Brigitte Glaser, Jahrgang 1955, stammt aus dem Badischen, lebt und arbeitet seit über dreißig Jahren in Köln.
Bei Emons erschienen ihre Katharina-Schweitzer-Romane »Leichenschmaus«, »Kirschtote«, »Mordstafel«, »Eisbombe«, »Bienen-Stich« und »Himmel un Ääd«.
Sie ist außerdem die Autorin der Stadtteilkrimis »Tatort Veedel« im Kölner Stadt-Anzeiger. Die bisherigen 33 Kurzkrimis erschienen
im Emons Verlag in einem Sammelband.
Näheres über die Autorin: www.brigitteglaser.de.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.
Im Anhang finden sich Rezepte dreier Menüs für viele Leute.
© 2013 Hermann-Josef Emons Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagzeichnung: Heribert Stragholz
Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch
eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
ISBN 978-3-86358-321-7
Köln Krimi
Originalausgabe
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Er lag unschuldig unter dem Eichentisch.
Rausgerutscht aus einem Sakko, ausgebüchst aus einer Handtasche, sonst wie fallen gelassen. Braun, DIN A5, wattiert, zugeklebt, unbeschriftet. Nichts, aber auch gar nichts deutete auf den Ärger hin, den mir dieser Umschlag machen würde.
»Die Viva-Leute waren heute völlig durch den Wind«, sagte Eva. »Keiner weiß, ob er übernommen wird. Viele wollen nicht nach Berlin.«
Ich nickte unbestimmt und setzte mich. Weder für die Viva-Mitarbeiter noch für mich war es gut, dass der Musiksender nach Berlin zog. Damit brach mir ein solventer Teil meiner Kunden weg.
»Und Scarlett im Service einzusetzen ist keine gute Idee, Katharina«, fuhr Eva fort, während sie an der Garderobe in ihren schmalen, rost-karamell karierten Wollmantel schlüpfte.
Sie sah müde aus, wirkte völlig erledigt.
»Sie ist flink und wendig, aber sie kann nicht mit den Gästen umgehen. Heute hat sie so einem schmierigen Redakteur ›Fuck you‹ ins Ohr gezischt, nachdem der sie angemeckert hat, weil die Suppe nicht schnell genug kam. Ich musste hinterher all meinen Charme aufbieten, damit er die Rechnung zahlte.«
»Nichts läuft so, wie es soll«, seufzte ich und streckte meine schweren Beine unter den langen Tisch. »Ich rede morgen mit ihr. Willst du dich nach jemand anderem umsehen?«
Eva schüttelte die blonden Locken und versteckte diese dann unter einer kleinen russischen Fellmütze. »Können wir uns doch gar nicht leisten, oder? Außerdem schaffe ich es zurzeit ganz gut alleine. Da muss der eine oder andere mal ein kleines bisschen warten, aber das krieg ich hin. Außerdem kann Holger mir beim Auftragen helfen.«
Eva lächelte mich an, während sie ihre Handschuhe aus der Tasche kramte. Sie war spät dran, selten trödelte sie nach der Arbeit so lange herum.
»Kopf hoch, Katharina«, versuchte sie mich weiter aufzumuntern. »Für morgen haben wir schon dreißig Vorbestellungen. Wirst sehen, bald summt und brummt der Laden!«
»Mach, dass du nach Hause kommst!«, sagte ich und hob endlich den Umschlag vom Boden auf.
»Ben holt mich heute ab«, entgegnete sie und spähte durch die Vorhänge auf die Straße, wo jetzt ein Auto hielt. »Da ist er! Bis morgen!«
Eva öffnete leise die Tür. Kurz strömte eisige Februarkälte in die Weiße Lilie. Durchs Fenster sah ich sie mit ihrem fließenden, weichen Gang sanft wippend zum Auto gehen.
Eva war eine atemberaubend schöne Frau. Makellose Haut, rehbraune Augen, ein üppiger Goldschopf und Beine so lang wie die von Marlene Dietrich. Als sie sich bei mir vorstellte, kamen mir mein kräftiger Hintern, mein üppiger Busen, meine beachtliche Größe, die vielen Sommersprossen und schwer zu zähmenden roten Locken irgendwie zweit- oder drittklassig vor. Dabei mangelt es mir eigentlich keineswegs an Selbstbewusstsein.
»Also, äh, in meinem Restaurant«, stakste ich bei unserem ersten Gespräch herum, »wird es nur einen einzigen langen Tisch geben. Einen Table d’hôte, an dem sich die Gäste nicht nur zum Essen und Trinken, sondern auch zum Plaudern, zum Debattieren, vielleicht auch zum Verlieben treffen sollen. Alle Gäste essen gemeinsam, es gibt einen Hauptgang, bei Vor- und Nachspeisen sind Variationen möglich. – Vom Service verlangt dieses Konzept einiges.«
Eva hörte sich meine Ausführungen aufmerksam an und meinte dann, dass dies genau die Art von Herausforderung sei, nach der sie gesucht habe. Sie traue sich problemlos zu, einen großen Haufen hungriger Gäste so lange ruhig zu halten, bis alle was auf dem Teller hatten.
»Ich kann nicht viel zahlen«, gestand ich am Ende des Gesprächs, »die Weiße Lilie ist mein erstes eigenes Resto.«
Eva erbat sich Bedenkzeit, die ich nur zu gern gewährte. So überlegte ich meinerseits, ob ich überhaupt mit einer so schönen Frau zusammenarbeiten konnte. Was, wenn sie mir den Rang ablief? Was, wenn die Restokritiker den exzellenten Service mehr als die hervorragende Küche lobten? Was, wenn sie in Berichten über uns alle ihre Schönheit herausstrichen und bestenfalls noch mein Lachen erwähnten? Alberne Eitelkeiten. Die Hauptsache war, man erhielt überhaupt Kritiken und die Gäste kamen. Wenn Eva so gut war, wie ihre Empfehlungen vermuten ließen, konnte es nur von Vorteil sein, wenn ich sie mit ins Boot nahm.
»Ich mach’s«, sagte sie zwei Tage später. »Der lange Tisch, die große Tafel, das finde ich sehr reizvoll … Was das Geld betrifft«, fuhr sie fort, »möchte ich, dass mein Gehalt nach der Probezeit erhöht wird.«
»Selbstverständlich, wenn ich mir das leisten kann«, antwortete ich und stellte sie ein.
Bei allem, was ich mit der Weißen Lilie falsch gemacht habe, die Entscheidung für Eva habe ich nie bereut.
Der braune Umschlag war fest zugeklebt, und im Augenblick fehlte mir die Energie, aufzustehen und ein Messer zum Öffnen zu holen. Also ließ ich ihn erst mal liegen.
Gestern fünfzehn Essen, heute zwanzig, das war einfach zu wenig. Manchmal drückten mich die Geldprobleme so sehr, dass ich mich an meinem Resto überhaupt nicht mehr erfreuen konnte. Dabei war die Weiße Lilie genau so geworden, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Sanftes Apricot an den hohen Wänden, luftige Stores an der schönen Fensterfront zur Keupstraße und in der Mitte der lange, dunkel polierte Eichentisch, an dem dreißig Leute Platz fanden. Falls mehr Gäste angekündigt waren, konnte man den Tisch problemlos mit zwei kleineren Tischen gleicher Machart verlängern. Eine freundliche, warme Umgebung, ein idealer Ort, um seine Sorgen zu vergessen und gutes Essen zu genießen.
