Pädagogische Forschungsstelle
waldorfbuch
Pädagogische Forschungsstelle
beim Bund der Freien Waldorfschulen
Wagenburgstraße 6 · 70184 Stuttgart
© edition waldorf
Stuttgart 2019
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www.forschung-waldorf.de • www.waldorfbuch.de
ISBN 978-3-939374-57-2
Satz und Gestaltung:
Lorenzo Ravagli, www.anthroweb.info
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Umschlagmotiv:
Wir danken Katharina Stemann
und der Pädagogischen Sektion am Goetheanum
für die freundliche Genehmigung zur Benutzung des Umschlagsmotivs.
Um ein Buch zur Rudolf Steiners Allgemeiner Menschenkunde mit 30 verschiedenen Autoren herauszugeben, ist viel Unterstützung erforderlich. Eine solche Unterstützung haben wir immer wieder erhalten, wofür wir uns sehr herzlich bedanken möchten.
Vom Anfang des Projekts bis zum Ende war Christian Boettger mit seiner zuverlässigen und engagierten Art der Betreuung eine unerlässliche Hilfe. Ebenso möchten wir unserem Lektor, Christian Gottfried Lesch, für seine sehr gewissenhafte, höchst professionelle und ausgesprochen geduldige Mitarbeit herzlich danken. Unsere studentische Hilfskraft Lena Regele war auch von Anfang an eine sehr zuverlässige und unersetzliche Hilfe bei den zahllosen Arbeitsgängen, die erforderlich waren. Wir danken auch Lorenzo Ravagli ganz herzlich für die Arbeit am Layout.
Selbstverständlich bedanken wir uns auch bei allen Autoren, die sowohl im Rahmen dieses Buches bereit waren, substanzielle schriftliche Beiträge zu dieser Thematik zu erarbeiten, als auch zu den drei vorangegangenen Kolloquien kamen und am konstruktiven Austausch und Gespräch in vielfältiger Weise mitgewirkt haben.
Last but not least danken wir folgenden Einrichtungen für die großzügige finanzielle Unterstützung, die diese drei Kolloquien und das Buchprojekt ermöglicht haben: der Evidenz-Stiftung, der Förderstiftung Anthroposophie, der Hausserstiftung, der Mahle-Stiftung, der Pädagogischen Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen, dem Rudolf Steiner Fond für wissenschaftliche Forschung und der Waldorf-Stiftung.
Peter Lutzker, Tomáš Zdražil
Im Jahre 1919, unmittelbar vor der Eröffnung der ersten Waldorfschule, schuf Rudolf Steiner in der Vortragsreihe Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik1 ein Instrument, das in den Pädagogen Menschenverständnis erwecken soll. Die Vorträge wurden im Rahmen des ersten Lehrerkurses gehalten, der auch einen methodisch-didaktischen Teil und seminaristische Übungen einschloss.2 Bereits während des Kurses wurden die transkribierten Texte der Vorträge an die Teilnehmer verteilt. Sie sollten sie studieren und meditieren. Weitere ergänzende Kurse folgten in den nächsten Jahren.3
Indem die Waldorfpädagogik im Jahre 2019 das zweite Jahrhundert ihrer Entwicklung eröffnet, laufen allerorts Bemühungen, ihre pädagogischen Grundlagen neu zu bearbeiten und vor dem Hintergrund der lebendigen pädagogischen Erfahrung zu aktualisieren. So beschloss man auch in der Arbeitsgruppe, die den Stuttgarter Kongress »Am Anfang steht der Mensch« vorbereitet hat, mit einem längeren Vorlauf auch inhaltlich an den menschenkundlichen Grundlagen der Waldorfpädagogik zu arbeiten. Es wurde 2017 – 2018 dreimal ein großer Kreis von Menschen, die sich bereits länger aus sehr unterschiedlichen Perspektiven mit der Allgemeinen Menschenkunde beschäftigt hatten, zu einem Austausch über dieses Thema eingeladen. Es handelte sich um PädagogInnen, KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen. Aus den Beiträgen bei diesen Zusammenkünften und den sich anschließenden Gesprächen ist der vorliegende Band entstanden.
Diesem liegen folgende Fragestellungen zugrunde: Wie fassen wir heute die Allgemeine Menschenkunde auf? Wie finden wir einen fruchtbaren Zugang zu ihr? Daraus entstand das Konzept, das dem Buch zugrunde liegt: Die Menschenkunde aus verschiedenen und einander ergänzenden Perspektiven zu betrachten. Es werden von den rund 30 Autoren verschiedene Themen aus den 14 Vorträgen Steiners aus wissenschaftlichen, künstlerischen oder pädagogischen Sichtweisen beleuchtet und vertieft. Eine enorme Bandbreite an Aspekten zeigt sich. Die individuelle Art der Herangehensweisen gepaart mit einer Fülle von Themen und Perspektiven führt zu einem reichen und teilweise sehr heterogenen und umfangreichen Band, den wahrscheinlich nur die wenigsten von Anfang bis Ende lesen werden. Den Herausgebern war es wichtig, trotz der großen individuellen Verschiedenheit der Beiträge auf keinen zu verzichten. Mit diesem pluralistischen Ansatz versuchen wir vielfältige Möglichkeiten zu eröffnen, mit den Herausforderungen und Ansprüchen, die die Menschenkunde stellt, fruchtbar umzugehen.
In den drei Kolloquien wurde immer wieder die Einmaligkeit der Allgemeinen Menschenkunde deutlich. Die Tatsache, dass seit hundert Jahren diese Vorträge immer noch als Grundlage der Waldorfpädagogik verstanden werden und bis heute eine tragende Säule der Waldorflehrerausbildung sind, ist an sich schon bemerkenswert. Dass die zentrale Stellung der Allgemeinen Menschenkunde nicht nur in Deutschland, sondern weltweit unter Waldorfpädagogen anerkannt ist4, kann als ein weiterer Beleg für die Sonderstellung dieses Werkes gesehen werden. Viele verschiedene zeit-, ort- und kulturbedingte Ausprägungen, die der Waldorfpädagogik heute ein so reichhaltiges Erscheinungsbild geben, haben sich aus den Gedanken der Menschenkunde ergeben, in der universelle Dimensionen des Menschseins angesprochen werden. Das diesen Vorträgen zugrunde liegende dreigliedrige Verständnis des Menschen als gleichermaßen geistiges, seelisches und leibliches Wesen bietet möglicherweise einen Schlüssel zu diesem Phänomen. Hieraus entstand auch eine umfassende Sichtweise auf die Entwicklung des Kindes, die jeweils unter diesen drei Gesichtspunkten angeschaut wird.
