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© 2020 Heinrich Schmid 1. überarbeitete Auflage; Teil 1 von 4.
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ISBN: 9783 7519 75353
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Germanische Expansion seit 750 v. Chr.
GNor: Nordgermanen; GMN: Nordseegermanen; GRW:
Rhein-Weser-Germanen; GElb: Elbgermanen; GOr: Ostgermanen
Der moderne Germanenbegriff baut auf der Begriffsbildung der antiken Schriftsteller auf, die spätestens im Zeitalter des Humanismus erneut aufgegriffen wurde. Obwohl bereits Tacitus Teile Skandinaviens zu Germanien zählte, ist die allgemeine Ausweitung des Germanenbegriffs auf Skandinavien eine spätere Entwicklung, die vor allem auf sprachlichen und ethnographischen Beobachtungen gefußt haben dürfte. Der schwedische Reformator und Historiker Olaus Petri unterstellte im 16. Jahrhundert Schweden und Deutschen eine gemeinsame Herkunft. Im späten 18. Jahrhundert war die Idee einer historischen, ethnischen und sprachlichen Zusammengehörigkeit der nordischen Länder mit Deutschland unter den Gelehrten allgemeine Überzeugung geworden. Gottfried Wilhelm Leibniz schrieb in seinen Unvorgreifflichen Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache (postum 1717, Neudruck 1995, S. 22), dass alles, was die Schweden, Norweger und Isländer von ihren Goten rühmen, auch unser sei; diese Völker müssten für nichts anderes als Norddeutsche gehalten werden. Auch Johann Gottfried Herder teilte 1765 diese Auffassung in einer Rezension zu der Einführung in die Geschichte Dänemarks des Historikers Paul Henri Mallet. Quelle Wikipedia.
Eine Buchserie für alle, die sich für unsere ehemaligen und zum Teil schon weit über 1000 Jahre alten Traditionen und Rituale interessieren. Des Weiteren gibt diese Reihe einen unmittelbaren Einblick in die Verbundenheit der damals lebenden Menschen mit der Natur und ihrem Tierreich.
Herrn Wilhelm Mannhardt ist es tatsächlich gelungen uns ein Zeitdokument zu hinterlassen das einem von Anfang bis zum Ende fasziniert. Es werden Kulte, Gebräuche und Zeitzeugen aufgeführt, die einen etwas tiefer blicken lassen. Bereits im Buch 1 können wir hautnah miterleben, wie nahe wir einst unseren Bäumen, Tieren und Nutzpflanzen standen. Wie sehr wir sie doch verehrt haben und mit welchen wunderschönen Bräuchen und Ritualen wir sie alle Jahre wieder achteten.
Ich für meinen Teil würde in meinem Leben etwas vermissen, hätte ich diese Bücher nicht ausführlich kennengelernt. Denn von heute an weiß ich mehr denn je, dass der ganze europäische Norden schon lange eine große Völkergemeinschaft darstellt.
Für mich steht es völlig außer Zweifel, dass bereits der damalige „kleine Mensch von der Straße“ den absolut freien und festen Willen zum gegenseitigen Miteinander hatte, und zugleich für ein vereinigtes Europa eingetreten ist.
Ansonsten wäre es nie zu einer solchen Gleichheit von gemeinsamen Ritualen und Gebräuchen in ganz Europa gekommen. Und dies, trotz aller damaligen Kriege und Streitigkeiten!
Der Mensch an sich wollte niemals Krieg führen, er wurde einfach immer wieder dazu verführt und auch gezwungen. Dadurch gingen uns aber dutzende von völkerübergreifenden Gemeinsamkeiten verloren, nach denen wir uns alle wieder sehnen. Nur kaum mehr wissen, was sie jemals bedeutet haben, oder vor allem, wie, wann und wo, sie anzuwenden sind.
Diese Lücke hat Wilhelm Mannhardt schon 1875 für uns geschlossen.
Wir müssen uns einfach wieder damit auseinandersetzen und neu entdecken.
Damit wären die derzeitigen Hürden der nordischen Völker untereinander und die weit größere Unverbundenheit mit der heutigen Natur überwunden.
Lassen Sie sich von dem alten Wissen und dem früheren Umgang der Menschen Untereinader inspirieren. Denn bereits die sorgten immer wieder für ein gemeinsames Miteinander und den harmonischen Umgang mit ihrer Natur. Davon können wir heute momentan nur träumen.
Wir wären sicherlich wieder auf einem guten Weg, wenn wir nur einige dieser Rituale und Gebräuche wieder beachten würden und lernen sie auch anzuwenden.
Hunding, den 03.07.2020
Heinrich Schmid
Hiermit übergebe ich nun das WORT an einen grandiosen Autor des 19. Jahrhunderts.
Wald- und Feldkulte von Wilhelm Mannhardt (Originalverfasser)
Das vorliegende Buch, beginnt die Veröffentlichung einer Reihe von Vorarbeiten, die sich dem Verfasser als erforderlich ergeben hatten, um zur Klarheit und Sicherheit über das Fachwerk zu gelangen, in welches die einzelnen Stücke der von ihm unternommenen „Sammlung der Ackergebräuche“ einzuordnen seien.
Es ist hier der Versuch gemacht worden, die wichtigsten Sagen, Frühlings- und Sommergebräuche, welche zu den Erntegebräuchen in unverkennbarer Analogie stehen, einzig und allein aus sich selbst heraus einer methodischen Untersuchung auf ihren Inhalt und dessen Bedeutung zu unterwerfen, soweit es der Hauptsache nach auf Grund des in der Literatur vorhandenen Materials schon jetzt geschehen konnte. Doch sind an vielen Orten bisher ungedruckte Überlieferungen eingestreut.
