Herbert Friedmann
Tina Zang
In der Falle
Kinderkrimi ab 9 Jahren
Mäuse sind harmlos, sollte man meinen. Doch als die kleinen Nager an allen Ecken und Enden des exklusiven Oxforder Shopping Centres auftauchen, sogar in der Tiefkühltruhe des Delikatessenladens, werden Rick und Jessica misstrauisch. Und tatsächlich sind Erpresser am Werk. Rick und Jessica beginnen zu ermitteln und begeben sich dabei in große Gefahr.
Über die Autoren
Herbert Friedmann ist seit 1977 freiberuflicher Schriftsteller und hat rund 100 Bücher für Kinder- und Jugendliche veröffentlicht. Daneben schreibt er für Kinder- und Jugendtheater, Zeitungen und verschiedene Rundfunksender.
Tina Zang hat sich einen Namen gemacht mit ihren pfiffigen Kinder- und Jugendbüchern. Am beliebtesten ist ihre Reihe „Der Karatehamster“
https://www.tinazang.net
Copyright © 2019 26|books, Auenwald
Christine Spindler
Bert-Brecht-Weg 13
71549 Auenwald
christine@26books.de
Cover: Christine Spindler
Covergrafik © logan81
ISBN: 978-3-945932-56-8
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten. Die Handlung und handelnden Personen, sowie deren Namen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden und/oder realen Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Verirrt in Oxford
Klein aber gefährlich
Lieferservice
Wo ein Fußballer ist, ist auch ein Weg
Der erste Verdacht
Schlaf gut, Mäuschen
Mauswürfel
Vom Regen in die Traufe
Hausverbot
Alles weg!
Überraschende Wendung
Jetzt wird's rattig
Gefangene der Angst
Ein huschender Schatten
Warum?
Meister Cedrick
Als ich aufwachte, hatte ich nicht den blassesten Schimmer, wo ich mich befand. Das ist für mich eigentlich nicht ungewöhnlich, denn ich habe einen völlig unterentwickelten Orientierungssinn und verirre mich ständig. Doch diesmal war es anders: Schlimm genug, dass ich mich in großen Gebäuden nicht zurechtfand oder mich auf Spaziergängen verlief, aber in meinem eigenen Zimmer sollte ich mich doch wohl auskennen. Das ging entschieden zu weit!
Ich lugte verstört unter der seltsam dünnen Bettdecke hervor. Die Morgensonne schien durch ein fleckiges Fenster, das weder Rollläden noch Gardinen hatte. An der Wand, wo eigentlich ein Kleiderschrank stehen sollte, stapelten sich vor einer vergilbten Tapete große Umzugskartons. Von meinen „FC Hansa Rostock“-Postern war weit und breit keine Spur.
Kein Zweifel, ich war von Aliens entführt worden, und zwar von reichlich schlampigen Aliens, die die Sichtluken ihres Raumschiffs nicht putzten und ihre Gefangenen auf knubbeligen Matratzen schlafen ließen. Dieses fiese Pack!
Ich zwinkerte mehrmals und rieb mir die Augen, um klarer zu sehen, aber der Raum blieb so, wie er war. Dann wachte mein Verstand, der meinem Körper immer etwas hinterherhinkt, langsam auf und murmelte verschlafen: „Du bist in England, Rick, weit weg von allem, was dir vertraut ist.“
Da dämmerte es mir langsam. Die Kartons waren Umzugskisten. Und das Zimmer mit dem verschmierten Fenster und der faden Tapete würde für das nächste Jahr meine Heimat sein. Mein Vater hatte eine Gastprofessur an der Universität von Oxford erhalten, deshalb waren wir nach Cowley gezogen, einem nicht besonders hippen Vorort von Oxford.
„Vorort von Oxford, Vorort von Oxford“, probierte ich schlaftrunken. Nein, das taugte nicht als Zungenbrecher. Meine Zunge verläuft sich im Gegensatz zu meinen Beinen nämlich nie und kann die kompliziertesten Texte rasend schnell abspulen. „Fischers Fritz fischt frische Fische“ ist für mich die leichteste Übung. Leider ist das zu gar nichts gut, außer man ist Rapper. Aber ich wollte ja Fußballer werden, und zwar der beste Torwart aller Zeiten.
Es war wirklich schade, dass mein Vater Geschichtsprofessor war und nicht Trainer einer Nationalmannschaft. Dann müsste ich nicht mit einem knubblig-schmierig-vergilbten Zimmer vorliebnehmen, sondern hätte jeden nur erdenklichen Luxus und obendrein einen Butler. Den könnte ich jetzt rufen. „James, bring mir bitte eine heiße Schokolade.“ Butler heißen nämlich meistens James.
