Über Martina André

Martina André wurde 1961 in Bonn geboren. Der französisch klingende Nachname ist ein Pseudonym und stammt von ihrer Urgroßmutter, die hugenottische Wurzeln in die Familiengeschichte miteinbrachte. Sie hat mit »Die Gegenpäpstin« sowie den Romanen »Das Rätsel der Templer«, und »Die Rückkehr der Templer« und »Das Geheimnis des Templers« vier Bestseller vorgelegt. Nun erscheint ihr vierter Templerroman »Das Schicksal der Templer«, die Fortsetzung der Abenteuer von Gero von Breydenbach. Martina André lebt heute mit ihrer Familie in der Nähe von Koblenz sowie in Edinburgh/Schottland, das ihr zur zweiten Heimat geworden ist. Von der Autorin lieferbar sind: »Das Rätsel der Templer«, »Die Rückkehr der Templer«, »Das Geheimnis des Templers«, »Das Schicksal der Templer«, »Die Gegenpäpstin«, »Schamanenfeuer. Das Geheimnis von Tunguska«, »Die Teufelshure« und »Totentanz«.Mehr Informationen zur Autorin unter www.martinaandre.com und https://www.facebook.com/Autorin.Martina.Andre/

Informationen zum Buch

Das Geheimnis der Templer.

Norwegen, 2015. Eigentlich wollte Gero von Breydenbach zusammen mit Hannah zur Ruhe kommen. Die Geburt ihres ersten Kindes steht unmittelbar bevor. Doch Agent Jack Tanner fahndet noch immer nach den Templern. Nach der Warnung eines alten Freundes können Gero und seine Brüder mithilfe eines neuen Timeservers in letzter Minute ins Jahr 1315 fliehen. Doch dort wartet Geros Bruder auf ihn – und er hat sich mit der Inquisition verbündet, die auf der Jagd nach den Templern ist.

Eine hochspannende Zeitreisegeschichte und die atemlose Suche nach dem größten Geheimnis der Templer

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Martina André

Das Erbe der Templer

Roman

Inhaltsübersicht

Über Martina André

Informationen zum Buch

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Prolog: Vertrauen ist gut

Kapitel 1: Niemals allein

Kapitel 2: Schatten der Vergangenheit

Kapitel 3: Artusrunde

Kapitel 4: Tischlein deck dich

Kapitel 5: Verlorene Söhne

Kapitel 6: Verlorene Töchter

Kapitel 7 : Neue Besen

Kapitel 8: Späte Einsichten

Kapitel 9: Schatten der Vergangenheit

Kapitel 10: Teufelswerk

Kapitel 11: Vaterlos

Kapitel 12: Reise ins Ungewisse

Kapitel 13: Wer zu spät kommt …

Kapitel 14: Verbündete

Kapitel 15: Aufklärungsarbeit

Kapitel 16: Parzival

Kapitel 17: Legenden

Kapitel 18: Vermächtnisse

Kapitel 19: Gottes Geheimnisse

Kapitel 20: Unbequeme Wahrheiten

Kapitel 21: Tafelrunde

Kapitel 22: Machtspiele

Kapitel 23: Gottes Wille

Kapitel 24: Sprung ins Nichts

Kapitel 25: Gefährliche Liebschaften

Kapitel 26: Pakt mit dem Teufel

Kapitel 27: Schlechte Karten

Kapitel 28: Hungerloch

Kapitel 29: Kain und Abel

Kapitel 30: Brutale Realität

Kapitel 31: Heilige Inquisition

Kapitel 32: Nichts als die Wahrheit

Kapitel 33: Alte Rechnungen

Kapitel 34: Alte Freunde

Kapitel 35: Unerwarteter Besuch

Kapitel 36: Geheime Bruderschaften

Kapitel 37: Späte Rache

Kapitel 38: Ein zweifelhafter Plan

Kapitel 39: Späte Reue

Kapitel 40: Unverhoffte Freuden

Kapitel 41: Brüder im Herzen

Kapitel 42: Leute des Königs

Kapitel 43: Kriegsberichterstatter

Kapitel 44: Der Name der Weisheit

Kapitel 45: Freud und Leid

Kapitel 46: Gralshüter

Kapitel 47: Ohne Netz und doppelten Boden

Epilog: Gottes Wege

Namensliste

Nachwort und Danksagung

Impressum

In liebevoller Erinnerung an Maria Mühlbauer,
die mich mit ihrer Begeisterung für historische Romane
zum Schreiben inspiriert hat
 

Jesus sprach: »Ich werde euch auswählen,
einen aus tausend und zwei aus zehntausend,
und sie werden als ein einziger dastehen.«

(Thomasevangelium 23)

Prolog

Januar 2156 –
Area 51, Neue Welt (ehemalige USA)

Vertrauen ist gut

Vom gleißenden Neonlicht irritiert, schärfte Rona nach dem Transfer ihre genetisch optimierten Sinne, um in der schummrigen Umgebung jenen Mann zu erkennen, der nur wenige Meter entfernt stand und sie anstarrte, als ob sie eine Außerirdische wäre.

Im Zeitraffer scannten ihre Augen die kahlen Wände, die bläulich illuminierten Holo -Tische und das flackernde Licht.

Verdammt! War sie versehentlich in der falschen Zeit gelandet? Schließlich war ihr und ihren beiden Geschwistern schon einmal ein solcher Fehler unterlaufen. Anstatt im Jahr 1119 waren sie im Jahr 1148 gelandet. Mitten in den Kreuzzügen. Die Klinge eines Fatimiden hatte Makos Kopf unmittelbar nach ihrer Ankunft vom Körper getrennt. Immer noch hatte sie das Bild vor Augen, wie sein Hals zur Seite geknickt war wie ein gekappter Blütenstängel.

»Lion?« Es war mehr ein Flüstern, mit dem sie sich vergewissern wollte, ob es sich bei dem schlanken, weißhaarigen Mann tatsächlich um Lion Ho Chang handelte. Ihren Lehrmeister, der sie vor fünf Jahren zusammen mit den anderen in eine tausend Jahre zurückliegende Vergangenheit transferiert hatte. Die markanten Gesichtszüge, die ihn nicht einmal halb so alt aussehen ließen, wie er tatsächlich war, wirkten müde und angespannt.

»Rona?« Offenbar war auch er sich nicht sicher, ob sie diejenige war, die er erwartet hatte.

»Ja, ich bin’s«, antwortete sie tonlos. Obwohl sie bei seinem Anblick eine Reihe ungewohnter Emotionen empfand, hielt ihre anerzogene Disziplin sie davon ab, sie zu zeigen. Als sie und ihre Geschwister vor fünf Jahren aufgebrochen waren, stolz darauf, seinen Auftrag erfüllen zu dürfen, hatte Rona nicht damit gerechnet, eines Tages ohne die beiden zu ihm zurückzukehren.

