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in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2020 Jörg A. Stuckensen
Redaktionelle Mitarbeit: Christa Arnet
Illustrationen: © Järvi Kotkas
Satz, Umschlaggestaltung, Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7431-2037-2
Erkenne dich selbst!
In dieser wunderbaren, vielfältigen Welt haben alle Lebewesen, Pflanzen wie Tiere, unzählige Tricks und Täuschungsmanöver entwickelt, um die Umwelt reinzulegen. Überall in der Natur gibt es »Fakes«, die eine falsche Realität imitieren und Schwächen verbergen. Wir Menschen sind da nicht ausgenommen. Wir wollen immer möglichst vorteilhaft aussehen, wenigstens wenn wir bewusst agieren und wach sind. Nicht nur Schminke und Mode, wie Schuhe, die unsere Füße verkrüppeln, sondern auch unsere Haltung sagt an, wer wir sind. Auf »Brust raus, Bauch rein« sind Generationen gedrillt worden. Der ideale Waschbrettbauch ist das hehre Ziel heute noch, auch bei Frauen. Dabei verlieren wir den Blick für die Realität. Wir bauen eine Illusion auf, die in Wirklichkeit so nicht besteht.
Mein Ziel für Sie ist: Sie sollen lernen, sich wertefrei zu beobachten und
Ihre Schwächen selbst zu analysieren. Seien Sie auf eine ausgeglichene
Haltung bedacht, innerlich und äußerlich.
In diesem Buch dreht sich praktisch alles um ein paar wenige Übungen, welche die wesentlichen Verspannungen des Körpers mit der darauf folgenden Haltungsänderung praktisch neutralisieren. Kurz gesagt geht es um die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule. Hier liegt die wesentliche Schaltstelle, die den Oberkörper mit den Beinen verbindet.
Die Belastungsstraßen ziehen sich vom Fuß bis zum Kopf, aber die Schmerzen werden unterschiedlich in den verschiedenen Bereichen wahrgenommen.
Ein Fehler wäre es jetzt, auf den Schmerz los zu gehen und allein an dieser Stelle etwas zu verändern. Die Funktionen des Körpers sind alle miteinander verbunden, ein staatliches Schienennetz. Würden Sie sich wundern, wenn beispielsweise in Basel über längere Zeit ein Güterstau ist, dass im Tessin das eigentliche Problem liegt, weil dort der Weitertransport nach Italien Schwierigkeiten macht?
Im Mittelpunkt steht die sogenannte Overhang-Übung, eine leicht verständliche, einfache Haltung, die wenig Zeit in Anspruch nimmt. Sie ist die Grundübung bei jeder Art von Schmerz, egal wo im Körper. Denn sie ist die einzige Übung, die den Körper wieder gerade richtet und aus seiner falsch eingerasteten Spannung bringt. Ohne dieses Geraderichten verändern Sie nichts. Das haben Sie vermutlich seit Jahren im jetzigen Gesundheitssystem erfahren. War es nicht so, dass jede Therapie ein wenig Linderung und Hoffnung brachte, aber dass Sie sich mit der Zeit immer weniger bewegten und die Pein zurückkehrte?
Natürlich werden in diesem Buch auch Ihre speziellen Beschwerden an all den verschiedenen Schmerzpunkten berücksichtigt. Dazu gibt es einige spezielle Übungen, die es ebenfalls in sich haben. Sie lassen sich alle miteinander kombinieren. Sie müssen sich indessen klar sein, dass Sie hier keine Wunderwaffe finden, die alles von selbst löst. Es ist harte Arbeit. Wenn Sie es richtig machen, müssen Sie einiges in Ihrem Leben komplett anders angehen. Danach winkt Ihnen, wenn Sie früh anfangen, bis ins hohe Alter ein Leben ohne Schmerzen. Zusätzlich bekommen Sie ein geschmeidiges, lockeres Auftreten, das Ihnen nur so nebenbei so viele Glückshormone beschert, wie Sie wollen.
Zur Unterstützung wäre es wünschenswert, im Umfeld eine aufgeklärte, wache, rücksichtsvolle, lebendige Gesellschaft und vertraute Partner zu haben, die helfen können, sich selbst objektiver zu sehen, sich zu verbessern und zu verwirklichen.
Viel Glück dabei!
Bindegewebe ohne Bobs
Bindegewebe mit Bobs
Wir leben, wie im Märchen …
Wie war zu Cölln es doch vordem mit Heinzelmännchen so bequem!
Denn, war man faul, man legte sich
hin auf die Bank und pflegte sich:
Da kamen bei Nacht,
eh’ man es gedacht,
die Männlein und schwärmten
und klappten und lärmten
und rupften
und zupften
und hüpften und trabten
und putzten und schabten
und eh ein Faulpelz noch erwacht,
war all’ sein Tagewerk bereits gemacht!
Die Heinzelmännchen existieren immer noch, bei uns im Körper. Sobald etwas nicht stimmt, etwas nicht passt, die Kräfteverhältnisse sich verändern, sofort werden sie es korrigieren und reparieren. Den ganzen Tag und noch intensiver im Ruhezustand und bei Nacht. Alle lebenden Systeme besitzen diese Fähigkeit zur Reparatur. Nur, bei uns Menschen scheinen wirkliche Lebewesen zu agieren mit Intelligenz, Herz, Seele und mit einer kaum enden wollenden Fantasie, die sinnvolle Korrekturen vornehmen, im Teamwork Ausbesserungsarbeiten erledigen und völlig neue Konstrukte perfekt bauen. Wir wollen diese Wesen liebevoll Bobs nennen. Sie werden uns in diesem Buch begleiten.
