Die nördlichen Ufer der Themse in der Grafschaft Kent sind nahe bei London mit unzähligen Magazinen, Schiffswerften und anderen dem Seehandel unentbehrlichen Gebäuden bedeckt. Hier auf der befahrensten Straße zum "Markte der Welt" ist alles der rastlosesten Tätigkeit geweiht, und die ländlichen Freuden fliehen von selbst diesen ewigen Lärm, wo der Amboß und der laute Ruf einer zahllosen Menge arbeitender Menschen unaufhörlich ertönt.
Nahe an der Stadt erblickt man ein Riesenwerk unserer Tage: die dem westindischen Handel gewidmeten Docks. Eine Gesellschaft Londoner Kaufleute erbaute sie vor nicht gar langer Zeit. Sie kosteten die ungeheure Summe von sechshunderttausend Pfund Sterling. Eine Abgabe von den hier abzuladenden Waren entschädigt die Unternehmer für ihre Auslage vollkommen, denn alle Westindienfahrer müssen in diesem durch Kunst hervorgebrachten Hafen ihre Waren ein- und ausladen. Er besteht aus zwei ungeheuren Bassins, von welchen das kleinere bloß zum Laden dient, das größere zwei- bis dreihundert große Schiffe beherbergen kann, die darin sicher und bequem unter Schloß und Riegel liegen.
Man kann sich den imposanten Anblick des Ganzen kaum vorstellen. Schöne breite Quais, belebt von allem Gewühl des Seehandels, umgeben die mit Schiffen bedeckten Bassins. Einer Reihe Paläste gleich, stehen die großen prächtigen Magazine die Quais entland; kein Fleck ist unbenutzt, und trotz der Größe des Ganzen scheint es oft noch an Raum zu fehlen. Diese Einrichtung gewährt dem Handel nicht zu berechnende Vorteile; denn die mit den kostbarsten Waren beladenen Schiffe liegen hier gesichert gegen allen Diebstahl, in einem ganz abgesonderten Raume, geschieden von den übrigen Fahrzeugen, welche den Hafen überfüllen. Da die Westindienfahrer gewöhnlich in großen Flotten zugleich anlangen, so entstand bei ihrer Ankunft sonst immer eine gewaltige Verwirrung, ein fürchterliches, unendliches Schaden und Verlust mit sich bringende Gedränge auf dem Strome. Dem ist nun vorgebeugt, und alles geht mit Ruhe und Ordnung vonstatten.
Den prächtigen Docks gegenüber breitet sich das stattliche Greenwich aus, und man braucht nur in einem der immer bereit liegenden Boote quer über die Themse zu schiffen, so ist man in diesem der Ruhe gewidmeten Asyl; nur einige Schritte weiter in dem schönen Park von Greenwich und die friedlichste Stille umgibt uns, kein Laut von jenem unruhigen Treiben der gelderwerbenden Menge tönt mehr herüber.
Hinter dem Park erstreckt sich die nicht große, aber als Haupttummelplatz englischer Straßenräuber berüchtigte Heide von Blackheath, welche jedoch in üblerem Rufe steht, als sie es verdient. Im Ganzen scheint die Zahl jener Unholde in England ziemlich abgenommen zu haben, und manche Mordgeschichte, die man in den englischen Blättern liest, wurde nur ersonnen, um den Platz zu füllen, oder den übrigen, oft faden Inhalt der Neuigkeiten bekannter zu machen.
Von Blackheath aus machten wir eine kleine Lustreise durch einen anderen Teil der Grafschaft Kent, als der war, welchen wir auf der Reise von Dover nach London sahen.
Gleich anfangs erfreute uns, wenige Meilen von London, eine in ihrer Art einzige, wunderherrliche Aussicht. Wir sahen die mächtige Stadt, ihre unzähligen Türme und den Dom von St. Paul ausgebreitet daliegen am Ufer des Stroms, der, bedeckt mit Masten, wirklich im strengsten Sinne des Worts wie ein seiner Zweige beraubter Wald sich zeigte. Gerade vor uns lag Greenwich, zur linken Hand die nicht unbeträchtliche, fast einzig dem Schiffsbau gewidmete Stadt Deptford mit ihrem Hafen, ihren Docks, ihren gewühlvollen Schiffswerften, rechts die ihr ähnliche Stadt Woolwich, in welcher sich das ungeheure Arsenal der englischen Seemacht nebst vielen dazugehörigen Schmieden, Magazinen und Fabriken befindet. Das sanfthügelige Land ringsumher, belebt durch unzählige Dörfer, trägt ganz den englischen Charakter; alles ist grün, fruchtbar, angebaut und geschmückt mit einzelnen Gruppen ehrwürdiger Eichen und Buchen.
Manchen schönen Park mit seiner Villa, manche reizende ländliche Wohnung sahen wir im Vorbeifahren, bis zu dem vierzehn Meilen von London entlegenen Landstädtchen Bromley. Hier drängen sich indessen die Landsitze nicht so aneinander als in der Gegend um Richmond herum, denn es fehlen die höheren Reize, die dort der alles belebende Strom gewährt, und überhaupt mangelt es der Grafschaft Kent an Gewässern.
Nahe bei Bromley besuchten wir einen alten Freund, den wir vor mehreren Jahren in einem kleinen Hause der City als einen mittelmäßig wohlhabenden Kaufmann in seinem Comptoir verließen und hier als den reichen Besitzer von Tunbridge Park wiederfanden. Ein schöner Park, angenehme Gärten und Spaziergänge umgeben die elegante, von unserem Freunde ganz im italienischen Geschmack erbaute Villa. Der Tempel der Ceres nahe bei Rom diente der Hauptfassade zum Modell.
Wenige Meilen weiter, nahe beim Städtchen Sevenoaks, liegt Knole, der uralte Sitz des Herzogs von Dorset. Bis hierher behält die Gegend denselben Charakter, hügelig, grün, angebaut wie ein Garten.
Das durch sein Alter ehrwürdige Schloß liegt mitten in einem weitläufigen Parke, dessen himmelanstrebende Eichen vielleicht schon vor seiner Erbauung dastanden. Es ist ein düsteres, weitläufiges Gebäude, dessen innere Einrichtung aus einem wunderlichen Gemisch von Altem und Neuem besteht. Einige Zimmer sind ganz modern möbliert, andere, wie sie vor ein paar hundert Jahren es waren; die übrigen, gerade die am meisten bewohnt zu werden schienen, enthalten Altes und Neues durcheinandergemischt und nehmen sich eben nicht zum besten aus.
