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© 2016 Hubert Hug
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783743123410
In versteckten Geschäften Japans, in Seitengassen, wo Touristen kaum hinkommen, schiebt die Verkäuferin innerhalb eines kleinen Holzrahmens mit flinken Fingerbewegungen Rechensteine auf oder ab, um aus einem Perlenmuster ein Ergebnis vorzulesen. Nicht selten begegnet man dort auchMenschen, die nach dieser Methode in derselben Geschwindigkeit im Kopf rechnen. Wir wollen hinter dieses Geheimnis kommen.
Der Soloban ist vom chinesischen Abakus abgeleitet und verfeinert. Mit Rechensteinen werden die vier Grundrechenarten in Millionenhöhe von trainierten Menschen schneller als mit einem Taschenrechner ausgeführt. Dazu kommt ein visuelles Gedächtnistraining. Ziel ist es an einem imaginären Soloban die Rechensteine im Geiste zu verschieben, um so verblüffend schnell und frei von materiellen Hilfen mit großen Zahlen zu rechnen. Diese Methode, also das gedankliche Verschieben der Rechensteine nach den Solobanregeln, heißt Anzan.
Noch lernt fast jedes japanische Kind Soloban und je nach Begabung auch Anzan in der Grundschule. Doch nicht mehr sonderlich motiviert: denn das Kind weiß schon, dass diese Denkarbeit von den westlichen Rechenmaschinen bequemer und moderner, aber nicht unbedingt schneller und zuverlässiger, erledigt werden kann. So wird das Solobanrechnen als nicht mehr zeitgerecht abgetan, verdrängt und vergessen.
Soloban und Anzan können zur Unabhängigkeit von elektronischen Rechenmaschinen und zu einem selbstsicheren Umgang mit Zahlen verhelfen. Auch sind sie in der Lage, zur Wiederentdeckung von ruhenden Bereichen der eigenen geistigen Fähigkeiten zu führen. Das Buch soll neben den detaillierten technischen Beschreibungen helfen, diese traditionellen japanischen Rechenkünste in Deutschland bekannt zu machen.
Singend vorgelesene Zahlen durchdrangen den Saal. Die Schulkinder standen und addierten die Zahlen ohne zusätzliche Hilfsmittel im Kopf. Nach Verkündigung des Ergebnisses, setzten sich die Schüler mit falschem Ergebnis und schieden dadurch aus dem Wettbewerb aus. Das Ergebnis, das sie im Kopf hatten, konnte niemand nachprüfen. Nur die noch stehenden Schülerinnen und Schüler nahmen an der Fortsetzung des Wettbewerbs teil.
Die Werte der vorgelesenen Zahlen wurden höher und höher. Nur zwei Mädchen blieben schließlich stehen. Sie traten zum letzten Test auf die Bühne. Auf einer Tafel erschienen dreistellige Zahlen und sie sollten miteinander multipliziert werden. Die Mädchen schauten einen Sekundenbruchteil auf die Zahlen und begannen dann sofort die Ergebnisse auf die Tafel zu schreiben. Für die Zuschauer leuchteten die Resultate auf einer für die Mädchen nicht sichtbaren Leinwand im Hintergrund. Alle Antworten waren richtig. Das Spiel wurde mit Divisions- und Additionsaufgaben fortgesetzt. Die beiden Mädchen sahen die Zahlen, bewegten einen Daumen über die andere Handfläche und schrieben das Ergebnis fast zeitgleich auf. Dann drehten sie sich um, den Blick gelassen auf das Publikum gerichtet.
Das Gehirn für komplizierte Rechenoperationen benützen zu können, ohne Rechner oder Computer, muss ein befreiendes Gefühl sein: Maschinen nur als Hilfe, nicht aber, um das Denkgefühl zu mindern. Die individuelle Unabhängigkeit wird nicht zerstört, Fehler sucht man geduldig im eigenen Denken, nicht bei Maschinen.
So verwendet man zum Rechnen nur ein kleines Holzgestell mit verschiebbaren Rechensteinen. Das im Geist vorliegende Bild einer Rechenoperation wird mit den Rechensteinen geschoben, bis man schließlich - nach einiger Übung - auf das Steineschieben mit den Fingern ganz verzichtet und nur noch imaginäre Rechensteine vor sich sieht.
Als die ersten elektronischen Rechner in Japan eingeführt wurden, überprüften Solobanspezialisten deren Ergebnisse mit einem Soloban, da man der fremden, neu eingeführten Technik zunächst misstraute. Heute setzt man wie im Westen blindes Vertrauen in elektronische Rechenmaschinen.
Ein Soloban besteht aus einem rechtwinkligen Rahmen mit mindestens neun vertikalen Säulen, die je fünf Rechensteine (auch als Perlen oder Kugeln bezeichnet) enthalten (Abb. 1). Der oberste Stein ist durch einen Querbalken von den unteren vier Steinen abgesetzt. Die Lage der Rechensteine entlang der senkrechten Bambus-Stäbchen ergibt deren Wert. Die vier unteren Rechensteine haben je einen Wert von 1 (Einersteine) und mit diesen kann man rechnen, wie wenn man mit den Fingern zählen würde. Der oberste, durch den Querbalken getrennte Stein hat den Zahlenwert 5 (Fünferstein). Wenn in allen Zahlenlinien der oberste Stein oben, die vier Einersteine unten liegen, hat ein Soloban den Zahlenwert 0 (Abb. 1). Die Einstellung der Zahlenwerte von 1 bis 9 ist in Abb. 2 auf einem Soloban dargestellt. Hier liest man die Zahl 123456789 ab. Die Zahlen von 1 bis 4, die mit den unteren Einer-Rechensteinen eingestellt werden, sind in Abb. 3 einzeln gezeigt.
Wie beim römischen Zahlensystem wird die 5 als separate Einheit dargestellt. Wenn der Fünferstein nach unten geschoben ist, entspricht das der Zahl 5 (Abb. 4). Schiebt man gleichzeitig mit Daumen und Zeigefinger Einersteine nach oben und den Fünferstein nach unten, erhält man die Zahlen von 6 bis 9 (Abb. 4). So wird die römische VII, die aus V und II zusammengesetzt ist, mit einem Fünferstein und zwei Einersteinen auf dem Soloban in der Senkrechten eingestellt (Abb. 2).
Auf dem Balken enthält ein Soloban über jedem vierten Stäbchen ein Dezimalpunkt (Abb. 1). An den Rechensteinen irgendeines Stäbchens mit einem Dezimalpunkt beginnt man mit den Einern zu rechnen (Abb. 3 und 4). Zahlen höher als 9 lassen sich nun folgendermaßen bilden: Die Rechenstein-Säule links vor einer Säule mit einem Dezimalpunkt liefert die Zehner. Die Trennung der Zehner findet in der Senkrechten statt, wie wir es von unserem und dem römischen Zahlensystem schon gewöhnt sind. Wird so der erste der vier unteren Steine in der zweiten Säule vor dem Dezimalpunkt nach oben geschoben, erhält man 10 (Abb. 5Abb. 5