Zu Beginn erst einmal eine Aufmunterung. Die gute Nachricht ist, wenn Sie Schmerzen haben, ist bei Ihnen höchstwahrscheinlich nichts kaputt und mit einer neuen Einstellung zu Ihrem Problem werden Sie einen anderen, nicht ganz selbstverständlichen Weg aus ihrem Dilemma finden. Trotzdem wird es nicht leicht sein. Wie immer sind mehrere Wege möglich. Versuchen Sie das bei Ihnen als Krankheit eingestufte Phänomen neu zu betrachten.
Es gibt ein Gesetz, das überall in der Natur in einem gleichbleibenden Takt regelmäßig vorkommt. Spannung und Entspannung, Kontraktion und Distraktion, hin und her, der ewige Ausschlag eines Pendels. Der Wechsel zwischen zwei Polen, zwischen Minus und Plus. Das Urphänomen, das aus diesen Gegensätzen lebt und ohne das es in diesem Universum gar nichts geben könnte. Ein Gesetz, dem alles unterworfen ist. Sei es hell oder dunkel, die Wellenform oder die Quanten-Körnigkeit der Materie, unser Ein- oder Ausatmen.
Nun ist es nicht selbstverständlich, wie wir es üblicherweise bei einem Pendel gewohnt sind, dass die Zeitspanne der einzelnen Phasen gleich ist.
Es ist gerade diese Spannung oder Asymmetrie,
die eine lebendige Atmosphäre erschafft.
Der Clou liegt im Ringen um die Vorherrschaft, im stetigen Einstellen auf eine neue Situation, im Schaffen einer Aura von Kampf und Ungleichheit.
Das ist unbedingt notwendig, um eine lebendige Welt zu schaffen, die sich selbstständig weiter entwickelt, ständig besser, komplexer und differenzierter wird und unter den gegebenen Bedingungen immer die beste Möglichkeit sucht. Fairness gibt es nicht. Es gilt eine komplexe Strategie zu entwickeln.
Dabei ist es häufig wichtiger, Allianzen zu knüpfen
und Partner zu finden als sich stark durchzusetzen.
Häufig sind die Vorteile klar auf einer Seite und keiner kümmert sich darum. Sicher ist eins, alle anderen Beteiligten in unserer Umgebung haben ähnliche Voraussetzungen und sind mit demselben Willen sich zu behaupten ausgestattet worden. Jeder will das Beste für sich und steht damit automatisch gegen den Rest der Welt. Ziel ist, selbst durchzukommen ohne Schaden zu erleiden und die wohlmöglich beste Position einzunehmen. Das geht nicht ohne laufende Niederlagen, aber auch nicht ohne große Siege. Es gibt kein Ziel. Keiner der Beteiligten hat irgendeine Ahnung, was die Zukunft bringt und wie es weitergehen soll. Jeder hat seine Eigenschaften und Stärken und wirft diese jeden Tag in die Waagschale. Immer wieder gibt es ganz unvorbereitet Katastrophen kosmischen Ausmaßes, die wieder völlig neue Verhältnisse schaffen, in dem alle bisherigen Regeln und Vorteile ungültig werden. Ein täglicher Kampf einer gegen alle oder zumindest einer Gruppe gegen alle anderen! Entsprechend gibt es langweilige Phasen, wo sich praktisch nichts oder nicht viel ändert und abrupte, katastrophenähnliche Situationen, die es erforderlich machen, alle Kräfte zu bündeln und sich zusammenzuschließen, um wenigstens als Art zu überleben.
Corvid-19 hat uns einen Geschmack davon gegeben, wie das in einer relativ harmlosen Art aussehen kann. Es kommt plötzlich, unerwartet und wir als Menschen müssen erkennen, dass trotz aller Arroganz unser Wissen gleich Null ist. Die geballte Kraft aller intelligenten Wissenschaftler braucht mindestens ein paar Jahre, um mit diesem »kleinen« Problem einigermaßen fertig zu werden.
Wie lange schlagen Sie sich schon mit Ihren Schmerzen herum? Wie oft haben Sie eine Lösung gesucht? War es nicht immer derselbe Lösungsansatz, der Ihnen vorgeschlagen wurde, nur irgendwie auf eine andere Art? Und hat Sie das in irgendeiner Weise weiter geführt?
Allein die Voruntersuchung zur schon klaren Diagnose haben Ihre Franchise aufgefressen. Eine Rolle mag auch die immer größer werdende Hoffnungslosigkeit spielen, Ihre Schmerzen endgültig in den Griff zu bekommen. Sie werden gezwungen zu resignieren und sich auf eine »Endlösung«, sprich Operation, langsam vorzubereiten.
Machen Sie sich bitte die Mühe, Ihr Problem von Grund auf zu verstehen. Wir sind keine Maschinen, wir sind keine Autos, die man in die Inspektion geben oder reparieren kann. Wir müssen uns selbst heilen. Es sind nicht die Ärzte und Medikamente, die das tun. Diese können nur die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Sie es leichter haben. Alle Tricks und Mittel dafür sind in unserem Körper vorhanden. Sie müssen nur richtig aktiviert und eingesetzt werden. Dafür müssen Sie auf das richtige Pferd setzen. D.h., sie müssen sich Gedanken machen und sich informieren. Diese Arbeit kann Ihnen kein System abnehmen. Für Ihre eigene Heilung brauchen Sie zudem Einsicht, Willen und ein wenig Hilfe von außen. Das Rüstzeug dafür soll Ihnen durch diese Bücher gegeben werden.
