Warum altern wir? Lässt sich dieser Prozess stoppen? Und was ist dran an Superfoods und der wöchentlichen Spritze Stammzellen? Bill Gifford war in Labors und Forschungszentren, die dem Altern auf der Spur sind. Sein ebenso unterhaltsamer wie spannender Überblick über die aktuelle Anti-Aging-Forschung vermittelt tiefe Einblicke, wie genau der Mensch altert und was den Körper jung und gesund hält. Gifford deckt auf, welche falschen Versprechungen uns in Sachen Ewige Jugend gemacht werden, welche Verfahren kurz vor dem Durchbruch stehen und warum Kaffee, Rotwein und Schmerzmittel uns schon auf einen guten Weg bringen, das Herpes-Virus uns aber noch einen Strich durch die Rechnung machen könnte.
Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel Spring Chicken bei Grand Central Publishing, New York.
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Deutsche Erstausgabe 10/2016
© by Bill Gifford 2015
© der Illustrationen by Oliver Munday 2015
© der deutschsprachigen Ausgabe 2016 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Birthe Vogelmann
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, München – Zürich
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN: 978-3-641-18234-2
V001
www.heyne.de
Für meine Eltern
Ich finde, das Unfairste am ganzen Leben ist die Art, wie es endet. Ich meine, das Leben ist hart. Es nimmt viel Zeit in Anspruch. Und was bekommt man am Ende? Den Tod! Was soll das sein – eine Prämie? Ich finde, der Lebenszyklus ist genau falsch herum. Man sollte erst das Sterben hinter sich bringen. Dann lebt man im Altersheim. Man wird hinausgeworfen, wenn man zu jung ist, man bekommt eine goldene Uhr zur Rente, man geht arbeiten. Man arbeitet vierzig Jahre lang, bis man jung genug ist, um seinen Ruhestand zu genießen! Man geht ins College, nimmt Drogen, trinkt Alkohol, feiert Partys, hat Sex, wechselt auf die Highschool. Man kommt in die Grundschule, wird ein Kind, spielt, man hat keinerlei Verantwortung, man wird ein kleines Baby, kehrt in den Mutterleib zurück, schwimmt die letzten neun Monate im Fruchtwasser – und endet als Schimmer in jemandes Auge.
– Sean Morey
INHALT
Prolog: Das Lebenselixier
1. Brüder
2. Das Zeitalter des Alterns
3. Der Jungbrunnen
4. Der Verfall lässt grüßen
5. Wie man mühelos hundertacht wird
6. Das Herz des Problems
7. Sinnbild Glatze
8. Das Leben der Zellen
9. Phil gegen das Fett
10. Stabhochsprung ins ewige Leben
11. Hungern für die Unsterblichkeit
12. Was uns nicht umbringt …
13. Mal eben schnell fasten
14. Wer hat meine Schlüssel verlegt?
Epilog: Tod dem Tode!
Anhang: Was helfen könnte
Dank
Literaturhinweise
Anmerkungen
Register
PROLOG
Das Lebenselixier
Du bist nie zu alt, um jünger zu werden.
– Mae West
In den Sekunden, ehe er bewusstlos auf dem Boden seines Labors zusammensackte, mochte der junge Wissenschaftler erkannt haben, dass es nicht seine beste Idee gewesen war, sich komplett mit Klebstoff einzuschmieren. Aber er war ein Mann der Wissenschaft, und die Neugier kann eine grausame Lehrmeisterin sein.
Schon länger hatte er über die Funktionen der menschlichen Haut nachgedacht, die so robust und doch so zart ist, so empfindlich für Verbrennungen durch Sonne und Feuer, so leicht aufzuritzen. Was würde geschehen, fragte er sich, wenn man sie vollständig mit Leim bestrich?
Und so zog sich Professor Charles Édouard Brown-Séquard – ein auf Mauritius geborener britischer Staatsbürger, der über Paris und Harvard in die vornehme Stadt Richmond, Virginia, gekommen war – an einem ansonsten völlig normalen Tag in seinem Labor am Medical College nackt aus und machte sich mit einem Pinsel und einem Eimerchen besten Fliegenfängerleims an die Arbeit. Schon bald hatte er jeden Quadratzentimeter seines nackten Körpers mit der klebrigen Pampe überzogen.
Damals war das wichtigste Versuchskaninchen eines Wissenschaftlers meist er selbst. Als er sechsunddreißig war, applizierte Brown-Séquard in einem anderen Experiment einen Schwamm in seinem Magen, um Proben seiner Verdauungssäfte zu nehmen; die Folge war, dass er zeitlebens unter Sodbrennen litt. Mit solcherlei Versuchsanordnungen war er das »bei Weitem schillerndste Mitglied unserer Fakultät«, wie einer seiner Studenten später erzählte.1
Die Episode mit dem Fliegenfängerleim nährte diese Legende weiter. Bis ein Student zufällig über den Professor stolperte, kauerte der bereits schlotternd in der Ecke seines Labors und schien dem Tod nahe zu sein. Sein Körper war so braun, dass der Student erst genauer hinsehen musste, bis er erkannte, dass es sich nicht um einen entflohenen Sklaven handelte. Der junge Mann fackelte nicht lange und kratzte das klebrige braune Zeug fieberhaft von der Haut, unter dem Gezeter des Opfers, das sich wütend darüber beschwerte, dass ihn »diese aufdringliche Person aus der Ecke zerrte, in der ihn der Klebstoff zu Boden gestreckt hatte, und gerade in dem Moment, in dem er seinen letzten Atemzug tat, bösartig die Schicht abschmirgelte«.
