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Jan Andersen

Vignetten von

Cathy Ionescu

Für Lotta, Abby, Spot, Carlos und Akira

Für die Unterstützung bei der Arbeit danke ich dem

Tourismusverband Großarltal. www.grossarltal.info

Weitere Titel in dieser Reihe:

Dusty – Freunde fürs Leben

Dusty in Gefahr

Es ist heiß im Auto. Und stickig! Er hechelt schon die ganze Zeit. Und steht auf und dreht sich im Kreis und legt sich wieder hin. Aber da ist der Koffer mit seinen harten Kanten, und auf der anderen Seite eine große Tasche, dazwischen ist kaum Platz für ihn. Außerdem macht es keinen Spaß, immer nur nach hinten rauszugucken. Bestimmt wäre es vorne besser, zwischen Paul und Karlotta. Und normalerweise würde er jetzt auch einfach über die Lehne der Rückbank springen! Aber da haben sie ein Netz gespannt, als wollten sie nicht, dass er zu ihnen kommt.

Eigentlich ist er ein bisschen beleidigt. Erst rennen sie stundenlang durchs Haus und schleppen alles mögliche Zeug zum Auto, ohne ihn auch nur zu beachten, obwohl er sich genau vor die Tür legt. Und dann erklärt ihm Paul irgendwas, was er nicht genau versteht. Und Karlotta pikst ihn mit dem Finger in die Seite und sagt: »Es wird ganz toll, glaub mir!« Aber als es endlich so weit ist und er mit raus darf, sperren sie ihn hinten zu dem Koffer!

Er hat keine Ahnung, wie lange sie jetzt schon unterwegs sind. Genauso wenig wie er weiß, wo sie überhaupt hinwollen. Und er hat auch keine Lust mehr, schon wieder zu schlafen. Viel lieber würde er mit Paul durch den Wald laufen und irgendwas erleben. Neulich haben sie einen Igel gesehen, der wie eine stachelige Kugel direkt vor ihnen auf dem Weg lag. Erst wollte er ihn mit der Schnauze anstupsen, aber Paul hat ihn festgehalten. Sie haben ganz still dagestanden und gewartet. Bis der Igel plötzlich losgerannt ist! Und dann haben sie lange im Laub und unter den alten Ästen gesucht, aber der Igel war verschwunden. Bestimmt gibt es da irgendwo ein Loch. Oder eine Höhle. Unter dem umgestürzten Baum vielleicht, wo die Wurzeln wie dicke Arme aus dem Sandboden ragen. Und er weiß auch schon, was er beim nächsten Mal machen wird!

Er wird sich so lange vor den Baum legen, bis der Igel rauskommt. Und dann muss er nur schnell genug sein und ihn mit der Schnauze umdrehen, bevor der Igel sich wieder zusammenrollen kann. Aber wenn er es schafft und den Igel auf den Rücken rollt, kann er sich bestimmt in aller Ruhe die Beine ansehen, die da ja irgendwo sein müssen und die ihn sehr interessieren.

So schnell wie der Igel neulich weggerannt ist, müssen es ja ziemlich lange Beine sein, denkt er noch, als er hört, wie Paul seinen Namen ruft.

Mist, jetzt war er tatsächlich wieder eingeschlafen! Und hat ganz vergessen, wo er eigentlich ist. Prompt stößt er sich den Kopf an der Kofferkante, aber dann springt er auf und presst die Nase in das Netz über der Lehne.

»Wir machen eine Pause«, erklärt ihm Paul.

»Wir müssen nämlich mal«, sagt Karlotta und kichert.

Sie biegen gerade von der Autobahn ab. Auf einen großen Parkplatz, auf dem viele andere Autos stehen.

Als Paul ausgestiegen ist und die Klappe hinten aufmacht, bläst ihm der Wind einen unangenehmen Geruch direkt in die Nase. Nach Benzin und Auspuffqualm. Aber wenigstens wird es ein bisschen kühler. Und als er auf den Boden springt, riecht er so viele verschiedene Sachen auf einmal, dass er es kaum abwarten kann, bis Paul ihm die Leine angelegt hat.

