Nr. 562

 

Kurier nach Sol

 

Sie suchen die Erde – ein Abenteuer mit den Männern des ISK

 

von KURT MAHR

 

 

Der von den Götzen gelenkte Sternenschwarm hat das Solsystem in sein Gefüge aufgenommen und um rund 900 Lichtjahre örtlich versetzt.

Mehr haben die Beherrscher des Schwarms bislang nicht erreichen können – einesteils, weil ihre Angriffe durch den systemumspannenden Paratronschirm abgewehrt wurden, andernteils, weil ein Cyno und vier Terraner Stato, die Schlüsselwelt des Schwarms, ausschalteten.

Diese fünf Personen – unter ihnen die Mutanten Ras Tschubai und Ribald Corello und der Maskenträger Alaska Saedelaere – gelten seit der Zerstörung Statos offiziell als verschollen oder tot.

Aber die Mitglieder des Einsatzkommandos sind am Leben, denn sie entkamen dem Chaos auf Stato. Nichtsdestotrotz ist ihre Lage alles andere als rosig. Die fünf Personen gingen auf der sterbenden Welt in letzter Sekunde durch einen Transmitter – und wurden »verstoßen ins Nichts«.

Doch wir blenden um zur Hundertsonnenwelt und den Mitgliedern des ISK. Professor Geoffry Abel Waringer geht es darum, das Verschwinden des Solsystems zu enträtseln oder gar rückgängig zu machen. Er schickt deshalb einen KURIER NACH SOL ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Geoffry Abel Waringer und Mart Hung-Chuin – Chefwissenschaftler von der Hundertsonnenwelt.

Cheborparczete Faynybret – Chef des ISK.

Orin Ellsmere, Robert C. Hollingsworth und King Pollack – Mitglieder des ISK.

Xi-Ammr – Ein Schwarminstallateur.

Chalid und Zhabir – Zwei Männer von Saltur.

1.

 

Auf dem Beobachtungsschirm erschien das Spiegelbild des fremden energetischen Gebildes in blassgrüner Farbe, und Orin Ellsmere hatte das drängende Gefühl, dass in den nächsten Minuten etwas schiefgehen würde. Es war beängstigend ruhig im Kommandostand der kleinen Korvette, die sich aufgemacht hatte, den Gefahren des Schwarms zu trotzen und nach der verlorenen Erde zu suchen. Der Autopilot war programmiert. Geoffry Abel Waringers breite Schultern wuchteten über die Rücklehne des Pilotensessels. Waringer hatte sich dort einquartiert, weil ihm vom Sitz des Piloten aus alle Kontrollorgane in bequemer Reichweite lagen. Ihm zur Rechten saß Mart Hung-Chuin, der Waringers Funktionen übernehmen würde, falls diesem etwas zustoßen sollte.

Orin Ellsmere saß im Hintergrund. Ihm oblag die Verständigung mit dem Bordrechner. Es war der Rechner, der das mattgrüne Bild erzeugte, indem er Orterreflexe auf ihren Energieinhalt untersuchte, ihnen den zugehörigen Platz zuwies und sie auf dem Schirm grell oder matt abbildete, je nachdem, ob sie viel oder wenig Energie enthielten.

Das grüne Bild war der Reflex des energetischen Feldes, das den Schwarm umspannte, jenes eigenartige Durcheinander von fremden Sonnen, Planeten und Kunstgebilden, das vor fast zwei Jahren, aus dem Nichts kommend, in den Randgebieten der Galaxis aufgetaucht war, in sich selbst wiederum eine Galaxis von elftausend Lichtjahren Länge und mehreren tausend Lichtjahren Breite. In den vergangenen zwanzig Monaten hatte der Schwarm sich mit mehreren Transitionen durch die Peripherie der Milchstraße hindurchgearbeitet, und vor kurzem hatte er die Kernzelle des Solaren Imperiums, das Planetensystem der irdischen Sonne, verschluckt.

