In ihrem Ratgeber berichtet die Autorin Eleonore Radtberger über alltägliche, scheinbar belanglose kleine Begebenheiten. Dabei zeigt sie die Vielfalt, aber auch die Schwächen unseres gesellschaftlichen Lebens auf.
Zuweilen braucht es eine etwas andere Sicht der Dinge - eine, die auch konträr zur gerade etablierten Meinung sein kann oder sogar muss, um den Kern einer Sache zu sehen.
Und es tut einfach nur gut, wenn man sieht, wie ein anderer, ein Fremder, mit eben diesen Dingen umgeht, die einem auf der Seele liegen. Man fühlt sich ernst genommen und weiß, dass man nicht allein "damit" ist.
Eleonore Radtberger, 1957 im Rheinland geboren, hat durch ihre esoterische Praxis vor allem mit Menschen und deren Wünschen, Sorgen und Hoffnungen zu tun. Spirituelle Arbeit mit verschiedenen Medien ist fruchtbar und interessant - was aber vor allem nötig ist, um Menschen mit ihren Belangen ernst zu nehmen, ist das Beobachten, Hinterfragen und Bewerten.
Die Bücher der Autorin - herausgegeben von Winfried Brumma (Pressenet) - verstehen sich als Ratgeber... oder vielleicht auch als kleine Führer durch die Welt - entdecken muss sie jeder für sich selber.
Unsere täglichen Problemeund die andere Sicht der Dinge
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Text und Buchcover: Eleonore Radtberger
Herausgeber und Lektorat: Winfried Brumma (Pressenet)
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
Copyright © 2016 Winfried Brumma (Pressenet)
Web: http://www.pressenet.info
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9783741267840
Unsere Gesellschaft ist ein Garten, in dem große und kleine Probleme hervorragend gedeihen. Dies reicht vom kleinsten Ärgernis bis hin zum großen Kummer. Meist fühlt man sich nicht in der Lage, darüber zu sprechen - vielleicht, weil das Problem einem selber nicht so ernst erscheint oder weil man gar nicht wüsste, wie man das eine oder andere eigentlich erklären sollte.
Als ich vor einiger Zeit bei einem Arzt warten musste, hörte ich ein Gespräch zwischen zwei Arzthelferinnen mit. Das Wartezimmer war voll besetzt und ich wartete daher vor der Anmeldung.
Es begann damit, dass eine der beiden mit einem hingeworfenen "Willst du am Donnerstag tauschen?" anfing. Die Antwort war: "Tut mir leid, diese Woche ist das ganz schlecht." Daraufhin die erste: "Okay, kein Thema." Kurzes Schweigen, aber mein Interesse war geweckt, denn etwas in der Stimme der Fragerin ließ darauf schließen, dass die Sache damit keineswegs erledigt war.
"Es ist ja nur, weil mein Sohn da Abschlussfeier hat, sonst hätte ich ja gar nicht gefragt. Aber das macht nichts, geh ich eben erst später hin." Ein sehr kluger Zug, dachte ich mir und hörte gespannt zu.
"Ach, das hab ich natürlich nicht gewusst - ich hab einiges zu tun diese Woche, sonst hätte ich natürlich getauscht." Das kam leicht schwankend, aber noch immer entschlossen. Aber da bot die andere schwereres Geschütz auf: "Ich hab es ja auch erst spät erfahren, aber mach dir keinen Kopf - da fahren sicher Busse."
Die bedrängte Angestellte machte nun einen schwerwiegenden Fehler, indem sie zaghaft fragte: "Bist du jetzt beleidigt oder böse?" "Natürlich nicht, was nicht geht, geht eben nicht. Ich bin sicher nicht die erste Mutter, die zu spät zur Abschlussfeier ihres Kindes kommt."
Spätestens jetzt war sicher, dass da jemand ganz bestimmt nachgeben würde. Die Frau, die nicht tauschen wollte, wusste das wahrscheinlich und suchte nur noch nach einem Weg, ihr Gesicht zu wahren. Und nach unbehaglichem Schweigen kam auch tatsächlich das "Also gut - ich werd das schon hinkriegen."
Das reichte der Ersteren allerdings nicht wirklich, sie wollte eine Verlängerung. "Wirklich? Wenn es nicht geht, muss er eben mit dem Bus hinfahren und ich komme später nach, das ist nicht schlimm." In dem Stil ging es noch etwas weiter, bis die Unterlegene praktisch darum bettelte, ihre Freizeit zum Teufel gehen zu lassen. Eine Chance hatte sie von vornherein nicht gehabt.
Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, dann haben Sie sich wahrscheinlich öfter auf diese Weise manipulieren lassen.
Was war nun eigentlich passiert? Die Fragende war tatsächlich in einer Zwickmühle, was die Termine betraf. Sie wusste, dass ein Tausch grundsätzlich möglich war. Die andere hatte sich schon etwas anderes vorgenommen und hatte eigentlich keine Lust zu einem Tausch. Erst wurde nur gefragt, ob es ginge... "Willst du tauschen?" Nachdem das erst einmal nicht klappte, musste nachgehakt werden.
Die Frau ging sofort aufs Ganze und machte ohne große Umwege eine Schuldzuweisung und griff das Gewissen der Bedrängten an: "Du bist schuld, wenn ich keine gute Mutter bin." Das klingt zwar etwas überhöht, aber genau das ist der eigentliche Text, der hinter den Worten steht. "Was immer du vorhast, es ist niemals so wichtig, wie das, was ich tue."