Aufgeregt zieht er Paul zu der matschigen Wiese hinüber.

»Ich gehe eine Runde mit Dusty!«, ruft Paul den anderen zu, die sich nur noch schnell ihre Jacken überziehen, bevor sie zu der Tankstelle laufen.

Dann ist er mit Paul alleine auf der Wiese. Nein, stimmt nicht ganz, da drüben ist noch ein anderer Hund. Ein großer schwarzer Hund mit struppigem Fell, der gerade etwas zu fressen gefunden hat. Unter der Bank, die da steht. Und bestimmt ist da noch mehr! Aber jetzt hat der große Struppige ihn auch gesehen und fängt an zu bellen. Es klingt nicht sehr freundlich, das scheint auch Paul zu finden. Weshalb sie lieber einen großen Bogen um die Bank machen. Aber obwohl Paul an der Leine zerrt, schafft er es wenigstens noch, schnell an den Laternenpfahl zu pinkeln. Damit der Struppige auch weiß, dass er da war!

Erst als sie ein ganzes Stück entfernt sind, macht Paul die Leine ab. »Los, Dusty, lauf ein bisschen!«, ruft er und wirft einen Stock für ihn.

Paul kann ziemlich gut werfen, und der Stock fliegt fast bis zu dem Zaun, an dem die Wiese zu Ende ist.

Er läuft los und bringt den Stock zurück.

Paul wirft wieder. Er rennt wieder. Das machen sie ein paarmal, bis es ihnen beiden langweilig wird. Außerdem nervt das Gedröhne von der Autobahn. Es ist so laut, dass es in den Ohren fast wehtut. Und er ist ganz froh, als Paul jetzt mit der Leine winkt und zurück zum Auto will.

Aber plötzlich entdeckt er eine Spur, genau vor sich, auf dem Weg, der zum Parkplatz führt. Und den Geruch kennt er ganz genau, auch wenn er nicht gleich weiß, zu wem er gehört. Er hebt den Kopf und zieht prüfend die Luft durch die Nase.

»Was ist?«, ruft Paul. »Jetzt komm schon her, ich muss dich wieder an die Leine nehmen, sonst kriegen wir Ärger! Dusty! Hörst du nicht?«

Natürlich hört Dusty, aber er hat keine Zeit, um zu ihm zu laufen. Erst muss er wissen, ob er sich irrt oder ob das wirklich …

Mit dem nächsten Windstoß riecht er es ganz deutlich. Und dann sieht er auch das Auto! Das sind sie!

Er bellt und wedelt mit dem Schwanz.

Aber sie sehen ihn nicht. Jetzt machen sie die Türen zu und fahren los.

Er fängt an zu rennen. Erst noch ein bisschen zögernd, aber als das Auto schneller wird, spannt er alle Muskeln an und jagt hinterher. Dicht an Paul vorbei, der irgendwas brüllt und mit den Armen fuchtelt, quer über den Parkplatz, zwischen zwei Lastwagen hindurch und weiter. Und da ist das Auto wieder! Aber er schafft es nicht mehr. Im letzten Moment kann er einem Motorrad ausweichen, das plötzlich von der Seite kommt, und er hört Leute rufen, aber er gibt erst auf, als er schon fast auf der Autobahn ist und weiß, dass es jetzt zu gefährlich wird.

Hechelnd lässt er sich dicht neben der Leitplanke auf den Boden fallen und bleibt einfach liegen, bis Paul angerannt kommt und mit ihm schimpft. Und sich dann zu ihm beugt und ihn streichelt und immer wieder fragt: »Mann, Dusty, spinnst du? Du kannst doch nicht einfach auf die Autobahn rennen! Was war denn los? Was hast du gesehen?«

Aber er kann ja nicht antworten. Er kann Paul nicht erzählen, dass er das Auto erkannt hat. Und dass ihm plötzlich alles wieder eingefallen ist, was er schon fast vergessen hatte. Sie waren es! Aber sie haben ihn nicht gesehen und jetzt sind sie wieder weg. Und vielleicht findet er sie nie wieder …

1. Kapitel

Als sie endlich alle wieder im Auto sitzen, ist die Stimmung so ziemlich auf dem Nullpunkt.

