M.Slevogt
Impressum:
© Hans-Jürgen Döpp / edition de l`œil
Frankfurt am Main 2017
Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7448-4322-5
In Erinnerung
an den Sammler
Karl Ludwig Leonhardt
1922 - 2007
Wir wollen die Geschichte, über die hier berichtet wird, - die Geschichte eines Sammlers und seiner Sammlung -, von ihrem Ende her aufgezäumen.
Dieser alte Auktionskatalog des Auktionshauses Boerner in Leipzig kündigt für den 23. Und 24. Mai 1938 eine Versteigerung einer wichtigen Sammlung an: Daumier-Graphik und Graphiken zur Kulturgeschichte, darunter auch viele Blätter zur erotischen Kunst. Dem Katalog lässt sich entnehmen, wie sich diese Bildersammlung zusammensetzte: „Die Blätter bildeten die Grundlage der Materialsammlung eines durch zahlreiche Publikationen bekannt gewordenen Kunsthistorikers. So bieten sie vorwiegend kultur- und sittengeschichtliches Interesse. Das künstlerische Moment tritt im allgemeinen zurück. Immerhin bezeugt das Vorkommen vieler Meisternamen von bestem Klang, daß der Sammler auch die hohe künstlerische Qualität zu würdigen wusste. Daß er in erster Line auf den Gegenstand seiner graphischen Erwerbungen sah, hängt mit der Zweckbestimmung der Sammlung zusammen.“1
Der Sammler, dessen Werk hier zur Versteigerung kommt, ist – Eduard Fuchs: Fuchs, genannt auch der „Sitttenfuchs“, bekannt, ja berühmt geworden durch seine erfolgreichen Bände zur Sittengeschichte und seine Geschichte der Erotischen Kunst.
Diese Werke von Fuchs wurden, ohne dass ich es damals schon wusste, maßgebend auch für mein eigenes Sammlerleben: Noch als Gymnasiast durchstöberte ich die Frankfurter Antiquariate, und so fand ich eines Tages im Antiquariat Amelang im Hirschgraben die 3-bändige, in Leder gebundene „Geschichte der erotischen Kunst“. Für die Zeit Ende der 50er-Jahre und für das gerade der Pubertät entronnene eigene Alter waren die dort gezeigten Bilder unerhört! Zum ersten Male sah ich, dass es neben Cezanne und van Gogh auch noch eine andere, eine eher verschwiegene Kunst gab, ungeheuer verlockend für einen jungen Menschen! Doch waren es, neben den inzwischen gesicherten finanziellen Verhältnissen, erst die Liberalisierungen der späten 60er-Jahre, die mir quasi einen Freibrief gaben, mich auch offiziell zu meiner Sammel-Leidenschaft zu bekennen. -
Ich will hier versuchen, die großartige und tragische Geschichte der einmaligen Sammlung von Fuchs zu skizzieren und dabei, quasi mit breitem Pinsel, ein Portrait des Sammlers entwerfen. –
In Vetter Pons beschreibt Balzac die leidenschaftliche Sammelwut des Musikers Pons, der mit seiner bescheidenen Rente kostbare Gemälde, Miniaturen und Gläser erwirbt. In Paris könne man oft „einem Pons, einem Elie Magus begegnen, die sehr dürftig gekleidet sind… Sie sehen aus, als wenn sie auf nichts hielten und sich um nichts kümmerten; sie achten weder auf die Frauen noch auf die Auslagen. Sie gehen wie im Traum vor sich hin, ihre Taschen sind leer, ihr Blick ist gedankenlos, und man fragt sich, zu welcher Sorte von Parisern sie eigentlich gehören. – Diese Leute sind Millionäre. Sammler sind es; die leidenschaftlichsten Menschen, die es auf der Welt gibt.“
Eine lustvolle, unbekannte Unruhe lockt diese Menschen, so dass Walter Benjamin geneigt ist, in diesen „von gefährlichen, wenn auch domestizierten Passionen bewegten“ Typen eigentlich romantische Figuren zu sehen2. Was sind die Wurzeln jener dunklen Unruhe, die viele Menschen zu umgetriebenen „Jägern in den Jagdgründen des Inventars“3 werden lässt? Ist jene Leidenschaft, die aufs Unendliche geht, allein auf „angeborene Neigung und Begabung“ zurückzuführen; auf einen im Keim jeder Seele liegenden „Sammeltrieb“?4 Oder ist dieser selbst eine Mystifikation, die auf dunklere Ursprünge zurückzuführen ist? Woher erklärt sich, dass der Sammler aus Leidenschaft – und nur von ihm sei hier die Rede – sich nicht nur die Realität als Besitz aneignet, sondern selber im Besitz einer fernen Macht zu stehen scheint; dass er als Besessener sein Glück mehr im Besitz eigentlich toter Dinge denn in lebendigen Beziehungen sucht? Oft ist ihm dabei das Sammeln bedeutsamer als das Sammelgebiet.
Für Freud ist „jeder Sammler ein Don Juan Tenerio,…, wie auch der Bergbezwinger, der Sportsmann u.dergl. Es sind das erotische Äquivalente.“5 Insofern ist der Sammler erotischer Kunst besonders nahe an den Ursprüngen seiner Leidenschaft.