Es wird in diesem Band eine Vielfalt einzelner Themen und Aspekte der Menschenkunde herausgehoben. Jedoch hat es sich auch herausgestellt, dass der Blick auf das Ganze zu den immer wiederkehrenden Motiven der Allgemeinen Menschenkunde gehört. Diesem Anspruch gerecht zu werden bedeutet eine grundsätzliche Herausforderung: Einerseits die erforderliche Bearbeitung und Vertiefung einzelner an sich höchst komplexer Themenbereiche und andererseits die notwendige Beweglichkeit, diese Aspekte in der Gesamtheit des Menschlichen immer wieder zu integrieren. Die Erkenntnis, dass eine solche dynamische und schöpferische Vorgehensweise in vieler Hinsicht einem künstlerischen Prozess gleicht, wird auch in mehreren Beiträgen thematisiert.
Zu den weiteren Leitmotiven, die Steiners gesamte Menschenkunde durchziehen, gehört die Betonung ihres unmittelbaren Praxisbezugs. Während sie eine allgemeine anthropologische Grundlage der Pädagogik darstellt, soll sie auch in der konkreten pädagogischen Praxis unmittelbar wirksam werden. Dieses Motiv, das an verschiedenen Stellen in der Allgemeinen Menschenkunde auftaucht, hat Steiner dann in den im folgenden Jahr gehaltenen Vorträgen für das Stuttgarter Kollegium so zusammengefasst: »Er [der Erzieher] muss Menschenkunde aufnehmen, Menschenkunde verstehen durch Meditieren, an Menschenkunde sich erinnern: da wird das Erinnern lebendiges Leben.«5
Wie ist das zu verstehen?
Es wird damit ein Prozess und ein Weg aufgezeigt: Zuerst ein Studium, das darauf abzielt, ein Verständnis der Inhalte zu erwerben. Obwohl eine solche Arbeit sicherlich eine gedankliche Herausforderung darstellt, wäre es zu kurz gegriffen das Studieren der Menschenkunde als eine reine oder auch vornehmliche intellektuelle Arbeit zu verstehen. Immer wieder in diesen Vorträgen macht Steiner deutlich, dass das Studium der Menschenkunde über die gedankliche Ebene hinauszielt, um auch in der Seele und im Willen der Zuhörer deren moralischen und geistigen Kern anzusprechen. Mit dieser Aussage leitet er auch den ersten Vortrag ein: »Meine lieben Freunde, wir kommen mit unserer Aufgabe nur zurecht, wenn wir sie nicht bloß betrachten als eine intellektuell-gemütliche, sondern als eine im höchsten Sinne moralisch-geistige […].«6
Aus einem so verstandenen Studium heraus sollte die Arbeit anschließend vertieft werden. Entsprechend wird als zweiter Schritt ein individuelles meditatives Vorgehen angesprochen. Die Menschenkunde bietet zahllose Möglichkeiten, mit Sätzen, Gedanken und Bildern meditativ, kontemplativ umzugehen. Auch viele Meditationen, die Steiner in seinen anderen Vorträgen und Büchern angeregt hat, einschließlich der Lehrermeditationen, können als weitere Möglichkeiten der Vertiefung der Menschenkunde betrachtet werden. Ein solcher Prozess des Vertiefens gleicht einem Üben, das nicht gezielt auf ein festes und vorher definiertes Ziel gerichtet ist, sondern vielmehr der Praxis eines »übenden Verweilens an den Grenzen des Erkennens«7, das zu inneren Verwandlungen und dadurch zu neuen Erkenntnissen und Handlungsweisen führen kann.
In diesem Kontext wäre »Menschenkunde erinnern« gleichzusetzen mit pädagogischen Intuitionen und hiermit mit jeglicher pädagogischen Handlung, die aus der Vertiefung, Internalisierung und »Verleiblichung« der Menschenkunde eine pädagogisch erforderliche Handlung ermöglicht. Der erarbeitete Zugang zu der geistigen Sphäre, aus der pädagogische Intuitionen kommen, ist hierzu entscheidend: »Nach dem meditierenden Verstehen kommt das schaffende, das schöpferische Sich-Erinnern, das zugleich ein Aufnehmen aus der geistigen Welt ist.«8
Auch damals, in der unmittelbaren Begegnung mit Rudolf Steiner, wurde die Menschenkunde von dem ersten Lehrerkollegium nicht als eine theoretische anthropologische Lehre aufgefasst, sondern als unmittelbar pädagogisch wirksam erlebt. Erich Schwebsch, der seit 1921 zum Kollegium der Waldorfschule gehörte und später eine treibende Kraft bei der Verbreitung der Waldorfpädagogik wurde, schrieb im Rückblick:
»Alles ging bei Rudolf Steiner auf das Ergreifen der individuellen Gegenwart des Geistes in jedem Menschen aus. Denn im Kleinsten wirkt sich das Ganze des Menschen aus. Und so ward die Erziehung, die Rudolf Steiner für den Lehrer gegeben hat, neben vielem anderen der Weg zum Erkennen dieser Gegenwart des Geistes im einzelnen Falle, den das Leben vor uns als Aufgabe stellt. [...] Was er gab, war nicht Lehre, sondern ein Augeneröffnen.«9
Zur ersten Publikation der Allgemeinen Menschenkunde im Jahre 1932 schrieb Schwebsch eine Rezension, die uns heute sowohl einen starken Eindruck von der Arbeit Steiners mit dem Kollegium an der Menschenkunde vermittelt als auch Hinweise dafür gibt, wie mit der Allgemeinen Menschenkunde fruchtbar und wirksam gearbeitet werden kann:
»Da gibt es kein ›System‹, das sich lehren ließe, ohne dass der Lernende sich selber in Bewegung bringt. Denn Rudolf Steiner breitet kein kunstvoll abgeschlossenes Bild: ›Wesen des Menschen‹ aus, sondern er taucht in das Leben selber ein, das er in seinen Metamorphosen durch die Altersstufen verfolgen lehrt. Und wer das Wesen der durch Metamorphosen gehenden Menschennatur verstehen lernt, der erlebt mit der Zeit an jedem einzelnen Kinde das künstlerische Bild der individuellen Totalität gerade des einzelnen Kindes. Rudolf Steiner entschleiert eine umfassende Intuition vom Gesamtwesen des Menschen. Sie wirkt durch sich selbst so, dass sie zum individuellen Leben jedes Aufnehmenden strebt. Vom Ich ergriffen, strebt sie zum Erwecken des Ich. Und dann beginnt sie leise von innen her neue zarte Seelenorgane für Menschenbeobachtung zu öffnen; eine neue Art der aktiven Aufmerksamkeit beginnt. Es drängt dann nicht ein System sich in das Bild vom Kinde hinein, sondern die umfassende Intuition beginnt, bewusstes individuelles Bild des besonderen werdenden Menschen zu werden.«10