»Du bist es wirklich«, murmelte er vollkommen überwältigt und kam zögernd näher, um sie dann ungefragt heftig in die Arme zu schließen. Für einen Moment war ihr, als ob seine Schultern bebten. Weinte er etwa? Der meistgesuchte Rebellenführer der Neuen Welt hatte seine Gefühle normalerweise so fest unter Kontrolle wie seine Anhänger, die ohne Widerspruch seinen Befehlen folgten.

Doch als er kurz darauf ihr Gesicht musterte, offenbar weil er sicherstellen wollte, dass sie keine Erscheinung war, sah sie einen verdächtigen Glanz in seinen schmalen Augen.

»Du siehst wunderschön aus«, stammelte er und betrachtete gerührt ihre mittelalterliche Kleidung. Ein seidenes Untergewand in leuchtendem Violett und ein dunkelblauer Überwurf aus fein gesponnener Wolle. Dazu ein passender Umhang mit Kapuze und handgearbeitete Stiefel aus Ziegenleder, ebenfalls blau eingefärbt. Das alles hatte für damalige Verhältnisse ein kleines Vermögen gekostet. Arnaud hatte ihr die Sachen im Herbst 1315 in Brügge gekauft, kurz bevor sie nach Schottland übergesetzt waren. Als Templer entstammte er einer provenzalischen Adelsfamilie und hatte keine Kosten und Mühen gescheut, sie nach ihrer Heirat zu seiner Prinzessin zu erheben.

»Du siehst noch umwerfender aus als zum Zeitpunkt eures letzten Transfers«, fuhr Lion mit brüchiger Stimme fort. »Ich erinnere mich genau, wie ich dir und den anderen die passende Kleidung für das zwölfte Jahrhundert beschafft habe. Es war verdammt schwierig, jemanden zu finden, der all das Zeug anfertigen konnte. Wenn ich darüber nachdenke, kommt es mir vor, als ob es gestern gewesen wäre.« Eine einzelne Träne rann nun doch an seiner Wange entlang und tropfte zu Boden.

»Hey.« Rona berührte mit einer federleichten Geste sein noch immer glattes Gesicht. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Ich lebe noch, und wie du siehst, habe ich mich erwartungsgemäß nicht sehr verändert. Zumindest körperlich«, fügte sie mit einem angedeuteten Lächeln hinzu. Sie würde ihm nicht preisgeben, wie sehr dieser Trip sie im Innersten aufgewühlt hatte.

»Es tut gut, dich wiederzusehen«, krächzte er heiser und strich ihr eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht, die ihr glatt und bläulich glänzend bis zur Kinnlinie reichte. »Ich habe mich in den letzten fünf Jahren jeden einzelnen Tag gefragt, ob auch nur einer von euch eines Tages wieder vor mir stehen wird. Seit du mir bei unserem letzten Austausch von Makos Tod berichtet hast, konnte ich kaum noch schlafen. Immerzu habe ich mich gefragt, ob ich an seinem grausamen Schicksal mitschuldig bin. Erst recht nachdem der Kontakt zu Lyn und dir abgebrochen war. Ich habe versucht, Makos DNA noch vor eurem Transfer zu erfassen und ihn damit zurückzuholen, um seinen Tod ungeschehen zu machen, aber es hat nicht funktioniert. Umso glücklicher bin ich, dass wenigstens du es am Ende zurück nach Hause geschafft hast. Obwohl ich mir vorstellen kann, welche Strapazen du durchmachen musstest«, erklärte er leise.

»Ja, es war nicht leicht«, gab Rona tonlos zurück. »Wobei ich nicht über die Umstände klagen möchte. Das Leben in vergangenen Zeiten ist in mancher Hinsicht besser als hier. Wir hatten genug zu essen, und die politische Lage war überschaubarer als in unserer Zeit. Die Überwachung durch die Herrschenden war im Vergleich zu heute geradezu lächerlich. Allerdings benötigt man auch dort verlässliche Verbündete, um zu erreichen, was man will.«

»Und wo ist Lyn?«, fragte er und kräuselte besorgt die Stirn. »Sag bitte nicht, dass sie auch getötet wurde.«

»Soweit ich weiß, geht es ihr gut«, antwortete Rona und fuhr abwesend mit einer Hand über die bläulich schimmernden Holo-Tische. »Als ich sie zuletzt sah, hatte sie sich verliebt. Das ist der Grund, warum sie nicht bei mir ist.«

»Verliebt?« Lion starrte sie ungläubig an. »Ich dachte immer, euch sei eine solche Empfindung nicht möglich?«

»Du hast uns doch selbst den Chip entfernt, der unsere Emotionen unterdrücken sollte. Also warum sollten wir uns nicht in andere Menschen verlieben können, wenn alle anderen Emotionen normal funktionieren?« Rona war versucht, über ihre Beziehung zu Arnaud zu sprechen, doch ihre innere Stimme riet ihr, es besser zu lassen. Lion würde nur unnötige Fragen stellen, und das wollte sie nicht.

»Was ist denn das für ein Mann, für den Lyn ihre Pflichten vergisst?«, fragte er mit leicht verwirrtem Blick.

»Es wird dir nicht gefallen, Lion, weil ich weiß, du stehst auf der Seite der Templer …« Sie hielt einen Moment inne und schaute ihn durchdringend an. »Aber der Mann, für den sie sich entschieden hat, ist Assassine. Und ich vermute, sie ist glücklich mit ihm, sonst wäre sie ihm nicht gefolgt.«

»Ein …« Lion schaute sie fassungslos an. »Assassine?«, wiederholte er mechanisch und machte ein Gesicht wie ein Vater, der erfährt, dass seine Tochter soeben mit einem Terroristen durchgebrannt ist. »Und das hast du zugelassen?«

»Sie ist erwachsen, und du warst nicht da. Fünf lange Jahre haben wir in Jerusalem auf ein Zeichen von dir gewartet. Nichts.«

Während er um eine Antwort verlegen war, sah sie sich gründlich in der fast leeren Laborhalle um, deren Böden und Wände im Gegensatz zum futuristischen Equipment ziemlich heruntergekommen wirkten. »Und wie steht es um das Ergebnis unserer Mission?« Rona wagte kaum, ihm in die Augen zu schauen, weil sie glaubte, die Antwort zu kennen. »Ist immer noch alles beim Alten? Oder gab es wenigstens ein paar Veränderungen?« Ihre Stimme klang fest, aber die Anspannung, die sie empfand, war gewaltig. Immerhin ging es um nichts Geringeres als darum, einen verheerenden Krieg zu verhindern und eine humane Gesellschaft zu ermöglichen, in der es weder Mord noch Totschlag gab, geschweige denn eine Weltherrschaft, bestehend aus internationalen Handelskonsortien, die den Planeten wie eine Horde Heuschrecken unter sich aufgeteilt hatten.

