Franz Grillparzer

Gedichte

 

 

 

Franz Grillparzer: Gedichte

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Gustave Caillebotte, Gelbe Rosen in der Vase, 1882

 

ISBN 978-3-8430-8193-1

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-7511-4 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-7512-1 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Die meisten Gedichte wurden kurz nach ihrem Entstehungsdatum erstmals in verschiedenen Zeitschriften abgedruckt. Erstdruck der ersten Gesamtausgabe nach Grillparzers Tod, 1872.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Ausgewählte Briefe, Gespräche, Berichte. Herausgegeben von Peter Frank und Karl Pörnbacher, München: Hanser, [1960–1965].

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

An die Sonne

Sonne, göttliches Licht! Schaffende, nährende

Himmelstochter! Du spendest uns

Wonne, Segen und Lust, Früchte den lockenden

Fluren, zeugest den Traubensaft.

 

Kaum entfaltet der Tag jugendlich heiter sich,

Sieh! Da singet ein Vögelchor

Hymnen, Schöpferin dir, alles belebendes,

Alles stärkendes Götterkind.

 

Sieh! Da glänzt das Gebüsch, Felder und duftende

Haine blitzend von kühlem Tau,

Der die Gewächse erfrischt, nähret, und stärkere

Wohlgerüche zum Himmel schickt.

 

Du verscheuchest den Schlaf, der mit allmächtigen

Schwingen jeglichen Menschen deckt,

Der im quälenden Traum foltert den Erdensohn,

Den du gütig der Qual entreißt.

 

Dankbar gegen die Huld deiner erquickenden

Güte, zollet der Afrer dir

Weihrauch, dankbar ertönt starrender Lappen Lied

Auf den eisigten Ebenen.

 

O dein strahlendes Haupt gibt mir ein Wonnegefühl!

Macht den Schöpfer mich ahnden. Da

Stürz ich nieder vor dir, bete die gütige

Allmacht hocherfreut, innig an.

 

Den 16ten Juni 1804

 

Elegie eines Schiffbrüchigen auf den Tod seines Hundes auf einer wüsten Insel

Ach, so war noch dieser Schlag dem blutenden Herzen

Von dem grausen Geschick zu meiner Folter bestimmt!

Mir, dem schon ein Heer von Schmerzen den Busen durchwühlet,

Reißt seine mordende Hand auch noch den Treuen hinweg![9]

Ach, nun ist er dahin! – Mein Retter, mein Bruder, mein alles!

Der mir durchs stürmische Meer, der mir durch Wüsten gefolgt,

Wo aus dem gähnenden Schlund der Wogen der Tod uns entgegen-

Blickt, vom gefletschten Zahn schrecklicher Tiger uns droht. –

Als der heulende Sturm das Schiff von Welle zu Welle

Warf, und von Felsen zu Fels, donnernd die Woge sich brach,

Als das sonst mutige Volk, nun zagend, bebend, betend,

Dem erhabnen Neptun heilige Opfer versprach,

...

 

Den 24ten Juni 1804[10]

 

[Wenn er auch eine nur ungenutzt ließ]

Wenn er auch eine nur ungenutzt ließ,

Und ihr nicht Spenden wie andern entriß,

Ach zu spät, ach zu spät!

 

Alles was schön ist und edel und gut,

Zeuget nur rascher und männlicher Mut,

Und die Zeit, und die Zeit!

 

Freunde, drum haltet die Fliehenden auf,

Fleiß nur und Tugend bezähmt ihren Lauf,

Haltet sie, haltet sie!

 

An den Mond

Wandle, wandle, holder Schimmer!

Wandle über Flur und Au,

Gleitend, wie ein kühner Schwimmer,

In des stillen Meeres Blau.

 

Sanft im Silberglanze schwebest

Du so still durchs Wolkenmeer,

Und durch deinen Blick belebest

Du die Gegend rings umher.

 

Manchen drücket schwerer Kummer,

Manchen lastet Qual und Pein;

Doch du wiegst in sanften Schlummer

Tröstend ihn, voll Mitleid, ein.[10]

 

Sanfter, als die heiße Sonne,

Winkt dein Schimmer Ruh und Freud,

Und erfüllt mit süßer Wonne,

Tröstung und Vergessenheit.

 

Hüllst in dichtbewachsnen Lauben

Mit der sanften Fantasie

Ganz den Dichter; machst ihn glauben,

Seine Muse weiche nie.

 

Und auch mich hast du begeistert,

Der ich dir dies Liedchen sang,

Meiner Seele dich bemeistert,

Da mein Lied sich aufwärts schwang!

 

Den 14ten August 1804[11]

 

Der Räuber und der Wolf

eine Fabel

 

Ein Wolf, ein grauses Scheusal der Natur,

Das Schrecken aller Schäfer auf der Flur,

Hielt, hingestreckt auf grüne Matte,

Ein Lamm, das er zerissen hatte,

Und, ungerührt von herben Klagen

Der Mutter, er davongetragen,

In seiner Klau und fraß. Ein Räuber sah

Das blutge Paar. Raubgierig schrie er, ha!

Schmeckts, guter Freund? – Mit seinem Schwerte

Bohrt er den Wolfen hin zur Erde.

Da stöhnt der matt: Du bist so bös wie ich,

Und doch, du Brudermörder, tötest mich!

Der nimmt das Lamm. Mein Bruder, höre,

Spricht er, zu spät nun diese Lehre.

Kein arger Böswicht ist des andern Freund,

Und selbst, Freund, merke dirs, sein ärgster Feind.

 

Den 16ten November 1805

 

Mein Traum
Erstes Buch

Erscheinung des Geistes des Pater Kochem, Unterredung desselben mit dem Verfasser. Fahrt nach dem Himmel. Ermahnungen des Geistes auf dieser Fahrt.

 

1

Ich lag jüngst spät bei tiefer Nacht

Einsam in meinem Bette,

Und hatte eben durchgedacht,

Wie mans zu machen hätte,

Wenn man der Heuchler große Schar

Vernichten wollte ganz und gar

Und fing an zu entschlafen.

 

2

Bis, als die Glocke zwölfe schlägt,

Aus meinem süßen Schlafe

Mich eine Geisterstimme weckt,

Die ruft »Verwegner Sklave!

Der du die Mönche Heuchler nennst

Und weder Höll noch Teufel kennst,

Hier blicke her und zittre!«

 

3

Ich setzte mich im Bett empor

Und hob die Augenlider,

Da trat ein Ungetüm hervor,

Mir bebten alle Glieder,

Ein mächtig schwarzer, dicker Geist,

Der mich beim Arme zerrt und reißt,

Als wollt er mich zerfleischen.

 

4

Er war in geistlichem Ornat,

Mit Meßgewand und Stole,

Und ganz in seinem Kirchenstaat,

Vom Kopf bis zu der Sohle.

Mit fettem Bauch und kahlem Schopf,

Mit mächtig großem, dicken Kopf,

Stand er vor meinem Bette.[12]

 

5

Das Kreuz, das Helena erfand,

Trug er in seiner Linken,

Man sah in seiner rechten Hand

Ein Schwert von Golde blinken.

Er schnitt ein fürchterlich Gesicht,

Ich war erschreckt und wagt es nicht,

Ins Antlitz ihm zu sehen.