Die Gründunglehrer und -lehrerinnen der ersten Schule, die Steiner auch persönlich auswählte, waren in vielen Fällen vorher gar keine Lehrer bzw. Lehrerinnen gewesen. Sie waren aber alle sozial engagierte Menschen, die in Anbetracht der Nöte ihrer Zeit selber schon praktische Initiativen im Leben ergriffen hatten. Für Rudolf Steiner gehörte eine solche Initiativkraft zum Wesentlichen des Lehrerberufs und in seiner Ansprache am Vorabend des Kurses unterstrich er nochmals die Bedeutung des Blicks in die Welt für den zukünftigen Lehrer:
»Wir dürfen nicht bloß Pädagogen sein, sondern wir werden Kulturmenschen im höchsten Grade, im höchsten Sinne des Wortes sein müssen. Wir müssen lebendiges Interesse haben für alles, was heute in der Zeit vor sich geht, sonst sind wir für diese Schule schlechte Lehrer. Wir dürfen uns nicht nur einsetzen für unsere besonderen Aufgaben. Wir werden nur dann gute Lehrer sein, wenn wir lebendiges Interesse haben für alles, was in der Welt vorgeht. Durch das Interesse für die Welt müssen wir erst den Enthusiasmus gewinnen, den wir gebrauchen für die Schule und für unsere Arbeitsaufgaben.«11
Aus einem solchen Enthusiasmus heraus haben die ersten Pioniere der Waldorfpädagogik und dann weitere Generationen in der ganzen Welt gearbeitet. Dadurch ist auch so viel in den letzten hundert Jahren entstanden. Was diese Menschen, verteilt über viele Länder der Welt, während dieses ganzen Zeitraums verband und verbindet, war und ist der Wille und die Initiativkraft, Kinder und junge Menschen so zu unterstützen, dass sie ihre mitgebrachten Lebensimpulse und Entwicklungschancen so weit wie möglich realisieren können. Nach einhundert Jahren stellt sich die Frage nach einem solchen Enthusiasmus und einer solchen Initiativkraft erneut.
Diesem Band liegt die Überzeugung zu Grunde, dass ein immer neu zu erarbeitendes Studium der Menschenkunde eine wesentliche Quelle für Enthusiasmus und Initiativkraft, für Phantasie, für Inspirationen, für Intuitionen in der Gegenwart und in der Zukunft sein kann. Unsere am Anfang gestellten Fragen drücken die Intention, mit der wir die Entstehung dieses Buches verbinden, aus: Wie fassen wir heute die Allgemeine Menschenkunde auf? Wie finden wir einen fruchtbaren Zugang zu ihr? Wie können wir hundert Jahre nach der Entstehung dieser vierzehn Vorträge aus den Bedürfnissen unserer Zeit diese neue Sicht auf den Menschen – und damit auch die Waldorfpädagogik – lebendig und fruchtbar in der praktischen pädagogischen Arbeit verwirklichen? Die Vielzahl der Beiträge und Sichtweisen in diesem Band entspricht sowohl unserer Überzeugung, dass diese Vielfalt und der Reichtum in der Menschenkunde selber liegen, als auch die Realität, dass verschiedene Menschen auch verschiedene Zugänge zur Menschenkunde suchen. In diesem Sinne hoffen wir, dass dieser Band die individuelle und die kollegiale Arbeit an den Themen der Allgemeinen Menschenkunde impulsieren kann.
Hinweis:
Die Herausgeber haben es den einzelnen Autorinnen und Autoren überlassen, ob und in welcher Form sie jeweils eine genderspezifische Schreibweise benützen. Es kann aber den Lesern und Leserinnen versichert werden, dass in jedem Falle beide Geschlechter in gleicher Weise gemeint sind, auch wenn sie nicht jedes Mal ausdrücklich genannt werden.
1) Rudolf Steiner: Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik (GA 293), Dornach 1992.
2) Rudolf Steiner: Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches (GA 1990), Dornach 1990; ders.: Erziehungskunst. Seminarbesprechungen und Lehrplanvorträge (GA 295), Dornach 1984.
3) Rudolf Steiner: Menschenerkenntnis und Unterrichtsgestaltung (GA 302), Dornach 1986; ders.: Erziehung und Unterricht aus Menschenerkenntnis (GA 302a), Dornach 1993.
4) Siehe Henning Kullak-Ublick/Tomáš Zdražil (Hrsg.): Die Menschenkunde der Waldorfpädagogik in der Vielfalt der Kulturen der Welt, Stuttgart 2019.
5) Rudolf Steiner: Erziehung und Unterricht aus Menschenerkenntnis (GA 302a), Dornach 1993, S. 52.
6) Rudolf Steiner: Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik (GA 293), Dornach 1992, S. 17.
7) Ernst-Christian Demisch et al.: Steiner neu lesen: Perspektiven für den Umgang mit Grundlagentexten der Waldorfpädagogik, Frankfurt a.M. 2014, S. 52.
8) Rudolf Steiner: Erziehung und Unterricht aus Menschenerkenntnis (GA 302a), Dornach 1993, S. 53.
9) Erich Schwebsch: Erziehungskunst aus Gegenwart des Geistes, Stuttgart 1953, S. 19f.
10) Erich Schwebsch: Rezension zu Rudolf Steiners Allgemeine Menschenkunde …, in: Die Drei, 11./12. Jg., 1932, S. 77f.
11) Rudolf Steiner: Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik (GA 293), Dornach 1992, S. 15.
Zur Neuausgabe des ersten Lehrerkurses
Im Beitrag von Urs Dietler wird die neue Ausgabe des ersten Lehrerkurses in Stuttgart vom 21. August – 6. September 1919 vorgestellt. Diese Studienausgabe bringt die drei Kurse Allgemeine Menschenkunde, Methodisch-Didaktisches und Seminarbesprechungen zum ersten Mal in chronologischer Reihenfolge. Damit wird dieser Kurs nach 100 Jahren in seiner Intensität als Ereignis besser erleb- und nachvollziehbar.
Wissenschaftliche Zugänge zur Allgemeinen Menschenkunde
In seinem Beitrag Der Mensch in der digitalisierten Welt: Vorstellen und Wollen des Menschen im Verhältnis zur Maschine betrachtet Edwin Hübner den Grundgedanken des zweiten Vortrages der Allgemeinen Menschenkunde vom Gesichtspunkt der Genese der Technik aus. Die Technik hat ihren Ursprung im denkenden Vorstellen des Menschen. In ihr kommt etwas zu Ende. Maschinen stellen sich an den Ort, wo ursprünglich menschlicher Wille aktiv war. Geräte beginnen jetzt den menschlichen Willen zu ersetzen. Der Beitrag geht der Frage nach, welche Folgen das für die Entwicklung des Menschen haben kann und welche ausgleichenden Gegengewichte im pädagogischen Denken und Handeln entwickelt werden müssen.