Lions versteinerte Miene bedurfte keiner weiteren Worte, und doch rang er sich zu einer ernüchternden Erklärung durch. »Die Welt wird noch immer von den gleichen machthungrigen Konzernen beherrscht wie vor eurer Abreise. Weder den Dritten Weltkrieg noch die dafür verantwortlichen Konflikte zwischen den USA und deren Gegenspieler konnten verhindert werden. Es ist, als ob Gott selbst sich gegen uns verschworen hat. Wobei ich mich frage, warum hat er uns eine solch phantastische Erfindung in die Hände gespielt, wenn man nichts damit anfangen kann?«

»Wenigstens wurdet ihr in der Zwischenzeit nicht von den Wächtern der Neuen Welt erwischt.« Rona kniff resigniert die Lippen zusammen. »Wo sind wir hier eigentlich? Zum Zeitpunkt unserer Abreise waren wir an einen geografisch festgelegten Radius von dreißig Yards gebunden. Aber wie in den schottischen Highlands sieht es hier nicht gerade aus.«

»Ich habe die Programmierung verändern können«, antwortete er unaufgeregt. »Wir sind inzwischen unabhängig von geografischen Parametern und können von jedem Punkt der Erde aus transferieren und im Gegenzug überall hin. Aktuell befinden wir uns in Nevada«, klärte er sie beinahe enthusiastisch auf. »Area 51 – zurück zu den Wurzeln sozusagen. Dieser Rückzug in die Wüste war nach unserem Desaster in Israel die einzige Möglichkeit, den Regierungstruppen zu entkommen.«

Rona war erstaunt über seine Erläuterungen, doch sie zeigte es nicht. »Wie hast du es damals geschafft, in der Wüste von Jerusalem den Angriff der Drohnen zu überleben? Lyn und ich hatten Sorge, du wärst tot.«

»Dan hat mich mit einer Rettungskapsel evakuiert, nachdem ich mich in einer Erdspalte verstecken und von dort aus Kontakt zu ihm aufnehmen konnte. Meine Verfolger dachten wohl, ich wäre in dem explodierten Hypergleiter verbrannt. Unter dem schützenden Felsen haben mich die Scanner der Drohnen nicht erfasst. Aber die Geschichte hat auf die Geheimdienste gewirkt, als hätten wir in ein Wespennest gestochen. Wir wurden überall gejagt. Unser Unterschlupf in Corpus Christi war nicht mehr sicher, und auch unsere geheimen Rebellenquartiere in den Slums von Chicago und Detroit waren nicht mehr zu halten. Unsere Anwesenheit hätte die dort lebenden Menschen gefährdet. Danach haben wir eine Weile gelebt wie Kellerasseln und uns unter jedem zur Verfügung stehenden Stein versteckt. Deshalb sind wir nach einigen Vorbereitungen hierher zurückgekehrt, wo alles so zerstört und verstrahlt ist, dass sich niemand an diesen Ort verirrt, der noch bei klarem Verstand ist. Uns ist es gelungen, einen der ehemaligen Bunker zu einer dekontaminierten Zone umzubauen. Und dort leben wir jetzt. Zu fünft. Mehr sind wir nicht mehr. Abgesehen davon, dass man unser Dasein niemandem zumuten kann, ist es zu gefährlich, mit uns hier zu leben. Wir können jederzeit entdeckt werden, und ich kann niemandem vertrauen, außer meinem engsten Stab.«

»Und wie beschafft ihr euch Lebensmittel und Trinkwasser?« Rona schaute sich noch einmal ungläubig um. »Ich meine, von irgendwas müsst ihr euch doch ernähren.«

»Wir versorgen uns über die verbliebenen Server.« Lion zuckte ungerührt mit den Schultern, als ob er sich für sein durchaus gefahrvolles Beschaffungssystem entschuldigen müsste. »Obwohl es ein ziemliches Risiko ist, transferiere ich Dan regelmäßig in einen Supermarkt der 1980er Jahre in Ohio, wo es die besten Bratwürste und deutsches Bier gibt, was den Jungs die Einöde hier ein wenig erträglicher macht.«

»Ihr klaut Bratwürste und Bier in den Achtzigern des vorletzten Jahrhunderts?« Rona schaute ihn erstaunt an. »Wenn der Transfer so einfach geworden ist, warum greifst du auf diese Weise nicht in politische Abläufe ein? Ich meine, warum mussten wir achthundert Jahre zurück ins Heilige Land und dazu noch mitten in die Kreuzzüge, wenn ihr euch direkt an den Mittagstisch des amerikanischen Präsidenten transferieren könntet? Hättest du nicht Dan oder Greg in die Zeit kurz vor dem Krieg schicken können, und den Kerl, der den Befehl zum Angriff auf den Iran gegeben hat, einfach zu Staub blasen können? Damit hätten sich doch alle unsere Probleme von ganz alleine erledigt.«

Lion schaute Rona einen Moment lang nachdenklich an. Dann seufzte er schwer. »Ob du es glaubst oder nicht, das haben wir versucht, nachdem ich die neue Programmierung zum ersten Mal eingesetzt hatte. Aber was wir auch angestellt haben, es hat nicht funktioniert. Sämtliche Versuche liefen ähnlich erfolglos ab wie die Attentate auf Diktatoren in früheren Jahren, die anscheinend alle mit dem Teufel im Bund standen, der seine Hand über sie hielt. Entweder hatten die vor Ort organisierten Waffen eine Ladehemmung, oder die ins Visier genommenen Zielobjekte konnten sich in letzter Sekunde entziehen. Im Mittelalter hätte man wahrscheinlich gesagt, es ist wie verhext. Selbst wenn uns kleinere Veränderungen in der Vergangenheit gelungen waren – wenn wir zurückkehrten, war alles beim Alten. Frag mich nicht warum, ich habe bis heute nicht herausfinden können, ob und – wenn ja – welches System dahinter steckt. Ich habe verschiedene komplexe Berechnungen angestellt, doch sie liefen alle ins Leere«, erklärte er matt. »Auch wenn ich den Mechanismus des Timeservers technisch verstanden habe, heißt das noch lange nicht, dass ich begreife, was metaphysisch dahintersteckt.«

Rona hob eine Braue und legte ihren bodenlangen Kapuzenmantel über einem Stuhl ab, weil ihr warm geworden war. »Vielleicht hat es etwas mit unserem persönlichen Ereignishorizont zu tun«, sinnierte sie leise. »In der Quantenphysik nimmt der Beobachter automatisch Einfluss auf die Geschehnisse um ihn herum. Möglicherweise lässt sich einmal erlebte Geschichte nicht ändern. Es sei denn, die Erinnerungen werden komplett gelöscht, bevor man an seinen Ausgangsort zurückkehrt. Vielleicht konntest du nichts verändern, weil es nicht Teil deiner eigenen Wirklichkeit war. Es ist, als ob ein Stück in einer Kette fehlt und sie deshalb nicht zum geschlossenen Ganzen werden kann. Hast du daran schon einmal gedacht?«

