Inhalt
Vorwort
1 Wer braucht Sprachförderung?
1.1 Spracherwerb und Auffälligkeiten
1.2 Erkennen von Auffälligkeiten
1.3 Klassifikation der Auffälligkeiten
2 Welche Barrieren ergeben sich in der Schule?
3 Welche Kooperationen und Hilfestellungen gibt es?
3.1 Kooperation und Vernetzung
3.2 Zusammenarbeit mit den Eltern
3.3 Sonderpädagogische Angebote
3.4 Unterricht
3.5 Nachteilsausgleich und Notenschutz
3.6 Sprachtherapie/Logopädie
3.7 Angebote bei Migrationshintergrund
4 Wie lässt sich gemeinsamer Unterricht optimieren? Grundlagen und Kleintechniken
4.1 Rahmenbedingungen optimieren
4.2 Unterrichtsprinzipien
4.3 Unterrichts-Kleintechniken
4.4 Lehrersprache
4.5 Sozialformen
5 Wie lässt sich gemeinsamer Unterricht optimieren? Zentrale Bausteine
5.1 Aussprache fördern
5.2 Wortschatz fördern
5.3 Grammatik fördern
5.4 Kommunikation fördern
5.5 Redefluss fördern
5.6 Stimme fördern
6 Praxismaterialien
6.1 Bilderbücher
6.2 Spiele
6.3 Neue Medien
6.4 Weitere Materialien
Literatur
Sachregister
Bildnachweis
Dr. Karin Reber ist Beratungsrektorin im Förderschuldienst (Sprachheilpädagogik, Informatik) und akademische Sprachtherapeutin (Sprachheilpädagogin M. A.) in München.
Prof. Dr. Wilma Schönauer-Schneider lehrt Sprachbehindertenpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.
Im Ernst Reinhardt Verlag ebenfalls erschienen:
Petra Breuer-Küppers / Rüdiger Bach:
Schüler mit Lernbeeinträchtigung im inklusiven Unterricht. Praxistipps für Lehrkräfte (2016, ISBN: 978-3-497-02636-4)
Petra Breuer-Küppers / Anna-Maria Hintz:
Schüler mit herausforderndem Verhalten im inklusiven Unterricht. Praxistipps für Lehrkräfte (2018, ISBN: 978-3-497-02815-3)
Markus Lang /Michael Thiele:
Schüler mit Sehbehinderung und Blindheit im inklusiven Unterricht. Praxistipps für Lehrkräfte (2., aktual. Aufl. 2020, ISBN: 978-3-497-02927-3)
Reinhard Markowetz:
Schüler mit Autismus-Spektrum-Störung im inklusiven Unterricht. Praxistipps für Lehrkräfte (2020, ISBN: 978-3-497-02944-0)
Claudia Omonsky:
Schüler mit schwerer und mehrfacher Behinderung im inklusiven Unterricht. Praxistipps für Lehrkräfte (2017, ISBN: 978-3-497-02679-1)
Karin Terfloth / Henrike Cesak:
Schüler mit geistiger Behinderung im inklusiven Unterricht. Praxistipps für Lehrkräfte (2016, ISBN: 978-3-497-02635-7)
Tilly Truckenbrodt / Annette Leonhardt:
Schüler mit Hörschädigung im inklusiven Unterricht. Praxistipps für Lehrkräfte (3., überarb. Aufl. 2020; ISBN: 978-3-497-02939-6)
Hinweis
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-497-03009-5 (Print)
ISBN 978-3-497-61413-4 (PDF)
ISBN 978-3-497-61414-1 (EPUB)
2., aktualisierte Auflage
© 2020 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München
Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Printed in EU
Cover unter Verwendung eines Fotos von © iStock.com/filadendron
Satz: Rist Satz & Druck GmbH, 85304 Ilmmünster
Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München
Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de
Vorwort
Dieses Buch richtet sich an Lehrkräfte, die Kinder mit sprachlichen Auffälligkeiten inklusiv unterrichten. Die beschriebenen Sprachfördermaßnahmen sind für alle Kinder sinnvoll, die sprachlich auffällig sind, d. h. für Kinder mit Sprachbehinderungen, aber auch für mehrsprachige Kinder oder Kinder aus sprachfernem Milieu. Schwerpunkt ist eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis.
