Es war einmal ein König, der hieß Talisqualis, und er regierte das Land Soso und die Hauptstadt gleiches Namens Soso, und alles ging lustiger als überall.
Der gute Talisqualis war sehr vergnügt, sah gerne frohe Gesichter. Wer bei ihm zuerst lachte, lachte gut und erhielt gewiß, was er verlangte; wer aber zuletzt lachte, lachte am besten und erhielt einen Gnadengehalt. Es zogen sich daher alle lustigen Leute nach dem Lande Soso hin, und die Traurigen machten, daß sie herauskamen, denn sie mußten erstaunlich viel Geld bezahlen, wenn sie bleiben wollten, und der König hatte Leute, die überall auflauerten, und wenn ein Betrübter gefunden wurde, ward er sogleich vor den kurzweiligen Rat gebracht und mußte die Ursache seiner Betrübnis sagen. War ihm nun zu helfen, so wurde ihm geholfen, man gab ihm Geld und Gut und Ehre und Liebe, was er nur wollte. Reichte das alles nicht zu, den Betrübten zu trösten, so brachte man ihn zum Landtrost, welcher Herzwasverlangstdu hieß, konnte ihn der auch nicht muntern, so ward er von dem König zuerst und dann von dem ganzen Volke ausgelacht und aus dem Lande Soso hinausgekitzelt.
In diesem lieben Lande wäre alles glücklich und fröhlich gewesen, wenn das Weinen nicht wäre verboten gewesen. Aber so geht es: die törichten Menschen meinen immer, das schmecke am besten, was sie nicht essen sollen, und gerade, weil der König Talisqualis alle Tränen der Witwen und Waisen getrocknet hatte, und weil der stille Kummer über die Grenze war gebracht worden, und weil die süße Schwermut unter der Strafe des Totkitzelns verboten war, und weil hier Lachen gar nicht teuer war, sehnten sich allerlei unruhige Leute nach Betrübnis.
Man lud sich heimlich auf eine stille Träne, auf einen tiefen Seufzer, auf ein leises Ach, auf einen sehnsüchtigen Blick, wie anderwärts auf einen Löffel Suppe, zu Gast und teilte sich die rührendsten Geschichten aus dem Auslande mit.
Alles dieses geschah aber ganz insgeheim, und wenn irgend ein Fremder in die Stube trat, fing man laut an zu lachen, um nicht verraten zu werden. Wonach sich aber der ganze Hofstaat und die Hauptstadt sehnte, das war, einmal ein Trauerspiel zu sehen, und alles wartete nur auf eine schickliche Gelegenheit, den König Talisqualis darum zu bitten. Die Gelegenheit blieb nicht lange aus. Wir wollen sehen.
Der lustige Talisqualis hatte eine einzige Tochter, das liebste Herzkind von der Welt. Sie sollte nach ihm das Land regieren, jeden liebte sie wie sich selbst, und da alle Kinder des ganzen Landes sie über die Taufe gehoben hatten, hatten sie ihr den Namen Liebseelchen gegeben.
Als Liebseelchen in die Kirche getragen wurde, stand ein betrübter Stern am Himmel; denn ihre Mutter, die Königin XYZ, wurde auch in die Kirch getragen, aber nicht zur Taufe, sondern ins Grab; sie war gestorben. Das war nun dem guten König Talisqualis gar unangenehm, teils weil er sie sehr lieb hatte, teils weil er die Taufe seines Liebseelchens nicht mit gehöriger Freude konnte halten lassen.
Er ließ lange überlegen, wie man die Kirche austapezieren sollte, ob rot wegen der Freude über Liebseelchens Geburt, ob schwarz wegen dem Tod ihrer Mutter, und endlich entschied der kurzweilige Rat, es solle alles halb rot, halb schwarz bekleidet werden. Und das geschah an allem, von den Wänden der Kirche an bis auf die Strümpfe aller Anwesenden, deren einer schwarz, der andere rot war.
Der König hoffte, die Leute sollten dadurch an der Traurigkeit gehindert werden; aber weit gefehlt. Sie waren so froh, einmal eine Gelegenheit zur Betrübnis zu haben, wo sie sich recht ausweinen konnten, daß sie auch gar nicht zu trösten waren. Es war ein allgemeines Schluchzen, und Liebseelchens feines Stimmchen hörte man mitten durch.
Der gute lustige König Talisqualis ward über diese große Traurigkeit selbst nachdenklich und fürchtete, sein Töchterchen möge ganz aus der Art schlagen und kein lustiges Kind werden. Leider hatte er sich hierin nicht geirrt, denn Liebseelchen wuchs heran, und wer sie nur einmal hätte lachen sehen, der hätte können reich werden, denn Talisqualis hatte bekannt machen lassen, wer ihm zuerst die Nachricht bringe, daß Liebseelchen gelacht habe, der sollte von ihm das beste Trinkgeld erhalten, das es gibt. Aber Liebseelchen lachte nicht, war immer still und sanft und gern allein. O, wenn sie aber unter die Menschen kam, war sie gar sanft und freundlich, fragte immer nach den Armen und Kranken, mit denen sie alles teilte, was sie hatte.
Aber dies Vergnügen, wohlzutun und zu trösten, ward ihr nicht oft, weil die Armen und Unglücklichen in der Stadt Soso eine so große Seltenheit waren, als hier zu Land ein grüner Schimmel. Ein einziges Vergnügen hatte sie öfters, nämlich die Sterbenden zu trösten; denn der König hatte entdeckt, daß die Kranken und Sterbenden ruhig und ergeben wurden, wenn Liebseelchen auf ihrem Bette saß und sie freundlich ansah, und da ihm die Freude der Menschen bis in den Tod gar lieb war, so erlaubte er, daß Liebseelchen sie besuchen durfte.