So lautete die allgemein akzeptierte Hypothese. Der Schwarm hatte sich, obwohl er im Einsteinraum eine Geschwindigkeit von rund 0,5 LG entwickelte, nach interstellaren Maßstäben seit dem Verschwinden des Solsystems kaum von der Stelle bewegt. Die Stelle, an der die Sonne der Erde seit Jahrmilliarden geleuchtet hatte, lag hinter der energetischen Hülle des Schwarms verborgen. Niemand wusste, ob sie mit ihren Planeten wieder zum Vorschein kommen würde, wenn der Schwarm den nächsten Transmissionssprung vollzog. Die Wahrscheinlichkeit war äußerst gering.

Ein einziges Mal war Orin Ellsmere zuvor in der Nähe des Schmiegfeldes gewesen, das den Schwarm umhüllte. Er erinnerte sich, dass der Reflex des Feldes den Messschirm damals mit einheitlichem, konturlosem Grün erfüllt hatte, ein Anzeichen dafür, dass der Energiegehalt des Feldes gleichmäßig verteilt war. Diesmal sah es anders aus. Das Feld hatte dunkle, fast lichtlose Flecken, und an anderen Stellen strahlte es mit greller, schmerzhafter Leuchtdichte. Etwas Drastisches musste sich ereignet haben, seitdem Ellsmere das Schmiegfeld zum letzten Mal gesehen hatte.

Ein Summer ertönte. Das Zehn-Minuten-Zeichen. In zehn Minuten würde aus einem der Geschützrohre der Korvette die Rakete schießen, die mit einem Sprengsatz von fünfundsiebzig Gramm Sextagonium ein Loch in die Wand des Schmiegschirms reißen sollte. Das Experiment war mehrmals zuvor erfolgreich ausgeführt worden, und trotzdem verkrampfte sich Ellsmere der Magen, wenn er an den entscheidenden Augenblick dachte.

Waringer sagte: »Das Feld hat an Stabilität verloren. Irgend etwas ist geschehen.«

Er hat genau soviel Angst wie ich, schoss es Ellsmere durch den Kopf.

»Diese dunklen Flächen«, hörte er Hung-Chuin fragen, »könnten wir nicht durch eines dieser Löcher stoßen? Ohne die Sextagoniumladung, meine ich?«

Waringer schüttelte den Kopf.

»Es sind nicht wirklich Löcher, nur energiearme Stellen. Das Feld existiert dort ebenso wie anderswo. Ein Loch in unserem Sinne bedeutet, dass an einem Punkt die Oberfläche des Schwarmkontinuums durch die Oberfläche des galaktischen Kontinuums ersetzt wird. So, wie unser Rechner reagiert, wird eine solche Stelle in roter Farbe erscheinen.«

»Sie halten den Schwarm also wirklich für ein fremdes Kontinuum, oder soll ich Universum sagen?«

»Das ist er auch – in gewissem Sinne. Nur verstehen wir unter einem Kontinuum oder einem Universum nach dem heutigen Stand unserer Kenntnis ein sechsdimensionales Gebilde, dessen Begrenzung für unsere Instrumente und erst recht natürlich für unsere Sinnesorgane nicht wahrnehmbar ist. Ein derartiges Gebilde ist der Schwarm nicht, sonst könnten wir seine Begrenzung nicht erkennen, oder noch drastischer ausgedrückt: Wir könnten seine Existenz nicht wahrnehmen. Außerdem würden in diesem Fall im Innern des Schwarms ein anderer Zeitablauf und vermutlich auch andere Naturgesetze gelten als in dem uns bekannten Kosmos. Der Schwarm gehört also zu unserem Universum. Er befindet sich mit unserem Kosmos auf ein und derselben sechsdimensionalen Ebene. In der fünfdimensionalen Struktur ist er jedoch von uns getrennt. Das bedeutet, dass wir mit konventionellen Mitteln nicht ins Innere des Schwarms eindringen können, dass jedoch im Schwarminnern dieselbe Zeit und dieselben Naturgesetze gelten wie hier in der Milchstraße.«

Er mag Angst haben, dachte Orin Ellsmere, aber die Freude am Dozieren hat er nicht verloren. Der Summer ertönte zweimal. Bis zum Abfeuern der Rakete blieben noch vier Minuten.

