Gottfried Keller

Die drei gerechten Kammmacher

Novelle

Gottfried Keller

Die drei gerechten Kammmacher

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962812-78-2

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Inhaltsverzeichnis

Die drei ge­rech­ten Kamm­ma­cher

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Die drei gerechten Kammmacher

Die Leu­te von Seld­wy­la ha­ben be­wie­sen, dass eine gan­ze Stadt von Un­ge­rech­ten oder Leicht­sin­ni­gen zur Not fort­be­ste­hen kann im Wech­sel der Zei­ten und des Ver­kehrs; die drei Kamm­ma­cher aber, dass nicht drei Ge­rech­te lang un­ter ei­nem Da­che le­ben kön­nen, ohne sich in die Haa­re zu ge­ra­ten. Es ist hier aber nicht die himm­li­sche Ge­rech­tig­keit ge­meint oder die na­tür­li­che Ge­rech­tig­keit des mensch­li­chen Ge­wis­sens, son­dern jene blut­lo­se Ge­rech­tig­keit, wel­che aus dem Va­terun­ser die Bit­te ge­stri­chen hat: Und ver­gib uns un­se­re Schul­den, wie auch wir ver­ge­ben un­sern Schuld­nern! weil sie kei­ne Schul­den macht und auch kei­ne aus­ste­hen hat; wel­che nie­man­dem zu­leid lebt, aber auch nie­man­dem zu Ge­fal­len, wohl ar­bei­ten und er­wer­ben, aber nichts aus­ge­ben will und an der Ar­beit­streue nur einen Nut­zen, aber kei­ne Freu­de fin­det. Sol­che Ge­rech­te wer­fen kei­ne La­ter­nen ein, aber sie zün­den auch kei­ne an, und kein Licht geht von ih­nen aus; sie trei­ben al­ler­lei Han­tie­rung, und eine ist ih­nen so gut wie die an­de­re, wenn sie nur mit kei­ner Fähr­lich­keit ver­bun­den ist; am liebs­ten sie­deln sie sich dort an, wo recht vie­le Un­ge­rech­te in ih­rem Sin­ne sin­d; denn sie un­ter­ein­an­der, wenn kei­ne sol­che zwi­schen ih­nen wä­ren, wür­den sich bald ab­rei­ben wie Mühl­stei­ne, zwi­schen de­nen kein Korn liegt. Wenn die­se ein Un­glück be­trifft, so sind sie höchst ver­wun­dert und jam­mern, als ob sie am Spie­ße stä­ken, da sie doch nie­man­dem was zu­leid ge­tan ha­ben; denn sie be­trach­ten die Welt als eine große wohl­ge­si­cher­te Po­li­zei­an­stalt, wo kei­ner eine Kon­tra­ven­ti­ons­bu­ße zu fürch­ten braucht, wenn er vor sei­ner Türe flei­ßig kehrt, kei­ne Blu­men­töp­fe un­ver­wahrt vor das Fens­ter stellt und kein Was­ser aus dem­sel­ben gießt.

Zu Seld­wyl be­stand ein Kamm­ma­cher­ge­schäft, des­sen In­ha­ber ge­wohn­ter­wei­se alle fünf bis sechs Jah­re wech­sel­ten, ob­gleich es ein gu­tes Ge­schäft war, wenn es flei­ßig be­trie­ben wur­de; denn die Krä­mer, wel­che die um­lie­gen­den Jahr­märk­te be­such­ten, hol­ten da ihre Kamm­wa­ren. Au­ßer den not­wen­di­gen Horn­strie­geln al­ler Art wur­den auch die wun­der­bars­ten Schmuck­käm­me für die Dorf­schö­nen und Dienst­mäg­de ver­fer­tigt aus schö­nem durch­sich­ti­gem Och­sen­horn, in wel­ches die Kunst der Ge­sel­len (denn die Meis­ter ar­bei­te­ten nie) ein tüch­ti­ges braun­ro­tes Schild­patt­ge­wöl­be beiz­te, je nach ih­rer Fan­ta­sie, so­dass, wenn man die Käm­me ge­gen das Licht hielt, man die herr­lichs­ten Son­nen­auf- und -nie­der­gän­ge zu se­hen glaub­te, rote Schäf­chen­him­mel, Ge­wit­ter­stür­me und an­de­re ge­spren­kel­te Na­tur­er­schei­nun­gen. Im Som­mer, wenn die Ge­sel­len ger­ne wan­der­ten und rar wa­ren, wur­den sie mit Höf­lich­keit be­han­delt und be­ka­men gu­ten Lohn und gu­tes Es­sen; im Win­ter aber, wenn sie ein Un­ter­kom­men such­ten und häu­fig zu ha­ben wa­ren, muss­ten sie sich du­cken, Käm­me ma­chen, was das Zeug hal­ten woll­te, für ge­rin­gen Lohn; die Meis­te­rin stell­te einen Tag wie den an­dern eine Schüs­sel Sau­er­kraut auf den Tisch, und der Meis­ter sag­te: »Das sind Fi­sche!« Wenn dann ein Ge­sel­le zu sa­gen wag­te: »Bitt um Ver­zei­hung, es ist Sau­er­kraut!« so be­kam er auf der Stel­le den Ab­schied und muss­te wan­dern in den Win­ter hin­aus. So­bald aber die Wie­sen grün wur­den und die Wege gang­bar, sag­ten sie: »Es ist doch Sau­er­kraut!« und schnür­ten ihr Bün­del. Denn wenn dann auch die Meis­te­rin auf der Stel­le einen Schin­ken auf das Kraut warf und der Meis­ter sag­te: »Mei­ner Seel, ich glaub­te, es wä­ren Fi­sche! Nun, die­ses ist doch ge­wiss ein Schin­ken!« so sehn­ten sie sich doch hin­aus, da alle drei Ge­sel­len in ei­nem zwei­spän­ni­gen Bett schla­fen muss­ten und sich den Win­ter durch herz­lich satt be­ka­men we­gen der Rip­pen­stö­ße und er­fro­re­nen Sei­ten.