Das gute, sanfte Mägdlein ward darum, so oft man darum bat, in einer Sänfte in solche Trauerhäuser getragen, und da setzte sie sich den Leidenden zu Füßen und sah ihnen so fromm und freundlich in die Augen, daß sie entweder bald wieder gesund wurden, oder mit lächelnder Ergebung ihre Seele dem lieben Gott zurückgaben, von dem sie dieselbe empfangen hatten.
Anfangs war es in der Stadt Soso nur ein Werk der Barmherzigkeit, wenn der König es erlaubte, daß Liebseelchen einem Leidenden eine solche Wohltat erweisen durfte, und es geschah meistens bei ärmern frommen Leuten, wenn sie selbst darum bat. Bald aber ward es eine hohe Gnade, und alle vornehmen Leute ließen in Bittschriften darum ansuchen; ja es wurde zuletzt gar eine solche Mode daraus, daß manche Leute sich krank stellten, um nur von Liebseelchen besucht zu werden.
Es lebte in der Stadt Soso eine sehr wunderliche alte Person. Sie hatte sich den Leib mit einer engen Jacke, in der eiserne Stangen waren, so eng zusammengepreßt, trug einen so breiten Reifrock, daß sie aussah, wie eine Schreibfeder im Tintenfaß. Schuhe hatte sie an mit so hohen Absätzen, daß sie wie auf Stelzen ging; auf dem Kopf hatte sie eine Perücke von Ziegenhaaren, hoch wie ein Spitzberg, und obendrauf eine Haube, welche ein großes Kriegsschiff mit vollen Segeln vorstellte.
Sie hielt es für unschicklich, wenn man seine Muttersprache sprach, und glaubte, nichts wäre trauriger, als daß die Menschen durch den Mund und nicht durch die Nase redeten, hatte es auch durch lange Übung soweit gebracht, daß sie, ohne den Mund zu bewegen, durch ihre lange spitze Nase sehr lange Komplimente und besonders deutlich dir das Wort Pfui doch! aussprechen konnte, welches aber immer lautete wie fi donc.
Diese gute wunderliche Person nannte sich Mamsell Cephise la Marquise de Pimpernelle und beschäftigte sich damit, junge Mädchen zu erziehen; auch hatte sie eine ganze Herde kleiner Mopshunde, welchen sie die Ohren und die Nase platt drückte, und sie nachher um teures Geld verkaufte, denn sie meinte, der Unterschied zwischen Menschen und Tieren bestehe darin, daß die Menschen durch die Nase sprechen sollten, die Tiere aber durch das Maul.
Als der lustige König Talisqualis sie einmal gesehen und gesprochen hatte, war sie ihm so lächerlich vorgekommen, daß er sie für die lustigste Person der ganzen Stadt erklärte und versicherte, man könnte seine Töchter nicht lustiger erziehen lassen als bei ihr; deswegen ward es allgemein Sitte von vornehmen Leuten, ihre Töchter zu Mamsell Cephise la Marquise de Pimpernelle in die Schule zu schicken, und manche Kinder hatte sie ganz und gar im Hause.
Einmal war ihr eine von ihren Schülerinnen krank geworden, und sie begab sich mit zwei Mopshündchen auf dem Arm zum König Talisqualis, tat einen Fußfall vor seinem Thron, und die zwei Hündchen saßen ihr zur Seite auf den Hinterpfoten und machten mit den Vorderpfoten bitte bitte, wozu sie mit den Zähnen bläckten und alle Augenblicke niesten, da denn die kniende Pimpernelle ihre lange Rede an den König unterbrach und zu ihnen sprach: "Benies!" Der König kam gar nicht aus dem Lachen heraus und sagte zu seinem kurzweiligen Rat: "Das ist eine unschätzbare Person! Was will sie? Es soll ihr alles zugestanden sein." Da antwortete der Rat: "Ihro Majestät, sie wünscht, daß Prinzessin Liebseelchen eine ihrer kranken Schülerinnen besuchen möge." Sogleich erlaubte es der König, und es ward der Prinzessin angesagt, daß sie sich bereithalten möge, eine Kranke zu trösten, worauf die Mamsell Pimpernelle nach vielen närrischen Bücklingen abspazierte.
Liebseelchen zog geschwind ihr zimtbraunes Röckchen an, wickelte sich in ihr schwarzes Mäntelchen und hüllte den Kopf in einen schwarzen Schleier und wurde so nach dem Hause der Pimpernelle in einer Sänfte getragen, und wo sie durch die Straßen vorüberkam, schlössen sich alle Mägdlein aus der Stadt Soso ihrem Gefolge an, um ihr Liebe und Ehre zu beweisen.
An der Haustüre empfing sie die Pimpernelle, umgeben von all ihren Hündchen, an der Spitze ihrer Schülerinnen, welche eine französische Arie sangen und sich nach dem Takte verneigten, so oft die Pimpernelle mit dem Fächer winkte, wie ein Regiments-Trommelschläger mit seinem Kommandostab. Die kleinen Mädchen waren alle eingeschnürt wie ein Bund Schreibfedern und gerade wie Strickstöcke; sie machten spitze Mäulchen, waren hoch frisiert und schienen mit ihren blassen Gesichtern eben nicht sehr vergnügt zu sein.
