Charlotte von Ahlefeld

Gedichte von Natalie

 

 

 

Charlotte von Ahlefeld: Gedichte von Natalie

 

Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

ISBN 978-3-8430-8630-1

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-7928-0 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-7929-7 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erste Buchausgabe: Berlin (Johann Friedrich Unger) 1808.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Charlotte von Ahlefeld: Gedichte von Natalie. Berlin: Johann Friedrich Unger, 1808.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

Der liebenswürdigen Prinzessinn

 

Fanny Reuss

 

zu Köstriz

 

gewidmet

 

von der Verfasserinn.

 

Sesostris

Im Triumph, nach mühevollen Tagen,

Kehrt Sesostris heim aus blut'ger Schlacht.

Könige, die seine Fesseln tragen,

Mehren seines Zuges stolze Pracht;

Denn gespannt an hohen Siegeswagen,

Hat sie ihres Überwinders Macht.

Unvermögend, seinem Trotz zu fliehen,

Müssen sie ihn statt der Rosse ziehen.

 

Tiefgebeugt, und in sich selbst gekehret,

Wanken sie dahin im finstern Gram.

Ach, dass er ihr Leben, so entehret,

Nicht zugleich mit Thron und Scepter nahm!

Seiner Diener Hohn, den niemand wehret,

Schärfet noch der Unterjochten Scham,

Und sie senken die ergrimmten Blicke,

Fluchend ihrem feindlichen Geschicke.[5]

 

Einer wendet nur sein Haupt zur Seite,

Lächelt still mit wehmuthsvoller Lust.

Ihm verletzt das schmähliche Geleite

Frecher Spötter nicht die Felsenbrust.

Nimmer mit sich selbst im bangen Streite,

Bleibt er seiner Würde sich bewusst,

Und des Rades ewig gleicher Schwung

Füllt sein Auge mit Beruhigung.

 

Und man hört Sesostris stolz ihn fragen:

Warum bleibt Dein Muth stets gleich und gross?

– Schmachvoll zieh ich Deinen Siegeswagen,

Spricht der König – Schande ist mein Loos.

Doch dies Rad hilft mir mein Elend tragen

Und erhält mich in der Hoffnung Schoos.

Gleich dem Glück hat mich sein Gang belehret,

Dass sich oben schnell nach unten kehret.

 

Da ergriffen schreckende Gewalten

Rauh den Sieger, der so trotzig war;

Und er lässt den Zug des Wagens halten

Und steigt ab. – Vor seiner Völkerschaar[6]

Reichet er dem tiefgekränkten Alten

Seine Rechte zur Versöhnung dar.

Wohl vergänglich, spricht er, ist das Glück –

Darum nimm die Krone nun zurück![7]

 

Beim Abschied

Wirst Du in der Ferne mein gedenken,

Wenn die Welt geräuschvoll Dich zerstreut?

Wirst Du oft mir stille Stunden schenken,

Der Erinnrung unsres Glücks geweiht?

 

Wird kein neues Band mir Dein Vertrauen,

Keines Deine Liebe mir entziehn?

Kann ich ganz auf Deine Treue bauen,

O so nimm mein Herz auf ewig hin!

 

Immer bleibt es zärtlich Dir ergeben,

Auch wenn nie mein Blick Dich wiedersieht.

Wenn getrennt von Dir mein trübes Leben

Wie ein Seufzerhauch vorüber flieht.[8]

 

Ach so viele heucheln nur Gefühle

Einer nie gekannten Innigkeit;

Und in dem zerstreuenden Gewühle

Endet schnell der Schwur der Ewigkeit.

 

Darum will ich nicht Dir Treue schwören,

Aber fest und liebend halt' ich sie,

Und die Zukunft soll Dir ewig lehren

Deiner Freundinn Herz vergisst Dich nie.[9]

 

Der Liebende an eine verwelkte Blume

Diese Blume – ach sie kam von ihr!

Auch verwelkt noch ist sie heilig mir.

Längst sind ihre Farben hingeschwunden,

Wie die Seeligkeit vergangner Stunden –

Aber dennoch bleibt sie heilig mir,

Diese Blume – denn sie kam von ihr.

 

Tausend blühen schimmernd jetzt im Hain –

Farb' und Duft erfüllt ihr kurzes Seyn –

Aber mich reizt ihre Schönheit nicht,

Wenn nicht ihre Hand sie für mich bricht.

