N. Bernhardt
Buch II: Der Untergang des Fürstentums
Der Hexer von Hymal
N. Bernhardt
Buch II: Der Untergang des Fürstentums
Der Hexer von Hymal
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
3. Auflage, ISBN 978-3-954182-40-4
www.null-papier.de/hymal
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel: Eine Burg voller Fragen
Zweites Kapitel: Ein Gefangener von großem Wert
Drittes Kapitel: Wiedersehen mit Freude
Viertes Kapitel: Das Bankett in Hocatin
Fünftes Kapitel: Flucht auf die Eisenfeste
Sechstes Kapitel: Die dreizehnte Legion
Siebtes Kapitel: Verrat auf der Festung
Ausblick
Schon wieder Hymal, schon wieder Orks! Natürlich endet wieder einmal alles im Desaster. Ist Danuwil etwa tot? Wenigstens kann Nikko einen Gefangenen aus den Klauen der Orks befreien. Wer aber ist der Kerl?
Zurück in der Heimat, kommt alles nur noch schlimmer. Der Herzog marschiert gegen das Fürstentum, da kann man nur noch fliehen. Doch wo soll man sich je sicher fühlen in dieser Welt voller Gefahren? Außerdem hat Nikko ja noch ein ganz besonderes Ziel, das es nicht aus den Augen zu verlieren gilt…
Weitere Informationen zur Reihe und zum Autor finden Sie unter:
hymal.info
Es war bereits Mittag, als Nikko und Danuwil am nächsten Tag eine erste Rast einlegten. Nach einem schnellen Frühstück waren die beiden sehr früh aufgebrochen und dem Verlauf des Flusses an dessen Westufer ohne Pause für viele Stunden gefolgt. Gesprochen hatten sie dabei kaum, obwohl in Nikko mehr Fragen brannten, als der Adlige wohl je beantworten konnte. Vor allem hatte der Junge noch immer nicht genau verstanden, was es wirklich bedeutete, dass er plötzlich ein Zauberer war. Er war sich jedoch bewusst, dass sie jetzt in Feindesland wandelten. Danuwils Aussage, dass Wargreiter auf eine größere Anzahl Orks hindeuteten, hatte sein ohnehin düsteres Bild von Hymal dabei nur noch weiter verzerrt. Darum hatte sich der Junge lieber im Hintergrund gehalten, um den erfahreneren Adligen nicht abzulenken. Dieser hatte nun die Führung übernommen und immer wieder kurz Halt gemacht, um das Ostufer und die dahinterliegende Ebene mit seinem Fernrohr gründlich abzusuchen.
Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel, und die beiden hatten es sich im Gras am Ufer gemütlich gemacht, um sich ein kurzes Mahl schmecken zu lassen.
»Die Burg scheint jetzt fast genau im Osten zu sein«, bemerkte der Adlige plötzlich und hielt sich schon wieder das Fernrohr ans Auge. »Der Fluss hingegen fließt noch viele Stunden nach Südost, bevor er dann nach Süden biegt«, fuhr er fort, als er sich mit dem Rohr am Auge langsam Richtung Süden drehte.
»Von hier könnten wir es vielleicht bis heute Abend zur Burg schaffen«, murmelte Danuwil und steckte dabei das Fernrohr weg. »Ein langer Weg jedoch über das weite Feld, das uns kaum Schutz bietet.«
»Wir können dem Fluss aber nicht ewig folgen«, meinte Nikko, obwohl er es selbst gar nicht so eilig hatte, das schützende Gewässer zu überqueren. »Ihr habt doch selbst gesagt, er fließt später nach Süden.«
»Richtig«, nickte der Adlige. »Aber dort, wo der Fluss nach Süden biegt, scheint der direkte Weg zum Hügel kürzer. Viele Stunden vielleicht sogar.«
»Wenn wir heute bis zu jener Biegung kommen«, fuhr er fort, »dann können wir morgen früh die Ebene angehen. Vielleicht sind wir dann schon mittags auf der Burg.«
»Dann könnten wir abends zurück über den Fluss sein«, dachte Nikko laut. »Nur falls wir dort nichts finden«, fügte er schnell hinzu, als er einen missbilligenden Blick des Adligen erntete.
