine Hörige - eine Sklavin, mit deiner beinah bleichen Haut und deinem strohblonden Haar. Nicht für sowas wie eine potenzielle Nachfolgerin der Hohepriesterin«, stieß er mit angewiderter Mine hervor.