Liebseelchen sah sie alle mit großer Liebe an, und da ihr der Gesang zu lange wurde, stieg sie aus der Sänfte und wollte die guten Kinder der Reihe nach umarmen; aber die Pimpernelle winkte ihnen immer mit dem Fächer zurück und sprach immer: "Respekt! Respekt!" so daß sie eine Treppenstufe nach der andern hinauf zurückwichen, und auf jeder wollte die Pimpernelle ihre französische Rede wieder anfangen; aber Liebseelchen unterbrach sie immer wieder, indem sie eine von den armen Puppen umarmen wollte, und endlich riß ihr die Geduld, und sie schritt durch alle hindurch die Treppe hinauf. Da geriet alles in die größte Unordnung. Die Pimpernelle hatte keinen Raum mit ihrem Reifrock, sie stieß die Kinder hin und her und schlug ihnen mit dem Fächer auf die Nase, dazu fingen alle die Hündchen zu bellen an, und das Gefolge der Prinzessin lachte vor der Türe. Es war eine gewaltige Verwirrung.
Liebseelchen drang endlich mit der Pimpernelle zugleich in die Krankenstube; hier wollte die Mamsell wieder eine Rede anfangen; Liebseelchen aber schritt gerade auf das Bett der Kranken zu und setzte sich wie gewöhnlich zu ihren Füßen.
Welch ein Jammer überfiel Liebseelchen! Die Kranke, ein schönes, blasses Fräulein, lag kerzengerade, eingeschnürt und frisiert wie ein Haubenstock, die eine Hand rechts, die andere links auf der seidenen Bettdecke; sie bewegte sich nicht; sie sprach kein Wort; Liebseelchen sah ihr mit ihren lieben, mitleidigen Augen bis ins innerste Herz.
Die Pimpernelle trat zu ihr und sagte: "Enfin, eh bien, comment, quelle mine, parlez, eh bien, étourdie, imbecile!" und zerrte an ihr, welches auf deutsch heißt: Wohl an! wie! welche Miene! rede! nun! Ungeschickte! Einfältige! Mit diesen Worten wollte sie die arme Kranke zum Reden zwingen, und das gute Kind wollte auch gehorsamen, aber es konnte nicht und sah immer Liebseelchen an, welche auch gar nicht mehr auf die Pimpernelle hörte und die arme Kranke so innig ansah, daß ihr die Tränen aus den Augen stürzten.
Als die Pimpernelle dies sah, ward sie sehr böse und wollte eben auf die Kranke zufahren und ihr ihr unschickliches Betragen verweisen; aber Liebseelchen stand auf und sagte zu ihr: "Mamsell Pimpernelle, setzen Sie meine Geduld nicht länger auf die Probe; ich bin die Tochter und Erbin Ihres Königs; mein Beruf ist, die Leidenden zu trösten; ich befehle Ihnen, nicht mich länger zu stören; lassen Sie uns allein." Mamsell Pimpernelle machte ein sehr wunderliches Gesicht und wollte allerlei Entschuldigungen vorbringen, aber Liebseelchen, welche nie ihre Sanftmut verlor, drängte sie freundlich zur Türe hinaus, und da ihr ihre Hündchen nicht gleich folgen wollten, lockte sie diese mit Zuckerbrot zu sich und trug sie der Mamsell Pimpernelle nach, worauf sie die Türe verschloß und zu der armen Kranken zurückeilte, welche ihr den herzlichsten Dank mit einem zärtlichen Lächeln bezeugte.
"O, du arme liebe Freundin", sagte Liebseelchen zu der Kranken, "sage mir, wie heißest du und was leidest du?" Die Kranke aber konnte sich nicht rühren und flüsterte nur leise: "Ach, ich heiße Schnürlieschen und muß sterben!" Liebseelchen kam durch den Namen Schnürlieschen auf den Gedanken, das arme Mädchen möge wohl zu enge eingeschnürt sein, und eilte nun gleich, ihr zu helfen. O du mein Jammer! was war das arme Schnürlieschen eingepanzert; ja sie hatte sogar unter der Halskrause ein eisernes Halsband, daß sie sich nicht rühren und regen konnte. Liebseelchen schnitt ihr alle Nesteln durch, und als Schnürlieschen sich wieder frei fühlte, tat sie einen tiefen Atemzug und umarmte Liebseelchen unter einem Strom von Tränen.
"Ach", sagte sie leise, "geliebte Prinzessin, was dank ich dir! Seit zehn Jahren habe ich keinen freien Atemzug getan und nicht durch den Mund gesprochen, immer sollte ich durch die Nase reden. Ach, seit zehn Jahren habe ich mich nicht bücken können, eine Blume zu brechen, wegen dem eisernen Käfig, in dem mein Leib gepanzert war. Ach, nun kann ich doch ruhig sterben und dabei dein liebes Angesicht ansehen!"
"Halte dich ruhig, liebes Schnürlieschen!" sagte Liebseelchen. "Ich will hier zu deinen Füßen sitzen, und wenn es dir wohltut, in mein Gesicht zu sehen, so tue es nur; ich will dich so freundlich anschauen, als ich nur immer kann. Du tust mir sehr leid, ich habe dich am liebsten von allen Jungfrauen, die ich jemals gesehen. Wenn es dir nicht beschwerlich fällt, so erzähle mir ganz leise, wer deine Eltern sind, und wie du hieher gekommen bist."