 

6

Zu seinen Füßen lag ein Heer

Von Millionen Teufeln,

Ach, dacht ich, das ist Luzifer.

Man kann nicht länger zweifeln!

Gott nimm dich meiner Seele an,

Sonst ist es jetzt um mich getan,

Erbarme dich doch meiner!

 

7

Ihr Freunde lachet nicht, fürwahr,

Mein Irrtum war verzeihlich,

Umrungen von der Teufeln Schar

Erschien er ganz abscheulich.

Auch war er überdies bewehrt,

Wie ich gesagt, mit einem Schwert,

Da muß man sich wohl scheuen!

 

8

Auch sah er so verteufelt aus,

Als wäre er besessen,

Und macht ein schreckliches Gebraus,

Als wollte er mich fressen.

Daher sah ich den guten Mann

Für jenen großen Teufel an,

Verzeih mir Gott die Sünde!

 

9

Ich ward vor Angst bald weiß, bald rot,

Und schrie, die guten Geister

Verehren stets und loben Gott[13]

Als ihren höchsten Meister.

Drum höre auf mit dem Gebraus

Und sprich den Namen Jesu aus,

Denn sonst bist du ein Teufel.

 

10

Ich war gewaltig echauffiert,

Der Spaß bekam mir übel,

Doch, von dem Schrecken animiert,

Ergriff ich eine Bibel

Und schrie, schwör ohne Trug und List,

Daß du von Gottes Dienern bist,

Dann magst du immer bleiben!

 

11

Der Geist erhob nun seine Hand

Und trat zum Bette eilig,

Und legt sie auf des Buches Band,

Schreit, Gott der Herr ist heilig!

Und ich bin stets sein treuer Knecht!

Ach, schrie ich, ach, jetzt ists schon recht,

Nun seid ihr wohl ein Heilger!

 

12

Das nicht, versetzt in tiefem Ton

Der Geist, nein ich bin keiner,

Mir fehlt Kanonisation,

Doch bin ich nicht viel kleiner.

Mein Nam ist überall bekannt,

Mit Ehrfurcht wird er stets genannt,

Doch bin ich nur ein Selger.

 

13

Doch du darfst glauben, ich bin nicht

Von den gemeinen Seelen,

Im Himmel habe ich Gewicht,

Und habe zu befehlen.

Ich schrieb das gräuliche Legend

Der Heiligen, das jeder kennt,

Kurz ich bin Pater Kochem![14]

 

14

Mit diesem Schwert in meiner Hand

Bestrafe ich die Bösen,

Doch kann ich auch der Sünden Band

Mit diesem Schwerte lösen.

Ja, dem, der an die Kirche glaubt,

Ist manch Vergehen wohl erlaubt,

Das man an andern tadelt.

 

15

Nur dem, den sein Vergehen reut,

Kann man Verzeihung schenken,

Denn immer muß die Billigkeit

Des Richters Ausspruch lenken.

Leg er der Kirch sein Geld in Schoß,

So ist er seiner Sünden los,

Dann bete er und faste.

 

16

Der Sünder aber, der nichts hat,

Wird exkommunizieret,

Da eine jede Lastertat

Zu tausend andern führet.

Doch auch mit dem hats keine Not,

Er weihe seine Seele Gott

Und werd ein Kapuziner!

 

17

Doch jener, welcher nicht bereut,

Trotz allen seinen Sünden,

Der wird ohne Barmherzigkeit

Schon seine Strafe finden.

Der wird vor Gottes Richterstuhl

Verdammet zu dem Schwefelpfuhl,

Wo die Verdammten prasseln.

 

18

Wer Gottes Diener nicht verehrt

Und lästert seinen Namen,

Sich nicht an die Quatember kehrt,[15]

Gehöret in die Flammen.

Atqui, du bist ein solcher Wicht,

Ergo verdammt dich das Gericht.

Quod erat demonstrandum.

 

19

Drum folge mir ohne Verzug,

Gott gnade deiner Seele,

Ich bringe dich im schnellsten Flug

Geradeswegs zur Hölle.

Auf, mache dich nur flugs bereit,

Der Weg zur Hölle ist sehr weit,

Wir dürfen nicht verweilen.

 

20

Ach, sagt ich zum gestrengen Herrn,

Es hat noch keine Eile,

Denn wisset, daß ich allzu gern

Auf dieser Erde weile.

Ich bin ein Kind der Sinnenwelt,

Das viel auf Leib und Leben hält,

Ich bin zu jung zum Sterben!

 

21

Auf, schrie er, auf, du mußt nun fort!

Dort wartet schon mein Wagen,

Ich habe ohnehin ein Wort

Dir Spötter noch zu sagen.

Schleppt mich in seinen Phaëton

Und fliegt mit mir im Hui davon,

Geradeswegs zum Teufel.

 

22

Du bist, fing er im Wagen an,

Ein wahrer Libertiner,

Bekümmerst dich um keinen Bann,

Schimpfst auf die Kapuziner,

Hältst nichts auf Inquisition,

Und auf die Gnad, sine qua non

Man nie kann selig werden.[16]

 

23

Man sagt, du liebest den Rousseau

Und lobest den Voltaire,

Bekennst dich coram populo

Zu ihren falschen Lehren.

Sagst, daß Rousseau ein guter Christ,

Ein bessrer als manch Priester ist,

Und liesest seine Schriften!

 

24

Noch nicht genug, auch überdies

Liest du verbotne Schriften,

Wie des Blumauer Aenëis,

Die nur die Welt vergiften,

Und schimpfst selbst auf den Papst von Rom,

Hältst keinen Geistlichen für fromm

Und nennst uns alle Heuchler.

 

25

Behauptest, daß zur Rel'gion

Auch die Vernunft gehöre

Und daß auch keine Nation

Ohn diese glücklich wäre,

Der Gläubige ohne Vernunft

Gehöre zu der tollen Zunft

Der Toren und Phantasten!

 

26

Und, wie ich höre, wolltest du

À la Blumauer schreiben,

Doch nun geht es der Hölle zu,

Da laß dus immer bleiben,

Wenn du nicht in der Hölle Schoß,

In Luzifers geheiztem Schloß,

Bei Blumauern willst sitzen.

 

27

Blumauer, schrie ich, und ward blaß,

Wär in der Höll, mein Pater,

Ich sehe wohl, ihr treibt nur Spaß,[17]

Soviel ich weiß, so hat der

Blumauer in der Aenëis,

Nichts Fehlerhaftes, nein gewiß,

Er ist nicht in der Hölle!

 

28

Er ists, weil er das Christentum,

Sprach er, mit Spott verachtet,

Und unsrer heilgen Kirche Ruhm

Und Glanz zu stürzen trachtet,

Weil er dem Papst sein Ansehn raubt,

An keine Seligsprechung glaubt,

Die Heiligen beschimpfet.

 

29

Doch, guter Freund, jetzt merke auf,

Ich hab dir noch zu sagen,

Warum wir so in vollem Lauf

In hohen Lüften jagen?

Du sollst durch Höll und Himmel gehn,

Und dort alles genau besehn,

Um den Spott zu bereuen.

 

30

Doch sieh hinauf, wir sind sogleich,

In einer halben Stunde,

In des so holden Glaubens Reich.

