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Ludwig van Beethoven, Leonore. Fidelio, Stuttgart 2009 (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18665), S. 53, 55.
Winfried Freund, Adelbert von Chamisso. »Peter Schlemihl«, Geld und Geist. Ein bürgerlicher Bewußtseinsspiegel. Entstehung, Struktur, Rezeption, Didaktik, Paderborn/Wien [u. a.] 1980, S. 26.
Freund (s. Anm. 2), S. 35.
Thomas Mann, Chamisso (1911), zitiert nach: Erläuterungen und Dokumente. Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte, hrsg. von Dagmar Walach, durchges. und bibliogr. erg. Ausg., Stuttgart 2003 [u. ö.] (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 8158), S. 80.
Siehe die Anmerkung zu 12,12–15 in: Adelbert von Chamisso, Peter Schlemihls wundersame Geschichte, Stuttgart 2014 [u. ö.] (Reclam XL. Text und Kontext, Nr. 19229), S. 85.
Werner Freudel, »Nachwort«, in: Adelbert von Chamisso, Peter Schlemihls wundersame Geschichte, mit einem Titelkupfer von Franz Leopold und Kupferstichen von Georg Cruikshank, Berlin 1979, S. 36 ff., zitiert nach: Erläuterungen und Dokumente. Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte, hrsg. von Dagmar Walach, durchges. und bibliogr. erg. Ausg., Stuttgart 2003 [u. ö.] (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 8158), S. 100–102, hier S. 101.
Adelbert von Chamisso, zitiert nach: Peter von Matt, »Chamissos nüchterner Traum. Kunst und Geheimnis des Peter Schlemihl«, in: Adelbert von Chamisso, Peter Schlemihls wundersame Geschichte, Stuttgart 2010, S. 117–142, hier S. 136.
Johann Wolfgang Goethe, Faust. Der Tragödie Erster Teil, hrsg. von Wolf Dieter Hellberg, Stuttgart 2014 [u. ö.] (Reclam XL. Text und Kontext, Nr. 19152), S. 41, V. 1408.
Ebenda, S. 43, V. 1512 f.
Ebenda, S. 43, V. 1516–18.
Goethe (s. Anm. 8), S. 49, V. 1714 f.
Goethe (s. Anm. 8), S. 49, V. 1737.
»Alexander von Humboldt an den Herausgeber [Karl Erenbert Freiherr von Moll] aus Corunna am 5. Jun[i] 1799«, in: Jahrbücher der Berg- und Hüttenkunde 4 (1799) S. 399–401, hier S. 400.
Page: junger Adliger als Diener am Hof eines Fürsten
Schulfuchser: Schulmeister, Besserwisser
Zitiert nach: Matt (s. Anm. 7), S. 119.
Matt (s. Anm. 7), S. 119.
Gustav Seibt, »Chamisso in Kunersdorf«, in: Süddeutsche Zeitung vom 17. Mai 2019, online: www.sueddeutsche.de/kultur/kulturausflug-chamisso-in-kunersdorf-1.4450548 (Stand: 16.03.2020).
Adelbert von Chamisso, Werke, Leipzig 1836, Bd. 3, S. 245. Das Gedicht stammt ursprünglich aus dem unvollendeten Drama Fortunatus (1806); dort hat es drei Strophen und trägt den Titel Auf hoher See; 1815 wurde es erstmals unter dem Titel Nach der Abfahrt gedruckt.
Matthias Glaubrecht, »Dichter, Forscher, Weltreisender«, in: Der Tagesspiegel, 29. Oktober 2012 (online).
Freund (s. Anm. 2), S. 59.
Wilhelm Hauff, Literaturblatt auf das Jahr 1827, Nr. 84, 19. Oktober, zitiert nach: Erläuterungen und Dokumente. Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte, hrsg. von Dagmar Walach, durchges. und bibliogr. erg. Ausg., Stuttgart 2003 [u. ö.] (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 8158), S. 63.
