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1. Auflage

Copyright © 2013 beim Albrecht Knaus Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: Oliver Schmitt unter Verwendung

eines Fotos von Alexander Mirsch

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-10269-2
V002

www.knaus-verlag.de

Inhalt

Dollbohrer

Wie alles begann …

Die Bibel
Das Buch Moses

Frankenstein

Der Pate

Moby Dick

Feuchtgebiete

Clockwork Orange

Lolita

Sherlock Holmes

Robinson Crusoe

Psycho

Harry Potter

Shining

Elf Freunde müsst ihr sein

Der Herr der Ringe

Der Medicus

Dracula

Die Meuterei auf der Bounty

Pinocchio

Die Leiden des jungen Werthers

Platoon

Münchhausen

Der Name der Rose

Die Abenteuer des Tom Sawyer

Der Vorleser/The King’s Speech

Die drei Musketiere

Drei Schwestern

Die »Dankeschön!«-Kategorien:

Dollbohrer

Der Begriff »Dollbohrer« kommt vornehmlich im südhessischen sowie im rheinhessischen Sprachraum vor.

Ursprünglich verstand man darunter ein aus Schmiedeeisen gefertigtes Werkzeug, mit dem bei Fachwerkhäusern und Dachkonstruktionen »Dollen« (Löcher) zum Eintreiben der Holznägel gebohrt wurden.

Mittlerweile ist dieses Werkzeug allerdings vollkommen aus der Mode gekommen, dafür gibt es aber neue Definitionen:

So nennt man denn heute vor allem jene Menschen »Dollbohrer«, die offensichtlich schwer einen an der Waffel haben, sich aufgrund ihres desaströsen Geltungsbedürfnisses permanent in den Vordergrund spielen müssen oder zumindest zu unfassbaren Übertreibungen neigen.

In der Ausgrabungsbranche wird der Begriff ebenfalls verwendet, dort werden besonders übermotivierte Archäologen auch gerne als »Dollbohrer« bezeichnet.

Darüber hinaus gibt es auch ein Halsschmuckstück, das so heißt und in einer Wormser Goldschmiede entworfen worden ist.

Was aber an dieser Stelle niemanden wirklich weiterbringt!

Wie alles begann …

Anfang letzten Jahres fanden im hessischen Teil des Odenwalds, genauer gesagt ziemlich in der Mitte zwischen Brensbach und Groß-Bieberau, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Ausgrabungen statt. Eine Gruppe von Archäologiestudenten der Fachhochschule Darmstadt stieß dabei auf sehr viel mehr als auf die erhofften Tierfossilien oder Überbleibsel prähistorischer Werkzeuge.

Durch einen glücklichen Zufall (der von ihnen dazu gemietete Baggerfahrer, ein in Semd bei Groß-Umstadt ansässiger Serbe mit schlesischem Hintergrund, war aufgrund zu starken Alkoholgenusses am Steuer seines Gefährts eingenickt, dann vornüber auf den Führungshebel der Baggerschaufel gesunken, wodurch er sie mit unglaublicher Wucht auf die Erde rammte) wurde bei den Grabungsarbeiten zunächst ein großes Erdloch erzeugt, bei dessen genauerer Begehung dann wiederum ein freigelegter Eingang entdeckt (und dem Serben zudem ein Bruch des Jochbeins beschert, weshalb ihm die später oft zitierte Formulierung »glücklicher Zufall« etwas unpassend erschien). Der durch diese Umstände offengelegte Eingang führte die Studenten in ein riesiges unterirdisches Höhlensystem, dessen verschiedene Kammern ihnen wiederum Schätze offenbarten, die in Archäologenkreisen für großes Aufsehen sorgten und die man durchaus als historisch, wenn nicht gar sensationell bezeichnen durfte. Wusste man beispielsweise bislang nur, dass es im Jahre 1716 mal das berühmte, wenn auch mittlerweile verschollene Bernsteinzimmer gegeben hatte, musste man jetzt einräumen, dass es offensichtlich schon sehr viel früher ein Handkäszimmer gegeben hatte, das man jetzt komplett und weitgehend unversehrt hatte freilegen können! Und als wäre dies nicht schon Sensation genug, fanden sich in diesen über die Jahrtausende erhärteten Handkäswänden komplette und vollkommen erhaltene menschliche Gebisse, offenbar von damals hier lebenden Odenwäldern. Als man diese sorgfältig aus ihrer Schicht befreite, fingen sie plötzlich an zu klappern, um kurz darauf sogar zu sprechen! »Des gibt’s doch gar net!«, »Ach, herrlisch, endlisch widder frei, endlisch widder babbeln« und »Es lebe de Odenwald!«, riefen sie fröhlich. Und so groß anfangs die Begeisterung der Archäologiestudenten über diesen scheinbar lustigen Fund auch war, so schnell kippte diese, als man nach ein paar Stunden feststellen musste, dass die Gebisse nicht gewillt waren, auch nur mal für eine Minute Ruhe zu geben. Was zur logischen Folge hatte, dass man sie schon bald kurzerhand einige Kilometer weiter in einem dunklen und unbewohnten Teil des Odenwaldes wieder aussetzte und sie dort sich selbst überließ.

