ZU
FEINDLICHEN
UFERN
Aus dem amerikanischen Englisch von
Dr. Holger Hanowell
beTHRILLED
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2011 by Sean Thomas Russell
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »A Ship of War«
Originalverlag: Michael Joseph, an imprint of Penguin Books
Published in agreement with the author, c/o BAROR INTERNATIONAL, INC., Armonk, New York, U.S.A.
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2013/2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Rainer Delfs
Lektorat/Projektmanagement: Judith Mandt
Covergestaltung: Manuela Städele
Titelillustration: The Battle of Algiers, 27th August 1816, c. 1825 (oil on canvas), Luny, Thomas (1759-1837)/Private Collection/Photo © Christie’s Images/The Bridgeman Art Library
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-2168-4
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Sie warteten auf die Erlaubnis des Hafenadmirals, in See stechen zu dürfen.
Seeleute begreifen mit der Zeit, wie abhängig sie vom Wind, dem Wetter und von den Gezeiten sind, und begegnen diesen Naturvorgängen mit einer Geduld, die man auch als stoische Gelassenheit bezeichnen könnte. Wenn hingegen ein Schiff aufgrund menschlichen Verhaltens im Hafen festsitzt – wie Haydens Schiff im Augenblick –, so ruft das bei einem Seemann eine gänzlich andere Reaktion hervor.
Mr Barthe stampfte übers Deck und beeindruckte die ihm unterstellten Offiziere mit der Bandbreite des englischen Wortschatzes – allerdings handelte es sich hierbei eher um sprachliche Auswüchse, die nicht für die Ohren einer Dame bestimmt waren. Die anderen Deckoffiziere blieben wortkarg, waren jedoch verdrießlich und leicht reizbar, was die Mannschaft wiederum rasch spürte. Daher passten sich die Männer der jeweils vorherrschenden Stimmung an Deck an.
Hayden verspürte den Wunsch, am kommenden Morgen gleich bei Anbruch des Tages auszulaufen und über den Plymouth Sund in den Ärmelkanal zu segeln, noch ehe die Decks trocken waren. Aber der Vormittag war verstrichen, und die Erlaubnis zum Auslaufen ließ weiter auf sich warten. Der Nachmittag neigte sich fast dem Ende, der Tag verging wie im Fluge.
Was hatte der Erste Sekretär noch gleich gesagt? Ich möchte, dass Sie auf See sind – und zwar bis auf Weiteres –, sobald sich das arrangieren lässt. Diese Worte lösten ein unangenehmes Prickeln bei Hayden aus. Den Ausdruck »bis auf Weiteres« empfand er als höchst unheilvoll. Was erwartete ihn? Wer würde ihn zurückbeordern, und warum?
Wenn der Hafenadmiral sich doch entgegenkommender erweisen würde! Die zögerliche Haltung dieses Mannes im Hinblick auf Haydens Ersuchen, die Segel setzen zu dürfen, war mehr als beunruhigend und seltsam. In Hayden kam die Frage auf, ob der Hafenadmiral dem Ansinnen des »Feindes« diente. Ob das der Grund war für das zögerliche Verhalten des Mannes, Haydens Bitte nachzukommen? Denn jeden Moment könnten Befehle aus Whitehall Street eintreffen, die Hayden seines Kommandos entheben würden.
Derartige Gedanken schlichen sich in seinen Geist, nachdem der Erste Sekretär ihn hatte wissen lassen, es stehe fortan nicht mehr in seiner Macht, Hayden ein vergleichbares Kommando zu beschaffen, sollte Hayden dieses Kommando ablehnen. Bei Aussagen wie diesen bekam man den Eindruck, dass geheime Kräfte gegen einen arbeiteten – oder etwa nicht?
Hayden hingegen machte sich bewusst, dass er nicht in der geistigen Verfassung war, in der er als Kommandant hätte sein müssen. Er befürchtete, dass er sich viel zu viel Gedanken machte – oder nicht annähernd genug über Dinge nachdachte, die unbedeutend zu sein schienen. Aufgrund der Entfremdung von Henrietta schlief er kaum noch. Sein Magen rebellierte stärker als sonst bei der Nahrungsaufnahme, und gedanklich konnte er sich immer schlechter auf die Angelegenheiten des Tages einstellen.
Ein Teil von ihm hoffte, man möge ihn tatsächlich seines Kommandos entheben, damit er nach London zurückkehren könnte, um endlich Henrietta aufzusuchen. Denn dann könnte er ihr erklären, dass er sich falschen Anschuldigungen ausgesetzt sah – hatten ihn doch die Damen Bourdages, Mutter und Tochter, in Verruf gebracht.
Unruhig schritt Hayden in seiner Kajüte auf und ab, warf hin und wieder einen Blick aus der Heckgalerie und sah den Hafen von Plymouth und die Felder jenseits des östlichen Uferverlaufs. Das frische Grün des Frühlingsgrases wiegte sich in der Brise – eine geeignete Brise, um Kurs auf Le Havre zu nehmen. Hayden hatte den Befehl erhalten, eine Fregatte zu erobern oder zu zerstören, die diesen Hafen als Basis benutzte, um von dort aus britische Schiffe zu terrorisieren.
Als es an die Tür klopfte, wurde Hayden aus seinen Überlegungen gerissen, was er beinahe als Erleichterung empfand, da sich seine Gedanken seit Stunden im Kreis drehten.
Auf Haydens Ruf hin drückte der wachhabende Seesoldat die Tür zur Kajüte einen Spalt auf. »Mr Barthe, Sir …«
»Lassen Sie ihn vor.«
Mit watschelndem Gang schob der Master seinen beträchtlichen Bauch vor sich her. Den alten Hut hatte er unter seinen Arm geklemmt, sodass sich das graue Haar von den geröteten, hängenden Wangen abhob – wie Asche und Flammen, dachte Hayden.
»Jetzt erzählen Sie mir bitte nicht, dass Sie beträchtliche Schäden an unserem Rigg entdeckt haben, Mr Barthe.«
»Das Rigg ist tadellos, Sir, einwandfrei, möchte man sagen. Und unsere Segel sind bereit, Sir, aber …« Der Master zögerte.
»Würden Sie den Satz bitte zu Ende führen, Mr Barthe? Ich kann die Spannung kaum noch ertragen.«
Barthe lächelte. »Wenn wir heute noch nicht in See stechen, Sir, dann würden Mrs Barthe und meine Töchter gern einmal unser Schiff in Augenschein nehmen. Mr Wickham hat uns freundlicherweise ein Boot zur Verfügung gestellt, um die Damen zum Schiff zu rudern, wenn das für Sie akzeptabel wäre, Sir.«
»Hat Mr Archer Sie noch nicht wissen lassen, dass wir noch unsere Pulverbestände auffüllen müssen?«
Barthe wirkte erstaunt. »Nein, Sir, davon hat er mir nichts gesagt.«
»Für mich unerklärlich«, erwiderte Hayden. »Die Pulverbarkasse soll heute Nachmittag anlegen. Ich hoffe immer noch, dass wir morgen bei Tagesanbruch den Anker lichten können und zur Frühmahlzeit im Ärmelkanal sind.«
Der Master ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. »Vielleicht – vielleicht hat Mr Archer mich doch über die Pulverbarkasse informiert, Sir.«
»Mr Barthe, für mich ist es offensichtlich, dass Sie versuchen, Mr Archers Nachlässigkeit zu vertuschen. Aber ich werde ihn deswegen zur Rede stellen müssen. Was nun Ihre Frau und Ihre Töchter anbelangt, Mr Barthe, so tut es mir leid, dass sie unserem Schiff keinen Besuch abstatten können. Bitte bestellen Sie Mrs Barthe, dass ich es bedaure. Und erklären Sie ihr auch, warum ich sie nicht an Bord kommen lassen kann. Ich möchte nicht, dass Ihre Frau das Gefühl hat, hier nicht willkommen zu sein.«
»Richte ich ihr aus, Sir. Danke, Sir.«
Barthe zwängte sich mit seinem Leibesumfang aus der Kabinentür. Hayden ahnte, dass die Männer enttäuscht sein würden, wenn sie erführen, dass Mrs Barthe nicht mit ihren hübschen Mädchen an Bord kommen würde. Selbst Hayden verspürte ein wenig Verdruss.
