Zum Buch
Es war einmal … eine Reise, die mit dem Urknall begann und die noch lange nicht zu Ende ist. Von der ersten Zelle zu den Goldenen Zwanzigern und vom alten Ägypten zur App ist es dabei bisweilen nur ein Katzensprung. Loel Zwecker erzählt davon anschaulich und alltagsnah, mit einem Blick für überraschende Details und verborgene Zusammenhänge: Wie im Mittelalter die Brille erfunden, in Indien die Meditation zu einer echten Macht wurde und die Waschmaschine unser Leben veränderte. Geschichte braucht Geschichten – und diese ist eine ganz besondere.
Zum Autor
Loel Zwecker, geboren 1968, ist Autor und Übersetzer. Er promovierte über das Thema Kunst und Politik und war Dozent für Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Zwecker schrieb für verschiedene Zeitungen und verfasste mehrere Bücher, zuletzt »Ein Schritt zurück in die Zukunft. Was wir aus der Geschichte lernen können«.
Loel Zwecker
Vom Anfang
bis heute
Eine kleine Geschichte der Welt
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1. Auflage 2017
Copyright © 2017 Penguin Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Umschlag und Umschlagmotiv: bürosüd, München
Redaktion: Andreas Rode, München
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-18783-5
V003
www.penguin-verlag.de
Für Suzette
INHALT
VORWORT
Was ist Geschichte? Wozu von früher erzählen?
KAPITEL EINS
Es war einmal … eine Zelle
Von der Entstehung der Erde über den Tyrannosaurus Rex zum Menschen: die ersten 4,6 Milliarden Jahre Weltgeschichte im Zeitraffer.
KAPITEL ZWEI
Pyramiden und Parfüm
Wie die alten Ägypter vor 5000 Jahren die Großbaustelle und das Luxusleben erfunden haben.
KAPITEL DREI
Die ersten Superhelden und Mathe-Weltmeister
In Mesopotamien werden Großstädte gegründet, ein umfassendes Gesetzbuch und ein spannendes literarisches Werk geschrieben. Die Wissenschaften blühen auf.
KAPITEL VIER
Der eine Gott und seine vielen verrückten Geschichten
Im 1. Jahrtausend v. Chr. finden in Palästina Erzählungen Verbreitung, in denen es um einen völlig neuartigen Gott geht: Er ist der einzige Gott, und er ist unsichtbar. Die Geschichten bilden die Grundlage für zwei Weltreligionen: das Judentum und das Christentum.
KAPITEL FÜNF
Wettkämpfer und Denker
Die alten Griechen haben viel in den Bereichen Politik, Kunst, Sport, Philosophie und beim Diskutieren und Streiten geleistet. Dabei haben sie wichtige Grundlagen unserer Kultur geschaffen.
KAPITEL SECHS
Erleuchtung und vegetarisches Essen für alle
Wie die Inder und andere Asiaten zu Buddha fanden und warum die Meditation eine echte Macht wurde.
KAPITEL SIEBEN
Der Kaiser, der Geschichtsbücher verbrennen ließ
Der erste Kaiser von China will sein Reich von Grund auf nach seinen Vorstellungen gestalten. Er regelt den Alltag seiner Untertanen mit unerbittlicher Strenge bis ins kleinste Detail und unterdrückt alte Traditionen.
KAPITEL ACHT
Die erste Supermacht
Kein Volk war so lange so reich und grenzenlos mächtig wie die Römer. Mit ihrem Rechtssystem, ihrer Infrastruktur, ihrer Kriegsmaschinerie und Unterhaltungsindustrie setzten sie Maßstäbe.
KAPITEL NEUN
Im Namen des Vaters
Im Mittelalter werden germanische Krieger und römische Kirchenmänner zu einer neuen Macht in Europa. Die Masse der Untertanen muss den Geistlichen und Adeligen bedingungslos gehorchen und ohne Bezahlung für sie arbeiten.
KAPITEL ZEHN
Im Namen Allahs
Im 7. Jahrhundert gründet Mohammed den Islam und schafft die Grundlagen für eine arabische Weltmacht. Seine Erben fördern die Wissenschaften, haben die besten Ärzte und die schönsten Paläste.
KAPITEL ELF
Ritter mit Brillen, Uhren und Bankkonten
Die wichtigsten Erfindungen des europäischen Mittelalters.
KAPITEL ZWÖLF
Totems, Traumpfade und staatliche Renten
Das Mittelalter in Afrika, Amerika, Asien und Australien.
KAPITEL DREIZEHN
Die ersten Popstars
Die Renaissance in Italien und der Humanismus: neuartige Bilder und Vorbilder für ganz Europa.
KAPITEL VIERZEHN
Was ist ein Papstesel?
Die Reformation ab 1517 führt zu einer Spaltung Europas in zwei große verfeindete Lager: die Katholiken und die Protestanten. Das hat weitreichende Folgen für die Politik und die Kultur. Europa wird in Konflikte und Kriege gestürzt.
KAPITEL FÜNFZEHN
Tropische Schönheit, Mord unter Palmen
Ab 1492 entdecken und erobern Europäer Amerika und gründen auf der ganzen Welt Kolonien. Sie beuten die ansässige Bevölkerung aus und betreiben Sklavenhandel. Ein paar mutige Geistliche und Gelehrte unternehmen etwas dagegen. Zwei asiatische Reiche schotten sich ab.
KAPITEL SECHZEHN
Im Schatten des Sonnenkönigs
Der Glanz des französischen Absolutismus ist trügerisch, denn er geht mit zahlreichen Kriegen und dem Elend der Bevölkerung einher. In England sorgt die Glorreiche Revolution von 1688 für mehr Freiheit und Bürgerrechte. Die Wissenschaften machen Fortschritte.
KAPITEL SIEBZEHN
Frauen in Männerkleidung
Das Zeitalter der Aufklärung bringt im 18. Jahrhundert freche Aktionen, soziale Netzwerke und ein neues, freieres Denken mit sich.
KAPITEL ACHTZEHN
Die Weltmacht der Flüchtlinge, Außenseiter und Glücksritter
Im Jahr 1776 gründen Einwanderer britischer Abstammung die USA. Es ist die erste moderne Demokratie der Welt, die bis heute Bestand hat.