Die dunkle französische Anrichte aus dem achtzehnten Jahrhundert hatte Kerner mir zur Eröffnung geschenkt. Mein alter Chef war ein Leuteschinder, aber mir gegenüber hatte er sich überraschend großzügig gezeigt. Nur mit seinem Geld hatte ich mir einen Herzenswunsch erfüllen können. So lange ich Köchin bin, träume ich davon, keine trennende Wand zwischen Küche und Resto zu haben. Durch die Glaswand, die ich mir mit Kerners Geld baute, konnte ich meinen Gästen beim Essen und meine Gäste konnten mir beim Kochen zusehen. Angenehmes, gedämpftes, unverständliches Gemurmel drang vom Resto in die Küche, und der Lärm, den Töpfe, Pfannen und fluchende Köche machten, störte die Gäste nicht beim Essen. Das war ein bisschen wie Fernsehen mit leise gestelltem Ton, aber auch ohne dass ich verstand, was meine Gäste redeten, merkte ich am Auf- und Niederschwellen des Murmelns und an den Gesichtern, ob eine Tafelrunde funktionierte oder nicht.
Entlang der Glasfront hatten wir den langen Pass gebaut, auf dem Holger und ich die Teller arrangierten. Es war lustig zu beobachten, wie sich neugierige oder ungeduldige Gäste manchmal die Nase platt drückten, so wie Kinder, die in Mutters Küche vor dem Essen gerne die Kochdeckel lüften.
Den Bankberater für meinen Existenzgründungskredit hatte ich in vielen Gesprächen überzeugen können, dass die kontaktfreudigen, an die langen Tresen ihrer Brauhäuser gewohnten Kölner solch ein Gastrokonzept annehmen würden. Adela, die vor ein paar Jahren seine Frau entbunden hatte, hatte mich dabei tatkräftig unterstützt. Aber leider war den Kölnern, trotz knappster Kalkulation, mein Resto zu teuer, als dass sie es regelmäßig und in Scharen besucht hätten, und bei der Planung hatte noch nicht mal die Stadtsparkasse ahnen können, dass Viva in Mülheim so schnell wegbrechen und über zweihundert Mitarbeiter des Musiksenders, teilweise gute Kunden der Weißen Lilie, ihren Job verlieren würden.
Wahrscheinlich hätte ich an dem Abend noch länger Trübsal geblasen oder endlich den Umschlag geöffnet, wenn Adela nicht angerufen hätte.
»Ich sitz hier bei Kurt, Schätzelchen«, flötete meine Zimmerwirtin und Freundin gut gelaunt ins Telefon. »Komm doch auf ein Kölsch vorbei, dann können wir ein bisschen quatschen.«
So stopfte ich den Umschlag zusammen mit ein paar frisch gedruckten Prospekten für die Weiße Lilie in meine Handtasche und raffte mich endlich dazu auf, mein leeres Resto zu verlassen.
Durch die Regentenstraße pfiff ein eisiger Winterwind und ließ die alten Kastanienbäume auf dem Spielplatz ächzen und stöhnen. Ich schlug den Kragen meiner Kamelhaarjacke hoch und bog nach rechts ab. Das große Altenheim des Arbeiter-Samariter-Bundes, das sich längs der Keupstraße von der Mülheimer Freiheit bis zur Regentenstraße erstreckte, lag, wie meist um diese Zeit, im Dunkeln. Nur manchmal flackerte nachts in dem einen oder anderen Zimmer ein spätes Licht, und durch die gekippten Fenster drang ein Stöhnen bis auf die Straße. Dann schreckten die betagten Bewohner aus ihren Alpträumen auf und wurden von ihren schlimmsten Erinnerungen eingeholt. Vom Brandgeruch der zerstörten Stadt, von Leichen, die man am nächsten Tag aus den Trümmern zog, vom Hunger, der sich im Magen festbohrte, vom Heimweh während der Landverschickung. Vielleicht stöhnten sie aber auch nur, weil seit vier Wochen keines der Kinder zu Besuch gekommen war.
Ich beschleunigte meine Schritte, sah schon das hell erleuchtete Fenster der Vielharmonie auf der Mülheimer Freiheit, dahinter die schemenhaften Umrisse der debattierenden und lachenden Gäste, und hoffte, für ein, zwei Stunden meine Sorgen vergessen zu können.
Adela stand am noch gut besuchten Tresen, ins Gespräch vertieft mit einem Mann meines Alters in brauner Wildlederjacke, und winkte mich zur einzigen noch leeren Sitzgelegenheit. Kurt grüßte mich durch ein kurzes Nicken und schob mir ein frisch gezapftes Kölsch zu.
»Hab ich für dich freigehalten, Schätzelchen«, empfing mich Adela und deutete auf den Barhocker. »Ich weiß doch, wie weh dir deine Beine tun, wenn du den ganzen Tag in der Küche gestanden hast.«
»Wo ist Kuno?«, fragte ich, nachdem ich das erste Glas geleert hatte. Kurt zapfte ein köstliches Kölsch, immer frisch und immer genau richtig gekühlt.
»Der ist noch beim Loss-mer-singe, in der Marie. Damit er ein paar Karnevalslieder lernt«, antwortete sie und nahm Kurt zwei frisch gefüllte Kölschgläser ab. »Das ist seine erste Session in Köln, und er kann mit Ach und Krach ›Mr losse de Dom in Kölle‹ summen.«
Adela hatte den bedächtigen Kommissar vor anderthalb Jahren im Schwarzwald kennen gelernt, wo er in einem Fall ermittelte, in den wir beide verstrickt waren, und sich Hals über Kopf in den kleinen Schwaben verliebt. Nach seiner Pensionierung war Kuno Eberle zu Adela nach Köln gezogen, und die fidele ehemalige Hebamme machte ihn eifrig mit den Sitten und Gebräuchen ihrer rheinischen Heimat vertraut.