»Das würde bestätigen, dass unsere Realität von uns selbst gesteuert wird, ohne dass wir es bemerken. Daran will ich nicht glauben«, fügte er beinahe trotzig hinzu. »Denn das würde bedeuten, dass wir in unserer eigenen Simulation gefangen sind.«

»Was meine Theorie erhärten würde, dass alles vorherbestimmt ist und sich nichts ändern lässt«, bemerkte Rona vorsichtig. »Nach allem, was ich erlebt habe, glaube ich inzwischen an ein holographisches Universum, in dem alles, aber auch wirklich alles berechnet werden kann. Und im Übrigen denke ich, dass auch die Templer sich darüber bewusst waren, dass ein solches Universum ihr Schicksal bestimmt. Es gibt da diese Graffitis in den Kerkern von Chinon. Sie wurden von gefangenen Templern angefertigt. Ich bin sicher, du hast sie bei deinen Recherchen gesehen. Eigenartige Dreieckszeichnungen in einer Gitterform, die für mich eindeutig einen dreidimensionalen Raum beschreiben, der mit den passenden Berechnungen auf eine zweidimensionale Ebene heruntergebrochen werden kann. Außerdem wird in den Graffitis das Rad des Schicksals – oder auch der Zeit – dargestellt. Die Templer, die dort einsaßen, wussten anscheinend um die vorhandenen Möglichkeiten und auch, dass sie ihnen nicht helfen würden, etwas zu ändern, sonst hätten sie es längst getan.« Rona schaute ihn mit undurchsichtiger Miene an, selbst nicht mehr sicher, ob ihre Mission je Aussicht auf Erfolg gehabt hatte. »Wenn man es genau betrachtet, hätten wir uns unsere Anstrengungen sparen können. Und auch Makos Tod war vollkommen umsonst.«

»Wenn deine Überlegungen zuträfen, wäre sein Tod vorherbestimmt gewesen«, erwiderte Lion verstimmt. »Aber das glaube ich nicht. Ich bin noch immer davon überzeugt, dass es einen Weg gibt, den Ablauf der Geschichte zu ändern. Ich habe noch mal in verschütteten Archiven gewühlt«, erklärte er und schaute sie eindringlich an. »Überall findet man Hinweise, dass die Templer etwas besessen haben, das nicht von dieser Welt stammte. Ihr müsst doch irgendetwas von ihren geheimen Riten mitbekommen haben.« Lion schaute sie aus zusammengekniffenen Augen an, als ob er spürte, dass sie ihm etwas verschwieg.

»Ja«, erwiderte sie geistesgegenwärtig. »Sie hatten den CAPUT 58 Server, und zwar von uns. Und wenn man es kritisch betrachtet, wurden sie allein deshalb verfolgt und am Ende vernichtet, weil sie durch uns Einblicke in die Zukunft erhalten hatten. Ohne das Ding würde der Orden vielleicht noch existieren.«

»Das vermag ich mir nicht vorzustellen.« Lion runzelte kritisch die Stirn. »Und was war mit der Bundeslade? Du warst doch direkt auf dem Tempelberg? Im Herzen des Ordens? Hat niemand mit euch darüber geredet?«

»Die Bundeslade war auf dem Tempelberg kein Thema«, log sie eiskalt, um sich gar nicht erst in die Gefahr zu begeben, dass Lion vom eigentlichen Geheimnis des Ordens erfuhr. »Das sind alles Legenden von irgendwelchen Leuten, die sich die Entwicklung des Ordens nicht erklären konnten. Wir allein waren es, die mit unserem Wissen deren Fortschritt ermöglicht haben. Aber das auch nur für Eingeweihte, weil wir sonst unweigerlich auf einem Scheiterhaufen für Ketzer gelandet wären.«

»Ich bin sicher, die sogenannten eingeweihten Ordensbrüder haben dir etwas verschwiegen«, antwortete er skeptisch. Allem Anschein nach wollte er sich nicht der Hoffnung berauben lassen, dass trotz aller unbestrittenen Niederlagen, die er in der Ausführung seiner ehrgeizigen Pläne erlitten hatte, noch Hoffnung bestand und seine Einschätzungen am Ende zur ersehnten letzten Wahrheit über die Zusammenhänge des Universums führten.

Plötzlich hielt er inne. »Wie bist du eigentlich ins vierzehnte Jahrhundert und nach Schottland gekommen, und wer war der Mann, mit dem ich durch den Server gesprochen habe?«

Rona war bewusst, dass sie höllisch aufpassen musste, wie viel von ihren Informationen sie preisgeben konnte, ohne das eigentliche Geheimnis der Templer zu verraten. In wenigen Worten erzählte sie Lion die Geschichte ihrer Rettung im Jahr 1153.

»Nachdem der Kontakt zu dir abgebrochen war, haben wir eine Botschaft über die Funktionsweise des Servers zusammen mit der Bauanleitung eines Fusionsreaktors in eine metallische Plombe gesteckt und heimlich in das Grab eines Templers auf dem Tempelberg gelegt. Achthundert Jahre später wurde die Plombe von einem libanesischen Architekten entdeckt und an einen deutschen Quantenphysiker weitergeleitet, der die Formeln verstanden hat. Die Energie des Steins hat er – wie vorgesehen – durch die Energie des Fusionsreaktors ersetzt. Mit den entsprechenden Koordinaten, die Lyn ihren Geschichtsdateien entnommen hatte, war er in der Lage, einen Templer zu transferieren, der mehr zufällig den Radius seines Forschungsfelds gekreuzt hat. Was meine Theorie untermauern würde, dass es keine Zufälle gibt. Denn dieser Templer wusste auch, wo der Orden unseren Server versteckt hielt, und hat die Amerikaner dorthin geführt. Danach haben sie Spezialisten ins Jahr 1153 geschickt, um uns zu evakuieren. Das Ganze fand unter Leitung eines jungen dänischen Quantenphysikers statt. Die Evakuierung ging schief, weil beim Transfer versehentlich eine Handgranate explodiert ist und der Server zum Teil dadurch zerstört wurde. Der Däne hatte zwischenzeitlich einen zweiten Prototypen des 58er Servers angefertigt, dem aber der fragliche Frequenzquarz fehlte, um ihn in Betrieb nehmen zu können. Daraufhin hat er den Quarz des 58er Servers geteilt und die zweite Hälfte in den Prototypen verbaut, um uns unter seiner Leitung erneut zu evakuieren. Bei dem Versuch, uns zurückzuholen, sind wir zu einer Gruppe von mehreren Leuten, darunter auch der Templer, von dem ich sprach, ungeplant im Jahr 1315 gelandet. In der Zwischenzeit war der Orden vernichtet worden, und wir mussten auf der Flucht vor Vertretern der Heiligen Inquisition bis nach Schottland fliehen. Von dort aus konnte der Däne schließlich mit dem zweiten Server Kontakt zu dir aufnehmen.«

»Er hat den Quarz zerstört? Kein Wunder, dass nichts mehr funktioniert. War dieser Däne für die Ursprungskonstruktion des Servers verantwortlich?«

Lion schien sich ausschließlich für die technischen Details zu interessieren, was Rona gelegen kam, weil sie einiges in der Geschichte verdreht hatte.