In den übrigen Räumen der sechzig Meter durchmessenden Korvette warteten weitere dreiundzwanzig Mitglieder der kleinen Expedition auf den kritischen Augenblick, in dem das im Vergleich zu den Raumriesen der Terraflotte winzige und zerbrechliche Fahrzeug die Grenze des Schwarms überschreiten würde. Einundzwanzig Männer und fünf Frauen, insgesamt sechsundzwanzig Geschöpfe meist irdischer Herkunft, hatten sich auf den Weg gemacht, um das verlorene Sonnensystem zu finden, ein Unternehmen, dem von der ersten Sekunde an das Stigma der Hoffnungslosigkeit anhaftete. Inmitten einer wenn auch kleinen Galaxis nach einem einzigen Sonnensystem zu suchen, war ein Unterfangen, dem gegenüber sich die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen kinderleicht ausnahm. Die einzige Aussicht auf Erfolg lag darin, dass das Solsystem, sobald der Schwarm es verschluckt hatte, wahrscheinlich auf die eine oder andere Art von sich reden machen würde. Es lag den Menschen der Erde nicht, Schicksalsschläge ruhig hinzunehmen.

Sie würden sich wehren, sobald sich dazu eine Gelegenheit bot. Wo die Terraner sich wehrten, flogen die Funken, und die Funken würden der kleinen Expedition den Weg weisen.

Der Summer meldete sich zum dritten Mal.

»Sechzig Sekunden bis Feuer«, meldete Ellsmere.

Er dachte an King Pollack unten im eigentlichen Rechnerraum. In den nächsten Minuten war die SHANTANG auf den Computer angewiesen. Sie war ein kleines Fahrzeug, dem nach dem Willen ihrer Konstrukteure niemals kritische Aufgaben hätten zugemutet werden sollen. Deswegen besaß sie nur einen einzigen Rechner, nicht zwei wie die großen Raumschiffe. Die kritischen Komponenten der Rechenanlage waren zwar doppelt ausgelegt, aber wenn Schaden an mehr als drei Komponenten gleichzeitig entstand, war die SHANTANG führerlos. Deswegen saß Pollack neben der Maschine und »hielt ihr das Händchen«, wie er sich ausdrückte.

Über dem Kommandopult tickte eine Digitaluhr die letzten Sekunden ab. Lautlos wechselten die lumineszenten Ziffern. 12 ... 11 ... 10 ... 09 ... 08 ...

Ein leises Klingen zeigte an, dass die Rakete den Rumpf des Schiffes verlassen hatte. Die Uhr schaltete zurück und begann von neuem zu zählen. Jetzt führte sie Buch über die Sekunden, die bis zur Explosion des Sprengsatzes vergingen. Wie gebannt wanderte Ellsmeres Blick zwischen wechselnden Zahlen und dem Messschirm hin und her.

Als die Null erschien, fielen Angst und Bedrückung von ihm ab. Der Augenblick der Wahrheit war gekommen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Auf der fleckigen, grünen Fläche des Schmiegschirms erschien ein winziger, greller, rötlicher Punkt. Zuerst war Ellsmere enttäuscht. Er hatte mehr erwartet. Das Aufreißen eines riesigen, fünfdimensionalen Energiegebildes, aus der Kraft Hunderter von Sonnen gespeist, konnte nicht einfach so völlig ohne Spektakel vor sich gehen.

Der rote Punkt breitete sich aus. Mit zielstrebiger Gefräßigkeit verschlang er weite Flächen des fleckigen Grüns. Ein riesiger roter Kreis entstand, und auf den Mittelpunkt des Kreises hielt die SHANTANG zu. Orin Ellsmere atmete erleichtert auf. Er schalt sich einen Dummkopf wegen der Angst, die er noch vor wenigen Sekunden empfunden hatte.