Der Butler in seiner gestärkten Uniform würde sich tief verbeugen. „Wie Sie wünschen, Meister Cedrick.“ James würde in der geräumigen Küche des hochherrschaftlichen Hauses eine köstliche heiße Schokolade zubereiten.
Ich setzte mich im Bett auf und stellte mir vor, wie Butler James anschließend die ganzen Umzugskisten für mich auspackte. Ja, ein Butler wäre ganz entschieden ein großes Plus an Lebensqualität.
Doch das konnte ich mir abschminken, denn unser Haus war alles andere als hochherrschaftlich. Es war ein reichlich verwohntes Reihenhaus mit einem winzigen Vorgarten, also nicht der natürliche Lebensraum der Spezies Butler.
Am liebsten hätte ich mich wieder unter der Decke verkrochen, aber mein Magen knurrte. Als ich aus dem Bett sprang, hörte ich ein lautes Klirren. Einen Augenblick glaubte ich ernsthaft, ich hätte das silberne Tablett mit der heißen Schokolade umgeschmissen. Doch das hatte ich mir ja nur ausgedacht.
Das Klirren war aus der Küche gekommen. Das konnte nur mein Vater, der Prof, gewesen sein. Meine Mutter Sabrina macht so gut wie nie etwas kaputt. Sie ist Tierpsychologin und behandelt das Geschirr so behutsam wie ihre vierbeinigen Patienten.
Barfuß tapste ich in die Küche hinunter, wo der Prof gerade die Scherben einer Teetasse zusammenfegte. „Kalte Finger“, murmelte er als Entschuldigung.
„Das war doch hoffentlich nicht meine Hansa-Tasse?“, fragte ich entsetzt.
„Nee, die Kiste mit deinem ganzen Fankram darfst du nachher selber auspacken.“
Sabrina kam in einen dicken Frotteemantel gehüllt in die Küche. „Brrrr. Dieses Haus ist ganz schön zugig und ungemütlich, sogar im Sommer. Wie soll das erst im Winter werden? Ich koche uns erst mal eine heiße Schokolade.“
„Wer so eine Mutter hat, braucht keinen Butler“, murmelte ich.
„Manchmal redet Rick genauso wirres Zeug wie du“, meinte Sabrina zum Prof.
* * *
Nach dem Frühstück verkündete ich, dass ich die Lage sondieren ging. Immer noch besser als Umzugskartons auszuräumen. Sabrina sagte, ich sollte mich nach einer Zoohandlung umsehen, in der sie Werbeplakate aushängen konnte.
Es war ein seltsames Gefühl, sich in einer völlig fremden Gegend zu bewegen und dabei nicht im Urlaub zu sein. Für Sabrina war es kein Problem, ihren Beruf zur Abwechslung mal woanders auszuüben. „Neurotische Hunde und überzüchtete Katzen gibt es überall“, hatte sie gesagt. „Und den Tieren ist es bestimmt egal, in welcher Sprache ich sie therapiere.“
Schulen gibt es natürlich auch überall, aber ich hatte jetzt schon Sehnsucht nach meinen Freunden Jens und Uwe, nach dem Fußballverein und dem Nachbarshund, mit dem ich im Garten herumtoben konnte.
Außerdem war hier alles so anders. In der Schule, die in zwei Wochen losging, würde ich eine bescheuerte Schuluniform tragen müssen. Wenn ich eine Straße überquerte, musste ich zuerst nach rechts schauen statt nach links, weil die Autos auf der anderen Straßenseite fuhren. Wenn ich mich verlief, musste ich auf Englisch nach dem Weg fragen. „Excuse me, I lost may way. Could you please tell me how to get to Gaisford Road.“ Den Satz hatte Sabrina mir so eingeschärft, dass ich ihn besser beherrschte als die aktuellen Spielstände de Bundesliga.
Zu allem Überfluss hatte sie mir auch noch einen Anhänger mit Namen und Adresse basteln wollen, wie ich ihn früher tragen musste, weil ich mich auf dem Heimweg von der Grundschule oft verirrte. Aber da hatte ich protestiert, obwohl die Idee vielleicht gar nicht so dumm gewesen war. Ich kam mir tatsächlich wieder vor wie ein kleiner Junge, als ich durch diese ungewohnte Umgebung lief.
Es war wenig los. Kinder sah ich überhaupt keine, nur ein paar Jugendliche, die an einer Straßenecke die Köpfe zusammensteckten. Schließlich wurde die Gegend etwas belebter und kurz darauf stand ich vor einem Einkaufszentrum. „Templars Square Shopping Centre“. Ein riesiger Klotz. Wenn ich da erst mal drin war, fand ich wahrscheinlich vor Weihnachten nicht mehr raus.