»Hätt ich fast vergessen«, sagte ich. »Übermorgen ist ja schon Weiberfastnacht.«
»Und diesmal gehst du mit!«, bestimmte Adela. »Ich habe schon ein Kostüm für dich. Wir sind ‘ne nette Runde: Kuno, Walter, der Graf und Sybille.«
»Apropos Sybille! Mit deren Tochter hast du mir wirklich keinen Gefallen getan«, musste ich meinen Ärger loswerden. »Als Putzfrau ist Scarlett eine Niete, bedienen kann sie zwar, aber wenn ihr die Gäste nicht passen, schnauzt sie sie an. Und dann die Ratte! Sie weiß genau, dass sie die nicht in die Weiße Lilie bringen darf, aber ich habe sie schon dreimal dabei erwischt, wie sie versucht hat, das Vieh im Personalspind zu verstecken. Eine Ratte in einem Resto! Wenn das einer mitbekommt, kann ich dichtmachen.«
»Ratten gibt es überall in der Umgebung von Menschen, nur sehen wir sie meistens nicht. Und Scarlett ist jung und aufmüpfig, aber sie hat einen guten Kern«, verteidigte Adela das Mädchen, das sie vor achtzehn Jahren entbunden hatte. »Ich bin sicher, du kannst das Beste aus ihr herauskitzeln. Und Sybille ist so froh, dass du ihr einen Job gegeben hast. Die meisten hätten sie schon wegen ihres Nasenrings und der rot gefärbten Haaren nicht eingestellt. – Du tust wirklich ein gutes Werk, Schätzelchen!«
»Dennoch, beim nächsten Fauxpas schmeiß ich sie raus. Du weißt, wie schwer es ist, die Lilie über Wasser zu halten. Ich kann mir den Luxus nicht leisten, Angestellte zu bezahlen, die ihre Arbeit nicht tun.«
»Angestellte zu bezahlen, die ihre Arbeit nicht tun«, äffte Adela mich nach. »Kaum hast du einen eigenen Laden, benimmst du dich wie ein kalter Kapitalist! Ich sag ja nicht, dass du Scarlett alles durchgehen lassen sollst, aber ein paar Fehler sollte jeder machen dürfen, bevor er rausfliegt.«
»Soll ich dir mal Scarletts Liste aufzählen?«
Adela sah mich vorwurfsvoll an. »Sybille sagt, Scarlett sei viel ausgeglichener, seit sie bei dir arbeitet. Seither ist das schwierige Mutter-Tochter-Verhältnis echt entspannt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie gut Sybille das tut! Seit drei Monaten keine Depressionen mehr«, bearbeitete sie mich weiter. Die Mitleidsdrüse konnte sie ausgezeichnet bedienen.
»Also gut, eine Chance kriegt sie noch«, gab ich klein bei.
»Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann«, seufzte die alte Hebamme erleichtert und kniff mich in die Seite.
Dadurch stieß ich mit dem Nachbarn in der Wildlederjacke zusammen, der sich zu uns umdrehte.
»Sorry«, sagte ich.
»Hi«, sagte er.
»Tayfun, Katharina«, machte Adela uns bekannt. »Tayfun habe ich mal bei einer sehr komplizierten Geburt geholfen«, erklärte sie mir und zwinkerte Tayfun zu.
Bevor sie weiter ausholen konnte, klingelte ihr Handy. An ihrem verklärten Blick merkte ich sofort, dass Kuno anrief.
»Ich fahre jetzt nach Hause«, verkündete sie dann freudestrahlend. »Willst du mit?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte weder Lust, mit dem verliebten Seniorenpärchen in der Küche zu hocken, noch mir Kunos frisch erworbenen kölschen Liedschatz anzuhören. Adela nickte und klebte einen Zwanzigeuroschein auf den bierfeuchten Tresen.
»Trinkt noch ein Kölsch auf meine Rechnung und amüsiert euch gut!«
Sie gab Tayfun einen Klaps auf den Po und kniff mich in die Backe, bevor sie ihren kleinen runden Körper an den anderen Gästen vorbei zum Ausgang schob. Von dort drehte sie sich nochmals um und warf uns zum Abschied eine Kusshand zu.
»Wenn man sie so erlebt, hat man überhaupt keine Angst mehr vor dem Älterwerden«, kommentierte Tayfun ihren Abgang. Er sah ihr nach und sagte dann zu mir: »Du bist also die Köchin. Adela hat mir von dir erzählt.«
Was man umgekehrt nicht behaupten konnte. Ich hatte noch nie was von Tayfun gehört und war mir nicht sicher, ob ich überhaupt etwas von ihm hören wollte. Mit den glatten braunen Haaren und der römischen Nase sah er etwas herb aus, aber die warmen, zimtbraunen Augen glichen die Strenge aus. Kein Mann, der mich interessierte, aber eine kleine Konversation konnte nicht schaden.
»Und du bist Arzt?«
»Hey«, grinste Tayfun. »Wir müssen uns nicht unterhalten, nur weil Adela das meint. Wenn du lieber allein dein Bier trinkst, dann verzieh ich mich. Nur eine Frage musst du mir beantworten, als Fachfrau sozusagen. Schließlich stehe ich nicht jeden Tag mit einer Köchin am Tresen. Was ist wichtiger: ein guter Grill oder ein gutes Messer?«
Was für eine Frage! Ich hob zu einer längeren Ausführung über Feuer und Stahl an, endete irgendwann bei Darwin und der Entdeckung des Feuers als wesentlichem Schritt zur Menschwerdung. Warum hat Darwin eigentlich das Messer nicht erwähnt? Ohne dieses wären unsere Ahnen wie die Tiere weiterhin auf das Zerkleinern der Speisen mit den Zähnen angewiesen gewesen.
»Na ja, vielleicht kommst du langsam mal in der Gegenwart an«, unterbrach Tayfun lachend meinen Redeschwall.
Da gibt es überhaupt kein Vertun, Messer haben für uns Köche eine viel größere Bedeutung als Feuer. In Profiküchen wird mit Gas gekocht, einzige Alternative dazu: ein Induktionsherd. Bei Messern dagegen … Durchgängig geschmiedeter Stahl oder Stahl mit Holzgriff, Solinger oder französische Schmiede, eines für alles oder viele Messer, getrennt nach Fleisch, Gemüse, Fisch. Extrem scharfe aus Porzellan, die niemals stumpf werden, oder rostender japanischer Stahl in gleicher Qualität. Messer für hundert oder fünfhundert Euro.
»Jeder Koch arbeitet immer mit seinen eigenen Messern«, erzählte ich. »Ungelogen, es gibt Kollegen, die hüten ihre Messer wie Augäpfel, bringen sie in verschlossenen Koffern zur Arbeit mit. – Warum willst du das eigentlich wissen?«, unterbrach ich mich irgendwann selbst.
»Fred, ein Freund von mir, ein begeisterter Hobbykoch, wird vierzig. Unter uns Freunden gibt es zwei Fraktionen. Die eine will ihm den Luxusgrill und die andere das ultimative japanische Beil schenken. Ich wusste bisher nicht, zu welcher Fraktion ich tendiere.«
»Und? Weißt du es jetzt?«
»Du als Profi redest mit größerer Begeisterung über Messer, was bedeuten könnte, dass sich Fred darüber mehr freuen würde … Aber gefühlsmäßig würde ich die Wärme des Feuers der Kälte des Stahls vorziehen.«
»Tja«, sagte ich und nahm Kurt zwei weitere frisch Gezapfte ab. »Du siehst, manchmal hilft eine Expertenbefragung nicht weiter.«
»Fred sucht übrigens noch einen geeigneten Ort zum Feiern«, fuhr Tayfun fort, nachdem er einen kräftigen Schluck von dem frischen Kölsch genommen hatte. »Weißt du zufälligerweise einen?«
»Hat er Geld?«
»Mehr als ich.«
»Ich vermiete die Weiße Lilie auch für geschlossene Gesellschaften. – Warte mal!«
Ich angelte mir meine Handtasche und suchte nach einem der Prospekte, die ich eingesteckt hatte. Die hatten sich, wie immer in solchen Situationen, in den hintersten Winkel meines großen Beutels verkrochen. Der Umschlag störte mich bei der Suche, ich legte ihn kurz auf den Tresen, und dann endlich förderte ich einen der Prospekte zutage.
»Gib den mal an deinen Freund weiter.«
Tayfun faltete das Leporello auseinander, las den Text und betrachtete interessiert die Fotos.
»Sieht schön aus von innen, warm und wohlig, ganz anders als von außen.«
»Kennst du es?«, fragte ich erstaunt.