In größerem Umfange ist dies bei Gelegenheit des Erntemai geschehen, die rheinländischen Sitten und die zu Kuhns Aufzeichnungen hinzugekommenen westfälischen verdanke ich schriftlichen Mitteilungen, so auch alle übrigen, dagegen sind die darin verzeichneten französischen, einer größeren Sammlung entnommen, welche mir im Jahre 1870 persönlich aus der Unterhaltung mit Kriegsgefangenen zu schöpfen vergönnt war.
Den mannigfachen neuen Stoff, welchen Ich in dem Abschnitte über die schwedischen Waldgeister verwenden konnte, schulde ich dem gütigen und liebreichen Entgegenkommen der Herren D. D. Hildebrand (Vater und Sohn) in Stockholm, Propst E. Rietz in Tygelsjö bei Malmö (Inzwischen verstorbenen), und Baron Djurklou auf Sörby bei Örebro, welche bei meinem ersten Aufenthalt in Schweden im Herbste 1867 mir die im Besitze des Reichsantiquariums, des schonischen Altertumsvereins und ihrer selbst befindlichen handschriftlichen Aufzeichnungen von Volksüberlieferungen mit außerordentlicher Liberalität zugänglich machten und deren Benutzung erleichterten.
Meinem verehrten Freunde Professor H. Weiß, Custos des Kupferstichkabinetts in Berlin, bin ich für den Nachweis mehrerer der auf S. 339 – 340 (erst in BUCH 2) erwähnten Kunstwerke, den Vorständen und Beamten der königlichen und Universitätsbibliothek zu Berlin für freundlichen, unermüdlichen Beistand verpflichtet. Vor allem aber fühle ich mich gedrungen, dem hohen Unterrichtsministerium meinen ehrerbietigsten Dank für die fortgesetzte hochgeneigte Förderung und Unterstützung meiner Bestrebungen auszusprechen.
Eine eingehendere Erörterung über die Grundsätze, das Rüstzeug und die Methode, sowie über die allgemeinen Ergebnisse meiner Arbeit wird den zweiten Band einleiten, der durch treffende Belege die Wahrheit der aufgestellten Sätze zu bestärken Gelegenheit gibt.
Im Übrigen bilden die in diesem Bande vereinigten Untersuchungen ein abgeschlossenes Ganzes für sich.
Mögen sie sich Freunde erwerben und als ein nicht unbrauchbarer Beitrag zur Lösung der großen Aufgaben erfunden werden, welche der Kulturgeschichte heutzutage im Zusammenwirken der Wissenschaften zugefallen sind.
Danzig, den 13. October 1874.
Wilhelm Mannhardt.
Die obere Seitenzahl entspricht dem Original.
Grundanschauung:
Erstes Kapitel.
Die Baumseele.
Zweites Kapitel.
Die Waldgeister und ihre Sippe.
Drittes Kapitel
Die Baumseele als Vegetationsdämon.
* 1) Vgl. auch noch den franz. Aberglauben: das Haar eines verwundeten Menschen, oder Tiers unter die Rinde einer Zitterespe gesteckt, macht die Würmer aus der Wunde herausfallen, oder sterben. Thiers bei Liebrecht, Gervaius S. 238, 227.
Christblock und Weihnachtsbaum. Junge Bäume Weihnachten ins Getreide gesteckt.
Oder mit Getreide beschüttet und ins Feuer gelegt.
Baumzweige, Baumklötze im Weihnachtsfeuer verbrannt haben Zauberwirkung für Menschen, Tiere, Pflanzen. Nächstliegende Deutung dieser Bräuche aus christlicher Symbolik.
Christus = Gerte Aarons, Wurzel Aarons, Weizen auf Marien- Acker.
Auf letzterem Bilde beruhende Sitten und Sagen.
Die Empfängnis durch Ähren auf dem Mantel der Madonna dargestellt.
Christus der himmlische Weizen in weiteren kirchlichen Sitten und Volksgebräuchen.
Der Christblock: die christlichen Deutungen und ihre Verwandtschaft mit dem Maibaum. Ebenso verhält es sich mit dem Weihnachtsbaum. Derselbe ist erst seit einem Jahrhundert allmählich verbreitet (1875) ging aber möglicherweise aus dem Paradiesbaum hervor.
Näheres dazu in Buch 2
Der Schlag mit der Lebensrute: Menschen, Tiere, Pflanzen zu gewissen Zeiten mit einem grünen Zweige (resp. Stock) geschlagen, um gesund, kräftige fruchtbar zu werden,
Auslauf über die Irmensäule. Neben dem Maibaum als Lebensbaum der Gemeinde war die Irmensul vielleicht Lebensbaum des Volkes?
Wald- und Baumgeister als Vegetationsdämonen: Persönlich dargestellte Wald- und Baumgeister als Vegetationsdämonen. Die dem Maibaum innewohnende Seele durch eine daran gehängte Puppe oder einen nebenher gehenden oft in grünes Laub gehüllten Menschen veranschaulicht!
Vegetationsgeister, die Maibrautschaft: Das Maikönigspaar. An Stelle des einen männlichen oder weiblichen Vegetationsdämons, Laubmanns, Pfingstkönigs u. s. w. erscheint oft ein Paar. König und Königin, war die Gleichstellung bereits hier fast vollzogen und warum wurde sie weder missachtet? Ebenso gab es ja auch Maiherr und Maifrau!
Vegetationsgeister: Sonnenzauber. Verbrennung in den Faschings- und Lätaregebräuchen an einer Puppe, dem Fasching, Tode u. s. w. geübt, stellt sinnbildlich das Hindurchgehen der im Winter erstorbenen, zum Wiederaufleben bestimmten Vegetation durch das von den Krankheits- und Mißwachsgeistern reinigende Sonnenfeuer dar. Eine menschliche Gestalt nebst einem Baume (dem Maibaum) auch in andern Frühlings- und Sonnwendfeuern verbrannt, zu deren Zubehör außerdem Scheibenschlagen, Hindurchgang von Menschen unter ....