Dem geistesgegenwärtigen Medizinstudenten ist es zu verdanken, dass Brown-Séquard noch zu einem der größten Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts wurde. Heute gilt er als Vater der Endokrinologie, der Lehre von den Drüsen und Hormonen. Und als wäre das noch nicht genug, bereicherte er die Wissenschaft mit wichtigen Erkenntnissen zur Wirbelsäule. Eine bestimmte Art der Lähmung wird noch heute als Brown-Séquard-Syndrom bezeichnet. Doch er saß beileibe nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft. Einmal kämpfte er in seiner Heimat Mauritius, einer abgelegenen Inselgruppe mitten im Indischen Ozean, monatelang gegen eine tödliche Choleraepidemie. Um eine neue Behandlung an sich selbst zu testen, infizierte er sich getreu seinen Prinzipien absichtlich mit der Krankheit, indem er Erbrochenes seiner Patienten zu sich nahm. (Auch das brachte ihn fast um.)
Die Professur in Richmond überdauerte das Jahr nicht. Brown-Séquards Exzentrik und seine dunkle Haut kamen in der Südstaaten-Metropole nicht gut an, und so kehrte er nach Paris zurück und pendelte den Rest seiner Laufbahn zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten hin und her. Alles in allem verbrachte er sechs Jahre seines Lebens auf dem Meer, was seinen verstorbenen Vater, seines Zeichens Kapitän, wohl stolz gemacht hätte. Nun war er zwar fast ununterbrochen unterwegs, doch dem Alter konnte er nicht entkommen. Als Brown-Séquard die sechzig überschritten hatte, arbeitete er wieder in Paris, mittlerweile als Professor am Collège de France. Zu seinen Freunden gehörten Louis Pasteur, Namensgeber des Pasteurisierens, und Louis Agassiz, ein Mitbegründer der amerikanischen Medizin. Im Jahr 1880 wurde Brown-Séquard, das arme Waisenkind aus dem fernen Mauritius, in die französische Ehrenlegion aufgenommen, und es folgten weitere prestigeträchtige Ehrungen, die 1887 in seiner Wahl zum Präsidenten der Société de Biologie gipfelten. Seine Stellung als einer der führenden Köpfe der französischen Naturwissenschaften war unangefochten.
Brown-Séquard war damals siebzig Jahre alt, und er war müde. In den vorangegangenen zehn Jahren hatte er Veränderungen an seinem Körper wahrgenommen, und keine davon war positiv. Er hatte immer vor Energie gesprüht, beim Treppensteigen mehrere Stufen auf einmal genommen, geredet wie ein Wasserfall und dann plötzlich innegehalten, um seine neueste brillante Idee auf einen Zettel zu kritzeln, der in seiner Tasche verschwand. Er hatte nachts nur vier oder fünf Stunden geschlafen, seinen Arbeitstag am Schreibtisch oft um drei Uhr morgens begonnen. Seinem Biografen Michael Aminoff zufolge könnte er an einer bipolaren Störung gelitten haben.2
Doch nun hatte ihn seine einst grenzenlose Energie verlassen. Dafür gab es auch handfeste Belege, denn er hatte seinen Körper beobachtet, Muskelkraft und andere Parameter gemessen und genau Buch geführt. Als Mittvierziger hatte er mit einem Arm ein fünfzig Kilogramm schweres Gewicht stemmen können. Nun schaffte er bestenfalls achtunddreißig Kilogramm. Er wurde schnell müde, schlief aber schlecht, wenn überhaupt, und wurde von Verstopfung geplagt. Als Wissenschaftler machte er sich natürlich daran, dem Problem auf den Grund zu gehen.
Am 1. Juni 1889 hielt Professor Brown-Séquard vor der Société de Biologie einen Vortrag, der sich nachhaltig auf seine Laufbahn, seinen Ruf und die Haltung der Menschen zum Altern auswirkte.3 Er berichtete von einem verblüffenden Experiment: Er hatte sich eine Flüssigkeit injiziert, die aus den pürierten Hoden junger Hunde und Meerschweinchen bestand und angereichert war mit Sperma und Blut aus der Hodenarterie.
Dahinter stand die Vorstellung, dass die jungen Tiere ihre jugendliche Energie irgendwoher beziehen mussten, vermutlich aus den Genitalien. Und davon wollte er etwas abhaben. Nachdem er sich die Substanz drei Wochen lang gespritzt habe, berichtete er, habe sich eine dramatische Kehrtwende vollzogen: »Zur großen Überraschung meiner Assistenten konnte ich mehrere Stunden lang Experimente im Stehen durchführen, ohne das Bedürfnis zu verspüren, mich hinzusetzen.«
Auch andere positive Effekte stellten sich ein. Wie seine Messungen bestätigten, war seine Kraft zurückgekehrt: Er konnte nun fünfundvierzig Kilogramm stemmen – eine deutliche Verbesserung – und war wieder in der Lage, bis spät in die Nacht zu schreiben, ohne zu ermüden. Er maß sogar seinen »Urinstrahl« und stellte fest, dass er fünfundzwanzig Prozent weiter reichte als vor den Injektionen. In Hinblick auf seine Verstopfungsprobleme notierte er stolz, dass »die Kraft, die ich vor langer Zeit besessen hatte, zurückgekehrt war«.
Seine Kollegen im Vorlesungssaal schwankten zwischen Entsetzen und Verlegenheit. Ein Extrakt aus ... Hundehoden? War er im Alter übergeschnappt? Einer seiner Kollegen ätzte später, Brown-Séquard habe mit seinem absonderlichen Experiment lediglich bewiesen, dass man »Professoren, wenn sie die siebzig erreicht haben, in den Ruhestand versetzen muss«.