Besonders merkwürdig für den Forscher nach alter Sitte sind zwei Zimmer; das erste steht noch da, wie König Jakob der Erste es verließ, der einmal eine Nacht darin zubrachte. In dem hohen geschnitzten Bette könnten wenigsten sechs Personen bequem Platz finden; an den Spiegeln ist mehr Schnitzwerk als Glas, und die zentnerschweren Lehnstühle sind mit kleinen Treppen zum Hinaufsteigen versehen.
Das andere Zimmer, dessen Einrichtung aus derselben Zeit stammt, ist ein kostbares Denkmal der damaligen soliden Pracht. Die aus Gold und Silber gewirkten Gardinen des Bettes, welches allein zwanzigtausend Pfund Sterling gekostet hat, scheinen ihre Entstehung eher dem Amboß und Hammer als dem Webstuhle zu verdanken, so massiv sind sie, und die mit einer zolldicken künstlichen goldenen Stickerei über und über verzierte Decke desselben würde jeden, der darunter schlafen wollte, durch ihre Schwere erdrücken. Eine silberne Toilette von schöner alter getriebener Arbeit, ein großer silberner Tisch und ein geschnitzter Schrank, groß wie ein Haus in den Hochlanden, über und über besetzt mit silbernen Prunkvasen, machen das Ameublement vollständig.
Viele andere Zimmer enthalten eine Menge guter alter Gemälde. Besonders merkwürdig in dieser Hinsicht ist eine lange Galerie voll Familienportraits und Bildnissen ausgezeichneten Menschen früherer Zeit. Manche wunderliche Karikatur, aber auch mancher vortrefflich gemalter Kopf blickt hier von den Wänden auf uns herab. Zu den letzteren gehört besonders ein sehr charakteristisches Porträt Cromwells, nächst dem Luthers, dessen bleichen Freundes Melanchthon und Erasmus, gemalt von Lucas Cranach. Die Porträts fast aller bekannten und berühmten Gelehrten und Dichter Englands füllen ein besonderes Kabinett.
Weiterhin hinter Knoles erhebt sich die Gegen allmählich; höhere Berge gewähren dem Reisenden manche schöne Aussicht; bald zeigen wunderbar gestaltete Felsen ihre kahlen Scheitel; weiter blick man hinab in die tiefen Schluchten eines sehr pittoresken Steinbruchs; dann zeigt sich die schöne Ruine eines uralten Schlosses hoch auf einem Berge, der drohend auf das and seinem Fuße liegende Städtchen Tunbridge hinabschaut. So geht es fort bis zu dem einige Meilen weiterhin gelegenen freundlichen Badeorte Tunbridge Wells.
Dieser wird sehr häufig besucht, da er nur sechsunddreißig Meilen von der Hauptstadt entfernt ist und man den Weg dahin in wenigen Stunden zurücklegt. Wir würden indessen die Grenzen der nächsten Umgebung überschreiten, wenn wir uns auf dessen nähere Beschreibung hier einließen; auch zeichnet er sich weder durch seine innere Einrichtung noch durch seine Lage vor anderen ähnlichen Orten aus. Tunbridge sei also der Scheidepunkt, wo wir dem Leser, der uns freundlich bisher begleitete, ein dankbares Lebewohl sagen.
Es ist eigentlich recht erfreulich, in diesem Lande zu reisen. Die schönsten Landschaftsgemälden ähnlichen Parks, die Gärten, die zweckmäßige Einrichtung der Häuser, der raffinierte Luxus, die Nettigkeit der Ordnung überall, die selbst in dem unbedeutendsten Hausgeräte sich zeigende Eleganz und Bequemlichkeit, machen Einen frohen Eindruck auf den Besuchenden. Man wünscht sich alle diese Dinge nicht, weil man ihrer nicht gewohnt ist, oft nicht einmal ihren Gebrauch kennt; aber man bekommt ein Gefühl von heiterem Lebensgenusse. Nur den Wunsch, sich der Kunstwerke recht zu erfreuen, sie zu studieren, vielleicht etwas zu kopieren, muß man nicht aufkommen lassen; denn seine Erfüllung ist in diesem Lande mit so vielen Schwierigkeiten umgeben, dass sie fast undenkbar wird.
Von den Schönheiten des Landes und der Wege, von den bequemen Gasthöfen, die man auch in den abgelegensten Gegenden findet und in welchen man nur einen wohlgefüllten Beutel braucht, um gleich so gut und vielleicht besser als zu Hause zu sein, von der trefflichen Einrichtung des Postwesens ist überall viel gesagt und geschrieben, und dennoch nicht zu viel, um dieses in seiner Art vollkommenste Ganze gehörig zu loben.
Für jetzt wollen wir uns aber darauf beschränken, eine allgemeine Idee eines englischen großen Landhauses mit seinen Umgebungen aufzustellen und alsdann versuchen zu beschreiben, was wir auf einer Reise von London durch das nördliche England nach Schottland zu sehen Gelegenheit hatten.
Ein englischer Park ist von dem, was man sich in Deutschland unter diesem Namen denkt, merklich verschieden. Er umfasst die das Wohnhaus oder Schloß zunächst umgebenden, eigentlich zu demselben gehörigen Ländereien und ist gewöhnlich von ziemlichen Umfange. Äcker und Wiesen, mit lebendigen Hecken zierlich eingefasst, durchschnitten von wohlgehaltenen Kieswegen zum Gehen und Fahren, liegen in seinem Bezirk, sowie auch einzelne Wirtschaftsgebäude von gefälliger, aber doch ihre Bestimmung andeutender Form. Überall hat man nach malerischen Effekten gestrebt, und die sanften Anhöhen und Vertiefungen dieses Landes erleichtern dieses Streben; aber immer ist das Nützliche mit dem Schönen vereint.
Der höchste Schmuck dieses Parks sind die üppige Vegetation der wohlbestellten Äcker, die unvergleichlich schönen grünen Wiesen und die prächtigen Bäume, größtenteils Eichen und Buchen, welche überall in Gruppen verteilt stehen. In England haben die Bäume das Eigne, daß sie mehr als in anderen Ländern gleich von der Wurzel an ausschlagen und kleinere Zweige treiben. Enge, durch dichte Schatten und Gebüsche sich hinschlängelnde Gänge findet man in keinem Parke; auch Gehölze sind, wie überall in England, selten. Man könnte sagen, es fehle Schatten, wenn nicht gerade in diesem Lande, wo bei sehr milder Luft dennoch die Sonne selten recht heiß und hell scheint, der Schatten entbehrlicher wäre als anderswo. Die Kioske, Tempel, Einsiedeleien unserer Parks fehlen dort ebenfalls; alle diese zur Zierde dienenden Gebäude sind in die vom Park ganz verschiedenen, das Haus näher umgebenden Anlagen, in die sogenannten Pleasure-Grounds verwiesen. Nur in sehr großen Parks, wie die von Blenheim oder Stowe, steht hier und da ein Obelisk, eine Pyramide oder ein Turm, um vom Schloß aus eine Ansicht zu gewähren.