Doch wir werden im Individualpsychologischen noch keine hinreichende Erklärung für das „Sammelgenie“ Eduard Fuchs finden: Dieser Aspekt muss um die gesellschaftliche Dimension ergänzt werden. Wenn der Aufbau einer Sammlung selbst ein Kunstwerk darstellt, dann können wir die Fragen anwenden, die Eduard Fuchs selber an ein Kunstwerk heranträgt: „Was kommt auf das Konto der Zeit? Und was auf das des individuellen Künstlers?“ Und wir werden feststellen, dass in seiner Person Profession und Obsession sich zu einer glücklichen Verbindung zusammentrafen.-
Nur wenig wissen wir von Eduards Kindheit. Am 31.1.1870 wurde er in dem schwäbischen Provinzstädtchen Göppingen geboren als Sohn des Kaufmanns Ferdinand August Fuchs. 1871 übersiedelte die Familie nach Stuttgart, nachdem die Firma des Vaters durch ein Liquidationsverfahren aufgelöst worden war. Sein Vater starb. Nach dem Besuch der Oberrealschule begann Eduard eine kaufmännische Lehre in einer kleinen Druckerei. Die dortige Begegnung mit revolutionär gesinnten Schriftsetzern gab ihm die Möglichkeit, die „höheren Bestrebungen“ eines idealistischen Gymnasiasten in den Kampf für ein politisches Ideal umzusetzen. Walter Benjamin berichtete, was Fuchs ihm 50 Jahre später, im Exil, erzählte: „Die Lehrstelle führte Fuchs mit politisch interessierten Proletariern zusammen, und bald war er durch sie in den heute idyllisch anmutenden Kampf der damaligen Illegalen hineinbezogen. Diese Lehrjahre endeten 1887“6. In der geistigen Enge dieser Stadt konnte ein aufgeklärter junger Mann nur Anarchist werden. Fuchs verteilte revolutionäre anarchistische Flugblätter und wurde 1888 wegen Majestätsbeleidigung zu 5 Monaten Haft verurteilt, weil er in einem Flugblatt Kaiser Wilhelm als „preußischen Massenmörder“ beschimpft hat. Im Gefängnis wandelte sich der junge Anarchist unter dem Einfluss des sozialdemokratischen Ex-Rabbiners Jakob Stern zum Marxisten. Nach seiner Haftentlassung wurde er zum Kurier verbotener sozialdemokratischer Schriften, und so stand er im Juli 1889 wieder vor Gericht: ein eingeschleuster Spitzel hatte ihn verraten. Abermals musste er 5 Monate „sitzen“. Es war Zeit, Stuttgart hinter sich zu lassen!
1890 fasste Fuchs in München Fuß. Ab 1892 wurde er dort als Redakteur eines bissigen Satireblattes tätig: des „Süddeutschen Postillons“.
Angestellt als Anzeigenleiter, begann er dort seine journalistische Karriere. Benjamin erfuhr von Fuchs selbst: „Ein Zufall, dass [er] aushilfsweise den Umbruch einer Nummer des `Postillon´ in seine Hand nehmen, und ein weiterer, dass er Lücken mit einigen eigenen Beiträgen füllen musste. Der Erfolg der Nummer war ungewöhnlich“7. Fuchs versuchte, regelmäßig politische Karikaturen einzusetzen, die ein Thema bildsatirisch beleuchteten. Wegen ihrer schneidenden Satire wuchs die Auflage des sozialdemokratischen Blattes rasant. Fuchs rühmte sich selbstbewusst als ´innovativ´ im sozialdemokratischen Blätterwald. Diese Arbeit am ´Postillon´ ließ Fuchs früh zum Sammler werden. Die Berührung mit der Karikatur ist der Ausgangspunkt seines Lebenswerks.
Er begann, Karikaturen und politische Graphik als historische Quellen zu sammeln, auch wenn er dabei nicht auf Gegenliebe in seiner häuslichen Gemeinschaft stieß. Folgende Anekdote überlieferte er selbst: „Das erste Blatt, das ich kaufte, kostete eine Mark, und dafür wurde ich von meiner Frau ausgeschimpft, weil es nun nicht mehr für das Abendbrot reichte“.
München, insbesondere Schwabing, war aufgrund einer weniger restriktiven Kunst- und Kulturpolitik damals ein geistiger Gegenpol zum wilhelminischen Berlin. Doch auch in München war die Staatsanwaltschaft besonders aktiv, die sozialdemokratische Presse mit Zensur, Beschlagnahmungen und Prozessen einzudecken. So war auch die Redaktionszeit von Fuchs beim ´Süddeutschen Postillon´ durch ständige Auseinandersetzungen mit der Justiz gekennzeichnet. Wegen ´Majestätsbeleidigung´ musste Fuchs vom 10. August 1897 bis zum 10. Juni 1898 abermals „brummen“.
Auch diese Haftzeit im Nürnberger Zellengefängnis war ihm von Nutzen: Hier widmete er sich den Vorarbeiten zu seiner „Geschichte der europäischen Karikatur“. Über dieses epochale Werk schrieb Fuchs einleitend: „Die Vorarbeiten umfassen den Zeitraum von 5 Jahren, die Zahl der in dieser Zeit für dieses Werk durchgesehenen Karikaturen beträgt ca. 68.000 Stück“. Der erste Band des Werkes