Zum Buch
Am Ende ihres Lebens sieht sich eine zurückgezogen lebende Theaterschauspielerin mit einer unheilbaren Krankheit konfrontiert, die ihr Gedächtnis beeinträchtigt. Es wird immer schwerer für sie, sich an bestimmte Ereignisse und Episoden ihres Lebens zu erinnern, und nicht nur das, manchmal fällt ihr der eigene Name nicht mehr ein. Sie hat zwar keine Karriere gemacht, aber doch einiges erlebt, und jetzt kann sie allein das Haus nicht mehr verlassen, wird von einer, wie sie es nennt, »alten Frau« betreut, die jünger ist als sie, während der Neffe ihres verstorbenen Mannes darauf wartet, dass die Wohnung frei wird.
Und obwohl sie das alles wahrnimmt, kann sie doch selbst die Stimme nicht mehr erheben, denn es tobt ein Tumult in ihrem Inneren. Ihre Identität scheint sich aufzulösen, die Stimmen anderer Leute überlagern sich, und in ihrer Erinnerung verschwimmen Vergangenheit und Gegenwart. Wo ist die Grenze zwischen den anderen und ihrer eigenen Stimme, wer ist sie selbst?
Zum Autor
ANTÓNIO LOBO ANTUNES wurde 1942 in Lissabon geboren und hat Medizin studiert. Während des Kolonialkrieges war er als Militärarzt in Angola, arbeitete danach in der Psychiatrie und war lange Jahre Chefarzt in einer Psychiatrischen Klinik in Lissabon. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. Sein umfangreiches Werk ist in vierzig Sprachen übersetzt und erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen.
Zur Übersetzerin
MARALDE MEYER-MINNEMANN, geb. 1943 in Hamburg, hat fast alle Werke von António Lobo Antunes übersetzt. Sie erhielt 1992 den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen, 1997 den Preis Portugal-Frankfurt, 1998 den Helmut-M.-Braem-Preis und wurde dreimal für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
António Lobo Antunes
Für jene, die im Dunkeln sitzt und auf mich wartet
Roman
Aus dem Portugiesischen von
Maralde Meyer-Minnemann
Luchterhand
PROLOG
Als ich aufwachte, lag die Katze wie immer am Fuß des Bettes und schaute mich an, ohne mich zu sehen, das Fenster mit dem halb heruntergelassenen Rollladen, der Baum, dessen Blätter im Juni die Rahmen immer fast berührten, schienen von der rechten Wand hinüber auf die linke gewechselt zu sein, wohingegen die Möbel, die Kommode, der Schrank, das kleine Sofa jetzt die Seite des Fensters einnahmen, was ist in der Nacht geschehen, erklärt es mir, die Katze hob den Kopf, weil die alte Frau, die das Frühstück und die Tabletten brachte, lächelnd, sie lächelte immer, durch die Tür, die wenigstens war an ihrem Platz geblieben, ins Zimmer trat und mir, während sie das Tablett auf dem Nachttisch abstellte, eröffnete
– Man braucht immer lange bis man sich an den Tag gewöhnt hat
doch das stimmt nicht, ich habe keine Schwierigkeiten damit, mich an den Tag zu gewöhnen, ich habe Schwierigkeiten damit, dass sie die Gegenstände immer umstellen, ohne es mir zu sagen, sie machen, was sie wollen, und übergehen mich, die alte Frau knickte das Kissen nach vorn und half mir, mich aufzusetzen
– Denken Sie daran dass Sie sich schon mehr als einmal bekleckert haben
reichte mir die Tabletten und den Tee, während die Katze flüssig auf den Boden glitt, wenn sie mich streift, spürt man in ihrem Inneren einen kleinen Motor, der so lange vibriert, bis das Schwanzende erreicht ist, und dann vergisst sie mich, einen Augenblick lang erinnerte ich mich an Faro, an meine Mutter, wie sie die Terrine vom Abendessen auf den Tisch stellte, und an meinen Vater, der, die Serviette halb in den Kragen gesteckt, halb in der Hand, mit Hosenträgern, ohne Jackett, zu mir
– Komm mal her
und mir befahl, die Zunge herauszustrecken, den Zeigefinger daran anfeuchtete und einen Fleck an meiner Nase rieb
– Du hast wie ein Clown ausgesehen Kleine
ich wischte mich schniefend an meinem Ärmel ab, während meine Mutter die Gräten aus dem Fisch zog und er mit nach vorn gerecktem Hals aß, um nicht aufs Hemd zu kleckern, das Jackett über der Lehne des Stuhls gegenüber, und die kleine Tasche für das Einstecktuch voller Kugelschreiber, als ich den Tee ausgetrunken hatte, verschwand Faro und mit ihm meine Eltern, sie sind vor Ewigkeiten gestorben, manchmal, wenn ich im Bett lag, aber noch nicht schlief, bekam ich mit, wie meine Mutter zu meinem Vater
– Komm her
und da war nur die Kuckucksuhr im Wohnzimmer, nicht der hölzerne Vogel, der mit einer Verbeugung aus dem Fensterchen heraussprang, nur der Mechanismus, daran erinnerte ich mich, als ich verheiratet war und am Bettkopf der Christus vor- und zurückschwang, ich gestattete nicht, dass die alte Frau mich wusch und anzog, sie ließ mich einfach mit einer Zeitschrift auf dem Sessel zurück und verkündete vom Eingang aus
– Ich komme mittags wieder
so verlebt, die Arme, sie hatte, wo es nicht notwendig war, zu viel Körper, und es mangelte ihr daran, wo sie ihn gebraucht hätte, an den kraftlosen Gliedern oder dem eingezogenen Hals, die Gegenstände im Wohnzimmer ebenfalls an anderer Stelle, wo sind das Deckchen auf der Anrichte und die kleine Statue des einen Schwan umfangenden Mädchens, hin und wieder nahm mein Vater mich auf den Arm
– Du bist vielleicht schwer Kleine
und meine Mutter mitten beim Maschenzählen der Häkelarbeit
– Siebzehn oder?
meine Mutter
– Ihr kracht gleich noch irgendwo gegen
warum weiß ich nicht, aber das Mädchen mit dem Schwan verwirrte mich, mein Vater hustete krank hinter der verschlossenen Tür, Kupfer, Kupfer, der Schwan und das Mädchen waren aus Kupfer, meine Tante ließ mich den Türknauf nicht anfassen, hinter dem ein eigenartiger Geruch
– Du darfst da nicht rein
meine Mutter mit roten Augen
– Geh in den Garten spielen verschwinde
und gleichzeitig umarmte sie mich, das Taschentuch in den Ärmel gesteckt, ein Zipfel schaute hervor, ich wartete einen kleinen Augenblick, aber das Kruzifix vom Bettkopf blieb stumm, da war nur noch das jetzt schwache Aufbäumen des Rachens meines Vaters, der Kopf des Arztes tauchte in einem Türspalt auf und rief meine Mutter
– Könnten Sie bitte eben mal kommen?