»Nein«, sagte sie knapp. »Er war intelligent genug, den aufgefundenen Server zu bedienen und mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen einen Nachbau anzufertigen.«

»Das bedeutet, das Quarzgestein, das ich hier gefunden habe, muss von jemand anderem stammen«, überlegte Lion nachdenklich.

»Das ist die logische Konsequenz«, bestätigte ihm Rona und vermied es tunlichst, Lion einzuweihen, wo das Gestein darüber hinaus zu finden war.

»Das heißt, wir wissen immer noch nicht, wer die Serie von Timeservern in der Area 51 versteckt, geschweige denn konstruiert hat«, stellte Lion nüchtern fest. »Aber wir wissen nun, dass die amerikanische Regierung genaustens darüber im Bilde war, was in der Zukunft geschehen würde. Und dass sie ebenso wenig dagegen unternommen haben wie die Templer.«

»Vielleicht hatten sie das gleiche Problem wie wir oder die Ordensbrüder, weil ein noch unbekannter universeller Mechanismus einen Eingriff in die Geschichte nicht zulässt.«

»Moses konnte auch das Meer teilen«, bemerkte Lion stur, »weil er von Gott die notwendige Unterstützung erhielt. Und wir können es auch schaffen, wenn wir endlich einen göttlichen Hinweis finden.«

Mit seinem Vergleich von Moses und dem Berg Horeb kam Lion besagter metaphysischer Wahrheit gefährlich nahe. Zu nahe für Ronas Geschmack. Sie dachte an die alptraumhafte Vision, die sie in der Höhle unterhalb des Berges gehabt hatte, in der Lion ihr als machthungriger Diktator erschienen war, der über Leichen ging, nachdem er mithilfe von Tanner hinter das eigentliche Geheimnis des Ordens gekommen war.

»Alle meine Berechnungen deuten darauf hin, dass es da etwas gibt, das es uns ermöglicht, nicht nur vergangene Abläufe, sondern auch die Zukunft zu verändern«, versicherte Lion ihr hartnäckig. »Mir fehlt nur noch die eine allumfassende Formel, die alles erklärt und mir die Macht verleiht, selbst in diese Abläufe eingreifen zu können. Nach allem, was ich weiß, bin ich fast sicher, dass die Templer den Schlüssel dazu in der Hand halten«, behauptete er fest. »Und ich will diesen Schlüssel haben, der allem, was existiert, zugrunde liegt«, fügte er unnachgiebig hinzu. »Er ist das Bindeglied zwischen Information und Materie. Früher nannte man es den Heiligen Gral, heute nennt man es Quantenphysik. Ich bin sicher, dass eine dazu passende Formel existiert. Nicht in Gestalt eines Kelchs, sondern in einer mathematisch berechenbaren Frequenz, die vermutlich weitaus stärker ist als die Frequenz in den Quarzen, die unseren Server antreiben. Deshalb musst du zurück zu den Templern und diesen Schlüssel finden.«

»Warum ich?«

»Ich kenne niemanden sonst, dem ich in dieser Angelegenheit vertrauen kann. Die Jungs in unserem Labor halte ich für nicht fähig genug, die historischen Zusammenhänge zu begreifen, und außerdem benötigt man einen besonders gefestigten Charakter für den Fall, dass das, was wir suchen, tatsächlich zutage tritt.«

»Ich hatte ohnehin vor, dich um einen Gefallen zu bitten«, sagte Rona, wobei sie versuchte, möglichst unaufgeregt zu klingen. »Ich möchte meine Freunde, die sich noch im Jahr 1315 in Schottland befinden, an einen sicheren Ort evakuieren. Dabei bin ich auf der Suche nach einem Platz, der uns genügend Schutz bietet, um erneute Missionen planen zu können und an dem die Inquisition keine Rolle mehr spielt. Der dänische Quantenphysiker hat sich als äußerst verlässlich erwiesen. Er könnte mich bei neuen Missionen unterstützen. Gleichzeitig bin ich sicher, dass ich ihm vertrauen kann, falls wir dem von dir erwähnten Geheimnis tatsächlich auf die Spur kommen. Deshalb würde ich gerne deine neuste Errungenschaft nutzen, um herauszufinden, ob die Kontakte des Dänen im einundzwanzigsten Jahrhundert noch bestehen. Soweit ich weiß, ist sogar ein Historiker und Waffenexperte dabei, der uns helfen könnte, das richtige Equipment zu beschaffen, das man für solche Missionen benötigt.« Rona dachte an Anselm, den sie ohnehin kontaktieren wollte. »Er war im Jahr 2005 Berater der Amerikaner.«

»Wenn du mir sagst, wo und in welcher Zeit ich diesen Mann aufspüren soll, könnte ich ihn vielleicht finden. Aber dafür benötige ich seine DNA

»Ich weiß nicht genau, wo er sich aufhält. Aber ich habe seine DNA in meinem Zentralspeicher gesichert, nachdem der Däne mir seine Daten zusammen mit anderen Daten von seinem Server auf mein Armband überspielt hat. Ich könnte sie auf einen deiner Server überspielen.«

Lion nickte, offenbar erfreut darüber, dass sie weiter für ihn arbeiten würde, und überließ ihr den Server, den sie kraft ihrer Gedanken bedienen konnte. Sie übertrug Anselm Steins Daten, die sie in Wahrheit nach einer persönlichen Begegnung mit ihm gespeichert hatte, in die Suchfunktion und aktivierte das von Lion erwähnte Programm. Wobei sie nicht sicher wusste, wo und wann sie Anselm genau suchen sollte. Sicherlich hatten er und Stephano bei ihrem Transfer in der geheimen Höhle auf dem Sinai garantiert eine Zeit und einen Ort gewählt, wo sie mit ihrer Homosexualität keiner Verfolgung ausgesetzt waren. Da sie sich zuletzt im Frühjahr 2005 aufgehalten hatten und nicht irgendwohin transferiert werden konnten, wo sie bereits existiert hatten, mussten sie irgendwann danach in die Zukunft zurückgekehrt sein. Rona scannte, ohne Lion um Erlaubnis zu fragen, verschiedene Zeitzonen von 2005 an aufsteigend.

»Match«, erklärte die Serverstimme, die ihrer eigenen so ähnlich war, als schließlich das Jahr 2015 auf der beleuchteten Scala auftauchte, das dem Server offenbar als geeignet erschien. »Und nun?«, fragte Rona beiläufig an Lion gerichtet, ohne sich ihre plötzliche Erregung über diesen Erfolg anmerken zu lassen.

