Zum Buch
„Die Selbsterkenntnis ist eine so
wichtige Sache, dass ich wünschte,
ihr möchtet niemals darin ermatten, so
hoch ihr auch in den Himmeln
emporgestiegen sein mögt.“
Teresa von Avila
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Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2013
Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2012
Lektorat: Dr. Bruno Kern, Mainz
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
Bildnachweis: Die Verzückung der Heiligen Teresa von Avila,
Marmorskulptur von Gian Lorenzo Bernini
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0269-7
www.marixverlag.de
I. Einleitung
1. Spaniens Goldenes Zeitalter
2. Eine Frau auf dem Weg zur spirituellen Erfahrung
3. Teresas Hauptwerke
a) Das Buch meines Lebens (Vida)
b) Weg der Vollkommenheit (Camino de Perfección)
c) Die Seelenburg (Moradas)
4. Zum inneren Beten
5. Teresas Aktualität
6. Zur vorliegenden Auswahl
II. Die Texte
1. Das Buch meines Lebens (Vida)
Aus Kindertagen – 1. Kapitel
Anfänge des klösterlichen Lebens – 4. Kapitel
Vom Glück des inneren Gebets – 8. Kapitel
Ein Gleichnis vom Anfangen – 11. Kapitel
Christus als Lehrer – Kapitel 12, 6
Durchbohrung des Herzens – 29. Kapitel
Freundschaft mit einem Ordensmann – 34. Kapitel
Mystische Gebetserfahrungen – 40. Kapitel
2. Weg der Vollkommenheit (Camino de Perfección)
Sorglosigkeit erwerben – 2. Kapitel
Es gilt, die Ordensregel zu beachten – 4. Kapitel
Vom Wesen des inneren Gebets – 22. Kapitel
Vom Vaterunser – 27. und 28. Kapitel
In der Gegenwart Gottes – Kapitel 29,4 – 8
3. Wohnungen der inneren Burg (Moradas)
Vorrede
a) Erste Wohnung
b) Zweite Wohnung
c) Dritte Wohnung
d) Vierte Wohnung
e) Fünfte Wohnung
f) Sechste Wohnung
g) Die siebte Wohnung
4. Epilog
III. Stimmen und Zeugnisse zu Teresa von Avila
Walter Nigg 1946
Otger Steggink 1976
Fritz Vogelsang 1979
Josef Sudbrack 1979
Gemma Hinricher 1984
Waltraud Herbstrith 1987
Gerda von Brockhusen 1997
Erika Lorenz 1999
Ulrich Dobhan 2001
Alois Maria Haas 2004
Anselm Grün 2009
IV. Zeittafel
VI. Literatur
1. Textausgaben
2. Sekundärliteratur
Auf dem geistig-religiös fruchtbaren Boden muslimischer wie jüdischer und christlicher Spiritualität fand die abendländische Mystik auf der iberischen Halbinsel eine ebenso bedeutsame wie eigentümliche Ausprägung. Zugrunde liegt zunächst das frühzeitige Eindringen des Christentums. Sowohl der Apostel Paulus in seinem Römerbrief als auch Clemens von Rom im ersten Clemensbrief sprechen von Spanien. Wenn es auch zweifelhaft sein dürfte, ob der Apostel seine Absicht, die Missionsreise auch dorthin auszudehnen, infolge Haftzeit und baldigem Tod verwirklichen konnte, so gelangte die christliche Botschaft wahrscheinlich noch im ersten Jahrhundert nach Spanien. Doch das erste sichere Zeugnis für das Vorhandensein gefügter christlicher Gemeinden stammt aus dem Jahr 254. Andere Belege gibt es aus der Zeit der Christenverfolgungen unter den römischen Kaisern Decius (249 – 251) und Diokletian (284 – 305). Die späteren Könige Spaniens, beispielsweise Philipp II., sorgten für die durchgehende Etablierung der spanischen Staatskirche. Durch die jeweiligen Regenten sahen sich die kirchlichen Oberen nachhaltig unterstützt.1
Die Invasion der Muslime war von Nordafrika her im Jahr 711 erfolgt. Die Heerscharen, die den Weisungen des Propheten Muhammad gehorchten, überfluteten große Teile des Landes; sie überquerten die Pyrenäen und drangen bis in die Mitte Frankreichs bei Tours und Poitier vor. Geistig-kulturell bedeutsam gestaltete sich im Mittelalter jene zum Teil bis heute vor allem in Andalusien noch spürbare jüdisch-christlich-islamische Symbiose. Es schien, als ob die drei abrahamitischen Religionen endlich der Versöhnung und einer kreativen Gemeinsamkeit fähig geworden seien, für die Länge einiger Generationen jedenfalls. Doch die sogenannte Reconquista, das heißt die gewaltsame Wiederinbesitznahme der an den Islam verlorenen Regionen, blieb nicht aus. Im zu Ende gehenden 15. Jahrhundert setzten die Vertreibung und eine gewaltsame Missionierung der Juden und Muslime ein. Conversos oder Judeoconversos nannte man jene Juden, die sich durch Annahme der Taufe ein Bleiberecht erkauften.