Joseph Freiherr von Eichendorff, Die Achtundvierziger in den Vereinigten Staaten, zitiert nach: Erläuterungen und Dokumente. Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte, hrsg. von Dagmar Walach, durchges. und bibliogr. erg. Ausg., Stuttgart 2003 [u. ö.] (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 8158), S. 64 f.
Mann (s. Anm. 4), S. 79 f.
Mann (s. Anm. 4). S. 75.
Mann (s. Anm. 4), S. 79.
Matt (s. Anm. 7), S. 122.
Matt (s. Anm. 7), S. 123.
Matt (s. Anm. 7), S. 129.
Vgl. Freund (s. Anm. 2), S. 62 ff.
Susanne Lorenz, »Die komische Geschichte eines tragischen Helden: Elemente der Komik in Adelbert von Chamissos Peter Schlemihls wundersame Geschichte«, in: PhiN (Philologie im Netz) 75 (2016), S. 17–31 (web.fu-berlin.de/phin/phin75/p75t2.htm), hier S. 26.
Ebenda, S. 23.
Abb. 1: Titelblatt aus Ernst Ludwig Kirchners Holzschnittfolge zum Peter Schlemihl (1915)
Im Zeitraum der Veröffentlichung von Chamissos Märchennovelle erschien auch Ludwig van Beethovens einzige Oper Fidelio in drei verschiedenen Fassungen (1805, 1806, 1814). Aus dem Libretto der 3. Fassung stammt der folgende Monolog des Kerkermeisters Rocco, in dem finanzieller Reichtum, materieller Besitz und grenzenloserVergötzung des Geldes Konsum glorifiziert werden:
Hat man nicht auch Gold beineben,
Kann man nicht ganz glücklich sein.
Traurig schleppt sich fort das Leben,
Mancher Kummer stellt sich ein.
Doch wenn’s in der Tasche fein klingelt und rollt,
Da hält man das Schicksal gefangen,
Und Macht und Liebe verschafft dir das Gold,
Und stillet das kühnste Verlangen.
Das Glück dient wie ein Knecht für Sold,
Es ist ein schönes Ding, das Gold.
Wenn sich nichts mit nichts verbindet,
Ist und bleibt die Summe klein.
Wer bei Tisch nur Liebe findet,
Wird nach Tische hungrig sein.
Drum lächle der Zufall euch gnädig und hold
Und segne und lenk euer Streben,
Das Liebchen im Arme, im Beutel das Gold,
So mögt ihr viel Jahre durchleben.
Das Glück dient wie ein Knecht für Sold,
es ist ein mächtig Ding, das Gold.1
Ebenso wie dieser Text markiert auch Peter Schlemihls wundersame Geschichte von der bezwingenden Macht einer unerschöpflichen Goldquelle den »Anbruch einer neuen, von bürgerlichen Normen bestimmten Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts, einer Zeit im Zeichen von Geld und Geldeswert auf der Schwelle zur Industrialisierung […] Immer mehr beginnt der Mensch in einer kapitalbeherrschten Umwelt das zu sein, was er hat […].«2
Für die anfangs Anti-Heldsozial deklassierte Hauptperson in Adelbert von Chamissos Kunstmärchen wird die uneingeschränkte Verfügbarkeit von Gold zum Angelpunkt seiner Hoffnung auf direkte Teilhabe am Leben des Besitzbürgertums, ohne dass er durch Arbeit und Leistungen für den eigenen gesellschaftlichen Aufstieg mittel- oder langfristige Anstrengungen unternehmen muss.
Die Erfüllung des triebhaften Wunsches nach steter und grenzenloser Bedürfnisbefriedigung geschieht allerdings um den Preis des Verlustes der seelischen und geistigen Autonomie und Authentizität des Individuums, deren Gütesiegel der immaterielle Schattenwurf ist. Je mehr der Mensch sich durch die Unersättlichkeit seines Verlangens nach WarenfetischismusWaren und Dingen zum Sklaven von Konsum und Besitz macht, desto mehr, so lautet auch die Botschaft von Chamissos Werk, erliegt der Einzelne der IdentitätsverlustFremdbestimmung durch die Hörigkeit gegenüber den bloß materiellen Glücksverheißungen der kapitalistischen Ökonomie.