Die zweifellos dominantere Frau brachte es fertig, in wenigen Sätzen eine Art von Gehirnwäsche durchzuführen. Sie machte die andere zur potenziell Schuldigen. Ihr Ton stellte in Aussicht, dass die Zusammenarbeit für die nächste Zeit nicht sehr erfreulich werden würde, es gab also eine subtile Drohung. Sie vertauschte mühelos die Rollen, so dass die andere zur eigentlichen Bittstellerin wurde.
Das alles spielte sich während der Arbeit - nahezu nebenbei in einer vollbesetzten Praxis - ab, was den Schluss nahe legt, dass dieses Spiel schon oft gespielt worden war und dass der Gewinner immer von vornherein feststand.
Die Verliererin in diesem ungleichen Kampf hatte gleich zu Anfang einen ziemlich großen Fehler gemacht. Zunächst hätte sie sich nach dem Grund für das Ansinnen erkundigen sollen und dann erst entscheiden. Sie hätte zwar nachgegeben, aber ohne ihre Antwort revidieren zu müssen. Spätestens an diesem Punkt kommt die Feststellung: Sie hätte doch "Nein" sagen gekonnt.
Und genau das hätte die Frau eben nicht. Zum ersten war sie der Manipulationstechnik der anderen nicht gewachsen, zum zweiten wollte sie auf keinen Fall an einer kleinen Tragödie schuld sein. Hätte ich gefragt, warum sie nachgegeben hätte, wäre die Antwort wohl in die Richtung gegangen, dass das Kind ja nichts dafür könne und eine Abschlussfeier schließlich ein Ausnahmefall sei. Natürlich ist die familiäre Situation der "Siegerin" nicht bekannt - es ist ungewiss, ob es nicht doch auch andere Möglichkeiten gegeben hätte.
Was hier nicht gestimmt hat, war die Art und Weise, wie man es verstand, sich Hilfe zu erzwingen, um das Bitten zu umgehen. Die Unterlegene ist sogar noch froh, dass man ihr nicht böse ist, und muss ein Gefühl der Hilflosigkeit und Unzulänglichkeit verdrängen, das wahrscheinlich hochkam.
Wer seine Mitmenschen auf diese Weise behandelt, braucht mit Sicherheit entweder Hilfe oder einen Dämpfer - aber uns interessiert hier die Frage, wie man sich gegen solche Dinge schützen kann.
Zuerst einmal: Man kann sich gegen den Versuch gar nicht schützen. Was man vielleicht vermeiden kann, ist das Gefühl des Versagens, indem man sich eingesteht, dass man recht nett über den Tisch gezogen wurde. Es war in dem beschriebenen Fall keine Zeit, um die Art und Weise, wie vorgegangen wurde, zu kritisieren - die Betroffene hätte keine Diskussion starten können: "Ist dir klar, dass du mich versuchst, zu manipulieren, warum tust du das auf diese Weise? Konntest du nicht einfach bitten und mir die Sachlage erklären?" Das muss zwar irgendwann kommen, aber nicht im Arbeitsstress.
Vorschläge zur Situation wären hier, zwar einzuspringen, aber ein klärendes Gespräch in Aussicht zu stellen. Wenn der andere das dann "vergisst", ist das NEIN beim nächsten Mal schon nicht mehr so schwer.
Die Freundin oder der Freund ist unfähig zu sagen, dass er etwas braucht oder will und redet in auffälliger Weise "daran vorbei": "Ich will drei Tage weg fahren, aber ich kann ja doch nicht, weil niemand auf meine Katze aufpassen will." Vermutlich kennen Sie auch diesen unglückseligen Drang zu sagen: "Warum bringst du sie nicht zu mir, ich mache das." Man muss lernen, nicht darauf zu reagieren, sondern abzuwarten, dass man direkt gefragt wird, auch wenn man im Geiste schon überlegt, wo man das Katzenklo hinstellen könnte.
Manche Menschen scheuen die Frage nach Hilfe, sie fühlen sich weitaus wohler, wenn man sie ihnen anträgt. Durch ihr Verhalten wollen sie genau das erreichen, aber das ist nun einmal nicht die richtige Art und Weise.
Sie sollten das nicht unterstützen, denn mangelnde Kommunikation ist für viel unnötige psychische Belastungen verantwortlich, aber man kann lernen, wirklich miteinander zu kommunizieren und nicht, wie im Fall der Arzthelferinnen, regelrecht gegeneinander. Das gilt auch für die beste Freundin und die Katzenfreunde. Lernen Sie, dass Sie eine Last freiwillig auf sich nehmen können, wenn man Sie darum bittet - aber annehmen heißt nicht, sich etwas aufladen lassen. Man kann also, sind Dritte mit im Spiel, durchaus helfen, auch wenn man erkennbar gedrängt wird.
"Ich tu es für den Jungen, nicht für die Mutter", oder auch: "Ich helfe der Katze, damit sie nicht im Tierheim landet" sind durchaus keine Ausreden für Warmduscher, wie manche Fachleute in Sachen Psychologie das gerne sehen - das ist eine Sache des Gefühls. Nur sollte man eindeutig klarmachen, dass es ein nächstes Mal nicht geben wird. Erklären Sie klipp und klar, dass Sie die Strategie durchschaut haben und was Sie davon halten.
Das muss durchaus nicht die Freundschaft kosten, aber es könnte. In diesem Fall ist es an Ihnen zu entscheiden, welchen Wert Sie ihr beimessen. Es gibt keine Patentrezepte in Sachen Freundschaft, aber es darf kein großes Ungleichgewicht geben, sonst ist es eher eine Zweckgemeinschaft. Ehrlichkeit gehört auf jeden Fall dazu.