Einer der Studenten, der in der Nähe des Ausgrabungsortes bei seinen Eltern wohnte, erzählte einige Wochen später, dass ihm eines der Gebisse gleich mehrere Male begegnet sei. Zunächst auf einem Wahlplakat zur Bürgermeisterwahl in Bad König, dann, nachdem es diese gewonnen hatte, wie es auf einem Foto beim Einzug ins Bürgermeisterbüro in die Kamera feixte, und noch mal ein paar Wochen später bei einem TV-Bericht der »Hessenschau«, der zeigte, wie es eine neue Umgehungsstraße einweihte, indem es feierlich das obligatorische Band durchbiss.

Die wertvollste Entdeckung bei den Ausgrabungen in der Höhle jedoch war eine separate Kammer, in der man Dutzende bemerkenswert gut erhaltener Schriftrollen aus Pergament entdeckte. Wissenschaftler sprachen später vom »Tag, an dem die Literaturgeschichte neu geschrieben wurde« – was zwar die allgemeine Euphorie widerspiegelte, inhaltlich aber so nicht ganz stimmte. Denn wie diese Schriftrollen belegten, war die Geschichte der Literatur nicht an diesem Tag, sondern bereits vor vielen Jahrhunderten neu geschrieben worden. Oder sagen wir … anders! Im Klartext: Es fanden sich gleich reihenweise Kapitel, die offensichtlich zu großen Werken der Weltliteratur gehörten, die man aber bis heute so nicht kannte, da sie nie veröffentlicht worden waren. Und die die dazugehörigen Bücher jetzt, nach diesem Fund, in einem ganz anderen Licht erscheinen ließen. Ja, die meisten der gefundenen Schriften machten deutlich, dass viele heute bekannte Werke ursprünglich ganz anders gedacht beziehungsweise auch ganz anders angelegt worden waren! Dass es schlimme Manipulationen sowohl bei den Schauplätzen, vor allem aber bei den literarischen Figuren gegeben hatte! Und dass bestimmte heutige geschichtliche Erkenntnisse schlichtweg nicht den damaligen Wahrheiten entsprachen!

Aus diesen Erkenntnissen ergaben sich natürlich einige dringende Fragen:

1) Warum hatte man das seinerzeit gemacht?

2) Warum waren genau diese Kapitel aussortiert worden?

3) Wieso wurden all diese Bücher erst Jahrhunderte später, und dazu auch noch meist stark verändert, veröffentlicht?

4) Wie war es möglich, dass sich Kapitel fanden, deren Beschreibungen ihrer Zeit um etliche Jahrhunderte voraus waren?

5) Warum im Odenwald?

Fragen, die die Menschheit noch lange beschäftigen dürften!

Die Freie Archäologengruppe der Fachhochschule Darmstadt hat jedenfalls nach ausführlicher Auswertung dieses sensationellen Fundes beschlossen, das Material für die Öffentlichkeit freizugeben. Was den Verlag und mich zu großer Dankbarkeit verpflichtet, denn ohne diese Bereitschaft wäre dieses Buch hier nie möglich geworden!

