cover

Anmerkungen

1 Tuba Sarica: »Heute Show – Erklär’ mir einer die Türken«. In: YouTube, 04.02.2018. URL: https://www.youtube.com/watch?v=-coubzQrcww (aufgerufen am 04.02.2018).

2 FOCUS Online: »So haben die Türken in Deutschland abgestimmt. Knappes Ergebnis in Berlin, klares ›Ja‹ in Essen«. In: https://www.focus.de/politik/videos/knappes-ergebnis-in-berlin-klares-ja-in-essen-so-haben-die-tuerken-in-deutschland-abgestimmt_id_6972076.html (aufgerufen am 04.02.2018).

3 Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Zweiter Band. In: Arthur Schopenhauer. Sämtliche Werke. Nach der ersten, von Julius Frauenstädt besorgten Gesamtausgabe neu bearbeitet und herausgegeben von Arthur Hübscher. Anastatischer Neudruck der zweiten Auflage. Wiesbaden: F.U. Brockhaus 1966, S.84.

4 Heinrich Böll: Billiard um halb zehn. In: Bernd Balzer (Hg.): Heinrich Böll Werke. Romane und Erzählungen 3. 1954-1959. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1978, S. 420.

5 Benedikt Hampel: Geist des Konzils oder Geist von 1968? Katholische Studentengemeinden im geteilten Deutschland der 1960er Jahre. Münster: LIT Verlag 2017, S.243.

6 Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Ehrhard Bahr (Hg.): Was ist Aufklärung? Kant, Erhard, Hamann, Herder, Lessing, Mendelssohn, Riem, Schiller, Wieland. Thesen und Definitionen. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1986, S.9.

7 Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984, S.576-579.

8 genius.com: Bushido – »Pussy«. URL: https://genius.com/Bushido-pussy-lyrics (aufgerufen am 04.02.2018).

9 Ebd.: Bushido – »Kommt Zeit kommt Rat«. URL: https://genius.com/Bushido-kommt-zeit-kommt-rat-lyrics (aufgerufen am 04.02.2018).

10 Ebd.: Shindy feat. Bushido – »Stress ohne Grund«. URL: https://genius.com/Shindy-stress-ohne-grund-lyrics (aufgerufen am 04.02.2018).

11 Ebd.: Bushido – »Fallout«. URL: https://genius.com/Bushido-fallout-lyrics (aufgerufen am 04.02.2018).

12 Tuba Sarica: »Wie Polizisten und Erdogan-Fans auf Protestierende einschlugen«. In: YouTube, 22.02.2018. URL: https://www.youtube.com/watch?v=1j1I1I7S21s (aufgerufen am 22.02.2018).

13 Tuba Sarica: »Erdogans Polizei macht nicht einmal vor Krankenhäusern halt«. In: YouTube, 22.02.2018. URL: https://www.youtube.com/watch?v=jDs_WF5dXi0 (aufgerufen am 22.02.2018).

14 Tuba Sarica: »AKP-Minister stellt Strafanzeige gegen Ärzte, weil sie Verletzten halfen«. In: YouTube, 22.02.2018. URL: https://www.youtube.com/watch?v=sXusIhCq9tY&t=1s (aufgerufen am 22.02.2018).

15 Robert Stauffer: »Über Religion und Kirche«. Interview 1982. In: Jochen Schubert [u.a.] (Hg.): Heinrich Böll Werke. Kölner Ausgabe. Interviews 3. 1980-1985. Bd. 26. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010, S.151.

16 PETA: »Can the Greatness of a Nation…«. In: https://www.peta.org/ features/gandhi (aufgerufen am 04.02.2018).

17 Tuba Sarica: »Weiße Türken – schwarze Türken – wie Erdogan mit dem Minderwertigkeitskomplex der Türken spielt«. In: YouTube 21.01.2018. URL: https://www.youtube.com/watch?v=ci0YB8wpFU0 (aufgerufen am 22.01.2018),

18 Universität Bayreuth: »Physikalisches Kolloquium 22. Juli 2011 – Vortrag von Prof. Dr. Harald Lesch«. In: YouTube, 30.08.2011. URL: https://www.youtube.com/watch?v=u29--YNGMyg&t=4772s (aufgerufen am 04.02.2018).

19 Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2016. In: Statistisches Bundesamt, Fachserie 1, Reihe 2.2, 2016, S.63.