Während es Peter Schlemihl am Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem diabolischen Händler durch Willenskraft und Verzicht auf einen Teufelspakt wenigstens noch gelingt, seine Seele und damit sein Ich zu bewahren, bleibt Deformation des MenschenThomas John, eine Nebenfigur der Novelle, seinem eigenen fürchterlichen Eingeständnis zufolge am Ende auf immer verflucht und verdammt. Indem seine »entstellte Gestalt« (S. 59) von seinem satanischen Gebieter einem Gegenstand gleich aus der Tasche gezogen wird, »erscheint [er] nach dem Verlust seiner Freiheit selbst zur Ware verdinglicht. Er ist die Personifikation der im Kapitalismus latenten Gefahr menschlicher Selbstentfremdung.«3
Jenseits seiner Vorwegnahme der marxistischen Kritik am Warenfetischismus eröffnet Chamissos Märchennovelle einen verstörenden Einblick in die Instinktnatur des Menschen, die etwa 100 Jahre später der Tiefenpsychologe Sigmund Freud (1856–1935) in den auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung drängenden Macht der TriebnaturTrieben des Es festmacht. Demnach ist Schlemihls Gier nach Gold vordergründig als irrationales Geschehen, jedoch aus psychoanalytischer Sicht als naturhaftes, unbewusst und unwillentlich gesteuertes Triebverhalten zu verstehen. Wie vergleichbare literarische Texte aus dem Bereich der Schwarzen Romantik oder auch Schauerromantik, so etwa E. T. A. Hoffmanns Die Elixiere des Teufels (1815/16) und Der Sandmann (1816), zeigt Peter Schlemihls wundersame Geschichte die Abgründe der menschlichen Seele. Begegnungen mit dem Dämonie des EsDämonischen und Bösen, negative Gefühle von Verzweiflung, Angst, Wut, Schuld und Scham sowie alptraumhafte Szenen der öffentlichen Bloßstellung oder der erlebten Gewalt gehören zum Motivrepertoire einer fiktiven Welt, in welcher es nur den Teufel, aber keinen Gott gibt. Der Einzelne bleibt den eigenen schuldhaften Verstrickungen und unerfüllten Sehnsüchten ausgeliefert und damit auf sich selbst zurückgeworfen. So berichtet der Erzähler etwa von seiner tiefen EinsamkeitEinsamkeit angesichts der Tragik eines Schicksals, welches er selbst zu verantworten hat und aus dem es trotz aller Fluchtversuche kein Entkommen gibt:
»Allein zurückgeblieben auf der öden Heide, ließ ich Tränenströmeunendlichen Tränen freien Lauf, mein armes Herz von namenloser banger Last erleichternd. Aber ich sah meinem überschwänglichen Elend keine Grenzen, keinen Ausgang, kein Ziel […]. Als ich Minas Bild vor meine Seele rief, und die geliebte, süße Gestalt bleich und in Tränen mir erschien […], da trat frech und höhnend Rascals Schemen zwischen sie und mich, ich verhüllte mein Gesicht und floh durch die Einöde, aber die scheußliche Erscheinung gab mich nicht frei, sondern verfolgte mich im Laufe, bis ich atemlos an den Boden sank, und die Erde mit erneuertem Tränenquell befeuchtete.« (S. 43)
Über die existentiellenGrenzerfahrungen Grenzerfahrungen hinaus, die das sich im 19. Jahrhundert herausbildende Individuum angesichts seines neuen Ausgeliefertseins an die entfesselten Kräfte der kapitalistischen Waren- und Geldwirtschaft und – zweitens – an die überwältigende Macht der Triebe erfährt, entfaltet die Erzählung eine dritte Konfliktebene, nämlich die Verabsolutierung von Technik und WissenschaftsgläubigkeitWissenschaft. Diese und mit ihr der Positivismus, welcher für die Erkenntnis nichts anderes gelten lässt als nachweisbare Fakten und Daten, geht von der Annahme aus, dass sich alle menschlichen und gesellschaftlichen Probleme durch den menschlichen Erkenntnisfortschritt lösen lassen.