Tauchen wir also ein in die Welt der bislang unveröffentlichten Kapitel der Weltliteratur. Auch wenn danach nichts mehr so sein wird wie vorher …

Henni Nachtsheim, Rödermark im Januar 2013

Die Bibel
Das Buch Moses

Eine der verstörendsten Entdeckungen bei den genannten Schriften dürfte eine Geschichte aus der Bibel gewesen sein, die offenbarte, dass sich damals eine entscheidende Begebenheit offensichtlich doch anders zugetragen hatte als bislang angenommen. Hatten die Kirchenleute und Gläubigen der Welt tatsächlich gedacht, dass längst Klarheit über all das herrschte, was sich damals ereignet hatte, so müssen sie spätestens jetzt zugeben, dass das so nicht stimmt. Und dass sich die Geschichte um Moses und seine Teilung des Roten Meeres dank seines erhobenen Stabes und die damit verbundene Rettung des Volkes der Israeliten definitiv etwas anders zugetragen hatte …

Die Flucht vor den Ägyptern war anstrengend für Moses gewesen. Zum einen, weil er vorher noch nie für so eine große Gruppe die Verantwortung hatte tragen müssen, zum anderen, weil ihm niemand von höherer Stelle irgendeine Unterstützung etwa in Form von Hilfspersonal hatte zukommen lassen. Zwar gab es auch schon damals eine recht erfolgreiche Vermittlungsstelle für eingewanderte Hebräer und Midianiter, aber da gerade die Hochsaison für Kreuzigungen und Folter begonnen hatte und man in dieser Zeit als Aushilfshenker beziehungsweise Teilzeitfolterer sehr gut verdienen konnte, war der Arbeitsmarkt so gut wie leer gefegt.

Moses war also mehr als genervt und erschöpft, zumal das Volk, das er da anführte, ja nicht nur einfach hinter ihm hergelaufen war, sondern permanent für Unterbrechungen gesorgt hatte. Mal hatte sich einer den Knöchel verstaucht, dann klagte einer aufgrund der einseitigen Ernährung über Durchfall, dann bekam irgendjemand mittendrin ein Kind, während sich kurz drauf wiederum zwei Eheleute mit seiner Hilfe scheiden lassen wollten.

Und als ob das nicht schon alles genug Nerverei gewesen wäre, stellte immer irgendeiner diese nutzlosen Fragen: »Wie lang dauert’s dann noch?«, »Sind wir bald da?«, »Wie viel Uhr isses denn?« und so weiter und so fort.

Moses war es leid, immer wieder antworten zu müssen, und es gab manche Momente, in denen er bitter bereute, sich beruflich nicht ganz anders entschieden zu haben. Denn neben den eben bereits erwähnten Jobs im Hinrichtungs- und Folterbereich gab es auch andere lukrative Erwerbsmöglichkeiten. Archimedes zum Beispiel hatte gerade die Archimedische Schraube erfunden und suchte händeringend nach Mitarbeitern, die diese in seinem frisch gegründeten Werk jeweils hunderterweise in Packungen für den Versand füllten! Auch hatte Moses gehört, dass Vasenmalerei schwer im Kommen war und man vielerorts manuell geschickte Leute dafür suchte. Ja, das hätte er sich vorstellen können, Schrauben abzählen oder Vasen bepinseln. Oder beides abwechselnd. Doch was sollte es. Da er sich für diese Aufgabe hatte breitschlagen lassen, musste er da jetzt auch durch! Zu allem Überfluss auch noch mit den beiden großen Schiefertafeln auf dem Rücken, auf denen diese Zehn Gebote standen. Wovon er übrigens nur knapp die Hälfte gut, die andere jedoch stark überarbeitungswürdig fand. »… aber mich fragt ja keiner«, murmelte er gerade, als er plötzlich dem nächsten Problem gegenüberstand. Dem Roten Meer!