Nach diesen Worten setzte sich Liebseelchen zu Füßen des armen Schnürlieschen auf das Bett, faltete die Hände, als ob sie für sie bete, und Schnürlieschen schaute nach ihr hin, wie eine Blume, die einschlafen will, nach der untergehenden Sonne, und sagte mit leiser Stimme folgende Reime:
So weit hatte das arme todkranke Schnürlieschen mit leiser Stimme seinen Lebenslauf und seine schwere Strafe erzählt, welche es für seine Grausamkeit an dem Kräutlein Pimpernelle erlitten hatte, als auf einmal durch eine Hintertüre, welche Liebseelchen gar nicht bemerkt hatte, die alte Mamsell Pimpernell teils mit einem großen Kaffeebrett voll Kannen und Tassen, teils mit einem heftigen Zorn, das Schnürlieschen ganz bequem ohne Schnürbrust und Halsband daliegen zu sehen, hereintrat. Sie wußte nicht, ob sie zuerst der Prinzessin das Frühstück anbieten oder Schnürlieschen zuerst anfahren sollte, und kam darüber in eine solche Verwirrung, daß sie den Präsentierteller mit allem Geschirr unter großem Geklirr an den Boden fallen ließ, worüber das kranke Schnürlieschen so erschrak, daß sein schwaches Lebensfädchen entzweiriß.
Sie streckte ihre dünnen Fingerchen nach Liebseelchen aus und sprach: "Dank, herzlichen Dank! ich muß sterben. Mein letzter Wille ist, daß du, gutes Liebseelchen! nichts von allem, was ich dir gesagt, bekannt machest und der armen Mamsell Pimpernelle verzeihst, wie ich ihr auch von Herzen verzeihe, denn sie hat es gut mit mir gemeint, und ich habe es wohl noch schlimmer verdient, lebe wohl!" Da sah sie nochmal in die tränenvollen Augen Liebseelchens und schloß die ihrigen auf immer.
Liebseelchen saß ganz still da und weinte und dachte: "Ach, wie gut war das arme Schnürlieschen, und wie geduldig hat es für seinen Jugendfehler gebüßt, und wie menschenfreundlich ist es gestorben!" So dachte Liebseelchen und sah in das bleiche, müde Schlummergesicht des gestorbenen Schnürlieschens.
Mamsell Pimpernelle hatte sich indessen wieder aufgerafft und stürzte zwischen den zwei stillen Jungfrauen mit Entschuldigungen und Beschuldigungen hin und her wie eine Woge zwischen zwei ruhigen Felsen, und beide hörten sie nicht. Denn was kümmerte sich Schnürlieschen um ihr Zanken, daß sie ohne Schnürbrust daliege, hatte sie doch die engste Schnürbrust des menschlichen Leibes ausgezogen und bei der andern Schnürbrust liegen lassen, und breitete ihre gute geprüfte Seele doch schon Minuten lang ihre Flügel in einer schönern Welt aus, hinschwebend über ewig blühende Wiesen, wo keine Mamsell Pimpernelle sie zerquälte, wo ihre liebe Mutter und ihr guter Vater sie ans Herz drückten; denn auch dieser war aus Kummer über ihre Entführung gestorben. Auch Liebseelchen hörte nicht auf Mamsell Pimpernell; denn sie betete mit stillen Tränen für das gute Schnürlieschen und dachte: "Ach Gott! wie blind und verdreht können doch die armen Menschen einander das Leben verbittern und verkrüppeln! Ach, was würden doch für Affen und endlich noch für niedrigere Tiere aus den Menschen werden, wenn sich Gott ihrer nicht erbarmte und die Mittel, welche sie anwenden, sich zu verderben, gerade zu ihrer Besserung wendete! Da hat nun die Mamsell Pimpernell aus dem guten Schnürlieschen eine recht verdrehte Zierpuppe machen wollen, und gerade dadurch ist sie ein recht liebes, geduldiges Lämmchen geworden, das sich jetzt recht wohl bei andern Lämmern im Himmel befinden mag."
Nach diesen Gedanken wurde Liebseelchen von Mamsell Pimpernell gestört, welche mit aller Gewalt die Verstorbene wieder einschnüren wollte und ihr die heftigsten Vorwürfe machte, daß sie sich aus Eigensinn nicht rühre und rege. Liebseelchen konnte es nicht länger mit ansehen und sprach zu Mamsell Pimpernell, indem sie dieselbe sanft zurückzog: "Schnürlieschen hat ausgelitten; hören Sie auf, Ihre Reden an die Überreste eines armen Kindes zu verlieren, dessen Seele bereits außer dem Umfange aller Schnürleiber und Halsbänder ist. Ich habe ihren letzten Willen empfangen und werde für ihre Beerdigung sorgen. Ich kenne das unglückliche Schicksal des armen Schnürlieschens in seinem ganzen Umfang. Sie hat Ihnen von Herzen verziehen, und nach ihrem ausgesprochenen letzten Willen rede ich keine Silbe von allem, was Ihnen, Mamsell Pimpernell, sehr übel bekommen könnte, wenn es bekannt würde."
Mamsell Pimpernell fühlte sich von diesen Worten Liebseelchens so angegriffen, daß sie in Ohnmacht sank. Liebseelchen bekümmerte sich nicht um sie, rief aber ihrem Gefolge und befahl ihnen, das Bett, worauf Schnürlieschen lag, welche sie mit ihrem Schleier bedeckt hatte, nach dem Schlosse zu tragen, und allen andern Jungfrauen und Mägdlein, welche bei Mamsell Pimpernelle erzogen wurden, befahl sie, paarweise dem Zuge nachzufolgen.
