Henrik Ibsen

Nora

oder

Ein Puppenheim

 

 

 

Henrik Ibsen: Nora oder Ein Puppenheim

 

Übersetzt von Marie von Borch

 

Vollständige Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Lucien Métivet, 1898

 

ISBN 978-3-8430-5537-6

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8619-9154-0 (Broschiert)

ISBN 978-3-8619-9155-7 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Originaltitel: Et dukkehjem. Uraufführung Kopenhagen, 21.12.1879, Erstdruck: Kopenhagen (Gyldendal) 1879. Hier in der Übers. v. M. v. Borch.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Ibsen, Henrik: Ein Puppenheim. [Übers. v. M[arie] von Borch], in: Henrik Ibsen: Sämtliche Werke, Vierter Band. Hg. v. Julius Elias u. Paul Schlenther, Berlin: S. Fischer, 1907.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Personen

 

Helmer, Advokat

 

Nora, seine Frau

 

Doktor Rank

 

Frau Linde

 

Krogstad, Anwalt

 

Die drei kleinen Kinder Helmers

 

Anne-Marie, Kinderfrau bei Helmers

 

Ein Hausmädchen bei Helmers

 

Ein Dienstmann

 

Das Stück spielt in Helmers Wohnung.[2]

 

Erster Akt

Ein gemütlich und geschmackvoll, aber nicht luxuriös eingerichtetes Zimmer. Rechts im Hintergrund führt eine Tür in das Vorzimmer; eine zweite Tür links im Hintergrund führt in Helmers Arbeitszimmer. Zwischen diesen beiden Türen ein Pianino. Links in der Mitte der Wand eine Tür und weiter nach vorn ein Fenster. Nahe am Fenster ein runder Tisch mit Lehnstühlen und einem kleinen Sofa. Rechts an der Seitenwand weiter zurück eine Tür und an derselben Wand weiter nach vorn ein Kachelofen, vor dem ein paar Lehnstühle und ein Schaukelstuhl stehen. Zwischen Ofen und Seitentür ein kleiner Tisch. An den Wänden Kupferstiche. Eine Etagere mit Porzellan und anderen künstlerischen Nippessachen; ein kleiner Bücherschrank mit Büchern in Prachteinbänden; Teppich durchs ganze Zimmer. Im Ofen ein Feuer. Wintertag.

Im Vorzimmer klingelt es; gleich darauf hört man, wie geöffnet wird. Nora tritt vergnügt trällernd ins Zimmer; sie hat den Hut auf und den Mantel an und trägt eine Menge Pakete, die sie rechts auf den Tisch niederlegt. Sie läßt die Tür zum Vorzimmer hinter sich offen, und man gewahrt draußen einen Dienstmann, der einen Tannenbaum und einen Korb trägt; er übergibt beides dem Hausmädchen, das ihnen geöffnet hat.

 

NORA. Tu den Tannenbaum gut weg, Helene. Die Kinder dürfen ihn jedenfalls erst heut abend sehen, wenn er geputzt ist. Zum Dienstmann, indem sie ihr Portemonnaie hervorzieht. Wieviel –?

DIENSTMANN. Fünfzig Öre.

NORA. Da ist eine Krone. Nein – behalten Sie den Rest. Der Dienstmann dankt und geht. Nora schließt die Tür. Sie lacht noch immer stillvergnügt vor sich hin, während sie den Hut und Mantel ablegt. Sie zieht eine Tüte mit Makronen aus der Tasche und ißt ein paar; dann geht sie vorsichtig an die Tür ihres Mannes und lauscht. Ja, er ist zu Hause. Trällert wieder leise vor sich hin, indem sie rechts an den Tisch tritt.

HELMER in seinem Zimmer. Zwitschert da draußen die Lerche?

NORA während sie einige Pakete öffnet. Ja, das tut sie!

HELMER. Poltert da das Eichhörnchen herum?

NORA. Ja!