Anschließend untersucht Friedrich Edelhäuser in seinem sehr grundlegenden Beitrag Die menschliche Bewegung: Die Aufgaben des Nervensystems beim Wahrnehmen und Bewegen die in der Allgemeinen Menschenkunde an unterschiedlichen Stellen veranlagte »Allgemeine Bewegungslehre« und arbeitet das besondere Wechselverhältnis von Wahrnehmen und Bewegen heraus. Aufbauend auf der zentralen Polarität von Vorstellen und Wollen bzw. der umfassenden Wechselwirkung der Grundkräfte Antipathie und Sympathie wird ein Verständnis des menschlichen Leibes als Grundlage von Erkenntnis- und von Willenshandlungen möglich. Das Nerven-Sinnessystem als leiblicher Träger von Vorstellungen und Wahrnehmungen und das Stoffwechsel- und Bewegungssystem als leibliche Grundlage für die zukunftsgerichtete Willenstätigkeit bilden die Brücke zur funktionellen Dreigliederung des menschlichen Organismus. Nerventätigkeit wird als Grundlage des Bewusstseins, die Energieströme des Organismus in den Blutbahnen werden als Grundlage der Willenshandlungen ansichtig, eine Funktion, die häufig unreflektiert den sog. »motorischen Nerven« zugesprochen wird. Der ganze Leib, nicht nur das zentrale Nervensystem, erweist sich als Resonanzorgan der sich entwickelnden Bewusstseinsfähigkeiten des Menschen und damit als Grundlage für eine umfassende, Geist-Seele- und Leib-orientierte Pädagogik.
In seinem Beitrag Die kosmische Bedeutung des Menschen: Gedanken zu einem zentralen Gesichtspunkt des dritten Vortrages entwickelt Ruprecht Fried eine Verständigungsgrundlage für die der heute gängigen Evolutionsauffassung widersprechende Aussage im 3. Vortrag, dass die höheren Tiere vom Menschen abstammen, indem die Grundvorgänge der Evolution aus der geisteswissenschaftlichen Forschung Rudolf Steiners dargestellt und auf die Aussage im 3. Vortrag bezogen werden. Von dieser Verständnisgrundlage aus ergeben sich für das Verhältnis von Tier und Mensch auch weitreichende Zukunftsperspektiven.
In dem Kapitel Der menschliche Wille in den Motiven des Handelns geht Peter Loebell auf die grundlegende Frage ein: Wie kann der Mensch verantwortlich für seine Willenstätigkeit sein, wenn diese in einem schlafenden Bewusstsein entsteht? In seinem Beitrag zum 4. Menschenkunde-Vortrag lenkt er den Blick vor allem auf die Entstehung von Handlungs-Motiven und die Möglichkeit des freien Willens. Dabei wird auch der scheinbare Widerspruch diskutiert, dass Handlungen, die durch überpersönliche Ideale entstehen, aus freien individuellen Entscheidungen hervorgehen können.
Der Beitrag von Jörg Soetebeer, Empfindungen – eine philosophische Betrachtung erörtert die Empfindungen, wie sie von Rudolf Steiner im siebten Vortrag der Allgemeinen Menschenkunde besprochen werden. Empfindungen werden als Zone des Übergangs von seelisch-geistigem Innen und leiblich-sinnlichem Außen sowie in ihrer Metamorphose von einem fühlenden Wollen zu einem fühlenden Denken betrachtet. Philosophische Fragestellungen sowie ästhetisch-literarische Motive beleuchten Dimensionen und Horizonte des Themas.
In dem Kapitel von Peter Heusser Sind Farben und Töne objektive Realitäten oder bloß subjektive Produkte unseres Gehirns? wird Rudolf Steiners frühe Revision der reduktionistischen Sinneslehre auf erkenntniswissenschaftlicher Grundlage belegt, dass Farben und Töne objektive Realitäten sind, und nicht, wie die reduktionistische Sinnesphysiologie behauptet, subjektive Produkte der menschlichen Sinnes-Nervenorganisation. Dabei erreicht das menschliche Wahrnehmen, ein seelisch-geistiger Prozess, das Sinnesobjekt in der Außenwelt, über die Grenzen des menschlichen Körpers hinaus. Die von der Sinnesphysiologie beschriebene Kaskade von physikalischen und physiologischen Prozessen zwischen dem Gegenstand und der Sinnes-Nervenorganisation hat dabei nur die Funktion der Vermittlung, aber nicht der Produktion des Sinneserlebnisses. Diese Auffassung des Sinnesprozesses wurde erstmals von Rudolf Steiner in seinen Einleitungen zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften dargelegt.
Michael Zech leitet seinen bildungstheoretischen Beitrag, Sich aufrichten in Beziehung zur Welt – zum Umgang mit dem neunten Vortrag der Allgemeinen Menschenkunde Steiners mit einer auf Walter Benjamin und Hans-Georg Gadamer rekurrierenden rezeptionsästhetischen Betrachtung ein, aus der er die These ableitet, dass jeder Mensch, der sich gedanklich intensiv mit Steiners Werk auseinandersetzt, in einem autopoietischen Prozess zu dessen Co-Autor wird. Er begründet seine Erschließung des Vortrags darauf aufbauend einerseits mit Erläuterungen zu Steiners Rezeption von Goethes Phänomenologie und Nietzsches Idee einer selbstbegründenden Transformation des Menschen, andererseits mit Anknüpfungen an die aktuellen Diskurse um die Bedeutung von Resonanzerfahrungen und über die Ausgestaltung der Ich-Welt-Beziehung für eine auf personale Transformation bzw. Individuation zielende Bildung.
Das Kapitel von Albrecht Schad Die Gliedmaßen machen uns zum Menschen« – Gesichtspunkte zum zehnten Vortrag der Allgemeinen Menschenkunde behandelt die Ausführungen Rudolf Steiners zum Leib des Menschen. Dabei wird vor allem auf die besondere Bedeutung der Gliedmaßen für unser Menschsein eingegangen. Außerdem wird dargestellt wie stark die Bewegung der Gliedmaßen die Gehirnentwicklung positiv beeinflusst.