KAPITEL NEUNZEHN
Schach dem Tyrannen!
Die Französische Revolution von 1789 ist der bis dahin blutigste Aufstand, den ein Volk gegen seine Herrscher anzettelte. Sie bringt ganz plötzlich große Veränderungen in vielen Bereichen des Lebens.
KAPITEL ZWANZIG
Ein Hit für Napoleon
Ein Offizier aus Korsika wird französischer Kaiser und gestaltet mit Kriegszügen, einem modernen Gesetzbuch und straffer Organisation Europa um.
KAPITEL EINUNDZWANZIG
Die Maschinenmenschen kommen!
Während der industriellen Revolution werden in Europa viele Erfindungen gemacht, Fabriken gebaut und moderne Kommunikationsmittel eingeführt. Der Alltag der Menschen verändert sich grundlegend. Die Außenpolitik ist durch den Imperialismus geprägt.
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts
Im Ersten Weltkrieg werden Millionen von Soldaten wie am Fließband getötet. Regierungen betreiben Propaganda, um feindliche Nationen zu verteufeln und die Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Und es wird eine ganz neue Kunst geboren.
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
Partylaune und Bürgerkrieg
Die Russische Revolution, der American Way of Life, die Goldenen Zwanziger und der Aufstieg und tragische Fall der ersten Demokratie in Deutschland.
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
Der Führer des Bösen
Hitlers »Machtergreifung« in Deutschland und der Alltag und Terror im »Dritten Reich« ab 1933. Die Nationalsozialisten ermorden Millionen von Juden und Mitglieder anderer Minderheiten.
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
Der totale Krieg
Der Zweite Weltkrieg: sechzig Millionen Tote in sechs Jahren. Das Grauen reicht von Alaska bis Australien.
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
Das Gleichgewicht des Schreckens
Nach dem Zweiten Weltkrieg bedrohen die USA mit ihren Verbündeten und die Sowjetunion und deren Partner einander mit Atomwaffen, die den gesamten Globus zerstören können. Dieser Kalte Krieg teilt die Welt über vierzig Jahre lang in zwei verfeindete Lager.
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
Was haben Mahatma Gandhi, Che Guevara und Bob Marley gemeinsam?
Ab 1945 erlangen immer mehr Kolonien in Afrika und Asien ihre Unabhängigkeit von den Kolonialmächten. Viele dieser Länder zählen zur sogenannten Dritten Welt und sind weiterhin von Armut geplagt. Sie haben besondere Helden.
KAPITEL ACHTUNDZWANZIG
Pille, Pop und Waschmaschinen
Die Alltagsrevolutionen, die unsere Eltern oder Großeltern miterlebt haben.
KAPITEL NEUNUNDZWANZIG
Wiege der Weltreligionen und Zentrum des Terrors
Der Nahe Osten ist seit einem Jahrhundert durch unterdrückerische Regime, Terrorismus und blutige Konflikte geprägt. Die Wurzeln mancher Konflikte reichen weit in die Geschichte zurück.
KAPITEL DREISSIG
Was könnte der nächste große Schritt in der Geschichte der Menschheit sein?
Die Europäische Union und Hilfsorganisationen, der Klimawandel und der Welthunger – und die Suche nach neuen Ideen und Lösungen.
Dank
VORWORT
Was ist Geschichte? Wozu von früher erzählen?
Vor ein paar Jahren fragte mich ein Freund, was das früheste Erlebnis aus meiner Kindheit sei, an das ich mich erinnern könne. Die Frage fand ich gar nicht so leicht zu beantworten. Manchmal meinen wir, etwas schon lange im Gedächtnis gespeichert zu haben, aber in Wahrheit haben wir nur kürzlich ein Foto davon gesehen, zum Beispiel von uns als Kleinkind beim Spielen mit einem Ball oder beim Buddeln mit einer Plastikschaufel am Strand. Oder unsere Eltern haben uns etwas erzählt, und wir halten das dann für unsere eigene Erinnerung. Auf die Frage meines Freundes fielen mir letztlich jedoch zwei Ereignisse aus meiner frühen Kindheit ein.
Das eine ist die Geschichte mit dem Birnenjoghurt. Als ich klein war, mochte ich besonders gern eine bestimmte Sorte Birnenjoghurt mit Obststücken drin. Einmal kam ich mit meiner Mutter vom Einkaufen heim. Ich freute mich so auf den Joghurt, dass ich ihn aus der Einkaufstasche nahm und damit in Richtung Küche rannte, um einen Löffel zu holen. Vor lauter Ungeduld riss ich den Deckel schon beim Laufen auf. Etwas Joghurt schwappte raus und tropfte auf den Steinboden. Ich rutschte darauf aus und knallte mit der Stirn genau auf die Holzstufe vor der Küche. Die Wunde blutete so stark, dass ich zum Arzt musste, um genäht zu werden.
Ich weiß nicht mehr, ob ich das Detail, dass ich auf dem Joghurt ausgerutscht bin, dazuerfunden habe, denn es klingt ein bisschen wie aus einem Zeichentrickfilm. Der Rest der Geschichte stimmt jedenfalls. Ich lief noch einige Zeit danach mit einem Verband um den Kopf herum, der so ähnlich aussah wie der Kopfschutz, den Boxer oft tragen.
Die andere frühe Erinnerung hat mit dem Hund Schnuffel zu tun, den meine Familie hatte, als ich ungefähr vier Jahre alt war. Es war ein Vizsla, ein ungarischer Jagdhund mit kurzem ockerfarbenem Haar. Einmal waren wir an einem Baggersee baden. Schnuffel schwamm sehr gern. Es gelang mir, mich an ihm festzuhalten, und er zog mich durch den ganzen See. Er war voller Energie, und ich war eigentlich nur ein lästiger Ballast für ihn; dennoch paddelte er behutsam und vorsichtig, damit er mich nicht verlor.