Brown-Séquard stellte unterdessen seine Zauberessenz (die mittlerweile aus Bullenhoden hergestellt wurde) unverzagt anderen Ärzten und Wissenschaftlern gratis zur Verfügung, weil er hoffte, sie würden seine Ergebnisse bestätigen. Bei einigen geschah das auch, doch insgesamt waren die Reaktionen seiner Kollegen vernichtend. Ein Mediziner aus Manhattan schimpfte im Boston Globe: »Das ist die Rückkehr zur Medizin des Mittelalters.«
Abseits der Vorlesungssäle allerdings wurde Brown-Séquard auf Anhieb zum Helden. Fast über Nacht begannen Versandfirmen, »Séquards Lebenselixier« zu verkaufen, fünfundzwanzig Injektionen zu 2,50 Dollar. Seinen Namen nutzten sie, ohne dass sie mit ihm in Verbindung gestanden hätten. Für die Zeitungen war das Ganze natürlich ein Fest – endlich konnten sie das Wort »Hodenextrakt« drucken. Der Profi-Baseballspieler Jim »Pud« Galvin aus Pittsburgh nahm das Elixier ein, weil er hoffte, so gegen Boston besser werfen zu können – der erste dokumentierte Einsatz einer leistungssteigernden Substanz durch einen Sportler in der Moderne. Der alte Professor wurde sogar in einem beliebten Lied gefeiert:
Der neuste Renner: das Elixier von Séquard,
bringt tattrige faltige Greise auf Trab,
Medizin ist passé, nichts tut mehr weh,
kein Mensch muss mehr enden im dunklen Grab.
Diese letzte Zeile erwies sich leider als Wunschdenken: Am 2. April 1894, sechs Tage vor seinem siebenundsiebzigsten Geburtstag und fünf Jahre nach seiner Rede vor der Société de Biologie, starb Charles Édouard Brown-Séquard. Ungeachtet seines Ruhms hatte er nicht einen Franc an seinem Elixier verdient. Zwar kamen seine Wissenschaftlerkollegen zu dem Schluss, dass die wundersame Wiederbelebung, die Brown-Séquard auf seine »orchitische Flüssigkeit« zurückgeführt hatte, wohl nur als Placeboeffekt interpretiert werden konnte, doch er hatte einen Verjüngungswahn in Gang gesetzt, der auch den vernünftigsten Männern und Frauen den Verstand raubte.
Die nächste Modeerscheinung war die sogenannte Steinach-Operation, die dem Mann seine Vitalität wiedergeben sollte. In Wahrheit war sie nur eine gewöhnliche Sterilisation, eine Vasektomie. Dennoch war sie bei den gebildeten Männern Europas ungemein beliebt, unter ihnen der irische Dichter William Butler Yeats, der mit neunundsechzig Jahren eine Siebenundzwanzigjährige geheiratet hatte. Sogar Sigmund Freud, der doch so auf den Phallus fixiert war, erklärte sich mit den Ergebnissen zufrieden.
In den Vereinigten Staaten brach das Verjüngungsfieber in den 1920er-Jahren aus, als John Brinkley, seines Zeichens Handelsvertreter für patentgeschützte Medikamente, eine Operation propagierte, bei der, vereinfacht ausgedrückt, frische Ziegenbockhoden in die Hodensäcke erschlaffter Männer mittleren Alters implantiert wurden. Brown-Séquard hatte in den 1870er-Jahren ähnliche Experimente an Hunden durchgeführt, doch nicht einmal er hatte sich an eine die Gattungsgrenzen überschreitende Transplantation gewagt. Brinkley kannte in dieser Hinsicht keine Bedenken, vielleicht, weil er von echtem medizinischem Fachwissen unbeleckt war. Allerdings besaß er eine Radiostation und sendete zwischen Darbietungen der Carter Family und diverser Nachwuchstalente unablässig Berichte über die Wunderwirkung seiner Operation.4
Brinkley operierte im Lauf der Jahrzehnte Tausende von Patienten und wurde zu einem der reichsten Männer der USA. Dutzende Menschen starben auf seinem OP-Tisch, und Hunderte weitere wurden bei seinen stümperhaften Eingriffen verkrüppelt oder verstümmelt. Dennoch kamen die Patienten in Scharen: die müden, die ausgelaugten, die erschlafften, die impotenten, die alternden Männer Amerikas und sogar ein paar mutige Frauen, die sich sehnlichst die Chance wünschten, noch einmal jung zu sein.
Sie ahnten ja nicht, was für ein Glück sie hatten, überhaupt am Leben zu sein.
1. BRÜDER
Das Alter ist kein Kampf, das Alter ist ein Massaker.
– Philip Roth5
Die Welle türmte sich vor meinem Großvater auf, grün und schäumend, und brach sich über ihm. Einen Moment lang, zu lange, verschwand er im Wasser. Ich sah vom Ufer aus zu und hielt die Luft an. Ich war damals zehn Jahre alt. Endlich rappelte er sich auf der seichten Sandbank auf, rieb sich das Wasser aus den Augen, drehte sich um und stellte sich der nächsten Welle, die sich vor ihm aufbaute.
Am Lake Michigan gibt es Tage, an denen sich der See für einen Ozean hält, und das war einer von ihnen. Schon am Vormittag waren einen Meter fünfzig hohe Wellen gegen den Strand gebrandet, fast bis an das Wochenendhaus meiner Familie, das mein Urgroßvater im Jahr 1919, angetrieben von seinem eisernen angelsächsischen Willen, mit eigenen Händen aus billigem Bauholz errichtet hatte. Für mich gab es nichts Schöneres auf der Welt, als an diesem Strand mit dem Körper auf den Wellen zu reiten, und so hoffte ich immer auf Wind. Leider waren an diesem Tag die Wellen so hoch, dass ich nicht ins Wasser durfte. Daher hockte ich schmollend auf der Veranda.