20 Christian Werner: »Family Guy – Stewie nervt Lois (german deutsch)«. In: YouTube, 01.05.2010. URL: https://www.youtube.com/watch?v=zEULs81X0fA (aufgerufen am 04.02.2018).

21 Hans Werner Wüst (Hg.): Zitate & Sprichwörter. e-Book Ausgabe. München: Bassermann Verlag 2010, S.1319.

22 Bülent Erdoğan: »Es gibt keine Frauenbeschneidung ohne Männerbeschneidung«. In: Rheinisches Ärzteblatt 8/2015, S. 23-25.

23 Ähnlich formulierte es Heinrich Böll in dem bereits zitierten Interview, vgl. Anm. 15, S.154.

24 Quelle siehe Anm. 15, S.147.

25 Susanne Fritz im Gespräch mit Christiane Florin: »Der katholische Rebell. 100 Jahre Heinrich Böll«. In: http://www.deutschlandfunk.de/100-jahre-heinrich-boell-der-katholische-rebell.886.de.html?dram:article_id=406129 (aufgerufen am 02.02.2018).

26 Désirée Linde: »Welthungerindex. Warum niemand hungern müsste«. In: www.handelsblatt.com/politik/international/welthungerindex-warum-niemand-hungern-muesste/8928552.html (aufgerufen am 17.01.2018), PETA Deutschland e.V.: »Vegane Lebensweise bekämpft den Welthunger.« In: https://www.peta.de/welthunger#.Wl9tQSOX9b4 (17.01.2018).

27 Das Originalzitat laut www.zitateblog.blogspot.de in französischer Sprache: »Il a su comprende avec beaucoup de clairvoyance que le monde court un plus grand danger de la part de ceux qui tolèrent le mal ou l’encouragent que de la part de ceux-là même qui le commettent.« In: José Maria Corredor: Conversations avec Pablo Casals. Souvenirs et opinions d’un musicien Pablo Casals. A. Michel 1955, S.15. URL: http://juttas-zitateblog.blogspot.de/2011/04/die-welt-wird-nicht-bedroht-von-den.html (22.01.2018). In der deutschen Übersetzung lautet das Zitat: »Er hat klar erkannt, daß die Welt mehr bedroht ist durch die, welche das Übel dulden oder ihm Vorschub leisten, als durch die Übeltäter selbst.« José Maria Corredor: Gespräche mit Casals. Bern: Alfred Scherz Verlag 1954, S.13.

28 Yesil Sermaye: »Tayyip Yimpas«. In: YouTube, 28.12.2006. URL: https://www.youtube.com/watch?v=g8wX7WZw0AE (aufgerufen am 04.02. 2018).

29 Tuba Sarica: »Wie Erdogan geistig Behinderte und alterssenile Senioren an die Wahlurnen karrte«. In: YouTube, 21.01.2018. URL: https://www.youtube.com/watch?v=tYZfiCbxoD0 (aufgerufen am 22.02.2018).

30 Tuba Sarica: »Erdogan nennt Volkssouveränität eine riesige Lüge«. In: YouTube, 16.02.2018. URL: https://www.youtube.com/watch?v=1GnHJUZywug (aufgerufen am 16.02.2018).

31 Gerhard Schweizer: Türkei verstehen. Von Atatürk bis Erdoğan. Zweite Auflage. Stuttgart: Klett-Cotta 2016, S.479.

32 Ebd.

33 Tuba Sarica: »Demokratie ist kein Ziel, sondern ein Mittel.«. In: YouTube, 08.02.2018. URL: https://www.youtube.com/edit?video_id=cRnomcJrWE4&video_referrer=watch (aufgerufen am 08.02.2018).

34 Vgl. Spiegel Online, http://www.spiegel.de/video/tuerkei-youtube-video-bringt-erdogan-in-bedraengnis-video-1330258.html, (aufgerufen am 7.3.2018).

35 Tuba Sarica: »Erdogans alternative Fakten«. In: YouTube, 22.02.2018. URL: https://www.youtube.com/watch?v=7MiSj4-rR3I (aufgerufen am 22.02.2018).