Vegetationsdämonen: Nerthus. Die Umfahrt. Gewährt der Schiffsumzug des Jahres 1133 eine Analogie? Erläuterung desselben durch asiatische Analogien und historische Verhältnisse
4.0. Schlusswort zu Buch 1. von Seite →.
Wald und Feldkulte, Baumgeist und Korndämon.
Zusammenfassende Darstellung der hauptsächlichsten Resultate. Ein Hauptergebnis, der Nachweis des in verschiedenen Formen und Zügen ausgeprägten Glaubens an die Baumseele, den Baumgeist, findet sich die vollständige Bestätigung durch den in allen Einzelheiten entsprechenden Parallelismus des Glaubens.....
In dem ewigen Kreislauf, der die Atome aller irdischen Dinge umhertreibt und in welchem jeder, auch der festeste Körper, nichts anderes darstellt, als eine zeitweilige Form der unaufhaltsamen Bewegung, einen Strudel im Strome, ist trügendem Augenscheine nach dem Steine ein ruhiges Verharren gegeben.
Von seiner Starrheit hebt sich unterscheidend der verhältnismäßig schnelle und in regelmäßiger Wiederkehr nachweisbare Verlauf in der Veränderung organischer Bildungen ab.
Alle lebenden Wesen vom Menschen bis zur Pflanze haben Geborenwerden, Wachstum und Tod miteinander gemein und diese Gemeinsamkeit des Schicksals mag in einer fernen Kindheitsperiode unsers Geschlechtes so überwältigend auf die noch ungeübte Beobachtung unserer Voreltern eingedrungen sein, dass sie darüber die Unterschiede übersahen, welche jene Schöpfungsstufen von einander trennen * 2.
Die Anerkennung der Gleichartigkeit ging so weit, dass manche Völker die ersten Mensehen aus Bäumen oder Pflanzen gewachsen oder geschaffen annahmen; noch in historischer Zeit verfügt die Sprache und naturwüchsige Dichtung der meisten Nationen über einen mannigfaltigen Vorrat von schönen Vergleichen des animalischen und des vegetabilischen Lebens, welche teils als zerbröckelte Trümmer uralter, auf das naive Bewusstsein der Identität gegründeter Mythen anzusehen sind, teils die ursprünglichen ästhetischen, in Anschauung umgesetzten Empfindungen konservieren oder aus der Tiefe des Menschengeistes neu erzeugen, die auch jenen das Dasein gaben.
Am häufigsten finden wir auf Zustände in der Entwickelung des Menschen die entsprechenden Erscheinungen des vegetabilischen Daseins in bildlicher Redeweise übertragen. Der Mensch blüht, wächst und welkt; in seiner Vergänglichkeit gleicht er dem Grase des Feldes; der Mann in seiner Kraft erinnert an die starke Eiche, das hingebende, anmutige Weib an den umrankenden Epheu, die duftende Blume.
Der Liebende aller Zeiten und Länder weiß die Schönheit der Geliebten nicht treffender zu schildern, als wenn er das Mädchen als seine Rose, Lilie, als Myrte oder Granatblüte feiert. Die reiche Lese verwandter Wendungen, Beiwörter und Kosenamen, welche J. Grimm in seinem feinsinnigen Aufsatze „Frauennamen aus Blumen zusammengebracht hat, ließe sich von allen Feldern der Weltliteratur mit Leichtigkeit ins Unübersehbare vermehren. Andererseits machen Sprache und Dichtung, umgekehrt die Pflanze zum Spiegel animalischen Lebens.
Der junge Pflanzenschoß im Frühlinge wird dem jungen Tiere verglichen. Dem Römer erschien er wie ein Kind, Füllen oder Küchlein (pullus), dem Griechen wie ein Kälbchen (qóazog); die Berechtigung dieser Auflassung werden die nachfolgenden Untersuchungen hoffentlich dartun. Unsere Palmkätzchen gehören einer andern Vorstellungsgruppe an, sie tragen ihren Namen von dem silbergrauen, sammetweichen Fell; aber im skandinavischen Norden war „kalfr“ Kalb vom neuen Pflanzenspross im Gebrauch, z.B. „hvannarkálfr Fornaldars“. I,
472 r. 1 = „üng hvönn“ Engelwurzschößlein, „Angelica tenella“.
Die weibliche und männliche Blüte des Hanfs wird als Hahn und Henne unterschieden, wie das Männchen und Weibchen mancher Singvögel; und nicht unerwähnt bleibe die auf dem Gebiete der Pflanzennamen reichlich und schon seit Alters hervortretende Neigung, die Gestalt der Kräuter einzelnen Gliedmaßen der Tiere zu gleichen (Wolfsfuß, Gansfuß, Storchschnabel, Löwenzahn u. s. w.).