Meine beiden frühesten Erinnerungen haben mich zwar nicht tief greifend verändert, aber seit dem Sturz habe ich eine Narbe auf der Stirn, und vielleicht bin ich seither in der Nähe von kantigen Stufen etwas vorsichtiger mit Joghurts. Was die zweite Erinnerung betrifft, kann ich immerhin sagen, dass ich mich noch heute, über vierzig Jahre später, freue, wenn ich einen Vizsla auf der Straße sehe. Auch wegen des Erlebnisses im Baggersee sind Vizslas meine Lieblingshunde. Hätten meine Eltern damals einen Dackel gehabt, würden mir womöglich diese Hunde am besten gefallen.
Wir alle haben im Lauf unseres Lebens bestimmte Erfahrungen gemacht. Manche sind angenehm, andere weniger angenehm. Manche haben Narben hinterlassen, einige haben uns darin geprägt, wen oder was wir besonders schön oder sympathisch finden. Deshalb spielen solche Erinnerungen aus der Vergangenheit eine Rolle in unserer Gegenwart. Wir sind auch deshalb zu dem geworden, was wir sind, weil wir ganz spezielle Erfahrungen gemacht haben, an die wir uns erinnern. Erinnerungen sind sehr wichtig. Dank ihrer können wir aktuelle Situationen mit früheren vergleichen und besser einschätzen. Man stelle sich vor, wir hätten keinerlei Erinnerungen, etwa an unsere Zeit im Kindergarten, in der Grundschule oder an frühere Wohnorte. Dann wüssten wir nicht, wo wir herkommen und wer wir sind. Natürlich hat jeder unterschiedliche Erinnerungen. Außerdem reagieren Menschen auf ähnliche oder gleiche Erfahrungen jeweils anders. Aber beeinflusst werden wir alle durch sie.
Wir erinnern uns nicht immer genau an alles, aber viele von uns wissen noch, wer und wie ihre erste Liebe war, die erste Lehrerin oder das erste Popkonzert. Uns fällt eine besonders gefährliche oder schwierige Situation ein, in die wir geraten sind, und auch, wie wir wieder rausgekommen sind. Natürlich profitieren wir außerdem von den Erinnerungen anderer Leute, die uns ihre Geschichten erzählen. Sie helfen uns dabei, uns zu orientieren. Unsere Freunde und Eltern teilen ihre Erfahrungen mit uns. Da unsere Eltern älter sind als wir, können sie aus einem größeren Erfahrungsschatz schöpfen. Sie können zudem meist auf das Wissen ihrer Eltern zurückgreifen, also unserer Großeltern. Die haben ihnen schon von ihren Erlebnissen erzählt, bevor wir überhaupt auf der Welt waren. Die Kette der Erinnerungen reicht teils über Urgroßeltern und Ururgroßeltern bis zurück zu Vorfahren, die wir nicht mehr kennen. Zu Leuten, die vor hundert, zweihundert, dreihundert oder tausend Jahren lebten. So haben uns viele Dinge aus der Vergangenheit mit geformt. Sie sind Teil unserer Geschichte.
Für manche Menschen sind ihre frühesten Erinnerungen allerdings mit schlimmen Ereignissen verbunden. Sie denken vielleicht an Schreie, Explosionen, Splitter, Blut, Tote und Verletzte, die vor ihnen auf der Straße liegen. Sie erinnern sich an einen Bombenangriff auf die Stadt, in der sie im Alter von vier Jahren lebten. Oder an die lebensgefährliche Flucht auf einem kleinen Boot über das Meer aus ihrer Heimat, in der Hunger, Armut oder Bürgerkrieg herrschten. Für diese Menschen sind ihre persönlichen Erinnerungen mit solchen verbunden, die historische Bedeutung haben. Das heißt, die erinnerten Ereignisse betreffen gleichzeitig auf dieselbe oder ähnliche Weise zahlreiche Menschen. Sie haben viele Menschen in Gefahr gebracht oder ihr Leben verändert. Das sind historische Ereignisse. Das ist die Geschichte.
Manche historischen Ereignisse liegen nur ein paar Monate, Wochen oder sogar Stunden zurück. Mit den meisten haben wir nicht direkt zu tun, weil sie beispielsweise an einem anderen Ort stattfinden. Es gibt natürlich auch solche, die so dramatisch sind, dass wir uns ihnen trotz räumlicher Entfernung nicht ganz entziehen können. Dazu zählen Terroranschläge, Bürgerkriege und Flüchtlingskrisen. Diese Ereignisse konnten oder können wir über die Fernsehnachrichten, Zeitungen oder das Internet verfolgen. Ihretwegen haben wir vielleicht mehr Angst als früher, müssen am Flughafen länger vor der Sicherheitskontrolle warten. Wir sind traurig, weil anderen so etwas Schlimmes passiert, und würden gern helfen. Manche der Ereignisse haben vor Kurzem stattgefunden oder dauern noch an. Andere liegen Jahrzehnte, Jahrhunderte oder Jahrtausende zurück. Über sie berichten uns unsere Eltern oder Großeltern – oder Geschichtsbücher.
Wenn wir an Geschichte denken, fallen uns oft Kriege ein, etwa der Zweite Weltkrieg. In ihm starben Millionen von Menschen, litten furchtbar, verloren ihre Familie oder ihr Zuhause. Sie mussten ihr Leben ganz neu ordnen. Manche von uns würden heute vielleicht woanders leben, wenn der Zweite Weltkrieg nicht stattgefunden hätte. Warum? Weil die Großeltern oder Eltern damals wegen des Krieges aus ihrer Heimat fliehen mussten und an einen anderen Ort zogen. Doch selbst historische Ereignisse, die schon Jahrhunderte her sind, spielen eine Rolle in unserem Leben. Seit den Zeiten der Französischen Revolution von 1789 hat sich beispielsweise nach und nach eine wichtige Erkenntnis durchgesetzt: nämlich dass alle Menschen gleich viel wert sind und die gleichen Rechte haben, und zwar unabhängig davon, ob sie arm oder reich sind, Bettler oder Milliardäre, Bauern oder Barone. In den Jahrhunderten davor war das anders. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung war sehr arm und ohne Macht. Die meisten Menschen mussten ihr Leben lang Befehle von Fürsten, Bischöfen und Königen befolgen. Sie lebten in Angst vor ungerechten Strafen. Das hat sich erst vor etwas über 200 Jahren geändert, und die Rechte, die wir heute genießen, haben damals viele mutige Menschen gemeinsam hart erkämpft.