Hier machen wir die Runde

Und fahren dann sogleich davon,

Hin zu der nächsten Station,

In den gepriesnen Himmel.[18]

 

Das Rechte und Schlechte

Mit frechen Feinden kriegen,

Und sie nur stets besiegen,

Das wär schon recht!

Doch ohn ein Schwert zu ziehen,

Nur immer, immer fliehen,

Ei, das ist schlecht![18]

 

Mit immer tapfern Kämpfen,

Des Feindes Rachgier dämpfen,

Das wär schon recht!

Mit Planen, die nichts taugen,

Das Land nur auszusaugen,

Ei, das ist schlecht!

 

Wenn Schurken sich beraten,

Und Leut und Land verraten,

Das ist nicht recht!

Doch sie zu pensionieren,

Statt zu arkebusieren,

Ei, das ist schlecht!

 

Im Siebenjährgen Kriege

Hatt man sehr wenig Siege,

Das war nicht recht!

Doch jetzt so schrecklich kriegen,

Und auch nicht einmal siegen,

Ei, das ist schlecht!

 

Dem Lande Frieden schenken

Und Leut und Land bedenken,

Das wär schon recht!

Doch jetzo Friede schließen,

Draus kann nichts Guts entsprießen,

Nein, das ist schlecht!

 

Wenn man nun reformierte

Und alles weiser führte,

Dann wärs schon recht!

Doch bleibt es noch beim alten,

Und läßt man Schurken schalten,

Ei, dann ists schlecht!

 

Den 2ten Januar 1806[19]

 

Das Zauberschwert

In eines wüsten Schlosses Hallen

Lag eingesperrt,

Bewacht von eines Drachen Krallen,

Ein Zauberschwert.

 

Schon mancher suchte es zu heben,

Vergebens doch,

Der Drache machte alles beben,

Im finstern Loch.

 

Bis doch ein Paladin aus Franken

Vorm Schlosse hält,

Der oft schon kühn zerbrach die Schranken

Der Geisterwelt.

 

Der Wagling eilt mit kühnem Mute

Zum finstern Grab

Und steiget rasch mit kühlem Blute

Den Gang hinab.

 

Er kömmt zur Gruft. Der Drache brauset

Vom Nest hervor,

Des Ritters Damaszener sauset

Dem Vieh ums Ohr.

 

Sein Rachen glüht im Feur und Dampfe,

Sein Brüllen gällt

Durchs Schloß, bis doch, nach langem Kampfe,

Das Untier fällt.

 

Das Schwert durchbohret seine Seite.

Nach seinem Fall

Nimmt unser Ritter hin, als Beute,

Den Zauberstahl.

 

Nun mähet, gleich den fleißgen Schnittern

Im Ährenmeer,

Er unter allen schwachen Rittern

Der Welt umher.[20]

 

Doch endlich kam ein tapfrer Fechter,

Des Stimme schallt

Dem ewig nimmer müden Schlächter

Ein donnernd »Halt!«

 

Sie fechten. Doch im Kampf zerschellet

Der Talisman;

Und, ach! der fremde Ritter fället

Den Wundermann.

 

Ihr, die, die Rel'gion zu schänden,

Sophismen lehrt,

Merkts euch! Ihr führt mit frechen Händen

Das Zauberschwert.

 

Zwar werden manchesmal die Schwachen

Von euch besiegt;

Doch muß der Weise euch verlachen,

Den ihr bekriegt.

 

Den 5ten Februar 1806[21]

 

Sehnsucht nach Liebe

Alles liebet, alles scherzet

In der fröhlichen Natur;

Alles küsset, alles herzet

Auf den Höhn, in Wald und Flur!

 

Läßt der holde Lenz sich nieder,

Sanft umschwärmt vom lauen West,

Senkt der Vogel sein Gefieder,

Bauet liebend sich ein Nest.

 

Und der Löwe flieht das Morden,

Das sonst höchste Lust ihm schafft;

Er verläßt der Brüder Horden,

Huldigt Amors Zauberkraft.

 

Und dir soll ich mich entziehen,

Die uns menschlich fühlen lehrt?

Liebe! ach, dich soll ich fliehen,

Die der Tieger selbst verehrt?[21]

 

Ich allein nur soll dich meiden,

Holde Spenderin der Lust?

Ich soll wilde Tiere neiden

Um das Fühlen ihrer Brust?

 

Nein! dem schönsten aller Triebe

Sei mein fühlend Herz geweiht!

Schenke mir Themirens Liebe,

Amor, Gott der Zärtlichkeit!

 

Den 18ten Februar 1806[22]

 

In ein Stammbuch

Freund! auf, genieße das Leben,

Jetzt, da der Lenz dir noch blüht!

Da noch mit feurigem Streben

Blut dir die Adern durchglüht.

Fort mit den grämlichen Sorgen!

Sorge sich doch, wer da mag!

Was soll das Quälen um morgen;

Ist denn nicht heut auch ein Tag?

Nie vor der Zukunft gezittert!

Niemals in Leiden gebebt!

Nie von der Freude erschüttert!

Das, Freund, nur das heißt gelebt!

 

Den 16ten März 1806

 

Der Genius der Zukunft

Wenn bei mancher Kluft im Leben

Hocherschreckt die Menschen beben,

Gram das wunde Herz durchdringt,

In der Brust Verzweiflung ringt,

 

Siehe, da führt sie mit warnendem Blicke,

Lächelnd der Genius vom Abgrund zurücke,

Zeigt ihnen Lethens beglückenden Strand,

Auf! Hin, o Waller, ins bessere Land.

 

Wenn, gedrückt von schwerem Kummer,

Hingestreckt zu leichtem Schlummer[22]

In des Mittags heißer Glut,

Der gequälte Arme ruht,

 

Zeigt er ihm jenseits der menschlichen Leiden

Tröstend der Zukunft beglückende Freuden,

Zeiget ihm Lethens beglückenden Strand,

Auf, hin, Gequälter, ins bessere Land.

 

Wenn der Greis gekrümmt am Stabe,

Bei des einzgen Sohnes Grabe,

Ihm so manche Träne zollt,

Die dem matten Aug entrollt.

 

Holder, da zeigst mit belebender Milde

Du ihm den Sohn in Elysiens Gefilde,

Sehet, an Lethens beglückenden Strand,

Wandelt er fröhlich im besseren Land.

 

Wenn, durch lange Qual ermattet,

Todesnebel uns umschattet,

Schon verlischt des Lebens Licht,

Sterbend unser Auge bricht,

 

Hin durch des Todes weitgähnende Schlünde

Führt uns der Genius in friedliche Gründe,

Führt uns zu Lethens beglückenden Strand,

Hin in Elysiums besseres Land.

 

Den 21ten März 1806[23]

 

Der Kampf der Leidenschaften

Ha! welch unnennbare Gefühle

Durchströmen meine Brust!

Es paart im schrecklichen Gewühle

Verzweiflung sich mit Lust.

 

Ha! welch ein Chaos nun in meinem Herzen

Mein Innerstes durchbebt!

Wie unter nie gefühlten Schmerzen

Die Brust sich stöhnend hebt![23]

 

Wie wenn in Lybiens grausen Wüsten,

Im glühend heißen Sand,

Sich gattend ein Paar Schlangen nisten,

Verderbend Flur und Land.

 

Wenn dann in fröhlichem Getümmel

Sich Schlang an Schlange schmiegt,

Und nun in scheußlichem Gewimmel

Die Brut im Neste liegt.