Auch diesmal bietet die Menschengestalt, welche zwar übrigens im weitesten Abstände von der am Boden haftenden Pflanze befindlich, durch ihren aufrechten Wuchs derselben sich wiederum am meisten nähert, die ausgiebigste Veranlassung zu personifizierenden Gleichnissen. Wir legen den Gewächsen im Schmuck der poetischen Darstellung gerne Fuß und Arm, Kopf und Augen, Brust, Busen, Haar und Kleidung u. dergl. bei. Reichliche Beispiele für diesen Sprachgebrauch bei neueren deutschen Dichtem, Shakespeare und den Autoren des klassischen Altertums ließen sich aus der reichhaltigen und lehrreichen Schrift von 6. Hense „Personifikationen in griechischen Dichtungen, Thl. I. Halle 1868" zusammenstellen. Schon diese so zu sagen teilweise und vorübergehende Art von Personifikation setzt Beseelung voraus; der Mensch leiht dem bewusstlosen Gewächse Empfindung und weil wir in demselben, gewisse Eigenschaften wahrzunehmen glauben, die an verwandte Saiten in unserm Innern anklingen, sucht unsere Phantasie in ihm ein Leben wie das unsrige, Geist von unserm Geiste. Diese Vorstellung steigerte sich in früher Vorzeit ohne Zweifel zu dem wirklichen Glauben, dass die Pflanze ein dem Menschen gleichartiges, mit Denken und Gesinnung begabtes Wesen, Mann oder Weib sei. Als später im primitiven Bewusstsein ein Bruch eintrat und eine Art von botanischem Begriff aufzukommen begann, suchte jener Glaube in veränderten Formen sein Dasein zu retten.
Zunächst musste er sich von Tag zu Tage fortschreitend eine Einschränkung auf einzelne Individuen gefallen lassen, an denen das Wunder noch haftete, während die große Mehrzahl der Gewächse der nüchternen Betrachtung und dem noch mehr ernüchternden Gebrauche des wirtschaftlichen Lebens verfiel. Sodann hieß es nun entweder, die Pflanze sei der zeitweilige Sitz, das Kleid, die Hülle einer durch den Tod aus dem leiblichen Dasein entrückten Menschenseele.
Kobersteins treffliche Abhandlung * 3 ist noch immer das Beste, was bisher über diesen Gegenstand veröffentlicht wurde. Nach anderer Auffassung sind gewisse Pflanzen verwandelte Menschen oder Halbgötter, deren Bewusstsein durch Zauber oder Schicksalsspruch in ihnen noch fortlebt. Hieraus erklärt sich in weit größerem Umfange, als man bisher zu wissen scheint, eine Anzahl der vielen Volkssagen, in welchen von einer Metamorphose in Pflanzen die Rede ist * 4.
Endlich eine dritte Anschauungsweise weiß von einem geisterhaften Wesen, einem Dämon, dessen Leben an das Leben der Pflanze gebunden ist. Mit ihr wird er geboren, mit ihr stirbt er. In ihr hat er seinen gewöhnlichen Aufenthalt, sie ist gleichsam sein Körper und doch erscheint er vielfach auch außer ihr in Tier- oder Menschengestalt und bewegt sich in Freiheit neben ihr.
Eine Abart dieser Vorstellung tritt uns entgegen in Form der Annahme, dass der Dämon nicht der einzelnen Pflanze, sondern einer Vielheit derselben, oder der gesamten Vegetation einwohne und darum auch nicht im Herbste mit den einzelnen Gewächsen vergehe, sondern irgendwo überwintere und im neuen Jahre sein Leben in der Natur weiterführe. Einmal aus der Pflanze herausgetreten, wird der Dämon endlich zuweilen im Fortschritte der Entwickelung zum Geber oder Schöpfer ihres Lebens, er ist und webt nun nicht sowohl in der Vegetation, er bringt dieselbe hervor.
Die auf vorstehenden Blättern nach verschiedenen Stufen gesonderten Anschauungen gehen in der Wirklichkeit meistens in einander über. Das Volksgedächtnis bewahrt sie neben einander oder verbindet sie oder ihre Spielarten in mannigfaltigster Weise zu neuen Gebilden. Der Verfasser meint dartun zu können, dass auf der Entwickelung dieser Grundanschauungen ein nicht geringer Teil des Glaubens und Brauches der europäischen Menschheit, und zwar sowohl der nordeuropäischen Stämme, als der Hellenen und Italer beruhte. Das vorliegende Buch ist bestimmt, dem Erweise dieses Satzes zunächst in Bezug auf die nordeuropäischen Baum- und Waldgeister zu dienen.
* 2) Dass der Naturmensch den Unterschied von Geist und Körper noch wenig beachtet, sich mit seinen Nebengeschöpfen auf gleichem Niveau rangiert, nicht nur Menschen, Tieren, Pflanzen, sondern auch Steinen und Hausgeräten Seele und Wiederaufstehen im Jenseits zuschreibt, auf Tiere mit Stolz seine Ahnenreihe zurückleitet u. s. w. setzt. A. Bastian in Steinthals Zeitschr. f. Völkerpsychol. V, 153 gut auseinander.
* 3) Koberstein, A., üb. d. Vorstellung v. d. Fortleben menschlicher Seelen in der Pflanzenwelt. Naumburg 1849; wieder abgedruckt Weimar. Jahrbuch I, 72-100. Vgl. den Nachtrag Reinhold Köhlers ebd. 479-483, Herrig. Archiv f. d. Stud. der n. Spr. XVII, 444. Sitzungsberichte der Wiener Akad. 1856. XX, 94. Slawische Beispiele bei Grohniann, Abergl. a. Böhmen 193, 1361. 93, 648.
* 4) Gute und richtige Bemerkungen über diesen (Gegenstand machte B. Schmidt in .s. hübschen Aufsatz über Calderons Behandlung antiker Mythen im Rhein. Museum X. 1856, p. :341 : „Jener Glaube (an Verwandlungen von Menschen in Pflanzen) wurzelt durchaus in einem Gefühle der alten Völker >> das der neueren Zeit völlig fremd ist, in ihrer religiösen Sympathie mit der Natur. Vermöge dieser, empfanden sie die Pflanze wie den Stein und das Gewässer als individuell begeistet (mit geist), dagegen den Menschen auch in seinem geistigen und sittlichen Dasein als eine Gestalt der Natur brachten also für ihre Betrachtung das Naturleben und das Leben der Menschen in ein Verhältnis innerer Gleichartigkeit und gemütlicher Nähe und sahen darum auch die Schranken zwischen dem einen und dem andern als leicht überschreitbar an.“
Wir wenden uns zunächst der Betrachtung einer Reihe germanischer, lettoslavischer und keltisch- romanischer Anschauungen und Bräuche zu, welche uns darüber belehren, wie und in welcher Weise der Gedanke, dass die Pflanze beseelt sei, in Bezug auf die Bäume weiter und in mannigfachen Formen bis zu so völliger Gleichstellung mit den Menschen hinausgesponnen und entwickelt wurde, dass die einen so zu sagen als vollendete Doppelgänger der andern auftreten.