im Gegensatz zu sonst zwinkerte er mir nicht zu
– Wie lebhaft sie ist
er bewegte fast lautlos den Mund, und ich bemerkte einen Knopf, der sich löste, die Zeiger der Kuckucksuhr nicht aufgezogen, der Vogel im Holzhäuschen versteckt, in dem es, wie mir schien, von Stunden wimmelte wie in einem Bienenstock, mir war so, als hätte ich gehört, wie das Kruzifix einen wenn auch nur kurzen, zarten Satz machte, und dann ein Schluchzer meiner Mutter, begleitet von Stille, die eine andere Struktur besaß, ähnlich wie die der Tauben auf leeren Dachböden, auf denen Geheimnisse wabern, doch die Tür öffnete sich nicht, oder besser, meine Tante öffnete sie, nur die Augen draußen, suchte mich ringsum
– Verzieh dich in den Hintergarten und komm nicht eher rein bis ich dich rufe
mit einem weniger herrischen Ton, als sie annahm, der am Ende der Worte brach und von einem Zittern der Lippen begleitet wurde, sie haben mich nicht mit zur Beerdigung genommen, ich blieb allein im Garten und schaute auf die leere Matratze meiner Eltern ohne Kissen oder Betttücher, der Fußboden mit Kreolin gewaschen, das Kruzifix in Frieden, irgendwann begann die Kuckucksuhr, von unendlichen Stunden geweitet, zu knacken, die Fugen der Bretter lösten sich, und ein Schwarm Kuckucke, die alle Minuten der Welt mit sich trugen, durchquerte das Zimmer, ungeordnet, wild durcheinander, mit Holzflügeln schlagend, flog am Mispelbaum vorbei und wurde unter dem Quietschen klemmender Scharniere in Richtung Wellen immer kleiner und ließ die Zeit von dort an stillstehen, man glaubt, sie verändert sich, aber sie bleibt immer dieselbe, und im Inneren dieser Zeit werde ich langsam immer schwächer, während der Motor der Katze, wenn der Schwanz zu Ende ist, verstummt, so wie ich euch anschauend verstumme.
ERSTER SATZ
Manchmal schrecke ich mitten in der Nacht aus dem Schlaf auf, was auch immer mitten in der Nacht bedeutet, ein Hund bellt im Haus, wo weiß ich nicht, und ohne dass die Katze auf der Überdecke ihre Stellung wechselt, eine Pfote ellenlang, ganz Krallen, und die anderen klein, mache ich das Licht an, das anfangs etwas vibriert, und da ist niemand, selbstverständlich einmal abgesehen vom Fenster und den Möbeln, die heimlich kreisen, glauben, dass ich es nicht mitbekomme, das Mädchen vom Schwan beobachtet mich aus den Augenwinkeln, bereit zu warnen
– Sie ist aufgewacht
und alles steht still, hält inne, wartet, dass ich wieder einschlafe, um weiterzumachen, was mich daran erinnert, wie ich mit fünf Jahren, die Ohren wachsam gespitzt, auf Zehenspitzen, den Lippenstift meiner Mutter gezückt, versuchte, bis zum Spiegel über dem Waschbecken zu reichen, das Kinn oder die Wangen, aber nicht die Lippen traf, hätte man mich gefragt
– Wo bist du?
hätte ich nicht geantwortet, so wie auch der Hund nicht antwortete, immer nur bellte, ich suchte im Flur, und nichts, im Wohnzimmer, und nichts, ich näherte mich langsam dem Ursprung des Geräuschs in der Abstellkammer, und nichts, ich stieß mich an der Ecke eines Schemels und bewegte mich, den Knochen reibend, hinkend weiter, ich habe schon Leute wegen Geringfügigerem mit Gehhilfen oder an Krücken hängend, mit verwaistem Gesicht, auf der Straße die Qual des Gipsverbandes abstützen sehen, in der Speisekammer nichts, am Eingang nichts, wo ein Schlüsselbund am Schloss auf verräterische Weise schaukelte, bis ein näher gelegenes Bellen mich in Richtung Küche schob, da war der Herd, der Waschtrog, der ganze Kram, die Geschirrtücher an einem Holzstreifen voller hochgebogener Nägel und zwischen den Geschirrtüchern die Schürze, damit ich mich nicht schmutzig machte, aber ich machte mich so oder so schmutzig, darauf gedruckt ein rosa Windhund, und es war der Windhund, der bellte und bellte, immer wenn das Wetter sich ändert, wird er unruhig, deshalb wird es bestimmt schon bald regnen, wird man die Tropfen rings um die Laternen und die geneigten Zweige der Tipubäume, das Wasser an den Fensterscheiben herunterrinnen sehen, kalt, wo liegt meine Wolljacke, an der ein Aufhänger fehlt, ich finde sie nicht, so wie ich überhaupt nichts finde, allein das, was ohne mein Zutun zu mir kommt, das Mädchen vom Schwan oder die Katze, die um die leere Schüssel streicht, eine Frau, die Hemden von einer Wäscheleine zieht, dies hier ist kein Luxusviertel, ich lebe seit meiner Ankunft in Lissabon hier in der Wohnung meiner Patentante, möge ihre Seele in Frieden ruhen, im zweiten Stock, wie ich hat sie ihr Leben im Theater zugebracht, nicht auf der Bühne, sie war Schneiderin, ob sie am Ende des Lebens wegen der Augenkrankheit mit der Hand oder mit der Brille nähte, weiß ich nicht, sie warnte
– Männer denk nicht mal dran Kleine
denn ihre Erfahrungen waren schmerzhaft, Lügen, Diskussionen, Ohrfeigen, ich war Jungfrau, allein schon der Gedanke an ein am Bettkopf klingelndes Kruzifix bewirkte, dass ich mich als Sünderin fühlte, der Mann meiner Patentante hatte eine Geliebte, die Besitzerin eines Kurzwarenladens, in dessen Schaufenster es auch Spielzeug gab, das übrigens witzig war, und meine Patentante wusste es, ein Klarinette spielender Clown, ein Elefant, ein Affe, er brauchte nur verspätet zum Abendessen zu kommen, und sie gleich
– Warst du bei der Kuh du Idiot?
während ihr Mann mit glücklichen Hosenträgern gemächlich und zufrieden die Weste weitete, den Ringfinger zur Vervollkommnung des Schnurrbarts und den kleinen Finger zu einer Reinigung seiner Ohren nutzte
– Was du dir immer einbildest
den er an, ich befahl dem Windhund
– Still
der Serviette abwischte, der Mann meiner Patentante warf mir eine Augenbraue ins Gesicht
– Hast du mit mir geredet?