»Ihr habt ja recht«, meinte dieser. »Wer weiß, was wir dort oben finden. Besser ist es, wenn wir wieder über den Fluss sein können, bevor es dunkelt.«
»Also gut«, entschied er dann. »Wir folgen dem Fluss so weit, wie wir heute noch kommen. Morgen in aller Frühe überqueren wir das Feld.«
Den restlichen Tag waren die beiden recht gut vorangekommen, sodass sie die Flussbiegung bereits am frühen Abend erreichten. Von hier aus floss das Gewässer gemächlich weiter nach Süden, so weit das Auge reichte. Auch waren sie nun deutlich näher an der Burg, die von hier aus vielleicht noch drei Stunden entfernt sein mochte.
Danuwil hielt sich wieder das Fernrohr ans Auge und schien das letzte Licht des ausgehenden Tages nutzen zu wollen, um sich noch schnell ein Bild vom Umfeld zu verschaffen.
»Keine Lichter«, murmelte er und hielt das Rohr zur Burg gerichtet. »Das gefällt mir gar nicht.«
»Verlassen?«, fragte Nikko und machte sich insgeheim Gedanken, ob sich das gefährliche Unterfangen wegen einer verlassenen Burg überhaupt lohnte.
»Wer weiß, wer weiß«, antwortete der Adlige und fügte dann hinzu: »Wir sind hier, um genau das herauszufinden.«
»Macht Euch keine Sorgen«, fuhr er aufmunternd fort. »Die Burg ist noch weit entfernt. Wahrscheinlich würden wir ein schwaches Licht, von einer Fackel etwa, von hier aus gar nicht erkennen können.«
»Schlaft jetzt«, sagte Danuwil dann mit einem Lächeln. »Ich übernehme die erste Wache.«
Es war tief in der Nacht, als der Adlige Nikko durch sanftes Rütteln weckte und dem noch halb schlafenden Jungen bedeutete, sich ruhig zu verhalten. Es dauerte noch einen längeren Augenblick, bis Nikko sich wenigstens etwas orientieren konnte, denn er hatte erstaunlich tief und fest geschlafen.
»Leise«, flüsterte Danuwil schließlich. »Ich glaube, es sind Orks unterwegs auf der anderen Seite. Der Wind steht gut, so werden sie uns wohl nicht wittern. Also verratet uns nicht durch unbedachte Geräusche.«
Nikko war zu verdutzt, um in diesem Moment überhaupt schon Angst zu verspüren. Zunächst versuchte er, erst einmal richtig wach zu werden.
»Wenn sie zu nahe ans Ufer kommen, oder der Wind dreht, dann weckt mich leise«, flüsterte Danuwil. »Ich lege mich jetzt hin. Weckt mich sonst kurz nach Sonnenaufgang.«
Der Junge war noch immer nicht ganz wach und nahm Danuwils Aussagen kommentarlos auf. Als er schließlich alle Sinne beisammen hatte, schlummerte der Adlige bereits friedlich unter seiner Decke.
Es war eine finstere Nacht, die kein Stern erhellte. Nikko konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Umso gespenstischer erschienen ihm die Geräusche von der anderen Seite des Flusses. Fast glaubte der Junge, in einiger Entfernung würden Befehle in der kratzigen Sprache gebrüllt und von Grunzen quittiert. Den Zauberstab mit beiden Händen fest umklammert, konnte er sich ein Zittern in der unheilvollen Finsternis nicht verwehren. Wie war er bloß wieder in einen solchen Schlamassel geraten? Hatte er sich nicht vor kurzem erst fest geschworen, nie wieder einen Fuß nach Hymal zu setzen?
Wie lange er so dasaß, wusste er nicht. Vielleicht nur Minuten, vielleicht auch Stunden. Plötzlich jedoch durchschoss ein markerschütterndes Heulen seinen Körper und riss ihn jäh aus seiner Trance! Schnell jedoch sammelte er seine Gedanken und spitzte die Ohren. Noch ein Heulen hörte er, nur viel weiter entfernt. Der vor Angst fast gelähmte Junge fragte sich, ob er nicht lieber den erfahrenen Adligen wecken sollte.