Karlotta hat den Kopf gegen das Fenster gedrückt und weint.

»Fast wäre Dusty überfahren worden«, schluchzt sie. »Und dann hätten wir keinen Hund mehr gehabt und alles wäre ganz doof gewesen. Und überhaupt: Ich will auch gar nicht mehr in den Urlaub fahren! Vielleicht haut Dusty ja noch mal ab und … und wir finden ihn nie wieder!«

»Jetzt hör aber mal wieder auf«, sagt Pauls Vater genervt vom Beifahrersitz. »Es ist ja noch mal alles gut gegangen. Obwohl ich wirklich nicht verstehe, was mit dem Hund plötzlich los war. So was hat er doch noch nie gemacht!«

»Wenn das noch mal passiert, dann kommt Dusty in die Hundeschule«, erklärt Pauls Mutter, während sie einen Lastwagen überholt. »Und wenn wir in unserem Ferienort sind, dann lässt du ihn nicht von der Leine, hörst du, Paul?«

»Schon klar«, sagt Paul und schiebt seine Hand an dem Netz vorbei nach hinten, um Dusty zu streicheln. Aber Dusty kommt nicht wie sonst, um seine Finger abzulecken, sondern presst die Schnauze gegen die Scheibe und zittert immer noch am ganzen Körper. Irgendwas stimmt nicht mit ihm, denkt Paul. »Wenn du doch nur reden könntest«, sagt er leise. »Dann könntest du uns erzählen, was los war …«

Es dauert lange, bis Dusty sich endlich wieder hinlegt. Aber Paul sieht, dass er immer noch die Ohren gespitzt hat. Und er winselt leise, als ob er sehr unglücklich wäre.

Es wird schon fast dunkel, als sie die ersten Berge sehen. Ganz oben auf den Gipfeln liegt noch Schnee, und als die Sonne untergeht, leuchten die Felswände so rot, als würden sie von einem riesigen Scheinwerfer angestrahlt.

»Schön«, flüstert Karlotta. »Und da klettern wir überall hoch? Gleich morgen?«

»Klar«, sagt ihr Vater, »wir klettern auf jeden Berg. Und wenn wir Glück haben, finden wir bestimmt ein paar Gämseneier!«

»Echt?«, fragt Karlotta. »Sind die groß?«

Peter schüttelt den Kopf. »Klein und schwarz«, erklärt er. »Ein bisschen wie runde Schokoladeneier.«

Paul muss fast laut lachen. Er weiß ja, dass Gämsen keine Eier legen. Sie sind schließlich Bergziegen und keine Vögel! Aber er sagt nichts. Karlotta wird schon noch früh genug merken, was Peter mit den kleinen schwarzen Schokoladeneiern meint.

Und plötzlich freut er sich doch wieder auf die Ferien, auch wenn er inzwischen so müde ist, dass er kaum noch die Augen offen halten kann. Erst als sie endlich in das Dorf kommen, wo sie die Ferienwohnung gemietet haben, beugt er sich wieder nach vorne. Die Häuser rechts und links von der Straße hocken wie dunkle Schatten im Licht der Straßenlampen, und hinter ein paar Fenstern flackern die Fernseher, aber sonst gibt es nicht viel zu sehen. Eine Kirche hinter einer hohen Mauer, einen Friedhof, der mit seinen Kreuzen irgendwie gespenstisch aussieht, eine Tankstelle, die geschlossen hat.

»Hast du gerade gepupst?«, flüstert Karlotta neben ihm.

»Quatsch«, sagt Paul. Aber er riecht es auch! Es stinkt. Und zwar ganz eindeutig nach Kuhmist. Gleich darauf sehen sie auch eine Weide, auf der Kühe am Zaun stehen und träge die Köpfe heben, als sie vorbeifahren.

»Genau so habe ich mir das vorgestellt«, freut sich Peter. »So muss ein echtes Alpendorf aussehen!«

»Und riechen!«, ergänzt Simone.