Liebeskummer - das ist ein sehr verallgemeinerndes Wort. Denn Kummer in Herzensangelegenheiten kann tausend Ursachen haben, und doch sind die Schmerzen ziemlich gleich.
Kummer um die Liebe... das heißt in vielen Fällen, dass es um einseitiges Verliebtsein geht. Wer hat nicht irgendeinen tollen Typen in der Schule angehimmelt oder von ferne ein hinreißendes Mädchen bewundert, ohne auch nur die allergeringste Chance auf ein "Hallo" zu haben. Solche ersten Verliebtheiten machen sich an Äußerlichkeiten fest - man ist "hin und weg" von dem, was man glaubt, in dieser Person zu sehen. Das ist auch ganz in Ordnung so - die Sache mit der Liebe ist eben auch ein Lernfach. Und dazu noch eines, das nie wirklich abgeschlossen wird.
Plötzlich hat sie jemand anderen und packt ihre Koffer, oder der angehimmelte Schwarm zeigt sich plötzlich händchenhaltend mit einer anderen... kaum jemand, der das nicht schon erlebt hat. In ganz jungen Jahren, praktisch als Neuling in Sachen Verliebtheit, glaubt man irgendwie, dass jemand, der gut aussieht, auch nett sein muss. Dieser Glaube verliert sich einige Jahre und einige seelische Beulen später. Es klingt zwar etwas hart, aber es dauert tatsächlich etwas länger, bis man den Menschen hinter dem angehimmelten Wunschpartner sieht. Manchmal dauert das sogar mehrere Jahre und mehrere Beziehungen lang.
So sind die ersten "Lieben für immer" völlig selbstbezogen - und das ist nichts Schlimmes - es geht ums Lernen. Das hat Mann bzw. Frau dann getan, wenn das Herz plötzlich bei jemandem schneller schlägt, der nicht weit vom Idealbild entfernt ist. Aber wie auch immer, ob nun mit fünfzehn, fünfundzwanzig oder über die Fünfziger hinaus... unerwiderte Liebe ist eine schmerzhafte Sache. Liebeskummer hat auch mit dem Selbstwertgefühl zu tun. Wieso liebt er/sie mich nicht, was mache ich falsch? Wieso hat er/sie mich verlassen - was hab ich nur angestellt? Diese Gedanken können zur Besessenheit werden, obwohl es hier überhaupt nicht um Schuld gehen kann.
"Klar, seine Neue wiegt gut zwanzig Kilo weniger", oder: "Kein Wunder, der Neue geht dreimal pro Woche ins Fitnesscenter" - wer es an solchen Dingen festmacht, liegt immer falsch. Jemand, der wegen solcher Äußerlichkeiten mit jemandem zusammen ist, verfügt nicht über großen Tiefgang - aber leider greift Liebeskummer auch da. Nicht nur nette, intelligente, großherzige Menschen werden geliebt... auch die oberflächlichen, groben, egoistischen.
Und dieser gemein ziehende Schmerz, den kennt fast auch jeder. Aber hat das wirklich immer etwas mit Liebe zu tun? Glaubt man denjenigen, die das Ideal der Liebe predigen, dann müsste man doch ganz furchtbar froh sein für den geliebten Menschen, weil er ja jemanden hat, der ihn glücklich macht. Da hat die Idealvorstellung nicht viel mit der Realität zu tun, denn wenn er/sie glücklich sein soll, dann doch wohl mit einem selber, oder?
Liebeskummer ist vielleicht weniger in trauriger aber wohlwollender Resignation angesiedelt als im "haben wollen". Bei näherer Betrachtung kann man sich dieser Logik kaum verschließen - nur der Betroffene nimmt es nicht wahr. Denn wer mit Liebeskummer geschlagen ist, dessen Urteilsvermögen ist ebenso getrübt, wie es das bei Frischverliebten ist. Und da greift keine Logik.
Ratschläge gibt es immer viele - den Kummer nimmt das allerdings nicht weg... es ist wie mit Schnupfen. Man kann die Symptome vielleicht ein wenig lindern - aber kurieren kann man es nicht. Das muss "ausgesessen" werden. Ist das Fieber dann vorbei, hat man im Idealfall einiges dazugelernt. Bis zum nächsten Mal.
Es gibt da einen Film von George Cukor aus dem Jahr 1939, mit dem Titel: "Die Frauen". Das Interessante daran ist die Tatsache, dass während des ganzen Films kein einziger Mann zu sehen ist - sogar der Haushund der Heldin ist weiblich. Aber trotz dieser Tatsache (die eigentlich erst einmal gar nicht auffällt) sind Männer allgegenwärtig. Es geht eigentlich um sie. Der untreue Ehemann der Hauptfigur hat zweifellos eine Hauptrolle - wenn auch eine unsichtbare.
Es gibt zwar auch einen überaus berühmten Film, der nur männliche Darsteller hat: "Lawrence von Arabien" aus dem Jahr 1962, unter der Regie von David Lean, bei dem es aber absolut nicht um Frauen geht. Sie sind kein Thema in diesem Film, es wird auch nicht über sie oder von ihnen gesprochen. Die Männer in der Geschichte spielen Männerspiele, sie kämpfen, sind ehrenvoll oder auch nicht, zeigen Tapferkeit und sehen nebenbei auch noch gut aus. Jedenfalls kann man das vom Hauptdarsteller, Peter O'Toole, behaupten. Dass kaum Frauen präsent sind - außer in wenigen Szenen als Statistinnen - fällt auch hier nicht auf, einfach weil niemand sie vermisst in der Story um Kampf und Rebellion.