Er gab seinem Master ein wenig Zeit, sich von der Kajüte zu entfernen, und öffnete dann die Tür. »Ich muss Mr Archer sprechen. Rufen Sie ihn, wenn ich bitten darf«, wandte er sich an den Seesoldaten.
In diesem Augenblick fiel Haydens Blick auf die Schreibarbeit, die in kleineren Stapeln auf seinem Pult lag. Wenn er sich doch wenigstens für fünf Minuten gedanklich auf diese Unterlagen einlassen könnte, anstatt immer wieder über Henrietta und die eigene belastende finanzielle Situation nachzudenken!
Ein zurückhaltendes Klopfen verriet die Ankunft von Mr Archer. Nach einem »Herein« trat der Leutnant rasch ein. »Es tut mir leid, Sir«, begann er eher hastig. »Das ist allein mein Fehler, dass ich es Mr Barthe nicht gesagt habe.«
»Ein schwerwiegendes Versäumnis, Mr Archer. Wie soll Mr Barthe seine Arbeit machen, wenn ihm wichtige Informationen vorenthalten werden?«
»Ich weiß es nicht, Sir. Es soll nicht wieder vorkommen.«
»Das will ich hoffen. Die Feuer an Bord sind alle gelöscht?«
Archer war bemüht, sich durch die Frage nicht beleidigt zu fühlen, konnte dies indes nur schlecht kaschieren. »Alle Feuer bis auf das Licht im Vorraum zur Pulverkammer, Sir. Ich habe angeordnet, feuchte Laken dort aufzuhängen.«
»Gehen Sie durch alle Decks und sorgen Sie dafür, dass nirgends mehr ein Feuer glüht, Mr Archer. Sollten Besucher an Deck sein, so wollen wir ja nicht, dass sie mit uns in die Luft fliegen, nicht wahr?«
»Ja, Sir, gewiss, Sir.«
»Dann an die Arbeit, Mr Archer.«
Mit steifen Schultern verließ der Leutnant die Kajüte. Hayden fühlte sich zwar nie wohl in der Rolle des verärgerten Kapitäns, aber im Lauf der Jahre war er zu der Überzeugung gelangt, dass es den jungen Offizieren guttat, gelegentlich ermahnt zu werden. Auf diese Weise wurden sie noch einmal eindringlich an ihre Pflichten erinnert. Als junger Offizier hatte Hayden jedenfalls diese Erfahrung gemacht.
Archer war gewiss für ein oder zwei Tage in seinem Stolz verletzt, aber er würde die Schelte verkraften und gestärkt daraus hervorgehen. Einen Moment lang fragte sich Hayden, ob es an der eigenen Unzufriedenheit oder an den Sorgen im Hinblick auf seine Karriere liegen mochte, dass er in letzter Zeit schnell gereizt war. Ja, bereits bei geringen Anlässen stieg Zorn in ihm auf. Andererseits war Archers Versäumnis nicht unbedeutend. Hayden hatte ihn zurechtweisen müssen. Der Leutnant hatte die verdammte Pflicht, den Master davon in Kenntnis zu setzen, dass die Pulverbarkasse angekündigt war. Was hatte sich der Mann bloß dabei gedacht?
»Vielleicht hat er sich von seinen Privatangelegenheiten ablenken lassen«, sagte Hayden halblaut vor sich hin. »Wie du selbst, Kapitän.«
Einen Moment gönnte er sich etwas Ruhe auf der Bank vor der Heckgalerie und spürte förmlich, wie er sich mit seinen Gedanken von seinen Pflichten löste und sich fragte, ob Henrietta seinen Brief bekommen würde – und auch lesen würde. Seine größte Sorge war, dass sie ihn womöglich gleich verbrannte oder im Zorn wegwarf, war sie doch in dem Glauben, Hayden habe sie durch treuloses Verhalten hintergangen – es hieß, er habe eine französische émigrée geheiratet.
Es trieb ihn an den Rand der Verzweiflung, dass es ihm nicht vergönnt gewesen war, unter vier Augen mit Henrietta zu sprechen. Wie schnell hätte er sämtliche Missverständnisse aus dem Weg räumen können. Aber in London hatte er sie nirgends angetroffen. Und weder Lady Hertle, Henriettas Tante, noch Mrs Hertle, ihre Cousine und Vertraute, hatten sich bereit erklärt, mit ihm zu sprechen.
Wieder klopfte es an die Tür, und erneut wurde Hayden aus seinen allzu vertrauten Gedanken gerissen.
»Boot kommt längsseits mit Befehlen vom Hafenadmiral«, verkündete Midshipman Gould, als er die Tür aufmachte.
Hayden wehrte sich gegen die Abgespanntheit und das Gefühl ständiger Belastung und kletterte schnell die Leiter hinauf an Deck. Dort traf er auf Leutnant Ransome, der in Gegenwart eines jungen Offiziers gleichen Ranges einen etwas unwirschen Ton anschlug. Hayden kannte den jungen Mann nicht.
Sichtlich empört wandte sich Ransome an Hayden. »Der Hafenadmiral benötigt Ihre Unterschrift, Kapitän. Meine genügt offenbar nicht.« Leutnant Ransome, der auf Betreiben keines Geringeren als Admiral Lord Hood an Bord gekommen war, hatte die Angewohnheit, sich allzu schnell in seinem Stolz verletzt zu fühlen. Ein Charakterzug, der Hayden ärgerte – insbesondere an diesem Tag.
Wortlos unterzeichnete Hayden die Unterlagen und stellte fest, dass es sich nicht nur um Anordnungen des Hafenadmirals handelte, sondern dass auch ein Brief der Admiralität beilag. Da er das Bedürfnis verspürte, sich zu setzen, begab er sich rasch wieder unter Deck in seine Kajüte.
Kurz darauf saß er an seinem Schreibpult, blickte auf die beiden Briefe und überlegte, welchen er zuerst öffnen sollte. Er hielt es für wahrscheinlich, dass ein Schreiben der Admiralität schlechte Nachrichten enthielt.
Hätte der Hafenadmiral mir doch die Erlaubnis zum Auslaufen gegeben!, dachte Hayden.
Er überlegte noch einen Moment, spürte, dass ihm alle möglichen Gedanken im Kopf herumwirbelten und entschied sich dann doch für das Schreiben der Admiralität. Der Brief stammte von Philip Stephens und wies die Kennzeichnung »Streng vertraulich« auf.