Alles eilte, den Willen der geliebten Prinzessin zu vollbringen, und vorzüglich die Zöglinge der Mamsell Pimpernelle, welchen dieses außerordentliche Ereignis eine große Freude machte. Sie hatten ihre Staatskleider wegen des Empfanges Liebseelchens noch an und waren daher sogleich bereit, ihr zu folgen, und da sie fröhlich durcheinanderplapperten, als sie die Botschaft erhalten hatten, und einander fragten, durch welche Straße der Zug wohl gehen und wer von ihnen an dem Hause seiner Eltern oder Freunde vorüberkommen würde, sagte Liebseelchen, die an ihnen vorüberging, indem sie dem Schnürlieschen folgte, das auf seinem Lager die Treppe hinabgetragen wurde: "Meine Kinder, wer hat Schnürlieschen am liebsten gehabt?" Da sagten alle: "Ich, ich, ich!" Da erwiderte Liebseelchen: "Das wollen wir alles untersuchen; jetzt aber stellt euch nach der Größe, um ihr nach dem Schlosse zu folgen."
Da gab es wieder eine große Verwirrung, denn eine klagte über die andere, sie habe höhere Absätze oder einen höheren Aufsatz. Einige aber standen ganz still im Hintergrund. Liebseelchen winkte ihnen, vorzutreten, und ordnete die andern paarweise, wie es ihr gutdünkte, und fragte sie, ob sie nicht ein schönes, frommes Lied singen könnten. Sie konnten aber keine anderen Lieder als französische: Malbrough s'en va-t-en guerre, miron ton ton tonton taire, oder Je ne saurais danser, ma pantoufle est trop étroite, welches auf deutsch heißt: "Ich werde nicht tanzen können, mein Pantoffel ist zu eng" u. dgl. Da sagte Liebseelchen: "Hat denn Schnürlieschen kein Lieblingslied gehabt?"
"O ja", erwiderten mehrere, "und wir können es alle, aber wir durften es nicht singen."
Das Märchen von den Märchen oder Liebseelchen
Das Märchen von dem Myrtenfräulein
Das Märchen von dem Witzenspitzel
Das Märchen von Rosenblättchen
Das Märchen von dem Baron von Hüpfenstich
Das Märchen von dem Dilldapp oder Kinder und Toren haben das Glück bei den Ohren
Das Märchen von Fanferlieschen Schönefüßchen
Das Märchen von dem Schulmeister Klopfstock und seinen fünf Söhnen
Das Märchen von Gockel und Hinkel
Das Märchen von Komanditchen
Das Märchen von Schnürlieschen
Es war einmal ein König von Schattenthalien, der hatte eine einzige Tochter, die er sehr liebte und darum Liebseelchen nannte. Aber leider war sie unter einem traurigen Stern geboren und stets so still und traurig und nie zum Lachen zu bringen, daß alle, die sie kannten, sie, statt Liebseelchen, Trübseelchen nannten, weil sie immer so trübselig aussah. Hierüber war nun ihr königlicher Herr Vater, der lieber gewollt hätte, sie möge sich bucklich lachen, sehr unwillig und wendete alles an, um sie aufzuheitern.
Bald ließ er die Hoftrompeter auf Sechspfennigstrompeten zur Tafel blasen; aber sie lachte nicht und fand die Musik sehr ernsthaft; bald ließ er allen Gänsen, die der Hirt zum Tore hinaustrieb, papierne Haarbeutel anhängen; aber sie lachte nicht und fand den Zug sehr anständig; bald ließ er eine Menge Hunde wie die bekanntesten Hofherrn ankleiden, und sie mußten ihm durch die Beine tanzen, wozu er auf der Geige spielte, ohne daß er es konnte; aber sie lachte nicht und meinte, der Hofball wäre recht angenehm, weil man sie nicht auffordere und noch tausend andere solche Späßchen hatte er umsonst versucht; sie blieb immer, ohne eine Miene zu verziehen, so ernsthaft wie ein Arzneiglas, und der König hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, sie jemals lachen zu sehen, als ihm noch ein Gedanke einfiel, der ihm selbst so possierlich vorkam, daß er laut zu lachen anfing. "Wohl an!" sagte er, "will Liebseelchen nicht drüber lachen, so will ich mir doch einmal eine lustige Stunde geben; denn ich armer König bin vor lauter vergeblichem Spaßmachen selbst ganz betrübt geworden."
Der Platz vor dem Schlosse war von spiegelglatt geschliffenem Marmor. In der Mitte dieses Platzes ließ er einen Springbrunnen von Öl machen, der sich über den Platz ergoß und denselben noch schlüpfriger machte, so daß es nicht leicht möglich war, über den Platz zu gehen, ohne zu fallen. Es war am Neujahrstag, als er diesen Spaß anstellen wollte, weil er wußte, daß dann auf diesem Platze eine außerordentliche Menge geputzter und gezierter Leute in allerlei närrischen neuen Modekleidern herumspazieren pflegten, um sich einander das neue Jahr abzugewinnen. Er versprach sich tausend Spaß, wenn er dachte, wie die Putznarren und -närrinnen gleich Grillen und Heuschrecken auf dem Platze herumspringen würden, um sich keine Ölflecken in ihre Neujahrsröcke zu machen, und wie sie endlich doch zur Strafe ihrer Eitelkeit an die Erde fallen müßten.