36 Milliyet.com.tr: »‘İçki içilmedi‘ diyen müezzin ifade verdi«. In: http://www.milliyet.com.tr/-icki-icilmedi-diyen-muezzin/gundem/detay/1728162/default.html (aufgerufen am 22.02.2018). soL: »O müezzin konuştu: Din adamıyım yalan söyleyemem«. In: http://haber.sol.org.tr/devlet-ve-siyaset/o-muezzin-konustu-din-adamiyim-yalan-soyleyemem-haberi-75336 (aufgerufen am 23.02.2018). Vatan: »O müezzin ifade ver di! ›din adamıyım, yalan söyleyemem!«. In: http://www.gazetevatan.com/o-muezzin-ifade-verdi--548930-gundem/ (aufgerufen am 23.02.2018). Ahmet Cemal: Önce Şairleri Yaktılar. eBook-Ausgabe. Istanbul: Can Sanat Yayınları 2014, S.58.

37 Vgl. Anm. 2.

38 Tuba Sarica: »Erdogans Wahlbetrug auf Video«. In: YouTube, 21.02.2018. URL: https://www.youtube.com/watch?v=zFNEoXgI9_k (aufgerufen am 21.02.2018).

39 WELT Online: »So hat die Türkei gewählt – Das sind die Hochburgen«. In: https://www.welt.de/politik/ausland/article163756394/So-hat-die-Tuerkei-gewaehlt-Das-sind-die-Hochburgen.html (aufgerufen am 04.02.2018), tagesschau.de: »Ein knappes Ja für Erdoğan. Referendum in der Türkei«. In: https://www.tagesschau.de/ausland/tuerkei-referendum-159.html (aufgerufen am 04.02.2018).

40 Vgl. Anm. 37.

41 Zeit Online: »Von Kooperation kann keine Rede sein«. In: http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/tuerkei-referendum-osze-wahl-kooperation (aufgerufen am 04.02.2018).

42 Tuba Sarica: »Prominente, die sich von Erdogan einladen ließen«. In: YouTube, 04.02.2018. URL: https://www.youtube.com/watch?v= qsCXlAEn7Co (aufgerufen am 04.02.2018).

43 Tuba Sarica: »Gegen die Natur«. In: YouTube, 05.02.2018. URL: https://www.youtube.com/watch?v=jp5a-VdEaac (aufgerufen am 05.02.2018).

44 Tuba Sarica:»Erdogan behauptet, die Türken im Ausland würden Qualen erleiden«. In: YouTube, 21.01.2018. URL: https://www.youtube.com/watch?v=vCoEvaLuhUU (aufgerufen am 21.01.2018).

Was läuft schief bei der Integration vieler Deutschtürken?

Für Tuba Sarica gibt es auf diese Frage ganz klare Antworten, die sie anhand ihrer eigenen Beobachtungen und Erfahrungen präsentiert. Als Insider identifiziert sie eine deutschtürkische Parallelgesellschaft, die die Verantwortung für gesellschaftliche Probleme von sich weist und sich bereitwillig für den anti-deutschen Populismus à la Erdoğan begeistern lässt. Sie nimmt aber auch die Deutschen in die Pflicht, die durch falsch verstandene Toleranz und eine zu vorsichtig geführte Debatte, oft an den wahren Problemen vorbei, diesem Phänomen nicht viel entgegenzusetzen hat.

Tuba Sarica erzählt von ihrem Kampf um das Recht, ihren eigenen Weg zu gehen; sie spricht über Schweigespiralen und den unterschwelligen Druck, der vor allem auf Mädchen ausgeübt wird. Sie will aufrütteln und dazu ermuntern, in der Gesellschaft zu leben, was sie in ihrer eigenen Familie geübt hat: Dinge beim Namen zu nennen und Konflikte auszutragen, um sie tatsächlich zu lösen.

TUBA SARICA

IHR SCHEINHEILIGEN!

Doppelmoral und falsche Toleranz – die Parallelwelt der Deutschtürken und die Deutschen

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe 06/2018

Copyright © 2018 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich,

unter Verwendung eines Fotos von: Ben Piepraes Photography

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-21647-4
V001

www.heyne.de

INHALT

Vorwort

Die Parallelgesellschaft

Verortung

Kultur ohne Worte

Die Schutzblase

Das Sozialleben

Vorbilder

Medienkonsum

Familienbegriff

Fortschritt

Fremdenfeindlichkeit

Erziehung

Individualität

Liebe

Religion

Nachwort

Die Türkei

Deutschland

Anmerkungen

VORWORT

Dieses Buch ist mir eine Herzensangelegenheit. Deutschland liegt mir am Herzen. Ich liebe mein Land. Dabei ist Patriotismus in Deutschland nicht besonders cool. Für meine Generation sind die Errungenschaften des vereinten Europa nämlich selbstverständlich. Das ist auch gut so. Aber als Enkelin eines türkischen Gastarbeiters musste ich mir schon als Kind Gedanken darüber machen, wie ich zu Deutschland stehe. Und ich habe mich entschieden. Dafür.

