Karoline von Günderode: Gedichte. Gedichte und Phantasien / Poetische Fragmente / Melete / Gedichte aus dem Nachlaß
Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Karoline von Günderrode, Anonymes Gemälde, um 1800
ISBN 978-3-8430-6855-0
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-9400-9 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-9521-1 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Gedichte und Phantasien
Entstanden zwischen 1801 und 1804, vermutlich überwiegend im letzten Teil dieses Zeitraum. Erstdruck (unter dem Pseudonym »Tian«): Hamburg und Frankfurt (J.C. Hermannsche Buchhandlung) 1804.
Poetische Fragmente
Erstdruck unter dem Pseudonym Tian: Frankfurt (Friedrich Wilmanns) 1805.
Melete
Der Band sollte 1806 unter dem Pseudonym Ion bei J.C.B. Mohr in Tübingen erscheinen. Der Satz wurde jedoch unmittelbar nach dem Tod der Günderrode abgebrochen, so daß von diesem Druck nur ein fragmentarischer Abzug überliefert ist. Acht Texte aus dem Band wurden 1896 durch Erwin Rohde, die übrigen 1899 durch Ludwig Geiger veröffentlicht. Den ersten vollständigen Druck des Bändchens besorgte Leopold Hirschberg (Berlin 1906).
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Karoline von Günderrode: Gesammelte Werke. Herausgegeben von Leopold Hirschberg. Band 1–3, Berlin-Wilmersdorf: Bibliophiler Verlag von O. Goldschmidt-Gabrielli, 1920–1922.
Die Paginierung obiger Ausgaben wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
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Nathos schiffet durch den Strom der Woogen
Ardan, Althos, seine Brüder mit,
Erins König, Caibars Zorn zu meiden
In geheimnißvolle Schatten kleiden
Dunkle Wolken ihren fliehnden Schritt.
Wer? o Nathos! ist an deiner Seite!
Traurig seufzt im Wind ihr braunes Haar
Lieblich ist sie, wie der Geist der Lüfte,
Eingehüllt in leichte Nebeldüfte;
Schön vor allen Collas Tochter war.
Ach Darthula! deine irren Segel
Eilen nicht dem wald'gen Etha zu.
Seine Berge heben nicht die Rücken
Und die Seeumwogten Küsten bücken
Turas Felsen schon dem Meere zu.
Wo verweiltet ihr des Südes Winde?
Schwelltet Nathos weiße Segel nicht?
Trugt ihn nicht zum heimathlichen Strande?
Lange blieb er in dem fremden Lande
Und der Tag der Rückkehr glänzt ihm nicht.
Schön, o König Ethas! warst du in der Fremde;
Wie des Morgens Strahl dein Angesicht.
Deine Locken, gleich dem Raben, düster
Deine Stimme, wie des Schilfs Geflüster
Wenn der Mittagswind sich leise wiegt.
Deine Seele glich der Sonne Scheiden,
Doch im Kampfe warst du fürchterlich.
Brausend wie die ungestümen Woogen
Wenn vom Nord die stürm'schen Winde zogen
Stürztest du auf Caibars Krieger dich.
Auf Selamas grau bemoosten Mauern
Sah dich Collas Tochter, und sie sprach:
Warum eilst du so zum Kampf der Speere!
Zahlreich sind des düstern Caibars Heere.
Ach! und meiner Liebe Furcht ist wach.
Freuen wollt ich dein mich, deiner Siege
Aber Caibars Liebe läßt mich nicht.
So sprachst du. Jetzt haben dich die Woogen
Mädchen! und die Stürme dich betrogen,
Nacht umringt dein schönes Angesicht.
Aber schweiget noch ein wenig Winde!
Ueberbraust Darthulas Stimme nicht!
Fürst von Etha! sind dies Usnoths Hallen?
Jene Ströme die von Felsen fallen
Sind es Ethas blaue Ströme nicht?[4]
Hier empöret Erin seine Berge,
Ethas Felsenströme brüllen nicht.