An Wasser darf es nie fehlen. Künstliche Wasserfälle kennt man nicht Und noch weniger Springbrunnen. Fließt aber ein kleiner Fluß oder nur ein beträchtlicher Bach in der Nähe einer solchen Besitzung, so muß er, wenn auch mit großen Kosten herbeigeführt, sich in mannigfaltigen Krümmungen hindurchschlängeln. Fehlt es an lebendigem Wasser, so sucht man wenigstens einem stehenden Kanale den Schein davon zu leihen. Man gibt ihm eine leichte, natürliche Krümmung, verdeckt Anfang und Ende mit überhängendem Gebüsche, wirft schöne Brücken darüber und täuscht so das Auge, oder man verwandelt die Ufer eines Teichs in die unregelmäßigen Umgebungen eines kleinen Sees. Überall strebt man nach dem Schönen und flieht das Gesuchte, Steife, Pretiöse.
Die Staffage vollendet diese lebendige Landschaft. Hunderte von halbzahmen Hirschen und Rehen weiden beinahe ganz furchtlos auf den grünsten Wiesen der Welt; mit ihnen die schönsten Pferde, Kühe und Ziegen, besonders in der Nähe des Hauses, wo sich die Wiesen rings umher wie ein Teppich auf das herrlichste ausbreiten. Die schönen Gestalten dieser Tiere, ihre leichten freien Bewegungen, ihr Wohlsein geben dem Ganzen einen unbeschreiblichen Reiz.
Immer liegt das Wohnhaus auf einer sanften Anhöhe, alle Bäume sind aus seiner nächsten Nähe verbannt, damit Licht, Luft und Sonne kein Hindernis finden. Dennoch ist es nicht heiß in den Zimmern, teils weil es überhaupt in England nicht heiß ist, teils wegen der wenigen Fenster, die aber so verständig angebracht sind, daß jeder Teil des Gebäudes sein hinlängliches Licht hat.
Die äußere Ansicht der englischen Landhäuser ist aus unzähligen Kupferstichen bekannt genug. Selten herrscht ein ganz reiner Geschmack darin, oft sind sie mit Verzierungen überladen. Die Hauptfassade ist gewöhnlich mit Säulen geziert. Sind gleich die Verhältnisse derselben nicht immer die richtigsten, scheinen sie oft müßig dazustehen, so gewähren sie doch immer ein angenehmes, schattiges Plätzchen vor dem Hause, von welchem man recht behaglich ins Freie über den grünen Wiesenplan hinaussieht. Unter und vor diesen Säulen stehen unzählbare fremde Gesträuche und Blumen in Vasen, teils auf schönen Gestellen übereinander getürmt, teils auf den Stufen des Eingang und den Geländern zierlich geordnet. Der Luxus, den man mit diesen Pflanzen treibt, ist unglaublich. Täglich müssen die verblühten hinweggeschafft und andere an ihre Stelle gesetzt werden.
Höchst reizend ist der Anblick dieser Shrubberies. Florens Schätze werden aus allen Ländern der Welt hierher gezaubert. Doch auch über diese schönsten Kinder der Natur herrscht in England das eiserne Zepter der Mode. In der Zeit, aus welcher diese Beschreibung stammt, hatte sie gerade die Eriken oder Heidekräuter ihrer besonderen Huld gewürdigt. Man gab wohl fünfzig und mehr Guineen für so ein geruch-, oft farbenloses Kraut hin, wenn es nur aus einem recht entfernten Winkel der Erde herstammte. Große Orangerien sind in England, außer in den königlichen Gärten, selten anzutreffen.
Die innere Einrichtung der Häuser richtet sich hier, wie überall, nach dem Reichtum und Geschmack des Erbauers, des Bewohners und des Zeitalters, in welchem sie entstand. Die meisten haben große, vollkommen erleuchtete und hohe Souterrains, in welchen sich die Küche, die Gewölbe zur Bewahrung der Vorräte nebst den Bedientenzimmern befinden. Letztere sind durchaus gut möbliert, ja die der Haushälterin und des Haushofmeisters (in England Butler genannt) sogar elegant, hübsch tapeziert, mit Mahagonimöbeln und guten Fußteppichen. Auch bei den Bedienten wird die englische Sitte beobachtet, daß sie außer ihren Schlafzimmern noch Wohnzimmer und Speisezimmer haben.
Aus dem Garten tritt man gewöhnlich zuerst in eine große, hohe, öfters von oben beleuchtete Halle, die mit Gemälden oder Statuen, Basreliefs oder Vasen geziert ist. Zu beiden Seiten liegen die verschiedenen Putz- und Wohnzimmer; ein langes Zimmer enthält die Bibliothek, deren schöne Schränke und zierliche Einbände sie zu einem der elegantesten Zimmer des Schlosses machen. In vielen Häusern ist es Sitte, daß die Familie sich zum Frühstück darin versammelt. Sonst gibt es noch Frühstückszimmer, Arbeitszimmer, Musikzimmer, Gesellschaftszimmer, (Drawingrooms), Wohnzimmer (Parlours), Speisezimmer, Spielzimmer in Menge, doch selten von ausgezeichneter Größe. Überall einfache Pracht, Fußböden, Treppen und Vorplätze mit schönen Teppichen belegt.
In vielen Häusern wechselt man im Sommer die warmen Winterteppiche mit kühlen, von gemalter Wachsleinwand, welche von beträchtlicher Dicke eigens dazu fabriziert wird. Mahagoniholz sieht man meistens nur an Treppengeländern, großen Eßtischen, Bettstellen; die Möbel in den herrschaftlichen Zimmern sind von fremden köstlicheren oder kunstreich lackierten Hölzern.
