Simone Paganini
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2019
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Umschlaggestaltung: Gestaltungssaal, Rosenheim
Umschlagmotiv: © Simone Paganini, © aqua_marinka / iStock / GettyImages
unter Verwendung einer Zeichnung von Esther Lanfermann, Aachen
Die Übersetzungen der Bibelzitate sind vom Autor eigenhändig angefertigt.
Zeichnungen: Esther Lanfermann, Aachen
E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, Belgern
ISBN E-Book 978-3-451-81804-2
ISBN Print 978-3-451-38493-6
Für Laila
Fake oder nicht Fake? – Erfundene und unwahre Aussagen in der Bibel
1. Das Nichts, aus dem Gott das Universum schuf
2. Die Rippe des Adam
3. Eva und der Apfel
4. Die Keule, mit der Kain seinen Bruder Abel tötete
5. Die Stechmücken auf der Arche Noah
6. Der Regenbogen nach der Sintflut
7. Moses und das Binsenkörbchen
8. Die Katzen im Haus des Pharaos
9. Moses und das Rote Meer
10. Die Hörner des Moses
11. Die Wanne, in der Batseba badete
12. Der Prophet, der die Zukunft vorhersagt
13. Die Jungfrau, die ein Kind gebar
14. Der Komet bei Jesu Geburt
15. Josef, der Zimmermann
16. Mit 33 Jahren …
17. Die Hure Maria Magdalena
18. Der Baum, an dem sich Judas erhängte
19. Der Teufel mit Hörnern und Dreizack
20. Das ewige Höllenfeuer
21. Petrus, der erste Papst
22. Petrus und die Himmelsschlüssel
Literaturhinweise
Der Autor
Die Zeichnerin
Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Bibel beschäftigt schon seit Jahrhunderten Theolog*innen, Kirchenmänner (und auch Kirchenfrauen), Exeget*innen, und viele gläubige Frauen und Männer. Identitätsstiftende Erzählungen wie die Schöpfung der Welt durch einen sprechenden Gott, der Auszug aus Ägypten durch das Rote Meer oder die zahlreichen Wunder Jesu waren bis vor wenigen Jahrzehnten nicht nur Inhalte des christlichen Glaubens, sondern auch Grundlage für die Beantwortung naturwissenschaftlicher und historischer Fragen. Heutzutage gehen Bibelwissenschaftler*innen davon aus, dass die meisten biblischen Texte weder historisch zu verstehen sind noch naturwissenschaftliches Wissen vermitteln wollen. Außerhalb der Bibelwissenschaft wird dies aber leider nur sehr zögerlich wahrgenommen.
Anstatt die aktuelle Forschung wahrzunehmen und sich auf diese Weise ein differenziertes Bild zu verschaffen, gibt es auch heute noch viele Menschen, die auf der »absoluten« Wahrheit der Bibel beharren; sie also fundamentalistisch deuten. Im Gegensatz dazu gibt es aber auch eine ganze Reihe von Menschen, die der Bibel jeglichen Wahrheitsgehalt absprechen. Beide Gruppen haben in gewisser Weise recht und unrecht zugleich.
Gläubige Menschen, die nach Wahrheit und Sicherheit suchen, vertrauen oftmals so sehr auf die Autorität der biblischen Texte, dass sie meinen, in ihnen Antworten auf all ihre Fragen zu finden. Eine solche Erwartungshaltung ist problematisch. Äußerst schwierig wird es vor allem dann, wenn man vergisst, dass die biblischen Texte nicht nur aus einer anderen Zeit, sondern auch aus einem ganz anderen kulturellen Umfeld stammen.
Aber auch Menschen, die sich auf die Suche nach Erfundenem oder Falschem in der Bibel machen, die sich also – um eine modische Begrifflichkeit zu verwenden – auf die Suche von Fake News konzentrieren, sollten aufmerksam sein, denn die Situation ist auch in diesem Fall alles andere als trivial. Im Alten wie im Neuen Testament gibt es nämlich ganz unterschiedliche Sorten von »Fake News«, die es gut auseinanderzuhalten gilt. Insgesamt unterscheide ich drei Arten: die unechten, die echten und die irrealen Fake News.
Sie merken, die Beispiele sind so zahlreich, dass man glatt ein Buch darüber schreiben könnte. Genau das ist passiert und Sie halten dieses Buch gerade in den Händen.
Mir geht es hier besonders um die letzte Gruppe von Falschmeldungen, also um die krasseste Form der Fake News. Es geht um absolut irreale, erfundene Gegenstände, Orte, Tiere, Handlungen und Personen, von denen wir bis heute meinen, sie kämen in der Bibel vor. Mit ein bisschen Einblick in die Sprach- und Literaturwissenschaft, in Archäologie und Geschichtswissenschaft sowie in die Bibelwissenschaft kann man diese Fakes nicht nur beschreiben, sondern meist auch erklären. Diese Fakes machen die biblischen Texte aber nicht zu schlechteren Texten. Wenn man sie identifiziert und einordnen kann, zeigt sich auch heutigen Leser*innen die Vielfalt dieser alten Texte, aus denen wir eine Menge schöpfen können. Dabei kommen auch ihr Reichtum und ihre Schönheit zum Vorschein, was wohl der Hauptgrund dafür sein dürfte, dass diese Texte – Fakes hin oder her – auch heute noch gelesen und als Inspiration wahrgenommen werden.