 

So windet glimmend sich zusammen

Der Leidenschaften Wut,

Doch endlich sprüht der Funke Flammen

Und übrall tobt die Glut.

 

Nur du kannst diese Flamme dämpfen,

O Hoffnung, nur dein Strahl

Kann die Verzweifelung bekämpfen

Und lindern meine Qual.

 

Den 2ten April 1806[24]

 

Der wahre Glaube

Dahingestreckt auf grüne Matten,

Lag, mit Almansorn Hand in Hand,

Nadir an eines Baches Rand,

In einer Palme kühlen Schatten.

 

Es war im Lenz. Mit süßer Kehle

Sang ein erfreuter Vögelchor

Aus jedem Busche froh hervor,

Und zärtlich klagte Philomele.

 

Die Freunde sind ganz Ohr. Sie lauschen

Dem tausendstimmigem Konzert

Der Waldbewohner, jeder hört

Mit stiller Lust des Baches Rauschen.

 

Bis doch Nadir das lange Schweigen,

Den Freund umarmend, unterbricht,

Almansorn küsset und dann spricht,

Mit Mienen, welche Ehrfurcht zeigen.[24]

 

Dein Geist zerreißet jene Bande,

Die Aberglaub um Menschen schlingt,

Und da dein Aug den Wahn durchdringt,

Nennt man dich weis' im ganzen Lande.

 

Drum sprich: Wer lehrt die Vögel Lieder?

Wer schuf sie selbst? auf wessen Ruf

Entstanden Welten? und wer schuf

Der Wälder Volk, der Luft Gefieder?

 

Kannst du mir alles dies erklären?

Sag, Freund! mir, wie der Schöpfer heißt!

Dann lob ich deinen großen Geist

Und will wie einen Gott dich ehren.

 

Doch nicht allein will ich ihn kennen,

Den unbegreifbar mächtgen Gott;

Auch wissen will ich sein Gebot,

Auch meine Pflichten mußt du nennen!

 

Almansor spricht, und Tränen nässen

Dabei sein würdig Angesicht;

Wer jener ist, das weiß ich nicht,

Wer kann den Ewigen ermessen?

 

Er heiße Jupiter, heiß Allah;

Bet Ormuzd, bet Osiris an

Und sei ein Christ, sei ein Braman,

Verehr den Wischnu, den Jehovah!

 

Doch nur erfülle deine Pflichten! –

Tu jeder Gutes, was er kann,

Und hat er recht und brav getan:

So wird Gott jenseits gnädig richten.

 

Den 4ten April 1806[25]

 

Die Krone

Fürst Midas mit den Eselsohren,

Vom Hauptschmuck so genannt,

Wars, der den Nimbus mancher Toren,

Das Diadem erfand.[25]

 

Er, den Apoll mit langen Läppchen

So herrlich dekoriert,

Hat auch mit einem Purpurkäppchen

Zuerst sein Haupt geziert.

 

Und so versteckt er seine Mängel

In Mützen von drap d'or,

Wie manche unsrer holden Engel

Die ihrigen in Flor.

 

So stand es, als bei seinem Sterben,

Als Fideikommiß,

Er seinem Sohn als nächsten Erben

Das Mützchen hinterließ.

 

Der Erbe rief mit Spott und Staunen,

Ei, Freunde, seht doch, seht!

Fürst Midas hatte seltne Launen!

Ei, seht doch, wie das steht!

 

Er ziert es mit gestickten Streifchen

Und zerret, ändert, schiebt

So lange, bis mit einem Reifchen

Von Gold er es umgibt.

 

Das Reifchen wird nun bald verbessert,

Mit Steinen bunt besetzt,

Sein Wert gar bald vergrößert,

Als höchstes Gut geschätzt.

 

So ward die Krone, deren Schimmer

Manch langes Ohr versteckt

Und deren blendendes Geflimmer

Selbst Lastertaten deckt.

 

Den 5ten April 1806[26]

 

Die wahre Glückseligkeit

(nach den gegebenen Endreimen verfertigt)

 

Das ist wohl nicht das größte Gut,

Ein neues Kleid, ein neuer Hut,

Der hohe Rang, die goldne Dose!

Der Hirt ist glücklicher auf Moose,

Als du bei vollbesetztem Tisch,

Bei Torten und dergleichen Wisch.

Er kann bei seinem leichten Essen

Den Kummer und den Gram vergessen,

Und wie der Städter nicht sein Kind,

Liebt er in Einfalt dort sein Rind.

Dies Glück macht froh die, die es haben,

Ihm raubens Motten nicht, nicht Schaben.

 

Der Abend

Mit balsamischem Gefieder

Deckt der Abend nun die Flur,

Sanfte Kühlung weht hernieder,

Stille sind der Vögel Lieder,

Feiernd schweiget die Natur.

 

Ruhe träuft von seinem Flügel,

Und er spendet Labung aus.

Dort, an jenem grauen Hügel,

Kehrt vom Feld, mit losem Zügel,

Froh der Ackersmann nach Haus.

 

Stille deckt die düstre Erde,

Alles ruht auf Berg und Tal,

Zu den Hürden eilt die Herde,

Abgemattet ziehn die Pferde

In den langentbehrten Stall.

 

Purpurröte überwebet

Hell das blaue Firmament,

Und das Laub im Walde bebet,

Von des Zephirs Hauch belebet,

Und der ferne Westen brennt.[27]

 

Rotes Gold glüht in den Lüften,

Spiegelt sich im nahen Teich.

Dunkles Grau umhüllt die Triften,

Berg und Tal und Wiese düften,

Dampfenden Altären gleich.

 

Hinter jener Berge Rücken

Sinket Phöbus hehr hinab,

So stürzt, Hoheit in den Blicken,

Sich der Brave mit Entzücken

Für das Recht ins offne Grab.

 

Nichts kann seinen Mut ermatten,

Wenn die Pflicht den Edlen ruft,

Er zählt fröhlich seine Taten,

Fliehet in des Grabes Schatten,

Sinket heiter in die Gruft.

 

Denn warum sollt er auch beben,

Bald entweicht des Grabes Nacht,

Bald kehrt er zu besserm Leben,

Bald wird er sich neu erheben,

Wie die Sonn in hehrer Pracht.

 

Den 27ten April 1806[28]

 

Die wahre Tugend

Es lebt einmal in niedrer Hütte

Ein Klausner im Ardennerwald,

Von dessen Ruhm und strenger Sitte

Ringsum das ganze Land erschallt'.

 

Er betete bei Nacht und Tage,

Sein Mahl bestand aus schlechtem Brot,

Er rettete, so geht die Sage,

Gar oft das Land aus Pest und Not.

 

Einst, als ein Frost aus rauhen Lüften

Sich niedersenkt' auf die Natur,

Drückt Mißwachs die erstorbnen Triften,

Und Mangel jede Kreatur.[28]

 

Und auch des Eremiten Schwelle

Verschont der grause Hunger nicht,

Er grinst auch in die enge Zelle

Mit abgezehrtem Angesicht.

 

Der Alte lenkt nach jenen Hütten,

Die ihn gepflegt, den matten Lauf,

Doch plötzlich hält in seinen Schritten

Ihn Hunger und Ermattung auf.

 

Von Froste starren seine Glieder,

An eine nahe Eiche lehnt

Er seinen Leib und stürzet nieder

Und ächzet an der Erd und stöhnt.