Wir sind zwar keine Dampfmaschine, aber im Prinzip funktioniert unsere Vorwärtsbewegung ähnlich. Der Dampf, der uns bei jeder Bewegung nach vorne getrieben hat, muss wieder abgelassen werden. Das bedeutet Spannung und Entspannung. Dieses Gesetz gilt auch in Ruhe oder im Stehen, da auch hier eine Stabilität nur erreicht werden kann, wenn laufend für eine Balance gesorgt wird. Das alles spielt sich in Millisekunden ab. Auch den Wachsoldaten vor dem Buckingham Palast ist es nicht möglich, den ganzen Tag ihre Position zu halten. Hier sieht man von weitem schon die Dauerspannung. Dieses einfache Stehen ist Schwerstarbeit. In einer Bewegung sollte immer ein harmonischer Ausgleich zwischen Spannung und Entspannung gefunden werden. Wenn das nicht gelingt, kommt es zu Verwerfungen und zu Schäden auf beiden Seiten.
Dieser durch Fehlbelastung immer schwieriger werdende Wechsel bleibt dann irgendwann auf einer Seite stehen, langsam, immer zögerlicher oder auch plötzlich. Wie eine alte Pendeluhr, die mit ihrem Pendel hängen geblieben ist. Einfach so. Halten Sie es jetzt für klüger, das Pendel auszuwechseln oder sollte man sich vielmehr um den Antrieb kümmern? Oder ist es besser, den Bremseffekt zu verstehen, die Ursache? Die Idee, durch Gymnastik die Beweglichkeit zu erhöhen ist naheliegend und richtig, führt aber nur in einer Anfangsphase zum Erfolg. Wir wollen versuchen, den Mechanismus zu verstehen, der jede Bewegung hemmt.
Was ist das Wesentliche? Wo liegt der Anfang? Ein Zustand, der normalerweise nur für kurze Zeit vorhanden ist.
Die Anspannung dauert einfach zu lange.
Die sinnvolle Entspannung bleibt aus.
Zudem gibt es kaum eine Ruhephase zum Ausgleich. Schon wieder ist die nächste Anspannung da. Auf die Dauer wird das betroffene Gewebe überlastet. Es ermüdet, die Spannung geht verloren. Es leiert einfach aus. So wie ein überstrapaziertes Gummiband seine Elastizität verliert. Das ist genau der Bereich auf den wir mit dem Finger zeigen, wenn wir Schmerzen haben. Meistens auf der Rückseite, am Po oder am Rücken oder in der Nähe eines Gelenks.
Der Auslöser der Verspannung ist jedoch der Gegenpol auf der Vorderseite. Um das zu verstehen, wollen wir auf die grundsätzliche Konstruktion unseres Körpers und das Prinzip unserer Einmaligkeit eingehen: Wir leben praktisch in einer Blase, die sich eigenständig und unabhängig bewegen kann und Leben nicht nur auf diesem Planeten möglich macht. Wir sind tatsächlich etwas Besonderes.
Bei all den Therapieformen herrscht noch weiterhin die Vorstellung, der Körper sei nach dem Prinzip einer römischen Brücke oder einer gotischen Kathedrale konstruiert, bei dem ein Stein auf dem anderen liegt und entsprechend die unteren Teile den Druck der darüber liegenden Konstruktionen aushalten müssen. Vor allen Dingen gilt das für die Wirbelsäule.
Den verblüffenden Fähigkeiten der Faszien, den Myofaszialen Leitbahnen, den funktionalen Verhältnissen der regionalen Muskelfächer, hat man nicht die gebührende Beachtung geschenkt. Die Muskelgesetze, ihr Verhalten und ihre Beziehung zueinander kennt man nicht oder sie werden bei jeder Überlegung außer Acht gelassen. Vor allen Dingen die von außen sichtbare Haltung und eine Fehlstellung der Gelenke wird nicht weiter kommentiert. Das Geheimnis der Faszie schlummert noch immer im Dunkeln.
Das Prinzip von »Tensegrity« (Kraftverteilung im Körper) sollte jeder moderne Mensch in der Schule lernen. Dann würde der Unsinn vom Gleitwirbel junge Menschen weniger verunsichern. Dabei arbeiten moderne Architekten jeden Tag ganz selbstverständlich mit diesen Gesetzen und wir alle bewundern mit Stolz die Leistungen bei außergewöhnlichen Brückenkonstruktionen und Gebäuden von über 800 m Höhe. Auch in Erdbebengebieten gibt es keinen anderen Weg, als nach dieser Erkenntnis zu bauen.