Mein verehrter Kapitän Hayden,
Sie erhalten hiermit den Befehl, sich bei der nächstbesten Gelegenheit – was Wind und Wetter betrifft – in der Nacht vom 12. April mit der HMS Themis vor den Hafen von Le Havre zu begeben. Gegen zwei Uhr in der Früh am Morgen des 13. Aprils nehmen Sie eine Position ein, die nicht weiter vom Festland entfernt sein darf als eine Meile, und setzen ein einzelnes Lichtsignal, welches von der Küste aus für eine halbe Stunde zu sehen sein muss.
Daraufhin wird von der Küste ein Boot ablegen und einen Mann an Bord rudern, der sich Ihnen als »Monsieur Benoît« vorstellen wird. Dieser Mann verfügt über vertrauliche Informationen, die für den gegenwärtigen Krieg von höchster Bedeutung sind. Diese Nachrichten müssen die Admiralität schnellstens erreichen, wobei sichergestellt werden muss, dass die Identität des Überbringers nicht bekannt wird. Sollte diese Aufgabe mit anderen Befehlen kollidieren, die Sie von mir erhielten, so teile ich Ihnen hiermit mit, dass die Begegnung mit Monsieur Benoît und die Überbringung der Nachrichten an die Admiralität Vorrang haben. Über diesen Einsatzbefehl informieren Sie Ihre Offiziere vorerst nicht. Sie weihen Ihre Leute erst später ein, und nicht, bevor Sie in See stechen und außer Sichtweite unserer Küste sind.
Der Brief war mit »Philip Stephens, Erster Sekretär« unterzeichnet. Hayden legte das Schreiben auf sein Pult und fluchte dann so vernehmlich, dass der wachhabende Seesoldat es gewiss gehört hatte.
Das sah der Admiralität wieder einmal ähnlich! Hayden erhielt neue Instruktionen, die die Ausführung der ursprünglichen Mission erschwerten oder gar unmöglich machten. Er war verärgert. Denn der Befehl, eine feindliche Fregatte zu erobern, bedeutete, dass Aussicht auf Prisengeld bestand, und bei all den Rückschlägen der letzten Zeit konnte Hayden dies sehr gut gebrauchen.
Wenn er jetzt jedoch einen Spion an Bord nahm, brachte er sein Schiff nur unnötig in Gefahr, zumal der Informant womöglich vor dem Eintreffen der Themis gefasst und verhört wurde. Daher war es zumindest denkbar, dass die französischen Behörden längst über Zeit und Ort des geheimen Treffens Bescheid wussten.
Erneut entwich ihm ein Fluch, leiser diesmal. Dann brach er das Siegel des zweiten Briefs und las, dass man seiner Bitte zum Auslaufen endlich entsprochen hatte. Noch einmal an Land zurückkehren zu können war hiermit hinfällig geworden. Die Möglichkeit einer Wiederannäherung mit Henrietta geriet in weite Ferne.
Er musste Segel setzen in Richtung Le Havre, um dort den geheimnisvollen Monsieur Benoît zu treffen. Hayden verfluchte den Unbekannten – diesmal auf Französisch.
Ein unförmiger Mond stand über den treibenden Dunstschleiern und warf sein dürftiges Licht auf das Deck. Jenseits der Reling wogte die tintenschwarze, rastlose See.
»Eine ungesunde See.« Aus den Schatten löste sich der Master und stampfte die wenigen Schritte über die Planken zum Schanzkleid, wo Hayden stand, der sich das Nachtglas unter den Arm geklemmt hatte.
»Ungesund? Was meinen Sie damit, Mr Barthe?«
»Sieht aus wie eine Suppe, die man stehen gelassen hat, bis sie andickt und erkaltet.« Barthe fröstelte sichtlich.
Hayden verbarg ein Lächeln. »Sie entdecken noch eine dichterische Ader in sich, Mr Barthe. Die See ist, wie sie immer um diese Zeit im April ist, für mein Empfinden. Aber die Nacht ist zu weit vorangeschritten.« Er führte das Nachtglas wieder ans Auge, schwenkte es in einem Winkel von sechzig Grad erst zur einen Seite, dann langsam zur anderen, ehe er es sich wieder unter die Achsel schob.
»Dauert noch drei Stunden, bis es hell wird, Kapitän«, merkte Barthe an, da er ahnte, was seinem Vorgesetzten Sorgen bereitete. »Noch genug Zeit.«
Hayden hingegen war nicht der Ansicht, dass ihnen genug Zeit blieb, und hätte am liebsten sofort die Segel gesetzt.
»Mir wäre es lieber, sie kämen so schnell wie möglich«, antwortete Hayden. »Und was die andere Angelegenheit betrifft – dieser Mann ist womöglich längst im Gefängnis oder auf dem Weg zur Guillotine. Ich werde nicht länger als nötig auf ihn warten.«
Einige Stunden zuvor hatte ein Beiboot, noch schwarz gestrichen vom letzten Abenteuer auf Korsika, im Schutz der Dunkelheit auf den Hafen von Le Havre zugehalten. Hayden fragte sich, ob sich die Fregatte, die es zu zerstören galt, bereits wieder auf die Jagd begeben hatte. Es wäre reine Glückssache, wenn es der Themis gelänge, das feindliche Schiff entlang der britischen Küste aufzuspüren – daher hoffte Hayden, Monsieur Benoît an Bord nehmen zu können, um dann auf die Rückkehr der Fregatte zu warten. Falls das französische Schiff in dieser Nacht jedoch im Hafen blieb, wollte Hayden nicht das Überraschungsmoment verlieren. Denn es war immerhin denkbar, dass der Feind mitbekam, wo die Themis im Hinterhalt lag. In diesem Fall würde Hayden den Befehl geben, noch vor Tagesanbruch hinaus aufs offene Meer zu segeln, um nicht in Sichtweite des französischen Hafens in eine Flaute zu geraten.
Im Augenblick indes mussten sie auf diesen verfluchten »Monsieur Benoît« warten, der, falls er in die Hände der Behörden geraten war, leichtfertig Zeitpunkt und Ort des Zusammentreffens preisgeben könnte. Dann würden sich französische Schiffe der vereinbarten Position nähern, und genau das löste eine gewisse Unruhe in Hayden aus.
»Können Sie den Küstenverlauf sehen, Kapitän?«, erkundigte sich der Master mit ungewohnt dünner Stimme. »Ich fürchte, wir sind ein wenig nach Osten abgetrieben. In so einer dunklen Nacht hat ein Schiff hier nichts verloren, sag ich. Wenn die Seine mit der Flut anschwillt, können die Strömungen ins Inland drehen. Oft hält der hohe Wasserstand dann an. Ich habe schon erlebt, wie Strömungen ein Schiff abgetrieben haben, obwohl der Steuermann ganz andere Voraussagen gemacht hat. Eine verdammt gefährliche Situation, Kapitän. Bin gar nicht zufrieden damit.«
»In diesem Punkt bin ich ganz Ihrer Meinung, Mr Barthe, aber wir haben keine Wahl.« Hayden drehte sich um, schaute hinauf ins Rigg und rief dann mit gedämpfter Stimme: »Mr Wickham? Können Sie die Küste ausmachen? Sind wir gen Osten abgetrieben?«
»Wir halten unsere Position recht gut, Kapitän.« Wickhams Antwort kam so leise, dass die Worte fast nur zu erraten waren. »Ich sehe Lichter an Land. Beruhigen Sie Mr Barthe in diesem Punkt. Alles ist gut.«
»Das Beiboot ist nirgends zu sehen?«
»Nein, Sir.«
»Irgendein anderes Boot?«
»Nein, nichts, Sir.«
Hayden fluchte leise, richtete den Blick noch einmal nach oben und wandte sich wieder der Reling zu. Wolkenfetzen glitten über einen milchigen Mond und ließen kaum Licht aufs Wasser.