Mithilfe der Projektiven Geometrie wird von Richard Landl in seinem Beitrag Zum Metamorphosegedanken ein Weg aufgezeigt, wie die schwer zu erfassende Metamorphose am menschlichen Skelett gedanklich nachvollzogen werden kann. Diese Grundlage ist so bedeutungsvoll, da sie dazu dient, das Seelisch-Geistige besser zu verstehen. Hier entfaltet der Metamorphosegedanke erst seine volle Wirksamkeit.
Der Beitrag von Johannes Kiersch Zugänge zur Esoterik der Lehrerkurse Rudolf Steiners kommentiert die Vorträge der Allgemeinen Menschenkunde im Licht neuerer Ergebnisse der gegenwärtigen Steiner-Forschung. Er widerlegt verbreitete Vorurteile, die Steiners Begriff von Esoterik diskreditieren, und stärkt zentrale ethische Positionen der Waldorfpädagogik.
Tomáš Zdražil untersucht ausgewählte Darstellungen Rudolf Steiners aus dem Lehrerkurs, die die Gesundheit im Sinne der Harmonisierung von polaren Kräftewirksamkeiten in der Wesenheit des Menschen thematisieren und dadurch eine salutogenetische pädagogisch wirksame Lehrerhaltung veranlagen.
Wolfgang Schad behandelt in seinem Beitrag Die Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik – wissenschaftlich gesehen die Frage des Wissenschaftsbegriffs. Ausgehend von Steiners und Goethes Erfahrungen entwickelt er ein Verständnis dieses Begriffs, das die Geisteswissenschaft Steiners in einen umfassenden und dynamischen epistemologischen Kontext stellt. Darauf aufbauend stellt er die Fruchtbarkeit einer solchen Herangehensweise bei der Erarbeitung der Allgemeinen Menschenkunde dar.
Künstlerische Zugänge zur Allgemeinen Menschenkunde
In dem ersten Beitrag von Oscar Scholz Keine Einzelheiten! Welches Stück? Methodisch-Musikalisches über das Ganze der Allgemeinen Menschenkunde geht der Autor von methodologischen Überlegungen über den Umgang mit Kunstwerken aus und folgt dabei der Anregung Rudolf Steiners, einen geisteswissenschaftlichen Text wie eine Partitur zu betrachten, aus der das »eigentliche Musikstück« erst »gewonnen« werden muss (Rudolf Steiner). Dabei werden einige Hauptmotive der Allgemeinen Menschenkunde skizzenhaft herausgearbeitet in ihrer Korrelation mit einer Idee des Ganzen.
In seinem Beitrag Zum Geheimnis der Bewegung greift Matthias Jeuken Äußerungen Rudolf Steiners zur Bedeutung der Bewegungen des Menschen auf. Im dritten Vortrag der Allgemeinen Menschenkunde führt Steiner aus, dass der Mensch unsichtbare Bewegungen vollführt, die ihm nicht bewusst werden, aber die Möglichkeit verleihen, die so gestalteten Formen später begrifflich zu erfassen. Im zehnten Vortrag thematisiert Steiner die Beziehung von Bewegung und Sprache. Während uns die Intentionen unserer Bewegungen zumeist klar sind, werden uns die Abläufe nicht bewusst.
Der Autor zeigt, dass der »unsichtbare Bewegungsmensch« in uns an Bewegungen im Alltag und in künstlerisch gestalteten eurythmischen Bewegungen als wirksam erlebt werden kann. Auch Forschungsergebnisse der neueren Embodiment-Forschung weisen auf die Bedeutung der menschlichen Bewegungen für kognitive Prozesse, für den Spracherwerb und das Lernen hin.
In dem Beitrag von Tonnie Brounts Allgemeine Menschenkunde und Eurythmie wird betrachtet, wie die Künste das Studium der Allgemeinen Menschenkunde befruchten können. Besonders der Zusammenhang zwischen der Menschenkunde und den eurythmischen Bewegungen des Tierkreises wird aufgezeigt.
Der Beitrag von Stephan Ronner Bild und Keim als elementare Choreografie: Skizze eines Schwingungsbildes nimmt die Polarität von Bild und Keim, wie sie zu Beginn der Allgemeinen Menschenkunde als grundlegend für das Ganze entwickelt wird, beim Wort. Er regt zu einer Auffassungsweise an, die sich den Qualitäten wie den Kräfteverhältnissen von Keim und Bild bzw. Wille und Vorstellung dynamisch annähert und auf sie einlässt. Vom intellektuellen Talk über Bild und Keim führen konkrete und reale Handlungen, Taten, Vollzüge zum erfahrbaren Beziehungs- bzw. Erziehungs-Kunstwerk aufgrund tätig-bewegter Choreografie aus Bild und Keim.
Pädagogische Zugänge zur Allgemeinen Menschenkunde
Der Beitrag von Claus-Peter Röh Lebens- und Schicksalsfragen in der Allgemeinen Menschenkunde verfolgt diese Fragen aus verschiedenen Perspektiven. Wo sich von der Dramatik der ersten Schulgründung 1919 bis zur Gegenwart Lebensentschlüsse auf die berufliche Verwirklichung der Waldorfpädagogik richten, begibt sich der individuelle Mensch in das Spannungsfeld polarer Kräfte: Den äußeren Nöten und Aufgaben des Zeitgeschehens stehen innere Kräfte der Initiative gegenüber. Bei der Verwandlung von vergangenem Schicksal in neue Entwicklungsmöglichkeiten spielt die Verbundenheit mit begleitenden geistigen Kräften eine mitentscheidende Rolle. So werden Ansätze der Menschenkunde beschrieben, auch im Schulalltag den zukünftigen, den werdenden Menschen im Gegenüber zu entdecken.
Im Beitrag Zu Relevanz und Folgen einer pädagogischen Menschenkunde bespricht Constanza Kaliks das Verständnis des Menschen als werdendes Wesen als potenzielle Grundlage für das pädagogische Tun. Sie blickt auch auf den Gedanken, dass sowohl Erkenntnis wie das menschliche Ich sich aus und in der Teilhabe an der Welt konstituieren. Der Wille als Verbundenheit mit dem noch nicht Gewussten wird unter dem Gesichtspunkt des Lernprozesses betrachtet.
Der Beitrag von Elisabeth von Kügelgen Allgemeine Menschenkunde und lebendig werdende Religion geht auf die Bedeutung religiöser Erziehung für die Gemütsbildung und Willenserziehung in der Waldorfpädagogik ein. Der Begriff des Religiösen in allem Unterricht (»lebendig werdende Religion«) wird – in Anlehnung an Motive aus der Allgemeinen Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik – altersstufengemäß anhand von praktischen Beispielen erläutert.