»Ich wohne direkt gegenüber. Von meinem Küchenfenster aus kann ich deinen Eingang sehen.«
»Und da bist du noch nicht zu mir zum Essen gekommen?«
»Du nimmst gepfefferte Preise, so was kann ich mir eigentlich nicht leisten.«
»Vielleicht nicht jeden Tag, aber doch hie und da.«
»Bei der Werbung sollte ich es mal versuchen«, grinste Tayfun.
»Überrede doch deinen Freund Fred zu einem Testessen bei mir«, schlug ich vor.
»Katharina«, unterbrach uns Kurt. »Wenn du die letzte Bahn kriegen willst, musst du dich beeilen.«
Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es tatsächlich schon so spät war. Hektisch packte ich meine Sachen zusammen, zahlte und verabschiedete mich.
»Falls du die Bahn verpasst, komm noch mal wieder. Ich bleib noch ein bisschen«, sagte Tayfun und reichte mir den Schal, den ich fallen gelassen hatte.
Ich hetzte nach draußen. Vereinzelte Schneeflöckchen fielen, und der eisige Winterwind spielte mit ihnen Fangen. Außer mir kämpfte sich niemand durch die Kälte. Hinter dem Spielplatz sah ich am Clevischen Ring die Vier nahen. Ich legte einen für meine Verhältnisse fulminanten Spurt hin und erreichte in letzter Sekunde die Bahn. Schwer atmend und mit klopfendem Herzen plumpste ich auf einen der vielen freien Sitze. Außer mir saß nur noch ein Gruftie-Mädchen, das mich irgendwie an Scarlett erinnerte, im Wagen. Es klammerte sich an einer Flasche Gilden fest, und sein Blick klebte an einer Werbetafel, auf der die Polizei um Abiturienten warb. Ob es die Polizei wirklich als möglichen Arbeitgeber in Erwägung zog? Ich nickte dem Mädchen freundlich zu und stellte erstaunt fest, dass ich guter Dinge war. In den letzten Stunden hatte ich meinen Geldsorgen nicht den winzigsten Gedanken gewidmet.
*
Kölner Käsefreunde pilgern seinetwegen Woche für Woche auf den Riehler Markt, und auch mich führte an diesem kalten Februarmorgen meine Einkaufsrunde dorthin. Das Sortiment an Rot-, Weiß- und Blauschimmelkäse war mindestens genauso beeindruckend wie die Rohmilchkäse und die Palette von österreichischen, schweizerischen, italienischen und französischen Hartkäsen, alle natürlich von absolut bester Qualität. Und das Allerbeste: überhaupt nicht teuer. Nirgendwo in Köln kaufte man so guten Käse für so wenig Geld wie beim Siegburger Käsepapst.
»Und? Wie war der Pont l’Évêque? Habe ich Ihnen zu viel versprochen?«, begrüßte mich der kleine weißhaarige Mann und reichte mir ohne zu fragen ein Stückchen Butterkäse aus Niederösterreich, den er neu in seinem Sortiment hatte, zum Kosten.
Nach drei weiteren Käseproben stoppte ich ihn. Mein Magen, der gerade mal eine Tasse Kaffee intus hatte, vertrug um diese Zeit noch nicht so viel Käse, und mein Kopfweh, das von den gestrigen Kölsch herrührte, wurde davon auch nicht besser.
Bei Wind und Wetter und wann immer es meine Zeit erlaubte, fuhr ich mittwochmorgens zum Einkaufen auf den Riehler Gürtel. Auf keinem anderen Kölner Markt im Norden der Stadt fand ich so viel gut sortierte Obst- und Gemüsestände und Spezialitäten, wie Wildschweinbraten aus der Eifel, badisches Bauernbrot, feinste Nordseekrabben, Spreewälder Gurken oder offene Gewürze. Neben einer üppigen Käseauswahl erstand ich an diesem Morgen drei Frischlingsrücken und zwanzig Porreestangen und machte mich damit auf den Weg zur Arbeit. Es war erstaunlich wenig Verkehr auf der Mülheimer Brücke und um den Wiener Platz, und ich traf früher als üblich in der Weißen Lilie ein. Ich hatte Mühe, die Tür zu öffnen. Das Schloss klemmte. Die Stühle um den großen Tisch standen noch wirr durcheinander, Scarlett hatte noch nicht geputzt, sie kam von Mal zu Mal später zur Arbeit. Lange würde ich mir diese Schlamperei nicht mehr ansehen, Adela hin oder her. Ich packte die Einkäufe aus, überprüfte die Vorräte, telefonierte mit dem Fischhändler, bestellte Hecht für Freitag. Als ich am großen Tisch die Speisekarte schrieb, stolperte Holger herein, unter dem Arm einen Schuhkarton.
Mit den vor Kälte geröteten Wangen, dem hellen Gesicht und den schwarzen Locken ähnelte mein Jungkoch einem Barockengel. Nicht nur sein Gesicht, auch sein runder weicher Körper entsprach, sehr zu Holgers Kummer, eher dem barocken als dem heutigen Schönheitsideal.
»Hast du noch Schuhe gekauft?«, fragte ich.
Er schüttelte eilig den Kopf. »Wiewieso bibibist dudu schon da?«, stotterte er.
Ich sah ihn verwundert an, denn eigentlich stotterte er nicht mehr. Vor zwei Jahren, als wir gemeinsam in Spielmanns Goldenem Ochsen gearbeitet hatten, war ihm das Reden so schwer gefallen, dass er kaum gesprochen hatte. Einzig Goethes Faust konnte er damals stotterfrei aufsagen. In der Zwischenzeit, nach vielen Stunden bei einer Sprachtherapeutin, sprach er kurze Sätze fließend, die aber selten mehr als vier, fünf Wörter umfassten. Er stotterte nur noch, wenn er sich aufregte.
»Bin gut durchgekommen. – Hast du nun neue Schuhe oder nicht?«
Er schüttelte den Kopf. »Hohoholzwolle für ddie Ratte.«
»Scarletts Ratte?«, fragte ich ungläubig. »Jetzt sag nicht, dass die hier ist.«
Holger nickte und holte tief Luft. »Sie hat gefragt. Nur für zwei Tage.«
Die Worte kamen langsam, aber zum Glück wieder flüssig aus seinem Mund.
»Wo?«, fragte ich.
»Im Keller.«
»Das blöde Vieh kann auf keinen Fall in der Lilie bleiben«, bestimmte ich.
Holger sah kreuzunglücklich aus und wiederholte seine Atemübung. »Zu Hause geht es nicht«, brachte er angestrengt heraus. »Außerdem: Ratten knabbern keine Weinflaschen an. – Ist doch nur für zwei Tage.«
Diese Scarlett! Nutzte Holgers Gutmütigkeit aus, und der baute jetzt auf meine. Er stellte den Karton auf einen der Stühle und sah mich aus seinen runden blauen Augen erwartungsvoll an.