Dennoch ruh hier an des Ufers Hügel
Denn mein Schwerd umgiebt wie Blitzes Flügel
Dich du Liebliche, du schönes Licht.
Nathos: sagt das braun gelockte Mädchen,
Niemand hat Darthula außer dich,
Denn die Freunde sind mir früh gefallen,
Las um sie noch meine Klage schallen
Hör der Trauer Stimme, höre mich.
Abend ward einst, in der Wehmuth Schatten
Bargen meines Landes Eb'nen sich,
Ueber hoher Wälder Wipfel schritten,
Einzle Lüfte, die aus Wolken glitten,
Da umgaben Trauerschatten mich.
Die Gestalten meiner Freunde gingen,
Traurig, Geistern gleich, an mir dahin.
Da kam Colla mit gesenktem Schwerdte
Seinen Blick geheftet an die Erde,
Brennend glühte noch die Schlacht darin.
»Collas letzte einzige Hoffnung sprach er;
Braungeloktes Mädchen! Truthil fiel.
Siegreich kehrt dir nicht der Bruder wieder,
Zu Selama naht Erins Gebieter,
Mit ihm Tausende im Schlachtgewühl.«[5]
Ist des Kampfes Sohn gefallen? seufzt' ich!
Hat der lange Schlaf sein Aug verhüllt?
O! so schütze mich der Jagden Bogen
Glücklich oftmahls meine Pfeile flogen,
Tödlich für das dunkelbraune Wild.
Freud umstrahlt den Greisen. Ja Darthula!
Deine Seele brennt in Truthils Glut,
Geh', ergreif das Schwerdt vergangner Schlachten!
Also Colla: seine Worte fachten,
Höher noch in mir des Kampfes Muth.
Wehmuthsvoll vergieng die Nacht, am Morgen
Schimmerte im Stahl der Schlachten ich. –
Caibar saß zum Mahl in Lonas Wüste,
Als Selamas Waffengang ihn grüßte;
Seine Führer rief er da zum Krieg.
Warum soll ich Nathos! dir erzählen
Von des Kampfes schwankendem Geschick?
Ach! umsonst bedeckt von meinem Schilde,
Sank der Vater mir im Schlachtgefilde,
Und in heißen Thränen schwamm mein Blick.
Treulos zeigte da des Mädchens Busen,
Caibar mein zerrissenes Gewand;
Freundlich naht er, sprach der Liebe Worte,
Führte mich zu meiner Väter Pforte,
Aber Trauer meine Stirn umwand.[6]
Da erschienst du Nathos! meinen Augen,
Freundlich wie ein Abendlich Gestirn.
Caibar schwand vor deines Stahles Sprühen
Wie der Nachtgeist vor des Morgens Glühen,
Doch es wölbte Trauer deine Stirn?
Meine Seele glänzte in Gefahren
Eh' ich dich, du schönes Licht! gesehn.
Aber unsre Segel sind betrogen,
Wolken, kommen gegen dich gezogen.
Und du wirst in ihrer Nacht vergehn.
Oscar weilest noch an Selmas Küste!
Oscar schiffe durch das dunkle Meer!
O daß Winde deine Segel schwellten!
Zittern würden dann Temoras Helden.
Friede wäre um Darthula her.
Wo wird Nathos deinen Frieden finden?
Wo Darthula? wo ist für dich Ruh?
Geister der Gefallnen! sprach Darthula;
Truthil! Colla! Führer von Selama!
Winkt ihr mir aus euren Wolken zu!
Nathos! reiche mir das Schwerdt der Tapfern,
Vater! ich will deiner würdig seyn,
In des Stahles Treffen werd' ich gehen,
Nimmer Caibars düstre Hallen sehen,
Nein! ihr Geister meiner Liebe! nein![7]
Freude glänzt in Nathos bei den Worten,
Die das schöngelokte Mädchen sprach:
Caibar, meine Stärke kehret wieder!