Paul ist sich nicht ganz sicher, ob seine Mutter sich auch freut. Wahrscheinlich würde sie es besser finden, wenn statt der Kühe ein paar schicke Klamottenläden da wären, denkt er noch, als sich plötzlich das Navi zu Wort meldet: »Sie haben Ihr Ziel erreicht.«

»Was?«, fragt Peter und blickt ratlos aus dem Fenster. Wo aber nur eine Scheune oder ein Stall zu sehen ist, und jedenfalls weit und breit kein Haus.

»Na wunderbar«, erklärt Simone und tritt auf die Bremse, »Ferienwohnung im Kuhstall!«

Jetzt ist Paul sich absolut sicher, dass seine Mutter am liebsten gleich wieder umkehren würde!

Karlotta fängt wieder an zu weinen. »Ich will aber nicht im Kuhstall wohnen«, schluchzt sie.

Im gleichen Moment fängt Dusty an zu bellen. Aus dem Dämmerlicht kommt ein Fahrrad auf sie zu. Ziemlich schnell. Und in Schlangenlinien! Die Lampe flackert ein bisschen.

»Ich frag am besten mal«, sagt Peter und steigt aus.

Dusty kratzt mit den Pfoten an der Scheibe und knurrt.

»Ganz ruhig«, sagt Paul. »Das ist nur jemand, der hier wohnt. Der tut uns nichts.«

Der Radfahrer hält genau neben ihrem Auto. Jetzt sieht Paul, dass ein Junge auf dem Sattel sitzt, der höchstens so alt ist wie er selber. Mit schwarzen Haaren, die wirr nach allen Seiten abstehen. Und mit einem schwarzen Kapuzenshirt mit dem Bild von irgendeiner Band. Eigentlich also alles ganz normal – wenn der Junge dazu nicht ausgerechnet eine speckig glänzende Lederhose anhätte! Eine kurze Lederhose, die ihm bis zu den Knien reicht. Unten aus der Lederhose gucken zwei nackte Beine, die in schlammbespritzten Gummistiefeln verschwinden. An dem einen Stiefel klebt ein dicker Dreckklumpen, der verdächtig nach einem Kuhfladen aussieht.

Paul lässt das Fenster ein Stück runter, um zu hören, was sein Vater mit dem Jungen redet.

»Entschuldigung, wir suchen die Spitzbergstraße …«

Der Junge nickt. Aber er sagt nichts. Er versucht nur, ins Auto zu blicken. Simone hebt die Hand und winkt. Paul winkt auch. Karlotta versteckt ihren Kopf hinter Pauls Schultern. Und Dusty knurrt leise.

»Spitzbergstraße?«, wiederholt Peter. Ungefähr so, als würde er mit jemandem reden, der nicht unbedingt der Hellste ist.

Der Junge nickt wieder. Dann steigt er ab und drückt Peter den Lenker in die Hand, damit er sein Rad hält. Und dann geht er einmal um ihr Auto herum, als hätte er noch nie zuvor einen alten verbeulten Passat gesehen. Schließlich bückt er sich zum Nummernschild.

»Berlin!«, ruft Peter. »Wir kommen aus Berlin. Und wir suchen die Spitzbergstraße.«

Der Junge richtet sich wieder auf. Und nickt noch mal, bevor er sagt: »Passt.«

»Was?«, fragt Peter.

»Passt«, wiederholt der Junge. »Aufi, packen wir’s!«

Er nimmt sein Rad und steigt auf. Ohne sich noch mal umzublicken, strampelt er los. Nach ein paar Metern biegt er auf einen Feldweg ab. Und dann ist nur noch sein Rücklicht zu sehen, das durch die Schlaglöcher hüpft.

»Keine Ahnung, was er gemeint hat«, erklärt Peter, während er wieder ins Auto steigt.

»Besonders viel hat er ja nicht gesagt«, stellt Simone fest. »Aber ich glaube, wir sollen hinter ihm herfahren.«

Sie lässt den Motor an und biegt ebenfalls auf den Feldweg ein. Als die Scheinwerfer den Jungen auf seinem Rad erfassen, sehen sie, wie er mit dem Arm winkt.