Männer brauchen bei ihren Beschäftigungen mit ernsten, nationalen Problemen keine Frauen - Frauen haben nichts anderes im Kopf als Männer - auch wenn sie unter sich und mit Dingen beschäftigt sind, die getan werden müssen. Oder aber Kleider und schicke Unterwäsche plus Parfüm einkaufen gehen - Männer sind immer irgendwo präsent. So oder ähnlich könnte das Fazit lauten, das man ziehen könnte, wenn man beide Filme gesehen hat. Natürlich ist das alles Kintopp - jedenfalls, was den Männerverein auf den Rennkamelen angeht - denn irgendwer hat ja dafür gesorgt, dass die Kerle etwas zu essen haben und auch etwas zum Anziehen - aber der entgegengesetzte Film ist auf eine, vielleicht beängstigende Weise sogar, sehr realistisch.
Der Kosmos eines männlichen Kindes besteht aus Weiblichkeit - erst einmal. Mama ist immer da, sie ist das Maß der Dinge, ohne sie geht nichts. Das war jedenfalls so und ist - obwohl die alten Formen am Bröckeln sind - noch zum größten Teil so. Jedenfalls gilt das für Europa. In Kulturen, in denen Männer und Frauen streng getrennten Aufgaben nachgehen, hat sich daran seit Jahrhunderten nichts geändert. Mutter, Großmutter, Tante - bis der Kleine für den Vater so richtig interessant wird, ist er von Weiblichkeit völlig umgeben. Später gerät das zur Freiwilligkeit - auch da sind Frauen das Maß der Selbstachtung, die Belohnung für geleistete Dienste am Ideal des "coolen Typen" und überhaupt die Verkörperung aller feuchten Träume von Heldenhaftigkeit und Erfolg.
Nach den ersten romantisierten Abenteuern werden Frauen dann zuweilen zum Ärgernis - sie sind fordernd, sie verweigern sich, sie gehen fremd, sie verlieren ihren Reiz, sie werden in der Beförderung bevorzugt oder sind eben "keine Männer". Das Ziel aller Ziele hat seinen Nimbus verloren, die Verliebtheiten sind vergangen - außer bei Männern, die von der Midlife Crisis gebeutelt werden und sich so etwas wie Liebe einbilden, weil sie dem Alter noch ein wenig ausweichen wollen. Mutter ist entweder alt oder gebrechlich, womöglich schon gestorben, und der Sohn ist immer noch auf der Suche nach dem speziellen Verwöhnaroma seiner kraftstrotzenden, jungen Jahre. Mutter liebte einen, egal was man ausgefressen hatte. Mutter wusste, was einem schmeckte, Mutter war immer da und sie ließ einen trotzdem im Großen und Ganzen tun, was man wollte. Meist jedenfalls.
Frauen tun das nicht - sie sind zwar auch irgendwie wie Mutti - aber eher wie die Mama, an die man sich nicht so gerne erinnert: schimpfend, strafend, fordernd. Dass Mama oft im Recht war, tut der Sache keinen Abbruch. Jedenfalls gerät die Frau immer irgendwie zur Mutter, vor der man ja eigentlich flüchten wollte. Jedenfalls dann, wenn sie ihre Schuldigkeit getan hatte. So wie verwöhnen, betüdeln und trösten.
Und die Frauen? Für Frauen sind eben Frauen auch das Alpha und das Omega der sehr frühen Jahre. Es geht zwar wirklich oft um Männer - aber eben oft nicht unmittelbar. Man verbündet sich mit Mädchen gegen die frechen Jungs auf dem Schulhof. Man hat beste Freundinnen, die für alles da sind, was mit Mama nicht geht. Eifersüchteleien in Mädchencliquen sind zuweilen schlimmer als Fernsehtragödien - wer wem mehr Aufmerksamkeit schenkt und wer da wie ein Außenseiter behandelt wird, wenn ein bestimmtes Mädchen da ist - das Material würde für Seifenopern der härteren Sorte reichen bis in das übernächste Jahrtausend.
Wenn Jungs ins Spiel kommen, sind die Freundinnen noch unentbehrlicher - und Frauen bleiben auch für Frauen das ganze Leben lang wichtig. Sie sind die wahren Beziehungen - dann, wenn die Träume von romantischer Liebe, die EWIG währt, ausgeträumt sind, helfen eben die Mitbewohnerinnen des Planeten Venus beim Frühjahrsputz - passen auch mal auf die Kids auf und hüten den Hund. Und in einem sind sie ganz groß, in der Empathie nämlich. Geht Männern wohl genau so - jedenfalls sagen sie das. Sie fühlen sich bei ihren Geschlechtsgenossen verstanden.
Frauen könnten es also irgendwie sehr schön haben - und Männer auch. Jedenfalls solange sie sich nicht unter die Fremden mischen, diejenigen mit dem leicht abweichenden Chromosom. Aber sie tun es - freiwillig und mit wahrer Begeisterung. Aber selbst das wäre noch nicht gefährlich. Es wird erst dann zu einem Problem, wenn man von dem Liebespartner des anderen Geschlechts alles haben will - auch das, wofür eigentlich die Freunde zuständig sind. Der allzu vollgepackte Gefühlskahn sinkt dann meist. Und man jammert oder aast bei Freund/Freundin über die/den Verflossenen. Jemand hat einmal gesagt, dass das nur geschieht, weil beide, Männer und Frauen, eben von Frauen erzogen werden. Das Gegenteil kann hier nicht angeführt werden, da es noch zu wenige in der Hauptzeit erziehende Väter gibt.