Es gibt sogar noch viel ältere Entwicklungen, die sich bis heute auswirken. So hörten die Menschen vor rund 12000 Jahren nach und nach auf, ständig durch die Gegend zu ziehen und in Höhlen oder Zelten zu übernachten, also Jäger und Sammler zu sein; stattdessen begannen sie, sich an einem Ort niederzulassen und Häuser zu bauen. Als die Menschen damals sesshaft wurden, steckten sie den Rahmen für unseren aktuellen Lebensstil ab.
Unser Leben und Verhalten und das von Milliarden von Menschen wird durch Ereignisse aus der Vergangenheit mitbestimmt. Manche Ereignisse sind nur Teil unserer jeweils persönlichen Lebensgeschichte. Andere sind von historischer Bedeutung und prägen uns alle auf die eine oder andere Art und Weise. Von diesen Ereignissen werde ich in den folgenden Kapiteln berichten. Dabei werde ich gelegentlich die Geschehnisse von historischer Bedeutung mit den persönlichen Erfahrungen verschiedener Menschen verbinden.
Zur Geschichte zählen nicht nur Ereignisse wie Revolutionen und Kriege. Im Lauf der Jahrtausende wurden auch philosophische Ideen entwickelt, Religionen gegründet und Kunstwerke geschaffen, die den Alltag der Menschen bis heute durchdringen. Außerdem wurden wichtige Erfindungen gemacht. Etwa die des Faustkeils, des Lagerfeuers, der Schrift, der Pyramide, der Schminke, des Sports, der Ritterlichkeit, der Eisenbahn, der Vollnarkose, der Glühbirne, der Mode, der Popmusik und des Internets. Die meisten dieser Dinge haben bis heute Einfluss darauf, wie wir leben und denken und was wir schön finden. Sie wirken sich sogar darauf aus, welche Wünsche, Träume und Vorstellungen vom Glück wir haben.
Deshalb ist es hilfreich und spannend, mehr darüber zu erfahren, wie es zu alldem gekommen ist. Bei vielen Erfindungen und Entwicklungen von historischer Bedeutung weiß man nicht mehr so genau, wer dafür verantwortlich ist. Meist waren mehrere Menschen beteiligt. Das sind sehr oft Leute, die heute keiner oder kaum jemand mehr kennt. Manchmal haben allerdings auch einzelne Personen Berühmtheit erlangt. Das können Erfinder sein, Feldherren oder Staatsoberhäupter, Präsidenten, Könige und Kaiser wie Julius Caesar, Kleopatra, Napoleon oder Barack Obama. Es können Revolutionäre sein, Freiheitskämpfer, Entdecker, Forscher, Wissenschaftler, Philosophen, Schriftsteller, Künstler oder Filmstars.
Während ich dieses Buch schrieb, fragte ich ein paar junge Leute, die ich kenne, welche historische Persönlichkeit sie besonders interessant finden und warum. Unter den Befragten waren mein dreizehnjähriges Patenkind Malina und mein zehnjähriger Neffe Jakob. Als historische Persönlichkeiten nannten die Kinder und Jugendlichen sehr unterschiedliche Leute: den mächtigen Eroberer König Alexander den Großen, den vielseitigen Künstler und Erfinder Leonardo da Vinci, die diät- und fitnesssüchtige Kaiserin Sisi. Aus der jüngeren Geschichte war es eines der schlimmsten Staatsoberhäupter der Weltgeschichte, Adolf Hitler. Aber auch der indische Freiheitskämpfer und Friedensaktivist Mahatma Gandhi fiel ihnen ein. Auf diese und andere einflussreiche Personen und die sehr unterschiedlichen Gründe, sich für sie zu interessieren, werde ich eingehen.
Auf den folgenden Seiten tauchen prominente Persönlichkeiten auf, aber auch Menschen wie du und ich. Wir werden sogar etwas über die Generation unserer Eltern oder Großeltern hören: darüber, warum sie in den Sechzigerjahren mit Popmusik, gewagter Mode und langen Haaren gegen die Art, wie ihre Eltern lebten, rebellierten und was sie dabei auch für unser heutiges Leben taten. Wir werden einen Einblick in den Alltag von Kindern bekommen, die vor 200 oder 1000 Jahren merkwürdige und oft gefährliche Berufe hatten, wie wir sie uns kaum noch vorstellen können.
Aus der Geschichte können wir einiges darüber lernen, wie sich Menschen in verschiedenen, teils extremen Situationen verhalten. Wer über die Geschichte Bescheid weiß, lässt sich nicht mehr so leicht mit alten Tricks überlisten. Man durchschaut sie schneller – und lernt selbst neue dazu. Wenn wir die Vergangenheit kennen, verstehen wir die Gegenwart besser. Auch deshalb lohnt es sich, etwas über frühere Zeiten zu erfahren. Sind wir mit der Vergangenheit vertraut, können wir auch die Zukunft besser gestalten. Denn die Geschichte passiert ja nicht einfach nur so. Wir alle können daran mitwirken. Sei es, wenn wir uns an unserer Schule gegen Rassismus einsetzen oder wenn wir, sobald wir volljährig sind, wählen gehen. Wir können für oder gegen etwas demonstrieren, unsere Erfahrungen mit anderen teilen und über etwas diskutieren.
In den Kapiteln dieses Buches erzähle ich die Weltgeschichte von der Entstehung unseres Planeten vor rund 4,6 Milliarden Jahren bis ins 21. Jahrhundert. Auf dieser Zeitreise kommen wir durch das Altertum, das Mittelalter und die Neuzeit, die bis in die Gegenwart reicht. Manches, was mir besonders wichtig erscheint, schildere ich etwas eingehender. Einiges muss ich zusammenfassen. Aber so hoffe ich, auch größere Zusammenhänge verständlich machen zu können.
KAPITEL EINS
Es war einmal … eine Zelle
Von der Entstehung der Erde über den Tyrannosaurus Rex zum Menschen: die ersten 4,6 Milliarden Jahre Weltgeschichte im Zeitraffer.