ich klärte ihn auf
– Ich habe mit dem Windhund auf der Schürze geredet die es noch nicht gibt
ich habe sie während meiner ersten Ehe gekauft, Jahre später, in einer Zeit, in der ich arbeitslos war, aber es war eine billige Laune, der ausgebleichte Windhund war bestimmt seit Ewigkeiten im Laden, hatte darauf gewartet, dass ich Mitleid mit ihm hatte und ihn mitnahm, mich haben Hunde immer berührt, schaut man sie genauer an, merkt man, dass sie alle Kontaktlinsen tragen, so kurzsichtig sind sie, die Armen, und dann dieser Seitenblick, der um etwas bittet, was ich ihnen nicht zu geben weiß, mein erster Mann im Tragekörbchen, Pardon, im Bett
– Findest du mich dünn?
die Finger unabhängig voneinander, wüst durcheinander auf dem Betttuch vergessen, der Körper gab allmählich die Hände auf, ging an den Rippen und an der Kehle weiter, die innehielt und dann wieder keuchte
– Hilf mir
hin und wieder ein leises Pfeifen, hin und wieder ein Spuckebläschen, jetzt, wo ich mit niemandem zusammenwohne, habe ich Angst, ihm zu begegnen, ich fühle etwas, das ich nicht benennen kann, denke
– Das ist nicht er
denke
– Das kann nicht er sein
so wie ich auch denke
– Ob er es doch war?
und die Ahnung einer Träne, die sich nicht bewegt und an seinem Augenlid hart wird, die alte Frau löste auf dem Teller die Knochen aus, schob sie geschickt und schnell beiseite
– Ich sehe ihn noch immer ganz schnieke
mit engem Anzug und Pünktchenkrawatte, wie er die Beine übereinanderschlug, dabei auf die Bügelfalte achtete, so stolz auf sein Aussehen, so zufrieden mit sich selber, und zack, war da ein unangenehmes Gefühl, die Hand linderte es, ich
– Ihr Männer werdet nie erwachsen
ich
– Du hast nicht alle Tassen im Schrank das ist nichts Schlimmes
aber das war es, nach der Sache mit dem Windhund habe ich ihn zum Glück nicht mehr im Bett vorgefunden, so ein Schreck, obwohl mir so war, als wäre da der trockene, saure Geruch der Angst ganz in der Nähe, genau zwischen meinem Schlaf und mir, was mich am Schlafen hinderte, kein Wind auf der Straße, kein Zweig raunte, und die Stille war markerschütternd, obwohl ich das Kissen gegen die Ohren drückte, ich fände es schön, wenn die Kuckucke aus den Uhren da wären, ich möchte wetten, dass sie über all die Jahre Eier gelegt hatten, als ich klein war, sang meine Mutter beim Sticken, und wenn sie das Gefühl hatte, dass jemand in der Nähe war, verstummte sie sofort
– Flausen
verscheuchte die Stimme mit dem Handrücken, eine Theatergruppe machte am Sitz der Feuerwehr eine Aufführung, und sie nahmen mich mit, das in Faro, nicht hier, ich weiß nicht, warum ich keine Sehnsucht nach Faro habe, eine Stadt, die nicht einmal sehr hässlich ist, aber zwischen mir und dem Algarve, lassen wir das, unnötiges Leid, wozu, einer der Schauspieler, der mit meinem Vater beim Militär gewesen war, hat bei uns gegessen und redete mit uns, als hätten wir für die Sitzplätze bezahlt, um ihm beim Kauen zuzuschauen, am Vorabend wurde er am Ende des Stücks mit einem Dolch erstochen, und er war ewig lange herumgetaumelt, bis er vorsichtig zusammenbrach, man merkte, dass er beleidigt war, weil sie nicht vorher den Boden saubergemacht hatten, er verkündete
– Portugal wird mich rächen
obwohl Portugal still und ohne Rachegelüste von ein paar Stühlen aus zusah, die sie aus der Gemeindeverwaltung geholt hatten, mein Vater zum Schauspieler, und es schwang Sehnsucht nach der Kaserne in Chaves mit
– Salta Pocinhas der kleine Hüpfer
während meine Mutter, vom Todeskampf des Vorabends beeindruckt, nicht ganz sicher, ob er sich erholt hatte, zwischen einem Phantom und einem dicken Herrn schwankend
– Senhor Esteves
der Schauspieler zu meiner Mutter
– Für Sie nur Esteves Madame Ihr Mann und ich sind fast Brüder einmal hat er mir nachts eine tote Ratte in den Strohsack gesteckt
ich zum Schauspieler, entschieden
– Wenn ich groß bin werde ich Schauspielerin
der mit imperialer Geste ein Dienstmädchen, das zu sehr Dienstmädchen war, wegschickte, ein geckenhafter Blonder mit kleinen Fingern in jeder Geste war dabei zugegen
– Lass mich mit Sir Robert allein wir haben Geschäfte zu besprechen Cacilda
Cacilda ging unter wiederholten Verbeugungen rückwärts ab, hielt dabei das schlecht sitzende Häubchen fest, während der Blonde in schmachtender Haltung seine Mähne richtete, ich habe ihn noch kennengelernt, damals schon glatzköpfig, in einen Elektriker verliebt, der ihm sein Geld abknöpfte
– Um deiner Seele willen verlass mich nicht Arnaldo
kurzum, Faro so lala, der Freund meines Vaters, was heißt hier Freund, Beinahebruder, einem Rückenwirbel misstrauend, den der Tod im Stück ihm lädiert hatte, tastete selbigen mit den Fingergliedern in Gedanken an Krankenhäuser ab
– Das ist durchaus möglich Mädchen durchaus möglich
plötzlich kam ein Käfer aufs Geratewohl durchs Fenster, stieß gegen die Wände, die Lampe, die Decke, meine Mutter nahm erschrocken die Größe des Mädchens vom Schwan an, wünschte sich, dass mein Vater sie einmal im Leben beschützte, indem er sie mit dem Körper, dem Hals, den Flügeln abschirmte, und da begriff ich die kleine Statue, der Käfer warf sich gegen die Klunker des Lüsters, die panisch klirrten, sich ineinander verhakten, er brachte die Teppichfransen durcheinander, landete eine Sekunde lang auf meiner Schulter, verließ mich, ohne mich zu verschlingen, ich dachte, er würde mein Ohr mit nur einem Biss fressen, er schöpfte Kraft für weitere Purzelbäume, verzweifelt, weil er den Ausgang nicht fand, während mein Vater ihn mit der zusammengefalteten Zeitung verfolgte, die das Tier nicht mehr vorfand, wenn sie es erreichte, der Käfer traf nicht das Fenster, sondern den Vorhang, verwickelte sich darin, der Schauspieler, der sich wegen seines Hungers nicht um das Insekt kümmerte, nahm noch einmal vom Braten
– Schauspielerin das ist durchaus möglich man spürt deine Berufung
während der Käfer schlingernd auf der Straße verschwand, meine Mutter schloss umgehend das Fenster, prüfte, ob die Verriegelung auch sicher geschlossen war, indem sie an ihr zog und drückte, sie ächzte, aber hielt, in den Angeln hin- und herwackelnd, der Salta Pocinhas ließ das Besteck nicht los, und ich dachte bei mir
– Noch eine Minute und der Kerl sticht in seine Wäsche holt ein Stück mit der Gabel raus und isst sich selber
meine Mutter, trotz der zeitlichen Entfernung beunruhigt wegen der Geschichte mit der Ratte, rückte so weit wie möglich von meinem Vater weg
– Fass mich nicht an
aus Furcht vor einem zweiten Tier in seiner Tasche, das bereit war, das Tischtuch zu erobern, in dem zerfallenen Hühnerstall im Garten hinter unserem, in dessen Haus niemand wohnte außer vorbeiziehende Bettler, gab es grässliche Ratten mit haarigen Pfoten und riesigen Zähnen und die Hälfte einer Puppe bäuchlings im Gras, mein Mann
– Ich glaube ich werde nicht wieder gesund
und er wurde tatsächlich nicht wieder gesund, die alte Frau kam mit dem Abendbrottablett und den Pillen neben dem Glas Wasser, eine blaue und eine weiße mit einem Schlitz in der Mitte, sie war riesig, ich bewegte sie ewig lange auf der Zunge vor und zurück, wagte nicht, sie zu schlucken, irgendwann verschlucke ich mich noch, sie stellt sich quer und geht nicht runter, ich sterbe, weil sie feststeckt, die alte Frau
– Geht das noch so bis morgen früh?