Neben mir saß Großonkel Emerson, der ältere Bruder meines Großvaters, und ich kann wohl sagen, dass ich ihn nicht sonderlich mochte. Er war steif und humorlos, und mit uns Kindern gab er sich nur ab, wenn er schimpfte, weil wir herumtobten oder Lärm machten. Als Nichtschwimmer konnte er am Strand nicht auf uns aufpassen und war deshalb in unseren Augen recht nutzlos. Nie machte er mal einen Spaß, nie spielte er mit uns, wie andere Onkel es taten. Er saß nur da und sah mit stierem Blick auf den See hinaus. Für mich, den Zehnjährigen, war er einfach nur uralt, und das durchaus nicht im positiven Sinne wie ein Fossil oder ein Dinosaurier.
Im See tollte derweil mein Großvater in den mannshohen Wellen. Er hieß Leonard, und obwohl er über sechzig war, wusste der alte Marinesoldat die wilde Brandung noch immer zu schätzen. Voller Neid beobachtete ich, wie er ein ums andere Mal in die schäumende Brandung stürzte, auftauchte, sich das Wasser aus den Augen rieb und der nächsten Welle zuwandte. Ich verehrte ihn.
Die Familie hatte sich zu seinem Geburtstag versammelt, den er in scherzhafter Übertreibung »St.-Leonards-Tag« getauft hatte. Eine selbst gebastelte Fahne mit der entsprechenden Aufschrift steckte zum Erstaunen der Strandspaziergänger flatternd auf dem Geländer der Veranda. Das Haus war so etwas wie eine Landmarke, weil es viel älter war als die Nachbarhäuser. Es hatte die Große Depression überlebt und unzählige Winterstürme, darunter ein schweres Unwetter in den 1930er-Jahren, bei dem die Sanddüne, auf der es errichtet worden war, fortgespült wurde. Fast alle Hütten in der Nachbarschaft wurden vollständig zerstört. Die Familie reiste aus Chicago an und reparierte das Cottage. Seither trägt es den Namen »Die Arche«.
Die Erwachsenen versammelten sich um sechs zu einem Cocktail, vielleicht war es auch eher gegen fünf Uhr. Danach bereiteten die Tanten in der Küche im Erdgeschoss das Abendessen zu; die Küche war nach dem Verlust der Düne gebaut worden, damit das Haus von unten wieder gestützt wurde. Nach dem Abendessen zündeten die Männer am Strand ein Feuer an, und wir Kinder grillten einen Marshmallow nach dem anderen, bis wir zu Bett geschickt wurden und beim Donnern der Brandung einschliefen. Es war einer dieser wunderschönen Kindheitstage am See, der mir noch Jahre im Gedächtnis blieb, ehe ich seine wahre Bedeutung erkannte.
Obwohl sie wirkten, als gehörten sie verschiedenen Generationen an, war mein Großvater Leonard gerade einmal siebzehn Monate jünger als sein Bruder Emerson, ein Abstand, der im Mittleren Westen in ihren Geburtsjahren 1914 und 1915 unter aufrechten Protestanten schon an einen Skandal grenzte. Sie waren nahezu Zwillinge, hatten dieselben Gene und dieselbe Erziehung, und sie blieben einander auch als Erwachsene eng verbunden. Und doch hätte ihr Schicksal kaum unterschiedlicher sein können.
Dieses Bild verfolgt mich bis heute: Emerson sitzt in seinem Schaukelstuhl auf der Veranda, während sich sein nur unwesentlich jüngerer Bruder in die Wellen stürzt. Nicht viel später zeigte Emerson erste Anzeichen der Alzheimer-Krankheit, die seinen Verstand nach und nach verschlang; er starb im Alter von vierundsiebzig Jahren in einem Pflegeheim. Derweil verschönerte sich mein Großvater seinen Ruhestand mit dem Kauf eines kleinen Zitrushains in den Bergen nördlich von San Diego, wo er gemeinsam mit eingewanderten Hilfsarbeitern ackerte, bis er Mitte siebzig war. Er war noch immer gut bei Kräften, als ihn im Alter von sechsundachtzig Jahren eine Infektion niederstreckte.
Der Unterschied zwischen den beiden Brüdern war zumindest teilweise einem eher merkwürdigen Faktor geschuldet: der Religion. Wie meine Urgroßeltern waren Emerson und seine Frau fromme Anhänger der Christian Science, der Christlichen Wissenschaft also, ein irreführender Name für eine Religion, deren Anhänger in Wahrheit die medizinische Wissenschaft ablehnen, weil sie glauben, dass menschliche Leiden nur durch Gebete geheilt werden können. Die beiden gingen so gut wie nie zum Arzt. Emerson häufte daher biologische Schäden an, wie ein Cadillac in einem Stockcar-Rennen Beulen ansammelt. Der Hautkrebs, der sich nach und nach ausgebreitet hatte und den er nicht hatte behandeln wollen, hatte sich in sein linkes Ohr gefressen, das fortan aussah wie ein Blumenkohl. Später erlitt er mehrere kleinere Schlaganfälle, die ebenfalls unbehandelt blieben. Auch jede Infektion, die mit Antibiotika hätte bekämpft werden können, forderte ihren Tribut.
Mein Großvater hatte auf Drängen seiner Frau die religiösen Bräuche der Christlichen Wissenschaft frühzeitig über Bord geworfen; die einzige Regel, die er gewissenhaft befolgte, war die Sitte der täglichen Cocktailstunde: ein Scotch auf Eis pünktlich um sechs Uhr. Er nutzte die moderne Medizin, die im Kampf gegen Infektionskrankheiten, ja sogar gegen Herzerkrankungen und Krebs, große Fortschritte gemacht hatte. Ebenso wichtig war, dass er (im Gegensatz zu seinem Bruder) 1957 mit dem Rauchen aufhörte und dank seiner intensiven und oft ehrgeizigen Gartenprojekte täglich in Bewegung war und bis zur Cocktailstunde arbeitete. Er genoss daher ein längeres Leben – und war auch viel länger gesund – als sein Bruder. Fachleute bezeichnen das als Gesundheitsspanne, also die Lebensspanne, in der sich der Mensch seiner Gesundheit erfreut, und in diesem Buch wird das ein wichtiger Aspekt sein. Während die Lebensspanne meines Großvaters nur etwa vierzehn Jahre länger währte als die seines Bruders, dauerte seine Gesundheitsspanne mindestens dreißig Jahre länger. Wenn ich meinen Job anständig mache, werden Sie in diesem Buch lernen, wie man mehr wie mein Großvater wird, mit seinem langen und gesunden Leben, und weniger wie sein unglückseliger Bruder.