In seinem Beitrag Beziehungsweise – Kleine Etüde über Motive der Allgemeinen Menschenkunde und des Waldorf-Lehrplans werden von Tobias Richter Motive und deren Variationen aus der Allgemeinen Menschenkunde und dem Waldorflehrplan betrachtet. Es ist der Versuch, einen gemeinsamen Resonanzraum zu erfragen, in welchem – vice versa – die eine Komposition (Allgemeine Menschenkunde) die andere, sich stetig fortschreibende (Waldorflehrplan) zum Klingen anregt.
Der Beitrag von Florian Osswald Ansätze für Unterrichtsgestaltung aus dem Studium des Rhythmus von Schlafen und Wachen betrachtet die Wirkungen des Schlafes auf die Lernvorgänge. Er zeigt anhand des ersten Lehrerkurses Ansätze für das Studium des Wach-Schlaf-Rhythmus und der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Unterrichtsgestaltung. Mit einer Sammlung relevanter Textstellen aus dem Kurs wird das Anliegen unterstützt.
In seinem Beitrag Ein methodischer Hinweis, dargestellt am zweiten Vortrag der Meditativ erarbeiteten Menschenkunde und am zweiten Vortrag der Allgemeinen Menschenkunde befasst sich Christof Wiechert mit den genannten beiden Vorträgen vom Gesichtspunkt der Fähigkeitsbildung; das heißt, er verfolgt den Weg des Verstehens hin zum Können. Dazu wird eine genaue Anweisung Steiners praktiziert und reflektiert.
Der Beitrag von Peter Lutzker Die Fruchtbarkeit der Menschenkunde für den Fremdsprachenunterricht bespricht die Bedeutung einiger zentraler Gedanken der Allgemeinen Menschenkunde für den Fremdsprachenunterricht. Anhand des konkreten Beispiels der Wortschatzarbeit zeigt er, wie verschiedene Gesichtspunkte aus der Menschenkunde zur Erarbeitung fruchtbarer methodischer Ansätze, die sowohl mit Grundgedanken der Menschenkunde als auch mit moderner Sprachforschung im Einklang stehen, führen können.
In ihrem Beitrag Die erste Menschen- und Tierkundeepoche – Allgemeine Menschenkunde als Unterrichtsinhalt? bespricht Antje Bek, wie Rudolf Steiner im siebten Vortrag von Methodisch-Didaktisches einen Gedankenbogen für die erste Menschen- und Tierkundeepoche entwickelt und als Einstieg vorgeschlagen hat, den Menschen auf eine besondere Art und Weise zu plastizieren. Sie zeigt in ihrem Beitrag, wie die Lehrerinnen und Lehrer ihr Verständnis für diese Epoche durch Hinzuziehen des 10. Vortrags der Allgemeinen Menschenkunde vertiefen können. Ohne den Kindern Anthroposophie zu vermitteln, könnte gerade das Plastizieren des Menschen ein Tor zum »Begreifen« des Menschen überhaupt werden.
In dem Beitrag von Walter Hutter Determinismus oder Erfahrung – zum neunten Vortrag der Allgemeinen Menschenkunde werden, ausgehend von aktuellen Entwicklungen und Erfordernissen der Zeit, die Methoden des Oberstufenunterrichts aus der Perspektive der Waldorfpädagogik und die erkenntnis- und schulpraktische Frage nach Möglichkeiten der Urteilsentwicklung näher untersucht. Rudolf Steiner regte dazu vor 100 Jahren an, den erklärenden Unterricht zu überwinden: Was bedeutet dies aus heutiger Perspektive?
The contribution by Douglas Gerwin Being Fully Human: A Tri-Une Approach to Educating Youth About Sexuality builds on a fleeting reference by Rudolf Steiner in Lecture XIV of Study of Man that prevalent sex instruction »is mostly meaningless«, The author outlines a new tri-leveled approach to the subject of human sexuality and its place in the Waldorf curriculum. In the depths of our most physical and bodily nature we discern the greatest metaphysical and lofty of human capacities: namely, the abilities to conceive and to metamorphose – not just physiologically and psychologically but also from a spiritual perspective.
Der Beitrag von Albert Schmelzer Zum Transfer von Motiven der Allgemeine Menschenkunde in die Unterrichtspraxis zeigt auf, in welcher Weise KollegInnen der Interkulturellen Waldorfschule Mannheim durch die Beschäftigung mit Motiven der Allgemeinen Menschenkunde sich für ihre Unterrichtsgestaltung haben anregen lassen. Damit wird deutlich, wie ein lebendiger Transfer von Inhalten der Allgemeinen Menschenkunde in die Unterrichtspraxis erfolgen kann.
Offene und weiter zu bearbeitende Fragen aus der Allgemeinen Menschenkunde
Christian Boettger geht in seinem Beitrag der Frage nach, ob nach 100 Jahren Arbeit an dem Zyklus Allgemeine Menschenkunde Rudolf Steiners schon alle Fragen, die dieser Kurs aufwirft, eigentlich geklärt sind, oder ob nicht darin Fragen enthalten sind, die es lohnt immer wieder offen zu halten, weil solche, von ihm so genannte Lebensfragen, gemeinschaftsbildend wirken, wenn sie lebendig im Kollegium ergriffen und besprochen werden. So bearbeitet Boettger in seinem Beitrag einige ausgewählte Fragen in sechzehn Themenblöcken und zeigt, dass die Arbeit an der Menschenkunde auch in den nächsten 100 Jahren aus seiner Sicht nicht abgeschlossen sein wird.
Die pädagogische Sektion und die Forschungsstelle des Bundes der Waldorfschulen in Deutschland traten mit der Frage an mich heran, den ersten Lehrerkurs, also die drei Bände Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik, GA 293, Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches, GA 294, und Erziehungskunst. Seminarbesprechungen und Lehrplanvorträge, GA 295, im Zusammenhang mit dem Jubiläum »100 Jahre Waldorfschule« neu herauszugeben. Schon bald stellte sich heraus, dass neben der Neuherausgabe der drei gesonderten Bände auch eine Studienausgabe erscheinen sollte, die einem besonderen Duktus folgt: die Herausgabe der Vorträge in chronologischer Reihenfolge. Damit entsteht die Möglichkeit, das damalige initiale Ereignis der Schulgründung besser erfahrbar zu machen.
