Victor Hugo: Lucretia Borgia. Drama in drei Akten
Übersetzt von Georg Büchner
Neuausgabe.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Bartolomeo Veneto, Idealbildnis einer Kurtisane als Flora, um 1520
ISBN 978-3-8430-6522-1
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-7783-5 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-7784-2 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstaufführung: 2. Februar 1833. Hier in der Übersetzung von Georg Büchner, 1835.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Donna Lucretia Borgia
Don Alphons von Este
Gennaro
Gubetta
Maffio Orsini
Jeppo Liveretto
Don Apostolo Gazella
Ascanio Pertrucci
Oloferno Vitellozzo
Rustighello Astolfo
Die Fürstin Negroni
Ein Türsteher
Mönche, Edelleute, Pagen, Wachen
Orte der Handlung: Venedig, Ferrara
Donna Lucretia Borgia – Gennaro – Gubetta – Maffio Orsini – Jeppo Liveretto – Don Apostolo Gazella – Ascanio Petrucci – Oloferno Vitellozzo – Don Alphons von Este – Rustighello – Astolfo
Eine Terrasse des Palastes Barbarigo zu Venedig. Ein nächtliches Fest. Masken gehen zuweilen über die Bühne. Zu beiden Seiten der Terrasse ist der Palast prächtig erleuchtet. Man hört den Ton von Fanfaren. Dunkel und Gesträuch decken die Terrasse. Man nimmt an, daß im Hintergrund unterhalb der Terrasse der Canal de la Zucca fließe; man sieht auf ihm zuweilen mit Masken und Musikern besetzte und halb erleuchtete Gondeln vorüberfahren. Jede dieser Gondeln fährt über den Hintergrund der Bühne unter einer bald gefälligen, bald traurigen Musik, die nach und nach in der Ferne verhallt. Im Hintergrunde Venedig vom Mondlicht beleuchtet.
Junge Herren, glänzend gekleidet, die Masken in den Händen, plaudern auf der Terrasse. Gubetta, Gennaro als Hauptmann gekleidet, Don Apostolo Gazella, Maffio Orsini, Ascanio Petrucci, Oloferno Vitellozzo, Jeppo Liveretto.
OLOFERNO. Wir leben in einer Zeit, worin so viel Schreckliches geschieht, daß man von diesem da nicht mehr spricht; aber gewiß, nie trug sich etwas Unheimlicheres und Geheimnisvolleres zu.
ASCANIO. Ein schwarzes Werk von schwarzen Händen vollbracht.
JEPPO. Ich kenne die Tatsachen, meine Herren. Ich habe sie von meinem sehr ehrwürdigen Vetter dem Kardinal Carriola, der besser unterrichtet war, als sonst jemand. Ihr wißt ja, der Kardinal Carriola, der sich so heftig mit dem Kardinal Riario über den Krieg gegen Carl VIII. von Frankreich zankte?
GENNARO gähnend. Ah! Jetzt wird uns Jeppo Geschichten erzählen. Ich für meinen Teil höre nichts. Ich bin müde genug ohne das.
MAFFIO. Du kümmerst dich um diese Sache nicht, Gennaro, und das ist ganz natürlich. Du bist ein tapferer Soldat, ein Abenteuerer. Du führst einen Phantasienamen. Du kennst weder Vater, noch Mutter. An der Art, wie du deinen Degen führst, sollte man nicht zweifeln, daß du ein Edelmann bist, und doch weiß man nichts von deinem Adel, als daß du dich wie ein Löwe schlägst. Bei meiner Seele, wir sind Waffenbrüder, und ich sage dir das nicht, um dich zu kränken. Du hast mir das Leben zu Rimini gerettet, ich rettete dir es auf der Brücke von Vicenzia. Wir schwuren einander, uns in Gefahren, wie in der Liebe zu helfen, uns gegenseitig zu rächen, wenn es nötig sei, mit Niemanden zu streiten, als ich mit deinen und du mit meinen Feinden. Ein Astrologe hat uns geweissagt, daß wir am nämlichen Tage sterben würden, und wir haben ihm sechs Goldzechinen für die Prophezeiung gegeben. Wir sind nicht Freunde, wir sind Brüder. Doch endlich, du hast das Glück, ganz einfach Gennaro zu heißen, Niemanden anzugehören, nichts von dem oft erblichen Fatalismus, der sich an den Namen der Geschlechter knüpft, mit dir zu schleppen. Du bist glücklich! Was liegt dir an dem, was geschieht und was geschah, so lange es nur Männer für den Krieg und Weiber für den Genuß gibt? Was kümmert dich, Kind der Fahne, das weder Stadt, noch Familie hat, was kümmert dich die Geschichte der Städte und Familien? Mit uns, Gennaro, siehst du, ist's anders. Wir sind berechtigt, an den Ereignissen unserer Zeit Teil zu nehmen. Unsere Väter und Mütter spielten in diesen Tragödien mit und fast alle unsere Familien bluten noch. Erzähle uns, Jeppo, was du weißt.