Längst verblichne Blume, Du allein

Sollst mir Weihgeschenk des Frühlings seyn.[10]

 

Thränen trüben schwellend meinen Blick,

Denk' ich an den schönen Tag zurück,

Wo sie Dich im Morgenthau mir pflückte,

Und ich zärtlich an mein Herz Dich drückte.

Theure Blume – – mein entfloh'nes Glück

Kehrt wie deine Farbe nie zurück![11]

 

Heimweh

Was zieht uns aus der Fremde bunten Kreisen

Zur Heimath hin mit stürmischer Gewalt,

Als ginge ewig dort in sanften Gleisen

Der Strom des Glücks, der sonst uns nirgends wallt?

 

Was löschet in verborgnen, heissen Thränen

Des Lebens Glanz, der düster uns verbleicht,

Wenn still herbei geführt von zartem Sehnen

Das Bild des Vaterlandes uns beschleicht? –

 

Es ist das Heimweh, das mit bangen Schmerzen

In fremden Ländern schauernd uns ergreift,

Das nach und nach von dem erkrankten Herzen

Den Blüthenschimmer jedes Frohsinns streift.[12]

 

Das zieht uns aus der Fremde schönern Kreisen

Zum Vaterland mit mächtiger Gewalt,

Und tauscht den Trieb nach Neuheit und nach Reisen

In Wünsche um nach stetem Aufenthalt.[13]

 

Die Erscheinung

Ist's Dein Schatten, der mit lindem Wehen

Leise oft, und flüsternd um mich schwebt,

Dass mir ahnungsvoll das Herz erbebt

Und mir Thränen in den Augen stehen?

 

Deinen Körper birgt das dunkle Grab;

Doch in lichte, höh're Regionen,

Unter Engeln schwesterlich zu wohnen,

Schwang der Geist sich, welchen Gott Dir gab.

 

Sollt' er liebevoll mir wiederkehren,

Weil er weiss, wie bang ich Dich entbehrt?

Weil mein Herz, von Sehnsucht still verzehrt,

Sich des bittern Grams nicht kann erwehren?[14]

 

O gieb Antwort mir auf diese Frage,

Denn Dein nachtumhülltes Schattenbild

Ohne Deine Rede, sanft und mild,

Weckt nur inniger der Wehmuth Klage.

 

Sprich wie sonst, mit freundlichem Vertrauen,

Das Dich wiederum mir näher bringt,

Ach der Schmerz, der jetzt mich tief durchdringt,

Löst sich sonst in schauerliches Grauen.

 

»Fasse Muth, und hebe ohne Thränen

Deine Blicke liebend zu mir auf.

Um zu lindern Dein unendlich Sehnen

Stieg ich aus der Schattenwelt herauf.

 

Sieh, ich bin noch – nimmer kann vergehen,

Was in reiner Unschuld einst gelebt,

Und gestillt in wonnevollen Wehen

Wird der Schmerz, der irdisch uns durchbebt.[15]

 

Warum klagst Du, dass ich früh gesunken,

In der Erde kühlen Mutterschooss?

Vom Entzücken höh'rer Sphären trunken,

Ist der Himmel Wonne nun mein Loos.

 

Denn in Staub zerfallen ist die Hülle,

Die so schmerzvoll meinen Geist umwand;

Doch ihn selbst belohnt des Leidens Fülle

Jetzt mit ew'ger Ruh' ein bessres Land.

 

Dass ich noch Dir tröstend wiederkehre,

Ist der Freundschaft Werk, die fest und rein

Uns vereinigte, und sieh, ich ehre

Ihr Gebot auch noch im bessern Seyn.

 

Scheiden muss ich, aber stillen Frieden

Statt der bangen Sehnsucht nimm von mir.

Wiedersehen ist uns einst beschieden,

Denn des Lebens Fackel löscht auch Dir.[16]

 

Ruhig sieh zu meiner Gruft hinab,

Denn der Menschheit edelste Gefühle

Werden nicht zu Staub im tiefen Grab –

Fest bestehn sie noch am letzten Ziele.«[17]

 

Trennung

Maienlüste wehen durch die Haine,

Blüthen brechen aus dem Keim hervor;

In der Sonne mütterlichem Scheine

Richtet sich die Pflanzenwelt empor.

Vögel singen in den grünen Zweigen,

Käfer schweben freudig hin und her –

Doch aus mir will nicht der Winter weichen,

Und das Herz ist mir erstarrt und schwer.

 

Sonst begrüsst' ich gern das rege Leben,

Das im Lenz sich jugendlich erneut,

Und mit ahnungsvollem, süssem Beben,

Füllte mich des Jahres Erstlingszeit.