Eine Lösung könnte das Modell sein, das eine Autorin (welche nebst Namen der Story mir leider entfallen ist) vor Jahren einmal als Short Story veröffentlichte: Männer und Frauen leben getrennt. Heftig getrennt sogar, denn sie bewohnen verschiedene Gegenden. Zu gewissen Zeiten treffen sie sich, um Partner des anderen Geschlechts für eine gewisse Zeitspanne zu verleihen. In der Geschichte sieht das so aus, dass die Frauen sich bei diesem Treffen Männer aussuchen, um mit ihnen Kinder zu haben. Kommt ein Junge auf die Welt, nimmt der Vater ihn mit nach Hause zu seinem Partner. Ein Mädchen belässt er bei den Frauen.
Das Ganze sieht etwas übertrieben aus - aber in der Realität sind die Geschlechter oftmals emotional ebenso strikt voneinander getrennt wie die Menschen in dieser Geschichte. Woran das nun in allen Einzelheiten wirklich liegt, bleibt Spekulation. Zuweilen hat man den Eindruck, dass ganze Galaxien zwischen den Geschlechtern liegen. Jedenfalls, was die Verständigung angeht.
Wenn wir alle Glück haben, sind es vor allem schredderbare Altlasten, die uns daran hindern, wirklich miteinander klarzukommen. Wenn nicht - wird es noch viele, viele Ratgeber für das Zusammenleben gemischter Paare geben, die man noch nach Jahrhunderten nachbestellen kann. Die Ratgeber, nicht die Paare natürlich.
"Sei nicht immer so empfindlich, du Mimose!" Kennen Sie das? Da spricht man über etwas, das verletzt hat oder es gerade noch tut, und dann kommt dieser Standardsatz oder etwas Ähnliches. Jemand war gedankenlos oder, in härteren Fällen, auch etwas absichtlicher - und zu dem Unbehagen kommt eine versteckte Schuldzuweisung. Ob das nun zusätzlich geschieht oder wenn man darüber sprechen möchte - es ist immer nicht fair - oder was meinen Sie?
Das ist es tatsächlich nicht, denn wo es wann wehtut, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Einer brüllt vor Lachen, wenn er auf die Schippe genommen wird - ein anderer würde am liebsten die Türe hinter sich zuziehen, und zwar von außen. Flexibilität wäre da schon gefordert von den ewigen Spaßvögeln und Sprücheklopfern, denn man kann sehr leicht eine empfindliche Stelle treffen. Natürlich kann das auch gewollt sein - oder eben unter einer anderen Prämisse laufen. Da gibt es diese Filmszene in "Die Liebe in mir" von Mike Binder. Es geht um Freunde - und einer sagt flapsig so etwas wie: "Nun komm schon, du Schwuchtel." Der andere fühlt sich beleidigt: "Warum sagst du so etwas, das tut man einfach nicht, jemanden Schwuchtel nennen." Und die Antwort darauf ist: "Wenn du eine Schwuchtel wärst, dann würde man so etwas nicht tun. Du bist aber keine und deshalb bedeutet es nichts."
Der Typ setzt noch einen drauf und verlangt dann prompt an der Kinokasse: "Zweimal - ein Erwachsener und eine Schwuchtel." Und sein Freund schüttelt lächelnd den Kopf und folgt ihm, um Spaß zu haben. Die Bezeichnung fand er wahrscheinlich immer noch sehr daneben - aber er wusste nun, dass absolut keine böse Absicht dahinter steckte, und der "blaue Fleck" auf der Haut verschwand sofort, im übertragenen Sinn. Die Szene beschreibt sehr genau, was eigentlich passiert, wenn wir verletzt werden. Hier lief es richtig - der großmäulige Kumpel setzte zwar noch einen drauf an der Kasse, hat das Wort aber wahrscheinlich nicht wieder benutzt. Er hatte seinen Standpunkt klargemacht - und das war es dann. Der Idealfall war eingetreten.
In der Realität läuft es selten so gut - sobald jemand Reaktion zeigt, entwickelt sich so ein "Spaß" zum Running Gag - und nicht immer ist das so unschuldig. Es gehört zum gelungenen Abend, wenn Frau X oder Herr Y sich sichtlich ärgert und alle begeistert feixen. Zwar nicht wirklich böse gemeint - aber doch sehr gedankenlos. Hier kann man - sollte man den Aufwand scheuen, sich einen neuen Freundeskreis zu suchen - die Sache nur aussitzen. Kess kontern oder die Schultern zucken... es wird für die selbsternannten Stand-up-Comedians irgendwann langweilig werden. Bis dahin fühlt man sich meist ziemlich schlecht - denn wenn eine Bemerkung diese Wirkung hat, ist ein wunder Punkt getroffen. Aber der Trick mit dem Vorwurf funktioniert dann immer. Man wird vorgeführt - nicht zuletzt als Spaßbremse - und das tut noch einmal weh. Empfindlichkeit ist etwas, das bei manchen Menschen ehrenrühriger ist als zum Beispiel Unehrlichkeit.
Aber - so sonderbar es klingen mag - es ist ein Gutteil Neid dabei. Nicht jeder wagt es, sich Getroffensein zu erlauben. Und immer taff zu erscheinen ist auch einigermaßen arbeitsintensiv. Nur sehr schwache Menschen versagen sich jedwede Schwäche und tolerieren sie auch bei anderen nicht. Da sie aber wahrscheinlich andere Dinge zu tun haben, als eine ganze Clique dazu zu bringen, das Verhalten zu hinterfragen, sollten sie sich das mit der Suche nach neuen Freunden vielleicht doch überlegen.