Unsere Fußsohlen werden nicht unter den Druck gesetzt, den Ihre Waage objektiv anzeigt (50-90 kg), sondern im Inneren des Körpers wird jeder Druck, wo immer er auch herkommen mag, möglichst gleichmäßig auf jede Zelle des Körpers verteilt, idealerweise. Die Verteilung geht über die Faszien. Diese können und müssen entsprechend trainiert werden. Stuntmänner und –frauen, aber auch Extremsportler können Stürze und Unfälle überstehen, die für Normalsterbliche tödlich sind, weil ihr Gewebe nicht so einseitig auf den Vorfall reagiert und sie schneller und besser die auftretenden Kräfte verteilen können. Sie vermeiden eine Verletzung, weil sie spontan einen Spannungsausgleich besser im Körper herstellen können. Entsprechend mutet die »Druck nach unten Theorie« der klassischen Medizin, die für die Knochen gelten soll, mittelalterlich an. Verständlich, weil sie unserer täglichen Erfahrung entspricht.
Jeder in unserer Gesellschaft hat irgendwann Schmerzen im Bewegungsapparat. Ganz nebenbei akzeptieren wir ohne großes Murren ein fast geradliniges Ansteigen der Beschwerden mit zunehmendem Alter. Die Kurve der Kosten hat traditionell jedes Jahr einen noch größeren Steigungswinkel, d.h. die Kosten nehmen zu. Aber auch das scheint uns nicht sehr zu beunruhigen.
Dieses Geld könnte wahrlich für wichtigere Probleme ausgegeben werden, und zwar für richtige Krankheiten. Wenn man versuchen würde, einfach die weichen Elemente, Muskeln und Sehnen mit ihrer Funktion, in die Betrachtung mit einzubeziehen, und nicht nur die Knochen und Gelenke betrachtet, würde man ganz anders denken müssen. Wir haben einfach nur versäumt, frühzeitig die Kontraktionen um die Gelenke herum zu lösen. Das könnte eigentlich jeder selber machen. Dann gäbe es da keine Probleme mehr. Je eher man das versteht und etwas dagegen unternimmt, umso weniger werden uns die Verspannungen belästigen und in Zukunft etwas kosten.
Das Prinzip Tensegrity schreibt vor: Baue einen Körper, in dem sich die festen Elemente nie irgendwo berühren, sondern nur mit elastischen Seilen oder ähnlichen, weichen Konstruktionen verbunden sind. In diesem Modell wechseln sich also immer starre Elemente, wie hier bei uns die Knochen, mit elastischen Elementen ab, unsere Muskel und Sehnen. Die statischen Elemente sind für den Druck zuständig, der immer von außen kommt, und die elastischen Elemente für den Zug, der als Gegendruck nach außen strebt.
So entstehen Spannung und Gegendruck,
was bedeutet, die Kräfte heben sich gegenseitig auf.
Erst einmal eine ungewöhnliche Sicht, solange wir die Schwerkraft nicht verstanden haben.
Aber es ist tatsächlich so und das macht klar, wir schweben eigentlich selbständig wie in einer Blase. Dass das praktisch wirklich auch so funktioniert, und nicht nur eine oberflächliche Behauptung ist, beweisen die Astronauten in ihrer Raumkapsel. Dieser Zustand des Schwebens sollte eigentlich unser Ideal sein. Denn wenn wir diesen aufrecht hielten, und das funktioniert im Prinzip durchaus, würden wir auch keine Probleme mit dem Bewegungsapparat haben, weil keine Spannungskräfte den Körper deformieren könnten. Auf der Erde sind wir zwar der Schwerkraft unterworfen, aber eigentlich müssten wir sie nicht registrieren und sie sollte uns auch grundsätzlich gar keine Probleme bereiten. Wir alle haben diesen Zustand eine kurze Zeit in unserem Leben durchlebt und kennen gelernt, und zwar zwischen dem 4.-8. Lebensjahr. Daran sich zu erinnern ist ein Trick, wie man seine eigene ideale Position in der Haltung wieder verbessern kann.
Beweglichkeit ist also nicht nur ein körperliches Phänomen,
das mit Muskeln zu tun hat, sondern entscheidend ist unsere eigene
Vorstellung von uns selbst. Der Kopf muss sich zuerst verändern.
Ohne das wird sich der Körper nur schwer umformen.
Wie wir oben schon gesehen haben, ist das Hauptproblem in der heutigen klassischen Medizin das Beurteilen der Wirbelsäule. Auch hier muss natürlich das Prinzip Tensegrity angewendet werden.
Leichter ist das zu verstehen, wenn Sie sich die Wirbelsäule als eine Konstruktion vorstellen, die eher einem Schiffsmast gleicht als einer Säule. Bei großen Seglern war die Takelage oben kleiner als unten zum Deck hin. Egal woher der Wind kam, die Kräfte wurden immer horizontal auf den Mast verteilt. Damit wurde das Boot eher nach oben gehoben als nach unten in die See gedrückt. Es wurde leichter. Nur so war man wendiger und konnte schneller durchs Wasser gleiten, was immer das Ziel war.
Ähnlichen Kräften ist unsere Wirbelsäule ausgesetzt und so funktioniert sie auch. Nur bei außergewöhnlichen Belastungen, wenn man wirklich etwas Schweres hebt, kommt es kurzzeitig zu einem gering erhöhten Druck. Die meiste Kraft wird wieder in die Peripherie abgleitet, eigentlich in jede einzelne Zelle des Körpers. Das gilt es sich permanent vor Augen zu halten.