Jahrzehnte später, ebenfalls an einem wunderschönen Sommertag, saß ich wieder einmal auf der Veranda der Arche. Ich war schon lange nicht mehr dort gewesen. Aus der Generation meines Großvaters war niemand mehr übrig, das Haus war an einen entfernten Cousin verkauft worden. Wir fuhren nicht mehr oft hin, und so war es für mich ein seltenes Vergnügen, dort zu sein, eine Rückkehr an den Ort meiner glücklichsten Kindheitserinnerungen. Nur war ich mittlerweile über vierzig, und natürlich hatten mich auch schon düstere Gedanken über das Älterwerden heimgesucht.
Zu verdanken hatte ich das nicht zuletzt meinen fürsorglichen Kollegen, die mir zur Feier meines vierzigsten Geburtstags einen Kuchen mit einer einzigen Kerze geschenkt hatten. Sie hatte die Form eines Grabsteins und trug die Inschrift:
RUHE IN FRIEDEN
Meine Jugend
Das war unheimlich nett von ihnen. Aber das Geschenk offenbarte auch eine gnadenlose Wahrheit. In der Medienwelt, in der ich beruflich tätig bin, gilt vierzig als alt. Obwohl man in Wahrheit nicht alt ist – noch lange nicht –, erklärt uns unsere Kultur mit vierzig zu einem Menschen mittleren Alters. Demografisch unerwünscht. Karrieremäßig auf dem Weg nach draußen. Womöglich noch ein AOL-Kunde. Meine eigene Mutter hatte mich bereits als »nicht mehr ganz taufrisch« bezeichnet.
Und sie hatte ja nicht ganz unrecht. Ich spürte, dass sich in mir etwas veränderte. Seit dem College hatte ich Sport getrieben, mal mehr, mal weniger, doch nun merkte ich schon seit einer Weile, dass es immer schwieriger wurde, in Form zu bleiben. Wenn ich ein paar Tage nicht joggte, Rad fuhr oder Krafttraining machte, verwandelten sich meine Muskeln in Wackelpudding, als hätte ich seit Wochen nur auf dem Sofa gesessen. Und wenn ich dann endlich wieder laufen ging, spürte ich unverkennbar das Schwabbeln eines Männerbusens.
Ein Kater dauerte immer gleich mehrere Tage, meine Brieftasche und meine Schlüssel machten sich gern selbstständig, und bei romantischem Kerzenlicht im Restaurant die Karte zu lesen, konnte ich glatt vergessen. Mir kam es vor, als wäre ich ständig hundemüde. Mehrere Freunde waren bereits an Krebs erkrankt, manche gestorben. In ruhigen Augenblicken ertappte ich mich dabei, wie ich immer öfter mit der Wehmut des älteren Menschen in die Vergangenheit blickte und den Gedanken nicht loswurde, dass meine besten Jahre hinter mir lagen und Gott schon hin und wieder mal einen Blick auf die Uhr warf. Ich lag damit genau im Zeitplan: Die Midlife-Crisis ist einigen Wissenschaftlern zufolge nur der Zeitpunkt, an dem wir eine Art biologischen »Umkipp-Punkt« erreichen: Das Alter bringt dann schneller Schäden mit sich, als Körper und Geist sie reparieren können.
Als ich mich mit etwa dreiundvierzig einer Kontrolluntersuchung unterzog, erfuhr ich, dass ich auf mysteriöse Art sieben Kilo zugenommen hatte und meine Cholesterinwerte etwa dem Cholesteringehalt in Trinkschokolade entsprachen. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich einen Bauchansatz, und obwohl mich das nicht hätte überraschen dürfen, weil ich unheimlich gern Bier trinke, zog es mich trotzdem herunter. All das, so meine Ärztin, gehe auf das Konto des »normalen Alterungsprozesses«. Bei diesen Worten lächelte sie, als sei es völlig nutzlos, sich darüber Gedanken zu machen oder gar etwas dagegen zu unternehmen. Nichts zu machen, bedeutete ihr Schulterzucken.
Wirklich? Ich wollte mehr wissen. Zum Beispiel: Können wir das Altern aufhalten? Oder zumindest drosseln? Ein bisschen? Bitte?