Komm mit Tausenden, Erins Gebieter!
Komm zum Kampfe! meine Kraft ist wach!
Ja er kömmt mit Tausenden! rief Ardan;
Schreckbar tönet ihrer Schwerdter Schall. –
»Laß zehntausend Schwerdter sich empören:
Usnoth soll von Nathos Flucht nicht hören,
Ardan! sag ihm; rühmlich war mein Fall.
Winde, warum brausen eure Flügel?
Woogen! warum rauscht ihr so dahin?
Wellen! Stürme! denkt ihr mich zu halten?
Nein, ihr könnts nicht, stürmische Gewalten
Meine Seele läßt mich nicht entfliehn.
Wenn des Herbstes Schatten wiederkehren,
Mädchen! und du bist in Sicherheit,
Dann versammle um dich Ethas Schönen,
Las für Nathos deine Harfe tönen,
Meinem Ruhme sey dein Lied geweiht. –
Nathos blieb gestüzt auf seinem Speere;
Schaurig pfiff der Nachtwind um ihn her
Aber bei des Morgens erstem Strahle,
Drang er vorwärts mit gezücktem Stahle,
Mit dem Führer eilt Darthula her.[8]
Komm zum Zweikampf! ruft er Fürst Temoras!
Für Selamas Mädchen! – Caibar spricht:
Stolzer, du entflohst mir mit der Schönen
Wähnst du, Caibar kämpft mit Usnoths Söhnen?
Nein, er kämpft mit Unberühmten nicht.
In des königlichen Nathos Augen
Glänzen Thränen; und er wendet sich
Zu den Brüdern, ihre Speere fliegen
Rache dürstend, und gewiß zu siegen
Erins Reihn verwirren schwankend sich.
Da ergrimmet Caibars finstre Seele,
Und er winket, tausend Speere fliehn,
Usnoths Söhne sinken wie drei Eichen,
Die zur Erde ihre Wipfel neigen,
Wenn des Nordens Stürme sie umziehn.
Gestern sah sie noch der Wandrer blühen
Ihre stolze Schönheit freute ihn,
Heute beugte sie der Sturm der Wüste,
Sie, die gestern noch die Sonne grüßte,
Sprachlos starret Collas Tochter hin.
Höhnend naht ihr Caibar, Mädchen sahst du
Nathos Land, in fernes Blau gehüllt?
Oder Fingals dunkelbraune Hügel?
Ha! entrannst du auch des Sturmes Flügel,
Ueber Selma hätte meine Schlacht gebrüllt.[9]
Caibar sprachs. Da rauscht ein Pfeil, getroffen
Sinkt sie, und ihr Schild stürzt vor sie hin.
Wie des Schnees Säule sank sie nieder,
Ueber Ethas schlummernden Gebieter,
Spreiten sich die dunklen Locken hin.
Da versammelten die hundert Barden
Caibars, um Darthulas Grabmal sich
Ihre Harfen rauschten um den Hügel,
Und es schwang sich des Gesanges Flügel,
Für der Mädchen Erins Schönste! dich!
Trauer schreitet an Selamas Strömen,
Schweigen wohnet in den Hallen nun.
Collas Tochter sank zum Schlafe nieder
O! wann grüßest du den Morgen wieder?
Schöngelockte! wirst du lange ruhn?
Weit entfernet ist dein Morgen, nimmer!
Stehst du mehr in deiner Schönheit auf;
Ach! die Sonne tritt nicht an dein Bette,
Spricht, erwach aus deiner Ruhestätte!
Collas schöne Tochter! steig herauf!
Junges Grün entkeimet schon dem Hügel,
Frühlingslüfte fliegen drüber her.
Sonne birg in Wolken deinen Schimmer!