während ich noch mehr Wasser trank, die Augen starr auf nichts gerichtet, manchmal auf irgendein Foto
– Ich werde im Angesicht von Tante Alice sterben
von der ich nicht weiß, woran sie gestorben ist, sagt mir, woran man damals starb, Schlaganfall, Zeckenfieber, Schwindsucht, ich beschloss
– Jetzt
im letzten Augenblick, als ich mich bereits entschieden hatte, überlegte ich es mir anders und zog die Tablette wieder hoch, der Schauspieler zu meinem Vater
– Vor allem hast du das Tier in den Kopfkissenbezug getan du Scherzkeks ich bin noch nie in meinem Leben so gesprungen Ehrenwort mir ist das Herz stehengeblieben
ein schwer vorzustellender Sprung, angesichts des Fetts, aber damals war der Freund spindeldürr, ihn blies der kleinste Windhauch um, der Feldwebel
– Wenn der Rest der Truppe so wäre wie du würden wir alle Kriege verlieren
wie durch ein Wunder ging die Tablette runter, polterte wie ein Stein, ich spürte sie im Hals, spürte sie nicht mehr, diesmal war ich davongekommen, die nächste wird mich umbringen, niemand hat sein ganzes Leben lang Glück, meinem Mann hat ein Seufzer gereicht, und er starb, das eine Lid offener als das andere, als sie ihm die Augen schlossen, erlangte er wieder seine Symmetrie, ich habe lange die Arzneien im Fläschchen angeschaut, mehr noch als ein Dutzend, versuchte, die mörderische Zukunft zu erahnen, indem ich an jene, an die andere darüber, an beide dachte, ich bin dem Freund meines Vaters viele Jahre später wieder begegnet, wie er sich am Künstlereingang herumschleppte
– Kollegin
mein Vater war schon nicht mehr unter uns
– Salta Pocinhas
die Windhundschürze mit immer weniger Tier, das durch das Haus wanderte, man hörte das Klicken der Krallen, so geschickt, der Schauspieler
– Kollegin
er erkannte mich nach so vielen Jahren wieder, ich dünn, das Haar ge, nicht mehr in Mädchenkleidern, in Frauenkleidern, färbt, der Grausamkeit der Zeit wegen, kein Käfer an der Lampe hinter dem Theater, Senhor Barata, der als Pförtner arbeitete, verscheuchte ihn
– Hau ab du Säufer
und Salta Pocinhas trollte sich demütig
– Ich störe niemanden
stöberte auf dem Weg in irgendeiner Mülltonne herum, interessierte sich für eine Zwiebel, verlor das Interesse an der Zwiebel, verschwand ganz allmählich in der Dunkelheit, denn niemand verschwindet plötzlich, auch wer nicht mehr da ist, ist noch da, Senhor Barata zu mir
– Jede Nacht geht das so
in Erwartung der Nacht, in der er seinerseits verscheucht wird, sich für dieselbe Mülltonne interessiert und ebenfalls das Interesse verliert, es muss eine Stufe geben, auf die man sich setzen kann, es muss eine geben, die alte Frau mit dem Tablett
– Da sind wir wieder mit dem Pillchen
eine Stufe zum Schlafen, vielleicht eine Träne, die zu einer Zwiebel wird, und, wer weiß, vielleicht weniger Hunger, nachdem das Unglück gegessen war, möglicherweise macht Melancholie satt, obwohl mein Vater auf dem Friedhof lag, blieb einstweilen noch meine Mutter
– Benutzt du immer noch meinen Lippenstift?
obwohl es keinen Lippenstift mehr gab, weil da keine Lippen waren, auf denen sie ihn hätte lassen können, sie trug verschossene Röcke, ausgetretene Sandalen und hatte einen Radioapparat, der immer auf die Gebete eingestellt war und auf die Messen, denn Gott wird mit den Jahren immer größer, Salta Pocinhas steckte den Rest der Zwiebel in die Tasche, und demnach zu urteilen, wie er sich beugen musste, hing die Tasche fast an den Knöcheln, die alte Frau, indem sie auf meinen Teller zeigte
– Ich möchte keine Kartoffel unter dem Besteck verborgen finden
während mein Mann
– Ich kann nichts essen
nicht der erste, der zweite, der erste ist ebenfalls in dieser Wohnung geendet, es war nicht die Leber wie bei diesem, sondern der Diabetes, die Männer sind wie Wale, auch wenn sie weit weg leben, enden sie am selben Strand, die alte Frau, indem sie herumstochert
– Das Karottchen das die Augen so schön macht geht das nicht noch?