Holger war ein vorzüglicher Koch, ich mochte ihn, und er mochte mich. Der Lockenkopf hatte sofort seine besser bezahlte Stelle im Hyatt gekündigt, als ich ihn fragte, ob er bei mir arbeiten wolle. Natürlich wusste ich, dass er nicht nur meinetwegen die Stelle gewechselt hatte. Der schüchterne, manchmal gehemmte Jungkoch fühlte sich in meiner kleinen Küche wohler als in der großen Brigade im Hyatt, wo er bei den üblichen Wortgefechten nicht mithalten konnte und oft gehänselt wurde. Dennoch: Seit er bei mir arbeitete, hatte er wegen keiner Überstunde oder zu spät gezahltem Gehalt gemeckert. In den letzten Wochen hatte er zu Hause auf seinem Rechner den neuen Prospekt für die Weiße Lilie entwickelt und gestaltet, ohne einen Cent zusätzlich zu verlangen. – Scarlett hätte ich nie erlaubt, ihre Ratte in der Weißen Lilie zu parkieren. Aber konnte ich Holger den Gefallen abschlagen?
»Zwei Tage lang. Im Weinkeller. Und wenn Scarlett sie dann nicht abholt, kriegt das Vieh Rattengift. Wo ist sie überhaupt? Sie müsste längst sauber machen.«
Holger zuckte mit den Schultern.
»Zeig mir, wo ihr sie versteckt habt«, befahl ich.
Ich folgte Holger in den Keller, wo die Ratte in einem stabilen Karton zwischen zwei Weinkisten hauste. Aus sicherer Entfernung warf Holger etwas Holzwolle in den Karton.
»Wieso gehst du nicht näher ran?«, fragte ich. »Hast du etwa Angst vor dem Vieh?«
»Ein bisschen«, bestätigte er und zerknüllte ein wenig Zeitungspapier, das er ebenfalls bei sich hatte, und warf die Kügelchen in den Karton.
»Was soll das denn?«, fragte ich ungläubig.
»Ist eine sehr ungewöhnliche Ratte«, sagte er. »Frisst Papier.«
Als Eva eine Stunde später zur Arbeit kam, kühlte die Apfelschichtspeise mit Zwieback und Pinienkernen im Eisschrank, und die Quittentarte karamellisierte im Backofen. Die Entenleberterrine mit Apfel-Thymiangelee für die Vorspeise stockte seit gestern im Kühlschrank. Während Holger Feldsalat putzte, kümmerte ich mich um den Hauptgang: die Frischlingsrücken mit Zimt gewürzt, gedünstet auf einem Porreebeet in einer schweren Kasserolle.
»Ich glaube, du solltest mal ein ernstes Wörtchen mit Scarlett reden«, meinte Eva, nachdem sie Staub gesaugt hatte.
»Worauf du dich verlassen kannst!«
Seufzend stellte Eva den Staubsauger zurück. Ich hackte derweil Mandeln und Rosinen klein, die ich für die Nusskruste des Frischlingsrückens brauchte.
»Und du weißt wirklich nicht, wo Scarlett steckt?«, fragte ich Holger. »Ich meine, sie bittet dich, die Ratte zu versorgen, und sagt nicht, wieso und warum. Die Ratte und sie waren doch unzertrennlich.«
Holger überlegte ein Weilchen, bevor er antwortete: »Scarlett sagt nie, was sie plant.«
Im Resto rannte Eva zum klingelnden Telefon.
»Da ist Scarletts Mutter«, meldete sie und steckte den Kopf durch die Küchentür. »Sie will ihre Tochter sprechen.«
»Sag ihr, dass die dumme Kuh nicht zur Arbeit erschienen ist«, sagte ich.
»Rede lieber selbst mit ihr«, schlug Eva vor. »Adela erzählt doch immer, wie ängstlich und labil die Mutter ist.«
Ich legte mein Messer zur Seite und ließ mir von Eva das Telefon reichen.
»Wir fragen uns auch, wo Scarlett bleibt, sie ist bis jetzt nicht hier aufgetaucht«, polterte ich los. »Wann ist sie denn von zu Hause weggegangen?«
»Sie hat nicht hier geschlafen. Das macht sie manchmal, aber dann ruft sie mich immer am nächsten Morgen an. Heute hat sie nicht angerufen, deshalb habe ich …«
Ich merkte, wie Sybilles Stimme wegkippte und sie leise anfing zu weinen.
»Jetzt mach dir mal keine Sorgen«, versuchte ich sie zu beruhigen. »Wir wissen doch beide, dass Scarlett nicht die Zuverlässigste ist.«
»Deshalb bin ich auch so dankbar, dass du ihr den Job gegeben hast«, schluchzte Sybille.
»Ist ja gut, ist ja gut«, unterbrach ich sie schnell.
Das hatte ich nun von meiner Gutmütigkeit. Erst versetzte mich die Tochter, dann heulte mir die Mutter die Ohren voll.
»Sorry«, würgte ich die schluchzende Sybille ab und merkte, dass meine Kopfschmerzen sich verstärkten. »In einer halben Stunde kommen die Gäste. Ruf doch Adela an!«
Besser, Scarlett tauchte heute nicht mehr hier auf. Ich war so sauer, dass ich sie sofort gefeuert hätte. Ich warf Eva das Telefon zu, schnürte meine Schürze enger, griff mir das Messer und knurrte wütend.
»Den Chicorée? Wie soll ich ihn schneiden?«, fragte Holger, um mich abzulenken.
»Nur die kleinen Blätter nehmen und die ganz lassen«, sagte ich schroffer als nötig. »Du weißt wirklich nicht, wo sie steckt?«
Er schüttelte den Kopf und begann eilig, den Chicorée zu entblättern.
In den nächsten vier Stunden vergaß ich den Ärger mit Scarlett. Zu den dreißig Voranmeldungen waren noch sechs weitere Gäste als Laufkundschaft dazugekommen, so voll wünschte ich mir die Weiße Lilie jeden Tag. Stuhl an Stuhl saßen die Gäste an meinem Table d’hôte. Immer wieder glitt mein Blick über die Tafelrunde.
Drei schon etwas aus dem Leim gegangene Mittvierzigerinnen unterhielten sich angeregt. Der dickbäuchige Blondschopf vor dem Fenster riss Witze. Der Lange im gedeckten Anzug neben ihm verfolgte Eva mit gierigem Blick. Eva drehte sich zu ihm um, ertappt wandte er den Blick in Richtung Tisch. Eva schien zu spüren, wenn man sie so anblickte. Nie ließ sie es zu, dass sich einer, egal mit welchen Phantasien, in ihren Anblick verlor. Eine hagere Frau mit einem neckisch um den Hals geknoteten rot-grünen Tüchlein wirkte einsam. Schon beugte sich Eva lächelnd zu ihr, und kurze Zeit später prostete sie entspannt einer gegenübersitzenden Grauhaarigen gleichen Alters zu. Ohne Eva, stellte ich zum ich weiß nicht wievielten Male fest, würde mein langer Tisch wahrscheinlich gar nicht funktionieren. Auf dem Pass reihte Holger jetzt die leeren Teller für die Vorspeisen auf, und Eva rief uns die Bestellungen zu. Entenleberterrine mit elsässischen Crudités, Thunfischmousse mit marinierter roter Grapefruit und Wintersalat mit Käsenocken und Pflaumensoße. So langsam Holger mit der Zunge war, so flott war er mit den Händen. Wieselflink drapierte er Salate, schnitt zentimetergenaue Terrinenstücke ab, während ich Käsenocken und Soßenspritzer verteilte. Kaum hatte Holger Eva die letzte Vorspeise zugeschoben, bemehlte er schon die Finger, um Spitzbuben aus dem Kartoffelteig zu rollen. Derweil stellte ich die Teller für den Hauptgang parat, arrangierte die Käseplatte, legte die Baguettes zum Aufbacken aufs Blech, schob zwei große Pfannen für die Spitzbuben auf den Herd und ließ darin ein Stück Butter zerfließen. Die Frischlingsrücken, die auf dem Lauchbeet schmorten, dufteten wunderbar nach Winter. Holger jonglierte mit den zwei Spitzbubenpfannen, ich zerteilte und verteilte Wildschweinfleisch und Porreestangen, und Holger folgte mit den Spitzbuben.