Welches ist das erfolgreichste Lebewesen auf dem Planeten Erde? Das lässt sich natürlich kaum sagen. Was heißt schon erfolgreich? Es kommt darauf an, was man wichtig findet. Eine der Tierarten, die bisher am längsten überlebt hat, ist jedenfalls das Nashorn. Das Nashorn ist seit rund fünfzig Millionen Jahren auf unserem Planeten zu Hause. Zum Vergleich: Den Homo sapiens, das heißt den Menschen in seiner heutigen Art und Gestalt, gibt es erst seit etwa 200000 Jahren. Das Nashorn hat also fast fünfzig Millionen Jahre länger auf der Erde zugebracht als der Mensch.
Wie lässt sich der Erfolg eines Lebewesens messen, abgesehen von der Frage, wie langlebig es ist? Vielleicht daran, wie glücklich es ist? Oder wie glücklich es andere macht? Es ist schwer zu ermitteln, wie viel Freude Nashörner einander in den Savannen Afrikas und Asiens bereiten. Man weiß nicht, wie glücklich die wuchtigen Dickhäuter im Vergleich zu Menschen sind. Ein paar Dinge kann man jedoch mit Sicherheit sagen: Nashörner sehen mit ihrer Panzerung und ihren Hörnern zwar etwas kriegerisch aus, sie sind jedoch eher zurückhaltend und scheu. Sie streiten deutlich weniger miteinander, als Menschen dies tun. Nashörner gehen sorgsamer mit ihrer Umwelt um. Sie tun keiner Fliege was zuleide. Sie ernähren sich nämlich rein vegetarisch.
Die Bilanz des Nashorns ist beeindruckend. Dabei hält es nicht einmal den Weltrekord in Langlebigkeit. Was ist also das älteste Tier? Bereits vor rund 400 Millionen Jahren gab es Fische, und darunter Arten, die an Haie erinnern. Aber sie sahen recht anders aus als heutige Haie; sie hatten beispielsweise eine andere Haut. So ist das Tier, das als Art seit seinem ersten Auftreten bis heute am längsten von allen überlebt und sich dabei am wenigsten verändert hat, wohl jenes mit dem schönen Namen Feenkrebs. Diese niedlichen Tierchen mit ihrem extrem filigranen länglichen Körper und dem geschwungenen Schwänzlein sind meist nur etwa anderthalb bis drei Zentimeter groß. Sie leben in kleinen Gewässern wie Tümpeln. Die Art der Feenkrebse, auch Urzeitkrebse genannt, gibt es schon seit ungefähr 220 Millionen Jahren. Sie kam ungefähr zur gleichen Zeit auf wie jene der Dinosaurier.
Die Dinosaurier waren natürlich ungleich stärker als die Feenkrebse. Sie starben allerdings viel früher aus. Die letzten Dinosaurier verschwanden vor rund sechzig Millionen Jahren. Das heißt aber, dass sich die Art davor doch immerhin 160 Millionen Jahre lang hielt. In dieser Zeit waren die Dinosaurier die mächtigsten Tiere auf der Erde. Daher hat der berühmt-berüchtigte Tyrannosaurus Rex seinen Namen; der Name besteht aus den lateinischen Wörtern für »Tyrann«, also Gewaltherrscher, und für »König«. Dem Tyrannosaurus Rex und anderen großen Dinosauriern konnte kein anderes Lebewesen etwas anhaben. Manche der Riesen wurden über zehn Meter groß und zwanzig Meter lang. Dass sie dann doch ausstarben, ist nicht ihre Schuld. Wahrscheinlich schlug damals, vor sechzig Millionen Jahren, ein Meteorit auf der Erde ein, also einer der gigantischen Steinbrocken, die im Universum herumfliegen. Er löste Druckwellen und Flächenbrände aus. Vielleicht kam es zu Vulkanausbrüchen. Das Ganze richtete Verwüstungen an. Das Klima veränderte sich; bald herrschten Dürren. Die Nahrung für die Dinos mit ihren Riesenmägen wurde knapp. Schließlich starben die Dinosaurier aus. Nur kleinere Tiere überlebten, Tiere wie die Feenkrebse.
Die Feenkrebse waren bescheiden und geschickt genug, um diese harten Zeiten zu überbrücken. Ihr Erfolg beruht auch darauf, dass sie sich von Algen und Bakterien ernähren. Denn die findet man fast überall. Und damit sind wir bei einem weiteren Anwärter auf den Preis dafür, das erfolgreichste Lebewesen der Welt zu sein: bei der Bakterie. Genauer gesagt bei der Cyanobakterie. Diese Bakterienart ist wirklich das älteste Lebewesen der Welt. Cyanobakterien gibt es seit rund 3,5 Milliarden Jahren. Die Bakterien bestehen aus ähnlichen Zellen wie wir Menschen: Zellen aus Aminosäuren und Proteinen, also Eiweiß. Sie haben allerdings viel weniger Zellen, manchmal sogar nur eine. Die Bakterien treten in Gruppen auf. Sie sind heute in Form eines grünlichen Films bekannt, der sich in Gewässern ansammelt oder an den Wänden von Aquarien. Manchmal sind es bläulich gefärbte Ablagerungen auf Steinen. Deshalb wurden die Cyanobakterien früher Blaualgen genannt.
Cyanobakterien sind sehr zäh. Sie leben im arktischen Eis und in heißen Quellen. Sie sind auch deshalb die ältesten Erdbewohner, weil sie unter den härtesten Bedingungen klarkommen. Sogar ohne Sauerstoff. Die Bakterien waren schon auf der Welt, als die Sauerstoffkonzentration in der Erdatmosphäre noch nicht für Tiere und Menschen ausgereicht hätte. Denn über lange Zeit war die Erde von einer Mischung aus anderen Gasen umgeben, etwa Wasserstoff, Helium und Stickstoff. Ganz genau wissen wir das alles nicht. Es war ja keiner da, der es beobachten und aufschreiben hätte können. All die Informationen über die früheste Erdgeschichte beruhen auf Überlegungen und Theorien. Solche Theorien stellen Wissenschaftler auf, Geologen, Chemiker, Physiker und Astronomen. Dabei stützen sie sich zwar auf Messungen, Experimente und Berechnungen, aber auch auf Vermutungen.