Als der Morgen herankam und das Neujahr schon mit Glockengeläut, Pauken und Trompeten in der Stadt angekündigt war, kam die Prinzessin Liebseelchen zu ihrem Vater an das Bett, küßte ihm die Hand und sprach so ernsthaft als ein Puthahn: "Ich wünsche Eurer Majestät ein glückseliges neues Jahr, und daß Sie noch viele untertänigste Jahre in Allerhöchstem Wohlsein zu verleben geruhen mögen." Der König umarmte seine Tochter und sprach: "Gleichfalls, liebstes Liebseelchen! aber, wenn du mich nicht vor der Zeit unter die Erde bringen willst, so tue mir die Liebe an und lache einmal von Herzensgrund." Das war aber fehlgegriffen; denn Liebseelchen fing an zu weinen und sagte: "Wie soll ich lachen, wenn Eure Majestät vom Sterben reden?" Da sprang der König aus dem Bett, setzte geschwind seine Krone auf, nahm seinen Szepter in die Hand und wollte mit den Worten: "Ei! das müßte doch der Kuckuck sein, wenn ich dich nicht sollte zum Lachen bringen!" im Schlafrock, wie er war, mit der Prinzessin hinaus auf den Balkon treten. Liebseelchen aber sagte: "Herr Vater! vergessen Sie nicht, Ihren Mantel anzulegen." Zornig legte er seinen goldenen Mantel an; denn er dachte für sich: daß ich so im Schlafrock und ohne Perücke, die Krone auf der Nachtmütze tragend, hinaus vor das Volk treten wollte, darüber hätte sie eigentlich schon ordentlich lachen können; aber es ist nichts mit ihr anzufangen.
Da er nun ganz königlich angekleidet war, setzte er sich mit ihr auf den Balkon, um zu sehen, wie die Leute sich auf dem Ölplatze betragen würden. Zuerst kamen die Bauern, um dem Könige Glück zu wünschen. Da sie aber teils barfuß gingen, teils tüchtige, mit Nägel beschlagene Stiefel anhatten, so gingen sie recht fest auf dem glatten Boden, und die, welche Stiefel anhatten, patschten mit Vergnügen in dem Öl herum, weil ihnen das ihr Lederwerk dauerhaft und geschmeidig machte. Viele, die mit Holzschuhen kamen, zogen diese aus und nahmen sie mit Öl gefüllt nach Hause und bedankten sich noch recht schön bei Ihro Majestät.
Aber als später allerlei geputzte und gezierte Stadtleute kamen, gab es mancherlei für den König zu lachen, wenn sie, um sich nicht zu beschmutzen, auf den Fußspitzen einherhüpften und bei dem ersten Bückling, den sie machten, ausglitten und übereinander herfielen; aber auch bei den lächerlichsten Zufällen lachte die Prinzessin Liebseelchen nicht, sondern bedauerte immer nur die armen Leute, mit welchen der König einen so unschicklichen Spaß trieb, worüber dieser sehr ergrimmt den Balkon verließ und ihr sagte, sie sei ein recht widerwärtiger Sauertopf.
Liebseelchen aber blieb allein auf dem Balkon sitzen und fiel in eine tiefe Traurigkeit über den Unwillen ihres Vaters, denn sie konnte gar nicht begreifen, wie es nur möglich sei, über etwas zu lachen, wodurch andere Leute in Schaden oder Spott kämen. Indem sie so über den Ölplatz hinsah, von welchem sich die Neujahrsgratulanten, auf allerlei Art verunglückt, beinahe schon alle zurückgezogen hatten, kam auf einmal eine sehr kuriose Figur anspaziert, die ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog: nämlich eine sehr alte französische Mademoiselle, welche in der Residenz der Schrecken aller Kinder war, die bei ihr in die Schule gingen, und die der armen Prinzessin mit ihren verdrehten und verzwickten Sitten und ihren vielen Regeln des guten Betragens und feinen Akzentes, die sie durch ihre spitze Nase hervortrompetete, auch manche qualvolle Stunde gemacht hatte, da sie früher Unterricht bei ihr hatte.
Diese französische Närrin ließ sich von zwei ebenso lächerlichen französischen Tanzmeistern auf einem vergoldeten Tragstuhl gegen das Schloß hintragen. Sie war nach der lächerlichsten neuen Mode gekleidet und eingeschnürt wie eine Spindel, dazu geschminkt rot und weiß und blau wie eine französische Nationalkokarde; schnitt Gesichter rechts und links, und drehte sich wie ein Ohrwurm, der in den Honigtopf gefallen. Die beiden Tanzmeister machten die lächerlichsten Sprünge mit ihr durch das Öl, aber sie fielen nicht; denn wenn sie auch ein wenig stolperten, so machten sie gleich einen Entrechat hinterdrein, daß es immer aussah, als wäre es lauter Kunst.
Da diese lächerliche Gesellschaft mitten auf dem Platze angekommen war, wendete sich die alte Hexe, denn das war sie, gegen die Prinzessin und begann einen langen französischen Neujahrswunsch mit den affektiertesten Stellungen von dem Tragstuhl herab zu deklamieren, wo immer das erste Wort "amour", das zweite "plaisir", das dritte "le cœur", das vierte "souvenir", das fünfte "bonheur", das sechste "douceur" war, und als sie recht in die Furie der Begeisterung kam, trat die alte Zieräffin auf den Sitz des Tragstuhls und machte eine Stellung, als ob sie fliegen wollte, und sagte:
Aber perdauz! da flog sie vom Tragstuhl herunter in das Ölbad, und die beiden Herrn Tanzmeister fielen mit über den Haufen, und es war, als ob der Prinzessin alle Schnürbänder zerplatzten; denn "hi, hi, hi" und "ha, ha, ha" fing sie so entsetzlich an zu lachen, daß sie sich den Leib mit beiden Händen halten mußte, und "hi, hi, hi" und "ha, ha, ha" ging es immer fort: dazu bliesen hundert Trompeter und wirbelten fünfzig Pauker und wurden hundert Kanonenschüsse gelöst und mit allen Glocken geläutet; denn der König hatte alles dies vorausbestellt, wenn die Prinzessin lachen sollte; und da er hinter einem Fensterladen zugesehen, hatte er gleich bei dem Gelächter Liebseelchens eine Pistole zum Fenster hinaus losgeschossen, welches das Zeichen war, daß die Festivitäten losgehen sollten.