Mein Zugang zu den Texten ist stets ein wissenschaftlicher, denn ein methodisch sauberer Umgang mit den antiken Schriften ist die einzige Möglichkeit, ihrer Aussageabsicht näher zu kommen. Für Fachleute sind die in diesem Buch vorgestellten Thesen und Theorien weder neu noch überraschend, denn sie sind inzwischen seit Langem allgemein anerkannt. Alle anderen Leser*innen hingegen werden hoffentlich neue oder ungewohnte Sichtweisen entdecken, mit denen sich die Bibel neu lesen und verstehen lässt.
»Am Anfang erschuf Gott die (zwei)
Himmel und die Erde.
Und die Erde war wüst und leer.«
Gen 1,1–2
Schlagen wir die Bibel auf, so lesen wir als Erstes die Erzählung von der Erschaffung der Welt. Das Erste, was Gott erschuf, ist aber, streng genommen, nicht die Erde, sondern der Himmel. Dies war für die altorientalische Welt der Autoren*innen der Bibel selbstverständlich. Gott schafft also zuerst den Ort, an dem die Götter wohnen. Weil man damals allerdings dachte, die Erde sei eine Scheibe, die vom Himmel ummantelt ist, bildet der biblische Gott zwei Himmel: einen Himmel oberhalb und einen unterhalb der Erde. Das Ganze soll Gott aus dem Nichts getan haben. Bis dahin gab es nur Gott und sonst nichts – so zumindest stellt man es sich meistens vor.
Diese Erzählung, die jahrtausendelang unangefochten als Erklärung für die Entstehung des Universums galt, wurde in modernen Zeiten immer wieder infrage gestellt. So auch von den Naturwissenschaften des 20. Jh., die schließlich die Theorien vom Urknall und der Evolution entwickelt haben.
Bereits im Jahr 1950 hatte Papst Pius XII. die Evolutionstheorie als eine ernst zu nehmende Hypothese bewertet. Doch erst Anfang der 1990er-Jahre akzeptierte Papst Johannes Paul II. die wissenschaftliche These des »Urknalls« endgültig. Somit machte er die Evolutionstheorie als möglichen Anknüpfungspunkt für die Existenz Gottes, der aus dem Nichts den Urknall und somit die Entstehung des gesamten Universums bzw. den Anfang der Evolution anstupste, auch in kirchlichen Kreisen gesellschaftsfähig.
Es ist eigenartig, dass dieser Prozess so lange gedauert hat. Bereits im Jahr 1931 hatte ein katholischer Priester und Astrophysiker aus Belgien die These vertreten, dass sich aus einem einzigen Uratom, dem »kosmischen Ei«, das gesamte Universum entwickelt habe. Es war Georges Lemaître, der seine Theorie erstmals auf einer Tagung zu Naturwissenschaft und Spiritualität vorstellte. Übrigens, auch Albert Einstein ließ sich damals trotz anfänglicher Skepsis vom redegewandten Lemaître überzeugen.
Seine Gegner, die die damals gerade entstandene Theorie lächerlich machen wollten, sprachen vom »Urknall«. Dieser Begriff hat sich durchgesetzt. Das Phänomen, das sich dahinter verbirgt, lässt sich nach heutigem Wissensstand relativ gut datieren: Es passierte vor ungefähr vierzehn Milliarden Jahren. Davor gab es nichts, keine Zeit, keine Materie, keine Energie und keinen Raum. Daher lässt sich dieser Zustand nicht wirklich wissenschaftlich untersuchen, was ihn für Naturwissenschaftler*innen physikalisch uninteressant macht.
Möglicherweise war er aber auch für die ersten Theolog*innen, die über Gott als Schöpfer nachgedacht haben, völlig irrelevant. Irenäus von Lyon, später Augustinus und vor allem Luther wollten keine Aussagen über die Entstehung des Kosmos machen, sondern allein die Eigenschaften Gottes beschreiben. Luther sah dabei die Fähigkeit, etwas aus dem Nichts zu erschaffen, als ein wesentliches Merkmal der Natur Gottes an und hat sich sehr dafür stark gemacht. Der Glaube an das »Nichts« blieb somit bestehen. Seit dem 2. Jh. n. Chr. war die Vorstellung von der Erschaffung der Welt aus dem Nichts eine selbstverständliche Voraussetzung und bestimmte die christliche Rede von der Schöpfungstätigkeit Gottes.