„Deutscher Junge verläuft sich im Einkaufszentrum“, würde in der Zeitung stehen. „Bitte helfen Sie seinen Eltern, ihn wiederzufinden. Cedrick ist zwölf Jahre alt, blond und blauäugig. Seine Mutter, Tiertherapeutin Sabrina W., sagte, er hätte das Haus in Jeans uns einem blauen T-Shirt verlassen.“
Man würde Spürhunde losschicken, die nach einer langen, vergeblichen Suche völlig frustriert waren und eine Therapiesitzung bei Sabrina brauchten.
Ich merkte, dass ich mich, wie so oft, in einem Tagtraum verlor. Kein Wunder, dass ich nie genau wusste, wo ich war. Und schon war es passiert. Ich stand plötzlich irgendwo im Shopping Centre und hatte keine Ahnung, wie ich da reingekommen war, geschweige denn, wie ich wieder rausfinden sollte.
Ich entdeckte eine Schautafel mit einem Lageplan und studierte sie stirnrunzelnd. Ja, da war ein Pfeil drauf, der den Standort anzeigte. Ich fand auch den Ausgang auf dem Plan. Aber den Weg vom Standort zum Ausgang konnte ich mir nicht einprägen. Es war genau wie mit Stadtplänen. Rechts, links, oben, unten, Norden, Süden – ich brachte immer alles durcheinander. Es wurde höchste Zeit, dass ich ein Smartphone bekam, das mich sicher an jedes Ziel navigierte.
Immerhin gab es hier mehr zu sehen als auf der Straße. Außerdem roch es gut. Ich folgte einfach meiner Nase und landete vor einem Pizzalieferservice. Domino’s Pizza. Gleich daneben lag ein Kebab-Restaurant.
Ich überlegte gerade, ob ich lieber Döner oder Pizza essen wollte, da wurde die Tür von Domino’s Pizza aufgerissen und ein Mädchen rannte kreischend heraus. Ich konnte gerade noch ausweichen, bevor es zum Zusammenstoß kam. Aus dem Augenwinkel sah ich etwas Winziges über den Boden huschen. Ich bin im Umgang mit Tieren so flink und sicher wie meine Mutter. Blitzschnell bückte ich mich und schnappte die Maus.
„Tolle Reaktionsgeschwindigkeit“, sagte das Mädchen auf Englisch.
Ich beruhigte die Maus, die es sich schließlich in einer Kuhle zwischen meinen Handflächen gemütlich machte. Sie war weiß mit einem grauen Strich auf dem Rücken. Eine gezüchtete Maus, wie man sie im Zoohandel bekam. Aber in einer Pizzeria hatte so ein Tier eigentlich nichts verloren. Oder war das in England auch anders?
„Hi, ich bin Rick“, sagte ich zu dem Mädchen. „Hast du etwa Angst vor Mäusen?“
„Ich heiße Jessica.“ Sie hielt sicheren Abstand von mir. „Und Mäuse finde ich total eklig. Ich weiß, dass klingt doof, aber so ist es nun mal.“
„Ist schon okay“, meinte ich. Sabrina hatte mir schließlich lange genug eingetrichtert, dass man sich über die Ängste anderer Menschen nicht lustig machte, egal wie albern sie einem erschienen. Dass man sich vor so einem niedlichen, weichen Tier fürchten konnte, war für mich kaum vorstellbar. Ich streichelte die Maus und passte auf, dass sie mir nicht entwischte.
Jessica entspannte sich ein wenig und strich sich eine Strähne ihrer langen braunen Haare aus dem Gesicht. Wenn sie nicht kreischte, sah sie ganz nett aus.
„Gibt es hier drin eine Zoohandlung, aus der die Maus entwischt sein könnte?“, fragte ich. Ich konnte bestens nachempfinden, dass eine kleine Maus sich in diesem riesigen Gebäude verlaufen musste.
„Nein“, antwortete Jessica. „Wir bringen sie am besten zu Perry.“
„Und wer ist das?“
„Die Sicherheitschefin.“
Ich fand das etwas überzogen. Die Maus war schließlich kein Einbrecher. Aber ich trottete mit der Maus in der Hand brav hinter Jessica her.
Als wir beim Sicherheitsdienst ankamen, schlief die Maus tief und fest. Jessica traute sich etwas näher an mich heran und riskierte einen Blick. „Wenn sie schläft, sieht sie ganz niedlich aus. Aber die Art wie Mäuse herumhuschen, die macht mich nervös.“