Etwas ganz Anderes ist das gewollte Mobben, die mit Absicht beigebrachten Verletzungen. Ich hatte einmal die Tochter einer Freundin heulend im Wohnzimmer sitzen - das Mädchen im Teenageralter war gerade zum Opfer der Woche auf dem Pausenhof gekürt worden. Es ging - wie fast immer in diesen Fällen - um das Wort mit dem "H". Hure oder Schwuchtel (je nach Geschlecht) sind die mit Abstand beliebtesten Worte, um jemanden klein zu kriegen. Wobei die Bedeutung als solche eigentlich keine Rolle spielt. Jede Nonne oder jeder Don Juan würden mit diesen Standardbeleidigungen belegt werden - darauf kommt es nicht an.
Jedenfalls hatte das Mädchen keine Ahnung, wie es darauf reagieren sollte - außerdem nahm es das Wort an sich ernst. Nachdem es aber eingesehen hatte, dass es ebenso gut hätte "Dumme Gans" heißen können, nahm sie meinen Rat an und hatte seitdem Ruhe - und als Bonus die Lacher auf ihrer Seite. Sobald nämlich genau dieses Wort wieder fiel, grinste das Mädchen, seufzte tief auf und sagte: "Ja genau - wie meine Mutter und meine Großmutter - und ich sag' euch, das ist'n harter Beruf."
Das klingt vielleicht etwas zu derbe - aber wir hatten es mit weiblichen Teenagern zu tun, die im Rudel auftraten. Feinsinnige Äußerungen sind da wenig angebracht. Die männlichen Vertreter dieser Spezies hielten sich grundsätzlich in der Nähe auf, um den Hennenkampf zu genießen. Und gerade die lachten bei dem gelungenen Konter. Unnötig zu sagen, dass von da an Ruhe war. Das alles spielte sich vor einigen Jahren ab - die junge Frau, die sie mittlerweile ist, hat sich ihre Empfindlichkeit durchaus bewahrt - aber sie geht anders damit um. Denn wer da glaubt, mit der Zeit würde die Haut dicker, dem muss gesagt werden, dass gerade das Gegenteil der Fall ist: sie schleift sich dünner. Aber dafür haben wir Zeit zum Lernen - wir können gewollte und gedankenlose Beleidigungen unterscheiden, beziehen die Umstände mit ein und können ganz gut damit leben.
Aber - und das ist wichtig - ein "zu empfindlich" gibt es nicht wirklich. Empfindungslose Menschen oder solche, die es gerne wären, schotten sich nicht nur vor schmerzvollen Gefühlen ab, sondern auch vor schönen und angenehmen. Und so ist das Leben, glaube ich, nicht gemeint.
"Frauen rauchen nicht auf der Straße. Das ist eklig", sprach meine Oma und schaute sehr missbilligend auf meine Packung Zigaretten, die ich aus meiner Jeans gezogen hatte. Das war in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts und ich rauchte noch. Ich hatte natürlich gewusst, dass sie das sagen würde. Und sie wusste wohl auch, dass ich das nicht so hinnehmen konnte. "Bei Männern sieht es wohl nicht schlimm aus, was?", meinte ich dann und zündete meine Flumme an. "Das ist was anderes, das sind Männer." Was dann folgte, war Programm. Oma fand die neuen Zeiten zwar nicht so schlecht - von der Pille zum Beispiel hielt sie viel, denn ihrer Meinung nach hätte zu allen Zeiten viel Elend verhindert werden können, hätte es dieses kleine Ding schon früher gegeben.
So fortschrittlich war sie - aber das mit dem Rauchen in der Öffentlichkeit, das ging nun einmal gar nicht. Später lernte ich dazu, was diese Dinge betraf, und längst nicht mehr von Großmutter. "Wenn Frauen betrunken sind, ist das doch viel schlimmer als bei Männern." Warum das so sein sollte, verstand ich nicht - ich fand es grundsätzlich eklig. Das Geschlecht war mir dabei egal - aber irgendwie war bei Frauen die Erwartungshaltung irgendwie größer, was Benehmen und gute Manieren betraf. So als wären die weiblichen Vertreter der Spezies von Geburt an zurückhaltender und im Grunde ästhetischer. Natürlich sind die Gründe dafür einigermaßen klar - wurde das "schwache" Geschlecht doch in allen Bereichen des Lebens hoch-, aber von der Realität ferngehalten.
Das galt natürlich nur für Adel und Bürgerschaft. Frauen der niederen Klassen wurden diese Rücksichten nicht zuteil - ganz im Gegenteil. Mittlerweile hat sich sehr viel verändert - Frauen dürfen nicht nur mitten im Lebens- und Überlebenskampf stehen... sie müssen. Alles in Allem könnte man zufrieden sein über die lange aufgeweichten Grenzen... schließlich tun Frauen alles, was Männer auch tun, und können (theoretisch) jeden Beruf ergreifen, den sie wollen. So weit so gut.
Und dann ertappe ich mich dabei, wie ich selber genau das tue, was ich Oma und allen anderen Leuten, die immer wieder diese Sprüche aufsagten, übel genommen hatte. Ich bin entsetzt, als ich eine Frau das tun sehe, was ich eigentlich nur Männern so richtig zutraue. Ich bin über ein Blog gestolpert, das von einer Jägerin geschrieben wird - und bin ziemlich angewidert (www.melissabachman.com). Mir ist sofort klar, dass ich da in dieselbe Falle geraten bin, in der viele Mitmenschen heute noch stecken - aber als ich mir die Fotos genauer ansehe, bin ich verwirrt. Die Frau, die sich immer wieder mit toten Tieren, die sie selber erlegt hat, fotografieren lässt, ist weit entfernt davon in grünem Loden und mit geschlechtsneutralem waidmännischen Gehabe zu posieren. Die Jägerin ist geschminkt, sie sieht - bis auf die Kleidung - aus, als säße sie in einem angesagten Bistro und würde sich glänzend unterhalten. Sie lächelt freudestrahlend über ihrer Beute: den Bären, der tot vor ihr liegt, hat sie mit Pfeil und Bogen erschossen.