Schon im anthropogonischen Mythus nehmen wir eine Art solcher Gleichsetzung wahr; eine andere äußert sich in der Behandlung des Baumes als persönliches Wesen.
Die Identifizierung erstreckt sich zuweilen sogar auf eine imaginäre Verschmelzung der Körperlichkeit von Mensch (oder Tier) und Pflanze, und führt zu der Annahme, dass der Baum der Körper einer durch den Tod dem Menschenleibe entrückten Seele, der Wohnsitz mehrerer Elfen oder eines Schutzgeistes sei, der wiederum kaum von einem Alter Ego des Menschen zu unterscheiden sein möchte.
Zuweilen führt die Baumseele oder der Baumgenius auch schon ein Leben außer dem Baumleibe in Sturm und Unwetter, in Wald und Feld.
Da wir die in diesen Überlieferungen sehr scharf und deutlich zu Tage tretenden Verhältnisse später einmal vorzugsweise zum Verständnis von Korngeistern vergleichend zu nutzen gedenken, gestatten wir uns hier bereits gelegentlich von selbst aufstoßende Übereinstimmungen der Baumsage mit dem an das Getreide geknüpften Volksglauben vorzumerken.
Und auch das möge den Leser nicht stören, wenn er (da sich ein anderer Platz dazu nicht eignete) in die Darlegung des Baumglaubens nordeuropäischer Stämme nicht ganz selten auch einzelne Analogien aus fernen Ländern und Weltteilen eingeflochten findet.
Es geschähe gegen unseren Willen, wenn durch Schuld dieser Einschaltungen das Bild des nordischen Baumcultus sich in einen verschwimmenden Allerweltsnebel auflösen würde. Wir stimmen vollkommen den goldenen Worten Th. Mommsens zu (Römische Chronologie): „Das über die Kluft der Nationen hinweggerichtete Auge erfaßt nur allzuleicht der Schwindel und man vergißt den wahren und hauptsächlichsten Grundsatz aller historischen Kritik, dass die einzelne historische Erscheinung zunächst im Kreise der Nation, der sie angehört, geprüft und erklärt werden soll und erst das Resultat dieser Forschung als Grundlage der internationalen dienen darf."
Insofern es sich aber bei unseren Zusammenstellungen zunächst noch nicht um die Darlegung irgend welcher historischen Verwandtschaft, sondern um die Beschreibung von Typen handelt, so bedienen wir uns desselben Vorteils, den etwa der Botaniker genießt, wenn er die Koniferen (Baumart) Europas und Amerikas miteinander vergleichen kann. Die Beobachtung gewisser gleicher Eigenschaften bei beiden macht klar, dass dieselben zum Wesen der Gattung gehören. Gleichartigkeit der Vorstellungen über den nämlichen Gegenstand in zwei verschiedenen Zonen lässt zumeist auf eine gewisse psychologische Notwendigkeit derselben Schließen und die eine erläutert die andere. Nur als ein solches die Natur und den Sinn der nordeuropäischen Traditionen durch Analogie erläuterndes Material wünscht der Verfasser, Einschiebsel aus der Fremde, betrachtet zu sehen.
Die germanische Welt hat die Gleichung Mensch und Pflanze zur mannigfachsten Entfaltung gebracht. Auch abgesehen von jeder mythischen Verkörperung war dieselbe in unserer Poesie von Alters her lebendig. Wie neuerdings Schiller den von seinen Anhängern verlassenen Wallenstein einen entlaubten Stamm nennt, hatte z. B. schon ein altnorwegischer Gnomendichter, dessen Sinnspruch man später dem Odhinn in den Mund legte, gesagt: Der Baum, der einsam im Dorfe steht, stirbt ab und nicht Laub noch Rinde halten ihn fürder warm; so ist der Mann, den niemand liebt, was soll er länger leben? * 5.
Jahrhunderte bevor dieses Stückchen Volksweisheit sein poetisches Gewand erhielt, mag der bekannte anthropogonische Mythus von Askr und Embla entstanden sein. Derselbe ist jedoch — ich folgere dies aus psychologischen Gründen — unmöglich in der uns vorliegenden Form zuerst entsprungen, sondern wir besitzen ihn in einer Gestalt, welche erst das Ergebnis mehrfacher Umwandlungen im Munde der Dichter gewesen zu sein scheint. Wie die Urform lautete, werden wir verstehen, wenn wir die noch einfachere Gestalt entsprechender Sagen bei anderen Völkern in Vergleich ziehen.
