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WOLF-DIETER STORL

MEIN

AMERIKANISCHER

KULTUR-

SCHOCK

Meine Jugend unter Hillbillies, Blumenkindern und Rednecks

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1. Auflage

Originalausgabe

© 2017 Kailash Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Lektorat: Dr. Willi Dommer

Umschlaggestaltung und Layout: ki 36 Editorial Design, Daniela Hofner München

Autorenfoto: © privat

Umschlagmotiv: benoitb/istockphoto

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-21616-0
V001

www.kailash-verlag.de

Inhalt

Vorwort

Teil I Studentenleben: Abstieg in die wirkliche Welt

Die Wildnis der Schildkröteninsel • Das Brummen der Großstadt • Leistungsdruck • Steppenwolf in nächtlichen Gassen • Sigmund Freuds Enkel • Nerds und Urchristen • Jisse-gubli-fane-gong • Entzug in der Klapse • Kornblumenblaue Augen • Goodbye, sweet Ginny • Allein kommst du nicht in den Himmel • Alligatorsümpfe Georgias • Hallo und Adieu • Irischer Blues • Kaderschmiede der Grünen Revolution • Rat vom älteren Bruder • Beatniks • Der alte Kutschenschuppen • Nach Mexiko mit zehn Dollar in der Tasche • Indios und Hobos • Emmaus Haus • Riesenechsen und Kerbtierchen • Kennedys Tod • Eine tückische Parkuhr • Die Fee aus dem Stechpalmenwald • Hillbillies • Ein magisches Pülverchen • Fluchtversuch • Reise nach Nashville • Schwarze Kirschen • Anthropology • Landstreicherei • Yellowstone • Powwow • Electric Peak • Kalifornien, Gras und Früchtchen • Sozialkritische Kackwurst • Blumenkinder und California Dreaming • Sadie Hawkins und ihr Clan • Ländlicher Aberglaube • Eisige Hölle • Gesellschaft in Bewegung: 1965 • Kindersegen und Eheträume • Der Adena Medizinmann • Licht aus dem Dritten Auge • Scherben und trockene Knochen • Heißer Herbst • Striptease • Psychonauten • Luzifers Sturz • Die rothaarige Zauberin • Matrix der neuen Zeit • Tarzan-Witze • Befreit durch Acid • Winter des Wahnsinns • Die roten Revolutionäre und der Priester des Amon Ra • Kaktus und kaputte Puppen • Ein neuer Morgen • Graduation

Teil II Assistenten und Geisterbeschwörer

Streckenarbeiter • Dachdecker • Dalias Superbaby • Am Busen der Weisheit • Kerzenlicht und eine Narzisse • Brady Lake • Wo die Indianer ihre Kanus trugen • Die Siedlung der Spökenkieker • Typische Winter-Séance • Hippie-Hochzeit • Ein Anthropologe im soziologischen Labyrinth • Platte Autoreifen und vergammelte Schnitzel • Wieder mal so ’ne Utopie • Erdgebundene Geister und schwebende Trompeten • Dorfsheriff • Wildkatze • Sensible Neandertalerin • Vietnam-Demo • Besuch von der »wahren Familie« • In Plastik gehüllte Seele • Beim Psychiater • Ansturm der Geister • Ankunft des großen Mediums • Das Gala-Fest • Glaubst du das etwa? • Einlullende Orgelklänge • Eine Kräuterfrau • Hunnen vor dem Tor • Verdammte Antibabypille • Oskar will dich sprechen • Indianertag • Entfaltungskurs: Wie man Medium wird • Enttäuschte Mysterien-Schüler • Unter dem Pflaster liegen Indianerknochen • Warum willst du hier ewig rumhängen? • Eine kleine Hexe verzaubert Louanna • Musterung und Einberufung zum Militär • Verschwörungstheoretiker unerwünscht