 

Doch sieh! Mit gräßlicher Gebärde

Naht nun ein Weib, hört sein Geschrei,

Erblickt den Armen auf der Erde

Und eilet schnell zu Hilf herbei.

 

Der Alte stöhnt: Ach, hab Erbarmen!

Nur einen kleinen Bissen Brot!

Es ist der letzte, in mir Armen

Wühlt schon der martervollste Tod.

 

Ich, Armer, sollte Brot dir geben?

Ruft sie, von herben Tränen schwer

Rollt hier ihr Blick, bei meinem Leben!

Ich habe nur dies Stückchen mehr.

 

Mit diesem will ich mich noch laben,

Das Totenmahl soll es mir sein. –

Doch, Alter, nein, du sollst es haben,

Hier, Lieber! Nimm es, es ist dein!

 

Ihr Busen pocht in lauten Schlägen,

Und mit verzweiflungsvollem Sinn

Schreit sie: Ach, gib mir deinen Segen,

Hier ist das Brot, ach, nimm es hin![29]

 

Er nimmts und nässet es mit Tränen,

Ich Sünder soll dich segnen? – dich?

O, rufet er mit leisem Stöhnen,

Weib, du bist heiliger als ich!

 

Den 28ten April 1806[30]

 

Elegie auf den Tod einer Grille

Musen, hüllet mir die Leier,

Die sonst nur der Freud erklang,

In der Trauer dunkeln Schleier,

Klagend halle mein Gesang!

Schwermutsvoll, in dumpfen Tönen

Weine, holde Elegie,

Fleuch, o fleuch, mit leisem Stöhnen,

Hin ins Land der Phantasie!

Hebe dich auf leichten Schwingen

Zu der Göttin hehrem Thron,

Hilf ein Totenlied mir singen

In Tibulls gerührtem Ton!

Zwar nur eine kleine Grille

Ist es, was mein Lied beweint,

Aber diese niedre Hülle

Barg mir einen teuern Freund.

Einen Freund, der mir die Sorgen

Aus dem wunden Herzen sang,

Der an jedem frühen Morgen

Freudig mir entgegensprang.

Er, der oft mit seinen Scherzen

Lust und Heiterkeit mir gab,

Stürzt, ein Raub von herben Schmerzen,

In sein allzufrühes Grab!

Tot liegt er vor meinen Füßen,

Tot vor meinem feuchtem Blick,

Unerweckbar meinen Küssen,

Nimmer kehret er zurück!

Schlafe denn, da dich mein Kummer[30]

Nimmermehr zum Leben ruft,

Schlafe denn den Todesschlummer,

Ruhe sanft in düstrer Gruft!

 

Den 14ten Mai 1806[31]

 

Am Geburtstage meines Freundes Hofmann

Monden schwinden, Jahre fliehen

Auf den Fittigen der Zeit!

Kaum siehst du die Rose glühen,

Kaum siehst du das Veilchen blühen,

Hat ein Windstoß sie zerstreut.

 

Heute strahlt Gesundheitsfülle

Aus des Knaben muntern Blick!

Morgen deckt des Grabes Hülle

Ihn mit grauser Todesstille,

Und erloschen ist sein Blick!

 

Wohl dem, der als Greis und Knabe

Nur der holden Tugend lebt,

Und auch an dem nahen Grabe

An des Alters schwachem Stabe

Nicht vor dem Vergelter bebt!

 

Der, doch mäßig und bescheiden,

Auch des Lebens Lust genießt,

Und zum Kelche seiner Leiden

Manchen Tropfen sanfter Freuden

Weise und bedachtsam gießt.

 

Dem zum Guten und zum Schönen

Liebe nur die Brust erfüllt,

Der der armen Waise Stöhnen

Und der Witwe herbe Tränen

Helfend wie ein Engel stillt.

 

Er kann froh den Blick erheben,

Denn er ist ein braver Mann,

Ewig, ewig wird er leben,[31]

Über Sternen wird er schweben,

Denn auch er hat recht getan!

 

Teurer Freund, auch du sollst nützen! –

Höre stets der Tugend Ruf,

Denn du sollst sie unterstützen

Und gekränkte Unschuld schützen,

Wie das Wesen, das dich schuf!

 

Nicht nur nützen; auch das Freuen

Weigert dir die Gottheit nicht:

Deine Kraft den Musen leihen,

Und dich ihrem Dienste weihen,

Sei dir Freude, sei dir Pflicht!

 

Handle immer brav und bieder! –

Hast du recht und brav getan,

Dann singt einst der Chor der Brüder

Dir am Grabe Trauerlieder,

»Hier auch liegt ein braver Mann!«

 

Den 27ten juli 1806[32]

 

Der Triumph der Liebe

ein Gedicht in drei Gesängen

 

Erster Gesang

 

Die Liebe herrscht in mancherlei Gestalten

In allen Teilen unsrer schönen Welt.

Nur Harmonie kann diese Welt erhalten,

Und Liebe nur ist das, was sie erhält.

Sie fesselt zum Verein, in dem Gewande

Der guten, allerhaltenden Natur,

Die fremden Kräfte durch der Eintracht Bande,

Und überall erkennst du ihre Spur.

Ja, Liebe, deine Zaubermacht beglücket

Den weisen Briten an der Themse Strand,

Indes sie auch den Araber entzücket,

In wüster Stepp, an seines Mädchens Hand.

Die schönsten Güter unsers irdschen Lebens

Beutst, Liebe, du, und die Zufriedenheit[32]

Wem, Holde, ihr nicht lächelt, sucht vergebens

Am Thron und in der Hütte Seligkeit.

So mancher arme Tor hat dies erfahren

Und unter diesen auch mein Lykoon.

Er sucht' das wahre Glück in den Gefahren

Des Krieges, in der Hütt und an dem Thron.

Kalt sah er seiner Jugend Blüte schwinden

In düstrer, abgeschiedner Einsamkeit.

Umsonst! Er konnte sie doch niemals finden,

Die götterähnliche Glückseligkeit.

An eines Weibes treuer Brust, umschlungen

Von ihrem Arm, an eines Weibes Hand,

War es nach langem Kummer ihm gelungen

Zu finden, was er vorher nirgends fand.

Doch halt, o Muse, die auf leichtem Flügel

Sich kühn ins Land der Phantasien schwang,

Ergreif den tollen Pegasus beim Zügel,

Beginne den melodischen Gesang!

Die tolle Schar der fessellosen Winde

Durchheulten laut, mit ungewohnter Wut,

Des waldbedeckten Tales stille Gründe,

In denen Lykoon, der arme, ruht.

Er lag in einer Höhle dunkeln Schatten

Dahingestreckt auf weiche Binsenmatten.

Der Sturm weckt' ihn aus seinem süßem Schlafe.

Er hebt den nassen Blick von Tränen schwer

Und ruft voll Harm: Ich bin der stete Sklave

Von allem außer mir und nie mein Herr!

Von allem äußeren werd ich getroffen,

Ein Windstoß raubt mir meine Freuden, und

Ich wage noch Glückseligkeit zu hoffen

Auf diesem mir verhaßten Erdenrund?

Ich hoffte einst, in meiner Jugend Träumen;

Sie schwanden bei dem ersten Strahl des Lichts,

Ich kam zurück aus den so schönen Räumen

Der Phantasie, sie sanken in ihr Nichts!