»Du musst abwarten, bis das Programm dir die dazu passenden Geodaten liefert.«

Es dauerte einen quälenden Moment lang, bis ihr die Computerstimme, die nur in ihrem Kopf zu hören war, »Kirkenes, Norwegen, Oktober 2015« verriet. »Zeitlich letzte relevante Registrierung Oktober 2015.«

»Was bedeutet das?«, fragte Rona an Lion gewandt.

Er beugte sich dicht neben ihr über den Bildschirm. »In jedem Fall heißt es, dass der Mann, den du suchst, sich in dieser Zeit überwiegend an diesem Ort aufgehalten hat«, erklärte ihr Lion. »Aber es bedeutet auch, dass du selbst genau genommen bereits dort bist. Schau hier, siehst du die gelb leuchtende Markierung?«

Rona hob eine Braue und scrollte die Satellitenbilder näher heran. Dabei sah sie, dass Anselm sich in jener Zeit unweit der russischen Grenze niedergelassen hatte. Und wenn sie weiter in die Zukunft ging, erschienen ihre eigenen DNA-Daten auf der Liste.

»Heißt das nicht, dass ich mit mir selbst kollidiere, wenn ich mich dorthin transferiere?«, fragte sie zweifelnd.

»Nicht, wenn es sich um einen Anschlusstransfer handelt. Das neue Programm kann vorab feststellen, ob es sich um eine fortlaufende Weiterführung der Simulation deiner Materie nach dem Transfer handelt oder eine Dopplung, die für einen von euch beiden tödlich ausgehen würde. Das Sicherheitsprogramm, das uns dabei helfen soll, einen Crash mit einem Doppelgänger zu vermeiden, arbeitet schon immer nach diesem Prinzip. Mit dem Unterschied, dass wir es nun sichtbar machen können.«

»Wow!«, entfuhr es Rona, die ansonsten nicht leicht zu beeindrucken war. »Kannst du mir das Programm auf meinen Server spielen, bevor ich in die Vergangenheit zurückkehre?«

»Selbstverständlich«, murmelte Lion, der sich darauf konzentrierte, Ronas Transfer vorzubereiten. »Aber bevor du gehst, werde ich dich noch mit einem zusätzlichen Server ausstatten, damit du nicht irgendwo stecken bleibst, nur weil die Technik versagt.«

»Das ist sehr großzügig von dir«, gab ihm Rona zur Antwort, die ihr Glück kaum fassen konnte. Nun würde es ihr möglich sein, Lyn und Khaled zu finden, um sie am Ende vielleicht sogar in ihre Zeit zurückholen zu können.

Kapitel 1

Dezember 2015 –
Norwegen
 / Kirkenes / Anselms Ranch

Niemals allein

Es war dunkel in dem alten Gemäuer, und nur eine spärlich brennende Fackel beleuchtete das Dienstzimmer des Templer-Komturs von Bar-sur-Aube, als Gero von Breydenbach die eiskalte Stube betrat. Bruder Claudius, der ihn sonst immer aufgehalten hatte, weil er sich erst bei ihm anmelden musste, bevor er das Amtszimmer seines Kommandeurs betreten durfte, war tot, so viel wusste er noch.

Henri d’Our, der von dort aus mehr als dreißig Ordensritter und gut einhundert Bedienstete kommandierte, saß mit dem Rücken zur Tür vor einer Feuerstelle, in der nur noch kalte Asche an die ehemals lodernden Flammen erinnerte. Er stand nicht auf und wandte sich auch nicht um, als Gero wie üblich salutierte. Er saß einfach da und rührte sich nicht.

Gero dämmerte, dass er sich nicht zu ihm umdrehen konnte. Er war genauso tot wie Claudius und die übrigen Brüder, die einst diese stolze Kommandantur der Templer inmitten der Champagne bevölkert hatten. Aber Gero war nicht bereit, Henri d’Our so einfach ins Paradies ziehen zu lassen. Er wollte Antworten. Jetzt und hier. Schließlich war er sein Kommandeur gewesen, der als Mitglied des Hohen Rates der Templer mit dazu beigetragen hatte, dass es überhaupt so weit hatte kommen können.

»Und nun Beau Seigneur, wie soll es nun weitergehen?«, fragte er die stumme Silhouette des einst fast sieben Fuß großen Riesen. Dabei gab er sich keine Mühe, die Schärfe in seiner Stimme zu mildern. »Was habt Ihr Euch dabei gedacht, uns mit einer solchen Mission zu betrauen und uns dann allein damit zurückzulassen? Nichts, einfach gar nichts konnten wir erreichen. Unsere Brüder sind tot, der Orden ist vernichtet, und wenn unser Geheimnis in die falschen Hände gerät, ist die Menschheit verloren. Noch liegt der einzig wahrhafte Gral der Templer verborgen an einem sicheren Ort, aber niemand weiß, ob er nicht doch eines Tages entdeckt werden wird. Noch viel weniger, ob es nicht weitere Orte gibt, die es zu schützen gilt. Wer sind wir, dass wir uns anmaßen, über Zeit und Raum zu bestimmen, Beau Seigneur? Welcher Antichrist hat uns mit einer solchen Bürde bestraft?«

Gero wartete nicht auf eine Antwort, sondern umrundete den Stuhl, auf dem der Komtur saß. Doch als er in das fahle Gesicht seines Gegenübers blickte, überlief ihn ein kalter Schauer des Grauens. Die einst so lebhaften Augen d’Ours waren seltsam leer und glichen zwei schwarzen Höhlen, in denen das Licht längst verloschen war. Erschrocken wich Gero zurück, als sein Vorgesetzter unvermittelt zu sprechen begann.

»Gehe hin und sorge mit deinen verbliebenen Brüdern dafür, dass die Welt nicht aus den Fugen gerät. Du warst es, der für diese Aufgabe auserwählt wurde. Und du wirst es sein, der die Mission zu Ende bringt, mein Sohn. Enttäusche mich nicht.«

Schweißgebadet schreckte Gero aus einem ohnehin leichten Schlaf hoch. Während er noch mit den Geistern der Vergangenheit kämpfte, fuhr seine Hand wie von selbst zu Hannah hinüber, um sich zu vergewissern, dass seine hochschwangere Frau wie üblich neben ihm lag und es ihr und dem Kind, das sie erwartete, gutging. Sie schlief tief und fest, und er lauschte ihrer regelmäßigen Atmung. So kurz vor der Niederkunft war das nicht selbstverständlich, wie er von seiner ersten Frau wusste, die ständig über Schlaflosigkeit geklagt hatte und am Ende zusammen mit dem Kind während der Geburt verstorben war.

Noch so ein Alptraum, der ihn ständig verfolgte. Was wäre, wenn es Hannah genauso erging? Und als ob diese Sorge nicht genug wäre, plagte ihn nun auch noch Henri d’Our, der vor mehr als siebenhundert Jahren durch die Hand seines ärgsten Feindes getötet worden war und eigentlich schon längst zur Rechten des Heiligen Petrus sitzen müsste, um das Paradies zu genießen. Stattdessen fiel ihm offenbar nichts Besseres ein, als durch Geros Träume zu geistern und ihm abermals die Verantwortung für das größte Geheimnis des Ordens aufzuerlegen.