und in ein paar Monaten bin ich dran, der Windhund kommt von der Schürze, um an mir zu schnuppern, die Katze hat das Bett verlassen und sich in der Speisekammer versteckt, beide trinken nicht aus der Schüssel, fressen nicht, meiden mich, verflüchtigen sich, demnächst stehe ich abends am Künstlereingang, und Senhor Barata vertreibt mich
– Verschwinde
die alte Frau, während sie den Teller wegstellt
– Wer ist das da gnädiges Fräulein?
begleitet mich zum Künstlereingang, versucht, mich zu beschützen
– So redet man nicht mit einer Künstlerin wie ihr
winzig neben Senhor Barata und dennoch riesig, sie schneidet das Fleisch in kleine, leicht zu kauende Stücke, ich musste die linke Hand nicht bewegen, die, wer weiß warum, manchmal versagt, es reicht die rechte, die ist sicherer, ich habe auf der anderen Seite der Fensterscheiben die Nacht vor mir, den kleinen Supermarkt, das Reisebüro, einen ersten reglosen Transvestiten an der Ecke, mit nacktem Bauch, immer mit demselben Büstenhalter, der Arme, wäre mein Vater bei mir, würde er, das möchte ich wetten, aus dem Fenster spähen, nachdenklich auf das Sofa zurückkehren, meine Mutter
– Magst du so etwas Anormales?
wie eigenartig die Nacht doch ist, alles gleich und unterschiedlich, die Schatten werden zu echten Dingen und die echten Dinge zu Schatten, mein Vater zu meiner Mutter
– Was willst du von mir mich irritiert das
seit Ewigkeiten wohne ich hier, alte Gebäude, Pensionen, das Restaurant der auf dem Bürgersteig zwitschernden Nepalesen, ein Auto bremst beim Transvestiten ab und gibt dann Gas, meine Mutter zu meinem Vater
– Glaubst du ich errate nicht was du im Kopf hast?
wie haben sie sich kennengelernt, wie haben sie angefangen, miteinander zu gehen, mein Vater war, glaube ich, der Kollege eines ihrer Cousins, der sie eines Tages einander vorgestellt hat, meine Mutter
– Ich fand ihn völlig nichtssagend
und tatsächlich war er, den Fotos nach zu urteilen, nicht hübsch, aber immerhin versuchte er nicht, sich aufzuspielen, eines Sonnabends war sie ihm begegnet, als er seine Tante untergehakt hatte und ihre Einkäufe trug, und irgendetwas an seiner Höflichkeit hatte sie gerührt, die Aufmerksamkeit, die Behutsamkeit, er war für Familienliebe empfänglich, ihre Stiefmutter hatte auf die beiden gewiesen
– Lern was von ihnen du kümmerst dich überhaupt nicht um mich
sie tat es, aber auf ihre Weise, jeder, wie er kann, mein Großvater war gemeinhin schweigsam, ohne ein Lächeln, nahm uns nicht wahr, als er in Rente ging, trug er den ganzen Tag lang seinen Schlafanzug und untersuchte seinen Bauch, meine Großmutter
– Ziehst du dich nicht wenigstens mal an?
aber er zog sich nicht an, starrte auf die Wand und durch die Wand auf die Gegenwart der Nachbarn, Unterhaltungen, deren Worte man nicht auseinanderhalten konnte, Kinder, Wasserhähne, Leute, die durch Geräusche leben, der Seufzer eines Mädchens
– Ach ich
manchmal flüchtige Sohlen auf der Treppe, eilige Begrüßungen, der Mann, der den neuen Herd brachte, ruhte sich auf dem Treppenabsatz aus, pustete auf seine Finger, ich hoffte, die alte Frau würde das Medikament vergessen, aber sie vergaß es nicht, da war es, riesig, unmöglich, wurde um Dezimeter größer, wenn es aus dem Fläschchen kam, heilige Muttergottes, wurde immer größer, während ich vor ihm schrumpfte, ich panisch zur alten Frau
– Glauben Sie wirklich dass ich es schaffe?
der Theaterdirektor zu mir
– Sie sollten mal ein paar Monate pausieren
denn seiner Meinung nach vergaß ich die Stichworte, nach einer peinlichen Pause machte ein nahe bei mir stehender Schauspieler für mich weiter, erfand irgendetwas, um die Stille aufzuheben, während ich mich in die verkehrte Richtung bewegte, auf dem bestand, was ich vorher gesagt hatte, allerdings nicht wusste, was ich vorher gesagt hatte, ein anderer Schauspieler flüsternd
– Ein Blackout?
ich
– Blackout nichts da
oder aber ich sagte Sätze aus einer vorangegangenen Aufführung, hinter den Kulissen machte eine Gestalt Zeichen, aber warum machten sie Zeichen, was wollten sie, damals nahm ich noch keine Tabletten, damals erschien die alte Frau noch nicht, der Neffe meines Mannes zu ihr im Glauben, ich sei gerade abgelenkt
– An alte Ereignisse erinnert sie sich aber vergisst was gerade passiert ist oder was sie zu Mittag gegessen hat oder wo sie gestern Nachmittag war
und wo war ich übrigens gestern Nachmittag, der Arzt zum Neffen meines Mannes, der glaubt, mir würden seine Worte entgehen, versichert, dass diese Krankheiten so anfangen
– Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis die mit dem Langzeitgedächtnis kommen später
doch in meinem Falle kommen sie nicht, Gott sei Dank geht es mir ausgezeichnet, da bellt der Windhund wieder, die Lehrerin in der Schule in Faro
– Teile diese Verse in Sätze auf
oder
– Rechne die Quadratwurzel an der Tafel aus
und ich erinnere mich an die Verse Meiner Mutter hat es gehört: ein armes Umschlagtuch, für mich die sanfte Liebkosung eines Flügels usw., ich erinnere mich an die Quadratwurzel von elftausendsiebenhundertneunundvierzig, ebenso wie ich mich an, ach was, gelogen, nicht an das erinnere, was ich gestern zu Mittag gegessen habe, mir kann unmöglich entfallen sein, was ich gestern zu Mittag gegessen habe, war das nun die Krankheit oder nur ein kleines, vorübergehendes Versagen, gebratene Calamares, nein, gefüllte Teigtaschen, nein, was ist mit mir los, beruhige dich, ich werde Sie noch bitten, mir von der zu erzählen, die Sie in unserer Wohnung beherbergt haben, wenn du dich beruhigst, wird alles wieder gut, ich habe Weißbrotsuppe mit Garnelen gegessen, nein auch nicht, bitte weine nicht, der Theaterdirektor
– Komm im Oktober wieder du hast ewig lange nicht ausgespannt
während er sich mit meinen Kollegen zusammensetzte, Weißbrotsuppe mit Garnelen, möglicherweise, ich zum Theaterdirektor
– Ich habe Weißbrotsuppe mit Garnelen zu Mittag gegessen
der antwortete mir beinahe freundlich mit
– Natürlich
schob meine Kollegen ins Büro, dazu noch eine Schauspielerin, die ich nicht kannte, die mich nicht begrüßte, er ließ mich allein stehen, war mit mir einer Meinung
– Weißbrotsuppe mit Garnelen wunderbar
wiederholte noch vor der Tür
– Wunderbar
obwohl die Schalen manchmal mein Zahnfleisch verletzten, so dass ich möglicherweise im Oktober wiederkomme, vielleicht nicht wiederkomme, wozu wiederkommen, damit Senhor Barata am Eingang
– Tun Sie mir den Gefallen und bestehen Sie nicht darauf gnädiges Fräulein es fällt mir schwer Sie wegzuschicken
während er mich mit unsicheren Augen ansieht, die Hand zitternd auf meiner Schulter
– Eines Tages schicken sie mich weg
und um ein Haar hätten wir einander umarmt, aber ich bin eine Hauptdarstellerin, ich umarme keine Angestellten, an vielen Abenden habe ich ihn nicht einmal begrüßt, die alte Frau zum Neffen meines Mannes
– Sie können beruhigt sein
der sich nach den Pillen, den Uhrzeiten erkundigt, mich hin und wieder voll mitleidiger Neugier ansieht
– Erinnern Sie sich nicht daran dass Sie sich gestern aufgeregt haben erinnern Sie sich nicht daran dass Sie gestern beim Rosenkranzgebet im Radio mitgemacht haben?