Bekanntlich lässt eine der eranischen Schöpfungssagen, aus denen die Cosmogonie des Bundehesch zusammengesetzt ist, das erste Menschenpaar Maschia und Maschiâna in Gestalt einer Reivaspflanze (rheum ribes) aus der Erde emporwachsen. Sie machten ursprünglich ein ungetrenntes Ganze aus und trieben Blätter; in der Mitte bildeten sie einen Stamm, oben aber umarmten sie sich dergestalt, dass die Hände (Zweige, Äste) des einen sich um die Ohren des andern schlangen. Erst später wurden sie von einander getrennt. In diesen Körper goss Ahuramazda die zuvor bereitete Seele und sie wuchsen zur Menschengestalt, indem jener Glanz geistiger Weise zum Durchbruch kam, der die Seele kundgibt * 6. Diese weder dem Avesta, noch den alten von Firdosi benutzten Quellen bekannte Anthropogonie * 7 macht gleichwohl auf hohes Altertum Anspruch, insofern sie noch ziemlich unverändert jene früheste Anschauungsstufe vor Augen stellt, wonach Mensch und Pflanze gleiches Wesens waren, und unmittelbar in einander übergingen. Eine ganz ähnliche Vorstellung begegnet bei den den Eraniern allem Anscheine nach nahverwandten Phrygern im Stromgebiete des Saugarios. Ihnen galten die Korybanten als die ersten Menschen; die Sonne beschien sie zuerst, als sie baumartig emporsproßten * 8. Wir wissen nicht, wie sich der Rationalismus einer späteren Zeit den in der Mythe ausgesprochenen Übergang des Baumes in die Menschengestalt in diesem Falle zurechtlegte.
Nach den Sioux, die gleich den Karaiben und Antillenindianern ebenfalls die Stammeltern im Anfange als zwei Bäume entstehen ließen, standen diese viele Menschenalter hindurch mit den Füßen im Boden haftend, bis eine große Schlange sie an den Wurzeln benagte, worauf sie als Menschen weggehen konnten * 9. Diesen Beispielen entsprechend wird auch der germanische Mythus die Urahnen anfänglich nicht aus toten Hölzern, sondern aus lebendigen aus der Erde aufsprießenden Bäumen (einem mit einem männlichen Namen und einem mit weiblicher Benennung) haben hervorgehen lassen; später hat er dann zur Motivierung der freien Beweglichkeit des Menschen eine Umänderung dahin erfahren, dass drei kräftige und liebreiche Götter am Strande zwei über Meer von den Wellen ans Land getriebene Bäume (Askr und Elmja (?), Esche und Ulme (?) fanden und den noch Schicksalslosen Geist, Sprache, Blut und blühende Farbe einflößten. Die belebten Bäume Askr und Elmja (? fem. zu almr.
Ulmbaum) waren die Stammeltern aller Menschen. Uns ist diese Erzählung nur in einer zweiten Umformung bewahrt, in welcher der schwer über die Zunge gleitende Name der Stammmutter durch Metathesis Mundrecht gemacht und so in den geläufigeren Embla (aus Emla = amlja die Arbeitssame) verändert ist * 10. Auf den von uns für die Grundform dieser Schöpfungssage vorausgesetzten primitiven Standpunkt d. h. bis nahezu an die Schwelle wirklichen Glaubens an die Identität von Mensch und Pflanze würden uns gewisse der Skaldenpoesie geläufige Metaphern zurückweisen, falls nicht deren unmittelbarer Zusammenhang, mit der Naturpoesie sehr zweifelhaft wäre * 11.
Beruht der anthropogonische Mythos der Nordgermanen auf der Anschauung „der Mensch ist wie ein Baum“, so haftet der umgekehrte Vergleich „der Baum ist wie ein Mensch“ nicht minder tief in dem Volksglauben sowohl der skandinavischen als der deutschen Stämme, denen sich slawische und finnische Nachbarn anschließen. Schon auf den untersten Stufen zeigt sich diese Vorstellung in verschiedenen Formen, fast überall jedoch—wo sie auftritt — hat sie den Standpunkt der reinen Identität bereits verlassen und als Beimischung die Annahme eines dem Menschen zwar ähnlichen, aber geheimnisvollen und übernatürlichen Wesens erhalten. Am nächsten kommt es jenem ursprünglichen Standpunkt, dass der Mensch den Baum selbst ganz als eine ihm gleich stehende oder übergeordnete, mit individuell bestimmtem Charakter, mit menschlichem Ethos begabte Persönlichkeit behandelt und anredet. Man kündigt in Westfalen den Bäumen den Tod des Hausherrn an, indem man sie schüttelt, und spricht: „Der Wirt ist tot" * 12. Die mährische Bäuerin streichelt den Obstbaum mit den von Bereitung des Weihnachtsteiges klebrigen Händen und sagt: „Bäumchen bringe viele Früchte" * 13. Man springt und tanzt in der Silvesternacht um die Obstbäume und ruft:
Freue ju Böme , Nüjâr is kômen!
Dit Jâr ne Kare vull, Up et Jâr en Wagen vull! * 14.
Zwischen Eslöf und Sallerup im Haragers Härad in Schweden befand sich noch 1624 ein Hain, den eine Riesenjungfrau gesät haben sollte; darin gab es eine Eiche, die Gyldeeiche, worin in alten Tagen viel Spukerei gespürt war.
Wer irgend vorbeiging, grüßte den Baum mit Ehrerbietung „Guten Morgen Gylde!" „Guten Abend Gylde!" * 15. Allem Anscheine nach auf einstigem Gebrauche ruht, was der Tiroler vom Holunder sagt:
„Der Holer ist ein so edler Baum, dass man vor ihm den Hut abnehmen soll“ * 16.
Die Holzarbeiter in der Oberpfalz reden von den Waldbäumen wie von Personen; zieht der Wind durch die Baumkrone, so „neigt sie sich und beginnt zu sprechen"; die Bäume „verstehen sich". Der Baum „singt", wenn die Luft durch seinen Wipfel streicht; nur ungern „lässt er sein Leben"; unter dem Axtschlag „seufzt", zu Boden fallend „stöhnt" er.
Ein Förster stritt mit dem Herrn des Waldes, welche von den zwei schönen Buchen vor ihnen gefällt werden solle. Da beugten sich beide Bäume seufzend hin und wieder. „Wer hat geseufzt?" rief der Herr. Es war aber niemand da, der Antwort gab. Furcht trieb sie von dannen und die herrlichen Bäume blieben verschont. Noch jetzt bitten die Holzfäller den schönen gesunden Baum um Verzeihung, ehe sie ihm „das Leben abtun" * 17.