Aber es war kein Geheimnis, dass dennoch Verachtung und Verdächtigung das Leben solcher Proselyten lebenslang und selbst noch von Generation zu Generation bestimmten. Bis ins 18. Jahrhundert hinein galten Nachfahren solcher Conversos als ein diskriminierter Bevölkerungsteil Spaniens. Doch es gab auch nicht wenige Ausnahmen, wenn man sieht, dass getaufte Juden hohe Ämter in Staat und Gesellschaft einnahmen oder sogar den Bischofsstuhl der einen oder anderen Diözese bestiegen. Was nun andererseits den gegen sie gerichteten Argwohn betraf, so hatte die 1478 durch päpstliche Verfügung installierte Inquisition in ihrer speziellen spanischen Ausprägung ein weites Feld zu bestellen.2 Und das geschah mit der für sie sprichwörtlichen Gründlichkeit und Brutalität, denkt man an die zahllosen Ketzerverbrennungen, die öffentlich ausgerichteten Autodafés. Wie sich zeigen sollte, waren vor der Verdächtigung selbst namhafte Vertreter der kirchlichen Frömmigkeit, an ihrer Spitze religiös so herausragende Ordensleute wie Ignatius von Loyola oder Teresa von Avila, keineswegs ausgenommen. Gerade mystisch entflammte Christinnen und Christen erweckten bei den nicht selten rabiaten Glaubenshütern Verdacht! Ausforschung, Zensur, Folter, Verbrennung von Büchern und Menschen gehörten zu den inquisitorischen Methoden.
Und dies nicht zuletzt, wenn es sich um Frauen handelte. Ihnen unterstellte man nicht nur, dass sie am ehesten einem religiösen Überschwang und ekstatischen Frömmigkeitsformen Vorschub leisten. Das weibliche Geschlecht war, wie bekannt, schon in der frühen Kirche – von wenigen Ausnahmen abgesehen und ganz im Gegensatz zu Jesus von Nazaret! – der Geringschätzung und Diskriminierung ausgesetzt. „Dieser Antifeminismus ist nicht, wie immer wieder gesagt wird, ein Erbe des Islams in Spanien. So liest man bereits in einem Brief des Kirchenvaters Hieronymus (420): ‚Der Umgang der Kleriker mit den Frauen darf unter keinem Vorwand erlaubt werden. Da die Frau Tor für den Teufel, Weg zur Schlechtigkeit, Stachel des Skorpions, ein verderbliches Geschlecht ist.‘ Salvator de Madariaga betrachtet die Mönche von Cluny als Urheber dieses Antifeminismus.“3 Dass die Frau als solche gar nicht kultfähig sei, darin waren und sind sich die römische und die orthodoxe Kirche, also die überwiegende Mehrheit der universellen Christenheit, einig!
Hatte der Spanier und deutsche Kaiser Karl V. vergebens versucht, die mit Luthers Veröffentlichung seiner 95 Thesen (1517) begonnene Reformation in Deutschland niederzuschlagen, so unternahm es die römische Kirche im Laufe des 16. Jahrhunderts durch eine weit ausgreifende katholische Reform, einen ebenso beeindruckenden wie machtvollen Kontrapunkt zu setzen. Darüber hinaus brachte sie eine spektakuläre, nicht immer mit legalen Mitteln ausgeführte Gegenreformation in Gang. Das geschah in Anknüpfung an die und in Umsetzung der Beschlüsse des antireformatorischen Konzils von Trient (1545 – 1563). Wieder kam den Königen und den Bischöfen der spanischen Provinzen eine wichtige Bedeutung zu. Politisch, wirtschaftlich und religiös-kulturell hatte auf der iberischen Halbinsel ein „Goldenes Zeitalter“ begonnen. Das betont „katholische“ Königspaar Ferdinand V. von Aragon und Isabella von Kastilien hatten als Demonstration ihres Machtbewusstseins ihre beiden Königreiche vereinigt.