Auch wie die Erde selbst entstanden ist, mussten sich die Spezialisten mithilfe von Theorien zusammenreimen. Soweit wir heute wissen, war das vor rund 4,6 Milliarden Jahren. Also gar nicht so lange nach unserer Sonne und unter deren Einfluss. Die Sonne hat sich aus Gaswolken und Staubpartikeln zusammengemischt. Solche Teile flogen nach dem Urknall, einer gigantischen Explosion, die im All vor ungefähr 13,8 Milliarden Jahren stattfand, durch das Universum. Bei der Geburt der Sonne reagierten verschiedene Stoffe und Elemente so miteinander, dass es zu vielen kleineren Explosionen kam. Diese Kernreaktionen, die Spaltung von Atomen, setzten wiederum mehr Energie und Hitze frei. Kernreaktionen machen bis heute die ungeheure Leuchtkraft des gelben Gasballs Sonne aus.
Die Erde formte sich im Prinzip auf ähnliche Weise wie die Sonne, aber mit einem völlig anderen Ergebnis. Auch bei der Erde fanden Gaswolken und Staubteilchen, die durch das Universum flogen, zusammen. Doch es kam nicht zu Explosionen und Kernreaktionen. Vielmehr bewegten sich die Teilchen im Kreis. Sie verklumpten sich zu Brocken. Weitere Brocken wurden durch die Schwerkraft angezogen und knallten auf die entstehende Erde. Da extreme Hitze herrschte, schmolzen die Metallelemente in den Brocken zusammen. Anfangs war die Erde siedend heiß; dann kühlte sie langsam ab. Erst mit der Zeit nahm sie die Form an, die sie heute hat, also die einer etwas gedellten Kugel.
Auf der neu geborenen Erde waren die Temperaturen in den ersten Milliarden Jahren sehr unterschiedlich. Mal war es heiß, dann kalt. Mal war es schrecklich trocken, dann regnete es auch mal jahrtausendelang durch. Dabei entstanden Ozeane. Erst nach einer Milliarde Jahren konnten sich die Cyanobakterien als erste Lebewesen entwickeln. Und erst ein paar Milliarden Jahre später entstanden andere Formen des Lebens.
Von der Flosse zum Bein – Geschichte in Zeitlupe: die Evolution
Die Geschichte der Erde von ihrer Entstehung bis zur Geburt des Menschen ist unvorstellbar lang. Die Phase ist durch wichtige Stationen gekennzeichnet, die man sich wie in einem Zeitraffer vor Augen führen kann. Die Etappen sind folgende: Entstehung des Planeten Erde vor rund 4,6 Milliarden Jahren; erstes Leben in Form von Mikroorganismen, den Cyanobakterien, vor 3,5 Milliarden Jahren; erste Pflanzen vor 700 Millionen Jahren; erste Tiere, und zwar wirbellose Wasserwesen, vor 500 Millionen Jahren; Fische vor 400 Millionen Jahren; Dinosaurier und Feenkrebse vor 220 Millionen Jahren; Vögel vor hundert Millionen Jahren; sogenannte Primaten, zunächst in Gestalt von Affen, vor neunzig bis 55 Millionen Jahren; Urmenschen vor fünf Millionen Jahren; aufrecht gehende Menschen vor zwei Millionen Jahren; Homo sapiens, der heutige Mensch, vor rund 200000 Jahren.
Der Mensch steht also am Ende einer ungeheuer langen Entwicklung anderer Lebewesen und Tiere. Er hat bisher nur einen winzigen Teil der Erdgeschichte miterlebt. Wenn wir uns die bisherige Geschichte des Planeten als einen Tag vorstellen würden, wäre der Mensch in seiner heutigen Gestalt erst ein paar Minuten alt.
Die Lebewesen, die die Erde bewohnen, haben sehr lange gebraucht, um zu dem zu werden, was sie heute sind. Den Vorgang nennt man Evolution. Sie ist fast so etwas wie eine Geschichte in Zeitlupe. Das Wort Evolution kommt vom lateinischen evolvere; es bedeutet so viel wie Entwicklung. Mit der Evolution sind Prozesse gemeint, die sich über viele Generationen hinziehen. Teilweise dauerten sie Tausende oder sogar Millionen von Jahren. Die Evolution ist weder geplant noch gesteuert. Sie beruht im Wesentlichen auf zwei Dingen: der Mutation und der natürlichen Selektion. Die Mutation ist eine zufällige Veränderung von Erbinformationen. Es geht also um Gene, die sich in Molekülen befinden und die sich auf Gestalt, Größe und Verhaltensweise von Lebewesen auswirken. Es ist, als ob die Natur würfelt und dann schaut, was herauskommt. So können Tiere über Jahrtausende und Jahrmillionen ihre Gestalt verändern. Sie können größer werden, Lungen statt Kiemen entwickeln und Beine statt Flossen.
Natürliche Selektion bedeutet natürliche Auswahl. Sie entscheidet mit darüber, ob sich die erwähnten spontanen Veränderungen, die Mutationen, langfristig durchsetzen können. Als einfaches Beispiel für die Evolution kann eine Mottenart dienen, deren Mitglieder jeweils unterschiedliche Muster auf ihren Flügeln haben. Manche Exemplare der Mottenart haben vielleicht auffällige helle Muster auf den ansonsten graugrünen Flügeln; andere sind fast ohne Muster. Die Falter mit den weniger auffälligen Musterungen werden in einer bestimmten Umgebung von ihren Fressfeinden, etwa Vögeln, weniger gut erkannt; denn ihre graugrünen Flügel ähneln stark dem Laub der Bäume, auf dem sie sitzen. Sie sind eine gute Tarnung. So werden diese Motten weniger oft von Vögeln gefressen als die auffällig gemusterten. Von den wenig gemusterten Motten überleben mehr, und so können sich auch mehr davon fortpflanzen. Deshalb bleiben nach einigen Generationen zumindest in dieser Umgebung nur unauffällig gemusterte Motten übrig. Die auffälligen können schließlich sogar aussterben.