Da ging auf dem Messschirm plötzlich eine Veränderung vor sich. Ohne Warnung begann der rote Kreis dünne, spinnwebartige Fäden nach allen Richtungen zu versenden. Wie Risse zogen sie sich durch die grüne Fläche des Schmiegschirms. Gleichzeitig fing der Schmiegschirm an zu flackern. An den Stellen, an denen er zuvor am hellsten gestrahlt hatte, begann es zu irrlichtern. Die dunklen Stellen leuchteten kurz auf, um eine Zehntelsekunde später noch dunkler zu erscheinen. Plötzlich entstand an einer Stelle, an der bisher nur sattes Grün gewesen war, ein grellroter Fleck. Von dem Fleck gingen wiederum rote Fäden aus, und wo sie sich mit denen kreuzten, die von dem großen roten Kreis herkamen, entstanden neue rote Flächen.

Plötzlich begann die SHANTANG zu zittern. Ein helles Klingen ertönte, als hätte jemand mit einem Riesenhammer auf die Außenhülle geschlagen und sie zum Vibrieren gebracht. Alarmsirenen schrillten. Ellsmere spürte, wie die Haltegurte sich automatisch enger um ihn schlossen. Er riss den Blick von dem Messschirm und wandte sich der Rechnerkonsole zu. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Behände Finger tippten den Rufkode für die wichtigsten Zustandsgrößen des Fahrzeugs: Luftdruck, Temperatur, Strahlungspegel, Geschwindigkeit, Beschleunigung ... Ziffern leuchteten auf einem kleinen Bildschirm am Kopfende der Konsole auf. Luftdruck: normal. Temperatur: normal. Strahlungspegel: normal.

Geschwindigkeit und Beschleunigung wichen von den Normwerten ab. Ellsmere rief eine Diagnose-Routine. Die SHANTANG beschleunigte in bisheriger Flugrichtung mit Werten, die etwa das Dreifache der Programmierung des Autopiloten betrugen. Ein Knopfdruck ließ das Resultat auch auf Waringers Schirm erscheinen. Ellsmere hatte einen Augenblick Ruhe. Er sah auf und musterte den Messschirm.

Das Grün war völlig verschwunden. Blutiges Rot breitete sich über die ganze Fläche des Schirms, und roter Widerschein schuf ein gespenstisches Halbdunkel in dem kleinen Kommandostand. Die Sirenen waren verstummt.

»Etwas zieht uns durch das Loch hindurch!«, rief Waringer, der inzwischen Ellsmeres Diagnose abgelesen hatte. »Wahrscheinlich ein Energiestrudel.«

Plötzlich stand eine scharfe, schneidende Stimme mitten im Raum: »Was ist dagegen zu tun, Waringer?«

Der Chef, dachte Ellsmere. Ihm liegt nichts an der Diagnose, er will die Medizin.

»Ich bin so ahnungslos wie Sie, Faynybret«, antwortete Waringer in der allgemeinen Richtung des Rundsprechmikrophons. »Eine Lage wie diese ...«

Ein harter, knirschender Schlag traf das Schiff. Schmerzhaft schnitten die Haltegurte Ellsmere ins Fleisch. Er sah, wie der Bildschirm, auf dem noch die Resultate seines Rechenprogrammes leuchteten, sich aufblähte. Er bemerkte, dass die Luft ringsum plötzlich zu flimmern begann. Vor seinem entsetzten Blick lösten sich der Pilotensessel und Waringers Schultern in treibende Nebelschwaden auf und flossen davon. Er selbst schien zu schweben. Aus einer Höhe von Hunderten von Metern blickte er auf das Pult hinab, vor dem er vor wenigen Augenblicken noch gesessen hatte. Links neben ihm schwebte der Messschirm, riesengroß und von waberndem Rot bedeckt. Aus dem Leuchten wuchs eine Gestalt auf ihn zu, wurde größer und drang über die Grenzen seines Blickfeldes: Waringer. Szenen schwirrten an ihm vorbei, blitzschnell und unwirklich. Der Feuerball einer gewaltigen Explosion, ein Schwarm fremdartiger, gelbhäutiger Wesen, eine riesige Flotte exotischer Raumschiffe. Und während er sah, wuchs er, verwandelte sich in einen Giganten, der das ganze Universum überblickte. Stimmen drangen an sein Ohr. Waringers Stimme, Chuins Stimme, fremde Stimmen, die fremde Sprachen sprachen.