»Na, mir gefällt’s trotzdem nicht«, brummte Barthe gereizt. »Mit Verlaub, Sir …«
Hayden gab mit einem Nicken seine Zustimmung, worauf der Master in Richtung Bug watschelte, um die Segelführung zu kontrollieren.
Hayden trat an das Nachthaus, das den Kompass und Lampen enthielt. Das Licht darin war gedimmt worden. Er holte seine Uhr hervor – kurz vor zwei in der Früh. »Schicken Sie den Profos zu mir«, befahl er einem der Matrosen.
Sogleich machte sich Hayden erneut daran, in die Dunkelheit zu spähen. Einen Moment lang glaubte er, das charakteristische Eintauchen der Riemen ins Wasser zu hören, aber nirgends war ein Boot zu erahnen. Schließlich gingen die Laute in den vertrauten Geräuschen der Wellen unter.
»Sir?« Aus der Dunkelheit an Bord schälte sich der kleine Profos.
»Wir lassen diese Lampe exakt eine halbe Stunde brennen«, ordnete Hayden an.
»Aye, Sir.«
Das für den französischen Spion gedachte Signallicht wurde entzündet, flackerte kurz und spendete dann ein mattes Licht. Im selben Moment befürchtete Hayden, die Themis könnte zum Ziel der Geschütze an Land oder der Schiffe werden, die irgendwo dort draußen in der Dunkelheit lauerten.
Abermals vermochte er nicht, sich auf die gegenwärtige Situation zu konzentrieren, sondern merkte, dass es ihn gedanklich schon wieder zu jenen Schwierigkeiten zog, die bei seiner letzten Rückkehr nach England über ihn hereingebrochen waren. Finanzielle Sorgen und rechtliche Unklarheiten waren eine Sache. Viel schwerer wog hingegen die Entfremdung von Henrietta, eine Entwicklung, die Hayden ständig Kummer bereitete und ihn von seinen Pflichten ablenkte. Er musste einen Weg finden, um wieder in England sein zu können. Er musste mit Henrietta sprechen und ihr erklären, was sich wirklich zugetragen hatte. Die Gerüchte um Madame Bourdage und deren Tochter ließen sich leicht aus der Welt schaffen, wenn Henrietta ihm nur Gehör schenkte.
Du darfst deine Pflichten nicht vernachlässigen, dachte Hayden. Die Sicherheit von zweihundert Seelen hängt ab von deinen Entscheidungen, die du mit klarem Verstand treffen musst.
Aber seine geistige Verfassung ließ zu wünschen übrig, hinzu kam der Schlafmangel, der Hayden obendrein Kräfte raubte. Das alles waren seine privaten Sorgen. Jetzt befürchtete er zudem, er könne im gegenwärtigen Zustand eine falsche Entscheidung treffen, die seine Crew in Gefahr brachte.
Am Niedergang tauchte Archer auf, schaute sich gleichsam verwirrt um, erblickte dann Hayden und kam sofort zu ihm.
»Ah, Mr Archer, da sind Sie ja. Konnten Sie schlafen?« Hayden versuchte, sich seine Bedenken und Sorgen nicht anmerken zu lassen.
»Eher schlecht, Sir.«
Da Archer meistens unausgeschlafen wirkte, vermochte Hayden nicht zu sagen, ob seine Worte der Wahrheit entsprachen.
»Noch nichts von Mr Ransome zu sehen, Sir?«, fragte der Leutnant.
»Nein«, kam es einsilbig von Hayden.
Archer schien einen Moment lang nachzudenken. »Was werden wir tun, wenn er bis Einbruch der Dämmerung nicht zurück ist?«
»Ich fürchte, dass wir dann davon ausgehen müssen, dass er das Pech hatte, Gast der Franzosen zu werden. In dem Fall können wir nur hoffen, dass er unsere Absichten nicht preisgibt und nicht die Position der Themis verrät.«
»Die Franzosen werden sich denken können, dass er nicht über den Ärmelkanal gerudert ist, Sir. Daher frage ich mich, was für Mutmaßungen sie anstellen werden.«
»Oh, alle möglichen, Mr Archer. Dass er zur Küste kam, um einen Spion zu treffen. Oder dass er einen Spion dort abgesetzt hat. Wir können nur hoffen, dass die Franzosen glauben, er habe ein Schiff im Hafen beschädigen wollen. Denn wenn sie davon ausgehen, dass er Kontakt zu einem Spion aufnimmt, werden sie alles daransetzen, den Namen des Mannes aus ihm herauszupressen.« Allerdings kannte bislang nur Hayden den Namen des Spions – und das war gewiss nicht sein echter Name.
Hayden musste aufstoßen, verspürte einen bitteren Geschmack im Mund und schluckte rasch, worauf er ein Brennen im Hals verspürte. Sein Magen machte ihm zu schaffen.
»Kapitän?«, vernahm er ein Flüstern in unmittelbarer Nähe.
»Wer da?«, antwortete Hayden auf Französisch.
»C’est moi, Benoît.«
»Kommen Sie an Bord, Monsieur.«
Hayden konnte die Männer erst jetzt erahnen. Einer saß an den Ruderriemen, der andere in der Heckducht. Hayden wartete oben an der Jakobsleiter, flankiert von zwei Seesoldaten, die ihre Musketen bereithielten. Ein kleiner, kräftiger Mann stieg an Bord und ließ den anderen im Boot zurück. Der Fremde war wie ein Fischer gekleidet, trug aber einen breitkrempigen Hut, der das Gesicht im Schatten beließ.
»Sollen wir uns unter Deck begeben, Monsieur?«, fragte Hayden erneut auf Französisch.
»Gehen wir kurz zum Achterdeck«, sagte der Fremde und beäugte die Seesoldaten kritisch. »Ich werde Ihre Zeit nur kurz in Anspruch nehmen.«
Mochte der Fremde auch wie ein Fischer aussehen, der geschliffenen Sprechweise entnahm Hayden indes, dass Benoît eine gute Erziehung genossen hatte. Als sie die Heckreling erreichten, bedeutete Hayden den Seesoldaten, sie mögen sich im Hintergrund aufhalten, damit er mit dem Fremden unter vier Augen reden konnte.
»Ihr Französisch ist sehr gut«, stellte Benoît fest, und Hayden spürte, dass dieser Umstand den Fremden leicht verunsicherte.
»Ich verbrachte einige Jahre in Frankreich, als ich noch ein Junge war – bei Verwandten.« Während er sprach, öffnete er die Laterne und löschte das Signallicht. Er spürte, dass ihn ein Gefühl großer Erleichterung durchströmte.