HELMER. Wann ist das Eichhörnchen nach Hause gekommen?[3]

NORA. Diesen Augenblick. Steckt die Makronentüte in die Tasche und wischt sich den Mund ab. Komm, Torvald, und sieh Dir mal meine Einkäufe an.

HELMER. Nicht stören! Bald darauf öffnet er die Tür und sieht herein, mit der Feder in der Hand. Einkäufe, sagst Du? Diese vielen Sachen? Ist das lockere Zeisiglein wieder ausgewesen und hat Geld verschwendet?

NORA. Aber Torvald, dies Jahr dürfen wir doch wirklich ein bißchen über die Stränge schlagen. Sind es doch die ersten Weihnachten, wo wir nicht zu sparen brauchen.

HELMER. Hör' mal, Du, Luxus dürfen wir auch nicht treiben.

NORA. Doch, Torvald, wir dürfen jetzt schon ein bißchen Luxus treiben. Nicht wahr? Nur ein ganz, ganz klein bißchen. Du bekommst ja nun ein großes Gehalt und wirst viel, viel Geld verdienen.

HELMER. Ja, von Neujahr ab. Aber dann vergeht noch ein ganzes Quartal, bis das Gehalt fällig ist.

NORA. Bah! Bis dahin können wir ja borgen.

HELMER. Nora! Geht hin zu ihr und zupft sie scherzhaft am Ohr. Geht schon wieder der Leichtsinn mit Dir durch? Gesetzt den Fall, ich borgte ihr heute tausend Kronen, und Du brächtest sie in der Weihnachtswoche durch, und am Sylvesterabend fiele mir ein Ziegelstein auf den Kopf, und ich läge da –

NORA hält ihm den Mund zu. Pfui, laß die garstigen Reden!

HELMER. Ja, nimm mal an, daß so was passierte, – was dann?

NORA. Wenn so was Gräßliches passierte, dann wär' es mir ganz gleichgültig, ob ich Schulden hätte oder nicht.

HELMER. Und die Leute, von denen ich das Geld geliehen hätte?

NORA. Die? Wen gingen die was an? Das sind ja Fremde.

HELMER. Nora, Nora, Du bist ein Weib! Aber im Ernst, Nora: Du weißt, wie ich in diesem Punkt[4] denke. Keine Schulden! Niemals borgen! Es kommt etwas Unfreies und damit auch etwas Unschönes über ein Hauswesen, das auf eine Borgwirtschaft gegründet ist. Bis auf den heutigen Tag haben wir beide tapfer ausgehalten, und das wollen wir nun auch noch die kurze Zeit tun, wo es nötig ist.

NORA geht zum Ofen hin. Na ja; wie Du willst, Torvald.

HELMER geht hinter ihr her. Ei, nun darf aber die kleine Lerche auch nicht die Flügel hängen lassen. Wie? Das Eichhörnchen steht und mault? – Zieht das Portemonnaie. Nora, was mag ich da wohl haben?

NORA wendet sich schnell um. Geld!

HELMER. Da nimm! Gibt ihr einige Banknoten. Du lieber Gott, ich weiß, daß zu Weihnachten im Hause eine ganze Menge draufgeht.

NORA zählt. Zehn, – zwanzig, – dreißig, – vierzig. Schönen Dank, Torvald, schönen Dank; damit behelfe ich mich lange.

HELMER. Ja, das mußt Du aber auch!

NORA. Ja, ja, das werde ich schon. Aber nun komm und laß Dir alle meine Einkäufe zeigen. Und so wohlfeile Einkäufe. Schau her, – ein neuer Anzug für Ivar – und dazu ein Säbel. Hier ist ein Pferd und eine Trompete für Bob, und da eine Puppe und Puppenwiege für Emmy. Es ist freilich recht einfach, aber sie macht doch immer gleich alles entzwei. Und hier Kleiderstoff, und Taschentücher für die Mädchen. Mutter Anne-Marie müßte eigentlich viel mehr haben!