Man findet es bürgerlich, unmodisch, lächerlich, die Möbel an den Wänden hinzustellen, wie es in Deutschland gebräuchlich ist; in den Wohn- und Gesellschaftszimmern stehen alle in einem großen Kreis umher, so daß noch ein beträchtlicher Raum zum Spazieren zwischen den Stühlen, Sofas, Tischen und den Wänden übrig bleibt. Die Schreibtische sowohl als die Pianofortes sind immer mitten im Zimmer, wo eben das Licht am günstigsten fällt und man nicht von der Hitze nahe am Kamin oder vom Zug nahe am Fenster leidet. Noch müssen wir der Kamine gedenken, die, künstlich in Marmor gearbeitet oder mit brillantiertem Stahl geschmückt, eine der größten Zierden der Zimmer ausmachen. Schöne Vasen und prächtige Kandelaber prangen auf ihren Gesimsen. Der zweite Stock enthält die Schlafzimmer, welche indessen den Fremden nur selten gezeigt werden. Diese, besonders die der Damen, sind ein Heiligtum, in welches kein sterbliches Auge dringen darf. Oft hörten wir Engländerinnen mit wahrem Grausen von der Sitte der Französinnen sprechen, welche gerade ihre Schlafzimmer zum Besuchszimmer vorzugsweise erwählen.
So viel von der inneren Einrichtung der englischen Villen im allgemeinen.
Kehren wir jetzt zurück zu den nächsten äußeren Umgebungen derselben.
Die Obst- und Gemüsegärten, die Treibhäuser liegen mit allen zur inneren Ökonomie gehörigen Gebäuden ganz nahe am herrschaftlichen Hause, werden aber durch mancherlei Vorkehrungen dem Auge entzogen. Diese Bezirke sind es, was der Engländer eigentlich Gärten (Gardens) nennt. Der zur Fußpromenade bestimmte Teil der Besitzung heißt Pleasure-Ground und liegt ganz nahe am Hause. Hier trifft man Ähnlichkeit mit den deutschen Parks: Gänge, die sich bald durch dichte Schatten, bald mehr im Freien hinschlängeln, Tempel, Säulen, Denkmäler, Ruheplätze und den ganzen architektonischen Reichtum der neueren Gartenkunst. Alle Gebäude sind von Stein, alle Geländer und Türen von schönem eisernen Gitterwerk. Hier blühen und grünen die vielen einheimischen Gesträuche, Bäume und Blumen neben den aus fremden Ländern herübergebrachten, die stark genug sind, den Winter im Freien zu ertragen.
Viele Pflanzen, die wir in Deutschland sorgfältig vor der Kälte schützen müssen, halten den durch Seeluft gemilderten englischen Winter aus, zum Beispiel der Laurus Tinus, da Heliotropium und der Jasmin (Jasminum officinale). Die beiden letzteren haben wir oft in einer Höhe von sechs bis acht Fuß sich an den Mauern hinziehen sehen.
Obstbäume aller art werden aus diesen Anlagen verbannt. Die verständige Weise, mit welcher alle Bäume mit Hinsicht auf Höhe, Wuchs und die dunklere oder hellere Farbe ihres Laubes geordnet sind, gibt dem Ganzen einen Zauber, den man fühlt, ohne sich ihn gleich erklären zu können. Alles ist zur schönsten befriedigenden Einheit gebracht. Das Auge wird sogar in Hinsicht der Entfernung eines Gegenstandes oft getäuscht. Die englischen Gärtner sind wahre Landschaftsmaler im Großen, ja wir möchten sie fast für die einzigen eigentlichen Künstler der Nation erklären. Jeden Vorteil, den Optik und die Regeln der Perspektive ihnen darbieten, wissen sie gar gut zu benutzen, ohne doch ins Kleinliche zu fallen. Mit den Nadelhölzern aller Art, den verschiedenen, uns zum Teil in Deutschland unbekannten, immergrünen Stauden und Sträuchern, deren einige sogar bisweilen im Dezember blühen, werden sehr schöne Effekte hervorgebracht. Gewöhnlich sieht man davon in der Nähe des Hauses eine Art Wintergarten an einem sonnigen Platz angelegt, in welchem man sich bei winterlichem Sonnenschein ergehen und, von allen Seiten durch das Grün getäuscht, in den Frühling hineinträumen kann. Solche Anstalten sind auf jener Insel notwendiger als bei uns: denn derselbe wunderliche Geist, der die Einwohner dieses Landes die nacht zum Tage umzuschaffen bewog, verwirrte auch den Lauf der Jahreszeiten. Der Winter herrscht in Hinsicht auf Kleidung und Vergnügen bis über die Mitte des Junius hinaus. Dann fängt der Frühling erst an, und so muß der Sommer und mit ihm der Aufenthalt auf dem Lande, welcher in der Regel erst im August und noch später beginnt, bis nach Weihnachten verlängert werden, damit jedem neben dem Unrecht auch sein Recht geschehe.
Der Haupteingang zum Park, ein oft sehr prächtiges Tor, hat zu beiden Seiten zwei kleine Gebäude, die Wohnung des Türhüters und seiner Familie, bei welchem sich jeder Einlaßbegehrende vermittelst einer Glocke meldet. Dieses Tor mit seinen Gebäuden, the Lodge genannt, ist eine Hauptzierde des Parks. Die beiden Pavillons sind bald im gotischen Geschmack, bald im ägyptischen; sie stellen Türme, griechische Tempel oder auch nur artige, moderne Gartenhäuschen vor, je nachdem der Geschmack des Erbauers war. Immer hat der Türhüter eine freundliche, artige Wohnung darin, mit Küche und Keller und allem, wessen er bedarf, wohl versehen, und manche angesehene Familie in Deutschland würde zufrieden sein, einen solchen Sommeraufenthalt zu besitzen.
Johanna trat die Reise nach längerem Aufenthalt in London mit ihrem Gatten am 30. Juni oder 31. Juli 1803 an
Dieser Landsitz, der erste, welchen wir besuchten, ist das Eigentum des Herzogs von Bedford, des reichsten Particuliers und zugleich des größten Ökonomen in England. Sein Bruder, der Ökonomie mit noch größerem Eifer ergeben, starb vor wenigen Jahren, sechsunddreißig Jahre alt, und hinterließ dem jetzigen Besitzer, welcher sich dem geistlichen Stande gewidmet hatte, das große Vermögen.
Woburn liegt eine Tagesreise von London entfernt. Das erste, was man uns hier zeigt, waren natürlicherweise die Wirtschaftsgebäude, vor allem die Viehställe: denn der Herzog, wie seine Vorgänger, beschäftigt sich hauptsächlich mit diesem Zweige der Landwirtschaft. Auch machen die vierbeinigen Eleven aller Art ihrem Erzieher Freude und Ehre. Sie tragen bei den in England gewöhnlichen Preisbewerbungen in Hinsicht der Größe, Schönheit und des Gedeihens gewöhnlich über alle anderen Mitbewerber den Preis davon. Dafür wird auch alles getan, um ihr Andenken nach ihrem leider fast immer gewaltsamen Tode zu verewigen. Im Schloß wimmelt es von gemalten oder in Stein gehauenen ähnlichen Bildnissen der wohlgeratensten unter ihnen. Viele davon sind sogar in Kupfer gestochen, und ihr Porträt prangt in den Londoner Kupferstichläden neben anderen berühmten Porträts von großen Gelehrten oder Ministern.