In diesem Fall besteht die Evolution darin, dass sich die weniger gemusterten, also besser getarnten Exemplare der Mottenart bei der natürlichen Selektion durchgesetzt haben. Das Ganze geschieht allerdings, ohne dass die einzelnen Tiere die Evolution bemerkt hätten, geschweige denn durch eigene Leistung oder Anstrengung etwas dazu beigetragen hätten. Bei den unterschiedlich gemusterten Motten geht es nur um eine sehr kleine evolutionäre Veränderung. Wenn wir uns dieses Beispiel anschauen, können wir uns vorstellen, wie unglaublich viel Zeit für größere Veränderungen nötig war. Etwa für die Entwicklung von Flossen zu Armen, die Entwicklung vom Fisch zum Urmenschen: Sie dauerte ungefähr 400 Millionen Jahre.
Es hat dann noch einmal sehr lange gebraucht, bis der Urmensch zum heutigen Menschen wurde. Die Primaten, zu denen Affen und der später geborene Mensch gehören, gab es schon vor zig Millionen Jahren. Der Urmensch kam aber erst vor fünf Millionen Jahren auf. Der frühe Urmensch hatte einen kleinen Kopf, einen hervorstehenden Unterkiefer und ein sehr starkes Gebiss. Er lief auf allen vieren. Wie kam es dazu, dass sich vor rund zwei Millionen Jahren immer mehr Menschen auf die Hinterbeine stellten, um aufrecht zu laufen, und schließlich sogar alle?
Dazu gibt es einige Theorien. Forscher meinen, in manchen Gegenden hätten diejenigen Urmenschen, die aufrecht liefen, evolutionäre Vorteile gehabt. Sie streckten den Kopf über die hohen Gräser in der Savanne und verschafften sich einen Überblick. So konnten die aufrecht stehenden Urmenschen ihre Feinde oder Jagdbeute, Raubkatzen oder Antilopen, womöglich leichter erkennen als diejenigen Urmenschen, die auf allen vieren gingen. Sie wurden wohl weniger oft zur Beute. Außerdem hatte der Urmensch, wenn er aufrecht lief, die Hände frei, um Werkzeuge und Waffen zu tragen. Mit den Waffen konnte er sich gegen Wildkatzen wehren.
Damit sind wir bei einem weiteren wesentlichen Schritt, der in der Evolution zum heutigen Menschen führte. Er bestand darin, dass der Urmensch nach und nach die Größe seines Gehirns verdoppelte. Damit wurde er schlau genug, um immer mehr Waffen und Werkzeuge zu verwenden. Die Entwicklung führte schließlich um 200000 v. Chr. zum bereits erwähnten Homo sapiens; der Name ist lateinisch und bedeutet »weiser, kluger Mensch«. Er hatte einfach mehr im Kopf als frühere und andere Menschen. Während sich der Homo sapiens weiter ausbreitete, starben seine Verwandten aus, darunter ungefähr um 30000 v. Chr. der Neandertaler.
Die frühen Menschen lebten in relativ kleinen Gruppen zusammen. Sie übernachteten in Höhlen oder bauten sich zeltartige Konstruktionen aus Ästen oder Mammutknochen, über die sie Felle legten. Sie machten Werkzeuge und Waffen aus Stein, also Speerspitzen, Faustkeile und Messer. Sie waren Jäger und Sammler. Das heißt, sie pflügten keinen Acker, bauten nichts an, kein Gemüse, kein Getreide; und sie hielten kein Vieh. Sie lebten vielmehr von Antilopen, Hirschen und Hasen, die sie erlegten, und von wild wachsendem Obst und von Beeren, die sie von Sträuchern und Bäumen pflückten. Viele zogen umher, je nachdem wie das Wetter oder der Wildbestand waren. Schon deshalb hatten sie kaum Besitz bei sich, sondern nur das Nötigste, das sie zum Überleben brauchten: ein paar Felle gegen die Kälte und einige Speere und Steinwerkzeuge.
Im Winter froren die Jäger und Sammler oft. Umso wichtiger war der Schritt, als die Urmenschen lernten, Feuer zu machen. Dank der Erfindung des Lagerfeuers war ihnen weniger kalt, und sie blieben abends wohl länger wach. Sie saßen noch zusammen, statt sich nach Einbruch der Dunkelheit sofort unter ihr Fell zu kuscheln und bald einzuschlafen. Wir können uns vorstellen, wie der Homo sapiens in die Flammen blickte, vor sich hin sinnierte und irgendwann Lust auf Ablenkung bekam.
So spielte der Mensch mit Erde oder Holzkohle herum und merkte, dass er, wenn er sie zerrieb, farbige Krümel oder Pulver an den Fingern kleben hatte. Vielleicht versuchte er, das Ganze mit Spucke wieder wegzukriegen. Dabei wurde ihm wohl klar, dass er aus den Pigmenten, indem er sie mit Speichel, Wasser oder Fetten vermischte, Farben herstellen konnte. Mit ihnen schuf er Fels- und Höhlenmalereien. Es sind oft Bilder von der Jagd auf Rehe und Mammuts, manchmal auch auf Fantasiewesen. Das war vor ungefähr 40000 Jahren, und es war die Geburtsstunde der Kunst. Vielleicht dienten die Bilder den Menschen anfangs vor allem dazu, göttliche Wesen anzubeten. Womöglich waren sie Teil eines magischen Zaubers: Die frühen Maler dachten, sie könnten Wild, das sie demnächst erlegen wollten, vorher schon mal magisch auf dem Bild bannen. Oder sie wollten einfach nur zeigen, was sie Aufregendes auf der Jagd erlebt hatten, und sich für die Nachwelt verewigen.
Manche Jäger und Sammler stellten auch Schmuck her, andere Musikinstrumente. Die ersten Instrumente waren Flöten aus Knochen und das sogenannte Schwirrholz. Das ist ein meist ovales flaches Holzstück, das die Urmusiker an einer Schnur befestigten und durch die Luft kreisen ließen. Je nachdem wie schnell es schwirrte, machte es unterschiedlich hohe Geräusche. So konnten sich die Homo sapiens, das Schwirrholz schwingend, im Kreis drehen, tanzen und sich an dem Klang erfreuen, bis ihnen schwindelig wurde.