Ein »Heilmittel« gegen das Altern zu finden, den Tod zu besiegen, ist ein Traum, den die Menschen haben, seit sie damit anfingen, ihre Träume aufzuschreiben. Das älteste existierende Werk der Weltliteratur, das fast viertausend Jahre alte Gilgamesch-Epos, erzählt unter anderem von der Suche eines Mannes nach dem Mittel für das ewige Leben. (Achtung, ich verrate jetzt, wie es ausgeht!) Er findet es auch, in Form einer rätselhaften stachligen Pflanze, die er vom Grund des Meeres holt. Doch dann wird sie ihm von einer Schlange gestohlen »Als die Götter die Menschheit erschufen, / Teilten den Tod sie der Menschheit zu«, erfährt der Held Gilgamesch. »Nahmen das Leben [aber] für sich in die Hand.«6
Wie wir jung bleiben oder zumindest jung aussehen können, hat uns Menschen schon immer beschäftigt. Einer der ersten bekannten medizinischen Texte ist ein ägyptischer Papyrus um 2500 v. Chr., der ein »Rezept für die Umwandlung eines alten Mannes in einen Jugendlichen« enthält. Leider entpuppt sich das Mittel als Gesichtscreme aus Früchten und Lehm, die sich wahrscheinlich nicht wesentlich von den »Anti-Aging-Cremes« mit Granatapfel, Melone oder Milch unterscheidet, für die Amerikaner im letzten Jahr geschätzte elfzig Fantastilliarden Dollar ausgegeben haben. Besonders gefällt mir eine Lotion auf Algenbasis namens Crème de la Mer, die pro fünfhundert Gramm mehr als tausend Dollar kostet; der britische Chemiker Will Buchanan errechnete, dass die Zutaten lediglich 50 Dollar wert sind.7
Als das Gilgamesch-Epos verfasst wurde, lebten relativ wenig Menschen so lange (und so gut), dass sie an Altersschwäche starben. Die Lebenserwartung lag, wie schon Jahrtausende zuvor, bei fünfundzwanzig Jahren. An dem Tag, an dem Sie diese Zeilen lesen, feiern zehntausend Babyboomer ihren fünfundsechzigsten Geburtstag.8 Morgen werden wieder zehntausend die Countrymusik hochdrehen und mühelos den Rubikon des »hohen Alters« überschreiten – und übermorgen und überübermorgen, und so geht es die nächsten zwei Jahrzehnte weiter. Bei diesem Ausmaß wird es schon lange vor dem Jahr 2060 keine Geburtstagskerzen mehr zu kaufen geben, dem Jahr, in dem sich die Zahl der über fünfundsechzig Jahre alten Amerikaner auf mehr als zweiundneunzig Millionen verdoppelt haben wird, sie also zwanzig Prozent der US-Bevölkerung ausmachen. Zum Vergleich: Im Moment sind im Rentnerstaat Florida nur siebzehn Prozent der Bevölkerung über fünfundsechzig.
Die gesamte Erde verwandelt sich derzeit in ein großes Florida. Es gibt heute weltweit mehr Senioren als je zuvor in der Geschichte der Menschheit, sogar in Ländern, die sich noch entwickeln, zum Beispiel in China, wo die Einkindpolitik das Bevölkerungsgleichgewicht in einer atemberaubend kurzen Zeitspanne in Schräglage gebracht hat. In der Geschichte der Menschheit glich die Altersverteilung meist einer Pyramide mit einer Basis aus relativ vielen jungen Menschen und, je weiter man sich der Spitze näherte, immer weniger Älteren. Nun, da sich die Lebensspanne verlängert und die Geburtenrate sinkt, verlagert sich in den Industrieländern der Schwerpunkt zu den Älteren, und aus der Pyramide wird ein Pilz. Der japanischen Zeitung Nikkei zufolge werden in Japan schon bald mehr Windeln für Erwachsene als für Babys verkauft. Statt der Tuberkulose, der Kinderlähmung oder der Pest zum Opfer zu fallen wie in früheren Generationen, werden diese »neuen Alten« an Herzerkrankungen, Krebs, Diabetes und Alzheimer sterben – den vier Reitern der geriatrischen Apokalypse.
Diese chronischen Krankheiten sind mittlerweile anscheinend so verbreitet wie unvermeidbar. Vier von fünf amerikanischen Fünfundsechzigjährigen nehmen mittlerweile Medikamente gegen eine oder mehr Erkrankungen ein, gegen einen erhöhten Cholesterinwert, Bluthochdruck, Diabetes und allerlei andere Beschwerden. Dass die Menschen im Alter immer mehr Medikamente schlucken, bedeutet, dass wir die letzten Jahrzehnte unseres Lebens oft als Patienten verbringen – als Kranke. Gesundheitsexperten bezeichnen diese Zeitspanne, in der wir an chronischen Erkrankungen leiden, als Morbiditätsphase. Im Moment umfasst diese Phase für die meisten Menschen die gesamte zweite Lebenshälfte – ein beängstigender Gedanke. Noch beängstigender ist, was diese Heerscharen von alternden Babyboomern mit ihren Medikamenten, Kniegelenksoperationen und künstlichen Herzklappen kosten werden – und wie schlecht es vielen von ihnen dann trotzdem noch gehen wird.
Wenn es je eine Zeit gab, in der die Menschheit die Zauberblume des Gilgamesch gut hätte brauchen können, dann jetzt.
Wie Michel de Montaigne anmerkte, liegt die Grausamkeit des Alterns nicht darin, dass es einen alten Menschen umbringt, sondern dass es einen jungen Menschen seiner Jugend beraubt. Das, so Montaigne, sei der wahre Verlust. Der einzige Trost sei, dass dieser Prozess langsam, gleichsam im Verborgenen verlaufe. Dennoch, schrieb er, »da wir […] gleichsam unmerklich stufenweise […] hinab geleitet werden, versetzt sie uns endlich in diesen elenden Zustand […], sodass wir nicht die geringste Erschütterung empfinden, wenn die Jugend in uns stirbt. Gleichwohl ist dieses in Wahrheit ein weit härterer Tod, als der Zerfall eines kränklichen Lebens, und als der Tod des Alters«.9
Obwohl ich die Zeit der Babyboomer (die mit dem Geburtsjahr 1964 endet) um drei Jahre verpasste habe, habe ich die große Illusion ihrer Generation mit ihnen gemein: dass sie nie alt werden. Das Altern widerfuhr älteren Menschen, unseren Eltern und Großeltern. Wir waren gewissermaßen immun dagegen. Das war natürlich Quatsch, aber für mich wurde das Altern nicht etwa zur Realität, als meine Eltern siebzig wurden oder als ich mich mit dem mittleren Lebensalter herumschlagen musste. Mir wurde es am Schicksal meiner Hunde bewusst.