Der Beitrag Spaniens zu dieser katholischen Reform wird insbesondere seinem reformeifrigen und reformerfahrenen Episkopat zugeschrieben, nachhaltig unterstützt durch die beiden klassischen Bettelorden, die Franziskaner und Dominikaner, sowie durch die kontemplativ ausgerichteten Karmeliten, in der Hauptsache aber durch den wirkmächtigen Reformorden der gegenreformatorisch tätigen Jesuiten des Ignatius von Loyola (1491 – 1556). Und hinter ihnen allen stand wiederum die spanische Weltmacht, deren Regenten sagen konnten, dass ihnen – seit Wiederentdeckung Amerikas 1492 – die Sonne nicht untergehe. Im selben Jahr war mit der Einnahme der Stadt Granada in Andalusien (Al Andalus) die letzte Festung der muslimischen Mauren gefallen. Ein markantes Signal setzte die mit der Reconquista siegreiche Kirche dadurch, dass sie inmitten der größten und architektonisch einzigartigen Moschee von Córdoba eine Kathedrale errichtete – ein unübersehbares Zeichen der Herrschaft des dominanten Christentums über die Nachfolger Muhammads. Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse lief das äußere Leben Teresas ab.
Darüber sind die vielfältigen spirituellen Impulse nicht zu vergessen, die in das geistliche Leben der spanischen Kirche einmündeten und somit auch auf Teresa Einfluss ausübten. Die Vita Jesu Christi aus der Feder des zuletzt dem Kartäuserorden zugehörigen Ludolf von Sachsen4 (gestorben 1378 in Straßburg) gehörte neben der Nachfolge Christi des Thomas von Kempen5 bis heute zu den meistgelesenen Erbauungsbüchern der Epoche. Schon Ignatius von Loyola empfing aus dieser Vita nachhaltige Anstöße. Der Franziskaner Francisco de Osuna (gestorben ca. 1540/41)6 war u.a. der Verfasser eines geistlichen ABC (Tercer Abecedario Espiritual), aus dem Teresa schon in jungen Jahren für ihre Gebetspraxis starke Anregungen empfangen sollte. Der als energisch und kämpferisch geschilderte Kardinal Ximénes de Cisneros förderte die Übersetzung und Verbreitung solcher Literatur. Ein „Goldenes Zeitalter“ war auch für die Mystik in Spanien angebrochen.
Anzumerken ist ferner ein für die Frömmigkeitspraxis entscheidender Gestalt- und Bedeutungswandel: „Das augenfälligste Merkmal der spanischen Spiritualität jener Zeit war der Übergang von einer objektiven Spiritualität, die auf dem gesprochenen Gebet und äußeren Werken beruhte, zu einer kraftvollen und subjektiven, die auf persönlicher Erfahrung basierte. Dieser Übergang zu einer lebendigen Spiritualität vollzog sich allmählich … Auch die Autoren der Bücher über das Gebet empfahlen nur das, was sie selbst erfahren hatten.“7
Was den Orden der Karmeliter anlangt, so weist seine Tradition auf die Zeit seiner Begründung im 13. Jahrhundert zurück. Sie erfolgte am Karmel-Berg in Palästina während der Kreuzzüge. Papst Honorius III. bestätigte die Ordensregel im Jahr 1226. Dem Orden schloss sich auch ein weiblicher Zweig an. Angestrebt wurde ein kontemplatives Eremitenleben. Es erfuhr erst im 16. Jahrhundert seine charakteristische Ausprägung. Auf diese Weise bereicherte die karmelitische Spiritualität die katholische Mystik als solche, namentlich repräsentiert durch Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz. „Die Blütezeit der Karmelitermystik erstreckt sich von 1570 bis 1625. In ihrem Zentrum steht die Auffassung, dass nicht die Erkenntnis Gottes, sondern die Liebe zu ihm entscheidend ist (amare versus intelligere). Dieser affektive, nicht intellektualistische Ansatz findet seine praktische Umsetzung nicht in der theologischen Wissenschaft, sondern im ‚inneren Gebet‘ (oratio mentalis) … Anders als die in der klassischen Formel von den drei Wegen der Fall ist (via purgativa, illuminativa, unitiva) lehren die beiden spanischen Mystiker den Aufstieg zur unio als Abfolge von aktiven und passiven Gebetsstufen.“8