Seit Jahrzehnten schlagen wir uns immer wieder mit dem Thema Integration herum. Doch wir drehen uns im Kreis. Denn diejenigen, die sich integrieren sollten, weigern sich, Selbstkritik zu üben. Dieses Buch soll dazu anregen, die deutschtürkischen Muslime in die Verantwortung zu nehmen. Gleichzeitig soll es für sie selbst ein Anstoß sein, Verantwortung zu übernehmen und damit das nachzuholen, was sie bisher versäumt haben.

Zu lange richtete die Politik ihre Integrationskritik, wenn überhaupt, gegen die deutsche Mehrheitsgesellschaft und deren Fremdenfeindlichkeit. Aus vielleicht allzu großer Vorsicht machten deutsche Politiker und Medien den Fehler, mit den Nachfahren der Gastarbeiter zu unkritisch umzugehen. Das hat dazu geführt, dass man allein aus der AfD Stimmen hört, die sich kritisch gegen die in Deutschland lebenden Muslime äußern.

Viele Deutschtürken haben es sich in der Opferrolle bequem gemacht. Sie ist einfach viel zu praktisch, um sie aufzugeben. Die Deutschen wiederum eignen sich aufgrund ihrer Nazivergangenheit besonders gut dafür, für das eigene Versäumnis verantwortlich gemacht zu werden. Sobald sich etwas nach Kritik anhört, einfach mit dem Rassismusvorwurf drohen, und schon lässt der Deutsche dich in Frieden – herrlich!

Die Verantwortung für die Integration sollte nicht auf die Deutschen abgewälzt werden. Es ist wie beim Feminismus: Wenn es Mängel in der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau gibt, wie etwa Gehaltsunterschiede, dann sollte man dies zur Kenntnis nehmen und sich fragen, was man als Frau aktiv dagegen unternehmen kann. Aber man sollte nicht einfach so tun, als wären allein die Männer daran schuld. Dass wir eine Kanzlerin haben, ist immerhin der Beweis dafür, dass Frauen in Deutschland durchaus Chancen haben, solange sie nach ihnen greifen. Leider tun das zu wenige. Genauso sind auch viele Migranten zu bequem, die Chancen, die sich ihnen bieten, zu nutzen und damit Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen, statt den Deutschen die Schuld für ihre schlechte Integrationssituation in die Schuhe zu schieben.

Ich möchte mit diesem Buch versuchen, hinsichtlich der Haltung gegenüber der muslimischen Welt die Mitte wiederzufinden, die wir zwischen grenzenloser Toleranz und totaler Ablehnungshaltung offenbar verloren haben.

Schon als Kind konnte ich die Ungerechtigkeit kaum aushalten, dass der böse Deutsche für die problematische Integrationssituation der Deutschtürken verantwortlich gemacht wurde. Denn während in der Öffentlichkeit unermüdlich Toleranz gegenüber den türkischen Mitbürgern propagiert wurde, sah ich an dem großen deutschtürkischen Umfeld, in dem ich durch meine Eltern aufwuchs, dass sehr viele Deutschtürken gar kein Interesse daran hatten, sich zu integrieren. Stattdessen machten sie es sich in der Opferrolle bequem.

Ich formulierte gedanklich meine These: »Die wollen sich gar nicht integrieren!«, und träumte davon, sie in die Öffentlichkeit zu tragen. Ich befürchtete: Wenn sich die Deutschtürken nicht endlich selbst erklären, werden die Leute bald denken, ihr Verhalten sei genetisch bedingt. Und dann war es so weit: Thilo Sarrazin besetzte die Lücke, die durch das Fehlen eines kritischen Umgangs mit den Muslimen in Deutschland entstanden war. Er verknüpfte die durchaus richtige Beobachtung: »Die wollen sich gar nicht integrieren«, mit genau der oben genannten haarsträubenden Erklärung, die das Verhalten der Türken als das genetisch bedingte Verhalten einer »Rasse« deutete. Ich kam zu spät. Obwohl seine Erklärung falsch war, hat sich nach Sarrazins Buch in der Integrationsdebatte nichts getan. Ich möchte daher in diesem Buch der durchaus richtigen Erkenntnis: »Die wollen sich gar nicht integrieren«, eine richtige Erklärung hinterherschalten, weil ich glaube, dass erst diese auch zu Lösungen führen kann.