So wenig wir auch vom Landhaus verstehen mochten, so war es uns doch unmöglich, die Ordnung überall und die zweckmäßigen Einrichtungen ohne Vergnügen und Bewunderung zu sehen. Man zeigte uns viele in diesem Lande der Industrie erfundenen Maschinen, um die ländliche Arbeit zu vereinfachen, zu erleichtern und einträglicher zu machen. Zum Beispiel eine Dreschmaschine; eine andere um das Getreide abzuschälen, damit kein Mehl in den Kleien verlorengehe; noch eine, womit man in der Mühle vier Sorten Mehl mit einem Mal durchbeutelt, und noch manches andere von dieser Art.
In den Viehställen herrscht eine unglaubliche Reinlichkeit, besonders da, wo wir sie am wenigstens vermuten konnten, im Schweinestalle. Die Bewohner dieses Orts hatten aber auch ein so gesegnetes Gedeihen, waren so groß und von der Last ihres Fettes so niedergedrückt, daß sie uns völlig lebensmüde erschienen. Noch zeigte man uns verschiedene ihrer Schönheit wegen berühmte Stiere und einige indianische Kühe. Letztere haben einen geraderen Rücken und einen kleineren Kopf, übrigens sehen sie wie andere Kühe aus.
Der Park mit seinen herrlichen Wiesen und den ehrwürdigen Bäumen ist von pittoresker Schönheit. Herden zahmer Hirsche und Rehe grasten darin umher, zu achtzig Stück und mehrere zusammen, mitten unter ihnen die schönsten, größten Schafe, einige asiatische mit dicken Fettschwänzen. Die furchtlose Ruhe dieser Tiere von so verschiedenen Gattungen erfreute uns jedes Mal, so oft wir den lieblichen Anblick auch sahen; sie führte ein Bild der schönen goldenen Zeit vor die Seele.
Das an sich große Schloß zeichnet sich vor andren weder durch besondere Pracht noch große Schönheit aus. Es ist zu neu, um ehrwürdig, zu alt, um elegant zu erscheinen. Nur montags steht es Fremden offen; für uns traf es sich diesmal sehr glücklich. Wir durchliefen eine Menge Zimmer voll Gemälden, größtenteils Porträts. Sechs große wunderschöne van Dycks, ganze Gestalten in Lebensgröße, fielen uns besonders auf. Dann auch das Porträt des unglücklichen Grafen Essex, ebenfalls in Lebensgröße. Er hatte eine schlaue, höchst bedeutende Physiognomie und einen ganz roten Bart. Ihm gegenüber hängt das Porträt der Königin Elisabeth, im geschmacklosesten, übertriebensten Putz, ohne allen weiblichen Reiz. Der historischen Gemälde und Landschaften, größtenteils aus der niederländischen Schule, sind eine große Anzahl, und darunter gewiß Stücke von hohem Werte. Auch eine sehr elegante Bibliothek befindet sich im Schlosse.
Das Orangeriehaus ist einfach prächtig. Acht große Marmorsäulen tragen in der Mitte desselben eine von oben erleuchtete Kuppel und umgeben eine große, mit Basreliefs geschmückte antike Marmorvase, über die man ein ganzes Buch schreiben könnte und an der wir flüchtig vorübereilen mußten.
Zu beiden Seiten der Orangerie ist eine oben bedeckte Promenade angebracht: sie bildet einen halben Kreis und dient zum Spazierengehen bei schlechtem Wetter und im Winter. Geißblatt, Rosen, echter Jasmin, Heliotrop und viele andere ähnliche Gewächse umranken die Pfeiler und die auf ihnen ruhenden Bogen, welche die Bedachung tragen; unzählige seltene und schöne Blumen und Gewächse stehen in Vasen, der Promenade entlang.
Ganz in der Nähe ist das Reithaus, ein anderes Haus zum Ballschlagen und eine Art von Pracht-Milchkammer, mit Fenstern von gemaltem Glase. Alle zur Milcherei gehörigen Gefäße sind darin von seltenem japanischen und chinesischen Porzellan. Die eigentlichen Spaziergänge fanden wir, im Vergleich mit den übrigen, weder groß noch prächtig, aber geschmackvoll angelegt.
Landsitz des Marquis von Buckingham
Diese Gärten werden mit Recht für die schönsten und prächtigsten in England gehalten und liegen in nicht gar großer Entfernung von Woburn. Wir erreichten sie noch denselben Abend, nachdem wir nachmittags Woburn verlassen hatten, und fanden in dem dicht daneben liegenden Gasthofe sehr gute Bedienung.
Stowe's Garden enthält einen Reichtum von Tempeln, Obelisken, Säulen, Pavillons aller Art. In jedem beschränkteren Platze ist freilich weise Sparsamkeit mit solchen Verzierungen nicht genug zu empfehlen; aber hier in diesem großen Raume fällt die Anzahl der Gebäude nur auf, weil man jedes mal die glückliche Wahl bewundern muß, mit der sie angebracht sind, und zugleich den Reichtum, der die Mittel darbot, auf eine so kostbare Weise eines der natürlich schönsten Plätzchen der Erde noch zu verschönern. Unmöglich ist's, diese Gärten durch bloße Worte darzustellen, man muß sie gesehen haben, um sie sich denken zu können. Sie bilden die schönste, lieblichste Landschaft, die nur eine Dichter-Phantasie erfinden konnte. Auch wandelt man hier auf klassischem Boden. Lord Cobham, dem sie hauptsächlich ihre Verschönerung verdanken, lebte hier in der glänzendsten Zeit der englischen Literatur. Die besten Köpfe Britanniens waren seine Freunde und teilten in diesem reizenden Aufenthalte frohe Tage mit ihm.
Auch ist alles getan worden, um hier das Andenken jenes seltenen Vereins zu erhalten. In einem der Freundschaft gewidmeten Tempel stehen Cobhams und seiner Freunde Büsten in Marmor, eine Art halboffener Rotunde enthält die Büsten merkwürdiger Menschen, die zu verschiedenen Zeiten sich um das Vaterland verdient gemacht haben. König Alfred, Königin Elisabeth, Pope, Newton, Franz Drake und mehrere andere, durch Jahrhunderte voneinander getrennt, sieht man hier, wo nur das allen gemeinsame Streben gilt, in geschwisterlichem Vereine.