»Was mach ich denn jetzt?«, raunte er, als er dieses Ungetüm aus Wasser und Wellen sah, das sich da vor ihm aufbäumte. »Das kann ja heiter werden!«

Mittlerweile waren auch die Israeliten hinter ihm zwangsläufig zum Stehen gekommen und musterten argwöhnisch die aufgewühlten Fluten.

»Und jetzt, Moses?«, rief einer.

Moses verkniff sich das Zucken seiner Schulterblätter, denn schon die geringste Andeutung von Hilflosigkeit hätte die komplette Truppe in Panik versetzen können. Also hob er die Hand, um so zu signalisieren, dass er überlegen müsse. Genau in diesem Moment sprach eine Stimme zu ihm.

»Un, Chef, kann ich helfe? Ich maan, ich will mich net uffdrängele … aber es gibt ja dorschaus Situatiönscher, da is mer froh, wann einem einer hilft, gell?«

Moses stutzte. Die Stimme vernahm er, aber woher kam sie? Fragend schaute er in den Himmel über sich.

»Naa, des wär jetzt grad e ma die falsche Rischtung, Chef, Sie müsste bitte schön eher nach unne gucke!«

Moses schaute also nach unten und sah jetzt auch den, dem diese Stimme gehörte. Vor ihm stand ein kleiner, stämmiger Mann in einem blauen Anzug aus offenbar strapazierfähigem Material, auf dem Kopf eine dazu passende blaue Kappe.

»Ich will Sie ja grad net störn, Chef, aber ich seh, dass Sie … ich sach ma … eine gewisse Hilfe schon örschendwie gebrauche könnte, gell?«

Moses musterte den merkwürdigen Fremdling argwöhnisch. Was dieser jedoch vollkommen ignorierte.

»So wie ich des seh, komme Sie bei diesem Wellegang net werklisch weiter, gell?

Klar, Sie könnte es mit Schwimme versuche, aber wenn ich mir Ihre Leut so anguck, dürften Ihne die meiste allein schon von de Kondition her spätestens nach hunnert Metern absaufe wie die Backsteinscher! Und deswegen glaub ich, meine Jungs und ich wärn da genau die Rischtische!«

Fragend schaute Moses ihn an.

»Auch wenn ich gar nicht weiß, wer Sie sind … wie und was wollen Sie denn machen? Und wer sind ›Ihre Jungs‹?«, fragte er und erschrak dabei über seine eigene Ratlosigkeit.

»Entschuldigung … des war unhöflisch! Gestatten … Manfred Euler! Sie könne aber auch gern ›Manni‹ sache! Also, lasse Sie uns einfach nur mache, Chef! Werd net ganz billisch … aber was ist schon umsonst im Leben, gell? Und des hier sind meine Jungs!«

Mit diesen Worten pfiff er lautstark auf zwei Fingern, und schon erschienen jede Menge weiterer kleiner kompakter Männer in ebenfalls blauen Anzügen. Auf einem großen Wagen karrten sie in Windeseile alle möglichen Geräte an, die sie genauso schnell abluden. Ruck, zuck wurden eigenartige, kleine Rohre in genauso eigenartige größere geschraubt, wurden merkwürdige Konstruktionen aufgefahren und weitere Dinge eingesetzt, die weder Moses noch seine Gefolgschaft je zuvor gesehen hatten, die aber angesichts der entschlossenen Vorgehensweise der blauen Männer offensichtlich einen Sinn ergaben! Deren Anführer stellte sich jetzt neben Moses, um ihm alles zu erklären.

»Also, mer habbe jetzt, ich sach ma, en zweigleisisches Rohrsystem verlescht. Durch die innen liegende Rohrn und die Flachsaugpumpe werd des Wasser eingezoge, und durch die außen lieschende werd’s seitlich abgepumpt. Die Hauptpumpe, die sowohl die Flach- als auch die Abwälzpumpen antreibt, wird, wie Sie sehen, durch Pedalantrieb angetribbe. Ei ja, was solle mer sonst mache hier drauße? Des heißt, je schneller meine Mitarbeiter trete, umso schneller fließt auch des Wasser ab. Durch den Innedruck entsteht jetzt gleich eine Art wasserloser Freiraum, also quasi ein Wesch, der Ihne Ihren Leuten und Ihne ermöglicht, ans annere Ufer zu komme ohne abzusaufe!«

Er formte seine Hände zu einem Trichter.