Ein letzter, klarer Gedanke fraß sich in ihm fest: Das ist das Ende!

Dann verging der Kosmos in einer lautlosen Explosion aus Licht.

 

*

 

Ein dumpfes Pochen im Schädel brachte ihn wieder zu sich. Mit geschlossenen Augen versuchte er, sich zu orientieren. Er wurde hin und her geschüttelt und schlug mit dem Kopf gegen etwas Hartes. Er spannte die Armmuskeln und stemmte sich in die Höhe. Erst dann wagte er, die Augen zu öffnen.

Eine einzige Notlampe beleuchtete ein heilloses Durcheinander. Ellsmeres Sessel war aus der Verankerung gerissen worden und hatte die Rechnerkonsole zertrümmert. Die Haltegurte waren gerissen. Auf dem Bildschirm am oberen Ende der Konsole glomm ein blauer Punkt. Das Notsignal. Also funktionierte die Notenergieversorgung noch. Verschiedene Aggregate hatten sich von der Wand gelöst und bildeten in der Gegend des Kommandopults einen wirren Trümmerhaufen. Unter einem der Kästen lugte ein Bein hervor. Ellsmere kam vollends zu sich. Er stürzte sich auf das Trümmergewirr, und beim nächsten Mal, als sich das schwankende Schiff in seiner Richtung neigte, gelang es ihm, eines der schweren Bestandteile zur Seite zu räumen. Waringer kam zum Vorschein. Er blutete aus mehreren Wunden im Gesicht und war bewusstlos. Dicht neben ihm, ebenfalls unter den Trümmern begraben, lag Hung-Chuin. Die Art, wie der linke Arm vom Körper abstand, wies auf einen Bruch hin. Auch Chuin war ohnmächtig.

Das Pult des Co-Piloten war das einzige, das die allgemeine Zerstörung einigermaßen heil überstanden hatte. Ellsmere versuchte ein paar Schalter. Sie reagierten nicht. Er versuchte, das Ausmaß des Schadens abzuschätzen. Der Antigrav funktionierte nur zum Teil. Er erzeugte zwar ein ständiges Schwerefeld von einem g parallel zur Nord-Süd-Achse des Schiffes, aber den Effekt des Rollens glich er nicht mehr aus. Der Schaden war also kritisch. Die SHANTANG konnte die Leistung ihres Triebwerks nicht mehr ausnützen, weil die mörderische Beschleunigung die Besatzung zerquetscht hätte, und jeder halbwegs kräftige Ruck musste ihr Inneres noch mehr durcheinanderbringen, als es ohnehin schon war.

Ellsmere nahm das Mikrophon zur Hand und begann zu rufen. Einen nach dem andern ging er die Räume ab, in denen die Mitglieder der Besatzung sich im Augenblick des Durchgangs durch den Schirm aufgehalten hatten. Die ersten drei Versuche waren erfolglos. Er unterbrach sein Schema und rief den Rechnerraum. King Pollack war widerstandsfähig. Wenn es auch ihn erwischt hatte, war das Schlimmste zu befürchten.

Auf den ersten Ruf erhielt Ellsmere keine Antwort. Er versuchte es ein zweites Mal, und seine Besorgnis wuchs. Er hatte gerade zum dritten Ruf angesetzt, da wurde er unterbrochen.

»Wer hat's denn da so wichtig, zum Donnerwetter!«, krächzte es aus dem Empfänger. »Hier gibt's Arbeit zu tun. Ich habe keine Zeit zum Schwätzen.«

»Pollack, Mensch, bist du in Ordnung?«, rief Ellsmere zurück.