Der gering erhöhte Druck auf die Wirbelsäule bei Belastung und Bewegung ist normal und freut die Zwischenwirbelscheiben, weil dadurch die zwischen den Knochen gelagerte Knorpelmasse wie ein Schwamm mehr oder minder zusammengepresst wird. Darauf hat der Knorpel schon lange gewartet, denn durch diesen Saugakt beim wieder Ausdehnen wird er gut ernährt. Auch unsere steife, unbewegliche Art zu gehen, bei dem die Wirbelsäule kaum nach rechts und links gedreht wird, führt auf die Dauer zu einer Mangelversorgung des Knorpelgewebes, das bekannterweise nicht durch Blutgefäße versorgt wird. Die Vorstellung einer zu stark belasteten Wirbelsäule bei einem sitzenden Bürojob ist zumindest problematisch.
Unser Gehirn ist eigentlich recht einfach aufgebaut. Was wir gelernt haben, bedeutet Muster zu erkennen, ungeordnete Dinge irgendwie in einen Zusammenhang mit der Gegenwart zu bringen. Darin sind wir als Menschen ziemlich gut. Je schneller und je mehr wir Verbindungen erkennen können, die einen Sinn machen, umso intelligenter sind wir. In einer dreidimensionalen Welt ist es enorm wichtig, sehr viele auch kleine Dinge in der richtigen Entfernung unterscheiden zu können. Deswegen ist unser Auge primär das wichtigste Sinnesorgan mit dem wir operieren. Es ist ein »Sinnesorgan«, weil wir damit am leichtesten und schnellsten auch Dingen einen »Sinn« zu ordnen können.
Als Menschen zum ersten Mal ihre Augen auf den nächtlichen Himmel richteten, haben sie sofort bekannte Strukturen entdeckt. Da waren Tiere und Menschen zu sehen, alle sehr weit entfernt und auch Gegenstände, wie zum Beispiel einen Wagen mit Deichsel. Wenn Sie selbst heute gedankenverloren Wolken betrachten und begeistert sind, wie die sich verändern, dann werden Sie auch laufend irgendwelche Gestalten sehen, Gesichter entdecken und bekannte Formen finden, die sich dauernd verändern und Neues entstehen lassen. Das alles müssen wir trainieren. Als Babys lernen wir schon Gesichter zu unterscheiden. Dabei müssen wir auf die kleinsten Unterschiede achten. Die komplexen Muster jedes einzelnen Menschen müssen wir speichern. Wir können selbst bei Zwillingen die winzigsten Unterschiede sofort erkennen, wenn wir es gewohnt sind.
In der eigenen Kultur kennen wir uns sehr gut aus. Hier haben wir jede Menge Muster gespeichert. Die meisten Europäer haben jedoch Schwierigkeiten, wenn es darum geht, Gesichter aus dem afrikanischen oder asiatischen Kulturkreis zu erkennen und zu differenzieren. Davon haben wir nicht genügend Muster in unserer Ablage. Wir registrieren nicht genügend Einzelheiten, und nicht selten wird man den Kommentar hören: »Die sehen doch alle gleich aus«.
Mit dem Erkennen logischer Zusammenhänge tun wir uns schwer. Unser Neocortex kann nicht so gut damit umgehen und funkt uns immer wieder dazwischen. Einfache logische Prozesse bekommen wir ganz gut hin. Sobald es komplizierter wird, müssen wir hingegen eine andere Lösung finden. Die häufigste Antwort wird wieder sein, es mit Mustern zu probieren. Wie funktioniert das und wie sieht solch eine Lösung aus?
Der unterschiedliche Mechanismus ist am einfachsten an einem Schachspiel zu erklären, eines der königlichen Spiele. Ist das wirklich unsere Intelligenz, die hier auf dem Prüfstand steht? Wie geht der Kampf Logik gegen Muster aus?
Wir denken Schachspielen sei ein Logik-Spiel. Ist es auch. Die Spielregeln haben eine innere, nicht zu verändernde Logik. Aber wir Menschen spielen es nicht logisch. Der Anfänger versucht es noch, kommt aber damit nicht weit. Er ist nach wenigen Zügen Schach-Matt. Der Meister löst die Probleme nicht über Logik. Das würde viel zu lange dauern. Der Trick ist, sich Datenblöcke zu merken (Stellungen im Schach-Spiel, im Prinzip Fotos von Schachbrettern).
Garry Kasparow, der Weltmeister im Schachspiel, wurde zum ersten Mal 1997 von einem Computer besiegt. Kasparow war damals in der Lage 100.000 Schachpositionen zu erkennen und in weniger als einer Sekunde darauf zu reagieren. Er hatte keine Probleme, gleichzeitig gegen 100 Gegner zu spielen mit jeweils 2 Sekunden Entscheidungszeit. Sein Computergegner mit Namen »Deep Blue« konnte die Probleme nur auf logischem Wege lösen. Diese (heute kleine) Maschine war damals vor 23 Jahren in der Lage in 1 Sekunde 200 Millionen verschiedene Züge und Gegenzüge zu analysieren und zu bewerten. Seitdem ist offensichtlich, wir müssen uns in logischen Fragen geschlagen geben. Keine Chance in der Zukunft ohne Computer! Aber das ist ja nicht so schlimm, wir lernen damit umzugehen. So haben wir plötzlich beides, die emotionalen Bewertungsgrundlagen und ein unbestechliches logisches Prinzip. Wie wir beides anwenden, muss jeder selbst entscheiden.
Auch Tiere reagieren auf Muster und können das in vielen Fällen wirklich schneller und präziser als wir Menschen. Das liegt eben daran, dass keine kritischen Instanzen diese Abläufe infrage stellen oder bewerten wollen.