Eins­mals kam aber ein or­dent­li­cher und sanf­ter Ge­sel­le an­ge­reist aus ir­gend­ei­nem der säch­si­schen Lan­de, der füg­te sich in al­les, ar­bei­te­te wie ein Tier­lein und war nicht zu ver­trei­ben, so­dass er zu­letzt ein blei­ben­der Haus­rat wur­de in dem Ge­schäft und mehr­mals den Meis­ter wech­seln sah, da es die Jah­re her ge­ra­de et­was stür­mi­scher her­ging als sonst. Jobst streck­te sich in dem Bet­te, so steif er konn­te, und be­haup­te­te sei­nen Platz zu­nächst der Wand Win­ter und Som­mer; er nahm das Sau­er­kraut wil­lig für Fi­sche und im Früh­jahr mit be­schei­de­nem Dank ein Stück­chen von dem Schin­ken. Den klei­nern Lohn leg­te er so gut zur Sei­te wie den grö­ßern; denn er gab nichts aus, son­dern spar­te sich al­les auf. Er leb­te nicht wie an­de­re Hand­werks­ge­sel­len, trank nie einen Schop­pen, ver­kehr­te mit kei­nem Lands­mann noch mit an­dern jun­gen Ge­sel­len, son­dern stell­te sich des Abends un­ter die Hau­stü­re und schä­ker­te mit den al­ten Wei­bern, hob ih­nen die Was­serei­mer auf den Kopf, wenn er be­son­ders frei­ge­bi­ger Lau­ne war, und ging mit den Hüh­nern zu Bett, wenn nicht reich­li­che Ar­beit da war, dass er für be­son­de­re Rech­nung die Nacht durch­ar­bei­ten konn­te. Am Sonn­tag ar­bei­te­te er eben­falls bis in den Nach­mit­tag hin­ein, und wenn es das herr­lichs­te Wet­ter war; man den­ke aber nicht, dass er dies mit Froh­sinn und Ver­gnü­gen tat, wie Jo­hann, der mun­te­re Sei­fen­sie­der; viel­mehr war er bei die­ser frei­wil­li­gen Mühe nie­der­ge­schla­gen und be­klag­te sich fort­wäh­rend über die Müh­se­lig­keit des Le­bens. War dann der Sonn­tagnach­mit­tag ge­kom­men, so ging er in sei­nem Ar­beits­schurz und in den klap­pern­den Pan­tof­feln über die Gas­se und hol­te sich bei der Wä­sche­rin das fri­sche Hemd und das ge­glät­te­te Vor­hemd­chen, den Va­ter­mör­der oder das bes­se­re Schnupf­tuch und trug die­se Herr­lich­kei­ten auf der fla­chen Hand mit ele­gan­tem Ge­sel­len­schritt vor sich her nach Hau­se. Denn im Ar­beits­schurz und in den Schlapp­schu­hen be­ob­ach­ten man­che Ge­sel­len im­mer einen ei­gen­tüm­lich ge­zier­ten Gang, als ob sie in hö­he­ren Sphä­ren schweb­ten, be­son­ders die ge­bil­de­ten Buch­bin­der, die lus­ti­gen Schuh­ma­cher und die sel­te­nen son­der­ba­ren Kamm­ma­cher. In sei­ner Kam­mer be­dach­te sich Jobst aber noch wohl, ob er das Hemd oder das Vor­hemd­chen auch wirk­lich an­zie­hen wol­le, denn er war bei al­ler Sanft­mut und Ge­rech­tig­keit ein klei­ner Schwein­igel, oder ob es die alte Wä­sche noch für eine Wo­che tun müs­se und er bei Hau­se blei­ben und noch ein biss­chen ar­bei­ten wol­le. In die­sem Fal­le setz­te er sich mit ei­nem Seuf­zer über die Schwie­rig­keit und Müh­sal der Welt von neu­em da­hin­ter und schnitt ver­dros­sen sei­ne Zäh­ne in die Käm­me, oder er wan­del­te das Horn in Schild­kröt­scha­len um, wo­bei er aber so nüch­tern und fan­ta­sie­los ver­fuhr, dass er im­mer die glei­chen drei trost­lo­sen Kleck­se