Für eine effektive Sprachförderung ist es wichtig, die betroffenen Kinder mit ihren jeweiligen Fähigkeiten und Barrieren zu erkennen (Kap. 1 und 2) und Unterstützungsangebote zu koordinieren (Kap. 3). Schwerpunkt sind anschließend die zentralsten Aspekte sprachlicher Förderung im gemeinsamen Unterricht. Neben grundlegenden Techniken (Kap. 4) werden zentrale Fördermaßnahmen v. a. in den Bereichen Aussprache, Wortschatz und Grammatik mit zahlreichen praktischen Ideen und Beispielen verdeutlicht (Kap. 5 und 6) sowie durch Downloads ergänzt.
Zur besseren Lesbarkeit werden personenbezogene Bezeichnungen in männlicher Form verwendet, meinen aber in gleicher Weise beide Geschlechter.
Zur Orientierung werden folgende Symbole verwendet:
Mögliche Besonderheiten | |
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Online-Zusatzmaterial | |
Empfehlungen | |
Weiterführende Informationen |
Das Online-Zusatzmaterial können Sie auf der Homepage des Ernst Reinhardt Verlages bei der Darstellung dieses Titels herunterladen: www.reinhardt-verlag.de
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Wer braucht Sprachförderung?
Immer häufiger zeigen Kinder im Grundschulalter eingeschränkte sprachliche Fähigkeiten, die zu Barrieren im Schulalltag führen. Hierzu gehören Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen, Kinder mit umgebungsbedingten Sprachauffälligkeiten, Flüchtlingskinder sowie u. a. Kinder mit Stottern, Stimmstörungen oder Mutismus. In diesem Kapitel werden deshalb diese Gruppen mit ihren jeweiligen Auffälligkeiten auf den einzelnen Sprachebenen sowie Möglichkeiten der Diagnostik im Unterricht (v. a. Beobachtungen) genauer beschrieben.
1.1 Spracherwerb und Auffälligkeiten
Spracherwerb
Normalerweise erwerben Kinder die Grundzüge einer oder mehrerer Sprachen in den ersten vier Lebensjahren. Der Spracherwerb ist dabei ein Wechselspiel von angeborenen Fähigkeiten und einem informativen Angebot von gesprochener, interaktiver Kommunikation (d. h. nicht Fernseher), gegebenenfalls in mehreren Sprachen.
eingeschränkte sprachliche Fähigkeiten
Schuleingangsuntersuchungen zeigen, dass Kinder im Vorschul- und Grundschulalter immer häufiger eingeschränkte sprachliche Fähigkeiten aufweisen (oftmals zwischen 25–40 %), die zu erheblichen Barrieren im Schulalltag führen (z. B. Region Hannover 2014).
Beispiele
Abbildung 1 zeigt die häufigsten sprachlichen Auffälligkeiten in den Bereichen Aussprache, Wortschatz, Grammatik und Kommunikation, jeweils mit Produktion und Sprachverstehen.
1.2 Erkennen von Auffälligkeiten
Mögliche Förderbereiche lassen sich mithilfe folgender diagnostischer Leitfragen erkennen (Kopiervorlage/Download „Diagnostische Leitfragen im Bereich Sprache“):
Aussprache
■Spricht das Kind verständlich?
■Bildet das Kind einzelne Laute falsch (z. B. „s“ falsch gebildet) oder ersetzt diese (z. B. „t“ statt „k“)?
■Kann das Kind Laute unterscheiden?
Wortschatz
■Kann das Kind Dinge oder Handlungen spezifisch (z. B. nicht „tun“ für „basteln“) und schnell benennen?
■Fragt das Kind bei unbekannten Wörtern nach?
■Kann sich das Kind neue Begriffe merken?
Grammatik
■Kann das Kind einfache Hauptsätze mit richtiger Verbstellung und Konjugation bilden?
■Kann das Kind Kasus (z. B. Akkusativ), Plural, Partizipien (z. B. „gegessen“) etc. richtig bilden?
■Kann das Kind Nebensätze richtig bilden?
Sprachverstehen
■Versteht das Kind Begriffe differenziert?
■Versteht das Kind Anweisungen richtig?
■Reagiert das Kind angemessen auf Fragen?