Wie schwierig ist es für einen Torwart im Fußball einen Elfmeter zu halten? Die besten Torhüter bei Weltmeisterschaften halten von vier Schüssen nur einen Ball (25%). Was da alles im Kopf vorgeht? Höchste Konzentration, voll von theoretischen Überlegungen, Zweifeln und Analysen, verhindert ein besseres Ergebnis. Auch ein nicht so gut trainierter Schäferhund hat da weniger Probleme. Für ihn ist das ein Spiel, das er sofort kann. Hier gibt es nichts zu lernen und auch nichts zu überlegen Er denkt nicht, er zögert nicht, er reagierte einfach, ist wesentlich schneller und hat ein besseres Ergebnis.
Früher, in der Wildnis, war also das Erkennen von Mustern zu einem wirklich erfolgreichen Prinzip geworden. Innerhalb der eigenen Umwelt war jedes Lebewesen darin geschult. Die besondere Weiterentwicklung beim Menschen bestand darin, dass es nicht genügte, sich gegenseitig äußerlich zu erkennen. Es musste ein Gefühl der Gemeinsamkeit her. Der Zusammenschluss in kleinen Gruppen, das Bilden von Gesellschaften hat uns einen riesigen, unschätzbaren Vorteil gebracht. Die große Frage war, wie kann ich in das Gehirn des anderen eindringen, wie kann ich wissen, was mein Gegenüber denkt? Es geht darum, möglichst rasch zu erkennen, was in dem anderen Kopf vorgeht und dann Wahrscheinlichkeiten zu berechnen und zu folgern, was der andere vorhat und wie er wahrscheinlich in Zukunft reagieren wird. Aber wie kann man in den Kopf des anderen vordringen?
Die Antwort ist einfach. Indem man zu verstehen versucht, wie sich der andere momentan fühlt. Es geht also darum, Emotionen zu erkennen. Die ausgeschütteten Hormone in unserem Körper, die bewirken, dass wir Trauer und Furcht, Aggression und Überraschung, Kampf und Flucht empfinden, verändern auch unsere Haltung, unsere Hautfarbe und vor allen Dingen das Gesicht. Wir laufen rot an und ziehen uns gekrümmt zusammen. 25 kleine Gesichtsmuskeln auf jeder Seite haben sich entwickelt und sind beweglich geworden, so dass praktisch jede Form von Grimasse möglich ist. Die gesamte Palette der Empfindungen können wir also alleine durch unsere Mimik ausdrücken. Aber auch unsere »Körpersprache« kann sehr ausdrucksvoll sein. Beides sind Kommunikationsmittel, die ohne Laute einhergehen.
Für die gemeinsame Jagd bedeutet das eine interessante Technik, die ungeahnte Vorteile bringt.
Aber auch im zwischenmenschlichen Bereich hat sich etwas verändert. Unsere emotionalen Informationen haben wir freiwillig anderen zur Verfügung gestellt. Wir haben uns praktisch nackt präsentiert und in gewisser Weise auch ausgeliefert. Dafür haben wir aber auch Zuwendung bekommen. Das Gefühl des Alleinseins war gemindert und das Teilen wurde langsam zu einem »Mitteilen«. Dadurch wurde der persönliche Boden für jeden einzelnen breiter und stabiler. Man war nicht mehr ein einzelner Halm, der beim leisesten Wind umknickte, sondern ein kräftiges Bündel, das so manchen Sturm aushalten konnte, eine Gemeinschaft. Eine Verbindung war geschaffen, die so leicht nicht mehr aufgegeben werden konnte.
Wir sind also in jeder Situation irgendwo für einander zuständig und
verantwortlich, egal was passiert und vor allen Dingen, wir haben
Verständnis für einander.
Wir sind in der Lage zu fühlen, was in einem anderen vorgeht. Das Ver-stehen setzt voraus, dass wir Stehen und der ruhige Kopf oben den Überblick über alles hat und sofort beurteilen kann, wie es um den anderen steht, wie er sich fühlt. Die Haltung verrät es sofort. Ein Vorgang, den wir zurecht »menschlich« nennen.
Um besser deuten zu können, was der andere meint, hat sich schon recht bald der Trick eingebürgert, einfach dieselbe Pose einzunehmen und die Mimik nachzuahmen. Diese Nachahmung hat gewaltige Vorteile, man kann den anderen nicht nur verstehen, man kann ihn auch manipulieren.
Jeder der sich in Ihrer Anwesenheit so bewegt wie Sie selbst, ist Ihnen sofort sympathisch. Egal ob Sie die Arme verschränken, sich vorbeugen oder den Kopf schief halten, ob Sie lächeln oder die Augenbrauen erstaunt hochziehen, immer wird es so sein, dass Ihr Gegenüber sich als Spiegel erkennt. Dadurch stellt sich automatisch ein gemeinsames Wir-Gefühl ein, das Hindernisse beseitigt und Vertrauen einflößt. Unsere Spiegelneuronen schaffen eine neue Einheit, verknüpfen gleiche Hirnbereiche in unterschiedlichen Köpfen. Eine erstaunliche Möglichkeit. Eine Koordination wird geschaffen, eine Gleichschaltung von extrem wichtigen Nachrichtenzentralen, die materiell und physisch nicht miteinander verbunden sind, zum Beispiel durch ein gemeinsames Nervensystem (oder durch Faszien).