Andere geistliche Einflüsse gingen von den Niederlanden (Devotio moderna) und von dem vorreformatorischen florentinischen Mönch Hieronymus Savonarola aus. Selbst Wirkungen sufischer Spiritualität trugen dazu bei, dass sich ein starkes Drängen nach Innerlichkeit bemerkbar machte. Das entsprach der nötig gewordenen Korrektur einer religiösen Veräußerlichung, die um sich gegriffen hatte und nach einer tiefgreifenden Veränderung verlangte. Man nannte die Vertreter eines andererseits als hypertroph empfundenen Spiritualismus „Alumbrados“ oder „Illuminados“, Erleuchtete. Im 16./17. Jahrhundert breitete sich diese von der spanischen Inquisition insbesondere in Kastilien und Andalusien verfolgte Bewegung aus. Eine „grenzenlose Überschätzung der Ekstase und anderer außergewöhnlicher Phänomene“ (Kieran Kavanaugh) bei gleichzeitiger Geringschätzung traditioneller Frömmigkeitsformen riefen die Inquisition naturgemäß auf den Plan. Das ging so weit, dass die Werke bis dahin anerkannter spiritueller Autoren auf den Index verbotener Bücher gerieten. Irrtümlicherweise mutmaßte man sogar, dass der Illuminismus und das als Häresie verrufene Luthertum einer verwandten geistig-geistlichen Grundhaltung entstammen.9 In ihrer Lebensbeschreibung gesteht Teresa einmal, wie traurig sie sei, dass nicht wenige der von ihr geschätzten geistlichen Bücher auf den Index gesetzt worden sind. Doch sie tröstete sich mit einer als inspiriertes Herrenwort empfundenen inneren Mitteilung: „Sei nicht traurig, denn ich werde dir ein lebendiges Buch geben.“ Gemeint ist die Inspiration, der die Karmelitin ihre Niederschriften verdankte.
Teresa – mit dem vollen Namen Teresa Sánchez de Cepeda y Ahumada –, die man nach ihrem kastilischen Geburtsort Teresa von Avila nennt, bezeichnete sich später als Nonne mit „Teresa de Jesús“. Sie wurde am 28. März 1515 als fünftes Kind in eine kinderreiche Familie hineingeboren. Das geschah somit zwei Jahre vor der Erstveröffentlichung der 95 Thesen Martin Luthers. Teresa entstammte mütterlicherseits dem kastilischen Adel, väterlicherseits einer zwei Generationen zuvor zum Christentum konvertierten, ebenfalls angesehenen, dazu erfolgreichen jüdischen Kaufmannsfamilie. Der Großvater hatte als Tuchhändler einigen Reichtum angehäuft. Teresa gehörte somit zu den auf ihre Weise gezeichneten Conversos. Doch dieses Stigma konnte sie und viele Ihresgleichen nur zu besonderem Glaubenseifer und besonderer Hingabe anspornen. Zusammen mit Johannes vom Kreuz repräsentiert Teresa von Avila das Gründerpaar der karmelitischen Mystik.
Infolge der auf persönliche Frömmigkeit setzenden Erziehung im Elternhaus von Vater Alonso Sánchez de Cepeda und der früh verstorbenen Mutter Beatriz de Ahumada war Teresa ein geistlicher Weg gebahnt. Der wurde in der Jugend offensichtlich nicht dadurch beeinträchtigt, dass das als ausnehmend schön geschilderte, lebenslustige Mädchen die betont weltlich gestimmten Einflüsse ihrer Umgebung natürlicherweise aufnahm. Dazu gehörte unter anderem die Lektüre galanter Liebes- und Ritterromane, auf die Teresa offensichtlich durch ihre Mutter hingewiesen worden war. Selber lesen und schreiben zu können war damals für eine junge Frau keineswegs selbstverständlich. Und Teresa genoss diesen Vorzug. Es kam ihr in den Sinn, sich selbst an einem derartigen Roman zu versuchen. Eine Alternative zu solchen Interessen stellte jedoch die geistliche Literatur dar. Die war ihr ebenfalls nicht nur zugänglich; sie sollte Inhalt, Weg und Ziel ihres Lebens bestimmen und schließlich ihre eigene Autorschaft begründen helfen. Wenn Heiligenlegenden den Märtyrertod geradezu als Ziel eines Christenlebens herausstellten, kam das kleine Mädchen zusammen mit einem ihrer Brüder auf den Gedanken, es jenen Helden des Glaubens irgendwie gleichzutun, die als Verkünder des Evangeliums ihr Leben drangegeben haben. Wäre nicht die Familie eingeschritten, hätten die beiden Kinder versucht, in den spanischen Süden, ins Land der muslimischen Mauren, zu pilgern, um sich möglichst rasch „den Kopf abschlagen zu lassen“. Denn auf diese Weise, so fantasierten die beiden Kinder, könne man die ewige Seligkeit erlangen, und zwar „für immer, für immer“.