»Die zwei einsamen Herzen unterhalten sich über Yogakurse!«
Eva deutete auf die Hagere, die mir vorhin aufgefallen war. Sie war jetzt eifrig mit der Grauhaarigen ins Gespräch vertieft.
Nachdem sie den Hauptgang aufgetragen hatte, verschnaufte Eva bei einem Glas Wasser bei uns in der Küche.
»Dem Dicken, der vor der Anrichte sitzt, ist nichts recht, der Rioja zu kalt, die Salatsoße zu pflaumig, das Brot zu knusprig. Kein Wunder, dass seine Frau den Wein wie Wasser säuft. Hoffentlich kippt sie mir nicht kopfüber in den Nachtisch«, ließ sie Luft ab, bevor sie wieder nach draußen eilte.
»Füll die Espressomaschine auf«, befahl ich Holger und holte die weiße und schwarze Schokoladenmousse aus dem Kühlschrank.
Schokoladenmousse befriedigt eine ganz tief liegende, ursprüngliche Gier nach Süßem, anders ließ sich ihr Erfolg nicht erklären. Nachdem Eva jedes Mal, wenn ich sie nicht auf die Karte gesetzt hatte, danach gefragt wurde, ließ ich die »Viererlei Schokoladenmousses« als Standardnachtisch durchlaufen, und es verging kein Tag, an dem dieser nicht bestellt wurde. Auch in der heutigen Runde war die Zahl der Süchtigen groß. Eva orderte doppelt so viele Mousses wie Quittentarte und Apfelschichtspeisen.
Eine halbe Stunde später schrubbte ich den großen Gasherd, Holger servierte die letzten Digestifs, und Eva schrieb die ersten Rechnungen. Kurz vor Mitternacht schloss ich die Weiße Lilie zu. So früh kam ich selten nach Hause.
Zu Hause legte ich mich ins Bett und machte den Fernseher an. Im Ersten stritten sich Myrna Loy und William Powell in einem alten Schwarzweißschinken, im Zweiten spazierte Philippe Noiret mit Charlotte Rampling einen irischen Strand entlang, im WDR befragte ein bebrillter Intellektueller einen ehemaligen Neonazi, und auf RTL erzählten sich die Golden Girls schmutzige Witze. Ich zappte mich so lange von einem Programm ins andere, bis mich die nötige Bettschwere schlafen ließ.
Zwei Stunden später riss mich Handyklingeln aus dem Tiefschlaf.
»Horsch amol, wo isch bin, Katharina«, nuschelte Kerner in seinem breiten Frankfurterisch.
Ich brauchte die leicht verzerrten Bebop-Klänge nicht zu hören, die er mir durchs Telefon schickte, um das zu wissen. Wenn Kerner um diese Zeit anrief, saß er immer in einem der Sachsenhausener Jazzlokale.
»Beam dich mal schnell rüber. Wir sind schon so lang nicht mehr zusammen unterwegs gewesen.«
Kerner war besoffen. Aus Erfahrung wusste ich, dass er mindestens zehn Äppelwoi und sechs große Calvados geschluckt hatte. Erst ab der Menge Alkohol wurde er so sentimental, dass er mich aus dem Schlaf klingelte.
»Hast du nicht versprochen, du kommst so oft wie möglich?«, lallte er weiter. »Ein einziges Mal bist du hier gewesen, in einem Dreivierteljahr. Hab nicht geglaubt, dass du mich so hängen lässt.«
Niemals hätte ich gedacht, dass sich mein alter Chef als so anhänglich erweisen würde. Was erwartete er denn? Ich konnte doch nicht jede Woche nach Frankfurt fahren, um mit ihm die Nacht durchzuzechen.
»Du weißt, wir hätten noch ganz andere Sachen miteinander machen können«, förderte er jetzt sein Innerstes zutage. »Mein Geld hast du genommen, aber mich wolltest du nicht.«
So weit hatte er es noch nie getrieben. Kerner als enttäuschter Liebhaber! Ich konnte nur hoffen, dass er sich an diesen Schwachsinn mit nüchternem Kopf nicht mehr erinnerte.
»Geh nach Hause zu Margit«, sagte ich. »Ruf an, wenn du deinen Rausch ausgeschlafen hast.«
*
Der Schlaf kam nur halbherzig wieder und blieb viel zu kurz. Als ich am nächsten Morgen gerädert ins Badezimmer tappte, ertönte aus der Küche in voller Lautstärke Karnevalsmusik.
»Nä, nä, wat wor dat dann fröher en superjeile Zick«, sang Kuno mit einem erstaunlich schönen Bariton, aber in grässlich schwäbelndem Kölsch das Lied mit. Die Küchentür ging auf, und Adela, schon als Biene Maja kostümiert, tänzelte im Rhythmus der Musik, mit Nadel und Faden in der Hand, auf mich zu.
»Grade wollte ich dich wecken, Schätzelchen«, begrüßte sie mich fröhlich. »Es ist schon zehn, wenn wir um elf Uhr elf auf dem Alter Markt sein wollen, musst du in die Gänge kommen. – Kannst du mir mal schnell den rechten Flügel annähen? Der hat im letzten Jahr etwas gelitten.«
Sie drückte mir Nadel und Faden in die Hand und bückte sich.
Weiberfastnacht. Ich konnte nicht behaupten, dass ich wie Adela diesem Termin entgegengefiebert hätte und mich auf die jecken Tage freute, aber um Widerstand zu leisten war ich viel zu müde.
Ich setzte mich auf einen der Bücherstapel, die sich seit Kunos Einzug in unserem Flur türmten. Gemeinsam mit den Schwangeren- und Baby-Fotos an den Wänden, die an Adelas Hebammenzeit erinnerten, und der kleinen Kommode mit dem orangefarbenen Telefon bildeten sie eine merkwürdige Melange. – Fünf feste Stiche und der Flügel würde die Session überleben.
»Ich habe dir schon ein Kostüm herausgesucht. Liegt auf dem Sofa.«
Adela nahm Nadel und Faden in Empfang, und immer noch im Schlafanzug tapste ich ihr ins Wohnzimmer hinterher. Dort lagen eine rosafarbene Strumpfhose, ein weiß-rosa gepunktetes Babydoll und eine blonde Perücke für mich bereit.
»Ich dachte, du gehst als Doris Day. Vor ein paar Jahren habe ich mit dem Kostüm die Männerwelt betört.«
Meine Vorstellungskraft reichte gerade mal aus, um mir auszumalen, wie die kleine Kugel Adela, die immerhin stramm auf die sechzig zuging, in diesem Jungmädchenschlafanzug ausgesehen hatte, versagte aber völlig bei mir selbst.