GENNARO wirft sich in einen Sessel, als wolle er sich dem Schlaf überlassen. Ihr werdet mich aufwecken, wenn Jeppo fertig ist.
JEPPO. Seht, es war 1480 ...
GUBETTA in einem Winkel der Bühne. 97...
JEPPO. Ja recht so, 1497. In einer gewissen Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag.
GUBETTA. Nein, vom Dienstag zum Mittwoch.
JEPPO. Ihr habt Recht. In dieser Nacht also sah ein Tiberschiffer, der in seinem Fahrzeug am Ufer lag, um seine Waren zu bewachen, etwas Entsetzliches. Es war ein wenig unterhalb der Kirche des heiligen Hieronymus. Es mochten fünf Stunden nach Mitternacht sein, als der Schiffer im Finstern auf dem Wege links der Kirche zwei Männer sah, die ängstlich da und dort hin gingen. Dann kamen noch zwei andere und endlich drei; sieben in Allem. Einer davon war zu Pferde. Die Nacht war ziemlich finster. In den Häusern, die auf die Tiber gehen, war kein Licht mehr hell. Die sieben Männer näherten sich dem Ufer. Der zu Pferde wandte das Hinterteil seines Tieres nach der Tiber, und der Schiffer sah dann deutlich Beine, die auf der einen, Kopf und Arme, die auf der ändern Seite herunterhingen; es war die Leiche eines Mannes. Während nun ihre Kameraden die Gassenecken bewachten, nahmen zwei von denen, die zu Fuß waren, den toten Körper, schwangen ihn mit Macht zwei- oder dreimal und schleuderten ihn dann mitten in die Tiber. Im Augenblick, wo die Leiche auf das Wasser schlug, tat der zu Pferde eine Frage, worauf die beiden Andern antworteten: Ja, mein Herr! Alsdann wandte der Reiter sich wieder nach der Tiber und sah was Schwarzes, das auf dem Wasser schwamm. Er frug, was das sei. Man antwortete: Mein Herr, das ist der Mantel des toten Herrn. Und einer von dem Haufen warf Steine nach dem Mantel, so daß er untersank. Darauf gingen sie alle zusammen hinweg und schlugen den Weg nach St. Jakob ein. Das ist das, was der Schiffer gesehen.
MAFFIO. Ein schauerliches Abenteuer! War es Jemand von Bedeutung, den diese Männer so ins Wasser warfen? Dies Pferd macht einen seltsamen Eindruck auf mich; der Mord auf dem Sattel und der Tod auf dem Kreuz.
GUBETTA. Auf dem Pferde waren die zwei Brüder.
JEPPO. Wie Ihr sagt, Herr von Belverana. Die Leiche war Johann Borgia, der Reiter war Cäsar Borgia.
MAFFIO. Eine Familie von Teufeln diese Borgia! Und sage mir, Jeppo, warum schlug der Bruder so den Bruder?
JEPPO. Das werde ich Euch nicht sagen. Die Ursache des Mordes ist so abscheulich, daß es eine Todsünde sein muß, nur davon zu sprechen.
GUBETTA. Ich will es Euch sagen. Cäsar, Kardinal von Valencia, hat Johann, Herzog von Gandia, erschlagen, weil die bösen Brüder das nämliche Weib liebten.
MAFFIO. Und wer war dies Weib?
GUBETTA immer in dem Hintergrund der Bühne. Ihre Schwester.
JEPPO. Genug, Herr von Belverana. Sprecht nicht vor uns den Namen dieses Ungeheuers aus. Es ist Niemand unter uns, dessen Hause es nicht eine tiefe Wunde hätte.
MAFFIO. War nicht von einem Kinde dabei die Rede?
JEPPO. Ja, von einem Kinde, wovon ich nur den Vater zu nennen wage; er hieß Johann Borgia.
MAFFIO. Das Kind könnte jetzt ein Mann sein.
OLOFERNO. Es ist verschwunden.
JEPPO. Gelang es Cäsar Borgia, es der Mutter zu entziehen? Gelang es der Mutter, es Cäsar Borgia zu entreißen? Man weiß nicht.
DON APOSTOLO. Wenn die Mutter ihren Sohn versteckt, so tut sie wohl daran. Seit Cäsar Borgia, Kardinal von Valencia, Herzog von Valentinois geworden ist, hat er, wie ihr wißt, ohne seinen Bruder Johann zu zählen, seine beiden Neffen, die Söhne des Guifry Borgia, Fürsten von Squillazzi, und seinen Vetter, den Kardinal Franz Borgia, getötet. Dieser Mensch hat die Wut, seine Verwandten zu morden.