Denn sie schläft, der Frauen Erste! nimmer
Kehret sie in ihrer Schönheit mehr.[10]
Ermar hatte das Geschlecht von Parimor vom Thron gestoßen, Parimor selber, sein Weib und seine Freunde waren gefallen unter dem Schwerte des Ueberwinders, nur Timur sein einziger Sohn fiel lebend in Ermars Hände. Ungern unterwarf sich das Land dem Sieger, der die Burg des unglücklichen Parimor an der Nordküste der Insel bezog; und die höchste Gewalt mit seinem Bruder, dem wilden Konnar theilte.
Keiner von allen Freunden des gestürzten Königshauses wußte wo Timur sey, und ob er lebe? nur die Prophetin wußte es, die verschwiegne Seherin, die in einer Höhle am Eingang der Erde wohnte, sie sah die kommenden Schicksale, die Tiefen der menschlichen Brust, und des unglücklichen Timurs Ketten. Einsam lebte die Prophetin und verrichtete geheimnißvolle Werke, und von allen Sterblichen wußte nur Thia, die schöne Tochter von Ermar, ihre Wohnung. Die Seherin liebte das Mädchen, sie lehrte sie mancherlei Geheimnisse, und enthüllte ihr oft die Begebenheiten der Zukunft.
Einst sprach die Prophetin zu der Tochter von Ermar: Mädchen! fürchte das Geschick deines Vaters, seine Unthat hat den Geist der Rache erweckt; sieh hierher! Und sie zeigte dem erschrocknen Mädchen[13] in einem Spiegel ein tiefes Gefängniß der Burg, und in dem Gefängniß lag auf moderndem Stroh, ein Jüngling mit brennenden Augen, und dichten braunen Locken; Thia konnte ihre Augen nicht sättigen an dem Anblik des Gefangnen; aber die Seherin sprach: dies ist der König dieses Landes, er schmachtet in Ketten, und dein Vater trägt die Krone die ihm gebührt.
Gedankenvoll eilte Thia zurück zu der väterlichen Burg, und suchte allenthalben nach einer Thüre die zu Timurs Kerker führen möchte. Im Nord war die Burg von rauhen Felsen umgeben, die bis zum Meere hinabreichten, in diesen Felsen entdeckte Thia zwischen Gesträusch und Nesseln versteckt, ein Gitter, das eine dunkle Tiefe verschloß; dies Gitter hatte sie in dem Zauberspiegel gesehen; und jeden Morgen ehe die Bewohner des Schlosses erwachten, und jeden Abend wenn die milde Dämmerung die Thaten der Liebe in ihre Schleyer verbarg, gieng sie dahin, setzte sich trauernd neben das Gitter, und seufzte: Timur! Timur! und ihr war als kämen liebe unsichtbare Arme aus dem Gitter herauf und hielten sie umschlungen, daß sie die Stelle nicht verlassen konnte, und es nicht achtete daß der rauhe Nachtwind sie umwehte, und der Thau des Himmels sie benetzte.
Zwei Jahre hatte Timur in dem Kerker geschmachtet, schon waren der Rache wilde Gedanken bleich und ohnmächtig geworden, und die Träume von Erlösung und Befreiung waren verträumt; schon[14] glaubte er sich von allen Menschen vergessen, als ihm däuchte, er höre mit süßer Stimme seinen Namen flüstern, und jeden Morgen und jeden Abend hörte er dieselbe Stimme: Timur! Timur! rufen, und wenn er auf seinem Lager schlummerte, däuchte ihm, ein Engel mit glänzenden Locken und rosigten Wangen beuge sich über ihn her, drücke leise Küsse auf seine Lippen und seufze: Timur! Aber wenn er erwachte, vergingen die rosigten Wangen in Kerkernacht, die hellen Locken erbleichten, die Küsse verglühten, doch die süße Stimme flüsterte fort; und er wußte nicht, ob der Traum wirklich, oder das wirklich Scheinende, Traum sey.