»Achtung, Männer, bei drei geht’s los! Und schön gleichmäßisch trete, sonst wird des nix! Eins, zwei, drei!«

Sofort legten sich seine Leute schwer ins Zeug, und schon kurz drauf wurden große Wassermengen zur Seite gepumpt.

»Sehen Se, es funktioniert! Also, dann ma nix wie rübber …!«

Auch wenn Moses immer noch nicht verstanden hatte, was da eigentlich genau passiert war, hatte er zumindest begriffen, dass sich das, was sich da direkt vor ihnen auftat, der rettende Weg durch das Rote Meer war.

Und da die Zeit ja drängte, trieb er die Menge mit wildem Stockgefuchtel und lautem Gebrüll in Richtung des soeben neu geschaffenen Pfades. Bald schon war das letzte Mitglied seiner Gefolgschaft auf dem sicheren Weg in die Freiheit, sodass schließlich nur der kleine kompakte Mann und er selbst noch am Strand standen.

»Hat Gott euch geschickt?«, fragte Moses, immer noch ungläubig den Kopf schüttelnd.

»Na, der war’s net … auch wenn sich unsern Chef schon gerne ma so sieht. Aber jetzt im Ernst … wenn man so ’ne Ferma wie unsere erfolgreich uffbaue will, brauch mer natürlich des rischtische Nässche! Und solang die Uffträge noch net von selber komme, kommen wir halt von selber! Gut, gell?«

»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«

»Ganz einfach …«

Der Kleine grinste ihn gut gelaunt an, während er ihm eine Papierrolle in die Hand drückte.

»… so schnell wie möglich den komplette Rechnungsbetrag überweise. Wobei ich Ihnen sogar bei Sofortüberweisung 2,5% Skonto einberaumt hab!«

»Aber ich weiß gar nicht, was das bedeutet«, entgegnete Moses, »›Sofortüberweisung‹, ›Skonto‹ usw.«

»Des mescht nix. Mein Bruder is grad im Begriff, des Bank- und Versicherungswese zu erfinden. Der kimmt nächste Woche bei Ihne vorbei und erklärt Ihnen alles! So, und jetzt müsse mer weiter! Wie ich gehört hab, soll net weit von hier ’ne Kreuzischung im große Stil stattfinne, so mit rischtisch viel Besuchern und so. Und wo viele Leut zusammekomme, werd ja auch viel getrunke und gegesse. Also auch viel Wasser gelasse und … na, Sie wisse schon, was ich meine! Desdewesche brauche die natürlich jede Menge, ich sach ma, Notdurftstelle. Und genau da kommen wir ins Spiel. Wir baue so Häusscher auf, die für nichts anneres gemacht sind als für die menschlichen Bedürfnisse. Mer habbe da so ein neuartiges Material entwickelt, mer nenne es im Moment erst mal ›Kunststoff‹ …und genau aus dem sind unsere Häusscher. Ausgesproche stabil! Damit se net gleich beim erste Windstoß umkippe wie die Salzstängelscher! So, und jetzt genug gebabbelt, ich muss los! Dann alles Gute! Und natürlich net vergesse, uns immer schön weiterzuempfehlen!«

Was Moses nachweislich nie tat und was zur Folge hatte, dass sich sowohl Dixiklos als auch die Firma »Pumpen-Euler« als Hersteller von Schlauch- und Umwälzpumpen in dieser Zeit nur mühsam durchsetzten und noch einige Jahrhunderte brauchten, bis sie endlich die Beachtung fanden, die sie verdient hatten!