Eine Sekunde verdutztes Schweigen. Dann, zögernd: »Major Ellsmere, Sir ...?«

»Ja. Wer sonst?«

»Oh, ich bitte um Entschuldigung, Sir, aber ...«

»In Ordnung, Pollack. Wie sieht's unten aus?«

»Auf den ersten Blick ziemlich schlimm. Bei näherem Hinsehen bessert sich der Eindruck. Es ist ziemlich viel Zeug in der Gegend herumgeflogen, aber die meisten Bruchstücke sind noch verwendbar.«

»Der Rechner ist vorläufig tot?«

»Mausetot, Sir.«

»Wie lange noch?«

»Wenn wir Glück haben, können wir in vierzig bis fünfzig Minuten wieder mit halber Last fahren.«

»Brauchst du Hilfe?«

»Damit wir uns gegenseitig auf die Füße treten? Nein, danke.«

Als Ellsmere das Mikrophon zurücklegte, öffnete sich schwerfällig eines der Kommandostandschotte. Eine haarige, gehörnte Gestalt von beeindruckender Größe trat durch die Öffnung. Die Augen leuchteten rötlich, während sie das Durcheinander mit einem raschen Blick überflogen.

Der Gehörnte war Cheborparczete Faynybret, ein Cheborparner und Orin Ellsmeres Vorgesetzter. Unter dem Spitznamen CheF, zu dem die unaussprechlichen Bestandteile seines eigentlichen Namens zusammengezogen worden waren, hatte er in den Monaten der Verdummungskatastrophe das Intelligenz-Suchkommando geleitet. Er war auch jetzt noch dessen Befehlshaber, nur beschäftigte sich das Kommando schon seit einiger Zeit nicht mehr mit der Suche nach von der Katastrophe verschont Gebliebenen.

Ellsmere atmete unwillkürlich auf. Er brachte seinem Vorgesetzten trotz dessen ungewöhnlichen Äußeren, das an mittelalterliche Vorstellungen von Beelzebub erinnerte, höchste Achtung entgegen.

»Verletzt?«, schnarrte die hohe Stimme des Cheborparners.

Ellsmere verneinte. Dabei deutete er auf Waringer und Hung-Chuin.

»Die beiden dort hat es wesentlich schlimmer erwischt.«

»Hollingsworth ist dabei, den Arzt zu sich zu bringen«, antwortete der CheF. »Sobald er auf den Beinen ist, wird er sich um die Verletzten kümmern.«

Hollingsworth war das dritte Mitglied der Spezialistengruppe, die außer ihm aus Major Ellsmere und Sergeant Pollack bestand. Ellsmere beeilte sich, den Schaden zu schildern, den er bisher im Kommandostand festgestellt hatte. Er berichtete von seinem Gespräch mit King Pollack. Der Gehörnte nickte nachdenklich.

»Der Rechner ist vorläufig unser wichtigstes Projekt«, gab er zu. »Ohne ihn sind wir völlig aufgeschmissen. Aber sobald er wieder mit halber Kraft fährt, lassen Sie Pollack ablösen und setzen ihn im Triebwerkssektor ein.«

Ellsmere bestätigte den Befehl. Der CheF warf einen Blick auf die toten Bild- und Messschirme und schüttelte missbilligend den Kopf.

»Wir sind noch am Leben«, bemerkte er halblaut, »aber wer weiß, ob wir es bleiben.«

»Sie befürchten Weiteres?«

»Nicht einfach Weiteres. Dieser Schwarm wird von fremden Intelligenzen beherrscht. Das Aufreißen des Schmiegschirms ist ohne Zweifel beobachtet worden. Ich nehme an, dass wir uns mit dieser Schlingerfahrt nicht allzu weit von der Aufbruchstelle entfernt haben. Das erste Suchgeschwader, das sich umsehen kommt, wird uns im Handumdrehen entdecken.«

Die Fahrt der SHANTANG verfolgte einen doppelten Zweck. Erstens sollte von außerhalb des Schwarms mit dem wahrscheinlich im Schwarm verschwundenen Solsystem Verbindung aufgenommen werden, und zweitens musste Perry Rhodan über eine erstaunliche Entwicklung in Kenntnis gesetzt werden, die sich im Leerraum zwischen den Galaxien vor wenigen Tagen angebahnt hatte.