Zurzeit wird dieser vierzehntägige Kurs auf drei getrennte Bände verteilt wahrgenommen, und zwar in unausgewogener Art und Weise. Meine Erfahrungen an Schulen und in Gesprächen ergab eine geschätzte Rezeption der Allgemeinen Menschenkunde zu 90%, der Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches zu 8% und der Seminarbesprechungen zu 2%. Auch wenn das grob geschätzt ist – man beachte auch die Publikationen zu den drei Bereichen – so ist das Ungleichgewicht nicht zu übersehen. Man stelle sich vor, dass beim ersten Lehrerkurs am Morgen um neun Uhr alle der 24 Teilnehmer anwesend waren, um halb elf für das Methodisch-Didaktische noch vier und um drei Uhr nachmittags für die Seminarbesprechungen zwei – niemand wäre auf eine solche Idee gekommen. Natürlich gibt und gab es Ausnahmen, Lehrerseminare, an denen konsequent die damaligen Tage durchgearbeitet werden, KollegInnen, die zu Beginn des Schuljahres den Kurs integral für sich durcharbeiten – aber das dürften Ausnahmen sein.
Die für das Jahr 2019 vorliegende Studienausgabe kann dazu anregen, den Verlauf eines Tages durch die drei Anlässe hin mit zu verfolgen und Querbezüge zu entdecken: Wie schildert Rudolf Steiner ein Thema in der Allgemeinen Menschenkunde, auf welche Art und Weise erscheint es im methodisch-didaktischen Teil und wie wird es in den Seminarbesprechungen diskursiv aufgegriffen? Dabei werden explizite und implizite Querbezüge sichtbar; explizite bei direkter Erwähnung (»wie ich heute morgen ausführte«) oder bei klarer Nennung desselben Themas, implizite bei der Metamorphose eines Themas, einer anderen Sichtweise auf dasselbe. Solche Querbezüge, explizite und implizite, gibt es natürlich auch zwischen den Tagen und im Laufe der Wochen, ein Wiederaufgreifen, darauf Zurückkommen, Vertiefen usw. Den ersten Lehrerkurs so durchzuarbeiten, kann neue Impulse für die pädagogische Praxis geben, handlungsleitend werden – eine chronologische Anordnung verhilft dazu.
Es bildete sich dann bald ein Herausgeberteam für diese Aufgabe: für die Seminarbesprechungen konnte die Herausgeberin Andrea Leubin vom Rudolf Steiner Archiv gewonnen werden, die mit Christoph Wiechert zusammen bereits die Neuherausgabe der Lehrerkonferenzen erarbeitete. Da die Seminarbesprechungen einen ähnlichen, gesprächsartigen Duktus wie die Konferenzen haben, war sie für die Neuausgabe der Seminarbesprechungen prädestiniert. Ihr zur Seite stand Susanne Speckenbach, die sich schnell in die Editionsarbeit hineinfand. Ich selbst übernahm die Neuherausgabe der Allgemeinen Menschenkunde und des methodisch-didaktischen Bandes, dazu kommen das Zusammenführen und die Schlussredaktion der drei Bände und der Studienausgabe.
Wie nun wird an die Neuausgabe eines bereits bestehenden Bandes herangegangen? Entsteht hier eine Ausgabe, die hohen und der Zeit gemäßen Ansprüchen genügt? In Gesprächen kann man oft hören, dass in Bezug auf den Lehrerkurs »ungesicherte« Ausgaben vorliegen, auf die nicht so Recht Verlass sei. Ein Blick auf die Textgrundlagen gibt da jeweils ein differenziertes Bild. In den Bänden der Gesamtausgabe Rudolf Steiners sind diese Textgrundlagen jeweils im Abschnitt »Zu dieser Ausgabe« am Schluss der Bände geschildert. Da ich sieben Jahre als Herausgeber am Archiv tätig war, konnte ich einen guten Einblick in die verschiedenen Ausgaben gewinnen und Herausgeberinnen und Herausgeber und ihre Ansätze kennenlernen. Ihre gewissenhafte, gründliche und durchdachte Arbeitsweise beeindruckte mich, dazu die Tatsache, dass editorische Fragen – in Sitzungen und bilateral – gemeinsam besprochen wurden. Bei einer Neuedition werden die Textgrundlagen nochmals gesichtet, neu hinzugekommenes Material wird einbezogen und editorisch neue Entscheidungen gefällt, die transparent kommuniziert werden.12 Die Textgrundlagen für die hier besprochenen drei Bände sind vielfältig und es gilt jeweils einen Leittext zu wählen, auf den sich die Ausgabe unter Hinzuziehung der anderen Textquellen bezieht. Die Vorträge wurden mitstenografiert, transkribiert und später auch hektografiert. Zudem finden sich diverse Teilnehmernotizen, die hilfreich sein können. Bei der Allgemeinen Menschenkunde kommt eine erst kürzlich bemerkte Besonderheit dazu: Alexander Strakosch bemerkt in seinen Erinnerungen, dass Rudolf Steiner jeweils mit großer Freude am Morgen den ersten Vortrag des vorigen Tages in vervielfältigter Form an die Teilnehmer verteilte. Da Emil Molt, der in der Dreigliederungsbewegung sehr engagiert war, eine kleine Druckerei unterhielt, war dies offensichtlich möglich. Die Stenogramme sind nicht mehr vorhanden, die maschinenschriftliche Übertragung der Stenogramme und die besprochenen Vervielfältigungen schon. Auf diesen Textgrundlagen aufbauend, die gründlich geprüft und verglichen werden, entsteht eine sichere Ausgabe in den gegebenen Grenzen; sicher auf jeden Fall für den Gesamtduktus eines Vortrags, unsicher in Detailfragen, die nun in verschiedenster Weise angegangen und offengelegt werden. So führt das Rudolf Steiner Archiv seit Jahren Korrekturordner, in den die Anfragen und Antworten nach unklaren Textstellen abgelegt werden. Für diese Ausgabe nun wurde verschiedentlich – mit Erfolg – darauf aufmerksam gemacht, dass Unklarheiten oder offensichtliche Fehler gemeldet werden können. Neue Erkenntnisse und Forschungen können zu Korrekturen führen. Der Rest an Unsicherheit sollte meiner Ansicht nach als Chance und nicht als Defizit betrachtet werden: als Chance, ein Thema, eine Stelle selbst neu zu durchdenken, wenn möglich in einer Gruppe, mit der Offenheit, später auf eine Sichtweise zurückzukommen. Dies ist sicher im Sinne Rudolf Steiners, der vielfältige Anregungen für Selbstdenker und keinen Katechismus gab.