»Ein Wargreiter«, hörte er diesen plötzlich flüstern. »Scheinbar nahe dem Ufer. Wir ziehen uns etwas vom Wasser zurück. Aber leise!«
Das erste Heulen musste Danuwil wohl schon geweckt haben, dachte sich Nikko und folgte dem Edelmann, der leise vom Ufer wegkroch. Erst nach einigen Minuten, als die beiden mehrere Steinwürfe vom Fluss entfernt waren, machte dieser Halt.
»Der Wind ist noch günstig«, sagte Danuwil mit leiser Stimme. »Aber diese verfluchten Wargs können noch besser riechen als ein Ork. Wir haben wahrlich Glück, dass der Wind uns nicht verrät in dieser Nacht.«
»Glaubt Ihr nicht, dass wir bemerkt wurden?«, fragte Nikko mit einem kläglichen Zittern in der Stimme, das Angst und Schrecken kaum verbarg.
»Nein«, erwiderte der Adlige. »Sie mögen zwar kein Wasser, aber wenn sie Beute wittern, gibt es kein Halten mehr.«
»Dann haben sie nicht nach uns gesucht?«
»Nein, ich denke nicht«, versicherte Danuwil. »Eher eine Patrouille am Fluss entlang. Vielleicht auch Späher. Macht Euch keine Sorgen.«
»Legt Euch noch etwas hin, Nikko«, befand der Adlige schließlich. »Es sind noch ein oder zwei Stunden bis zur Dämmerung. Ich übernehme den Rest Eurer Wache.«
Es war vielleicht eine Stunde nach Sonnenaufgang, als der Adlige Nikko weckte. Der Himmel war im Norden und im Osten, wohin ihr Weg sie führen würde, tief wolkenverhangen, während die Sonnenstrahlen im Westen manchmal doch einen Weg durch die Lücken in der Wolkendecke fanden und die Ebene dort in ein freundlicheres Licht rückten.
Nach einem kurzen und wortlosen Frühstück, bei dem Nikkos Gedanken noch immer um die Vorkommnisse der letzten Nacht kreisten, machten sich die beiden auf den Weg zurück zum Fluss. Dort angekommen, hielt sich Danuwil sogleich das Fernrohr ans Auge und inspizierte das vor ihnen liegende Feld.
»Das Ufer scheint frei zu sein«, befand er. »Aber auf der Ebene kann ich nicht viel erkennen. Zu hoch ist das Gras und zu viele Kuhlen sind im Boden. Nicht unmöglich, dass sich dort Orks verkrochen haben.«
»Auf der Burg kann ich keine Beflaggung erkennen«, fuhr er fort. »Das sieht nicht gut aus, fürchte ich.«
»Warum dann ein Risiko eingehen?«, schoss es aus Nikko heraus, ohne dass er vorher nachdenken konnte. Fast wie eine Anklage musste diese Frage wohl geklungen haben.
»Meister Nikko«, antwortete der Adlige mit fast väterlichem Ton, »wir sind auf einer Mission. Glaubt Ihr denn, eine verlassene … nein, eine wahrscheinlich verlassene Burg wäre dem Fürsten Nachricht genug?«
»Aber Ihr habt natürlich recht«, fuhr er fort. »Jedenfalls was Euch betrifft. Zwar seid Ihr eigentlich im Dienste des Fürsten, jedoch droht Euch als Zauberfähigem wohl keine Strafe. Zu wertvoll wärt Ihr … und zu gefährlich. Ich hingegen könnte mich in Hocatin, und viel wichtiger noch in Zundaj, wohl nie wieder blicken lassen.«
»Ich muss Antworten finden, Nikko«, erklärte Danuwil mit fester Stimme nach einer kurzen Pause. »Mein Weg führt auf diese verdammte Burg. Ich kann und will Euch jedoch nicht zwingen, mir dorthin zu folgen.«
Nikko brauchte nicht lange nachzudenken, um sich für den Adligen zu entscheiden. Nicht nur die trostlose Aussicht, tagelang allein durch Hymal wandern zu müssen, bewegte ihn dazu. Auch wollte er Danuwil jetzt nicht im Stich lassen. Irgendwie hatte er sich schon an die Gesellschaft des seltsamen Kerls gewöhnt, und hier in Hymal war dessen Erfahrung ja tatsächlich von großem Nutzen. Nützlicher als im Gebirge, ging es Nikko durch den Kopf, und er konnte sich ein überlegenes Grinsen nicht verkneifen.