Frankenstein

Die genaue Zahl der vielen Verfilmungen oder Adaptionen des Werkes von Mary Shelley lässt sich nicht wirklich feststellen. Was aber alle inklusive dem Buch gemeinsam haben, ist der kollektive Irrglaube, dass das von Dr. Frankenstein erschaffene Monster irgendwann auf dramatische Art und Weise ums Leben gekommen war …

Normalerweise las das Monster die »Sport-Bild« nicht. Aber dieser Typ auf dem Titelblatt mit den komisch übereinander liegenden Zähnen und den auffälligen Narben im Gesicht hatte sofort seine Aufmerksamkeit geweckt. Also hatte es die Zeitschrift unbemerkt aus dem Ständer neben dem Kiosk gezogen und war damit in den Bus gestiegen. Die Fahrt würde schließlich gute fünfundvierzig Minuten dauern, da war ein bisschen Lektüre ja nicht verkehrt. Neugierig überflog es all die Seiten, die dem Mann vom Titel gewidmet waren. Der Name sagte ihm überhaupt nichts. Frank Ribéry? Noch nie gehört! Und wer oder was war Bayern München? Aber eigentlich war das auch nicht wichtig. Was das Monster interessierte, war, woher der Typ diese Narben hatte und wie er trotzdem damit offensichtlich so berühmt geworden war, dass er es sogar auf das Titelblatt einer Zeitung geschafft hatte!

Wobei es nicht so war, dass es seine eigenen Narben als störend empfand! Es hatte sich ja längst an sie gewöhnt! Genauso daran, dass die viel zu hohe Stirn für immer viel zu hoch bleiben würde! Ja, selbst die Tatsache, dass sein ehemals pechschwarzes Haar auf seinem viereckigen Kopf erste Grautöne aufwies und deswegen auch farblich nicht mehr ganz so schön zu seinem grünlichen Teint passte, war aus seiner Sicht hinzunehmen. Aber was das Monster kolossal nervte, ja, was es so wütend machte, waren die beiden fingerdicken Schrauben, die ihm Dr. Frankenstein damals bei seiner Erschaffung zwecks Stabilisierung links und rechts in den Hals montiert hatte.

Es war nicht der Umstand, dass sie da waren, nein, nein, sie machten ja Sinn! Und auch ihre starke magnetische Anziehungskraft auf Blitze bei Gewittern war ihm beileibe nicht unangenehm, im Gegenteil! Denn erstens war er ja unter Zuhilfenahme genau solcher Blitze seinerzeit im Labor von Viktor Frankenstein überhaupt erst erschaffen worden, und zweitens fühlte es sich nach jedem Einschlag immer so herrlich erfrischt und besonders lebendig! Was ihm aber so die Laune verhagelte, war, dass sie auf einmal rosteten! Diese Scheißschrauben hatten über Jahrzehnte geglänzt wie Edelmetalle, und jetzt auf einmal das! Hässlicher Rost, der nicht nur blöd aussah, sondern einen auch noch deutlich älter machte.

Also war das Monster heute Morgen zu dieser Praxis für Schönheitschirurgie gefahren, fest davon ausgehend, dass man ihm dort helfen würde. Fehlannahme! Man könne ihm, so versicherte ihm ein Doktor, die Nase verkleinern, die Haut straffen, Fett absaugen oder die Brust verkleinern. Oder auch vergrößern! Und … apropos … natürlich wäre es auch ein Leichtes, seinen … na, er wüsste schon … zu verlängern! Aber auf so was wie verrostete Schrauben im Hals sei man nicht eingestellt, hätte auch keinerlei adäquates Ersatzmaterial im Haus, und überhaupt würde eine Korrektur der Halsschrauben nur sehr selten gewünscht. Nein, diesbezüglich könne man ihm nicht helfen, mal ganz abgesehen davon, dass er zudem nicht privat versichert sei, was, bei allem Verständnis, jedweden Eingriff schier unmöglich mache. Aber es sei doch vielleicht mal einen Versuch wert, jemanden aufzusuchen, der von Haus aus mit Metall zu tun hatte.

Keine halbe Stunde später stand das Monster auf dem ölverschmierten Boden einer kleinen Autowerkstatt (»Alle Marken, alle Teile«), um dem dortigen Meister sein Problem zu erklären. Die Redewendung, dass etwas »seinen Mann ernährte«, schien im Fall dieses Unternehmens mehr als zuzutreffen, denn zwischen dem Werkstattchef und dem Michelin-Mann auf der Reifendrucktabelle an der Wand bestand figurtechnisch eigentlich keinerlei Unterschied.