HELMER. Und was ist in dem Paket da?

NORA schreit. Weg, Torvald! Das bekommst Du erst am Abend zu sehen!

HELMER. Ach so! – Aber nun sag' mir, Du kleiner Verschwender, womit hast Du denn Dich selbst bedacht?

NORA. Ach geh, – ich mich? Ich wüßte wirklich nicht, was –

HELMER. Du sollst aber! Nenne mir etwas Vernünftiges, was Dir ganz besondere, Freude machen würde.[5]

NORA. Ich wüßte wirklich nichts. – Doch, Torvald, hör' –

HELMER. Na?

NORA spielt an seinen Knöpfen, ohne ihn anzusehen. Wenn Du mir ein Geschenk machen willst, so könntest Du ja –; Du könntest –

HELMER. Na also – heraus damit!

NORA hastig. Du könntest mir Geld schenken, Torvald. So viel nur, wie Du meinst entbehren zu können. Ich kann mir dann gelegentlich später etwas dafür kaufen.

HELMER. Aber Nora, –

NORA. Ach ja, tu's, lieber Torvald, ich bitte Dich recht sehr; ich wickle mir dann das Geld in schönes Goldpapier ein und hänge es an den Weihnachtsbaum. Wäre das nicht reizend?

HELMER. Wie nennt man doch die Vögel, die alles Geld durchbringen?

NORA. Ja, ja, lockere Zeisige, – ich weiß schon. Aber wir wollen es so machen, wie ich sage, Torvald: dann habe ich Zeit zu überlegen, was ich am notwendigsten brauche. Ist das nicht sehr vernünftig, Torvald, wie?

HELMER lächelnd. Ei freilich –, das heißt, wenn Du das Geld, das ich Dir gebe, wirklich festhalten und Dir selbst etwas dafür kaufen könntest. So aber geht es im Haushalt und für allerhand unnütze Dinge drauf, und dann muß ich wieder herausrücken.

NORA. I bewahre, Torvald –

HELMER. Läßt sich nicht leugnen, meine kleine liebe Nora! Legt den Arm um ihre Taille. Mein lockerer Zeisig ist entzückend, aber er braucht eine schwere Menge Geld. Man sollte es nicht glauben, wie hoch einem Mann solch ein Vögelchen zu stehen kommt.

NORA. Aber nein! Wie kannst Du nur so was sagen? – Ich spare doch wirklich, wo ich kann.

HELMER lacht. Ein wahres Wort! Wo Du kannst. Aber Du kannst absolut nicht.[6]

NORA trällert und lächelt stillvergnügt. Hm! Du solltest nur wissen, wie viele Ausgaben wir Lerchen und Eichhörnchen haben, Torvald.

HELMER. Du bist ein sonderbares Dingchen. Ganz wie Dein Vater. Auf jede Art bemühst Du Dich, Geld in die Hand zu kriegen, und sobald Du es hast, verschwindet Dir's zwischen den Fingern; Du weißt nie, wo es geblieben ist. Na, aber man muß Dich nehmen, wie Du bist. Das liegt im Blut. Ja, ja, ja, Nora, so was vererbt sich.

NORA. Nun, ich wünschte, ich hätte viele von Papas Eigenschaften geerbt.

HELMER. Und ich möchte Dich gar nicht anders haben, als Du bist, meine liebe, kleine, singende Lerche. Doch – da fällt mir etwas ein. Du siehst heute so –, so, – wie soll ich gleich sagen? – so verdächtig aus –

NORA. Ich?

HELMER. Allerdings. Sieh mir mal gerade in die Augen.

NORA sieht ihn an. Na?

HELMER droht mit dem Finger. Hat das Leckermäulchen etwa heut in der Stadt genascht?

NORA. Aber nein, wie kommst Du darauf?

HELMER. Hat das Leckermäulchen ganz gewiß keinen Abstecher in die Konditorei gemacht?

NORA. Nein, Torvald, ich versichere Dir –

HELMER. Nicht ein wenig Konfitüren geschleckt?