während der Motor der Katze an meinem Bein entlang bis zum Ende des Schwanzes gleitet, Senhor Barata auf der Stufe zum Künstlereingang
– Sie kündigen mir mit einem Monatsgehalt und was mache ich anschließend?
wer würde sein Zimmer bezahlen, wo würde er zu Mittag essen, was, mit wem würde er sich dann unterhalten, Winter über Winter würde er, in die Wolldecke gewickelt, den Regen und die auf dem Dach gegenüber zusammengekauerten Tauben betrachten, der Neffe meines Mannes kam immer mit zu viel Parfüm, keinem französischen, einem italienischen, das französische ist für Schwuchteln, der Onkel ebenso, und daher wird es eine Familienangewohnheit sein, Woche für Woche atmete ich das ein, sonntags nahm er mich mit, Verwandte zu besuchen, die unsere Anwesenheit störte, sie ersetzten Gespräche durch Blicke, die freundlich sein sollten, es aber nicht waren, wünschten sich, dass wir schnell wieder gingen, ich hörte, wie der Neffe meines Mannes in der Hosentasche an den Autoschlüsseln herumfummelte, vorgab
– Es ist spät
damit wir nach Hause zurückkehrten, ich spürte die Erleichterung seiner Frau und der Kinder, die zum ersten Mal lächelten, kein Lächeln, eine Art zufriedene Grimasse
– Endlich
bereits auf dem Treppenabsatz hörte ich ihre erleichterten Stimmen
– Die haben ja ewig gebraucht
der Neffe meines Mannes mit uns im Fahrstuhl, wir sahen zu, wie die Knöpfe einer nach dem anderen angingen, acht, sieben, sechs, einer ging aus, und der nächste blinkte, ich nutzte das, um meine Handtasche zu öffnen, die Pistole herauszuholen und ihn zu töten, war ein Scherz, ich habe nur einen kleinen Tupfer Make-up auf den Zeigefinger gedrückt und die Nase korrigiert, die alte Frau, ist, genauer besehen, jünger als ich, man vergisst sein eigenes Alter, sie behandelt mich, als wäre ich ein Kind
– Nun verstecken Sie nicht dieses Filet da unter dem Salat essen Sie alles
und ich aß alles, nahm die Pille, hörte den Windhund bellen, fand die Katze am Fuß des Bettes ausgestreckt, eine Pfote ellenlang, nur Krallen, wie sie mich ansah, der Neffe meines Mannes zur alten Frau, als er uns im Wohnzimmer zurückließ
– Falls notwendig haben Sie ja meine Telefonnummer
wollte schnell wieder gehen, steckte weder die Schlüssel ein, noch setzte er sich, um ein paar Minuten lang zu reden, er stand da, betrachtete das Mädchen und den Schwan, wenn ich sterbe, weiß ich schon, wo sie landen, ich möchte wetten, er steckt sie sofort in ein Beutelchen, seine Frau
– Wohin willst du das denn stellen?
so wie sie jetzt, was mich betrifft
– Du solltest sie in ein Heim stecken
und er schwieg, dachte an die Kosten, er hat meine Scheckkarte, regelt die Ausgaben, gibt mir etwas Geld fürs Haar, die Nägel, einen Kaffee im Straßencafé, der mir für Stunden reicht, während ich auf niemanden achte, die Reise im Taxi von hier zum Theater, wo der Direktor
– Wir werden sehen wir werden sehen
mich auf die Straße begleitet, und weit weg eine einzige Laterne, die Birnen der restlichen alle durchgebrannt, und das Mitleid von Senhor Barata hinter dem Tor, vom Direktor nehme ich an, dass er für niemanden Mitleid empfindet, mich lügt er an
– Es muss ein Drama sein das Ihnen gerecht wird ich werde Ihnen keine Rolle in einer albernen Farce übertragen
während er meinen Körper mit seinem anschiebt, und ganz hinten, in weiter Ferne, der Fluss, der Theaterdirektor
– Ein amerikanischer Text der Sie verdient hat
das Publikum steht, begeisterte Rufe, Blumen, kaum bin ich aus der Tür, hat er sie zugemacht, nicht Senhor Barata, und beide verschwanden aus meinem Leben, ich bin zu Fuß zurückgegangen und habe mich nicht verlaufen, wie eigenartig, die alte Frau, indem sie das Tablett aufnahm
– Heute habe ich Ihnen eine Süßspeise gemacht
mit ihrem Lächeln darüber wie eine Wolke, die der Tag über dem Fluss vergessen hatte, keine Nachtwolke, eine dieser Wolken, die, wenn ich aufwache, halb über dem Dach hängen und deren Rest langsam nach Süden segelt, der Windhund in der Küche stumm, im Wohnzimmer eine Art Frieden, der auch die Wände mit einschloss, die nicht kreisten, die Katze am Fußende des Bettes hob nicht den Kopf, als ich das Licht anschaltete, ich erkannte, dass sie mich bemerkte, weil ihre lange Pfote sich streckte, weil der Rücken, obwohl er sich überhaupt nicht veränderte, eine Wölbung aufwies, die auf Liebkosungen wartete, aber ich berührte sie nicht, ich hatte keine Lust, jemanden zu berühren, so wie ich auch keine Lust darauf hatte, dass jemand mich berührte, ich hatte Lust, mich hinzulegen, ohne mich zu entkleiden, und wegzugehen, ohne den Ort zu wechseln, ich hätte gern meinen Vater, wie er die Serviette mit zufriedener Langsamkeit auseinanderfaltet, die alte Frau nahm eine der Packungen auf meinem Nachttischchen
– Über der Geschichte mit der Süßspeise habe ich fast die Tablette vergessen
die Süßspeise gelb in einem durchsichtigen Schüsselchen, der Transvestit an der Ecke hatte ein Auto dazu gebracht, ihn heranzuwinken, und er gestikulierte, eine brennende Zigarette in der Hand, in komplizierten Verhandlungen zur Scheibe heruntergebeugt, bis das Auto aufgab und wir allein zurückblieben, der Transvestit wartend auf dem Bürgersteig und ich am Fenster, sonst war da niemand, niemand sonst im Viertel, wir schauten einander beinahe an, beinahe komplizenhaft, beinahe Freundinnen, wir mussten einander gar nicht ansehen, um zu begreifen, dass wir beinahe Freundinnen waren, also werde ich sie, wenn der Theaterdirektor mich ruft
– Er hat mich tatsächlich rufen lassen Sie haben sich geirrt Senhor Barata
zur Premiere einladen, nicht auf einen Stuhl ganz hinten, sondern in die erste Reihe, damit ich sie lächeln sehe.