Auch Schlemihl arbeitet nach dem Verzicht auf einen Bund mit dem Teufel an der systematischen und methodischen Erfassung insbesondere der Pflanzenwelt, weil er in der botanischen Forschung eine für ihn persönlich und für die Gesellschaft sinnstiftende Tätigkeit sieht. Eigentlich jedoch ist er, wie Thomas Mann im Jahre 1911 schreibt, »ein ›nur seinem Ich-FixierungSelbst lebender‹ Naturforscher«, der »grotesk und stolz über Berg und Tal« schreitet, ohne noch weiter mit anderen Menschen in Verbindung zu treten.4 Er Selbstisolierungschließt sich vielmehr hermetisch von der Gesellschaft ab, in der trügerischen Überzeugung, dass er den Makel seiner Schattenlosigkeit durch Verzicht auf zwischenmenschliche Beziehungen und durch seine Beschränkung auf eine abstrakte Lebensleistung kompensieren kann.
Peter Schlemihls wundersame Geschichte erzählt, wie es bereits der Titel ausdrücklich ankündigt, im RetrospektiveRückblick auf ein individuelles Leben von außergewöhnlichen und unwirklichen Begebenheiten, in deren Mittelpunkt ein namentlich bezeichneter Mann steht. Ganz unvermittelt erscheint dieser Peter Schlemihl als Ich-ErzählsituationIch-Erzähler auf der Bühne des Geschehens, nachdem er am Ende einer »sehr beschwerlichen Seefahrt […] endlich den Hafen« (S. 9) einer deutschen Stadt erreicht hat. Während Ort und Zeit der Handlung weitgehend unbestimmt bleiben, erhält der Leser allerdings genauere Informationen über die besonderen Handlungsmotive des Helden. Dieser ist nämlich im Besitz eines Empfehlungsschreibens, mit dem er sich auf den Schlemihl sucht eine Anstellunghoffnungsvollen Weg zu Thomas John macht, dem Eigentümer eines herrschaftlichen und luxuriösen Landsitzes.
Der Arbeitsuchende, der selbst nur mit einer »kleinen Habseligkeit« (S. 9) ausgestattet ist und sich lediglich eine Ein Nobody in der High Societybillige Unterkunft in einem schäbigen Hotel leisten kann, wird bei seiner Ankunft auf dem prächtigen Anwesen von den dort anwesenden Personen mit großer Erniedrigung des HabenichtsHerablassung behandelt. Während die Gespräche der Reichen und Schönen vor allem um Geld und Besitz kreisen, leidet der Ich-Erzähler unter der damit verbundenen Nichtbeachtung seiner eigenen Person. Im Gefühl seiner Bedeutungslosigkeit und Nichtigkeit begleitet er die anwesende Gesellschaft bis zu einem »rosenumblühten Hügel« (S. 10), wo er Zeuge wird, wie die geringfügige Schnittverletzung an der Hand einer Dame sämtliche Menschen in deren unmittelbarer Umgebung dazu bringt, sich mit diesem banalen Ereignis übermäßig intensiv zu beschäftigen.
Inmitten der hektischen Aktivitäten zur Versorgung der kleinen Wunde steht auf einmal ein »stiller, dünner, hagrer, länglichter, ältlicher Mann« im Zentrum der Aufmerksamkeit des Ich-Erzählers. Er beobachtet, wie der Begegnung mit dem BösenUnbekannte aus der »Schoßtasche seines altfränkischen, grautaffentnen Rockes« unversehens »eine kleine Brieftasche« (S. 10 f.) herauszieht, aus welcher er wiederum ein Wundpflaster hervorholt, mit dem die verletzte Dame ohne weitere zeitliche Verzögerung versorgt werden kann.
Übernatürliche Fähigkeiten11121312
13Quell materiellen Glücks
Übermacht des Bösen13
14Verführung und SündenfallFortunati Glückssäckel15