Es waren zwei, ein Pärchen Redbone Coonhounds, eine Südstaatenrasse, Helden des bekannten amerikanischen Kinderbuchs Where the Red Fern Grows. Theo hatte ich als Welpen, Lizzy als jungen Hund zu mir genommen, und plötzlich entsprachen sie allen Kriterien eines Hundeseniors. Interessant war, dass Theo immer kindlich geblieben war, wohingegen Lizzy mit sieben oder acht Jahren grau um die Schnauze wurde und den steifen Gang einer alten Truckerin entwickelte. Passanten fragten oft ohne jede Rücksicht auf Lizzys ausgeprägte Eitelkeit: »Ist das die Mutter?«
Nein. Sie waren Bruder und Schwester, geboren im selben Wurf. Doch sie sahen so unterschiedlich aus, dass ich an meinen Großvater und Emerson denken musste: Der eine wirkte deutlich älter, und trotzdem waren sie fast gleich alt. Nur gab es bei den Hunden keine Erklärung wie die Christliche Wissenschaft. Sie hatten im Grunde die gleichen Gene, hatten seit ihrer frühen Jugend das gleiche Futter gefressen, dieselben Spaziergänge gemacht. Wie mein Großvater und sein Bruder hätten sie sich nicht ähnlicher sein können – oder unähnlicher.
Jedem von uns ist schon aufgefallen, wie unterschiedlich schnell Menschen altern. Auf Klassentreffen stellen wir fest, dass sich ein paar unserer Schulkameraden in ihre Eltern verwandelt haben, während andere aussehen, als wären sie gerade frisch aus dem Schullandheim zurückgekehrt. Wie ist der Unterschied zu erklären? Sind es nur die »guten Gene«, wie viele meinen? Oder liegt es an Faktoren, die man kontrollieren kann, zum Beispiel mit dem, was man isst? Welche Creme wir verwenden? Diese große Frage zu beantworten – Warum altern manche Leute langsamer als andere? –, ist das wichtigste Ziel dieses Buches.
Bei Theo und Lizzy schob ich es auf den Zufall, der nach Ansicht der Wissenschaftler tatsächlich eine wichtige Rolle für das Altern spielt. Aber das war, wie sich herausstellte, nicht alles. Der Schein trügt. An einem Sonntag im Oktober kam ich vom Fahrradfahren nach Hause in unser Wochenendhäuschen in Pennsylvania, wo Theo auf der Veranda aufgeregt auf mich wartete. Früher war er bei meinen Ausfahrten mit mir um die Wette gerannt, und auch damals, mit fast zwölf, fetzte er noch gern ein paarmal ums Haus. Ich öffnete die Gartentür, und er rannte mit mir eine Runde, zwei, drei. Er wirkte topfit und wollte noch weiter toben. Daher war es ein Schock für mich, als ich vier Tage später bei einem Tierarztbesuch erfuhr, dass er Krebs hatte.
Unser Tierarzt ist ein freundlicher Mann namens Tracy Sane, ein Landkind, das in Manhattan gestrandet war. Immer, wenn er die beiden Redbones sah, sagte er wehmütig so etwas wie: »Das waren halt noch richtige Hunde.« Ich hatte Theo zu ihm gebracht, um ein paar kleine Hautwucherungen entfernen zu lassen, eigentlich keine große Sache. Weil er für die Operation narkotisiert werden sollte, horchte Dr. Sane mit dem Stethoskop sein Herz ab. Während er mit der Membran an Theos Brustkorb nach unten fuhr, verdüsterte sich sein Gesichtsausdruck. »Theo hat ein kleines Herzgeräusch«, sagte er.
Das Herzgeräusch hatte er, weil das Herz vergrößert und geschwächt war. Das kommt auch beim Menschen vor und ist eine besonders häufige Alterserscheinung. Meist deutet es darauf hin, dass noch etwas anderes nicht stimmt. Ein Röntgenbild des Brustkorbs zeigte, was es war: Dort, wo eigentlich Milz und Leber hätten sein müssen, hatte sich ein dicker Klumpen von der Größe eines Kinder-Footballs breitgemacht. »Das ist das Problem«, sagte Dr. Sane. Er bezeichnete es als »Milzgeschwür«, ein anderes Wort für »Tumor«. Er musste raus, wenn er sicher entfernt werden konnte, so der Arzt. Wir machten einen Termin für den Montagmorgen. »Theo hat einen schweren Weg vor sich«, warnte er mich finster.
Über das Wochenende versuchten meine Freundin Elizabeth und ich, nicht über Theo und seinen Tumor nachzudenken. Die Fernsehnachrichten wurden von einem Hurrikan namens Sandy beherrscht, der drauf und dran war, über die Stadt hereinzubrechen. Es hieß, es werde einer der stärksten Wirbelstürme sein, den New York je erlebt hatte. Am Samstag wollten wir zusammen zum Bauernmarkt in unserem Viertel gehen und die Hunde zu einem letzten Spaziergang vor dem Sturm bewegen, doch Theo streikte. Das war nichts Ungewöhnliches. Er hasste schlechtes Wetter, und wir wussten, dass er sich das Pinkeln lieber stundenlang verkniff, als in den Regen hinauszugehen. Da er ein Sturkopf war, brachte es auch nichts, ihn zu etwas zu zwingen. Zur Entspannung verabreichte ich ihm so etwas wie eine Hundemassage, indem ich ihm in seinem Hundekorb immer wieder über den Rücken fuhr. Aber wir hatten nicht das Gefühl, dass abgesehen vom Wetter etwas nicht stimmte. Am nächsten Morgen, wenn der Sturm vorüber war, wollten wir ihn operieren lassen. Es war drei Wochen vor seinem zwölften Geburtstag.