Trogill Arnkiel, ein geborener Nordschleswiger und Pastor zu Apenrade erzählt 1703, dass in seiner Jugendzeit (wie er öfters gehört und gesehen) niemand es wagte, frischweg einen Elhornbaum (Holunder) zu unterhauen, sondern wo sie denselben Unterhauen (d. i. die Äste stutzen) mussten, so pflegten sie vorher mit gebeugten Knien, entblößtem Haupte und gefalteten Händen dies Gebet zu tun:
„Frau Elhorn gib mir was von deinem Holtze,
denn will ich dir von meinem auch was geben,
wann es wächst im Walde." * 4.
Die Wahrheit dieser Erzählung erhärtet eine Aufzeichnung aus Dänemark v. J. 1722: Paganismo ortum debet superstitio, sambucum non esse exscindendum, nisiprius rogata permissione hisverbis: mater sambuci, mater sambaci permitte mihi tuam caedere silvam * 18.
Der dänische Name des angerufenen Wesens lautet Hyldemoer, es wird auch sonst erwähnt, dass man dreimal hinter einander eine der Arnkielschen fast wörtlich entsprechende Formel aussprechen müsse, ehe man etwas vom Holunderbaum breche * 19. In Schonen spricht man ebenso von der Hyllefroa (Holunderfrau), in Ljunitshärad eben daselbst von der Askafroa (Eschenfrau). Am Aschermittwochsmorgen [askons dags morgen , diese Zeit ist nur wegen des zufälligen Gleichklangs mit ask Esche gewählt] opferten die Alten der Askafroa, indem sie vor Sonnenaufgang (denn dann sind die Geister rege) Wasser über die Wurzeln des Baumes ausgossen mit den Worten:
„Nu offrar jag, sá gör du oss ingen skada“. Nun opfere ich, tue uns keinen Schaden! Wer einen Holunderbaum beschädigte oder verunreinigte, bekam eine Krankheit, „Hylleskâl“ genannt, dagegen bötete man, indem man Milch über die Wurzeln des Baumes ausgoß * 20, d.h. durch ehrerbietige Speisung des im Baume verkörperten Namens den begangenen Fehler wieder gut machte. Den Dänen ist auch eine Ellefru (Ellerfrau) bekannt, die im Erlenbaum (eile) lebt * 21.
In der Smâländischen Landschaft „Värend“ heißt das der Holunderfrau und Eschenfrau entsprechende Wesen, in gewissen Laubbäumen, „Löfviska“ * 22.
In der Mehrzahl dieser Beispiele erscheint der mit religiöser Scheu geehrte Dämon auch als der mit Denkkraft und Sinnen ausgerüstete Baum selbst; nicht anders verschieden steht der Baumgeist dem Holze gegenüber, als der menschliche Geist dem menschlichen Körper. Auch da noch bilden Baum und Baumgeist eine geschlossene Einheit, wo von dem Holunderbaum auf einem dänischen Pachthofe erzählt wird, der oft in der Dämmerung spatzieren gehe und durch das Fenster gucke, wenn die Kinder allein im Zimmer sind. * Diese Erzählung ist der einfache Widerschein der tiefen Furcht, welchen abergläubig erzogene Kinder vor jenem Baume als einem gespenstigen Wesen hegten.
Der Glaube, dass der von seinem Geiste erfüllte Baum schaden könne (s. o. die Askafroa) kehrt auch sonst wieder. Zwischen 1563 – 1570 bemühte sich der Revisor von Niederlitauen, Jacub Laszkowski, die noch stark in heidnischen Anschauungen befangenen Zemaiten von ihrem Aberglauben abzubringen.
„Jussi autem a Lascovio arbores exscindere, invitissimi id, nee prius quam ipsemet inchoaret fecerunt. Deos enim nemora incolere persuasum habent; Tum unus inter alios percontari, num etiam decorticare arbores liceret. Annuente praefecto aliquot magno nisu haec repetens decorticavit: Vos me meis anseribus, gallisque gallinaceis spoliastis; proinde et.e'go nudas vos faciam. Credebat enim demens deos rei suae familiari perniciosos intra arbores et cortices latere“ * 24.
Ein merkwürdiger französischer Brauch aus der Nähe der Pyrenäen schließt uns das Verständnis dieses litauischen Glaubens auf.
„Lorsque les habitants du canton de Labruguiere (Montagne noire) ont un animal malade de quelque plaie envahie par les vers, ils sc rendent dans la campagne aupres d'un pied de yeble, Sambucus ebulus, et tordant une poign^e de cette plante dans leurs mains, ils lui fönt un grand salut et lui adressent les paroles suivantes en patois“: „Adiù sies, mousu l´aoâssier, sé né trases pas lous bers de moun berbenier, vous coupi la cambo, mai lou pey." Ce qui veut dire: „Bonjour monsieur le yéble, si vous ne sortez pas les vers de l´endroit où ils sont, je vous coupe la jambe et le pied." Cette menace effectée, la guerison est assuréc ou peu s´en faut * 25.
So weit „de Nore's“ Mitteilung.
Der Askafroa, den niederlitauischen Baumdämonen, dem „Monsieur le yèble“ wurde die Macht zugeschrieben, Menschen und Tieren zu schaden. Dies geschah—wie der französische Bericht in Verbindung mit dem litauischen lehrt — dem Volksglauben nach vermittelst der Insekten von mancherlei Gestalt und Farbe, welche in und unter Rinde, Stamm und Wurzeln der Bäume und Kräuter ihren Aufenthalt haben.