Kommunikation
■Kann das Kind angemessen fragen, bitten, begrüßen, sich entschuldigen …?
■Kann das Kind einfache Geschichten verständlich erzählen (roter Faden, Geschichtenkomponenten)?
Weitere Bereiche (Kap. 1.3)
■Spricht das Kind mit klarer Stimme? (Stimmstörung)
■Spricht das Kind flüssig? (Redeflussstörung)
■Spricht das Kind in angemessener Weise mit allen Personen? (Mutismus)
Für einen Überblick über die sprachlichen Fähigkeiten einer Klasse kann auch das Kompetenzprofil 1 von Reber/Schönauer-Schneider 2018 b verwendet werden (Tab. 1). Hier sind sprachliche Kompetenzen formuliert. Die Lehrkraft kann somit erkannte Stärken mit „+“, Schwächen mit „–“ bzw. Unsicherheiten mit „U“ oder „?“ markieren. Auf diese Weise erhält man einen guten Überblick über den Sprachstand der Klasse. Vertiefende, weitere Profile existieren zusätzlich zu den einzelnen Sprachebenen als Online-Zusatzmaterial (Kopiervorlage/Download „Kompetenzprofile Sprache“). |
Unterrichtsbeobachtung
Im inklusiven Setting ist es für eine gezielte Förderung nötig, den Sprachstand der Schüler möglichst differenziert auf den einzelnen Sprachebenen zu erfassen. Dazu beobachtet der Lehrer Schüler, für die die Leitfragen zutreffen, zunächst auf einer Sprachebene genauer, dann auf der nächsten usw.
mögliche Unterrichtssituationen
Als diagnostische Unterrichtsphasen eignen sich Phasen, die zum spontanen Sprechen einladen, z. B. im Morgenkreis, während der Freiarbeit oder im Klassengespräch (Reber/Schönauer-Schneider 2015):
■Aussprache: Bilder, die gehäuft schwierige Laute (z. B. „sch“, „s“, „r“, „k“) und Lautverbindungen enthalten (z. B. Wimmelbilder, ausgewählte Bildkarten bzw. Realgegenstände); Buchstabeneinführungen; Zählen und Farben benennen lassen (viele schwierige Lautverbindungen, z. B. zwei, drei, sechs)
■Wortschatz: Wortschatz (z. B. Nomen, Verben, Adjektive) benennen oder aufschreiben lassen (z. B. mit Wimmelbildern, Bildkarten, Realgegenständen, z. B. aus dem Sachunterricht; Fragen: Was ist das? Was ist das alles zusammen? („Obst“) Was macht der? Wie ist das?); Rätsel stellen; Gegenteile benennen lassen; Pantomime erraten (z. B. Bewegungsverben wie „humpeln“); Mindmap erstellen („Was fällt dir alles zu ,Igel‘ ein?“, Kap. 5.2)
■Grammatik: Fragen nach bestimmten Strukturen anhand von Geschichten (z. B. Erlebnisse, Bildergeschichten, Wimmelbilder), Fragen z. B. Wen? – Akkusativ; Wem? – Dativ; Warum? – Nebensatz mit weil; Schreiben zu Bildern mit Satzstartern (Der Junge nimmt _______ – Akkusativ); Analyse von freien Schreibprodukten
■Sprachverstehen: Befolgen von Anweisungen (z. B. zu Gegenständen aus dem Federmäppchen: „Bevor du den Radiergummi nimmst, klatsche in die Hände.“, „Lege den Bleistift zwischen das Federmäppchen und den Radiergummi.“); Malen nach Anweisung; Fragen zu Inhalten und Texten; Vorgabe von nicht verständlichen Anweisungen, um mögliches Nachfrageverhalten zu überprüfen (z. B. zu leise gesprochene Sätze, Sätze mit unbekannten Wörtern/Nichtwörtern wie „Jana sitzt in der Botanik/im Fautel.“)
1.3 Klassifikation der Auffälligkeiten
Häufige Störungen: häufig inklusive Sprachförderung nötig
Seltenere Störungen: seltener inklusive Sprachförderung nötig
Normale Spracherwerbsprozesse: häufig inklusive Sprachförderung nötig
Für eine differenziertere Förderplanung ist es oftmals hilfreich, die sprachlichen Auffälligkeiten im Rahmen des jeweiligen Störungsbildes zu sehen (Abb. 2). Unterschiedliche Störungsbilder können hier ähnliche Fördermaßnahmen erfordern, z. B. Wortschatzförderung bei Kindern mit umschriebenen Sprachentwicklungsstörungen und umgebungsbedingten Sprachauffälligkeiten. Daneben kann auch für Kinder mit Redefluss-/Stimmstörungen, Lern-/Hörbeeinträchtigungen oder bei Mehrsprachigkeit sprachliche Unterstützung im inklusiven Unterricht erforderlich sein.