NORA. Nein, wahrhaftig nicht!

HELMER. Auch nicht ein paar Makronen probiert?

NORA. Nein, Torvald, ich versichere Dir wirklich –

HELMER. Na, na, na – es ist ja natürlich nur im Scherz gemeint –

NORA geht rechts an den Tisch. Es würde mir doch nie einfallen, gegen Deinen Wunsch zu handeln.

HELMER. Nein, das weiß ich ja wohl. – Und dann hast Du mir ja Dein Wort gegeben – Geht zu ihr. Behalt Deine kleinen Weihnachtsüberraschungen nur[7] für Dich, mein Herz. Heut abend, wenn der Baum brennt, werden sie schon ans Licht kommen, davon bin ich überzeugt.

NORA. Hast Du auch nicht vergessen, Rank einzuladen?

HELMER. Nein. Aber das ist ja gar nicht nötig. Es versteht sich von selbst, daß er mit uns speist. Übrigens werde ich ihn einladen, wenn er heut vormittag herkommt. Guten Wein habe ich schon bestellt. Nora, Du glaubst gar nicht, wie ich mich auf den heutigen Abend freue.

NORA. Ich mich auch. Und wie die Kinder erst jubeln werden, Torvald!

HELMER. Ach, es ist doch ein herrlicher Gedanke, eine feste gesicherte Stellung, sein reichliches Auskommen zu haben. Nicht wahr! Der Gedanke ist ein Hochgenuß!

NORA. Ach, es ist wunderbar!

HELMER. Denkst Du noch an vorige Weihnachten? Drei liebe lange Wochen vorher hast Du Dich Abend für Abend bis in die tiefe Nacht hinein eingeschlossen, um Blumen für den Baum und die vielen andern Herrlichkeiten anzufertigen, womit wir überrascht werden sollten. Uh, das war die ödeste Zeit, die ich je erlebt habe.

NORA. Ich habe mich dabei gar nicht gelangweilt.

HELMER lächelnd. Aber das Ergebnis war doch recht dürftig, Nora!

NORA. Neckst Du mich schon wieder damit! Was konnte ich dafür, daß die Katze kam und mir alles kaputt machte.

HELMER. Nein, mein armes Norachen, dafür konntest Du freilich nichts. Du hattest den besten Willen, uns alle zu beglücken, und das ist die Hauptsache. Aber gut ist es doch, daß die knappen Zeiten vorüber sind.

NORA. Ja, es ist wirklich wunderbar!

HELMER. Nun brauche ich hier nicht allein herumzusitzen[8] und mich zu öden. Und Du brauchst Deine lieben Augen und Deine zarten, feinen Händchen nicht anzustrengen –

NORA klatscht in die Hände. Nein, nicht wahr, Torvald, das brauchen wir nun nicht mehr!? O, wie wunderbar schön sich das anhört. Nimmt seinen Arm. Nun paß mal auf, Torvald, wie ich mir unsere künftige Einrichtung gedacht habe. Sobald Weihnachten vorbei ist – Es läutet im Vorzimmer. Ach, da läutet es! Räumt schnell ein wenig im Zimmer auf. Es kommt gewiß jemand. Wie dumm!

HELMER. Für Besuche bin ich nicht zu Hause, vergiß das nicht.

HAUSMÄDCHEN in der Vorzimmertür. Gnädige Frau – eine fremde Dame – –

NORA. Ich bitte.

HAUSMÄDCHEN zu Helmer. Der Herr Doktor ist auch da.

HELMER. Er ist wohl gleich zu mir hineingegangen?

HAUSMÄDCHEN. Ja, das ist er.

 

Helmer ab in sein Zimmer; das Hausmädchen führt Frau Linde, die im Reiseanzug ist, ins Zimmer und schließt dann die Tür hinter ihr.

 

FRAU LINDE zaghaft und ein wenig zögernd. Guten Tag, Nora.