Indessen waren viele Menschen herzugelaufen und lachten auch über die Strafe, welche die unvernünftige Mademoiselle Pimpernelle erlebt hatte. Die hatte sich endlich ohne alle Grazie, so beschmiert sie war, aufgemacht, und vor Zorn glühend machte sie zwei Fäuste gegen die lachende Liebseelchen und schrie:
Und als sie diese Worte in heftigem Zorne ausgesprochen, fing sie an, an allen Orten wie ein Feuerwerk zu brennen; die zwei Tanzmeister drehten sich auch wie Feuerräder; sie knisterten und knasterten, und mit Zisch und Zasch und Rakedakdakdak fuhr die ganze Gesellschaft wie Raketen in die Luft und verschwand über der Stadt mit einem Pech- und Schwefelgeruch. Eine alte Schnürbrust, eine Perücke und ein paar Fischbeine fielen an die Erde; sonst sah man nichts mehr.
Der König begab sich nun voller Freuden zu Liebseelchen, um ihr für ihr Lachen zu danken. Er fand in ihrem Vorzimmer einen jungen Pagen. Der warf sich ihm zu Füßen und sprach: "Gnädiger König! wollt mir eine Belohnung geben, denn ich bin eigentlich schuld an dem ganzen Gelächter. Da die abscheuliche Pimpernelle so lächerlich auf dem Tragstuhl stand, reichte ich den beiden Tanzmeistern, welche den Tragstuhl hielten, eine Prise vom feinsten Schnupftabak, und weil sie mit beiden Händen die Arme des Tragstuhls hielten, mußte ich ihnen die Prise in die Nase reiben, worauf sie so heftig niesten, daß die Pimpernelle durch die Erschütterung samt ihnen über den Haufen fiel." Der König lachte hierüber nochmals von Herzen und machte ihm eine goldene Schnupftabaksdose mit seinem Gemälde in Brillanten gefaßt zum Geschenke, mit dem Befehl, daß er sie an dem Strumpfband der Pimpernelle, das man auf dem Platz gefunden, an dem Hals tragen solle. Hierauf gab er ihm noch den Auftrag, daß heute abend die ganze Stadt solle erleuchtet sein, und ging dann in die Stube der Liebseelchen.
Aber wie erstaunte der König, da er diese nichts weniger als lachend antraf; sie war vielmehr trauriger als je, und wiederholte immer den Fluch der Pimpernelle:
Der König gab sich alle Mühe, ihr dies auszureden, aber alles war vergebens, so daß er sie endlich verließ, um nähere Anstalten zu der Beleuchtung zu treffen, in der Hoffnung, sie werde vielleicht heute Nacht die Grillen verschlafen.
Die Sonne ging unter, die Nacht kam heran, und viele tausend Lampen brannten an allen Fenstern der Stadt. Alle Gassen waren voll lustiger, lachender Leute; besonders waren viele junge Fräuleins, welche die garstige Mademoiselle Zephise Marquise Pimpernelle sehr gequält hatte, voller Freude und sangen durch alle Straßen:
Und so ging der Zug nach der Wohnung der alten Zauberin. Man brach die Türen ein und warf alle ihre Perücken und Schnürbrüste und Schminktöpfe und Fischbeine und allen Lumpenkram zum Fenster hinaus, machte ein großes Feuer daraus und tanzte und sprang herum; dabei stand der lustige König und lachte so herzlich, daß er ganz seine Tochter Liebseelchen vergaß.
Während dieser allgemeinen Freude hatte Liebseelchen etwas ganz anderes vor. Der Gedanke an den Prinzen Röhropp, den sie aus dem Grab weinen sollte, hatte ihre Seele so eingenommen, daß sie keine Ruhe und keine Rast mehr hatte. Sie machte sich ein Bündel Kleider zusammen, legte alle ihre Juwelen hinein, schlich sich in den Stall, packte das Bündelchen auf ihr kleines weißes Pferdchen, setzte sich darauf und ritt hinten durch den Schloßgarten zur Stadt hinaus. Kein Mensch bemerkte sie, denn alle Dienerschaft des Schlosses lief in der Stadt herum, die Beleuchtung zu sehen.
Bald verlor sie die lärmende, flimmernde Stadt aus den Augen und ritt in einen tiefen Wald hinein, wo sie in der Dunkelheit der Nacht ihrer Trauer recht nachhängen konnte. Auf einmal kam sie mit ihrem Pferdchen an einen reißenden Bach, an welchem drei alte Mütterchen saßen. Die waren steinalt, krumm gebückt und stützten sich auf Krücken und sprachen:
Da sprach Liebseelchen zu ihnen:
Da setzte sich das eine alte Mütterchen hinter Liebseelchen, und sie trieb ihr Pferdchen ins Wasser, schwamm hinüber und setzte die Alte ans Land, schwamm wieder zurück und holte die zweite und zuletzt auch die dritte Alte glücklich hinüber. Als sie alle drüben waren, dankten sie Liebseelchen sehr, und da sie sagten, daß sie noch ein ziemlich Stückchen Wegs an den Ort ihrer Bestimmung hätten, setzte Liebseelchen sie immer abwechselnd auf ihr Pferdchen, damit sie nicht so müde würden. Unterwegs plauderten die Alten allerlei; aber Liebseelchen war immer still und dachte an den Prinzen Röhropp in den Marmorsteinen, den sie sollte aus dem Grabe herausweinen.