»Ohne mich und meinen Zauberstab wärt Ihr doch glatt verloren«, scherzte der Junge schließlich.
»Hoffen wir, dass Ihr ihn nicht einsetzen müsst«, erwiderte Danuwil kühl, seinen Blick fest auf die Burg gerichtet.
Einige Stunden waren die beiden unterwegs gewesen, nachdem sie den seichten Fluss durchwatet hatten. Hüfthoch war das derbe Gras, das sich im Rhythmus des Windes bog wie Wellen auf dem Wasser. Viele zugewachsene Löcher im Boden behinderten ihren Gang. Kaum ein Sonnenstrahl drang durch die dichte Wolkendecke, die über dem weiten Feld lag und es in ein schummriges Licht rückte.
Fast schon Mittag war es wohl, als sie sich dem kahlen Hügel von Südosten her näherten, den eine kleine Burgruine aus hellgrauem Stein in längst verblasstem Stolz krönte. Still war es, und tot wirkte das Gemäuer von hier unten. Die bröckelnden Mauern schienen nicht bemannt, der halb eingestürzte Burgfried war nicht beflaggt.
»Wir sollten besser die Straße suchen, die vom Pass her im Nordosten zur Burg führt«, meinte Danuwil. Denn obwohl sich das offenbar unbewachte Burgtor fast direkt über ihnen befand, war der Hügel hier recht steil.
Nach einer Viertelstunde hatten sie den Aufstieg gefunden und folgten ihm, wie er sich zunächst nach Norden den Hügel hinauf, dann im Osten um die Burgmauern herum, auf denen schon Moos und Gras wild wucherten, und schließlich von Südosten her zum brüchigen Tor hinaufschraubte, in dessen marode Fugen viele kleine Sträucher und Efeuranken unaufhaltsam ihre Wurzeln trieben.
Langsam und vorsichtig überquerten die beiden die heruntergelassene Zugbrücke, deren eine rostige Kette durchtrennt war und schlaff aus einer Öffnung über dem Torbogen hing. Das Tor schien mit Gewalt aufgebrochen worden zu sein und stand nun weit offen, ohne jedoch »willkommen« zu schreien.
»Was für ein Empfang«, scherzte Danuwil. »Nun gut«, fuhr er fort, »immer noch besser als Orks auf den Mauern.«
»Seid Ihr Euch sicher, dass hier keine Orks sind?«, fragte Nikko nervös.
»Ja, ich denke schon«, antwortete der Adlige. »Wenn Orks die Burg hielten, dann wäre das Tor tagsüber wohl verrammelt oder wenigstens bewacht. Außerdem sind die Biester nomadisch. Ich glaube nicht, dass sie die Vorzüge einer schützenden Burg zu schätzen wüssten. Nicht unwahrscheinlich jedoch, dass sie die Festung erobert hatten. Ich denke mal, sie sind schon weitergezogen.«
»Glaubt Ihr, wir finden hier noch Hinweise?«, wollte Nikko wissen, der noch immer große Angst hatte, dass gleich eine Horde wilder Orks über sie herfallen würde.
»Nein«, antwortete der Adlige hart. »Aber wir müssen es trotzdem versuchen.«
Langsam schritt Danuwil mit gezogenem Langschwert in der rechten Hand durch den Torbogen und deutete Nikko mit der anderen, zunächst noch zurückzubleiben. Erst als er im Burghof stand, winkte er den Jungen zu sich.