Ich sollte mit dem Windhund zum Tierarzt gehen, denn er spaziert nicht mehr in der Wohnung herum, bellt nicht, liegt mit geschlossenen Augen unten auf der Schürze, reglos zwischen den Geschirrtüchern, immer abgenutzter, immer verblichener, immer geistesabwesender, würde ich mit ihm in der Tierklinik ankommen, würde der Angestellte am Empfang mir den Plastikbeutel mit dem Tier darin wiedergeben, ganz weich, ganz aus Wachstuch
– Wir sind keine Schneider Madame
und, zu einem Kollegen gewandt, auf mich weisen, während er den Zeigefinger in die Stirn schraubt, der Kollege zu mir mit einer Mischung aus Spott und Mitleid
– Falls irgendetwas gerissen ist müssen Sie es nur nähen lassen wir behandeln hier lebende Wesen
als wäre der Windhund kein lebendes Wesen, als wären die Kuckucksuhrenkuckucke keine lebenden Wesen, manchmal habe ich den einen oder anderen auf einem nahen Baum sitzen sehen, wo sie mit ihren Holzflügeln unter endlosen Verbeugungen das Stadtviertel mit Hunderten unterschiedlicher Stunden füllen, die alte Frau, indem sie den Deckel des Fläschchens anhebt
– Ein Bild aus Wachstuch soll seine Medizin nehmen?
der Neffe meines Mannes zu ihr
– Denken Sie nicht länger darüber nach in fünf Minuten hat sie es wieder vergessen
überzeugt, dass ich ein bisschen meschugge bin, ich vergesse nichts, Faro beispielsweise, ich brauche nur die Augen zu schließen und habe die Straßen allesamt hier drinnen, sogar die Wellen, allerdings sind die älter, ist doch klar, kein Wunder, dass ihre Kraft abnimmt, es sind so viele Jahre vergangen, mein Vater zu einem Kumpel über die Apothekerin
– Hast du den Hintern der Tussi gesehen?
und meine Mutter fuchsteufelswild
– Was sagst du da in Anwesenheit deiner Tochter?
da mein Vater nicht antwortete, mit seinen Fingern herumspielte, habe ich an seiner Stelle geantwortet
– Er hat gefragt hast du den Hintern von der Tussi gesehen
meine Mutter versetzte daraufhin meinem einen kräftigen Schlag, und ich fing an zu weinen, wenn ich der Apothekerin begegnete, habe ich mich verdrückt und mich im Stillen gefragt
– Was ist mit ihrem Hintern Vater?
und in der Woche darauf, als ich schon überhaupt nichts mehr hoffte, habe ich den Windhund in der Küche bellen hören, anfangs noch zögerlich, schwach, aber allmählich immer lauter, und die Pfoten langsam auf dem Teppich im Wohnzimmer, ein Kuckuck flog mit einer Halbestundenverbeugung am Fenster vorbei, das Scharnier am linken Flügel klemmte, hin und wieder besucht mich eine Kollegin, der Theaterdirektor hat ihr ein paar Monate vor mir gekündigt
– Ich möchte es bei diesem Zwischenspiel mit einem jungen Mädchen versuchen aber ich zähle für die nächste Tragödie auf Sie
und tut das bis heute, mit seiner Fußspitze hatte er ihren Fuß zurückgeschoben, der versuchte, die Tür offen zu halten
– Halten Sie durch möglicherweise rufe ich Sie noch an
also ein Zimmerchen in einer Herberge, drei Stockwerke ohne Fahrstuhl, und im Dunkeln richte ich mich, die Lunge im Mund, nach dem Treppengeländer, und dann eine Suppe, auf den Knien gegessen, im Zimmer nebenan eine Frau, die jammernde Männer empfing
– Nach so vielen Stufen muss ich mich erst mal ausruhen
die Frau, während sie einen Pickel ausdrückte
– Solange du die Siesta bezahlst
die Kollegin nahm den Schein an, den ich ihr reichte, und zur Küche geneigt
– Kommt es mir nur so vor oder bellt da ein Hund?
vielleicht sollte ich die Schürze abends ausführen, lange Zeit eingeschlossene Tiere siechen dahin, die alte Frau hängte die Schürze an den Nagel
– Wo wollten Sie damit hin?
dem Tier zu Gesundheit verhelfen natürlich, was für eine dumme Frage, der Neffe meines Mannes, als er das Mädchen und den Schwan wieder auf das Zierdeckchen stellte
– Wie konnten Sie heute eine Probe haben wenn Sie das Haus nicht verlassen haben sind Sie im Morgenmantel ins Theater gegangen?
und tatsächlich, der Morgenmantel, weder Schminke noch Schuhe, eine alberne Lüge
– Ich habe mich umgezogen als ich zurückgekommen bin
warum dann kein Kleid auf dem Bett, kein Kleid auf dem Fußboden, mein schlecht frisiertes Haar braucht eine Färbung, dieses Gesicht ahmt meines beim Aufwachen nach, Falten, Furchen, ein Augenlid entzündet, und alles wegen des Spiegels, denn das bin nicht ich, der Beweis ist, dass meine Mutter mich erst gestern in Faro
– Du bist noch nicht alt genug um Schuhe mit hohen Absätzen zu tragen
dazu gezwungen hat, ihre wieder auszuziehen, mit denen ich herumstolperte, es musste die Tagundnachtgleiche sein, denn das Rauschen des Wassers war nah, und hinter meinem Kopf ein leerer Raum bis nach Lissabon, die Stimme von wem weiß ich nicht in diesem Raum
– Verabschiede dich von deinem Vater sie werden den Sarg schließen
nur die Stimme ohne einen Menschen dazu, ein Kerl drückte meine Hand, ein anderer beugte sich zu einem Loch in der Erde hinunter, die Apothekerin
– Hast du den Hintern von der Tussi gesehen?