Aber Theo hatte andere Pläne, und eine Operation gehörte nicht dazu. Wir fanden ihn, bevor es dunkel wurde, neben seinem Hundekorb, noch warm, nur die Lippen waren kalt. Ich schloss ihm die Augen, Elizabeth deckte ihn zu, und wir weinten zusammen.
In den drei Wochen nach Theos Tod vertrauten uns gleich mehrere Freunde an, sie hätten beim Tod ihres Hundes mehr geweint als beim Hinscheiden ihres Vaters. Nicht, dass sie ihren Vater weniger geliebt hätten (zumindest lag es nicht ausschließlich daran). Doch unsere Eltern werden in Zeitlupe alt, und wir rechnen mit ihrem Tod. Das kurze Leben und das schnelle Sterben eines geliebten Tiers trifft uns unvermittelt. Es ruft uns unseren eigenen befristeten Pachtvertrag mit dieser unserer Existenz in Erinnerung. Aus mir war in Theos Lebenszeit aus einem immer noch ansehnlichen jungen Burschen, der die dreißig gerade erst überschritten hatte, ein nicht mehr ganz junger Mann geworden, der schon auf die fünfzig zuging.
Ich war sogar so alt geworden, dass ich ein Buch über das Altern schrieb. Theos Tod entfachte in mir eine fieberhafte Betriebsamkeit. Jetzt wollte ich alles über das Altern erfahren, diesen universellen, aber noch wenig erforschten Prozess, der praktisch jedes Lebewesen betrifft. Ich wollte das Thema journalistisch angehen und mich von den Fakten leiten lassen. Jede Studie, jedes Buch zum Thema Altern, das ich finden konnte, wollte ich lesen. Ich wollte mich in unterfinanzierte Laboratorien zwängen, in denen Wissenschaftler hart arbeiten, und ich wollte die führenden Köpfe auf dem Gebiet befragen. Aber ich wollte auch die Querdenker aufstöbern, die Wissenschaftsrebellen, die mutig nach neuen Erkenntnissen forschten, egal, welches Dogma, welche Mode gerade den Ton angibt. Ich wollte ältere Menschen suchen, die uns Jüngeren zeigen können, wo es langgeht: die mit über siebzig noch Stabhochsprung betreiben, mit über achtzig noch gesellschaftliche Vordenker sind, mit über hundert noch erfolgreich auf dem Aktienmarkt mitmischen.
Ich hatte große Fragen: Wie verändert uns die Zeit? Was geschieht mit mir, wenn ich das mittlere und später das hohe Alter erreiche? Inwiefern unterscheide ich mich mit Mitte vierzig von meinem Teenager-Ich? Was wird sich zwischen vierzig und siebzig verändern? Und auch: Warum ist meine zehnjährige Nichte jung, mein zwölfjähriger Hund aber alt? Was ist diese unsichtbare Kraft namens Altern, die jeden, den ich kenne, trifft? Jede, die dies liest? Jeden Menschen, der jemals gelebt hat?
Genauer gesagt: Wie viel haben wir selbst in der Hand, und wie viel wird vom Schicksal oder vom Zufall bestimmt? Mein Antrieb war persönlicher Art. Ehrlich gesagt, wollte ich mir meine Jugend möglichst lange bewahren, oder was davon noch übrig war. Ich wollte wie mein Großvater werden, der im Alter in die Brandung sprang und Obstbäume schnitt – und nicht im Schaukelstuhl enden wie sein armer Bruder Emerson.
Und obwohl ich am Anfang meiner Recherche fürchtete, ich würde nur allerhand Deprimierendes zutage fördern, geschah etwas ganz anderes. Die Wissenschaftler entdecken gerade, dass das Altern viel formbarer ist, als wir es je vermutet haben, ja, dass man es knacken kann. Wir müssen nicht mehr alt werden wie unsere Großväter (oder in meinem Fall mein Großonkel). Wie gut wir altern, haben wir zumindest teilweise selbst in der Hand. Zwei der wichtigsten Alterskrankheiten – Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes – sind weitgehend vermeidbar und in einigen Fällen sogar reversibel. Eine dritte, die gefürchtete Alzheimer-Krankheit könnte bis zu fünfzig Prozent zu verhindern sein.
Die Sache mit den Hunden machte mir klar, dass es nicht damit getan ist, hin und wieder zum Arzt und einmal in der Woche zur Gesichtspflege zu gehen. Das Rätsel der Langlebigkeit reicht viel tiefer. Wirklich cool und überraschend allerdings ist, wie viele Faktoren des Alterns sich auf zellulärer Ebene verändern, ja hinauszögern lassen. Die Wissenschaft hat geheime Wege und Mechanismen entdeckt, die Langlebigkeit begünstigen und tief in die Zellen eingebettet sind; sie können einige Begleiterscheinungen des Alterns unterdrücken oder verlangsamen – sofern wir herausfinden, wie wir sie aufschließen können. Einige dieser evolutionären Wege sind so alt, dass wir sie mit niederen Lebensformen gemein haben, etwa mit mikroskopisch kleinen Würmern oder sogar mit Hefe. Andere werden im Rahmen der Genomsequenzierung erst nach und nach identifiziert.
Schon heute wissen wir, dass bestimmte Gene mit extremer Langlebigkeit und Gesundheit in Verbindung stehen, und schon bald werden Hunderte weiterer Gene bekannt sein. Einige von ihnen könnte man mit Arzneimitteln, an denen bereits geforscht wird, aktivieren oder imitieren. Aber nicht alles ist reine Zukunftsmusik: Wichtige lebensverlängernde Mechanismen, die fest in unserer biologischen Struktur verankert sind, können wir jetzt sofort in Gang setzen, indem wir einfach mal kurz joggen gehen oder ein, zwei Mahlzeiten auslassen. Etwas Wissen und Prävention können schon darüber entscheiden, ob wir den Rest unseres Lebens auf den Wellen reiten oder auf der Veranda im Schaukelstuhl sitzen.