Im Folgenden sind die in inklusiven Kontexten besonders häufigen Störungsbilder näher erläutert. Seltenere Störungsbilder wie Schluckstörungen, zentrale Sprech- und Sprachstörungen oder Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sind beschrieben bei Mußmann 2012 b, Lüdtke/Stitzinger 2017 oder Grohnfeldt 2014.
Kinder mit umgebungsbedingten Sprachauffälligkeiten
ungünstige Bedingungen
Die Sprachentwicklung kann durch ungünstige Umgebungsbedingungen negativ beeinflusst werden (de Langen-Müller et al. 2011), u. a.:
■durch Anregungsarmut (wenig Vorlesen, Bilderbuchbetrachten oder sprachliche Kommunikation),
■durch unzureichende Sprachvorbilder (keine aktive Kommunikation, eher Fernsehen und Computer) oder
■durch fehlende Quantität und Qualität von sprachlichem (deutschen) Input (v. a. bei Mehrsprachigkeit).
Ferner beherrschen Kinder aus sprach- und schriftfernem Milieu oder mit geringerem so zio-ökonomischen Status sowie Flüchtlingskinder häufig die Umgebungssprache zu wenig, vor allem in den Bereichen Wortschatz, Grammatik und Kommunikation mit qualitativ ähnlichen Symptomen wie Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen. Normalerweise benötigen sie keine Sprachtherapie, jedoch einen sprachlich optimierten Unterricht.
Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen
umschriebene Sprachentwicklungsstörungen (USES)
Im Vorschulalter zeigen ca. 6–8 % aller Kinder umschriebene Sprachentwicklungsstörungen (USES), bei denen vorrangig die Sprache (Aussprache, Wortschatz, Grammatik und Kommunikation) betroffen ist und keine anderen Primärbeeinträchtigungen vorhanden sind (z. B. keine organischen, mentalen oder sozio-emotionalen Beeinträchtigungen) (u. a. de Langen-Müller et al. 2011). Man geht bei den Ursachen von einem multifaktoriellen Bedingungsgefüge mit v. a. genetischen Faktoren und einer unzureichenden Verarbeitung und Repräsentation von Sprache aus. Das Umfeld beeinflusst nur moderierend die Ausprägung bzw. Aufrechterhaltung von Störungen. Es werden vorrangig expressive (Sprachproduktion) bzw. vorrangig rezeptive (Sprachverständnis) Sprachstörungen unterschieden. Dabei haben Sprachverständnisstörungen ein höheres Risiko für Schul- und Lernprobleme und werden oftmals nicht oder spät erkannt (u. a. de Langen-Müller et al. 2011).
Sprachentwicklungsstörungen bei weiteren Störungen
Sprachentwicklungsstörungen mit vergleichbaren Symptomen treten häufig auch bei Kindern auf, die Beeinträchtigungen im Hören, im Lernen, in den kognitiven Fähigkeiten oder im sozio-emotionalen Bereich haben. Die Ursachen liegen hier jedoch jeweils in der zugrunde liegenden Beeinträchtigung.
Stimmstörungen
Rauigkeit, Heiserkeit, Behauchtheit
Die Stimme ist das zentrale Medium, um sich sprachlich zu äußern. Bei einer Stimmstörung klingt die Stimme über einen langen Zeitraum rau, heiser und/oder behaucht. Die stimmliche Belastbarkeit und der Klang sind eingeschränkt. Kinder mit Stimmstörungen drücken sich hauptsächlich über die Lautstärke aus und weniger über Gestik, Mimik, Körperhaltung und sprachliches Argumentieren (Beushausen 2016Achhammer 2016