Tage und Wochen waren so vergangen, als das Mädchen zu Ermar sprach: »Vater! der Mund der Prophetin verkündet dir Unheil und Verderben, wegen des Sohnes von Parimor, der unschuldig in deinen Ketten schmachtet, deine Ungerechtigkeit wird den Geist der Rache erwecken, fürchte ihn! Timurs Kraft ist gefesselt, erwiderte Ermar: wo ist der Arm der sich der Rache leihe? Fürchte, sprach Thia, die Zukunft und der Seherin untrügliche Worte; ich habe Timur gesehen, ich liebe ihn, gieb ihm die Freiheit, gieb ihn mir, feßle ihn durch ein heiliges Band an dich, oder fürchte auch deine Tochter. Aber Ermar blieb unerbittlich bis sich die einzige Tochter ihm zu Füßen warf, und ihm schwur den Geliebten zu seinem treuen Sohne und Freund zu machen, oder ihn zu verrathen, wenn er undankbar sey, und ihm den[15] Dolch mitten in seinen Umarmungen in die Brust zu stoßen.
Timur lag in schweren Träumen, der Geist seines Vaters erschien ihm in blutige Grabtücher gehüllt, und sprach, räche mich! die Zeit ist gekommen. Timur erwachte, aber immer hörte er noch die Worte, die Zeit ist gekommen! er dachte noch darüber nach, als das Gitter sich öffnete; ein Krieger trat herein und hies ihn folgen. Schweigend, voll seltsamer Empfindungen gieng Timur hinter seinem Führer her. Jetzt waren sie auf den Felsen angekommen, der Krieger entfernte sich, und Ermar kam dem Jüngling entgegen. Die Zeit ist gekommen, räche mich, flüsterte eine Stimme in Timurs Seele: eine unsichtbare Gewalt trieb ihn; ehe Ermar noch gesprochen hatte, ergriff ihn der Jüngling, und schleuderte ihn die Felsen hinab, daß sein Blut hinunter rauchte bis zur See.
Die Bewohner des Schlosses versammelten sich, sie erkannten den Sohn ihrer Könige, und nannten ihn freudig Herr, und Gebieter. Als es aber Nacht wurde, trat Thia zu ihm, und sprach: »Ich habe dich geliebt, ich habe an der Thüre deines Kerkers gewacht, und deinen Namen der Nacht, und den Sternen vertraut; deine Freiheit ist mein Werk, aber du hast meinen Vater ermordet, du hast die schwere Blutschuld auf meine Seele gewälzt, darum hinweg von dir!
Und das Mädchen gieng, und kehrte nicht wieder.[16] Da ward der König sehr traurig, die lärmende Jagd erfreute ihn nicht, und nicht der Becher, einsam stand er auf seinem Felsen, und sahe, und vernahm nichts als die Schrecken des nahenden Winters. Der Himmel war mit schweren Wolken bedeckt, eisigte Regen fielen herab, der Nordwind zerwühlte den Wald und trieb die falben Blätter in wilden Wirblen umher, die Brandung brauste an der Küste, und der krächzende Rabe unterredete sich mit dem Wiederhall. Monde vergingen so, und immer fielen kalte Regen und Schnee und der Himmel blieb dunkel wie die Seele von Timur; da versammelten sich die Freunde um ihn und sprachen: es ist nicht gut o König! daß du so einsam trauerst, komm! laß uns Thaten thun; Konnar herrscht noch jenseits der Berge mit eisernem Zepter über das Volk, komm! erobere dein Erbe, überwinde die Verräther! Der Jüngling gehorchte, er riß sich empor aus seinen Träumereien und stürtzte sich in das Gewühl der Schlachten zu Thaten und Ruhm.