dar­auf schmier­te; denn wenn es nicht un­zwei­fel­haft vor­ge­schrie­ben war, so wand­te er nicht die kleins­te Mühe an eine Sa­che. Ent­schloss er sich aber zu ei­nem Spa­zier­gang, so putz­te er sich eine oder zwei Stun­den lang pein­lich her­aus, nahm sein Spa­zier­stöck­chen und wan­del­te steif ein we­nig vors Tor, wo er de­mü­tig und lang­wei­lig her­um­stand und lang­wei­li­ge Ge­sprä­che führ­te mit an­dern Her­um­stän­dern, die auch nichts Bes­se­res zu tun wuss­ten, etwa alte arme Seld­wy­ler, wel­che nicht mehr ins Wirts­haus ge­hen konn­ten. Mit sol­chen stell­te er sich dann gern vor ein im Bau be­grif­fe­nes Haus, vor ein Saat­feld, vor einen wet­ter­be­schä­dig­ten Ap­fel­baum oder vor eine neue Zwirn­fa­brik und tüf­tel­te auf das an­ge­le­gent­lichs­te über die­se Din­ge, de­ren Zweck­mä­ßig­keit und den Kos­ten­punkt, über die Jahrs­hoff­nun­gen und den Stand der Feld­früch­te, von was al­lem er nicht den Teu­fel ver­stand. Es war ihm auch nicht dar­um zu tun; aber die Zeit ver­ging ihm so auf die bil­ligs­te und kurz­wei­ligs­te Wei­se nach sei­ner Art, und die al­ten Leu­te nann­ten ihn nur den ar­ti­gen und ver­nünf­ti­gen Sach­sen, denn sie ver­stan­den auch nichts. Als die Seld­wy­ler eine große Ak­ti­en­braue­rei an­leg­ten, von der sie sich ein ge­wal­ti­ges Le­ben ver­spra­chen, und die weit­läu­fi­gen Fun­da­men­te aus dem Bo­den rag­ten, stö­cker­te er man­chen Sonn­tag­abend dar­in her­um, mit Ken­ner­bli­cken und mit dem schein­bar le­ben­digs­ten In­ter­es­se die Fort­schrit­te des Bau­es un­ter­su­chend, wie wenn er ein al­ter Bau­ver­stän­di­ger und der größ­te Bier­trin­ker wäre. »Aber nein!« rief er ein Mal um das an­de­re, »des is ein fa­me­ses Wergg! des gibt eine groß­ar­tig­te An­stalt! Aber Geld kos­ten duht’s, na das Geld! Aber scha­de, hier miss­te mir des Ge­wehl­be doch en biss­gen die­fer sein und die Mau­er um eine Idee stär­ger!« Bei al­le­dem dach­te er sich gar nichts, als dass er noch recht­zei­tig zum Abendes­sen wol­le, eh es dun­kel wer­de; denn die­ses war der ein­zi­ge Tort, den er sei­ner Frau Meis­te­rin an­tat, dass er nie das Abend­brot ver­säum­te am Sonn­tag, wie etwa die an­de­ren Ge­sel­len, son­dern dass sie sei­net­we­gen al­lein zu Hau­se blei­ben oder sonst­wie Be­dacht auf ihn neh­men muss­te. Hat­te er sein Stück­chen Bra­ten oder Wurst ver­sorgt, so wur­mi­sier­te er noch ein Weil­chen in der Kam­mer her­um und ging dann zu Bett; dies war dann ein ver­gnüg­ter Sonn­tag für ihn ge­we­sen.

Bei all die­sem an­spruch­lo­sen, sanf­ten und ehr­ba­ren We­sen ging ihm aber nicht ein lei­ser Zug von in­ner­li­cher Iro­nie ab, wie wenn er sich heim­lich über die Leicht­sin­nig­keit und Ei­tel­keit der Welt lus­tig mach­te, und er schi­en die Grö­ße und Er­heb­lich­keit der Din­ge nicht un­deut­lich zu be­zwei­feln und sich ei­nes viel tiefe­ren Ge­dan­ken­pla­nes be­wusst zu sein. In der Tat mach­te er auch zu­wei­len ein so klu­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­