Eine hohe Säule, welche Lord Cobham zu erbauen anfing, ist von seinem Nachfolger Lord Temple vollendet und seinem Andenken gewidmet. Sie ist inwendig hohl und enthält eine hundertsiebzig Stufen hohe Wendeltreppe. Man genießt oben einer vortrefflichen Aussicht nach Oxford zu. Eine andere Säule steht hier zum Andenken des General Wolf; eine kleinere, mit einem Globus verziert, zu Ehren des Weltumseglers Kapitän Cook.
Noch müssen wir eines gotischen Tempels gedenken, mit Fenstern von gefärbtem Glase, durch welche die Gegend umher sich wunderbar ausnimmt. Diese Anlagen sind reich an schönen alten Bäumen, besonders Eichen und Zypressen; ein ungeheuer großer Taxusbaum zeichnet sich besonders aus. Schattige Gänge ziehen sich um einen kleinen See. Einige natürliche Wasserfälle, schöne malerische Brücken, alles ist hier vereint, was einen solchen Platz nur zu verschönern vermag.
Das Haus besteht aus einem zwei Stock hohen Hauptgebäude und zwei Flügeln von einem Stock. Unter einer von Marmorsäulen getragenen, weit vorspringenden Attika blühen die seltensten Pflanzen in Blumentöpfen. Von hier tritt man in die prächtige, durch eine Kuppel von oben erleuchtete Halle. Am Friese ist ein römischer Triumphzug in Marmor abgebildet. Marmorsäulen zieren ringsumher diese Halle; zwischen ihnen stehen marmorne Statuen.
Aus der Halle tritt man in einen kleineren, mit antiken Büsten verzierten Saal, in dessen Mitte ein schöner Apoll aufgestellt ist. Diese Statue sowohl als der größte Teil der in der Halle befindlichen, sind Antiken.
Die nicht ganz modern dekorierten Zimmer enthalten einen Reichtum an Gemälden, meist Niederländern, namentlich Rembrandts, unter anderem das eigene Porträt dieses Meisters, dessen Arbeiten in England besonders hochgeschätzt werden. Ein Kabinett voller Porträts, größtenteils aus dem merkwürdigen Kreise, den Lord Cobham hier um sich versammelte, ist sehr sehenswert. Hier findet man Pope, Swift, Steele, Addison, der ein höchst gutmütiges Gesicht hat, und viele andere; auch ein Originalporträt der unglücklichen Maria Stuart. Sie ist in wunderlicher Kleidung mit einem sehr hohen Halskragen dargestellt und erscheint weit weniger schön, als man sie sich zu denken gewohnt ist; doch mag auch wohl die nicht außerordentliche Kunst des Malers daran schuld sein.
Lady Buckingham und ihre Tochter beschäftigen sich auch mit der Malerei. Die Mutter malt in Öl, die Tochter Pastell; sie haben ein ganzes Zimmer mit ihren Arbeiten dekoriert, von denen sich übrigens nichts weiter sagen läßt, als daß es von solchen Damen doch lobenswert ist, wenn sie ihre Zeit auf diese Weise hinzubringen suchen.
Wir fuhren denselben Abend, an welchem wir uns in Stowe umgesehen hatten, nach Woodstock, einem Städtchen, das auf vielfache Weise bekannt ist. Das prächtige Schloß Blenheim, welches die Königin Anna ihrem Lieblinge, dem Herzog von Marlborough, zum Dank für seine erfochtenen Siege schenkte und nach einem der glänzendsten benannte, liegt ganz nahe daran. Auch werden hier die vorzüglichsten, in ganz England beliebten Stahlarbeiten nicht fabrikmäßig, sondern von einzelnen Arbeitern in ihren Häusern verfertigt. Wir besuchten einen der geschicktesten, um einiges von ihm zu kaufen. Wie ein Maler, der sein Lieblingsbild mit Gold weggeben muß, so betrachtete der gute Alte seine besten Scheren und Messer mit wahrem Künstlerschmerz, ehe er sie uns übergab und ermahnte uns noch beim Schneiden, sie ja gut zu bewahren und zweimal des Tages mit Wolle abzureiben: denn ihm schienen sie das Wichtigste, was uns beschäftigen könnte.
In historischer Hinsicht ist Woodstock besonders merkwürdig. Auf einer Wiese, die jetzt zum Park von Blenheim gezogen ist, stand einst ein Landhaus, in welchem die Königin Elisabeth in ihrer Jugend erzogen, ja gleichsam gefangen gehalten ward. Sie konnte damals nicht hoffen, daß ihre Ansprüche an die Krone von England einst geltend werden würden; und eben diese Ansprüche, die sie gewiß oft in jenen Zeiten bitter beweinte, waren es, die ihr Freiheit, Umgang mit Menschen und jede Jugendfreude raubten. Hier erwarb sie sich alle die Kenntnisse, die Festigkeit, Klugheit, welche sie späterhin zur weisen, glücklichen Regentin machten. Wie war es aber möglich, daß diese frühere Erfahrung des Unglücks, diese Einsamkeit, diese Bekanntschaft mit allen Guten und Großen, was weise Männer vor ihrer Zeit dachten und schrieben, sie nur klug, nicht auch gut machten? Sie, die einst auch gefangen war, wie konnte sie ihre unglückliche Schwester Leiden fühlen lassen, welche sie selbst nur zu gut aus Erfahrung kannte und sie zuletzt dem fürchterlichen Tode auf dem Blutgerüst weihen! Die Nachwelt ist gerecht. Jeder Engländer spricht noch jetzt von Elisabeth, dem Weibe, und der Name der unglücklichen Maria wird noch überall mit Liebe und Mitleid genannt. Die Fehler der Stuart sind vergessen, aber ihr Unglück und ihre Liebenswürdigkeit lebt noch in allen Herzen.
Als wir uns in Woodstock morgens früh anschickten, nach unserer Gewohnheit vor's erste den Park zu durchwandern, sahen wir mit Erstaunen, daß ein himmelhoher Phaeton, mit zweien ziemlich unbändig scheinenden Schimmeln bespannt, unser vor der Tür des Gasthofes harrte. Die Wirtin versicherte uns mit der in solchen Fällen gebräuchlichen Eloquenz, es wäre geradezu unmöglich den Park zu Fuße zu sehen. Wir fügten uns also ihrer Einrichtung, bestiegen das so gefährlich aussehende Fuhrwerk und hatten alle Ursache, mit diesem Entschlusse zufrieden zu sein. Der Park ist so groß, daß kaum anderthalb Stunden zu der Fahrt hinreichten. Die Schimmel waren weniger unbändig, als sie zuerst schienen, und die große Höhe des jetzt aus der Mode gekommenen ganz unbedeckten Fuhrwerks erleichterte gar sehr das Umsehen nach allen Seiten und den Genuss der verschiedenen sich darbietenden Aussichten.