Ungewiß schwankte das Glück zwischen Konnar und Timur, Timur war tapfer, Konnar fest und klug. Eine Schlacht entschied für Konnar, Timur mußte sich zurückziehen in die Gebürge. Der Tag verfloß im Getümmel der Gefechte, in Angriff und Vertheidigung, aber wenn die Nacht herniedersank, und den Kriegsgott in Schlummer einlullte, versammelten sich die Gefährten um Timur, und in den Schlüchten einsamer Gebürge, in der Nacht dichter[17] Wälder, wo der spähende Feind sie nicht ahndete, errichteten sie ein lustiges Zelt, hundert Fackeln erleuchteten die Wildniß, der Freudenbecher gieng umher, eine süße Musik erscholl begleitet von den Stimmen braunlockigter Mädchen, und Timur schwelgte in Ruhm und Lust und Liebe, und seine Gefährten jauchzten in wilden Freuden.
Einst aber, da Timur allein war auf seinem Lager, und der Schlummer ihn floh, däuchte ihm er höre das Geräusch leiser Tritte, und da er noch lauschte, fühlte er sich plötzlich umschlungen von zarten Armen, und heiße sehnsuchtsvolle Küsse bedeckten seine Lippen; als er aber Morgens erwachte war sein Lager verlassen. Drei Nächte hatte schon die unbekannte Geliebte des Königs Lager besucht, als sie aber zum viertenmale kam, schloß er sie in seine Arme und schwur sie nicht zu lassen, bis sie sich ihm entdeckt habe, damit er seinen Thron und seine Hoheit mit ihr theilen könne. »Laß mich nur noch diesmal ungekannt von dir« sprach das Mädchen, »wenn die Nacht wieder kehrt und die Sterne wieder glänzen, wird ein schwarzes Roß vor dir stehen, dem vertraue dich, es wird dich dahin tragen, wo dir alles offenbar wird.« Der König ließ das Mädchen von sich gehen. Da es aber Nacht wurde fand er das Roß; eins sonderbarer Schauer durchlief sein Gebein, aber er schwang sich auf des Thieres Rücken, und es trug ihn durch unbekannte verworrne Pfade, durch Klüfte und Wälder, und blieb[18] stehen vor einem prächtigen erleuchteten Pallast. Die Thore öffneten sich, zwei Knaben traten heraus, hielten ihm den Zügel und führten ihn in einen Saal. Eine milde Dämmerung herrschte, denn nur ein Halbmond über einem Becken in das sich duftendes balsamisches Wasser stürzte erleuchtete das Zimmer mit wechselndem Schimmer, bald glänzte der Mond in dunklem Purpur, dann in blassem Rosenroth, dann wieder blau wie der Bogen des Himmels, dann endlich wie der grüne Schmelz der Wiesen.
Staunend sah Timur eine Weile dem wechselnden Farbenspiel zu; da that sich die Thüre auf und viel schöne Mädchen kamen herein in allerlei fremden und sonderbaren Trachten; ein Blumenkranz wand sich um die blonden Haare der Einen, ein zierlich weißes Kleid umfloß sie. Eine Andere hauchte Arabiens Balsam, des Morgenlands köstlicher Thau umgab in glänzenden Reihen die dunklen Locken, und Gold gewürkt in persische Seide verhüllte die runden üppigen Glieder. Eine dritte in leichtem Silberflohr glich der Luft ätherischen Schönen; und das Holdeste aller Zonen schien versammelt um den Jüngling. Plötzlich glänzte das Wasser wie die Sonne und goß breite Lichtströme durch den Saal; eine Musik, wie Orgeltöne, ließ sich hören, eine liebliche Stimme begleitete die rauschenden Harmonien und schwebte über ihnen, wie eine leichte Frühlingsluft schwebt über dem brausenden Meer, aber die[19] Töne wurden stärker und stärker, und verschlangen die Stimme in Wogen von Wohllaut. Die Mädchen umgaben den Jüngling, sprachen ihm freundlich zu, und jede sandte ihm heiße Blicke, als sey jede die Geliebte der Nacht gewesen. Forschend betrachtete sie der König, jede dünkte ihm hold und lieblich, aber sein Herz bewegte sich zu Keiner, sie ist nicht hier die ich suche, sprach seine innerste Seele.