Plötzlich kann ich denken, sehen und fühlen wie der andere. So findet bewusst oder unbewusst eine Hinwendung oder auch Gleichschaltung statt, manche mögen es auch Manipulation nennen, der wir uns nur schwer entziehen können.
Diese Fähigkeiten, Gefühle, Bedürfnisse, Ideen, Absichten, Erwartungen und Meinungen bei anderen zu erkennen und sich entsprechend sofort darauf einzustellen und danach zu richten, ist nicht angeboren. Es ist ein Lernprozess. Schon zu Beginn des vierten Lebensjahrs haben die meisten Kinder gelernt sich vorzustellen, was ein anderes Kind meint und denken wird (nämlich das, was sie selbst auch denken).
Ein Beispiel, wie das funktioniert. Der kleine Kai sitzt an einem Tisch. Davor eine Keksdose. Der Versuchsleiter öffnet die Dose. Kai macht ein enttäuschtes Gesicht. In der Dose sind Buntstifte. Nun fragt der Versuchsleiter ganz harmlos »Wenn wir jetzt Klaus reinholen, was meinst du wird er denken was in der Dose ist?« Wie aus der Pistole geschossen sagt Kai: »Ist doch klar, Kekse!«
Kai kann sich also in Klaus hineinversetzen. Er weiß, da Klaus die Dose mit den Stiften bisher noch nicht gesehen hat, wird er genauso wie er selbst annehmen, in der Kiste befänden sich Kekse. Kai ist also fähig, einem anderen Jungen eine Überzeugung zuzuschreiben, die seiner eigenen Erfahrung entspricht, obwohl er weiß, dass das nicht die Realität ist. Eine ganz schön weit entwickelte Psyche.
Weitere ähnliche Tests zeigen dieselben Ergebnisse. Im Alter von vier bis fünf Jahren können Kinder also zwischen Glauben und Realität unterscheiden. Sie wissen, es gibt Überzeugungen, die nicht der Realität entsprechen. Eigene Erfahrungen und Vorstellungen stehen gegen logisches Denken.
Aber genau diese schon früh erworbene Fähigkeit macht klar, es ist nicht unbedingt vorteilhaft, in der menschlichen Gemeinschaft nach einem logischen Prinzip vorzugehen. Macht man es trotzdem, so wird man wahrscheinlich zum Sonderling und aus der menschlichen Gemeinschaft abgesondert. Das ist das Problem der Autisten. Sie kommen mit dem normalen, sozialen Leben nicht klar, obwohl sie geniale Spezialeigenschaften haben und immer klare Antworten geben.
Sie selbst sind also völlig normal, wenn Sie alles das nicht für real halten, was ich hier versuche mit logischen Argumenten zu erklären. Mit der erkenntnistheoretischen Einsicht Realität erfassen zu können, werden wir uns später noch auseinandersetzen. Deswegen muss ich an dieser Stelle an Ihr Gefühl und wohl auch an Ihre Emotionen appellieren. Achten Sie darauf, was Sie innerlich spüren, womit Sie nicht zufrieden sind, was Zweifel in Ihnen auslöst, was Sie sich einfach nicht erklären können, was Sie aber auch zur Verzweiflung bringt. Lassen Sie das in sich arbeiten. Und natürlich hoffe ich, dass Ihr sehnlichster Wunsch Sie weiterhin antreibt, das zu suchen, was Sie wirklich möchten, nämlich eine Lösung für Ihre Schmerzen zu finden.
Therapie ist also nicht etwas, was unbedingt verändert oder ersetzt. Therapie heißt eigentlich in unserem Fall lediglich, die Ordnung wiederherzustellen. Die Ordnung, wie sie früher war und die von Anfang an die Funktion bestimmt hat. Das betrifft sowohl die zelluläre Ebene als auch ganze Systeme, wie zum Beispiel in den meisten Fällen bei Schmerzen des Bewegungsapparates, das Faszien-System (Muskel, Sehnen, Faszien). Das Problem hierbei ist natürlich die Frage: »Was ist nicht in Ordnung?« Ist es tatsächlich ein fehlgestellter Knochen oder ein eingeklemmter Nerv, oder haben wir es mit viel allgemeineren und tiefer sitzenden Problemen zu tun? Die können dann natürlich auch nicht durch eine einfache Operation oder eine Dehnungsübung bereinigt werden.
Wir sollten immer wieder die Einheit, die Gesamtheit des Körpers im Auge behalten, also die Faszienbahnen, die den Körper von unten nach oben durchziehen und dabei die einzelnen Teilabschnitte miteinander verbinden. Die perfekte Funktion ist die Hauptsache. Aber unsere Probleme sind nicht nur körperlicher Art.
Offensichtlich kommt der Schmerz nicht nur aus dem bewussten Bereich des Gehirns, sondern ist deutlich auch im Unterbewussten verankert. Er ist ein tief einschneidender Effekt. Aber er ist vordergründig. Er soll Aufmerksamkeit erregen und uns wachrütteln. Er soll eine Warnung sein, dass im Falle eines Nichtbeachtens tatsächlich körperliche Schäden eintreten werden.