»Sie sind also Franzose?«, forschte der Mann vorsichtig abwartend nach.
»Mein Vater stammt aus England. Er war Offizier zur See. Ich stehe treu zu dieser Nation, aber ich habe große Sympathien für Ihr Volk, Monsieur.«
Der Fremde ließ die Worte auf sich wirken.
»Haben Sie einen Brief für mich?«, fragte Hayden unvermittelt.
»Ich vertraue nichts dem Papier an. Zu vielen Leuten wurde das bereits zum Verhängnis.« Benoît schien einen Augenblick lang zu überlegen, als zweifele er an Hayden, doch dann fuhr er fort: »In Cancale wird eine große Streitmacht zusammengezogen, wie ich schon zuvor berichtete. Aber ich irrte mich, was den Zielort anbelangt – und die Truppenstärke. Mehr als hundertfünfzig Transportschiffe, fünf oder sogar sechs Kriegsschiffe, zwei Razees und fünf Fregatten liegen dort. Im Augenblick stehen fünfundzwanzigtausend Mann bereit, aber bald werden es hundertfünfzigtausend sein.«
Hayden fluchte laut – er konnte es nicht unterdrücken.
»Die Kanalinseln dürften das erste Ziel dieser Armada sein, wie ich Ihre Leute wissen ließ, aber das eigentliche Ziel lautet, dass sie mit einer Armee in England landen wollen.«
»Sind Sie sicher? Steuern sie nicht eher Irland an?«
»Ich kann Ihnen nicht sagen, woher ich es weiß, aber diese Information ist zweifellos richtig.«
Nun nahm sich Hayden einen Augenblick Zeit zum Überlegen. »Für wann ist diese Invasion geplant?«
»Schon bald. Sobald Ihre Kanalflotte auf hoher See ist oder die Flotte besiegt oder entscheidend geschwächt wurde. Dann hätte die französische Flotte die Kontrolle über den Kanal. Man braucht nur noch den richtigen Wind, und schon kann man eine ganze Armee an einem Tag nach England transportieren.«
Hayden hatte das Gefühl, von einer plötzlichen Krankheit befallen zu sein. Er fühlte sich unwohl und wollte am liebsten den Mantel ablegen oder zumindest das Halstuch lockern. Ihm brach der Schweiß aus, und es wurde ihm so heiß, dass ihn schwindelte.
»Sie müssen diese Informationen an Ihre Admiralität übermitteln, Capitaine. Auf der Stelle.«
»Ich bin Ihrer Meinung, Monsieur. Nichts ist im Augenblick dringlicher.«
»Dann möchte ich mich verabschieden.« Benoît machte eine kleine Verbeugung und schritt wieder zur Jakobsleiter. Er war fast über die Reling geklettert, als er noch einmal innehielt. »Ihnen viel Glück, Captain«, fügte er in Englisch hinzu.
»Ihnen auch, Monsieur.«
Der Mann kletterte hinab in das Boot, und nach drei kräftigen Ruderschlägen mit den umwickelten Riemen verschmolz das Boot mit der Dunkelheit.
Hayden blieb noch einen Moment stehen und starrte auf das schwarze Wasser – fassungslos wie ein Mann, der soeben die Nachricht vom Tode eines geliebten Menschen erfahren hatte. Sein Geist war leer, ihn befiel ein taubes Gefühl.
Haydens Diener erschien an der Reling. »Wenn es Ihnen recht ist, Kapitän, Rosseau hat Kaffee für Sie in der Offiziersmesse, Sir.«
»Aha – suchen Sie Mr Hawthorne und fragen Sie ihn, ob er mir Gesellschaft leisten möchte«, trug Hayden dem Burschen auf. Archer stand derweil steif neben dem Rudergänger und beobachtete Hayden. »Sie haben das Deck, Leutnant.«
Als Hayden den Fuß des Niedergangs erreicht hatte, sah er, dass man die Schotten im Kanonendeck entfernt hatte: Man hatte nun freien Blick vom Bug bis zum Heck, was natürlich bedeutete, dass auch Haydens Kajüte mitsamt Möblierung aufgelöst worden war. Auf beiden Seiten standen die Achtzehn-Pfünder in langen Reihen mit ihren schwarzen Läufen vor den Stückpforten, geladen und bereit zum Ausrennen.
Einen Moment lang blieb Hayden stehen, versuchte sich zu konzentrieren und überlegte, ob er auch an alles gedacht hatte.
Über die nächste Leiter gelangte er dann in das darunter liegende Deck, wo die Seesoldaten schlummerten. Hayden sah, dass viele Männer gar nicht schliefen, da die Aufregung vor einem möglichen Gefecht zu groß war. Die Midshipmen gaben nicht einmal vor, zu schlafen, sondern spielten Karten vor einer einsamen Laterne. Als sie ihren Kapitän gewahrten, sprangen sie auf und tippten sich an die Stirn, da sie ihre Hüte abgelegt hatten. Hayden ging rasch an ihnen vorbei und betrat die Offiziersmesse.
An einem Tisch saß der Schiffsarzt, hatte sich seinen Zwicker auf den Nasenrücken geklemmt und las, leicht vornübergebeugt, in einem großen, in Leder gebundenen Buch. Im warmen Schein der Kerze wirkte Griffiths’ vorzeitig ergrautes Haar silbrig.
»Dr. Griffiths, gönnen Sie sich doch mehr Licht«, bot Hayden an. »Nein, nein, bleiben Sie nur sitzen.« Allzu oft hatte Hayden mit ansehen müssen, wie der große, hagere Doktor sich den Kopf an einem der Decksbalken gestoßen hatte.
»Oh, ich bin ohnehin gleich fertig hier, Kapitän.« Der Schiffsarzt nahm seine Brille ab, die er nur zum Lesen und für sein Handwerk brauchte – das Amputieren von Gliedmaßen –, damit er Hayden besser sehen konnte.
»Fühlen Sie sich bitte nicht gedrängt, die Messe zu verlassen, Doktor.«
»Danke, Sir.« Griffiths’ Blick haftete auf Hayden. »Geht es Ihnen gut, Kapitän?«
»Abgesehen von beunruhigenden Neuigkeiten würde ich sagen, ja.«
Da Hayden keine Anstalten machte, auf diese Neuigkeiten einzugehen, beließ der Doktor es bei der einen Frage. Eine Weile sagte keiner der beiden etwas, doch schließlich deutete der Schiffsarzt mit einem Kopfnicken auf das aufgeschlagene Buch. »Bei Gott, ich muss bekennen, dass ich mehr von der Medizin vergessen habe, als mir lieb sein kann.«
Hayden war froh, das Thema wechseln zu können. »Die Medizin ist ein weites Feld, Doktor. Man bräuchte sicherlich zwei Köpfe, wollte man sich das alles merken.«
Der Schiffsarzt rieb sich die Augen. »Sehr freundlich von Ihnen, Kapitän. Ich fürchte, es ist das Alter, zumindest in meinem Fall. Der übliche Verschleiß, insbesondere die ersten Abnutzungserscheinungen, die unser vernunftbegabtes Organ an den Tag zu legen beginnt, wenn es ständig bis an seine engen Grenzen gehen muss.«
»Ich bitte Sie, Doktor, Ihr Verstand ist so klar wie an jenem Tag, als wir einander zum ersten Mal sahen. Vielleicht könnte etwas Anregendes nicht fehl am Platze sein. Möchten Sie etwas Kaffee?«
»Ich weiß nicht, wie ich meine Dankbarkeit in Worte fassen soll.«
Draußen kündigten knarrende Geräusche der Leiter und dröhnende Schritte Mr Hawthorne an, den Leutnant der Seesoldaten. Er hatte eine frische Gesichtsfarbe und erfreute sich trotz der Uhrzeit und der Umstände bester Laune. »Habe ich das richtig gehört, dass Kaffee im Salon serviert wird?«, scherzte er.