Je älter ich wurde, desto reflektierter wurde ich und konnte erkennen, dass vor allem die in Deutschland lebenden Türken eine Gesellschaftsordnung pflegen, die anders funktioniert als die Gesellschaftsordnung meines deutschen Umfeldes. Sie bewegen sich in einer kleinen Gesellschaft innerhalb der Mehrheitsgesellschaft, in der alle anderen leben. Später würde es ein wunderbares Wort dafür geben: die Parallelgesellschaft.

Viele der im Buch aufgeführten Eigenschaften der Parallelgesellschaft werden Ihnen bekannt vorkommen. So gleicht etwa die muslimische Sexualmoral der prüden Gesellschaft im Deutschland der frühen Sechzigerjahre, und man braucht auch nicht allzu lange in der deutschen Geschichte zurückzugehen, um zu sehen, dass religiöser Fundamentalismus ebenfalls in christlich geprägten Familien eine Rolle gespielt hat. Dass es dieselben Probleme, die heute in muslimisch geprägten Kulturkreisen existieren, auch in westlichen Ländern gab, ist aber sicher kein Freibrief, wie es die Mitglieder der Parallelgesellschaft gerne hätten. Im Gegenteil: Die Deutschtürken müssen die Rückschrittlichkeit ihres eigenen Kulturkreises benennen und eine Chance darin sehen, sich Deutschland und Europa zum Vorbild machen zu können. Dazu müssen sie aufhören, sie als ihren Feind zu betrachten.

Je mehr es mir gelang, mich aus der Parallelgesellschaft heraus- und in die Position eines Betrachters hineinzudenken (zumal ich mich sowieso zu einem deutschen jungen Menschen entwickelte und auch so erzogen wurde), desto klarer stellte sich mir die Kernursache für die schlechte Integrationssituation dar, die die Parallelgesellschaft noch heute zu verschleiern versucht: ihre eigene Fremdenfeindlichkeit, vor allem ihre Feindlichkeit gegenüber den Deutschen. Erdoğan hat diese Fremdenfeindlichkeit aufgegriffen, sie auf die politische Ebene getragen und somit salonfähig gemacht. Selbst vor klaren rassistischen Tönen macht er nicht halt, etwa wenn er, wie im Juni 2016, nach der Abstimmung über die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern im Bundestag, bezweifelt, dass der Deutschtürke Cem Özdemir türkischer Abstammung ist, und einen Bluttest von ihm fordert.

Dadurch, dass der Rassismus der Deutschtürken und ihre Feindlichkeit gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft verschleiert und verdrängt werden, ergibt sich eine Schieflage in der Diskussion. Diese Schieflage wieder geradezubiegen wurde für mich zu einer Art Lebensaufgabe. Ich wollte von Grund auf aufräumen. Anfangen wollte ich bei mir selbst. Ich fing damit an, mich in Selbstkritik zu trainieren, dem ersten Schritt zur Besserung. Meine Zukunft sollte auf ein sicheres Fundament gebaut sein. Denn an irgendeinem Punkt hatte ich begriffen, dass es nirgendwo hinführt, andere für selbst verursachte Probleme verantwortlich zu machen. Das sollte nicht mein Lebenskonzept sein. Deswegen möchte ich Sie mitnehmen auf eine Reise durch meine ganz persönliche Entwicklung.