»Du kannst auch als Freiheitsstatue gehen!«
Schon wühlte Adela in einer großen Kiste und drückte mir einen grauen Schaumstoffstern auf den Kopf. Immerhin besser als Doris Day. Flugs schob mir Adela noch eine Art grauen Sack über den Kopf und drückte mir eine Plastikfackel in die Hand. Der Blick in den Spiegel zeigte mir eine Vogelscheuche.
»Auf gar keinen Fall«, entschied Adela. »Bei der Leichenbittermiene musst du etwas Fröhliches tragen.«
Nicht mehr ganz so eifrig, begann sie in einer anderen Kiste zu wühlen.
»Tut mir Leid«, rechtfertige ich meine geringe Begeisterung, »ich habe kaum geschlafen.«
Adela nickte leicht und förderte Plastikrosen, Plastiktulpen, Plastiksonnenblumen, Plastikvergissmeinnicht, ein Stück Kunstrasen und einen alten Strohhut zutage.
»Weißt du, Schätzelchen«, sagte sie dann. »Ich freue mich schon seit Wochen darauf, mit euch Karneval zu feiern. – Gestern hat schon Sybille abgesagt, wenn jetzt auch noch du –«
»Ist Scarlett wieder aufgetaucht?«, unterbrach ich sie und steckte ein paar von den Kunstblumen auf den Strohhut.
»Wieso?«, fragte Adela irritiert.
Ich berichtete ihr von Scarletts Wegbleiben und Sybilles Anruf. »Sybille war völlig durch den Wind. Ich habe ihr noch gesagt, sie soll dich anrufen, weil ich keine Zeit hatte«, schloss ich meine Erzählung.
Sybille habe kein Wort über Scarlett verloren, berichtete Adela. Sie habe abgesagt, weil die Karnevalsfeier in ihrer Firma in diesem Jahr für alle Mitarbeiter verpflichtend sei und sie deshalb auf keinen Fall um elf Uhr elf am Alter Markt sein könne.
»Dann hat sich Scarlett bestimmt bei ihr gemeldet«, schloss ich und zeigte Adela den Hut.
»Nicht schlecht«, meinte sie und strahlte wieder. »Wir tackern noch ein paar von den Blumen auf den Kunstrasen, dann gehst du als Frühling.«
Eine halbe Stunde später schlürfte ich als frischer Frühling in unserer Küche einen Kaffee, den Kuno mir hingestellt hatte. Der alte Kommissar sah aus wie immer. In seiner verbeulten Hose und einem zerknitterten Hemd von undefinierbarer Farbe sang er voller Inbrunst »In unserem Veedel«, die kölsche Nationalhymne der Bläck Fööss. Seine Gesangsstunden schienen sich gelohnt zu haben.
»Muss Kuno sich nicht kostümieren?«, fragte ich Adela, die bereits den zweiten Berliner futterte. Ihr bienengelb geschminktes Gesicht glitzerte zuckrig.
»Der wollte nicht Imker werden«, pappte sie zwischen zwei Bissen hervor.
»Ich gehe als Schwabe«, kicherte Kuno und deutete auf seine ausgeleierte Jacke, die über einem der Küchenstühle hing. Auf eine Schulter hatte er mit Tesakrepp ein kleines Papphäuschen geklebt. »Schaffe, schaffe, Häusle baue.«
Das war mit Abstand das sparsamste Kostüm, das ich je in meinem Leben gesehen hatte.
Auch ich griff jetzt nach einem Berliner. Bestimmt wird es gut tun, heute die Weiße Lilie, die Geldsorgen und den Ärger mit Scarlett auf die Reservebank zu setzen, dachte ich und begann, mich auf den Alter Markt und den Zug durch die Gemeinde zu freuen.
Kerner erwischte mich, als ich mir im Badezimmer mit Adelas Theaterschminke eine kunstvolle Schlingpflanze ins Gesicht malte.
»Die Margit will in Sachsenhausen ein schickes kleines Bistro kaufen«, fiel er mit der Tür ins Haus und klang dabei vollkommen nüchtern. »Auf das Teil ist sie schon lange scharf.«
Mit keiner Silbe erwähnte er unser nächtliches Telefonat. Im ersten Moment verstand ich überhaupt nicht, warum er mir von den Kaufabsichten seiner Frau erzählte, aber das änderte sich schnell.
»Das heißt«, fuhr mein alter Chef fort, »ich bräucht das Geld, was ich dir geliehen hab, schneller als geplant zurück.«
Ich hatte es schon lange gewusst. Nicht erst seit Kerners nächtlichen Anrufen. Hätte ich doch vor einem Jahr nur auf meinen Bauch gehört! Der signalisierte mir damals deutlich, dass es Schwierigkeiten geben würde, wenn ich mir von Kerner Geld lieh. Aber die Möglichkeit, mir den Traum von der Glaswand zwischen Küche und Resto erfüllen und den Dampfgarer kaufen zu können, hatte mich geblendet, und so hatte ich alle Warnsignale ignoriert. Außerdem hatte mir Kerner das Geld damals regelrecht aufgedrängt.
»Wenn man so was macht«, hatte er auf mich eingeredet, »dann muss man es richtig machen. Halbe Sachen sind was für Verlierer. Die dreißigtausend, die du zusätzlich brauchen tust, die leih ich dir. Kann ich im Moment problemlos entbehren, das Geld. Und zurück zahlst du’s mir, wenn dein Laden läuft.«
Von wegen, wenn der Laden läuft! Jetzt hatte ich den Salat.
»Das ist gegen die Abmachung, Kerner«, brachte ich irgendwann heraus. »Ich kann dir das Geld jetzt nicht zurückzahlen. Zurzeit schaffe ich es mit Ach und Krach, die laufenden Kosten zu decken, und mir selbst zahle ich einen Hungerlohn.«
»Du kannst mir glauben, Katharina, wenn’s nach mir ginge, wäre das auch nicht nötig«, wand sich Kerner, »aber jetzt, wo die Margit sich in dieses Bistro verliebt hat – es ist wirklich ein schönes Teil, das muss auch ich zugeben –, da taucht ein Problemchen auf, das habe ich einfach nicht einkalkuliert. Du musst wissen, von deinen dreißigtausend habe ich Margit damals nichts erzählt. Na ja, sie hat immer gedacht, dass ich scharf auf dich wär und dass zwischen uns zwei was laufen tät.«
Zwischen uns war nie etwas gelaufen. Nach einer durchzechten Nacht hatte Kerner mal mit mir ins Bett gehen wollen, aber meine Abfuhr gentlemanlike akzeptiert.
