Paul Watzlawick
Vom Unsinn des Sinns
oder vom Sinn des Unsinns

Wiener Vorlesungen im Rathaus

Band 16
Herausgegeben für die Kulturabteilung der Stadt Wien
von Hubert Christian Ehalt

Der vorliegende Text basiert auf zwei aufeinander
Bezug nehmenden Vorträgen im Wiener Rathaus,
am 17. Mai 1989 und am 5. November 1991

Paul Watzlawick

Vom Unsinn des Sinns
oder vom Sinn des Unsinns

Mit einem Vorwort von
Hubert Christian Ehalt

Picus Verlag Wien

Copyright © 2011 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
Alle Rechte vorbehalten
Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien
ISBN 978-3-7117-5079-2
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt

Informationen über das aktuelle Programm
des Picus Verlags und Veranstaltungen unter
www.picus.at

Inhalt

Die Wiener Vorlesungen im Rathaus

Vorwort

Paul Watzlawick

Quellen

Der Autor

Die Wiener Vorlesungen im Rathaus

Die große Resonanz, die der Vortrag des berühmten deutschen Soziologen Prof. Dr. René König am 2. April 1987 im Wiener Rathaus bei einem sehr großen Publikum hatte, inspirierte die Idee einer Vorlesungsreihe im Rathaus zu den großen Problemen und Überlebensfragen der Menschen am Ausgang des 20. Jahrhunderts.

Das Konzept der Wiener Vorlesungen ist klar und prägnant: Prominente Denkerinnen und Denker stellen ihre Analysen und Einschätzungen zur Entstehung und zur Bewältigung der brisanten Probleme der Gegenwart zur Diskussion. Die Wiener Vorlesungen skizzieren nun seit Anfang 1987 vor einem immer noch wachsenden Publikum in dichter Folge ein facettenreiches Bild der gesellschaftlichen und geistigen Situation der Zeit. Das Faszinierende an diesem Projekt ist, dass es immer wieder gelingt, für Vorlesungen, die anspruchsvolle Analysen liefern, ein sehr großes Publikum zu gewinnen, das nicht nur zuhört, sondern auch mitdiskutiert. Das Wiener Rathaus, Ort der kommunalpolitischen Willensbildung und der Stadtverwaltung, verwandelt bei den Wiener Vorlesungen seine Identität von einem Haus der Politik und Verwaltung zu einer Stadtuniversität. Das Publikum kommt aus allen Segmenten der Stadtbevölkerung; fast durchwegs kommen sehr viele Zuhörer aus dem Bereich der Universitäten und Hochschulen; das Wichtige an diesem Projekt ist jedoch, dass auch sehr viele Wienerinnen und Wiener zu den Vorträgen kommen, die sonst an wissenschaftlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen. Sie kommen, weil sie sich mit dem Rathaus als dem Ort ihrer Angelegenheiten identifizieren, und sie verstärken durch ihre Anwesenheit den demokratischen Charakter des Hauses.

Es ist immer wieder gelungen, Referentinnen und Referenten im Nobelpreisrang zu gewinnen, die ihre Wissenschaft und ihr Metier durch die Fähigkeit bereichert haben, Klischees zu zerschlagen und weit über die Grenzen ihres Faches hinauszusehen. Das Besondere an den Wiener Vorlesungen liegt vor allem aber auch in dem dichten Netz freundschaftlicher Bande, das die Stadt zu einem wachsenden Kreis von bedeutenden Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Forschung in aller Welt knüpft. Die Vortragenden kamen und kommen aus allen Kontinenten, Ländern und Regionen der Welt, und die Stadt Wien schafft mit der Einladung prominenter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine kontinuierliche Einbindung der Stadt Wien in die weltweite »scientific community«. Für die Planung und Koordination der Wiener Vorlesungen war es stets ein besonderes Anliegen, diese freundschaftlichen Kontakte zu knüpfen, zu entwickeln und zu pflegen.