»Zur Matinee«, erwiderte der Schiffsarzt, »wenn man bedenkt, wie spät es schon ist.« Zu Hayden gewandt, sagte er: »Ist Ihnen je aufgefallen, wie gut gelaunt unser Leutnant vor einem Gefecht ist? Man könnte meinen, er ist auf dem Weg zu einem Ball, erfüllt von prickelnder Vorfreude, die jungen Damen kennenzulernen.« Er suchte den Blick des Leutnants. »Eines Tages trägt man Sie zu mir ins Lazarett mit einer Kugel im Bein, und dann werden Sie nicht mehr so gute Laune verbreiten.«
Hawthorne lachte schallend. »Da haben Sie wohl recht, Dr. Griffiths, aber was hätten wir davon, wenn ich vor jedem Kampf mürrisch und ängstlich wäre? Ich hebe mir meine Gefühle immer für den richtigen Moment auf, und dann lebe ich sie aus, glauben Sie mir. Denn meine Laune soll nicht durch unnötige Anlässe überstrapaziert werden.« Der Leutnant der Seesoldaten erhob seine Kaffeetasse, als wollte er dem Doktor zuprosten. »Ich glaube nicht, dass wir in dieser Nacht noch mit einem Gefecht rechnen müssen.«
Der Schiffsarzt wandte sich an Hayden. »Sind Sie auch dieser Meinung, Kapitän?«
»Also, mir ist es immer recht unangenehm, wenn ich sehe, wie schlecht ich die Zukunft voraussagen kann. Das scheinen alle anderen besser zu können.«
»Gelegentlich«, merkte Hawthorne an.
Griffiths lächelte nicht und schien die Andeutungen ernst zu nehmen. »Vielleicht sollte man bei der Offiziersausbildung die Wahrsagerei mit auf den Lehrplan nehmen«, sagte er. »Wird dieses französische Schiff denn nun noch in dieser Nacht in den Hafen zurückkehren? Vorausgesetzt, es ist überhaupt ausgelaufen.«
»Ich glaube nicht, dass der Franzose es drauf ankommen lässt, unseren Kreuzern bei Tage zu begegnen. Und es könnte sein, dass er eine Prise ins Auge gefasst hat, die er um jeden Preis kapern will. Ja, wenn sie aufgebrochen sind, um unsere Handelswege zu stören, dann dürfte die Fregatte im Morgengrauen zurückkehren, sofern der Wind günstig steht.«
»Da Sie wie kein Zweiter die unnachahmliche Fähigkeit besitzen, sich in das Denken eines französischen Marineoffiziers hineinzuversetzen, vermute ich, dass wir recht bald auf Gefechtsposition sein werden.« Griffiths leerte seine Kaffeetasse und klopfte dann auf den Ledereinband seines Buchs. »Um die Nerven zu beruhigen, gibt es nichts Besseres als einer Meinung mit der Obrigkeit zu sein. Wenn Sie mich entschuldigen würden, ich muss zu meinem Patienten.« Er erhob sich, dachte gerade noch rechtzeitig an den Decksbalken und verließ in gebückter Haltung die Messe.
Hayden wandte sich dem Leutnant der Seesoldaten zu, der dem Schiffsarzt nachsah. In seinem Lächeln lagen Zuneigung und Belustigung. »Kommt es Ihnen auch so vor, dass es ihm gesundheitlich besser geht, Mr Hawthorne?«
»Ein wenig, ja. Trotzdem, er ist noch nicht wieder ganz der Alte. Noch nicht.« Hawthornes Miene wurde ernst, als er fortfuhr: »Hat er Ihnen gesagt, dass sein Mündel nach England unterwegs ist?«
»Von welchem Mündel sprechen wir hier?«
»Von der jungen Frau, die nur eine Hand hat.«
»Ah, Miss Brentwood?«
»Ja, ich glaube, so heißt sie.«
»Hat Griffiths das veranlasst?«
»Und für die Reise bezahlt, vermute ich.«
»Hatte er nicht vor, der Dame eine Stellung in Gibraltar zu besorgen?«
»In der Tat, aber er ist der Ansicht, dass es in England sicherer für sie ist. Denn dort kann er sich schneller vergewissern, wie es ihr geht.«
Hayden wurde nachdenklich. »Ich frage mich, ob das die Sache erklärt«, sagte er schließlich. »Ist unser guter Doktor etwa dem Zauber dieser unglückseligen Frau erlegen?«
Hawthorne hob die Schultern, und ein Ausdruck von Sorge lag in seinen Augen. »Wenn man über die fehlende Hand hinwegsieht, war sie doch hübsch – finden Sie nicht?«
»Ja, eine überaus hübsche junge Frau, Mr Hawthorne, aber …« Hayden beschloss, nicht weiter über die Beweggründe des Schiffsarztes zu spekulieren. Außerdem war es nicht seine Aufgabe, das Handeln von Dr. Griffiths zu beurteilen.
»Ich bin sicher, meine Bedenken unterscheiden sich nicht groß von Ihren«, stellte Hawthorne fest und nickte. »Hoffen wir, dass unserem Doktor nichts widerfährt. Ich glaube, sein Herz ist anfälliger als seine Gesundheit.«
»Trinken wir auf ihn«, stimmte Hayden an und erhob seine Tasse.