»So, so, die Dinger roste, und des stinkt Ihne! Des glaub ich. Wann ich so Stängelscher im Hals stecke hätt, würd mir des aach net gefalle …!«

Das Monster betrachtete ihn und fragte sich, von welchem Hals sein Gegenüber da eigentlich sprach, schienen doch dessen Oberkörper und Kopf unmittelbar aneinandergewachsen zu sein.

»Des Problem is, dass der Rost sich schon so dorschgefresse hat, dass man des mit ’ner Politur oder so aach net mer hiekriescht! Rausziehe will ich se auch net, weil ich net weiß, ob Ihnen dann die Birne einfach nach vorne abknickt und ich hier ’ne Riesensauerei uffwische muss. Sie sehe ja eh schon e bissi krank aus! Und drübberlackiern bringt aach nix, weil der Rost sich eh durch alle Farben nach außen wieder dorschfrisst! Nee, ich glaub, da kann selbst de Walter nix mache!«

»Wer ist denn Walter?«, murmelte das Monster.

»Na, ich!«

Jetzt saß es wieder im Bus und war frustriert. Und der Artikel in der »Sport-Bild« über das andere Monster gab auch keine Antwort auf seine Fragen.

»Die Fahrkarten bitte!«

Irritiert blickte es aus seinen tief liegenden Augen nach oben. Der Freundlichkeitsgrad im Gesicht der kräftigen Kontrolleurin, deren mädchenhafter Pagenschnitt einfach nur ein mieser Versuch war, die Wahrheit ihrer kantigen und vollkommen unfemininen Physiognomie zu kaschieren, stand auf einer Skala von eins bis zehn maximal auf minus fünf.

»Was?«

»Ich sagte: ›Die Fahrkarten bitte!‹ Hätte ich ›Kalte Getränke!‹ gesagt, dann hätte ich auch welche dabei!«

»Schade, ich habe nämlich sehr starken Durst!«, antwortete das Monster ernst.

»Gut, da hat wohl einer heute Morgen einen Clown gefrühstückt, wir haben alle mal herzlich gelacht, aber jetzt widmen wir uns wieder meiner Frage …«

»Ich habe gar nicht gelacht. Mir ist auch gar nicht nach lachen. Ich bin schon den ganzen Tag unterwegs, weil ich große Probleme habe wegen der Schrauben …«

»Dass Sie ein Problem mit Ihren Schrauben haben, glaub ich Ihnen aufs Wort, aber was mich einzig und allein interessiert, ist eine gültige Fahrkarte! Also, haben Sie eine oder nicht?«

Das Monster schüttelte den Kopf. Wie sollte sich denn jemand eine Fahrkarte kaufen können, der den Großteil seines Lebens ohne Geld auskommen musste? Monster bekamen nicht an jeder Ecke einen Job. Und wenn es mal arbeiten durfte, so wie damals im Tierpark Hagenbeck, dann war es erfahrungsgemäß schon wenige Tage später wieder arbeitslos. In diesem Fall, weil sein Typ bei Tieren, egal welcher Spezies auch immer, offensichtlich nicht besonders gut ankam. Ob Affen, Elefanten oder Giraffen, alle hatten sich immer sofort vom Freigehege in die Innenkäfige verzogen, sobald er auch nur in ihre Nähe kam. Selbst die Hyänen blieben heulend in der Tiefe ihrer künstlichen Höhle sitzen! Was zur logischen Folge hatte, dass sich das Publikum, das ihn übrigens einfach nur für einen verkleideten Teil des Rahmenprogramms hielt, natürlich beschwerte. Zoobesuche hatten nun mal mit der Besichtigung von Tieren zu tun, und nicht damit, suchend in leere Gehege zu starren und weinenden Kindern zu erklären, dass Tiere auch ihre Privatsphäre hätten.