»Erklär mir einer die Türken«, hieß es 2014 in der Heute Show1, denn als Europäer begreift man verständlicherweise nicht, wie man heutzutage freiwillig einen offensichtlichen Antidemokraten wie Erdoğan unterstützen kann. Die Talkshowmoderatoren der Nation versuchen seit Jahren, Antworten zu finden, und fragen ihre deutschtürkischen Gäste: Warum ist das so? Doch sie fragen die Falschen. Die Experten, die zu Talkrunden und Podiumsdiskussionen eingeladen werden, stecken zum Großteil selber in den Strukturen der Parallelgesellschaft fest. Sie machen alles nur noch schlimmer. Ein modernes Äußeres und beruflicher Status sind nämlich noch lange kein Zeichen für Vorbildlichkeit in Sachen Integration. Im Gegenteil – sie sind Kern des Problems: Vielen Deutschtürken gelingt es gerade durch ihre äußerliche Angepasstheit, die Mehrheitsgesellschaft darüber hinwegzutäuschen, dass hinter den verschlossenen Türen ihrer Wohnungen nach wie vor die Regeln der Parallelgesellschaft gelten. Ich möchte hier so ehrlich sein, wie die angeblichen deutschtürkischen Integrationsexperten unehrlich sind. Toleranz ist nur dann möglich, wenn Fragen gestellt werden dürfen. Dieses Buch soll als fundierte Grundlage für einen ehrlichen Dialog dienen.

Ja, es ist immer schwierig, über eine »Mehrheit« zu sprechen und sie zu pauschalisieren. Aber spätestens seit dem Referendum über die Verfassungsänderung in der Türkei, bei dem 63,1 Prozent der deutschtürkischen Wählerstimmen an Erdoğan gegangen sind2, kann man von einer gewissen Mehrheit sprechen, mit der irgendetwas nicht stimmt.

Ich werde in meinem Buch um der politischen Korrektheit willen keine Begriffsgymnastik betreiben. Das tun wir viel zu oft, wodurch wir uns in Unwichtigkeiten verlieren. Die Debatte muss vorangehen.

Aus Angst vor der Nazikeule scheinen wir als deutsche Mehrheitsgesellschaft alle möglichen Wege zu finden, bloß keine wunden Punkte anzusprechen. Doch genau das müssen wir tun, um das Vertrauensverhältnis zwischen Deutschen und Türken, wenn es je eines gab, wiederherzustellen und gute deutsch-türkische Beziehungen aufzubauen. Nur so kann sich Spannung allmählich entladen. Allein durch diese Art von Ehrlichkeit können wir dem Populismus à la AfD den Nährboden entziehen. Ich bin der Meinung, dass der Unmut gegenüber dem Islam ernst genommen werden und in einem ehrlichen Dialog angesprochen werden muss. Ehrlich statt populistisch. Solange dies nicht getan wird, werden Unmut und Hass immer größer, und wir dürfen uns dann nicht darüber wundern, dass Mitbürger in das Netz populistischer Politiker gehen.

Dieses Buch bietet keine einfachen Lösungen an. Es soll weder rechts sein noch links. Es soll die Mitte sein. Denn die Mitte muss wieder stark werden. Auch soll dieses Buch der verbreiteten Ratlosigkeit, wie man sich zu dem Problem verhalten soll, ein Verstehen entgegensetzen. Verstehen, nicht um zu entschuldigen. Im Gegenteil: Verstehen, um Verantwortung einzufordern. Ich behaupte, dass Sie nach der Lektüre verstehen werden, wie die Deutschtürken »ticken«. Sie werden die Muster erkennen, nach denen der Deutschtürke handelt, der sich in der Parallelgesellschaft eingerichtet hat. Und wenn Sie diese Muster erkannt haben, können Sie gezielte Forderungen stellen.

So, wie alles im Leben einen Zusammenhang hat, gibt es auch Zusammenhänge zwischen allen Themen rund um die Türken, die Integration und den gelebten Islam. Sie werden nach dem Lesen dieses Buches einsehen, dass es kein Zufall ist, wenn Muslime in Deutschland so wenig gegen den Terrorismus des IS protestieren. Denn ein Grund dafür ist, dass die Parallelgesellschaft sich über das »Wir – ihr« definiert, über die Abgrenzung gegenüber den Deutschen. Den Protest gegen den Terror verweigern die Deutschtürken durchaus bewusst. Da zu viele Muslime Politik und Religion im Kopf immer noch nicht trennen können, schlagen sie sich gedanklich lieber auf die vermeintlich »eigene«, die muslimische Seite.