Weh mir, es war ein schreckliches Erwachen!

Wie der, der sich im Traume glücklich dünkt,[33]

Erwacht, und sieht sich in des Löwen Rachen,

Von dessen Aug der Tod entgegenwinkt.

Wohl dem, der träumend noch, in Charons Nachen

Voll von beglückenden Ideen sinkt!

Doch solch ein Schicksal war mir nicht beschieden,

Sogar das Grab verschließt mir seinen Schoß,

Der hagre Tod verhöhnt den Lebensmüden

Und martervolles Leben ist mein Los.

Ich sahe froh den Kampf der Elemente,

Denn meine kühnste Hoffnung ist der Tod,

Den Tod nur flehend, falt ich meine Hände,

Denn neue Qual bringt jedes Morgenrot,

Und jeder neue Tag bringt neue Tränen!

So rufet Lykoon, rafft sich empor

Von seinem Lager, und mit leisem Stöhnen

Tritt er aus seiner dunkeln Gruft hervor.

Und eilet wild auf ungebahntem Pfade,

Den schwarze Nacht und Finsternis umhüllt,

Dahin, wo an das felsigte Gestade

Die hohe Well in großen Bogen schwillt

Und selbst den lauten Donner überbrüllt.

Stets dunkler schwärzet sich der düstre Himmel

Und heller flammt der Blitze falbe Glut,

Das Meer erbraust mit neuer Wut,

Die Elemente kämpfen, im Getümmel

Mischt sich der hohe Himmel mit der Flut,

Die alternde Zypresse stürzt darnieder,

Im Staube liegt ihr hundertjährges Haupt,

Und bang und bebend flieht der Luft Gefieder,

Die holden Sänger kunstlos schöner Lieder,

Des langgewohnten Aufenthalts beraubt.

Da steht er nun mit gräßlicher Gebärde

Und senket wild das starre Aug zur Erde.

Doch plötzlich hebt er den gesenkten Blick,

Nur drunten, ruft er, in des Todes Armen,

Nur dort, dort wohnet Mitleid, wohnt Erbarmen,

Nur drunten blühet dem Verfolgten Glück,

Dort erst, in jenen weitentfernten Zonen,[34]

Wo der Kozytus fließt, wo Geister wohnen,

Kehrt Ruhe in die wunde Brust zurück,

Nur jene, die im fernen Orkus weilen,

Verschont mit seinen giftgetauchten Pfeilen

Ohnmächtig das verfolgende Geschick.

Nur in Elysiens Fluren wohnet Frieden,

An Lethens hochbeglücktem Strand verhallt

Der Seufzer der Unglücklichen, hinieden

Droht neue Marter stets dem Lebensmüden.

Der, der auf diesem Unglücksballe wallt,

Fühlt stets des mächtgen Unglücks Allgewalt.

Drum denn hinüber nach dem schönen Lande,

Wo uns des Glückes hohe Palme winkt,

Gelöset von des Lebens ehrner Bande,

Der Mensch ans mütterliche Ufer sinkt

Und neu belebt an Lethes Strande

Vergessenheit in vollen Zügen trinkt.

Hinaus, Gequälter, fort aus diesem Leben,

Mit deinem Atem fliehet deine Qual,

Der Tod nur kann dir jene Freuden geben,

Die dir das grausame Geschick hier stahl.

Schon dreißig Jahre hab ich nun gelitten,

Den schweren Kampf mit dem Geschick gestritten,

Doch nun lohnt meinen Leiden Götterlust.

Empfangt denn meinen Leib, ihr schwarzen Wogen,

Ich fühle mich zu euch hinabgezogen,

Denn keiner Schandtat bin ich mir bewußt!

So ruft er und steigt bei dem Schein der Blitze

Hinauf bis zu des Felsens steiler Spitze

Und stürzt – an eines alten Mannes Brust,

Der ihn, mit freundlich helfendem Bemühen,

Versucht, vom hohen Ufer fortzuziehen,

Wie wenn in Lybiens unfruchtbaren Strecken

Ein Leu, von jeder Kreatur verflucht,

Der armen Landbewohner grausam Schrecken,

In öden Wäldern seine Beute sucht.

Er hört ein Lamm im nahen Busche blöken,

Raubgierig eilet er dahin und fällt[35]

In Netze, die der Jäger schlau gestellt.

Er schüttelt heiß von Rachbegier die Mähne,

Bleckt grimmig seine blutbesprützten Zähne,

Sein aufgesperrter weiter Rachen droht

Dem kühnen Jäger, der ihn fing, den Tod.

So wendet Lykoon in raschem Grimme,

Den Störer zu bestrafen, sein Gesicht,

Als jener ihn umarmt und weinend spricht,

Mein Lykoon; mein Freund, kennst du mich nicht?

Kennst du nicht mehr des alten Freundes Stimme?

Mein Lykoon, ist deinen Ohren

Ihr einst so wohlbekannter, süßer Klang

Itzt fremd geworden, die dir, kaum geboren

Zuerst ein schlaferweckend Liedchen sang

Und fremd der Mann, der deine Kindheit pflegte,

Der in des heitern Knaben junges Herz

Den Keim zum Edlen und zum Guten legte,

Der jede Freude, jeden Schmerz

Voll Liebe väterlich mit dir geteilet,

Der kurz zuvor dem Tode dich entzohn

Und nun voll Lust in deine Arme eilet,

Kennst du nicht mehr den alten Polyon?

wie aus dem Schlaf erwacht sieht Lykoon

den Sprecher an mit Ungewissen Blicken,

doch kaum hat er das Aug gewandt und schon

liegt er an seinem Halse voll Entzücken

und drohet ihn mit Küssen zu ersticken.

Kaum windet sich der alte Polyon

aus seinen Armen, die ihn fast erdrücken,

tritt zwanzig Schritte weit zurück und meint,

nun werd er freier Atem holen können,

Doch hier verfolgt ihn auch sein junger Freund,

der es drauf angelegt zu haben scheint,

den Alten in die See hinabzurennen.

Doch endlich leget sich die erste Glut

des Wiedersehns, doch nun strömt eine Flut

von mehr als hunderttausend Fragen,

die sich wie Regentropfen jagen,[36]

aus unsers ungestümen Helden Mund

auf den erschrocknen Alten, und

er kann sich kaum des Wütenden verwehren,

der immer näher ihm zu Leibe geht,

er bittet, jammert, wimmert, fleht

umsonst, sein junger Freund scheint nicht zu hören!

Ihr stutzet, Freund, wie [nur] ein Mann,

der Wochen mit der ganzen Erde grollte

und grimmen Tod im Meere suchen wollte,

nach Irdischem so eifrig fragen kann!

...[37]

 

Galorin und Malwine

ein Rittergedicht in Gesängen

 

Erster Gesang

 

O Krieges Muse, stimme mir die Leier,

Die sonst von Scherz und Liebe nur erklang,

Zum freien Ton der Ritterabenteuer

Und leite meinen schwankenden Gesang.