Teil III Der Dozent lebt gefährlich

East Liverpool • Dunkle Geschäfte im Pfannenstiel • Leben ohne TV • Bergleute, Flussratten und andere Rednecks • Vorlesungen • Neue Freunde • Anthropologists unter sich • Prophetin Margaret Mead • Tabakhändler • Blütenstaub • Martin Luther Kings Tod • Bar-Studien • Die Götter lassen sich nicht veräppeln • Zahn ziehen • Eingeklemmt • Schwimmen im Bergbach • Reisepläne • Fahrt ins Irrenhaus • Die entmachtete Machtelite • Amerikanische Touristen in old Europe • Back Home in den USA • Neue Nachbarn • Ausgerissen • Berufsziel: Heroin-Pusher • Ein Beagle vom Vater • Zigaretten holen • Miete zahlen • Vigilantes – Bürgerwehr • Schlagring und lockere Zähne • Ab über die Grenze • Gekaufter Revolutionär • Flucht in der Nacht

Teil IV Das Verglühen des Summer of Love

Jobsuche • Kultur der Armut • Rowlands Haschisch-Sekte • German Village • Kassam und Jaques le Rouge • Heldengedenktag • Der Pornohändler • Stress und verspannte Nerven • Pimps und unglückliche Mädchen • Frische Feigen und Fladenbrot • Der Adler ist gelandet • Kleine grüne Männlein • Rassenunruhen in Columbus • Honky-Tonk Country Bar • Woodstock • Der normale alltägliche Wahnsinn • Pinocchio • Schaufensterdekorateurin • Besuch von der Mafia • Kabinensex • Besorgte Schwester • Ausgeträumte Hippie-Träume • Verdorbenes Bier • Menzel • Ich werde jemanden killen • Ungünstige Vorzeichen

Nachhall

Nachwort

Vorwort

Wer den Himmel im Wasser sieht,

sieht Fische auf den Bäumen.

Mein Freund Frank fragte mich mal, was ich damals als Student in Amerika oder überhaupt so an der Universität gemacht habe: »War wohl ’n typisches eventloses, langweiliges Studium?«

»Nee«, gab ich zur Antwort, »eigentlich nicht. Es war ja die Zeit der Blumenkinder, der Hippies, des Vietnamkrieges, der sexuellen Revolution; da ging es heftig zu, da steckte ich mittendrin.«

»Schreib doch mal was darüber«, sagte er, »die 60er Jahre in den USA: Das war doch eine historisch spannende Zeit, eine Zeitwende, sozusagen. Und die hast du hautnah miterlebt. Als Zeitzeuge, sozusagen. Das wäre doch interessant zu erfahren, wie du das persönlich erlebt hast.«

»Nun, ich weiß nicht, ob das was bringt«, wehrte ich ab, »erstens gelte ich als Kräuterexperte, Ethnobotaniker, eventuell auch als jemand, der sich in Mythologie und Märchen auskennt. Und wenn ich da über diese Zeit schreibe, würde das doch aus dem Rahmen fallen. Außerdem war ich damals jung, noch nass hinter den Ohren und ziemlich egoistisch, wie man es eben in diesem Alter ist. Ich war damals ein anderer Mensch. Ähnlich wie der Körper, in dem in einem Zeitraum von sieben Jahren jede Zelle gegen eine neue ausgetauscht wird, so wandelt und verwandelt sich auch unsere Seele.«

»Ja, aber irgendwas bleibt; das Frühere schafft die karmischen Voraussetzungen für das Spätere. In gewissem Sinn gehören sie ja zusammen«, meinte mein Freund.

»Klar, aber das ist dennoch recht weit weg. Es war eine Zeit der seelischen Verwirrung, alles andere als vorbildlich – wer soll das lesen? Manchmal war ich ein richtiger Blödmann, ein Trottel. Ich meine, auf vieles bin ich nicht stolz.«

Frank, der mal in Indien war und sich viel mit Babaji befasst hat, kommentierte: »Unerfahren sind wir ja alle mal gewesen. Wie sagte Babaji noch? Kein Heiliger ist ohne Vergangenheit und kein Sünder ohne Zukunft!«