küsste meine Mutter, deren Hintern ganz anders als ihrer war, der Kumpel meines Vaters zu meinem Vater
– Damit musst du dich abfinden
aß die Suppe mit einem gedämpften Geräusch auf, weil die Serviette sie abwischte, mein Vater machte das immer mit der Ecke, erst links, dann rechts mit peniblen, kleinen, sanften Tupfern, er rasierte sich so gewissenhaft, wie ich meine Augen schminkte, er richtete sein Haar präzise wie ein Uhrmacher, aber es gelingt mir nicht, ihm seine Gesichtszüge zurückzugeben, ich habe den Kamm noch dort in einer Schublade, wie viele Gegenstände ich in dieser Wohnung entdecke, der Neffe meines Mannes versichert, es seien meine, und ich bin bereit zu schwören, dass ich sie noch nie in meinem Leben gesehen habe, wahrscheinlich lebt jemand anders in dieser Wohnung, und wir begegnen uns nur nicht, es gibt Augenblicke, da höre ich auf dem Flur eine Stimme wie in Selbstgesprächen, einmal war mir so, als würde sie weinen, ich stand auf, aber da war niemand, und dennoch war da ein Duft, nicht nach Kölnischwasser, nach einem Menschen, ich hörte sie
– Mutter
rufen, im Schlaf einen Bären aus Samt fest im Arm, vielleicht finde ich ja das Tier auf der Treppe mit drei Beinen und eingedellter Schnauze, ich könnte es mit ins Theater nehmen, ohne dass jemand es merkt, man findet in der Kindheit anderer immer Pläne, Enttäuschungen, Karussells, den Triumph, auf einer Giraffe an den Eltern vorbeizukommen, meine Mutter ist einmal mit mir gefahren, auf einem Nilpferd, das Ruckeln machte ihr Angst
– Wann hört das endlich auf?
aber es hört nicht auf, Mutter, wir werden für immer im Kreis fahren, der Arzt zum Neffen meines Mannes, ich hoffte, dass wir für immer im Kreis fahren würden
– Normalerweise dauert es zwei oder drei Jahre bis das Gehirn sich ganz auflöst
der Neffe meines Mannes
– Und dann?
der Arzt war einer von den Ordentlichen, stapelte Analysewerte aufeinander
– Ja dann sollten Sie an ein bezahlbares Heim denken flüssige Nahrung Windeln Sauerstoff am Ende und hin und wieder lachen sie sogar ich hatte schon mal eine Patientin die in der Agonie versicherte es sei vergnüglich
der Arzt verblüfft
– Vergnüglich Dona Celeste?
bevor sie starb, verkündete sie
– Ich nehme den Sechsuhrzug
und Ehrenwort, ich hörte die Lokomotive abfahren, Tauben, die wild durcheinander flohen, ein Schwarm Engel, bis sie in einer Kurve mit Weidenbäumen verschwand, ich weiß nicht, was sie beerdigt haben, als sie gegangen ist, die Kollegin
– Morgen gehe ich beim Theater vorbei vielleicht findet der Direktor ja eine Statistenrolle für mich
aber keine Statistenrolle, Senhor Barata wuchs
– Verschwinde
wies mit dem Arm zur Ecke, hinter der Ecke ein Brunnen, Katzen, der Palast eines Grafen mit Brettern anstelle von Scheiben, nachts heimliche Lichter in den Ritzen der Fenster, wahrscheinlich geisterte ein Kandelaber mit alten Kerzen durch die verlassenen Zimmer, in der winzigen Wohnung meiner Kollegin machte ein Foto von ihr als junge Frau auf einer Kiste neben dem Bett ihr Hoffnungen auf mehr als eine Statistenrolle, der Name, obwohl mit kleinen Buchstaben am Ende des Plakates, verkündet, dass ich lebe, und die Tatsache, am Leben zu sein, tröstet, als der Schmerz in der Brust auftauchte, lag sie bereits im Bett, nicht genau ein Schmerz, ein unbehagliches Gefühl zwischen Stechen und Druck, sie versuchte noch, sich aufzusetzen, versuchte noch, Wasser zu trinken, doch der Becher war heruntergefallen, er musste unter das Bett gerollt sein, denn sie fand ihn nicht, und die Augen, warum, begriff sie nicht, sahen unscharf, sie suchte das Stechen und den Druck mit der Hand, wollte rufen, doch etwas tief in der Kehle würgte die Töne ab, sie hörte eine Art Schluchzer, von dem sie sich nicht vorstellen konnte, dass er zu ihr gehörte, ein winziges Kribbeln ließ sie die eigenen Finger nicht spüren, sie war stolz, dass es keine Statistenrolle, sondern eine würdigere, kleine Rolle mit Auftritten war, die Gefühl verlangten, die ganze Seele verlangten, um perfekt zu sein, und sie waren perfekt, der Theaterdirektor zufrieden
– Sehr gut sehr gut
sie dachte
– Wäre meine Mutter hier wäre sie stolz auf mich
dachte
– Ich werde etwas zu essen kaufen
und das Medikament gegen den Bluthochdruck, das man ihr vor Monaten verschrieben hatte, das sie aber nicht hatte kaufen können, doch mit dem Stechen und dem Druck überkam sie unvermittelt eine so große Müdigkeit, sie streckte sich rücklings aus, schloss die Augen, und in dem Augenblick, als sie sie schloss, nahm eine Art Lokomotive sie mit, wie vergnüglich, unter einem Aufruhr von Vögeln, sie wollte fröhlich zum Abschied winken, weil das Stechen und der Druck sie nicht mehr störten, sie dachte nicht mehr daran, dachte daran, wie der Direktor hingerissen
– Großartig
und an die Ergriffenheit des Publikums, an begeisterte Zeitungsseiten Die Geburt einer Primadonna, an die Freude von Senhor Barata, der nicht den Mut hatte, sie zu umarmen, denn wichtige Leute umarmt man nicht, die betrachtet man voller Bewunderung aus der Ferne, es ist nicht übertrieben, immer wieder wie vergnüglich zu sagen, die Kollegin laut, die einzigen Worte, die sie laut aussprach, wäre jemand in der Nähe, könnte er es verstehen
– Wie vergnüglich
und die Person in ihrer Nähe hätte auch ihr Vergnügen, Senhor Barata leise, respektvoll
– So etwas habe ich noch nie gesehen Dona Cidália