»Trockenes Blut«, sprach der Adlige resigniert. »Überall. Seht Ihr es?«
»Ja«, erwiderte Nikko mit Ekel. »Wo sind denn nur die ganzen Leichen? Es muss doch viele Tote gegeben haben, oder?«
»Wovon, glaubt Ihr, ernähren sich Orks?«, lachte Danuwil zynisch, und Nikko verstand.
Der Burghof bot ein wahres Bild der Verwüstung. Zwar erweckte die Burg an sich den Eindruck, schon lange eine Ruine gewesen zu sein, im Innern jedoch befanden sich zerschlagenes Holz, zertrümmerte Krüge und zerfetzte Stoffe. Und getrocknetes Blut, überall Blutflecken.
»Die Expedition war hier«, meinte Danuwil als er einige Trümmer genauer untersuchte. »Seht Ihr, auf einigen Fetzen kann man noch das Wappen von Hocatin oder das Emblem der Gilde erkennen.«
Nikko fiel dies auch auf. Ansonsten aber fanden sich in den Trümmern weder weitere Hinweise noch brauchbare Gegenstände. Die verfluchten Orks hatten alles zerstört und gründlich geplündert.
»Wir sollten besser verschwinden«, mahnte Nikko. »Die ganze Burg zu durchsuchen dauert bestimmt Stunden oder Tage. Ich wäre vor der Dunkelheit gern wieder jenseits des Flusses.«
»Ich verstehe Euch«, antwortete Danuwil sanft. »Aber die Burg ist wahrscheinlich sicherer. Ich glaube kaum, dass die Orks hierher zurückkehren. Es sei denn, sie wittern uns.«
»Ihr wollt hier übernachten?«, regte sich Nikko lautstark auf. »Warum? Wenn wir uns beeilen, können wir noch heute über den Fluss kommen.«
»Der Wind hat gedreht, Nikko«, belehrte der Adlige den Jungen. »Wir haben jetzt Nordwind. Wenn wir nach Südwesten gehen, kann es schlecht für uns ausgehen.«
»Wo sollen wir denn hingehen?«, jammerte Nikko.
»Am besten immer gegen den Wind«, antwortete Danuwil. »Aber hier in den Mauern wären wir wohl am sichersten.«
»Ich will aber nicht in dieser blutverschmierten Burg bleiben«, trotzte Nikko.
»Gut«, seufzte Danuwil. »Lasst uns wenigstens erst einmal auf den Turm steigen, so hoch wie wir überhaupt noch kommen. Von dort oben haben wir bestimmt einen besseren Überblick.«
Dem hatte Nikko nichts entgegenzusetzen, auch wenn er lieber sofort aufgebrochen wäre. Dennoch war auch er neugierig genug, einen Blick auf die ganze Ebene werfen zu wollen.
Was würde wohl im Osten dieses seltsamen Landes liegen, fragte sich Nikko, während die beiden die bröckelige Treppe des verfallenen Turms hinaufstiegen. Gäbe es hier wohl Dörfer oder sogar Städte, die den Orks tapfer trotzten? Vielleicht aber gäbe es ja sogar Orkstädte.
Als die beiden oben auf dem instabil wirkenden Burgfried angekommen waren, konnten sie sich zunächst einen besseren Überblick über die gesamte Burg verschaffen. Das Torhaus war als einziges Gebäude noch halbwegs intakt – wie auch die Mauern. Das Haupthaus und die Nebengebäude hingegen erschienen weitgehend verfallen. Die Nordhälfte des runden Turms, auf dem sie nun standen, war bereits zusammengefallen, und der Rest machte einen brüchigen Eindruck. Jedoch erlaubte der verbliebene Teil der obersten Plattform einen guten Blick in alle Richtungen.
Im Osten hatten sich die Wolken weiter zusammengezogen. Es war dort grau, und die Luft war diesig. Zu Nikkos Enttäuschung konnte man so nicht weit in diese Ferne blicken. Alles, was zu erkennen war, schien eine unendliche Weite, in der das fahle Grün der Ebene mit dem trüben Grau des wolkenverhangenen Himmels zu einem unheilvollen Einerlei verschmolz.