Der Leutnant der Seesoldaten lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Wie ich hörte, hatten wir heute Nacht einen geheimnisvollen Besucher an Bord.«
»Wissen die Männer von meiner Unterredung mit diesem Mann?«
»Sie wissen nur, dass ein Franzose an Bord kam und mit Ihnen sprach, Sir. Um was es ging, ist niemandem bekannt. Natürlich wird nun viel spekuliert, um was es in dieser Unterredung gegangen sein mag, aber mehr auch nicht.«
Hayden überlegte, ob er Hawthorne ins Vertrauen ziehen sollte, wie er es früher immer gemacht hatte. Die Versuchung war groß, da er eine Entscheidung treffen musste und sich, um die Wahrheit zu sagen, nicht sicher war, wie er sich verhalten sollte. »Wie es aussieht, Mr Hawthorne, stellen die Franzosen bei Cancale eine Armee zusammen und planen eine Invasion.«
»Das hört sich eher schwarzseherisch an. Wir wissen doch seit geraumer Zeit, dass der Feind vorhat, die Kanalinseln zu erobern.«
»Mir scheint, dass die Franzosen uns genau das glauben machen wollen. In Wirklichkeit verfolgen sie weitaus größere Absichten. Ich frage mich jetzt, ob ich Mr Ransome an Bord holen sollte, um sofort Kurs auf Portsmouth zu nehmen und Mr Stephens über diesen Vorgang zu informieren. Oder scheue ich dadurch nur von meinem ursprünglichen Auftrag zurück, die Fregatte zu zerstören, die von Le Havre aus ihr Unwesen treibt? Wenn die Kommissare der Lords meinem französischen Gast keinen Glauben schenken, dann halten sie mich wahrscheinlich für töricht oder gar für zögerlich.«
»Ich kann mir kaum vorstellen, dass man Sie für zögerlich halten wird, Kapitän. Nicht nach all dem, was Sie in den zurückliegenden Monaten geleistet haben. Aber das eine schließt das andere doch nicht aus, oder? Können wir nicht noch in dieser Nacht die Fregatte stellen und unmittelbar danach einen englischen Hafen ansteuern? Wie viele Stunden würden wir verlieren?«
»Nur wenige, aber wir müssen immer damit rechnen, dass wir diejenigen sind, die aufgebracht werden. Es ist ja immerhin denkbar, dass wir einen Mast oder sogar zwei einbüßen und selbst zur Prise werden. Die Crew macht sich selten Gedanken, wie viel Glück bei jedem Gefecht mit im Spiel ist.«
Ein leicht amüsiertes Lächeln zeichnete sich auf den Lippen des Leutnants ab. »Ich glaube wirklich nicht, dass Sie ein solches Gefecht verlieren würden, Kapitän.«
»Aber Sie würden mir zustimmen, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass wir unterliegen?«
»Ich halte es für unwahrscheinlich, aber ich gebe zu, dass es in den Bereich des Möglichen gehört, ja.«
Hayden nickte. Das Kräfteverhältnis war schwer einzuschätzen, aber im Augenblick hatte er offenbar weniger Selbstvertrauen als Hawthorne. Dennoch, der Leutnant machte sich womöglich nicht recht bewusst, wie groß die Gefahr war, bei diesem Auftrag selbst geentert zu werden. Die französische Fregatte verfügte sehr wahrscheinlich über achtunddreißig Geschütze, auf keinen Fall über weniger als sechsunddreißig. Außerdem saß sie nicht in irgendeinem Hafen fest wie so viele andere Schiffe der feindlichen Flotte. Tatsache war: Sie führte einen äußerst erfolgreichen Kaperkrieg gegen britische Handelsschiffe, und ihre Crew verstand ihr Handwerk.
»Was gedenken Sie also zu tun, Sir?«, erkundigte sich Hawthorne.
»Wir nehmen Kurs auf England – sobald wir Mr Ransome wieder an Bord haben.«
Der Leutnant der Seesoldaten nickte, auch wenn Hayden den Eindruck hatte, dass Hawthorne die andere Variante bevorzugte.
Schweigen senkte sich herab, bis Hayden das Gefühl beschlich, dass sein Leutnant abwog, ob es zulässig sei, dem Kommandanten eine persönliche Frage zu stellen. Zweimal suchte Hawthorne Haydens Blick, schaute aber dann immer wieder zur Seite.
Hayden beschloss, einer möglichen Frage zuvorzukommen, und stand daher abrupt auf. »Bitte um Nachsicht, Mr Hawthorne, aber ich muss zurück an Deck. Ich möchte nicht, dass diese französische Fregatte uns bemerkt und uns auf dem falschen Fuß erwischt.«
»Was nicht passieren wird, solange Mr Wickham seinen Dienst gewissenhaft versieht.«
Hayden stimmte seinem Freund und Vertrauten mit einem Nicken zu. »Mr Hawthorne.«
»Kapitän«, erwiderte der Leutnant der Seesoldaten der Form halber und erhob sich rasch.
Hayden schloss die Tür hinter sich und bedauerte es, nicht länger die Wärme in der Offiziersmesse genießen zu können, aber er war nicht bereit, über die eigene Lebenssituation zu sprechen. Für ihn war es schon schwer genug, wenn er spürte, dass er sich mehr schlecht als recht auf seine Arbeit konzentrieren konnte – schlimmer war, dass sich seine Gedanken im Kreis drehten. Es gab keine Ereignisse, über die er nicht bereits mehrfach nachgedacht hatte, keine Folgen, die er nicht längst prognostiziert hatte. Hayden war nicht gewillt, seine Offiziere in diese Gedankenspiele mit einzubeziehen. Besser wäre es, er würde seine Denkweise zügeln und die Dinge auf sich beruhen lassen, bis die Themis wieder sicher in einem Hafen läge – falls ihm das gelang!
Die Nacht hatte sich nicht verändert, als er an Deck kam. Es mochte ein wenig kühler sein, doch der Mond war noch genauso verhangen, die Wolkenbänder flogen vorüber.
»Frischt der Wind auf, Mr Barthe?«, fragte Hayden den Master, der sich leise mit dem Steuermann unterhielt.
»Ich glaube, ja, Sir, und es dürfte vorerst so bleiben. Uns steht eine steife Brise bevor, Kapitän. Das Wetterglas fällt rapide.« Barthe schaute sich um, als rechnete er schon mit den ersten Sturmausläufern. »Sieht nicht gut aus, Sir.«
Hayden ärgerte sich im Stillen, dass er sich wieder von Barthes Voraussagen drohender Katastrophen beunruhigen ließ. Dann schaute er nach oben und nahm vorsichtshalber den Hut ab, damit keine Böe darunter fuhr. »Da oben! Mr Wickham? Können Sie unser Beiboot ausmachen?«
»Nein, Sir«, kam die Antwort aus der Dunkelheit.
»Zur Hölle mit dieser Nacht«, murmelte Hayden. Was, um Himmels willen, war mit Ransome passiert? Hatte er etwa die Themis in der Dunkelheit verpasst? Dabei war es Mr Barthe trotz der Strömungsverhältnisse und des ablandigen Windes gelungen, das Schiff auf Position zu halten. Selbst ein so unerfahrener Offizier wie Ransome müsste es doch schaffen, zum eigenen Schiff zurückzukehren. Irgendetwas war den Männern dazwischengekommen, und Hayden rechnete bereits mit dem Schlimmsten – war das Beiboot entdeckt und von den Franzosen erobert worden?
Hayden schritt die Breite des Quarterdecks ab, ehe er entlang der Backbordreling auf und ab ging. Die am Himmel dahinjagenden Wolken erweckten den Eindruck, der Mond fliege ebenfalls dahin, doch Hayden erlag der Illusion nicht. Er hatte vielmehr das Gefühl, die Weltkugel habe aufgehört, sich um die eigene Achse zu drehen, da der Mond so träge am Firmament prangte.
Er war im Begriff, dem Master zu sagen, dass sie unverzüglich Kurs auf Portsmouth nehmen würden, sowie Ransome an Bord wäre, als er ein leises Rufen vernahm.
»Kapitän Hayden, Sir!«, drang Wickhams Stimme mit Nachdruck oben aus dem Rigg. »Ich glaube, da ist ein Schiff auf offener See, fast genau dwars, Sir.«
Rasch trat Hayden an die Steuerbordreling und spähte in die Düsternis. Die trübe schwarze See hob und senkte sich in der Dünung, ein wenig Regen fiel aus den getriebenen Wolken.
Archer tauchte neben Hayden auf.
»Sollen wir klarmachen zum Gefecht, Sir?«, fragte der Leutnant und spähte ebenfalls angestrengt in die Dunkelheit des Ärmelkanals. Mit beiden Händen klammerte er sich an die Reling.