Was nun bringt diese Ausgabe Neues neben einer revidierten Fassung? Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass neu die Faksimiles und die entsprechenden Transkriptionen der Notizbuch- und Notizblättereintragungen aufgenommen werden. Rudolf Steiners Notizbücher, von denen über 600 im Archiv aufbewahrt werden, enthalten die verschiedensten Einträge zum Lehrerkurs13, Entwürfe für die Vorträge, Skizzen usw. Auch in den 7000 Notizzetteln, die im Archiv aufbewahrt werden, fanden sich Notizen zu den Lehrerkursen. Interessant ist, dass der Morgenkurs da und in den Mitschriften immer unter dem Titel Allgemeine Pädagogik14 erscheint – der spätere Titel Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik wurde von Marie Steiner unter Verweis auf Rudolf Steiners Angabe gewählt. Es ist eine faszinierende Aufgabe – gerade auch für Lehrerseminare –, diese Notizen für sich oder im Zusammenhang mit den gedruckt vorliegenden Vorträgen zu durchdenken. Neu bei der Textredaktion, vor allem bei den methodisch-didaktischen Vorträgen und den Seminarbesprechungen, wurde darauf geachtet, wieder den mündlichen Charakter dieser »Texte« herzustellen, Wiederholungen, Pausen, Anreden wieder sichtbar, oder besser hörbar, zu machen. Während in den frühen Zeiten Rudolf Steiners Hinweis, den mündlichen Duktus zurückzunehmen, mit Recht beachtet wurde, ist es nun 100 Jahre danach Zeit, sich wieder in die damalige Situation hineinzuversetzen und zu versuchen, das »lebendige Wort« zu hören und nicht einen vermeintlichen Text zu erarbeiten. (Wenn man sieht, wie stark Rudolf Steiner eingegriffen hat, wenn er einen Vortrag als Text redigierte, wird das noch deutlicher.) Es kann eine wertvolle Übung sein, diese Vorträge innerlich – oder äußerlich (vor)gelesen – zu hören. Noch Goethe pflegte mit Gewinn das Laut-sich-Vorlesen-Lassen.
Eine Besonderheit bieten in Bezug auf Neuerungen die Seminarbesprechungen. Hier wurden die Namen und die Beiträge der Teilnehmer nun aufgenommen, etwas, was bisher nur in Ansätzen der Fall war. Rudolf Steiner gab den Teilnehmern ja jeweils »Hausaufgaben« für den nächsten Tag mit, die von den Teilnehmern sehr gründlich erledigt wurden. Es ist sehr interessant zu verfolgen, wie er die verschiedenen Beiträge der Teilnehmer aufnahm, liebevoll kommentierte und in bestimmte Richtungen wies. Anders als in den Konferenzen, bei denen er zuweilen sehr harsch eingriff, zeigte er sich hier als liebevoll führende Autorität.
Des Weiteren konnten bei der neuen Durchsicht des ersten Lehrerkurses Doppelspurigkeiten vermieden werden. So erschienen die Schlussworte am 6. September sowohl im methodisch-didaktischen Teil wie in den Seminarbesprechungen, die Ansprache zur Eröffnung der Waldorfschule wurde bisher gekürzt und kommentiert von Marie Steiner in der Allgemeinen Menschenkunde gebracht, als gesamte bisher bloß in GA 298, Rudolf Steiner in der Waldorfschule. Für die Studienausgabe wurden zudem die drei Sonntagsvorträge vor Mitgliedern und Eltern aufgenommen, die im Band GA 298 schon enthalten sind. Dies sei gesagt, um den Gesamteindruck dieses Ereignisses, das Rudolf Steiner damals mit großer Freude erfüllte und dem er seine ganze Zeit15 widmete, erlebbar zu machen.
Zu erwähnen sind hier des Weiteren die möglicherweise wenig beachteten Hinweise16 im Anhang der Bände. Hier finden sich Anmerkungen zur editorischen Praxis des betreffenden Bandes, so zum Beispiel der Hinweis auf eine vom jeweiligen Herausgeber verantwortete Textredaktion oder -interpretation17, neben diesen editorischen Hinweisen jedoch auch inhaltlich erklärende: so biografische Angaben zu von Rudolf Steiner erwähnten Personen und Büchern, Schauplätzen und kulturellen Gewohnheiten. Dabei wird darauf geachtet, dass im Zeitalter von Wikipedia und anderen Suchmöglichkeiten nicht Allerweltswissen aufgeführt wird. Der Fokus liegt hier stark auf Zeit- und Steiner-kontextuellen Ausführungen, auf Büchern, auf die er sich bezog und die sich zum Teil auch in seiner im Steiner Archiv vorhandenen Privatbibliothek18 befinden. Auf anthroposophische und andere Sekundärliteratur wird bewusst verzichtet. Hingewiesen wird jedoch oft auf Stellen im Gesamtwerk, in denen Rudolf Steiner einen bestimmten Aspekt weiter ausführt.
Möge diese Studienausgabe einen neuen, das pädagogische Wirken impulsierenden Zugang zum ersten Lehrerkurs ermöglichen.
12) Die letzte Ausgabe der Allgemeinen Menschenkunde stammt aus dem Jahre 1992, diejenige der Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches aus dem Jahr 1990 und jene der Seminarbesprechungen aus dem Jahre 1984.
13) Bisher teilweise veröffentlicht und nur wenig faksimiliert in den Beiträgen zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe Nr. 31, Dornach 1970.
14) Der von Rudolf Steiner verwendete Titel Allgemeine Pädagogik dürfte im Zusammenhang stehen mit seiner Lektüre von Johann Friedrich Herbarts grundlegendem Werk desselben Titels. Auf ihn kommt er im ersten Lehrerkurs verschiedentlich zu sprechen.
15) Es ist einmalig in Rudolf Steiners Vortragstätigkeit, dass er sich zwei Wochen ganz auf eine Initiative konzentrierte und keine Vorträge (außer den erwähnten Sonntagsvorträgen) – vor Mitgliedern oder öffentlich – hielt.
16) Es ist eine Besonderheit der Gesamtausgabe, dass die Hinweise im Text selbst nicht indiziert sind, man also bei auftauchenden Fragen den Hinweisteil aufsuchen muss und nicht immer fündig wird.
17) Ein klassisches Beispiel findet sich in der Allgemeinen Menschenkunde, wo es im dreizehnten Vortrag früher hieß: »die Materie ist bei uns träge«, in den neueren Ausgaben jedoch »die Materie ist bei uns tätig, rege«. Eine Erörterung dieser Interpretation aus dem Zusammenhang des Vortrages, in einem Seminar z.B., kann sehr fruchtbar sein. Mehr zu solchen Beispielen findet sich in dem erwähnenswerten Band von Michel Schweizer: Zur Qualität der stenografischen Mitschriften von Rudolf Steiners Vorträgen, Beiträge aus dem Rudolf Steiner Archiv, Nr. 6, Dornach 2017.
18) Auf diese Bücher wird mit der Referenz z.B. RSB Pä xy hingewiesen. Siehe auch das bald erscheinende Buch über die Privatbibliothek Rudolf Steiners von Martina Maria Sam.
Vorstellen und Wollen des Menschen im Verhältnis zur Maschine
Allgemeinen Menschenkunde