Ich kann hier nur hoffen, dass diese Frau damit wirklich umgehen kann, denn wenn nicht, leidet das Tier erheblich, bis es denn endlich stirbt. Aber ihre Art zu posieren ist es, die mich stutzig macht. Bilder von der Strecke habe ich oft gesehen - die Jäger grinsen auch, keine Frage - aber diese zur Schau gestellte jubelnde Freude ist eigentlich nie zu sehen. Zwar ist der amerikanische Jagdsport mit diesen straff organisierten "Clubs" hierzulande nicht zu vergleichen, aber trotzdem wirken die Bilder wie Werbeplakate. Mir fällt der Ausdruck "Selbstverliebtheit" ein. Die Fotos haben etwas sehr narzisstisches, so als ob jemand alles, was er hat, in die Auslage wirft, um sich bestmöglich zu verkaufen.
Ich versuche, die Sache erst einmal positiv zu sehen. Hier haben wir eine Frau, eine hübsche Frau, die zeigt, dass Amazonen, auch wenn sie zurechtgemacht sind, genau das gleiche tun können wie Männer - und das ebenso gut, wenn nicht besser. Dass sie sich freut wie Bolle zu Weihnachten, wenn ein Tier tot vor ihr liegt - und das ohne Not - ist etwas, das Männer ja schließlich auch tun. Aber nach einigem Nachdenken sehe ich das dann doch anders.
Zigaretten zwischen Frauenlippen auf offener Straße - eine betrunkene, grölende Frau in der Kneipe - das sind Dinge, die mit Gewohnheiten zu tun haben. Hier Unterschiede zu machen hat keine Berechtigung. Aber Frauen misshandeln Kinder, morden - und das ist immer weniger die Ausnahme. Oft steht unglaublicher Druck hinter solchen Dingen. Aber kalte Täterinnen, die absolut kein Unrechtsempfinden haben, solche die zum Beispiel aus Gier töten, oder Dinge tun wie ihre Kinder missbrauchen... die unterscheiden sich nicht von männlichen Tätern. Wie auch - Menschen sind zu vielem fähig, das hat mit dem Geschlecht nichts zu tun... oder vielleicht doch?
Was also stört mich an diesen Bildern - ist es die kalte Weise, wie sie sich über den Tod, den sie gebracht hat, freut? Oder die Art, wie sie sich selber zelebriert? Wieso bescheinige ich männlichen Sporttötern so etwas wie Dummheit und dieser Frau eher bewusste Grausamkeit... ist es die Tatsache, dass ich von Frauen mehr erwarte? Warum? Weil sie Kinder bekommen können und darum näher am Wunder des Lebens sind? Unsinn - dass das bloße Vorstellung ist, haben tausende von Prozessakten belegt. Außerdem gibt es mit Sicherheit auch Jagd-Blogs, die der Selbstapplaudierung männlicher Jäger dienen.
Frauen haben zu vielen Zeiten gejagt - das zeigen archäologische Funde deutlich. Aber das war notwendig. Die Unschuld ging verloren bei der zarten Hand der Edelfrauen, auf denen ein zierlicher Beizvogel saß. Das war selten unumgänglich. Aber Lust am Töten zu haben - einfach Lust dazu, ohne sich Nahrung beschaffen zu müssen, das ist nicht akzeptabel, ob es sich nun um Männer oder Frauen handelt.
Und doch... diese Bilder machen mich betroffener, als es der Fall wäre, wenn ein männlicher Jäger, zurechtgemacht und pomadisiert, sich auf diese Weise selbst zelebriert. Warum auch immer. Tja, Oma... was soll ich sagen...?
Wann es mir am meisten auffällt? Na dann, wenn ich mich irgendwo "anmelden" will und dieser Balken mit den Jahreszahlen erscheint. Tag und Monat sind ja kein Problem - aber dann kommt eben dieser Balken. Ich muss ziemlich weit runterfahren mit der Maus, um mein korrektes Geburtsjahr anklicken zu können. Und da rauschen sie dann vorbei, die Epochen meines Lebens. In den Fünfzigern war noch eben dieses Weihnachtsosterhasiland, dann raus in den Schulalltag und in den schrillen Siebzigern das Erwachsensein geprobt. An die Achtziger habe ich irgendwie verwaschene Erinnerungen, die Neunziger flutschten rasant vorbei - und plötzlich war da die Jahrtausendwende mit allen Hoffnungen, Erwartungen und Weltuntergangsvisionen, die alle ungeschehen ins Leere nebelten.
Älter werden... - alt werden kommt ja gleich danach - ...das ist etwas, das geschieht, während man glaubt, ewig jung zu sein.
Wann hat es eigentlich genau angefangen, das Älter werden? Möglicherweise dann, als man es vorzog, zu Hause zu bleiben, anstatt mit der Clique um die Häuser zu ziehen bis zum frühen Morgen, um dann direkt zur Arbeit zu gehen. Damals konnte man noch zwei Nächte hintereinander abfeiern... und nahm trotzdem noch die Umwelt irgendwie wahr. Heute hat man schon Schwierigkeiten nach einer Nacht, in der man schlecht geschlafen hat, den Standardbetrieb des Körpers anlaufen zu lassen. Oder die Sache mit den Augen - damit hatte man nie Probleme, bis man anfing, die Briefe mit ausgestrecktem Arm zu lesen. Und der war irgendwann nicht mehr lang genug und somit Zeit für die erste Lesebrille.