NORA unsicher. Guten Tag –

FRAU LINDE. Du kennst mich wohl nicht mehr –?

NORA. Nein, ich weiß nicht –; doch, ja, – ich glaube – Aufjubelnd. Wie – Christine! Bist Du's wirklich?!

FRAU LINDE. Ja, ich bin es.

NORA. Christine! Und ich habe Dich nicht wiedererkannt! Aber wie konnt' ich auch –. Leiser. Wie Du Dich verändert hast, Christine!

FRAU LINDE. Allerdings. In neun – zehn langen Jahren –

NORA. So lange haben wir uns nicht gesehen? Wahrhaftig, ja! Ach, die letzten acht Jahre waren eine glückliche[9] Zeit! – Das kannst Du glauben. Und nun bist Du in die Stadt gekommen? Hast mitten im Winter die weite Reise gemacht? Das war brav.

FRAU LINDE. Ich bin heut früh mit dem Dampfschiff angekommen.

NORA. Natürlich, um Dir ein Weihnachtsvergnügen zu machen. Wie nett! Wir wollen auch recht lustig sein. Aber so leg' doch Deine Sachen ab. Du frierst doch nicht? Hilft ihr. So – jetzt setzen wir uns gemütlich an den Ofen. Nein, da in den Lehnstuhl! Ich setze mich in den Schaukelstuhl. Ergreift ihre Hände. Ja, das ist ja das alte, bekannte Gesicht; nur im ersten Augenblick –. Etwas bleicher bist Du freilich geworden, Christine, – und vielleicht auch etwas magerer.

FRAU LINDE. Und viel, viel älter, Nora.

NORA. Na ja, vielleicht ein bißchen älter; aber nur ganz, ganz wenig, nicht der Rede wert. Hält plötzlich inne; ernst. Ich gedankenlose Person! Da sitze ich und schwätze! Liebste, einzige Christine, kannst Du mir vergeben?

FRAU LINDE. Was denn, Nora?

NORA leise. Arme Christine, Du bist ja Witwe geworden.

FRAU LINDE. Ja, schon vor drei Jahren.

NORA. Gott, ich wußte es ja; ich habe es ja in den Zeitungen gelesen. Ach, Christine, Du kannst mir glauben, immer wollte ich Dir schreiben in der Zeit; aber jedesmal habe ich es wieder aufgeschoben; stets kam was dazwischen.

FRAU LINDE. Liebe Nora, das begreife ich wohl.

NORA. Nein, Christine, es war garstig von mir! Ach, Du Ärmste, was mußt Du nicht alles durchgemacht haben! – Und er hat Dir nichts zum Leben hinterlassen?

FRAU LINDE. Nichts!

NORA. Und keine Kinder?

FRAU LINDE. Nein!

NORA. Ganz und gar nichts also?[10]

FRAU LINDE. Nicht einmal eine Sorge oder ein Leid, von dem ich zehren könnte.

NORA sieht sie ungläubig an. Aber Christine, wie ist das möglich?

FRAU LINDE lächelt schwermütig und streicht ihr über das Haar. Ach, das kommt zuweilen vor, Nora.

NORA. So ganz allein! Wie furchtbar schwer das für Dich sein muß. Ich habe drei reizende Kinder. Augenblicklich kann ich sie Dir nicht vorstellen, – sie sind mit der Kinderfrau aus. Aber nun mußt Du mir alles erzählen –

FRAU LINDE. Ach nein! Erzähl' Du mir lieber!

NORA. Nein, Du mußt anfangen. Heute will ich nicht egoistisch sein. Heut will ich nur an Deine Sachen denken. Aber eines muß ich Dir doch sagen. Hast Du schon davon gehört, welch großes Glück uns in diesen Tagen beschert worden ist?

FRAU LINDE. Nein, was denn?

NORA. Denk Dir, mein Mann ist Direktor der Aktienbank geworden.

FRAU LINDE. Dein Mann? O dieses Glück –!