Gero atmete tief durch und schaute im Dunkeln auf die merkwürdige Uhr mit dem rot leuchtenden Zifferblatt, die ihm zu jeder Tages- und Nachtzeit versicherte, dass nichts jemals wieder so sein würde wie früher. Gedankenverloren ließ er den Blick zu dem vor sich hin knisternden Kaminfeuer schweifen. Eines der wenigen Dinge, die ihn hier in diesem eisigen Niemandsland an die Burg seiner Eltern erinnerte. Wie alles andere, was Anselm ihnen an Althergebrachtem zur Verfügung gestellt hatte, war auch das Feuer nur eine Attrappe. Anselm, dem das Anwesen gehörte, wo sie sich so gut es ging vor der Außenwelt versteckt hielten, hatte sich bei der Ausstattung der Wohnräume alle Mühe gegeben, um Gero und seine Kameraden vergessen zu lassen, dass sie im Jahr 2015 lebten – und damit siebenhundert Jahre später als in der ihnen von Gott zugedachten Zeit. Es waren Kleinigkeiten wie diese Uhr oder das elektrische Licht an der Decke, die nicht darüber hinwegtäuschen konnten, dass sie in dieser Welt nichts verloren hatten. Ob es möglich wäre, jemals wieder nach Hause zurückzukehren, war so unsicher wie das Heilige Land nach der Eroberung durch die Mamelucken. Es blieb die Frage, ob der Allmächtige überhaupt auf ihrer Seite stand und ihnen eines Tages zurückgeben würde, was sie so schmerzlich vermissten.

Mit einem leisen Seufzer erhob sich Gero von seiner durchaus bequemen Matratze und kniete sich nackt vor einen kleinen improvisierten Altar, vor dem er seine morgendliche Andacht verrichtete, wie er es als Ordensritter gewohnt war. Es war schon nach sieben, und draußen war es immer noch dunkel. »Das wird zu dieser Jahreszeit auch bis Mittag so bleiben«, hatte Anselm ihnen versichert, als sie nach einem waghalsigen Zeittransfer und einem Flug mit einem stählernen Vogel im Winter der Nordmänner gestrandet waren.

Anselm und Stephano hatten sich damals vor rund achthundert Jahren im Heiligen Land in der geheimen Höhle der Templer für das Jahr 2006 entschieden, nachdem die Wächter des Hohen Rates sie gefragt hatten, wohin sie sich wünschen würden. Nach ihrer überraschenden Ankunft in der gewünschten Zeit waren sie gemeinsam in den unwirtlichsten Teil von Norwegen gezogen, um General Lafours Schergen zu entgehen. Was bedeutete, dass Gero und seine Gefolgsleute hier erst einmal sicher waren. Niemand von ihnen konnte es sich leisten, ausgerechnet der NSA in die Hände zu fallen, wie Anselm den Geheimdienst eines der momentan mächtigsten Herrscher bezeichnete. Wie Paul ihnen berichtet hatte, war auch Jack Tanner mithilfe der geheimen Höhle der Templer in dieser Zeitebene gelandet und hatte offenbar nichts Eiligeres zu tun gehabt, als eines der größten Geheimnisse des Ordens an seinen amerikanischen Auftraggeber zu verraten. Woraufhin General Lafour, den Gero als ihren Erzfeind zu bezeichnen pflegte, eine Expedition auf den Sinai angeordnet hatte, um die geheime Höhle mit den allmächtigen Steinen zu finden. Aber allem Anschein nach war die Suche erfolglos geblieben.

Paul, der früher ebenfalls für die Amerikaner gearbeitet hatte und nun, nach seiner Suspendierung, Anselm laufend mit geheimen Informationen versorgte, war sicher, dass Lafour und Tanner Freudentänze aufführen würden, wenn sie von Gero und seinen Kameraden erfuhren, die nun ebenfalls in deren Zeit aufgetaucht waren. Allein schon, weil sie sich bei ihrer Suche nach der mystisch anmutenden Höhle auf dem Sinai ungeahnte Vorteile von deren Wissen versprachen. Aber auch, weil Tom und Rona einen funktionierenden Timeserver besaßen, der Tanner und die Templer locker ins Jahr 1153 hätte zurück transferieren können, um dort dem Geheimnis der besagten Höhle im Auftrag der amerikanischen Regierung besser auf den Grund gehen zu können.

Gero hätte am liebsten sämtliche Räder zurückgedreht. Er hasste alles, was mit diesem verteufelten CAPUT 58 in Zusammenhang stand. Das Ding hatte sein Leben zerstört, wenn man von Hannah und dem Kind einmal absah. Aber was sollte er verdammt noch mal in dieser Welt anfangen? Nichts von dem, was er beherrschte, war hier von Bedeutung. Obwohl Anselm ihnen bereits bei ihrer Ankunft versichert hatte, dass er genug Mittel besaß, um sie bis zu ihrem Lebensende mit allem zu versorgen, was ihr Herz begehrte.

Aber das war es nicht, wofür Gero angetreten war. Und es war auch nichts, womit er seiner Frau und seiner zukünftigen Tochter imponieren konnte. Wie sollte er sich je vor seiner Familie Respekt verschaffen, wenn er zeit seines Lebens auf die Almosen eines anderen Mannes angewiesen war? Ganz abgesehen davon, dass sie wahrscheinlich niemals mehr dieses Haus verlassen konnten, weil ein geheimnisvolles, weltumspannendes Netz dafür sorgte, dass sie jederzeit und überall überwacht und erkannt werden konnten, selbst wenn sie scheinbar unbeobachtet waren. Anselm wurde nicht müde, Gero und seine Leute zu ermahnen, niemals ohne Abmeldung das Haus zu verlassen. Zumal er noch auf gefälschte Urkunden aus Russland wartete, die ihnen eine neue Identität versprachen.

Im spärlichen Licht des Feuers fixierte Gero mit stummer Verzweiflung die Heilige Mutter Gottes, die Anselm vor Kurzem im Zehnerpack an jenem seltsamen Ort bestellt hatte, den er Internet nannte. Danach hatte er sie an alle im Haus lebenden Templer verteilt, weil sie der Madonna von Bar-sur-Aube so ähnlich sah. Das Besondere an ihr war, dass sie – im Gegensatz zu den üblichen Madonnen – kein Kind auf dem Arm trug, sondern mit ausgestreckten Armen auf einer Mondsichel balancierte. Eine typische Madonna, wie sie bei den Zisterziensern und auch bei den Templern verehrt worden war. Ihr wahres Geheimnis lag darin, dass sie nicht die Mutter von Jesus darstellte, sondern seine erste und einzige Apostelin, Maria Magdalena. Jene Frau, die Christus als Erste nach der Auferstehung gesehen hatte und die um die Geheimnisse des Glaubens besser Bescheid wusste als jeder Mann. Wahrscheinlich hätte sie mit dem Wissen um die geheime Höhle auf dem Sinai und dem dort vorkommenden Gestein mit der phänomenalen Wirkung weitaus besser umgehen können als all die tapferen Männer, denen dieser Ort nur Tod und Verderben gebracht hatte.