Zwar konnte Hayden kein Schiff erahnen, aber er wollte es nicht riskieren, dass sich der Midshipman womöglich geirrt hatte. »Ja, Mr Archer, aber leise, wenn ich bitten darf. Kein Rufen, keine Trommeln.«
»Aye, Sir.« Der Leutnant eilte zum Niedergang.
Unmittelbar darauf quollen die Männer aus den Luken an Deck und lösten auf Haydens Befehl hin die Karronaden. Von unten aus dem Batteriedeck vernahm Hayden hastige Schritte und Geräusche bei den Geschützen. Man merkte den Männern ihre Aufregung an, in die sich hier und da auch Furcht vor dem Ungewissen zu mischen schien.
Prustend eilte der rundliche Master an Haydens Seite. Nachdem er eine Weile in die Finsternis gestarrt hatte, riss er mit einem Mal die Hand hoch. »Ist das ein Licht dort, Kapitän?«
Inzwischen suchte Hayden die Wasser mit dem Nachtglas ab. »Das ist ein Schiff, Mr Barthe. Eine Fregatte, wenn ich mich nicht täusche. Wir können nur hoffen, dass sie uns noch nicht entdeckt haben.« Hayden schaute sich an Deck um. »Löschen Sie diese Laternen dort, Mr Madison«, trug er dem Midshipman auf. »Und hängen Sie eine Laterne in der Heckgalerie auf, damit Mr Ransome uns noch finden kann.«
Augenblicklich erloschen die Lichter an Deck. Nun waren die Crewmitglieder im fahlen Mondschimmer nur noch zu erahnen.
Hayden spürte die Anspannung bis in die Fußspitzen. Er würde sich entscheiden müssen. Auch wenn die Prise noch so verlockend war, es bliebe ihm wohl nichts anderes übrig, als das Schiff vorbeiziehen zu lassen. Viel mehr Sorgen bereitete ihm indes die Aussicht, der Feind könne die Themis entdeckt haben. Würde sich die Fregatte nun in den Schutz der Küstenbatterie flüchten oder würde sie zum Angriff übergehen?
»Ich glaube, das Schiff wird achteraus an uns vorbeiziehen, Kapitän – etwa drei Kabellängen.« In seiner Aufregung verlagerte Barthe sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Aber wenn wir sie sehen können, Kapitän …«
»Ja, Mr Barthe, es ist davon auszugehen, dass sie uns entdecken werden.«
Wie hatten Mr Stephens Anordnungen gelautet? Sollte diese Aufgabe mit anderen Befehlen kollidieren, die Sie von mir erhielten, so teile ich Ihnen hiermit mit, dass die Begegnung mit Monsieur Benoît und die Überbringung der Nachrichten an die Admiralität Vorrang haben.
Dieser Befehl war eindeutig – und dennoch, ein feindliches Schiff vorbeizulassen, ohne wenigstens den Versuch zu unternehmen, es in ein Gefecht zu verwickeln …
Unweigerlich musste Hayden an seinen früheren Kommandanten, Kapitän Hart, denken, der stets das offene Gefecht auf See gescheut und immer eine Ausrede parat gehabt hatte.
»Wenn die begriffen haben, dass wir ein britisches Schiff sind, Kapitän, dann bestreichen sie uns womöglich von achtern aus …«
»Ja, Sie haben recht, Mr Barthe. Bevor die Fregatte uns achteraus passieren kann, lautet mein Befehl: Auf das Ruder! Bringen Sie die Themis parallel zum Feind.«
»Aye, Sir. Sollen wir an das Schiff heranschließen, Kapitän?«, fragte der Master voller Erwartung.
Ehrgefühl und Pflichtbewusstsein rangen für einen Augenblick in Hayden. »Das wird nicht nötig sein, Mr Barthe. Wie es aussieht, kommen wir der Fregatte näher, als mir im Moment lieb sein kann.«
»Aye, Sir. Ich schicke die Männer auf ihre Posten, dann können wir im Nu backbrassen.« Er deutete mit einer vagen Geste in die Dunkelheit. »Diesem Franzmann werden wir keine Gelegenheit geben, uns an achtern zu bestreichen.«
Leise rief Hayden hinauf in die Topps: »Mr Wickham? Kommen Sie an Deck, wenn ich bitten darf.«
Erneut richtete Hayden seine Aufmerksamkeit auf das herannahende Schiff. Bei diesen Lichtverhältnissen war es nahezu unmöglich, die Geschwindigkeit der feindlichen Fregatte abzuschätzen. Eine Weile spähte er hinaus auf die See.
»Ah, da sind Sie ja«, bemerkte er, als der stellvertretende Leutnant das Deck erreicht hatte und nur wenige Fuß von Hayden entfernt war. »Wie weit ist das Schiff noch entfernt?«
»Eine halbe Meile, Sir, mehr nicht«, antwortete Wickham ohne zu zögern, worauf Hayden keinen Grund sah, an den Worten des jungen Mannes zu zweifeln. »Und sie hat den Wind im Rücken. Ich befürchte, dass sie schneller herankommt, als wir im Augenblick vermuten.«
Hayden berührte einen der Matrosen an der Schulter. »Suchen Sie Gilhooly und sagen Sie ihm, er soll das Licht in meinen Heckfenstern löschen, sobald wir wenden.«
Der Mann eilte davon.
»Mr Wickham, halten Sie die Augen an Steuerbord offen, und informieren Sie mich sofort, wenn Mr Ransome in Sichtweite kommt.«
»Er ist einige Stunden überfällig, Sir«, merkte Wickham zögerlich an.
»Ja, aber geben wir die Hoffnung noch nicht auf.« Wo steckte dieser Narr von einem Leutnant bloß? Wenn der Mann nicht ein Schützling von Lord Hood gewesen wäre, hätte Hayden sich am liebsten von ihm getrennt, aber es saßen noch andere gute Männer mit ihm im Beiboot – darunter Childers, Haydens Bootssteuerer.
Der Regen erreichte die Themis, als der Wind weiter auffrischte, und einen Moment lang verschmolz die französische Fregatte in den Schleiern auf See. Während die Geschützführer die hölzernen Mündungspfropfen entfernten, wurde die Themis von einer Böe erfasst und krängte hart nach Backbord.
Hayden suchte Halt an der Reling und schloss die Augen bei dem peitschenden Regen und dem Wind. Einen Moment lang hatte der Windstoß das Schiff im Griff, drückte die Segel gegen die Masten und riss an der Takelage. Doch genauso schnell ließ der Wind wieder nach, und das Schiff lag wieder ganz im Wasser.
»Wo ist der Franzose?«, wisperte Hayden. »Sieht irgendjemand die Fregatte?«
Auf die Frage folgte Schweigen, das immer beunruhigender wurde.
»Ich seh sie, Sir!« Einer der Männer an den Karronaden deutete aufs Wasser. »An Steuerbord voraus.«
»Ich seh gar nichts«, klagte Barthe. »Der Windstoß eben müsste sie an uns vorbeigetrieben haben.«
»Jetzt habe ich sie auch entdeckt, Kapitän!« Wickham stand auf den Zehenspitzen. »Dort drüben, Sir. Ich hätte zwar nicht damit gerechnet, aber die Strömung drückt uns offenbar zur Küste.«