Man warf dieses Gewürm nämlich mit den bösen Geistern in Wurmgestalt zusammen, welche nach einer uralten schon bei den Indern in dem Atharvaveda und in den Grihyasutras ganz ähnlich wie unter den Germanen entwickelten Vorstellung sich als Schmetterlinge, Raupen, Ringelwürmer, Kröten u. s. w. in den menschlichen oder tierischen Körper einschleichen und darin als Parasiten verweilend die verschiedensten Krankheiten (z. B. Schwindsucht, Kopfweh, Magenkrampf, Zahnweh, besonders nagende, bohrende und stechende Schmerzen u. s. w.) hervorbringen sollten * 26.
Der Glaube an dieses Gewürm beruht auf einem ganz einfachen psychologischen Vorgange und erzeugt sich häufig auch jetzt noch in den Fieberphantasien sonst ganz gebildeter Kranker auf Momente wieder. Aus dem wilden Walde, meinte man, kämen diese Geister, welche häufig Elbe genannt werden * 27, zu Menschen und Vieh * 28.
Der Baum, dessen Rinde sie beherberge, entsende sie entweder aus Lust am Schaden, oder um sie loszuwerden, weil sie in seinem eigenen Leibe, wie in den Eingeweiden des Menschen verzehrend wüteten.
Wie der Baum oder Baumgeist das krankheitserzeugende geisterhafte Ungeziefer (Eiben u. s. w.) * 29 schickt, kann er es wieder zurücknehmen. Deshalb umwandelt man z. B. bei Zahnschmerzen einen Birnbaum rechts und umfasst ihn mit den Worten:
Birnbaum, ich klage dir,
Drei Würmer, die stechen mir,
Der eine ist grau,
Der andere ist Blau,
Der dritte ist rot,
Ich wollte wünschen, sie wären alle drei todt.
Diese Zeremonie nennt man den Baum „anklagen“ * 30. Auch andere Pflanzen, als Bäume, stehen im Verdacht, durch ihren Willen die Würmer im tierischen Organismus festzuhalten. So schreibt z. B. der böhmische Aberglaube vor, auf dem Felde eine Distel zu suchen, einen Stein und eine Ackerkrume darauf zu legen und zu sagen:
Distelchen, Distelchen
Ich lass´ nicht eher dein Köpfchen los,
So lang da nicht frei lässt die Würmer der Kuh.
(Des Pferdes und dergleichen) ^31
Die einmal vorhandene Vorstellung von dem Verweilen der Krankheitsgeister im Baume haftete so sehr, dass man sie auch da beibehielt, wo diese Dämonen nicht in Wurmgestalt, sondern in anderer Tier- oder Menschengestalt gedacht wurden. Auch da ist es häufig der Baum, der durch ihre Entsendung Epidemien hervorruft, durch ihre Zurückberufung die Gesundheit wiederherstellt. Lehrreich in dieser Beziehung ist ein Lied, welches bei einer Seuche die russischen Weiber singen, indem sie mit einem Pflug um das Dorf die die bösen Geister abwehrende Furche ziehen :
Vom Ozean, von der tiefen See
Sind zwölf Mädchen gekommen;
Sie nahmen ihren Weg,
— kein kleiner war's —,
Zu den steilen Höh'n, zu den Bergen empor,
Zu den drei alten Holunderbäumen.
Diese zwölf Mädchen, die in vielen gegen sie gerichteten Beschwörungsformeln „die bösen Schütteier" oder „Töchter des Herodes" oder einzeln mit den Namen besonderer Krankheiten genannt werden, mithin Personifikationen der Krankheitsursachen sind * 32, werden nun redend eingeführt:
Macht fertig die weißen Eichentische,
Schärfet die Messer von Stahl,
Macht heiß die siedenden Kessel,
Spaltet, durchbohrt bis zum Tode,
Jedes Leben unter dem Himmel.
Die Holunder geben ihre Zustimmung zu dem Wunsche der zwölf
Schwestern; alle lebenden Wesen sind dem Tode geweiht.
In diesen siedenden Kesseln,
Brennt mit unauslöschlichem Feuer,
Jedes Leben unter dem Himmel.
Doch die drei Holunder erfasst mitleidige Rührung:
Bund um die siedenden Kessel,
Stehen die alten Holunder.
Die alten Holunder singen,
Sie singen von Leben, sie singen von Tod,
Sie singen vom ganzen Menschengeschlecht.
Die alten Holunder verleihen,
Der ganzen Welt langes Leben;
Doch dem andern, dem Übeln Tode,
Bestimmen die alten Holunder,
Eine weite und große Reise.
Die alten Holunder versprechen,
Ein beständiges Leben
Dem ganzen Geschlechte der Menschen * 33.
Rief der Baumgeist die Krankheit verursachenden Eiben nicht freiwillig zurück, so bediente man sich zauberischer Worte und symbolischer Handlungen, der unter uns sogenannten sympathetischen Kuren, welche darauf hinausgingen, die schädlichen Geister unter einen Stein, in die Wüstenei zu verweisen, einem Vogel zum Mitnehmen zu empfehlen oder sonst zu verbanne, vorzüglich aber sie auf einen Baum oder ein Kraut zu übertragen, da sie ja zu solchen gehören, von solchen ausgingen * 34; oder wo diese letztere Vorstellung nicht mehr obwaltete, bewog die in der Menschheit ewig rege Selbstsucht die Schmerzen des eigenen Leibes auf einen fremden (den des Pflanzendämons) abzuleiten. Eine von Räucherung geweihter Kräuter und Rosenblätter begleitete Beschwörung in Böhmen lautet:
Ich verwünsche euch Gliederweh,
Brandweh, Beinweh
In den tiefen Wald,
In die hohe Eiche,