»Verflucht sei dieses Wetter!«, meckerte Danuwil lautstark. »Wenn ich nur wüsste, ob Teile der Expedition weiter nach Osten gezogen sind. Aber bei solch diesiger Luft lässt sich nichts erahnen und viel weniger noch erkennen.«
»Was hat diese Expedition eigentlich gesucht?«, wollte Nikko wissen.
»Erz natürlich«, erwiderte der Adlige nüchtern. »Was denn sonst?«
Danuwils Fernrohr spähte nun vom Norden über den Westen in den Süden, woraufhin er nur mit dem Kopf schüttelte.
»Schaut Euch das an, Nikko«, seufzte er schließlich und gab dem Jungen das Fernrohr. »Da, im Süden. Seht Ihr es?«
Viel mehr als schwarze Punkte konnte der Junge nicht erkennen. Viele schwarze Punkte, fast einem Ameisenhaufen gleich, und Rauch. »Was ist das?«, fragte er schließlich.
»Nur ein Orkheer«, meinte der Adlige mit triefendem Sarkasmus. »Keine Sorge, genug für uns beide.«
»Wie viele das wohl sind«, murmelte der Junge. »Na ja, der Weg nach Südwesten fällt dann wohl weg, oder?«
»In der Tat«, antwortete Danuwil. »Wisst Ihr eigentlich, wie viel Glück wir gestern wohl hatten? Die Wargreiter, ich denke das waren Späher dieses Heers.«
Nikko verstand, wie knapp sie in jener Nacht dem Tode entronnen sein mussten. Aber wundern konnte er sich darüber nicht mehr. Wie oft doch war er in den letzten Wochen dem Tod schon von der Schippe gesprungen, gerade hier in Hymal.
Danuwil hatte das Fernrohr wieder an sich genommen und inspizierte nun die Straße nach Nordwesten genauer.
»Was ist denn das?«, bemerkte er plötzlich mit großem Interesse. »Nikko, schaut Euch das einmal an.«
Nachdem der Junge das Rohr an sich genommen und die fragliche Stelle anvisiert hatte, konnte er eine kleine Gruppe von Orks erkennen, die sich auf der Straße in Richtung Nordwesten bewegte. Verflucht, jetzt ist auch diese Richtung noch blockiert!
»Neun Orks«, meinte er schließlich entgeistert. »Kein Heer, aber trotzdem ärgerlich, dass auch dieser Weg versperrt ist.«
»Schaut genau hin!«, erwiderte der Adlige aufgeregt. »Sechs Orks und drei Gefangene. Zückt schon mal Euren Zauberstab, Meister Nikko. Die schnappen wir uns!«
Bevor der Junge noch etwas sagen konnte, rannte der Edelmann bereits die Treppe hinunter den Burgfried hinab. Nikko blieb so nichts anderes übrig, als dem stürmischen Adligen zu folgen.
Erst nachdem Danuwil die Zugbrücke passiert hatte, wechselte er vom schnellen Lauf in einen zügigen Gang. Der atemlose Junge hatte dennoch große Schwierigkeiten, mit dem plötzlich so ausdauernden Adligen Schritt zu halten.
»Los, Nikko!«, spornte Danuwil ihn an, als dieser bemerkte, dass der junge Zauberer zurückgefallen war. »Wir müssen die verfluchten Orks fassen, bevor sie in irgendeinem Loch verschwinden.«
Nikko wollte schon protestieren. Nicht nur wegen des hohen Tempos, sondern ihm kam auch die Idee, den Orktrupp zu stellen, viel zu gefährlich vor. Dann jedoch besann er sich der hilflosen Gefangenen. Sicherlich würden die Orks sie töten und wahrscheinlich sogar verspeisen. Danuwil und er waren wohl ihre einzige Hoffnung auf ein Überleben, versuchte er das verwegene Vorhaben zu rechtfertigen.
Nach kurzem Weg erreichten die beiden eine Stelle, an der von der Straße nach Nordwesten ein Pfad nach Norden abzweig