JEPPO. Wahrhaftig, er will der einzige Borgia sein, um alle Schätze des Papstes zu erben.
ASCANIO. Machte nicht die Schwester, welche du nicht nennen willst, Jeppo, zur nämlichen Zeit insgeheim eine Reise zum Kloster des heiligen Sixtus, um sich daselbst einzuschließen, ohne daß man wußte, warum?
JEPPO. Ich glaube, ja! Das war, um sich von Herrn Sforza, ihrem zweiten Gemahl, zu trennen.
MAFFIO. Und wie hieß der Schiffer, der Alles gesehen hat?
JEPPO. Ich weiß nicht.
GUBETTA. Er hieß Giorgio Schiavone, und sein Gewerbe war, Holz auf der Tiber nach Ripetta zu führen.
MAFFIO leise zu Ascanio. Der Spanier da weiß mehr von unsren Geschichten, als wir andern Römer.
ASCANIO leise. Ich traue so wenig als du diesem Herrn von Belverana. Aber gehen wir nicht tiefer darauf ein; es steckt leicht etwas Gefährliches darunter.
JEPPO. Ich, meine Herren, in welchen Zeiten leben wir! Kennt ihr in diesem armen Italien, mit seinen Kriegen, seiner Pest und seinen Borgia, eine menschliche Kreatur, die sicher sei, ihr Übermorgen zu erleben?
APOSTOLO. Übrigens, meine Herren! Ich glaube, daß wir alle an der Gesandtschaft Teil nehmen sollen, welche die Republik von Venedig an den Herzog von Ferrara schickt, um ihm Glück zu wünschen, daß er den Malatesta Rimini wieder abgenommen. Wann reisen wir nach Ferrara ab?
OLOFERNO. Bestimmt übermorgen. Ihr wißt, daß die beiden Gesandten ernannt sind. Die Wahl ist auf die Senatoren Tiopolo und Grimani, den General der Galeeren, gefallen.
APOSTOLO. Wird der Hauptmann Gennaro mit uns gehen?
MAFFIO. Ohne Zweifel! Gennaro und ich trennen uns niemals.
ASCANIO. Meine Herren, ich habe eine wichtige Bemerkung zu machen. Der spanische Wein wird ohne uns getrunken.
MAFFIO. Gehen wir in den Palast zurück. He! Gennaro! Zu Jeppo. Er ist in der Tat über deine Geschichten eingeschlafen.
JEPPO. So mag er schlafen.
Alle gehen weg, Gubetta ausgenommen.
Gubetta, Donna Lucretia, Gennaro schlafend.
GUBETTA allein. Ja, ich weiß mehr davon, als sie; sie sagten das ganz leise zu einander. Ich weiß mehr davon, als sie; aber Donna Lucretia weiß mehr, als ich; Herr von Valentinois weiß mehr, als Donna Lucretia; der Teufel weiß mehr, als Herr von Valentinois, und der Papst Alexander VI. weiß mehr, als der Teufel. Indem er Gennaro betrachtet. Wie das schläft, die jungen Leute!
DONNA LUCRETIA tritt ein, sie ist maskiert. Sie bemerkt den schlafenden Gennaro und betrachtet ihn mit einer Art von Entzücken und Ehrfurcht. Er schläft! Das Fest hat ihn gewiß ermüdet! Wie schön er ist! Sie kehrt sich um. Gubetta!
GUBETTA. Sprecht nicht so laut, Donna. Ich heiße hier nicht Gubetta, sondern Graf von Belverana, spanischer Edelmann; Ihr, Donna, seid die Marquise von Pontequadrato, eine neapolitanische Dame. Es darf nicht aussehen, als kennten wir uns. Hat es Eure Hoheit nicht so befohlen? Ihr seid hier nicht zu Hause, Ihr seid zu Venedig.
LUCRETIA. Das ist wahr, Gubetta. Aber es ist Niemand auf dieser Terrasse, als der junge Mann da, und der schläft; wir können einen Augenblick plaudern.
GUBETTA. Wie es Eurer Hoheit beliebt. Ich habe Euch noch einen Rat zu geben; nehmt die Maske nicht ab, man könnte Euch erkennen.
LUCRETIA. Und was läge daran? Wenn sie nicht wissen, wer ich bin, so habe ich nichts zu fürchten, und wenn sie es wissen, so mögen sie sich fürchten.
GUBETTA. Wir sind zu Venedig, Donna. Ihr habt hier Feinde genug, und diese Feinde haben die Hände frei. Die Republik von Venedig würde freilich keinen Angriff auf die Person Eurer Hoheit dulden; aber man könnte Euch beleidigen.
LUCRETIA. Ah! Du hast recht, mein Name macht schaudern in der Tat.