Wenn Sie diesen Gedanken konsequent weiterdenken, dann will uns der Schmerz davor warnen, im Alter das zu erleben, was wir heute Alterserkrankungen nennen. Dazu gehört die Unbeweglichkeit auf körperlicher Ebene, vom Einfrieren der Gelenke bis zu Parkinson, kombiniert mit der geistigen Ebene, die sich dann in Kraftlosigkeit, Alzheimer oder Demenz äußert. Dazu rechnen kann man auch den unorganisierten Wildwuchs von einzelnen Zellklumpen in verschiedenen Organen, was wir dann als Krebs bezeichnen. Alle diese Erkrankungen haben eines gemeinsam: Wir haben trotz unterschiedlicher Ansätze und Theorien bisher keinen wirklichen Erfolg beim Ausschalten.
Aber Sie wissen selbst intuitiv ganz genau, außer dem Schmerz, der jetzt plötzlich etwas Reales darstellt, drängen noch andere Probleme in den Vordergrund. Das äußert sich dann in einem unruhigen Schlaf mit wüsten Träumen. Oder in einem permanent unguten Gefühl. Vielleicht macht sich auch ein tiefes Empfinden von Ungerechtigkeit und Unzufriedenheit breit. Ängste und das Gefühl gemobbt zu werden können sich immer wieder in die Gedanken schleichen. Alle diese Schimären beschäftigen uns wie in einer Endlosschleife. Perseveration nennt man dieses Karussell. Das ist uns auch mehr oder minder bewusst. Im Zurückdrängen dieser mahnenden Geister sind wir sehr gut. Sie lassen sich aber nicht so leicht verdrängen. Von der Psychoebene wird sehr erfolgreich auf die Körperebene gewechselt. Wenn das eigene Ich auf psychischer Ebene kein entsprechendes Gehör findet, wird jetzt die Aufmerksamkeit des Körpers erzwungen mit der brutalen Forderung,
»Ändere deine innere und äußere Haltung!«
Ist das eine Art von Erpressung?
Das heißt im Klartext: Die Veränderung der äußeren Haltung oder der Versuch, die Schmerzen zu beseitigen werden alleine das eigentliche Problem nicht lösen. Es ist komplexer. Da aber Kranksein und der Aufenthalt in einer Klinik gleichzeitig bedeuten, eine Ruheperiode einzulegen (praktisch eine Regression in die körperliche und geistige Kindheit), ist genügend Zeit da (hoffentlich), wichtige Dinge zur Ruhe kommen zu lassen, zu erkennen und zu verändern. Diesen Effekt haben wir Gott sei Dank auch bei jeder Operation, mag sie auch noch so unsinnig sein. Die Wirkung ist tatsächlich frappierend.
Wir müssen annehmen, dass wir als Neugeborene ziemlich perfekt sind und zu dieser Zeit den höchsten Grad an Ordnung haben, der uns von der Natur vorgegeben ist. Vor wirklich äußerer Gefahr waren wir alle im Mutterleib sicher geschützt (bis auf wenige Ausnahmen). Die Geburt war ein furchtbarer Schock.
Erst den Kopf deformieren lassen, dann durchgepresst werden durch einen viel zu engen Kanal, und dann nicht etwa die Erlösung, sondern ein weiteres grauenvolles Erlebnis. Die ersten 10 – 12 Minuten sind ein einziger furchtbarer Kampf. »Wo kriege ich Sauerstoff her? Ich atme doch schon so tief und intensiv wie es geht. Muss ich denn jetzt ersticken? Ich bin schon ganz blau! Wie kriege ich denn bloß das Loch in meinem Herzen zu?« Wir bekommen also ganz direkt den richtigen Eindruck, wie es draußen in der Welt zugeht.
Bisher war der Lungenkreislauf noch nicht angeschlossen. Den brauchten wir bislang nicht. Die Versorgung ging bequem von der Plazenta durch die rechte Herzkammer sofort in die linke Herzkammer durch ein großes Loch in der Zwischenwand, mitten durch das Herz. Dieses Loch muss jetzt verschwinden, und zwar möglichst rasch, weil wir jetzt über die Lunge Sauerstoff beziehen. Es schließt sich aber nur sehr langsam und so wird fast nur verbrauchtes, venöses Blut in alle Organe gepresst. Der Lungenkreislauf aber funktioniert noch nicht richtig. Die Lunge ist nach dem ersten großen Schrei zwar entfaltet, doch durch das Loch in der Herzkammer kommt immer noch zu wenig rotes Sauerstoffblut. Die ersten 10 Minuten sind wir einfach nur blau. Furchtbar, was jeder von uns da durchmachen musste.
Dieses Erlebnis ist wohl der Auslöser der Urangst, die uns womöglich unser ganzes Leben begleitet, Angst vor dem Ersticken. Natürlich gibt es in der modernen Geburtshilfe Gegenmaßnahmen wie Pufferung des Blutes und konzentrierten Sauerstoff zum Atmen. Eine Hilfe, die routinemäßig angewendet werden sollte.
Jeder weitere Tag des Lebens bringt neue Gefahren, weil wir ab jetzt allen möglichen Situationen und Kräften ausgeliefert sind, die offensichtlich dieselbe Absicht haben, nämlich so lange wie möglich ihre eigene Ordnung beizubehalten. Das führt zu Auseinandersetzungen und zu Kämpfen. Sei es ein Fehler im System, der nicht sofort ausgeglichen werden kann (solche Fehler passieren am laufenden Band), seien es Verletzungen oder Angriffe von außen, wir stehen in jeder Sekunde einer unwirtlichen Welt gegenüber und müssen unsere eigene Ordnung verteidigen. Unsere Abwehrmaßnahmen sind vielfältig, Aber auch die Angreifer können gefährlich sein und uns übel mitspielen.