Übrigens wird Blenheim auf eine noch umständlichere und dadurch auch kostspieligere Weise gezeigt, als es bei anderen Landsitzen gebräuchlich ist. Der Geist der stolzen Frau ihrer Zeit, der Lady Sarah, Marlboroughs Gemahlin, scheint noch jetzt auf die in ihrem ehemaligen Wohnsitze übliche Etikette Einfluß zu haben.
Ein großes, prächtiges Tor mit zwei Nebengebäuden, die Wohnung des Türwärters, dient dem Park zum Haupteingange; eine Inschrift auf einer darüber angebrachten Marmorplatte belehrte uns, daß Lady Sarah diese Art von Triumphbogen ihrem verstorbenen Gemahl zu Ehren erbaute. Der Türhüter empfing uns mit einer wahrscheinlich für diesen Zweck ein für allemal auswendig gelernten Anrede, ging ganz ernsthaft etwa fünfzig Schritte neben dem Wagen her, dann ließ er ihn halten. "Dies ist die erste Aussicht", rief er uns zu; "da drüben sehen Sie ein Wasser mit einer schönen geraden Brücke; daneben rechts steht ein hoher Obelisk, des Herzogs taten, die Schlachten, die er schlug und gewann, sind daran zu lesen; seine Statue steht auf der Spitze des Obelisks und ist zehn Fuß hoch, so klein sie auch von hier aus erscheint." So ging es eine feine Weile; uns ward langweilig zu Mute: denn alles, was wir später in der Nähe sehen sollten, ward hier von weitem gezeigt, ohne daß man uns Zeit gelassen hätte, der wirklich mannigfaltigen und lieblichen Aussicht uns zu erfreuen. Dennoch war es unmöglich, dem Strome dieser eingeübten Rede Einhalt zu tun.
Endlich waren wir an dem Orte, wo der lästige Redner, nach der hergebrachten Regel dieses Hauses, von uns scheiden mußte. Er übergab uns einem Förster, der uns zu Pferde begleitet, legte uns noch zum Beschluß, trotz der herzöglichen Livree, die er trug, den endlichen Zweck aller seiner Redekunst, besonders an's Herz und schied, nachdem er ihn erreicht hatte. Sein Nachfolger war zum Glück weniger beredt; bescheidentlich ritt er neben uns her und sprach nur, wo es notwendig war.
Der Park ist einer der schönsten in England. Sanfte Anhöhen, liebliche Täler in freundlicher Abwechslung, bedeckt mit dem schönsten Grase, werden von vielen hundert Rehen und Damhirschen belebt. Mehrere schöne steinerne Brücken führen über einen Kanal, welchem man sehr täuschend das Ansehen eines sanft sich hinwindenden Stroms zu geben wußte. Einige zerstreut liegende Tempel und andere Gebäude, der Obelisk mit der Statue des großen Marlborough und unzählige alte herrliche Bäume gaben ihm einen unbeschreiblichen Reiz. Überall sind mannigfaltige Aussichten auf das Schloß, das Wasser, die Brücken, die Gebäude mit Auswahl und bescheiden sich verhüllter Kunst veranlaßt. Nachdem wir alles gehörig bewundert und uns auch mit dem Förster abgefunden hatten, übergab uns dieser dem Gärtner, welcher uns in den das Schloß in der Nähe umgebenden, zum Spazierengehen bestimmten Anlagen herumführte. Auch diese sind sehr reizend und lieblich, aber bei weitem nicht so prächtig als die von Stowe. Ihre zierliche Einfachheit muß zwar gefallen, doch dünkte uns, sie würde sich besser zu jenem kleineren, in prunkloserem Stil erbauten Schlosse schicken, und dagegen die mit so viel Reichtum ausgestatteten Gärten von Stowe zum Prachtpalaste von Blenheim. Eine wasserreiche, immer laufende Kaskade, ein lieblicher Weg um einen kleinen See herum und viele vorzüglich große, schöne Bäume bilden hier die schönsten Partien.
Als wir des nachmittags hingingen, das Schloss zu sehen, wurden wir am Eingange des zweiten Hofes von einer alten Frau empfangen, die wir anfangs für die Haushälterin hielten, welche uns, wie das in England gebräuchlich ist, die Zimmer zeigen sollte. Sie machte, wie alle Engländerinnen der unteren Klasse, einen kleinen wunderlichen Knicks bei jedem Worte, das wir zu ihr sprachen, und führte uns mit großer Redseligkeit bis an das Schloß. Hier nahm sie wieder mit unzähligen Knicksen Abschied und belehrte uns, ihr Amt wäre, die hohen Herrschaften (the Quality nannte sie es) mit gebührendem Respekt zu empfangen und dahin zu sehen, daß sie, wie es sich gehöre, über den Hof begleitet würden. Wir gaben ihr lachen ein paar Schilling und das Zeugnis, daß sie ihrem Amte trefflich vorstehe, und so schieden wir mit wechselseitiger Zufriedenheit voneinander.
Das Schloß ist ein durch seine Größe imponierendes Gebäude; übrigens schwer, bunt, kraus, mit einer Unzahl von Säulen, Vasen, Treppen, Geländern und Türmen verziert oder verunziert.
Die große Halle, in welche man zuerst im Schlosse tritt, ist sehr hoch, sehr groß und, wie die in Stowe, ebenfalls von oben erleuchtet. Sie hat einen schön gemalten Plafond, den marmorne Säulen unterstützen, schöne, zum Teil antike Statuen stehen ringsumher. Die übrigen Zimmer sind von altmodischer Pracht, alles solid und köstlich, wie man es an diesem Orte erwarten muß. Französische Hautelisse-Tapeten schmücken mehrere Säle, alle stellen des großen Herzogs Siege vor, sind aber leider sehr verblichen.