»Und wenn ich der Margit jetzt erzähle, dass ich dir die dreißigtausend geliehen hab, dann denkt die doch …«
Kerner war Geschäftsmann, führender Catering-Service in Frankfurt, zwei Restos in den besten Lagen der Stadt, so einer würde ein Projekt wie das meine niemals unterstützen, wenn er nicht hundertprozentig von dessen Erfolg überzeugt wäre, hatte ich mir gedacht. Natürlich war ich davon ausgegangen, dass er eine Investition von dreißigtausend Euro mit seiner, auch in geschäftlichen Dingen, besseren Hälfte abspricht. Aber er hatte seine Margit nicht informiert. Irgendwie musste ich es mir endlich eingestehen: Kerner hatte mir das Geld aus Sentimentalität geliehen. Ich weiß nicht mehr, wie viel Mal ich nachts mit ihm in einer Pinte versackt war, mir anhörte, wie er als junger Mann mit amerikanischen Studenten durch die Sachsenhausener Jazzkneipen gezogen war, wie leicht man damals mit einer langbeinigen, von Europa begeisterten New Yorkerin im Bett landen konnte, wenn man vorher ein bisschen über Woody Allen und die Rolle des Jazz in der Nouvelle Vague geplaudert hatte, während im Hintergrund John Coltrane spielte. Gleichzeitig stöhnte er über die Verantwortung für dreißig Angestellte und eine Frau, deren Geschäftsgebaren so hart wie ihre Betonfrisur war. Mit fünfzig, jammerte er, sei seine Jugend unwiederbringlich dahin. Zehn Kilo Übergewicht und eine Haarverfärbung vom Aschblonden ins Aschgraue bestätigten dies. Nacht für Nacht hörte ich ihm zu, ich hatte eh nichts anderes zu tun. Weder langbeinig noch amerikanisch, aber fünfzehn Jahre jünger, ohne blonde Betonfrisur und Taschenrechner im Herzen hatte mich Kerner so zur Projektion seiner Midlife-Sehnsucht gemacht, und ich, eingesponnen in frischen Liebesverletzungen, dankbar für jeden Abend, den ich nicht alleine verbringen musste, hatte es nicht geschnallt.
»Erzähl mir nicht, dass du keine andere Möglichkeit hast, dreißigtausend Euro aufzutreiben, Kerner. Ich kann dir das Geld jetzt auf gar keinen Fall geben«, sagte ich und drückte die Off-Taste.
Benommen tapste ich zurück in den Flur, ignorierte das Läuten der Türglocke. Adela schwebte in ihrem Bienen-Outfit an mir vorbei und öffnete die Wohnungstür.
»Entzückend, dieses Bienenkostüm«, begeisterte sich ein Mann von meiner Größe in Frack und Zylinder und mit einer Flasche Sekt unter dem Arm, beugte sich tief zu Adela und küsste sie auf die zuckrigen Wangen. »Wenn ich nicht Kunos grausame Rache fürchten müsste, würde ich dir selbstverständlich den Hof machen.«
Adela kicherte und winkte auch den Cowboy mit kariertem Hemd, kleinem Schweißtuch und speckigem Ledermantel herein, der ebenfalls vor der Tür gestanden hatte.
»Enchanté, Madame.«
Der Zylinder griff nach meiner Hand und hauchte einen angedeuteten Kuss darauf.
»Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Arsène Lupin, Gentleman-Gauner.«
»Kölle Alaaf«, sagte der Cowboy und tippte zur Begrüßung kurz an seinen Hut.
»Kommen Sie, meine Liebe«, versprühte Arsène weiter seinen Charme und griff dabei nach meinem Arm, »wir müssen auf unser Kennenlernen anstoßen.«
Glucksend drängte Adela uns alle in die Küche, wo Kuno jetzt seine Jacke mit dem Papphäuschen an der Schulter übergezogen hatte.
»Habt ihr euch schon bekannt gemacht?«, fragte er und klopfte dem Cowboy auf die Schultern. »Katharina, des isch dr Walter, und der Gentleman isch ein echter Adliger, Adelbert von Stumpf. Der redet auch im wirklichen Leben so geschwollen.«
Adela hatte mir bereits von den beiden erzählt. Die zwei so unterschiedlichen Herren, ebenfalls pensionierte Polizisten, hatte Kuno in der Cafeteria des Polizeipräsidiums kennen gelernt und traf sich seither regelmäßig mit ihnen.
»Die Champagnerkelche«, orderte der Gentleman, und Adela beeilte sich, ihre Sektgläser aus dem Schrank zu holen.
»Kölle Alaaf«, wiederholte der Cowboy und leerte sein Glas mit einem Zug.
»Gehen Sie als moderne Kunst, Gnädigste?«, fragte mich der Graf.
»Ihr solltet euch duzen«, bestimmte Adela und sah mich an. »Ist das Absicht, dass du nur eine halbe Pflanze im Gesicht hast?«
Kerner hatte mich beim Malen unterbrochen. Kerner konnte mich mal. Wollte sein Geld zurück, so mir nichts, dir nichts. Dabei hatte er mir immer versichert, dass ich mir alle Zeit der Welt lassen könne, um es ihm zurückzuzahlen.
»Volle Absicht«, antwortete ich. »Das ist wie im Leben. Da bricht auch manches, ohne dass man es ahnt, plötzlich ab.«
»Moderne Kunst, ich sage es ja«, fühlte sich der Graf bestätigt.
»Können wir jetzt?«, fragte Kuno. »Habt ihr eure Papiere und Kreditkarten daheim gelassen und nur das Nötigste mit? Taschendiebe beklauen gerne ehemalige Polizisten.«
»Du bist und bleibst ein ordentlicher Schwabe«, spottete Adela und strich ihm sanft über das gelichtete Haar. »Wir sind echte Karnevalsjecken, so was passiert uns nicht. – Hast du dicke Socken an?«
Ein kalter, schöner Februartag empfing uns, als wir auf die Kasemattenstraße traten. Weiberfastnachtswetter wie aus dem Bilderbuch. Aus dem Nachbarhaus traten gleichzeitig die zwei ältlichen Schwestern, die trotz ihrer neckischen Karnevalshütchen so sauertöpfisch wie immer wirkten. Der Graf grüßte gnädig, was die beiden mit einem verschämten Kichern und einem angedeuteten Knicks erwiderten. Kuno hakte Adela auf der einen und mich auf der anderen Seite unter und schlug vor, zu Fuß zu gehen. Drei dralle Marktweiber mit selbst gehäkelten Kölschhaltern um den Hals nahmen den Grafen ins Visier.
»Do is eine, dä uns e Kölsch spendeet«, kicherten sie. »So vürnehm, wie dä ussüüht!«
Dem Grafen gefielen die drei deutlich weniger als umgekehrt, er setzte eine abweisende Miene auf.
»Na dann nit, du vürnehm Eierköppche«, spielten sie die Beleidigten, bevor sie lachend untergehakt weiterzogen.
Am nahen Von-Sandt-Platz spielten winterharte Boulefreunde ein kleines Turnier. Geier, Bären, Waschweiber, Clowns und Dollarscheine versuchten, die silberne Kugel möglichst nah an das kleine Holzschweinchen zu legen. Eine Bärenmama mit einer Prinzessin auf dem Arm und einem Astronauten an der Hand grüßte freundlich zu ihnen hinüber. Auf der Neuhöfferstraße schloss sich uns ein kleiner Trupp Lappenclowns an. Einer von ihnen führte auf einem ausgedienten Kinderwägelchen die dicke Trumm mit.
»Kölle Alaaf«, grüßte der Cowboy.
»Kölle Alaaf«, grüßten die Clowns im Chor, unterstützt von ein paar kräftigen Schlägen auf die dicke Trommel, zurück.
Kuno führte uns auf die Deutzer Brücke, wo wir in einem stetig anschwellenden Strom von Narren den Rhein überquerten. Mit lautem Gebimmel überholte uns eine Bahn, gut voll gestopft mit Jecken, die trotz geringer Armfreiheit zu uns hinüberwinkten.
»Kölle Alaaf«, grüßte sie der Cowboy.