Nach und nach keimt in der reifer werdenden Teresa ein Bewusstsein davon auf, eine Sünderin zu sein und sich deshalb angesichts des Lebensendes und des Jüngsten Gerichts ängstigen zu müssen. Es genügt schon der, wie sie besorgt meint, leichtfertige Umgang mit ihren Vettern und mit ihrem Verlangen, ihre Schönheit durch aufwendige Kleider und Schmuck aller Art noch zu erhöhen, um dadurch ihren Freundeskreis zu erweitern. Bald nach dem Tod der Mutter, den Teresa als etwa Dreizehnjährige erleidet, schickt Don Alonso Sánchez seine Tochter in eine Mädchenschule der Augustinerinnen. Die Lektüre der Briefe des Kirchenvaters Hieronymus regt die Zwanzigjährige dazu an, aus eigener Initiative ins Karmelitinnenkloster von Avila „Zur Menschwerdung“ (Encarnación) einzutreten, als Braut Christi den Schleier zu nehmen und Nonne zu werden.
Ehe sie am 3. November 1537 die ewigen Gelübde der Armut, der Ehelosigkeit und des Gehorsams ablegen kann, erkrankt sie schwer. Man fürchtet ihren nahen Tod. Auf dem Landsitz ihres ebenfalls frommen Onkels Don Pedro de Cepeda gibt man ihr eines jener Bücher, die zu den Klassikern der Katholischen Reform und des inneren Gebets gehören: Franz von Osuna: Der dritte Teil des spirituellen Alphabets (Tercera Abecedario Espiritual). Damit hat die junge Frau den Leitfaden für ihren eigenen Gebetsweg in der Hand. Es ist ein Weg, der aus dem Bereich der „vielgesagten Worte“ entführt und in das schweigende Gebet der Kontemplation hineingeleitet. Von dieser dritten Weise des Betens, bei der es keiner Worte mehr bedarf, bei der auch bildhafte Vorstellungen gelöscht werden dürfen, heißt es:
„Die dritte Art des Betens nennt man kontemplatives oder ‚inneres‘ [oración espirtual o mental] Gebet, bei dem sich unser höchster Seelenteil in der reinsten und liebevollsten Weise zu Gott erhebt, getragen von den Flügeln des Wunsches und des in Liebe erstarkten Gefühls. Je größer die Liebe ist, umso weniger Worte bedarf sie, und diese wenigen werden verstehender und wesentlicher sein. Denn wenn die Liebe echt ist, bedarf sie keiner großen Reden, wirkt aber schweigend große Dinge.“10
Nun geht es ihr darum, das „In-der-Welt-Sein“ mit dem inneren Leben in Einklang zu bringen. Teresa berichtet in ihren Aufzeichnungen zu ihrem Leben, welche Schwierigkeiten sie damit hatte und welch eine Qual dieser Zwiespalt anfangs für sie bedeutete: entweder Gott, von dem sie meint, dass es außer ihm nichts geben dürfe, oder das Eingebundensein in das alltägliche Leben mit seinen Freuden und Leiden. Ein Ausgleich will ihr nicht gelingen. Schon will sie ihre Gebetsverpflichtungen aufgeben. Bald sieht sie den Irrtum ein. Sie hält ihn für den tiefsten und folgenreichsten – eine Krise um die Lebensmitte! Damit ist angedeutet, dass Teresas Weg nicht etwa als ein problemloser und glorreicher Aufstieg in lichte Seelenverfassungen (high experiences) gedacht werden sollte. In ihren Schriften zeigt sie sich aufrichtig genug, indem sie ihre Mängel und die tief empfundene Sündhaftigkeit schonungslos und nicht selten bis zu Übertreibungen bekennt.
Sola gratiaSolo Dios basta