»Heilige Maria, ich bitte dich«, murmelte Gero kaum hörbar, »zeig mir den richtigen Weg, damit ich mich meinem Auftrag würdig erweise und ihn erfolgreich zu Ende bringen kann. Hilf mir, die Zeit zurückzudrehen und die Welt in eine gerechtere zu verwandeln. Nicht nur für mich und den Orden, auch für meine Frau, die ich über alles liebe, aber besonders für unser gemeinsames Kind, das noch nicht einmal das Licht der Welt erblickt hat. Amen.« Gero bekreuzigte sich hastig und erhob sich langsam wie ein alter Mann, obwohl er noch keine dreißig war. Bevor er sich ankleidete, kehrte er noch einmal zu Hannah zurück und kroch zu ihr unter die Decke. Vorsichtig suchte er ihre Nähe und schmiegte sich an sie. Sie war sein Halt, sein Anker. Für sie wollte er leben, und für sie würde er sterben, wenn es denn nötig war. Sie schnurrte wie ein Kätzchen und kuschelte sich in seine Arme.

»Ich liebe dich«, murmelte sie kaum hörbar und legte eine Hand an seine bärtige Wange.

Gero schluckte hart, bevor sie ihm einen langen, intensiven Kuss abverlangte. Nicht zu wissen, welche Zukunft er ihr und dem Kind bieten konnte, war das Schwerste überhaupt. Aber darum allein ging es nicht. Da waren auch noch seine Ehre als Edelfreier und das Erbe seiner Tante, das er nun niemals würde antreten können. Sie und seine Eltern sorgten sich bestimmt um ihn. Was wohl aus ihnen geworden war, nachdem er sie schutzlos in einer siebenhundert Jahre entfernten Vergangenheit zurückgelassen hatte? Unerträglich. Geschweige denn, nicht zu wissen, welches Schicksal seinen Bruder ereilt hatte, von dem er annehmen musste, dass er durch die Hand seines ärgsten Feindes gestorben war. Gero stieß einen harten Seufzer aus.

»Was ist?«, flüsterte Hannah in die Dunkelheit hinein und drängte sich hingebungsvoll an seinen harten, muskulösen Körper. Sie war überglücklich, Gero unversehrt bei sich zu haben. Offenbar hatte er sich von den zurückliegenden Strapazen erholt. Keine Spur mehr davon, dass er auf Oak Island mit seinen Kameraden verschüttet worden und um Haaresbreite gestorben war. Seither empfand sie ihr Zusammensein als ein noch größeres Geschenk, obwohl auch zuvor schon unzählige Dinge passiert waren, die ihr die Einzigartigkeit ihrer Liebe und das große Glück, das sie mit ihm gefunden hatte, vor Augen geführt hatte.

»Nichts«, flüsterte er mit seiner tiefen, sanften Stimme, die sie so sehr beruhigte und im gleichen Atemzug so intensiv auf sie wirkte, dass ihr Körper erschauerte. »Es ist nichts. Schlaf noch ein wenig.«

»Belüg mich nicht«, murmelte sie, und Gero ärgerte sich beinahe darüber, welche Hartnäckigkeit sie an den Tag legen konnte, wenn sie spürte, dass er etwas vor ihr verbergen wollte. Hannah war keine willfährige Ehefrau wie seine Mutter, die seinem Vater auf ewig Gehorsam geschworen hatte. Er hatte es vom ersten Augenblick an in ihren rebellischen grünen Augen gelesen. Und es hatte ihm gefallen, wenn er ehrlich zu sich selbst war. Wie alles an ihr. Sie sah seiner ersten, verstorbenen Frau sehr ähnlich, aber ihr gelassener, überlegter Charakter, gepaart mit wilder Entschlossenheit und einer bestechenden Intelligenz, vermittelte ihm nicht das Gefühl, Lissy gegenüberzustehen, wenn er sie umarmte. Sie hatte zwar die gleichen kastanienroten Locken, aber Lissys Augen waren dunkler gewesen. Eigentlich war es unfair, die beiden miteinander zu vergleichen, nur weil sie sich optisch ähnlich waren. Schließlich war Hannah zehn Jahre älter, als Lissy gewesen war, und stammte aus einer völlig anderen Zeit.

»Ich musste an meine Eltern und meinen Bruder denken«, gestand er ihr in die Dunkelheit hinein. »Ich mache mir Sorgen um sie. Anselm hat versucht, über sämtliche noch vorhandenen Quellen herauszufinden, was ihnen nach unserem Aufbruch widerfahren sein könnte.« Er schwieg abrupt und schluckte hörbar, was Hannah auf der Stelle alarmierte. Er brach nicht leicht in Tränen aus, nur wenn ihm etwas sehr naheging.

»Warum hast du mir nichts davon erzählt?«, wollte sie nun beinahe vorwurfsvoll wissen und ergriff seine Hand, um ihm zu versichern, dass er sich jederzeit auf sie verlassen konnte.

»Ich dachte, es sei nicht so wichtig«, redete er sich heraus und legte seine Hand auf ihren hochschwangeren Bauch. »Außerdem wollte ich dich nicht unnötig aufregen.«

»Hör zu«, meinte sie und legte ihre Rechte auf seine bärtige Wange, »denkst du etwa, ich würde nicht darüber nachdenken, und das alles wäre mir vollkommen egal? Immerhin handelt es sich um meine Schwiegereltern. Ich vermisse sie genauso wie du.«

Er räusperte sich verlegen und streichelte weiter ihren Bauch. »Es bewegt sich«, sagte er und lächelte sanft, um das Thema zu wechseln.

»Das tut sie die ganze Zeit«, antwortete Hannah, wobei sie versuchte, nicht allzu ungeduldig zu klingen. Anscheinend hatte die Kleine noch immer reichlich Platz, denn sie strampelte mal wieder wie verrückt, als ob sie ahnen würde, dass ihre Eltern in Schwierigkeiten steckten. »Möchtest du mir nicht verraten, was bei Anselms erneuten Nachforschungen herausgekommen ist?«, hakte sie vorsichtig nach und küsste ihn sanft auf die breite Narbe, die seine rechte Schulter zeichnete. Eine ewige Erinnerung an den Schwertstreich eines Mamelucken, der ihn im Jahr 1302 bei einem nächtlichen Zweikampf auf der Insel Antarados beinahe das Leben gekostet hätte.

»Er …« Gero stockte und räusperte sich erneut. »Die Breidenburg wurde offenbar von den Truppen des Erzbischofs von Trier zerstört, nachdem die Bewohner enteignet und vertrieben worden waren.«