Selbstverständlich bedeutet meine Kritik an der Weigerung der in Deutschland lebenden Türken, sich zu integrieren, nicht automatisch, dass ich Ausländerfeindlichkeit befürworte. Jeder, der neu in unser wunderschönes Land kommt und dessen Absicht es nicht ist, den Menschen dieses Landes gegenüber intolerant zu sein, verdient unsere Toleranz, so, wie jeder Mensch auf der Welt Toleranz verdient. Dieses Recht, von anderen toleriert zu werden, verwirken wir erst dann, wenn wir andere nicht tolerieren.

Gibt es etwas Traurigeres, als dass jemand allein aufgrund seiner äußerlich sichtbaren Herkunft beleidigt wird? Jemand, der bereit ist, sein Herz, seinen Geist und seine Türen zu öffnen? So, wie die Kinder und vielleicht selbst die erwachsenen Flüchtlinge, die 2016 in ihrer Unterkunft in Deutschland ankamen und aus Angst vor den aggressiven Beschimpfungen den Bus nicht verlassen konnten.

Die Bilder aus Clausnitz waren dunkel und gruselig. Es tat mir in der Seele weh. Umso größer ist mein Unmut jenen muslimischen Migranten gegenüber, die schon lange in Deutschland leben und dafür gesorgt haben, dass Menschen aus muslimischen Ländern so verhasst sind. Sie sind nicht weniger für diese Beschimpfungen verantwortlich als der ekelhafte Mob selbst, der sich nicht die Mühe macht zu differenzieren.

Sobald ich über die Fremdenfeindlichkeit im deutschtürkischen Kulturkreis spreche, stoße ich auf panische Reaktionen, die in mir kurz das Gefühl auslösen, mich dafür entschuldigen zu müssen. Aber ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich mich gegen solche Verhaltensweisen einsetze. Die Deutschtürken werfen mir vor, dass ich nicht in erster Linie die von den Deutschen praktizierte Fremdenfeindlichkeit thematisiere. Darüber reden sie nämlich gerne. Schließlich sei die Fremdenfeindlichkeit der Deutschen seit jeher ein Thema, das wisse doch jeder. Eben drum, sage ich. Solange das so ist, brauche ich nicht auch noch darüber zu schreiben.

Es ist wunderbar, dass in Deutschland so häufig gegen Rechtsextremismus geschrieben, gesprochen und demonstriert wird. Das muss auch beibehalten werden. Aber lasst mich trotzdem bitte über die Fremdenfeindlichkeit innerhalb der muslimischen Gemeinde schreiben. So, wie sich gleichaltrige Deutsche gegen den Rechtsextremismus in ihrem Land einsetzen, möchte ich mich als Türkischstämmige bitte schön gegen den Rechtsextremismus in meinem Kulturkreis einsetzen dürfen. Es heißt doch so schön, dass jeder zunächst vor der eigenen Haustüre kehren soll. Zumal ein Problem, das nicht als solches erkannt wird, dringlicher ist, da es gefährlicher ist als eines, das immerhin schon als solches erkannt wurde.

Die Namen von Personen, Politikern, Parteien, ethnischen und religiösen Gruppen in diesem Buch sind austauschbar. Denn hinter dem Integrationsproblem steckt eine menschliche Neigung, der auch andere Menschen zu anderen Zeiträumen verfallen können: die Neigung, den einfachen Weg zu gehen. Die Geschichte wiederholt sich, solange man nicht aus ihr lernt.

Ich schreibe dieses Buch nicht zuletzt für die zwölf- bis Anfang zwanzigjährigen türkischen, muslimischen Jungs und Mädels in Deutschland und Europa, die sich aus der angeblich modernen parallelgesellschaftlichen Wertewelt befreien und den Weg gehen wollen, den ich gegangen bin: ihren eigenen.

Ich betrachte es als eine Art Handbuch, das zu haben ich damals froh gewesen wäre. Zwar war es wohl am effektivsten für mich, mir meinen Weg ohne Hilfe zu erarbeiten, das heißt allein zu entscheidenden Erkenntnissen über die Parallelgesellschaft zu gelangen. Aber diejenigen Deutschtürken, die in eine Buchhandlung gehen, um sich dieses oder ein anderes außerschulisches Buch zu holen, werden den allerersten Schritt bereits aus eigener Kraft gemacht haben: Sie haben sich schon entschieden. Somit wird ihnen, so wünsche ich es mir, dieses Buch eine Hilfe zur Selbsthilfe sein.

DIE PARALLELGESELLSCHAFT