Wenn das Holz sang, war oft Party angesagt. Über ernste Themen verständigten sich die Menschen anfangs eher durch Brummen und Fauchen. Doch im Lauf der Zeit lernten sie, sich etwas genauer auszudrücken, ja zu sprechen. Das war ein immens wichtiger Schritt. Da der Mensch mithilfe seiner Sprache viele Informationen austauschte, konnte er schnell lernen. Er hatte durch die hoch entwickelte Sprache die Möglichkeit, Dinge zu analysieren, entsprechend auf Probleme zu reagieren und sein zukünftiges Verhalten zu planen. So konnte er sich und sein Verhalten schneller verändern, als Tiere dies im Lauf der Evolution tun.
Die erste Weltrevolution: als der Mensch sesshaft wurde
Eine der größten Veränderungen bestand darin, dass die Menschen aufhörten, als Jäger und Sammler umherzuziehen. Sie wurden sesshaft und begannen, Häuser zu bauen. Das geschah um 10000 v. Chr., und es war ein sehr großer Schritt in der Menschheitsgeschichte. Wie kam es dazu? Irgendwann merkten die Menschen wohl, dass Getreide wächst, wenn seine Samen auf die Erde fallen. Sie legten Gärten und Felder an und zimmerten Hütten. Außerdem sammelten und lagerten sie Vorräte für den Winter oder für schwere Zeiten.
Die sesshafte Lebensweise des Menschen wirkte sich auch auf die Tiere aus. Die neuen Hausbesitzer hielten Wölfe, fütterten sie und machten sie nach und nach zu Wachhunden. Sie züchteten Hausschweine, die dicker waren und mehr Fleisch lieferten als Wildschweine. Ziegen und Kühe produzierten verlässlich Milch. Nun, da es Hütten gab, hatten die Menschen die geeigneten Räume, um in einem langwierigen Prozess aus Milch Käse zu machen. Sie ließen Getreide zu Bier vergären, Honig zu Met und Trauben zu Wein. Jetzt konnte sich der Mensch erstmals in seiner Geschichte so richtig betrinken.
Nicht nur die Nahrungs- und Rauschmittel wurden immer aufwendiger hergestellt, sondern auch Geräte und Werkzeuge. Der Mensch entdeckte das Metall. Vielleicht war es ein Zufall. Womöglich machte jemand Feuer in der Nähe eines kupferhaltigen Felsens, und durch die Hitze schmolz das rötliche Kupfer; es floss aus dem Stein heraus und blieb dann, wenn es erkaltet war, als merkwürdige Form liegen wie das Blei, das wir an Silvester gießen. Jedenfalls wurde bald klar, dass das Metall, wenn man es ins Feuer hielt, weich wurde und sich Schmuck und Geräte daraus formen ließen.
Das Kupfer hatte allerdings einen Nachteil. Es blieb, auch nachdem es erkaltet war, zu weich für Waffen und Werkzeuge. Kupferschwerter erwiesen sich als nutzlos, denn gleich nach dem ersten Hieb waren sie … verbogen. So fingen ein paar findige Schmiede an zu experimentieren. Irgendwann fügte einer Zinn zum Kupfer hinzu und merkte, dass die Mischung härter war. Das war die Bronze, die ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. Verwendung fand. Aus ihr ließen sich Messer und Schwerter herstellen. Davor hatten die Menschen ihre Waffen und Werkzeuge über zwei Millionen Jahre lang aus Holz und aus Stein gemacht. Deshalb heißt die Epoche Steinzeit. Mit der neuen Mischung der Metalle begann im 3. Jahrtausend v. Chr. die Epoche der Bronzezeit.
Da der sesshafte Mensch technische Erfindungen machte und Vorräte anlegte, war er im Winter, wenn die Büsche keine Beeren tragen, weniger von Nahrungsmittelknappheit bedroht. Größere Siedlungen und Gemeinschaften entstanden. In die Hütten passte einiges an Eigentum, das die Leute nicht mehr wie früher mühsam mit sich herumschleppen mussten: Werkzeuge, Geschirr, Schmuck, verschiedene Kleidung, Spielsachen, Tische, Stühle und Schränke. So richtete sich der Homo sapiens seine Heime gemütlich ein. Die Erfindung der Inneneinrichtung war ein großer Schritt in der Geschichte der Menschheit. In den Jahrtausenden davor hatten Jäger und Sammler in unmöblierten Zelten oder kargen Höhlen auf dem Boden, auf unbequemen Felsbrocken oder Baumstämmen gesessen.
Die Leute in den Siedlungen spezialisierten sich. Einer konnte gut Tiere züchten, der Nächste ein Dach mit Strohbündeln decken. Wieder ein anderer stellte das Werkzeug her, das Handwerker brauchten. So entwickelte sich der Handel.
Es kam allerdings auch zu neuartigen Konflikten. Da immer mehr Leute auf engerem Raum zusammenlebten, stritten sie sich darum, wem welches Stück Land gehörte, wo der Nachbar sein Vieh weiden lassen durfte, wie hoch sein Zaun sein sollte und ob sein Hund nachts nicht zu laut bellte. Umso wichtiger wurde es, die Gemeinschaften gut zu organisieren, zu verwalten und irgendwie zusammenzuhalten. Hilfreich waren Gesetze, die Eigentumsverhältnisse regelten, aber auch ein gemeinsamer Glaube: Wenn mehrere Menschen den gleichen Gott in Gestalt einer Statue anbeteten und gemeinsame Begräbnisrituale hatten, fühlten sie sich zusammengehörig. Und zwar selbst dann, wenn sie einander gar nicht persönlich kannten.
All das wurde ab ungefähr 3000 v. Chr. im großen Stil eingeführt. Eine besonders wichtige Neuerung bestand darin, dass der Mensch lesen und schreiben lernte. Mithilfe der neu erfundenen Schrift konnte er sich besser organisieren, Gesetze festhalten und Wissen austauschen, etwa über Tierzüchtung, Anbaumethoden und Glaubensfragen. Nun wurden auch die ersten Geschichten darüber aufgeschrieben, was alles genau passierte und was die Menschen bewegte. All das geschah besonders früh auf einem Gebiet, das wir inzwischen den Nahen Osten nennen. Es erstreckt sich über Länder wie das heutige Syrien, Israel, den Irak und Ägypten. Um die innovativen Entwicklungen, die dort stattfanden, geht es in den nächsten Kapiteln.