»Alles klar«, sagt Peter, »du hattest recht. Ich hoffe nur, dass er auch wirklich kapiert hat, wo wir hinwollen …«

Der Feldweg windet sich in ein paar engen Kurven den Berg hinauf, aber der Junge scheint das zu kennen, er tritt jetzt im Stehen, um mehr Kraft zu haben. Im ersten Gang zuckeln sie hinter ihm her. Rechts und links ragen hohe Bäume auf, aber es ist jetzt so dunkel, dass sie kaum die Stämme erkennen können. Und je weiter sie in den Wald kommen, umso unheimlicher wird es.

Karlotta hat wieder den Kopf an Pauls Schulter gedrückt, und Dusty knurrt jedes Mal, wenn draußen ein neuer Schatten vorbeiwischt. Von dem man unmöglich sagen kann, ob es nur ein Felsbrocken oder irgendein Holzstapel ist – oder vielleicht ein Tier! Ein riesiger Hirsch, ein Wildschwein, ein Bär …

Pauls Mutter muss gerade etwas Ähnliches gedacht haben, jedenfalls sagt sie: »Das kann unmöglich richtig sein. Bei der erstbesten Gelegenheit wende ich und fahre zurück zum Dorf.«

Aber der Weg ist zu schmal, um zu wenden. Und dann ist plötzlich das rote Rücklicht vor ihnen verschwunden! Einfach weg, als wäre es von der Dunkelheit verschluckt worden.

»Das gibt’s doch nicht«, sagt Peter. »Was ist denn jetzt los?«

Paul merkt, wie sein Herz hämmert. Vielleicht ist das Ganze eine Falle, denkt er. Der Junge auf dem Rad gehört zu irgendeiner Bande, die nachts Touristen auflauert und sie in den Wald lockt. Und jeden Moment kommen wahrscheinlich irgendwelche Typen zwischen den Bäumen hervorgesprungen, um sie auszurauben!

Hinter sich hört er Dusty hecheln. Und er ist froh, dass Dusty bei ihnen ist. Er weiß ja, dass der Hund alles tun würde, um seine Familie zu verteidigen. Und wenn er das Nackenfell aufstellt und die Zähne zeigt, sieht er fast aus wie ein Wolf. Mit ein bisschen Glück traut sich die Bande dann nicht an sie heran und sie kommen noch mal davon …

Der Passat kracht wieder durch ein Schlagloch. Und gleich darauf führt der Weg plötzlich steil nach unten, in eine Senke hinunter. Jetzt sehen sie auch das Rücklicht wieder! Aber da ist noch ein anderes Licht, das zwischen den Bäumen hindurchschimmert.

»Ich glaube, da vorne ist ein Haus«, sagt Peter und beugt sich so weit vor, dass er mit dem Kopf fast an die Windschutzscheibe stößt. »Das muss es sein. In der Email stand ja auch was davon, dass die Ferienwohnung schön ruhig gelegen sein soll.«

Seine Stimme klingt, als wollte er sich selbst Mut machen. Aber er hat sich nicht geirrt. Hinter der nächsten Kurve endet der Weg auf einer Wiese, auf der ein großes Bauernhaus steht. Und alle Fenster sind hell erleuchtet! Über der Tür hängt ein Schild:

FISCHBACHERHOF – FERIENWOHNUNGEN ZU VERMIETEN.

Der Junge mit der Lederhose lehnt gerade sein Fahrrad an die Hauswand und hält ihnen den hochgereckten Daumen hin.

Sie sind tatsächlich angekommen! Und dann erscheint auch schon eine dicke blonde Frau in der Tür und winkt ihnen fröhlich zu.

»Alles ist gut, Dusty«, sagt Paul leise. »Du kannst aufhören zu knurren. Die Bande hat sich verkrümelt, wir haben uns völlig umsonst Sorgen gemacht.«

»Was für eine Bande?«, fragt Karlotta ängstlich.