Die Gemäldesammlung ist sehr groß; eine Magdalena von Tizian und eine heilige Familie von Leonardo da Vinci, zwei Marattis, Bettelbuben vorstellend, einige Porträts von van Dyck sind uns bei dem schnellen Durchfliegen noch einigermaßen im Gedächtnisse geblieben; Raffaele zeigte man uns wenigstens ein halb Dutzend, von denen dieser große Meister selbst wahrscheinlich nie einen sah. Treffliche Niederländer sind hier, verschiedene Gemälde von Rubens, Bauernstuben voll Leben und Wahrheit von Ostade, Steen und anderen. Gewaltsam mußten wir uns von diesen, in engen Banden gehaltenen Schätzen wegwenden. Ein großes Gemälde von Sir Joshua Reynolds, den jetzigen Herzog und seine Familie vorstellend, hängt auch hier; aber die Nachbarschaft sowohl als das Kostüm tut ihm Schaden.
Noch ein großer, hoher, von oben erleuchteter Saal, von la Guerre mit vieler Wahrheit gemalt, dünkt uns des Erwähnens wert. Der Plafond stellt den Herzog vor, wie Zeit und Friede ihn in seinem Triumphwagen aufhalten. Die Wände sind wie eine offene Halle gemalt; rundum läuft ein Geländer, hinter welchem alle europäischen Nationen mit charakteristischer Physiognomie und Kleidung in verschiedenen Stellungen stehen. Die Figuren, etwas über Lebensgröße, übrigens von täuschender Wahrheit, ragen halb über das Geländer vor.
Die Bibliothek, ein sehr langes schmales Zimmer, soll an siebzigtausend Bände enthalten. Am Ende derselben steht die marmorne Statue der Königin Anna in völliger Staatstracht; mit dem Königsmantel, dem langen, über einen oben schmalen, unten breiten Reifrock gespannten Kleide, dem hohen Halskragen und der Krone auf dem Haupt, sieht sie wie eine große Weihnachtspuppe aus; Spitzen und Stickereien aber sind mit bewundernswürdigem Fleiße in den harten Stein gearbeitet. Auch in der Bibliothek hängen viele Porträts; der große Herzog und seine Sarah sind hier abgebildet; sie hält die herzogliche Krone recht fest und schaut keck und übermütig in die Welt hinein.
In der Schloßkapelle zeigte man uns das große Grabmal, welches Lady Sarah sich, ihrem Gemahl und ihren zwei Kindern noch bei Lebzeiten setzen ließ. Die Familie ist in Lebensgröße darauf zu sehen, nebst einem ansehnlichen Gefolge von Tugenden und Genien. Es ward in London gefertigt und sehr teuer bezahlt; das ist alles, was wir davon zu sagen wissen; weder der Gedanke noch die Ausführung zog uns an.
Des flüchtigen Sehens überdrüssig, ermüdet von dem Stehen und Gehen in den vielen großen Zimmern, eilten wir in unseren Gasthof zurück und entsagten einer Sammlung von altem echten japanischen und chinesischen Porzellan, die man uns als etwas sehr Merkwürdiges zu zeigen sich erbot.
Wir reisten jetzt auf Birmingham (heute einer der größten Industriestädte der Welt mit über 1 Million Einwohnern, hatte zur Zeit Johannas etwa 75.000) zu. Die Gegend verschönte sich mit jeder Meile, Berge wechselten mit lachenden Tälern. Wir mußten zuweilen die Räder einhemmen, weil der Weg zu steil bergab führte. Die Aussichten von der Höhe sind sehr reizend. In Birmingham selbst erklommen wir noch einen steilen Berg, der uns lebhaft an den Hradschin in Prag erinnerte, ehe wir zu dem großen eleganten Gasthofe gelangten. Dieser heißt noch immer "Zur Henne mit den Küchlein", obgleich der Wirt in unseren, immer vornehmer werdenden Zeiten sich alle Mühe gibt, ihn zu Lloyd's Hotel umzustempeln.
Birmingham ist durch seine Fabriken weit und breit berühmt, ja man könnte fast behaupten, es gäbe kein Dorf im kultivierten Europa, vielleicht kein Haus, in welchem nicht irgendein Produkt der Industrie dieser Stadt zu finden wäre, sei es auch nur ein Knopf, eine Nadel oder ein Bleistift. Die Stadt selbst ist schon durch ihre bergige Lage nicht schön; der Rauch der vielen Fabriken und Werkstätten, die hier ihr Wesen treiben, gibt ihr ein düsteres, schmutziges Ansehen. Überall hört man hämmern und pochen, alles läuft am Tage geschäftig hin und wider, niemand hat Zeit, solange die Sonne leuchtet. Dafür hallen des abends die Straßen vom Geschrei und von Gesängen derer wider, die sich den Tag über unter der schweren Last des Lebens abarbeiteten. In den wenigen Stunden, die sie dem alle Sinne lähmenden Schlafe des ermüdeten Arbeiters abstehlen können, suchen sie in Tavernen und Spielhäusern die Freude zu haschen, an die sie den Tag über nicht denken konnten.
Den Tag nach unserer Ankunft eilten wir, den merkwürdigsten Punkt dieser Gegend, Soho, das zwei Meilen von Birmingham gelegene Etablissement des Herrn Boulton (Matthew Boulton gründete mit James Watt die erst Dampfmaschinenfabrik der Welt; die Fabrikanlagen in Soho gründete er 1762), zu besuchen.
Wir finden in ganz England, vielleicht in ganz Europa keinen glänzenderen Beweis von dem, was Industrie, Fleiß und anhaltendes Streben nach einem Ziele vermögen, als diesen kleinen freundlichen Fleck. Herzlich freuten wir uns, seinen Schöpfer, den achtzigjährigen Boulton, noch in völliger Geisteslebendigkeit kennen zu lernen, obgleich sein Körper der Krankheit, dem Alter und der unermüdeten Arbeit längst unterlag. Wir fanden ihn durch Steinschmerzen völlig gelähmt; im Hause ließ er sich durch zwei rüstige Bediente herumtragen; im Freien fuhr er sich selbst in einem der kleinen bequemen Fuhrwerke, die in England zum Troste der dort so häufigen Lahmen und Gebrechlichen erfunden wurden. Alles dies hinderte ihn nicht, uns, die wir ihm durch einen seiner Freunde empfohlen waren, überall selbst hinzubegleiten. Sein dunkles Auge blitzte von Jugendfeuer, als er uns erzählte, wie er alle die vielen sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten mutig bekämpfte und glücklich überwand. Freundlich erklärte und zeigte er uns alles. Und als wir in die dortigen Anlagen traten, die er mit Hilfe einer Dampfmaschine dem unfruchtbaren Sumpfe abgewann, sprangen uns seine blühenden Enkel entgegen, spannten sich vor sein Wägelchen und fuhren den glücklichen Greis wie im Triumph davon.