Auf einmal kamen sie an einen freien Platz im Wald; da schien der Mond so hell wie Silber, und in der Mitte stand ein großer Nußbaum voll Nüsse, die klinkerten und klankerten vom Winde bewegt wie goldene Glocken. "Nun", sagten die Alten, "sind wir da:
Da sprach Liebseelchen:
Und das ging prächtig. Liebseelchen stellte sich auf ihren Schimmel und schlug mit einer Krücke die Nüsse herunter; aber die Alten waren noch nicht zufrieden und sangen:
Aber Liebseelchen war unermüdet gefällig und sammelte den Alten alle Nüsse in den Sack, so daß sie endlich sehr müde ward, und da die alten Mütterchen sie seufzen hörten, sagten sie: "Genug, mein Kind! genug, du seufzest so schwer, du bist so müd."
"Ach!" sagte Liebseelchen:
"O weh! o weh!" sagten da die alten Mütterchen, "das wird viel Tränen kosten: da wirst du viel weinen müssen, armes Kind!
Da gab ihr jede eine Nuß, die knüpfte sie in ihre Schürze und stieg zu Pferd, und die Alten riefen:
Und nach diesen Worten verschwanden die Alten in der Luft, und der Schimmel flog mit Liebseelchen durch die Büsche, daß ihr die Haare sausten und die Nüsse in der Schürze klingelten.
Schon war sie über Berg und Tal gekommen, da hörte der Schimmel auf zu galoppieren und trabte.
Schon war sie durch den jungen Wald und über die Moosheide gekommen, und der Himmel war voll Sterne, und der Mond ging unter. Da hörte der Schimmel auf so stark zu traben und ging einen starken Schritt.
Schon war der Himmel weiß gegen Morgen, die Hasen gingen schon in die Kohlfelder nach ihrem Morgenbrot; Hähne krähten in der Ferne, und die Haare Liebseelchens und die Mähne ihres Schimmelchens waren naß vom Morgentau. Da ging der Schimmel einen sehr langsamen Schritt, und Liebseelchen matt und müde nickte mit dem Kopfe und schlief ein und wußte nichts mehr von sich; aber der Schimmel ging seinen leisen Schritt fort, und fraß hie und da ein bißchen Gras, das am Rande der Gartenfelder stand, durch welche bereits der Weg ging. Auf einmal stand der Schimmel still. Wasser spritzte Liebseelchen ins Gesicht; sie wachte auf, rieb sich die Augen; da sah sie, daß ihr Roß aus dem Becken eines Springbrunnens trank, dessen Strahl sie benetzt hatte. Dieser Springbrunnen stand auf einem großen freien Platz, an der einen Seite eines marmorsteinernen Grabmals, auf welchem ein geharnischter Ritter mit gefalteten Händen lag, und zur andern Seite des Grabmales sprang noch ein Springbrunnen; auf dem Grabmale aber sang eine Schwalbe ihr Morgenlied.
Das weiße Grabmal schimmerte rötlich von der Morgensonne, welche in der Ferne über den Türmen einer großen Stadt aufzog. Der Schimmel schlürfte ruhig das Wasser ein und schüttelte sich. Da kam Liebseelchen erst recht zu sich, sprang vom Sattel und sagte: "O du lieber Himmel! Das ist gewiß
Da ging die Sonne in die Höhe, und sie las auf der einen Seite des Grabmals folgende Inschrift:
Und neben dieser Inschrift hing ein großer Tränenkrug, in welchen wohl zwei Maß gingen. Liebseelchen nahm diesen Krug herab, setzte sich auf die Bank an dem einen Springbrunnen hin, nahm den Krug zwischen die Knie, hängte das Haupt über ihn nieder, und es kamen ihr so traurige Gedanken, daß ihr die Augen wie zwei Kristallquellen von Tränen überflossen. So saß sie da in bitterer Wehmut und weinte. Ihr Pferdchen graste ringsherum und kam manchmal zu trinken zu ihr an den Brunnen. Und die Sonne stieg, und das Grabmal warf einen Schatten, und der Schatten ward kleiner und verschwand; und die Sonne stand hoch oben, es war Mittag; und der Schatten fiel nach der andern Seite und ward groß und größer, es ward Abend, die Sonne sank; es ward Nacht, die Sterne kamen und der Mond; und der Morgen kam und fand Liebseelchen immer weinend.
Der zweite Tag verging und die zweite Nacht; da war das arme Liebseelchen so müde und so abgeweint, daß ihr alle Gedanken vergingen und ihr der Kopf auf den Rand des Brunnens sank. Sie schlief ein, und der Krug war erst dreiviertel voll; da kam das Pferdchen zu ihr herangelaufen und schaute sie an, und da es seine liebe Prinzessin so blaß und so verweint sah, ward es gar betrübt, und es flossen dem treuen Tier auch große Tränen aus den Augen und in das Gefäß nieder, so daß in wenig Minuten der Krug bis auf einen Finger breit voll war.