»Vergiss es«, sagt Paul. »Dusty und ich haben alles im Griff.«

Eine halbe Stunde später haben sie ihre Sachen aus dem Auto in die Ferienwohnung geschleppt. Und Paul blickt inzwischen auch so halbwegs durch, wer außer ihnen noch alles in dem Bauernhaus wohnt. Und wer zu wem gehört und warum der Junge auf dem Fahrrad vielleicht doch schlauer ist, als er erst dachte …

Sie sind im Moment die einzigen Gäste. Weil die Osterferien ja gerade erst angefangen haben. Deshalb haben sie auch die Wohnung mit dem großen Balkon bekommen, von dem man über die Bäume hinweg genau auf den Gipfel des Spitzbergs blicken kann. Natürlich nur am Tag und nicht, wenn sowieso alles dunkel ist. Und der Spitzberg ist der höchste Berg in der Umgebung, auf dem ganz oben sogar im Sommer noch Schnee liegt! Hat zumindest die dicke Frau behauptet, die Gertrud heißt und die Mutter von dem Jungen mit dem Fahrrad ist. Der Junge heißt Max. Eigentlich Maximilian Xaver Luis, aber weil das zu umständlich ist, nennen ihn alle nur Max. Und weil sie hier immer zuerst den Nachnamen sagen, ist er also der Fischbacher Max.

Max ist ein halbes Jahr jünger als Paul, aber trotzdem fast schon einen Kopf größer! Und später will er mal Bergsteiger werden. Im Sommer, und im Winter Skilehrer. Genauso wie sein Großvater früher! Der sogar mal ziemlich berühmt war, weil er ein paar Gipfel bestiegen hat, an die sich vorher noch kein anderer rangetraut hatte. Aber bevor Max es ihm nachmacht, muss er natürlich erst mit der Schule fertig sein, was ihn ziemlich nervt. Womit sie schon mal zu zweit sind, weil Paul sich auch was Spannenderes vorstellen könnte, als jeden Tag zur Schule zu latschen.

Außer dem Großvater und der Kuhherde gibt es einen fetten Kater, ein paar Hühner und einen Kaninchenstall. Weshalb Karlotta jetzt auch im Bett liegt und ohne Pause über Kaninchen redet! Obwohl sie längst schlafen sollen und Simone schon dreimal da war und das Licht wieder ausgemacht hat. Aber kaum dass sie aus dem Zimmer ist, knipst Karlotta die Lampe wieder an und redet weiter. Dass sie morgen früh unbedingt als Erstes zu den Kaninchen will, um rauszukriegen, ob sie genau so schlau sind wie die beiden Kaninchen bei ihnen zu Hause …

Als sie in ihre Ferienwohnung kamen, hat er auch nicht wie sonst alles abgeschnüffelt, sondern sich gleich genau vor die Tür gelegt, so dass sie jedes Mal über ihn hinwegsteigen mussten. Und sein Futter hat er auch nicht angerührt. Als hätte er die ganze Zeit auf irgendwas gewartet! Erst als sie ins Bett gegangen sind, ist er hinter Paul her und hat sich unter den Tisch gelegt …

»Klar«, antwortet Paul. »Die dicke Gertrud freut sich bestimmt, wenn ihre Kaninchen durchs ganze Haus hoppeln und die Möbel anfressen.«

Paul hört, wie sie sich zur Seite dreht. Gleich darauf atmet sie ganz tief und regelmäßig. Vorsichtig steigt er von seinem Bett nach unten und macht das Licht aus.

»Es wird alles gut«, flüstert Paul. »Ich bin ja bei dir.«

»Ich stell die Leiter an den Balkon und komme hochgeklettert, um dich zu holen«, hat Max gesagt. »Und dann verschwinden wir auf demselben Weg und ich zeig dir was, was du noch nie gesehen hast. Morgen früh um sechs, bevor die anderen wach sind. Aber der Hund darf nicht mit, den können wir nicht brauchen. Was ist? Bist du dabei?«

Jetzt ist er sich allerdings nicht mehr ganz sicher, ob das wirklich so eine gute Idee ist. Zumal er keine Ahnung hat, was Max ihm eigentlich zeigen will. Aber wenn er kneift, hält Max ihn vielleicht für feige! Und Max ist echt klasse! Sie haben sich auf Anhieb so gut verstanden, dass sie jetzt schon fast alte Freunde sind. Außerdem sind sie zum Frühstück ja sowieso wieder zurück, versucht Paul sich zu beruhigen. Das hat Max ihm fest versprochen.