Jetzt rauschten zwei Flügelthüren auf, ein prächtiger Saal zeigte sich von vielen Fackeln erleuchtet, die von den Marmorwänden wiederstrahlten; in der Mitte stand eine Tafel. Man setzte sich, der Wein perlte im Gold, die Mädchen nippten mit Rosenlippen an den Bechern, und reichten sie dann dem König; aber Timurs Seele war traurig, er senkte den Blick, und all die Herrlichkeit, und all die Schönheit gieng verlohren an ihm. Da er aber die Augen aufschlug sah er eine Gestalt an der Ecke des Saals ihn gegenüber, an eine Säule gelehnt stehen, sie war ganz schwarz und dicht verhüllt, und blieb immer unbeweglich. Timur betrachtete sie lange und oft, eine tiefe Sehnsucht zog ihn zu ihr; das Maal däuchte ihm unendlich lange, und es ward ihm erst wohl, als man sich erhob.
Die Mädchen verließen den Saal, aber jede sandte ihm noch einladende Blicke, er folgte Keiner, und sah sich endlich allein mit der schwarzen Gestalt, die Fackeln erloschen, nur ein einziges bleiches Licht durchdämmerte den Saal. Die schwarze Gestalt nahte[20] sich ihm, und sprach: »Folge mir!« er gehorchte; und sie führte ihn durch seltsame unterirrdische Gänge, auf einen Fels. Der Mond glänzte eben im vollen Lichte, und Timur erkannte schaudernd den Fels und das Meer in welches er Ermar hinabgeschleudert hatte. Seine Führerin schlug den Schleier zurück. Es war Thia. Geist meines Vaters! rief sie, laß dich dieses Opfer entsühnen. Sie schlang ihren Arm um den König, und stürzte sich mit ihm die Felsen hinunter, daß ihr Blut sich mischte, und hinab rauchte zur wogenden See.[21]
Es ist der Festtag nun erschienen
Geschmücket ist die ganze Stadt.
Und die Balkone alle grünen,
In Blumen blüht der Fürstin Pfad.
Da kommt sie, schön in Gold und Seide
Im königlichen Prunkgeschmeide
An ihres neu Vermählten Seite.
Erstaunet siehet sie die Menge
Und preiset ihre Schönheit hoch!
Doch Einer, Einer im Gedränge
Fühlt tiefer ihre Schönheit noch.
Er mögt in ihrem Blick vergehen
Da er sie einmal erst gesehen,
Und fühlt im Herzen tiefe Wehen.[21]
Sein Blick folgt ihr zum Hochzeitstanze
Durch all der Tänzer bunte Reihn,
Er stirbet bald in ihrem Glanze
Lebt auf im milden Augenschein.
So wird er seines Schauens Beute,
Und seiner Augen süße Weide
Bringt bald dem Herzen bittres Leide.
So hat er Monde sich verzehret,
In seines eignen Herzens Gluth;
Hat Töne seinem Schmerz verwehret,
Gestählt in der Entsagung Muth;
Dann könnt er vohr'gen Muth verachten
Und leben nur im tiefen Schmachten,
Die Anmuthsvolle zu betrachten.
Mit Philipp war, an heil'ger Stätte,
Am Tag den Seelen fromm geweiht,
Sein Hof versammelt zu Gebete
Das Seelen aus der Qual befreit;
Da flehen Juans heisse Blicke:
Daß sie ihn einmal nur beglücke!
Erzwingen will ers vom Geschicke.
Sie senkt das Haupt mit stillem Sinnen
Und hebt es dann zum Himmel auf;
Da flammt in ihm ein kühn Beginnen,
Er steigt voll Muth zum Altar auf.
Laut will er seinen Schmerz ihr nennen,
Und seines Herzens heißes Brennen,
In heil'ger Gegenwart bekennen.[22]
Laut spricht er: Priester! lasset schweigen
Für Todte die Gebete all.