Die Muse ruft der Sänger von Achilles Grimme

Und heutgen Tags mit lauter Stimme

Zur Wehemutter mancher Dichter, wenn er kreißt,

Doch wie uns die Erfahrung weist,

Bemühet mancher sie von ihrem Wolkensitze

Und stellet sie an seines Werkes Spitze

Und meldet uns mit gräßlichem Geschrei,

Daß sie die Mutter seines Sohnes sei,

Da doch das Kind die göttliche Gestalt der Muse

Und ihre holden Züge so erreicht,

Wie Anadyomene der Meduse,

Die Eule einem Schwane gleicht.

Die Muse will ich nicht bemühn. Mein sei die Ehre,

Die dies, mein erstgebornes Söhnchen, sich erwirbt,

Und wenn es auch schon in den ersten Wochen stirbt,

Und wenn sein Los auch Schande wäre,

So komm auch diese über mich. Wie Zeus getan,

Will ich aus meinem eignem Haupt gebären.[37]

(Lest nur die Mythen nach und euern Lucian.

Dort werdet ihr es deutlich hören,

Wie der geplagte gute Mann,

Um eines unerbittlichen Schicksales Willen

Mit einem Male zu erfüllen

Und auch zugleich die Stimme seiner Herrschergrillen

Und Herrscherfurcht zu stillen,

Obgleich der Schritt ihn sehr betrübte,

Die holde und schon schwangere Geliebte,

Mit Schmerz und Tränen, aber doch verschlang,

Wie seinem Haupte dann die schöne

Mit Speer und Schild bewaffnete Athene,

Die ewig keusche, hehr entsprang,

Und wie das alles heißt, was die Poeten singen. –)

Mag auch der Kritiker und Kritikaster schrein,

So soll doch meinem Haupt ein Kind entspringen:

Zwar keine Pallas soll es werden, nein,

So mein ichs nicht. Bin ich doch auch kein Zeus, so ein

Gesundes starkes Kind soll es nur sein,

Nur zur Geburt soll mir die Muse Beistand leihn,

Um den ich sie im ersten Vers gebeten,

Denn zum Erzeugen hab ich ihrer nicht vonnöten. –

Doch ho, was hör ich dort in jenem fernen Haine

Für ein betäubendes Geschrei,

Ha, laßt uns sehen, was es sei.

Beleuchtet von der Luna falbem Scheine

Tobt dort der Kampf von ein Paar wackren Rittern.

Seht, jeder spornt sein schaumbedecktes Roß

Und sprengt voll Mut auf seinen Gegner los.

Jetzt treffen sich die Speere, keiner wankt dem Stoß

Des Gegners, doch die starken Lanzen splittern.

Nun springt ein jeder von dem Pferd,

Legt seine tapfre Hand ans Schwert

Und reißt die spiegelhelle scharfe Schneide,

Erhitzt von Kampfgier, aus der glatten Scheide.

Im hellen Strahl des Mondes glühn

Die Schwerter, und die schweren Hiebe rasseln

Hernieder, daß die Funken sprühn,[38]

Und Helm und Panzer prasseln.

Wie wenn ein Fels im tiefen Meere,

Wenn ihn die tolle Flut

Mit schrecklich aufgeregter Wut

Umbrüllt, auf seine Schwere

Und seine Festigkeit, die ihn bisher geschützt,

Mit stillem Hohn und Trotz gestützt,

Der regen Wellen Ungestüm verlachet

Und sich für unbesiegbar hält,

Doch endlich, untergraben, wankt und krachet

Und donnernd in die bodenlose Tiefe fällt,

Vom Zorne des ergrimmten Ozeans bezwungen,

So fühlt der Ritter einer sich umschlungen

Von seines Gegners starkem Arm, zwar wehrt

Er sich verzweiflungsvoll mit Dolch und Schwert,

Doch seines Gegners Eisen schmettert nieder

Aufs welke Haupt, er hebt zum Gegenhieb die Hand,

Doch ihren Dienst versagen ihm die matten Glieder,

Er sinkt entkräftet in den Sand.

Entflammet von der Rache lohen Zunder,

Enthelmt der Sieger des Gefallnen Haupt, und ha,

Welch unerhörtes Wunder!

Statt eines Ritters liegt ein Mädchen da!

Ihr Haupt – von blonden Locken rings umflossen,

Ruht auf der stahlbedeckten Hand,

Das schöne große Aug geschlossen,

Liegt sie betäubt im harten Sand.

...[39]

 

Der Bauer, der sein Kalb verloren hat

aus dem Französischen

 

Um ein verlornes Kalb zu suchen,

Ging einst ein Bauer in den Wald,

Bestieg die höchste aller Buchen

Und lauschte rings umher. Doch bald

Naht ihm sich ein verliebtes Pärchen

Und strecket sich ins weiche Gras,

Das Mädchen stöhnt, das süße Herrchen[39]

Erblickt beim Kuß ich weiß nicht was,

Genug, er dehnt sich an der Erde

Wie ein getretner Wurm und spricht

Mit wollustatmender Gebärde:

»Was seh ich und was seh ich nicht!«

Der Bauer steiget von der Spitze

Des Baums, auf dem er forschend stand

Herab und tritt zum Rasensitze,

Wo er die beiden – küssend fand:

»Ach Herr, ihr könnt mich glücklich machen,

Ihr sehet ja, spricht er schon halb

Beruhiget, so viele Sachen,

Sagt mir, seht ihr nicht auch mein Kalb.«

 

Den 28 November 1806[40]

 

A l'amour

Amour, amour tes douces charmes

Vainquent, enflamment tous les coeurs,

A toi potent coulent des larmes

De joie et souvent de douleur.

 

A ton gouvernement personne

Resiste, et le gueux et le roi

Et tous les mortels s'abandonnent

Aux fleches de ton preux carquoi.

 

Seulment la belle Antoinette

Ferme à tes charmes ses yeux

Et mes soupirs tendres rejette.

Vainque la belle, bon Dieu!

 

Den 31 Dezember 1806

 

Die Entdeckung von Madera

Romanze

 

1

Wenn die Geisterstunde schallet,

Und kein Stern am Himmel lacht,

Wenn kein Fußtritt rings mehr hallet[40]

In der stillen Mitternacht,

Naht sich in der Dunkelheit schützendem Schleier

Dem Fenster des harrenden Liebchens dein Treuer.

 

2

Lispelt leise am Gegitter,

Das ihn von dem Mädchen trennt,

Robert von Macham, der Ritter,

Der für Anne d'Arset brennt.

Und freudiger schließet nun Anne das Fenster

Und harret voll Sehnsucht der Stund der Gespenster.

 

3

Feurig liebten sich die beiden,

Rein, wie nur ein Engel liebt,

Doch der Himmel ihrer Freuden

Wurde nur zu bald getrübt:

Denn Annens Geschlecht war geachtet im Lande,

Und Robert Macham nur von niedrigem Stande.

 

4

Einer von des Hofes Großen,

Mächtig, reich und hochgeehrt,

Aus des Königs Blut entsprossen,

Hatte Annens Hand begehrt.

Der Vater glaubt sich durch den Antrag geachtet,

Ihr Glück wird dem Stolze zum Opfer geschlachtet.

 

5

Ungerührt von Annens Tränen

Sieht der Vater ihren Schmerz,

Und, um seinem Geiz zu frönen,

Martert er der Tochter Herz.

Um Reichtümer, Hoheit und Macht zu erreichen,

Mag immer die liebende Tochter erbleichen!

 

6

Robert soll das Mädchen fliehen,

Deren Liebe ihn beglückt!