Das Anliegen der Wiener Vorlesungen war und ist eine Schärfung des Blicks auf die Differenziertheit und Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit. Sie vertreten die Auffassung, dass Kritik ein integraler Bestandteil der Aufgabe der Wissenschaft ist. Eine genaue Sicht auf Probleme im Medium fundierter und innovativer wissenschaftlicher Analysen dämpft die Emotionen, zeigt neue Wege auf und bildet somit eine wichtige Grundlage für eine humane Welt heute und morgen. Das Publikum macht das Wiener Rathaus durch seine Teilnahme an den Wiener Vorlesungen und den anschließenden Diskussionen zum Ort einer kompetenten Auseinandersetzung mit den brennenden Fragen der Gegenwart, und es trägt zur Verbreitung jenes Virus bei, das für ein gutes politisches Klima verantwortlich ist.

Fernand Braudel hat mit dem Blick auf die unterschiedlichen Zeitdimensionen von Geschichte drei durch Dauer und Dynamik voneinander verschiedene Ebenen beschrieben: »L’histoire naturelle«, das ist jener Bereich der Ereignisse, der den Rhythmen und Veränderungen der Natur folgt und sehr lange dauernde und in der Regel flache Entwicklungskurven aufweist. »L’histoire sociale«, das ist der Bereich der sozialen Strukturen und Entwicklungen, der Mentalitäten, Symbole und Gesten. Die Entwicklungen in diesem Bereich dauern im Vergleich zu einem Menschenleben viel länger; sie haben im Hinblick auf unseren Zeitbegriff eine »longue durée«. Und schließlich sieht er in der »histoire événementielle« den Bereich der sich rasch wandelnden Ereignisoberfläche des politischen Lebens.

Die Wiener Vorlesungen analysieren mit dem Wissen um diese unterschiedlichen zeitlichen Bedingungshorizonte der Gegenwart die wichtigen Probleme, die wir heute für morgen bewältigen müssen. Wir sind uns bewusst, dass die Wirklichkeit der Menschen aus materiellen und diskursiven Elementen besteht, die durch Wechselwirkungsverhältnisse miteinander verbunden sind. Die Wiener Vorlesungen thematisieren die gegenwärtigen Verhältnisse als Fakten und als Diskurse. Sie analysieren, bewerten und bilanzieren, befähigen zur Stellungnahme und geben Impulse für weiterführende Diskussionen.

Hubert Christian Ehalt

Vorwort

Paul Watzlawick hat im Rahmen der Wiener Vorlesungen zwei Vorträge gehalten, die beide der Relativität dessen gewidmet waren, was wir Wirklichkeit nennen. Der Autor ist ein Vertreter des Konstruktivismus, der in den Natur- und ebenso in den Geisteswissenschaften ein neues wissenschaftliches Weltbild formuliert hat. Es gehört heute zum Allgemeinwissen breiterer Schichten, dass die Welt, wie wir Menschen sie mit unseren Sinnesorganen wahrnehmen, nicht objektiv so ist, wie wir sie sehen, hören, riechen, fühlen. Die Hunde etwa haben eine weit differenziertere Geruchswahrnehmung als die Menschen und nehmen somit im Kosmos der Gerüche Sektoren der Wirklichkeit wahr, die den menschlichen Riechorganen immer unbekannt bleiben werden. Die Facettenaugen der Insekten formen ein ebenso eigenständiges Raum- und Farbbild wie die Sehapparate der Chamäleons und der Menschen. »In Wirklichkeit«, so sagen uns die Naturwissenschaften, gibt es nicht diesen Tisch vor uns, sondern eine Anhäufung von Molekülen in einer bestimmten Organisation, Wellen mit unterschiedlicher Frequenz, usw.

Über das Licht zum Beispiel haben die Physiker lange Zeit gerätselt, ob es »Materie« oder »Welle« sei, und auch wenn man von der Unvollkommenheit unserer Sinnesorgane bei der Darstellung »des Wirklichen« einmal absieht, gewinnen unsere Vorstellungen von der Welt nicht viel mehr an Objektivität.