Nein, das Monster hatte keinen Fahrschein. Und auch keine fünfzig Euro, um die Strafe zu bezahlen. Aber warum auch? Dieser Tag war eh nicht sein Freund, da machte es auch nichts mehr aus, dass es jetzt von der Kontrolleurin mit der Lügenfrisur aus der zischenden Hydrauliktür geführt wurde wie ein verurteilter Schwerverbrecher. Ja, selbst dass sie ihm jetzt noch tatsächlich, und gegen jede Vorschrift, Handschellen anlegte, regte es nicht wirklich auf. Zu oft in seinem scheinbar unendlichen Leben war es ungerecht behandelt worden, und wie immer in solchen Momenten versank das Monster in sich selbst und seiner unendlich tiefen Einsamkeit. Und so bemerkte es auch nicht, wie es urplötzlich anfing zu regnen, wie in Windeseile ein Gewitter heranzog. Den Einschlag registrierte es allerdings dann doch. Und auch, dass direkt neben ihm etwas Schweres zu Boden sank. Diese Blitze hatten, wie bereits erwähnt, etwas Erfrischendes! Wenn auch nicht für jeden gleich, wie die tote Kontrolleurin mit dem überraschten Gesichtsausdruck deutlich belegte und aus deren Uniformtasche es sich jetzt den kleinen Schlüssel fischte, um sich von den Handschellen und ihrer Nähe zu befreien.

Kurz darauf stand das Monster lächelnd im strömenden Regen, der sich spielerisch durch die Kerben und Narben seines grünlichen Gesichtes schlängelte. Mochte sein, dass ihm die Schrauben einen schwierigen Tag beschert und es letztendlich überhaupt erst in diese Situation gebracht hatten. Aber dafür hatten sie es jetzt auch wieder da rausgeholt.

»Scheiß auf verrostet«, murmelte es, »ich bin froh, dass ich euch habe!«

Wie zur Belohnung dieser Erkenntnis fuhr ein weiterer Blitz in das Metall in seinem Hals.

Den Pendlern, die um diese Uhrzeit mit ihren Autos hier nach Hause fuhren, bot sich an diesem Nachmittag ein ungewohnter Anblick. Ein eigenartiges Wesen mit einem zu großen, grünen, viereckigen Kopf und komischen Teilen im Hals sprang fröhlich von Pfütze zu Pfütze, grölte dabei »I’m singing in the rain!« und winkte jedem zu, der an ihm vorbeifuhr!

Der Pate

War wirklich New York der Hauptschauplatz, an dem der berühmte Pate und sein Clan ihr Unwesen getrieben hatten? Lange hatte man das aufgrund des großen Mafiaromans von Mario Puzo geglaubt. War es aber nicht …!

Da stand er!

Selbstgefällig wie immer.

Als würde das hier alles ihm gehören.

Es wurde höchste Zeit, die Verhältnisse gerade zu rücken. Mal klären, wer hier das Sagen hatte und wer nur so tat! Und heute passte es besonders gut! Weil hier sonntagnachmittags die meisten Menschen waren. Mütter, Väter, Kinder, Opas, Omas, Singles, alle hatte das schöne Wetter hierhergelockt. Und genau jetzt, da die Arglosigkeit am größten war, konnte man sich locker unter die Menge mischen! Michael, Peter, Tom und Schorschi wussten, was zu tun war!

»Seht ihr den aale Fettsack? Da drübbe steht er!«, zischelte Michael den anderen zu. »Alles klar, ungarische Zwei-Zentner-Qualle auf Block eins!«

»Ich seh sie! So, mein Schätzche … gleich bist du reif.«

»Willst du zuerst, Peter?«

»Nee, du kannst auch gern zuerst, Schorschi!«

»Ich muss aber net. Was is mit dir, Tom?«

»Ach, ich lass Peter gern den Vortritt …«

Schließlich einigte man sich gut gelaunt darauf, dass es alle gleichzeitig machen sollten. Denn so hartherzig die vier beim Umgang mit dem Rest der Menschheit auch sein konnten, so innig und freundschaftlich war ihr Umgang untereinander. Was ihnen bei der Ausübung ihrer Boshaftigkeiten vermutlich genau die Kraft verlieh, die man dafür brauchte!