Alle Freuden, die ihm blühen,[41]

Sind durch diesen Stoß zerknickt.

Die Schöpfung, die ehmals mit Lust ihn erfüllet,

Erscheint nun im Schleier der Trauer verhüllet.

 

7

Doch der Schmerz weicht bald dem Grimme.

Zu dem Grafen d'Arset spricht

Er mit wuterstickter Stimme,

Zittre, grauer Bösewicht!

Nie soll dir dein schändlicher Anschlag gelingen,

Ich will mir die Hand deiner Tochter erringen.

 

8

Ha, den Frevel sollst du büßen,

Ruft d'Arset, elender Wurm,

Nasse Steine magst du küssen,

Dort im grassen Felsenturm!

Und winket mit hoch aufgehobener Rechten;

Da füllet das weite Gemach sich mit Knechten.

 

9

Tobe, tobe, toller Knabe,

Spricht der Graf mit Hohn und Wut,

In des Turmes kaltem Grabe

Schwindet bald der kühne Mut!

Auf, wackere Knechte, auf, bindet den Kühnen,

Nun mag er im Kerker den Frevel versühnen!

 

10

Roberts Degen mäht die Rotte,

Die ihn überall umringt,

Schrecklich ist er, gleich dem Gotte,

Der die roten Blitze schwingt,

Er stehet im Kreise, verwundet und tötet,

Von Blut ist des Tapferen Klinge gerötet.

 

11

Da naht Tom, ein niedrer Reiter,

Sonst der Feige nur genannt,

Rückwärts sich dem kühnen Streiter,[42]

Reißt das Schwert ihm aus der Hand,

Und so wird vom Feigen der Held überwunden,

Macham überwältigt, gefangen, gebunden.

 

12

Hoch, mit Klippen rings umgeben,

Lag ein altes, graues Schloß,

Dort soll Macham künftig leben,

In der Erde tiefstem Schoß

Umschlossen von mächtigen, schrecklichen Mauern.

Dort soll er die Tage der Jugend vertrauern.

 

13

Dreimal wechselt Lunas Schimmer

Seine glänzende Gestalt.

Da verstummt Roberts Gewimmer,

Und kein banger Klagton schallt

Herauf aus des Turmes gigantischen Schlünden.

Wie, wärs ihm gelungen den Ausweg zu finden?

 

14

Ja, es ist, es ist gelungen,

Und die goldne Freiheit lacht

Herrlich ihm, er ist gedrungen

Aus des Kerkers düstrer Nacht.

Ha, seht, wo gespalten die Mauer dort klaffet,

Hat er sich dem harten Gewahrsam entraffet.

 

15

Abgezehrt, mit wunden Füßen

Und bedeckt mit Staub und Blut,

Von der Dornen Zahn zerrissen,

Eilt er auf Graf Arsets Gut.

Ans Fenster von Annens Gemach geht die Reise,

Dort lispelt der Ritter vernehmlich und leise:

 

16

Wenn die Geisterstunde schallet,

Und kein Stern am Himmel lacht,

Wenn kein Fußtritt rings mehr hallet,[43]

In der stillen Mitternacht,

Naht sich in der Dunkelheit schützendem Schleier

Dem Fenster des harrenden Liebchens dein Treuer.

 

17

Als die Geisterstunde hallet,

Da rafft Anne sich empor,

Horch, ein leises Klatschen schallet

In ihr aufgeregtes Ohr.

Schnell eilet das Mädchen auf düsteren Wegen

Den Armen des harrenden Ritters entgegen.

 

18

Auf des Mädchens Lippen glühen

Seine Küsse sanft und warm,

Mädchen, spricht er, laß uns fliehen,

Flieh an deines Robert Arm!

Vorm schrecklichem Grimme der wilden Barbaren

Kann eilige Flucht nur ihr Opfer bewahren.

 

19

Siehe, dort am nahen Strande

Steht ein schnelles Schiff bereit,

In der Franken schönem Lande

Winkt uns Ruh und Sicherheit.

Geliebte, du willigest ein? – Dein Entzücken,

Dein Ja les ich froh in den flammenden Blicken.

 

20

Freudig ruft ers, und schon sehen

Sie vom nahen Ufer her

Eines Schiffes Wimpel wehen

Auf dem spiegelglatten Meer.

Da fasset das zagende Mädchen der Starke

Und trägt sie ans Ufer zur harrenden Barke.

 

21

Fröhlich stoßen sie vom Lande,

Und am fernen Osten lacht

In purpurenem Gewande[44]

Hehr Aurora, neu erwacht. –

Der Leuchtturm am Lande wird nun schon zum Zwerge,

Allmählich verschwinden die heimischen Berge.

 

22

Doch der heitre Himmel düstert

Plötzlich sich, der Tag erlischt,

Das bestürmte Schiffchen knistert,

Die geblähte Welle zischt;

Und höher und höher in wallenden Bogen

Erheben den Rücken die schäumenden Wogen.

 

23

Aufgeregte Winde blasen,

Und der Blitze falbes Licht

Flammet durch des Donners Rasen

Wie am großen Weltgericht.

Und höher und höher in türmenden Bogen

Erheben den Rücken die donnernden Wogen.

 

24

Wie der Pfeil vom Bogen schwirret,

Also eilt der schwache Kiel,

Der im hohen Meere irret,

Aufgeregter Winde Spiel.

Und fürchterlich schwanket eilf schreckliche Tage

Vom Leben zum Tode des Schicksales Wage.

 

25

Seht, wie dort die Wellen stürmen

Auf des Schiffchens nasser Bahn,

Schrecklich sich wie Berge türmen

Bis zum Firmament hinan.

Und fürchterlich heulet die Windsbraut, und grasser

Erbrüllen im Grimme die kochenden Wasser.

 

26

Zitternd und mit blassen Lippen

Ruft der Schiffer: Helf uns Gott!

Dort von himmelhohen Klippen[45]

Droht Verderben uns und Tod.

Es heulen wie Donner die brechenden Wellen,

Das Schiffchen mit wütender Kraft zu zerschellen.

 

27

Und der rohe Schiffer betet,

Von der Todesfurcht gelähmt,

Zu dem Gott, der hilft und rettet,

Der die Ungewitter zähmt.

Da naht sich ein Meerstrom dem sinkenden Schiffe

Und reißt es zerschellt in die grundlose Tiefe.

 

28

Aus des Meeres nassem Schoße

Ragt Madera hoch empor,

Schön und herrlich, wie die Rose

Aus der niedern Blumen Chor.

Dahin trägt gepeitscht von der Wut der Gewitter

Die mitleidge Woge den starrenden Ritter.

 

29

Bald fließt Wärm in seine Glieder,

Fühlbar klopft das Herz, er hebt

Schon die schweren Augenlider,

Seufzt aus banger Brust. – Er lebt!

Da rafft er sich plötzlich mit wilder Gebärde,

Von Sorgen bestürmt, von der triefenden Erde.

 

30

Annen suchen seine Blicke,

Doch umsonst, voll Wut und Gram

Fluchet er auf das Geschicke,

Das das Teuerste ihm nahm.

Da steht er umtobt von der Wogen Getümmel

Und ringet verzweifelnd die Hände gen Himmel!

 

31

Über Felsen und durch Klüfte

Eilt er fort in schnellem Lauf,

[46]