War das nicht gerade gestern, als man es wahnsinnig komisch fand, dass Oma ihre Brille suchte und vergessen hatte, dass sie das Teil oben auf den Scheitel geschoben hatte? Mittlerweile hat man das Problem auch schon mal hier und da. Oder was haben wir gegrinst und die Augen verdreht, wenn die "Alten" über ihre Wetterschmerzen sprachen: "Mein Knie pocht, das wird anderes Wetter geben. Ganz bestimmt!" Man konnte es nicht mehr hören - und jetzt hat man auch so eine integrierte Wetterstation. Eine alte Sportverletzung, ein Knochenbruch vor langer Zeit... die Unbequemlichkeiten melden sich zurück.
Der Schritt ist noch flott, der Gang noch federnd - keine Frage. Aber ganz so gerne bückt man sich nicht mehr, wenn es darum geht, die Schnürstiefel zuzubinden. Man setzt sich da lieber. Man sieht einen Schulkameraden aus der ersten Klasse... und fragt sich entsetzt, ob man auch so alt aussieht. Oder man ertappt sich dabei, die Angebote an Cremes und Salben genauer anzusehen.
Wieder jung sein will man eigentlich nicht wirklich, denn das hieße, auf das Erlernte und Erfahrene zu verzichten - man will aber auch nicht gebrechlich werden. Obwohl es da noch lange, lange hin ist. Aber sobald man die Hälfte der normalen Lebensspanne, oder auch etwas mehr als die Hälfte, hinter sich hat, verschiebt sich der Fokus nun einmal. Und das ist auch gut so, denn zu irgendetwas sollen die Erfahrungen ja gut sein - und sie wären es auch, würden wir ihnen vertrauen. Der Körper lässt vielleicht ein wenig nach, aber dafür kann der Geist aus dem Vollen schöpfen - und so soll es auch sein.
Wo man in der Jugend kaum fünf Minuten ruhig auf einem Fleck verweilen konnte, betrachtet man nun minutenlang eine Blüte, auf der eine Hummel sitzt - ist das vielleicht nichts? Dass ein Nickerchen hier und da die Batterie etwas auflädt, ist nichts Neues - als Kind hat man das ja auch gemacht. Die Jugend war eine tolle Zeit - aber wer will das wirklich zurückhaben? Zwar wäre es ein interessantes Experiment, könnte man sich mit jugendlichem Körper, aber den Erfahrungen des Alters, ins Nachtleben stürzen zum Beispiel. Oder sich noch einmal so richtig verlieben. Wie man dabei aussieht, ist nebensächlich - hier und da eine feine Linie macht höchstens interessant, aber doch nicht alt.
Aber wenn man es richtig gemacht hat, wenn man die richtigen Prioritäten gesetzt und nicht im falschen Klassenzimmer die Zeit vertan hat ...würde man dann nicht feststellen, dass es einem keinen Spaß mehr macht? Wäre das nicht vorbei? Ist die Welt denn mittlerweile nicht weiter und größer, vor allem verständlicher? Natürlich gibt es Menschen, die gewachsen sind, aber jede Entwicklung verpasst haben.
Es gibt so viele tolle Sachen, die man machen kann, ohne dass man sich Knochen bricht oder sich in einen verzweifelten "wer ist jünger-Wettbewerb" zu stürzen. Lesen ist so eine Sache, die unglaublich viel Spaß macht... vorausgesetzt, man erinnert sich, wo zum Teufel man diese Lesebrille hingelegt hat.
Stellen wir uns einfach vor, wir hätten das ganze Jahr über Zehneuroscheine gesammelt. Wenn möglich, immer dann, wenn ein Zehner offensichtlich in der Geldbörse liegt oder auch beim Einsparen. Immer, wenn wir uns etwas verkniffen hätten oder das Auto öfter mal stehenließen (das ist für eine ganze Menge Scheine gut). Dann stellen wir uns vor, wir würden dieses Geld einfach als nicht vorhanden betrachten... nicht für UNS vorhanden, wohlgemerkt.
Dann stellen wir uns weiter vor, wir würden uns schlichte, weiße Briefumschläge besorgen. Das sind so Dinger, die man benutzte, bevor es E-Mails gab - die Älteren werden sich noch daran erinnern. Kleiner Scherz am Rande. Dann tüten wir die Scheinchen ein - immer eins in einen Umschlag. Auf den nun schreiben wir mit einem bunten Stift "Frohes Fest". Sonst nichts. Dann legen wir alles beiseite bis etwa eine Woche vor Weihnachten (natürlich kann man auch Fünfzigeuroscheine nehmen... so man hat).
Wie auch immer, am gedachten Tag X ziehen wir uns warm, aber sehr unauffällig an und verstauen die Umschläge in einer Umhängetasche oder einem Rucksack. Und raus geht es, auf die Straße. Wahrscheinlich ist es kalt und die Menschen achten nicht allzu sehr aufeinander, was für unser Vorhaben förderlich ist. Dann geht es vor allem darum, die Augen offen zu halten. Sehr alte Menschen in Kleidung, die schon bessere Tage gesehen hat, gehören wahrscheinlich zur Zielgruppe. Beobachten ist hier angesagt - ebenso Geduld. Haben wir jemanden ausgemacht, der mühsam durch die festlich geschmückte Einkaufsmeile geht und den Kopf gesenkt hat, schleichen wir uns an und lassen einen Umschlag in die Einkaufstüte, oder was sich auch sonst anbietet, gleiten.
Personen mit Kindern, die immerzu auf diese