»Na ja, es war für mich so eine Zeit, die Psychiater als ›Realitätsprüfung‹ umschreiben würden. Jugendliche begeben sich in ungewöhnliche und manchmal gefährliche Situationen, um zu erfahren, was wirklich Wirklichkeit ist, um ihre Grenzen, ihre eigenen Stärken und Schwächen auszuloten, um zu lernen, das eigene Verhalten realistisch einzuschätzen. In traditionellen Stammesgesellschaften sind es aufwendige Jugendinitiationsriten, die dieses gewährleisten. Da werden die jungen Männer von der Gesellschaft abgesondert, traumatisiert, gehen auf Visionssuche; zugleich werden sie von älteren erfahrenen Stammesmitgliedern, Schamanen oder Ritualspezialisten belehrt und in verantwortungsbewusste Erwachsene verwandelt. In der westlichen Welt erfüllten früher meistens der Militärdienst oder die Wanderjahre, die Walz der Gesellen, diesen Zweck. Aber heute sind Jugendliche häufig orientierungslos und auf sich selbst angewiesen. Drogenexperimente, Extremsport, Reisen in exotische Länder sind dann oft Versuche der ›Selbst-Einweihung‹.«

Frank gefiel das: »Selbst-Einweihung, das kenne ich auch. Das ist auch heute noch aktuell. Ich sehe keinen Grund, nicht darüber zu erzählen.«

»Ich weiß nicht,« gab ich zu bedenken, »das wäre etwa so, als würde man sich seelisch nackt ausziehen. Ich befürchte, dass es meinen Ruf schädigen könnte. Jugendfrei wäre es auch nicht. Wenn ich das überhaupt machen würde, dann aber nicht in Ich-Form. Ich würde es also nicht in der ersten Person erzählen wollen, sondern in der zweiten und mir irgendein Pseudonym zulegen.«

Frank konterte: »Nein, lieber nicht. Das wäre zu unpersönlich.«

Irgendwie ließ es mir keine Ruhe, und ich fing an, so wahrheitsgetreu wie nur möglich, das niederzuschreiben, was die Erinnerung wiedergab. Dabei hielt ich mich an Arthur Hermes, einen meiner Lehrer, was die Spiritualität der Natur betrifft, der mir mal sagte: »Du kannst alles schreiben, solange es wahr ist!« Ich nahm mir vor, nichts hinzuzufabulieren, sondern die Dinge so zu schildern, wie ich sie erlebt habe. Bei einigen Personen, die in der Erzählung erwähnt werden, habe ich den Namen leicht geändert, aber bei den meisten stimmt der Name.

In meiner Jugend war ich nicht nur von dem Landleben und der Natur, sondern auch vom christlichen Glauben geprägt worden und bin es noch im gewissen Sinn. Aber nun, durch das Schreiben, durch dieses bewusste Durchleuchten der zum Teil dunklen Korridore der eigenen Vergangenheit, ist mir manche Einsicht zuteilgeworden: Wir leben nicht nur in einer göttlichen Welt, sondern in einer Welt, in der die Götter – die Archetypen, im Sinne Carl Gustav Jungs – noch, wie eh und je, am Werk sind. Und nicht wir wählen uns unsere Götter, sondern sie wählen uns. Sie adoptieren uns, so wie wir einen niedlichen Welpen oder ein Kätzchen adoptieren würden; und sie prägen uns.

Es war wohl der Geist Wodans (Odins), der mich wählte. Wodan – dem Christen Rudolf Steiner galt er als Erzengel – ist der Wanderer, der Fahrende, der Grenzüberschreitende; er ist ein Schamanengott, der seine Anhänger und Auserwählten in ungewöhnliche Situationen lockt, auch in die Gefahren lockt, so dass sie nicht nur das Licht kennenlernen, sondern auch die Finsternis, nicht nur das Göttliche, sondern auch das Dämonische, nicht nur die Ekstase, sondern auch den Schmerz. Alles gehört zum Sein. Alle Aspekte gehören – wie die Weisen Indiens sagen – zu unserem göttlichen Selbst; alles ist Shiva. Ein Gott wie Wodan führt zur Ganzheit. Nur in unserer Ganzheit sind wir heil.

Diese Einsicht ist also für mich der Lohn der Schreibarbeit; für den Leser soll es gute Unterhaltung sein.

TEIL I

Studentenleben: Abstieg in die wirkliche Welt

Wir stolzen Menschenkinder

Sind eitel arme Sünder

Und wissen gar nicht viel;

Wir spinnen Luftgespinste

Und suchen viele Künste

Und kommen weiter von dem Ziel.

MATTHIAS CLAUDIUS