Für mich laßt heisse Bitten steigen;
Denn größer ist der Liebe Quaal,
Von der ich wehn'ger kann genesen,
Als jene unglücksel'gen Wesen
Zur Quaal des Feuers auserlesen.
Und staunend siehet ihn die Menge
So schön verklärt in Liebesmuth.
»Wo ist, im festlichen Gepränge?«
Denkt Manche still, »die solche Gluth
Und solches Wort jetzt hat gemeinet?«
Sie ist's, die heimlich Thränen weinet,
Die Juans heisse Liebe meynet.
War's Mitleid, ist es Lieb' gewesen,
Was diese Thränen ihr erpreßt?
Vom Gram kann Liebe nicht genesen,
Wenn Zweifelmuth sie nicht verläßt.
Er kann sich Friede nicht erjagen;
Denn nimmer darf's die Lippe wagen,
Der Liebe Schmerz ihr mehr zu klagen.
Nur einen Tag will er erblicken
Der trüb ihm nicht vorüber flieht,
Nur eine Stunde voll Entzücken
Wo süße Liebe ihm erblüht,
Nur einen Tag der Nacht erwecken,
Es mag ihn dann, mit ihren Schrecken
Auf ewig, Todesnacht bedecken.[23]
Es liebt die Königin die Bühne,
Erschien oft selbst im bunten Spiel.
Daß er dem kleinsten Wunsche diene
Ist jetzt nur seines Lebens Ziel.
Er läßt ihr ein Theater bauen,
Dort will, die reizendste der Frauen,
Er noch in neuer Anmuth schauen.
Der Hof sich einst im Spiel vereinet,
Die Königin in Schäfertracht,
Mit holder Anmuth nun erscheinet
Den Blumenkranz in Lockennacht.
Und Juans Seele sieht verwegen,
Mit ungestümem wildem Regen,
Dem kommenden Moment entgegen.
Er winkt, und Flamm und Dampf erfüllen,
Entsetzlich jetzt das Schauspielhaus;
Der Liebe Glück will er verhüllen
In Dampf und Nacht und Schreck und Graus;
Er jauchzet, daß es ihm gelungen,
Des Schicksals Macht hat er bezwungen
Der Liebe süssen Lohn errungen.
Gekommen ist die schöne Stunde;
Er trägt sie durch des Feuers Wuth,
Raubt manchen Kuß dem schönen Munde,
Weckt ihres Busens tiefste Gluth.
Möcht sterben jetzt in ihren Armen,
Möcht alles geben! ihr, verarmen,
Zu anderm Leben nie erwarmen.[24]
Die eilenden Minuten fliehen
Er merket die Gefahren nicht,
Und fühlt nur ihre Wange glühen;
Doch sie, sie träumet länger nicht,
Sie reißt sich von ihm los mit Beben,
Er sieht sie durch die Hallen schweben.
Verhaucht ist der Minute Leben.
Mit sehnsuchtsvollem, krankem Herzen
Eilt Juan durch die Hallen hin.
In Wonne Gram und süße Schmerzen
Versinket ganz sein irrer Sinn,
Er wirft sich auf sein Lager nieder,
Und holde Träume zeigen wieder
Ihm ihr geliebtes, holdes Bild.
Die Sonne steiget auf und nieder;
Doch Abend bleibt's in seiner Brust.
Es sank der Tag ihm, kehrt nicht wieder,
Und sie, nur sie ist ihm bewußt,
Und ewig, ewig ist gefangen
Sein Geist im quälenden Verlangen
Sie, wachend träumend, anzuschaun.
Und da er wacht aus seinem Schlummer
Ist's ihm, als stieg' er aus der Gruft,
So fremd und tod; und aller Kummer
Der mit ihm schlief erwacht und ruft:
O weine! sie ist dir verlohren
Die deine Liebe hat erkohren
Ein Abgrund trennet sie und dich![25]
Er rafft sich auf mit trüber Seele
Und eilt des Schlosses Gärten zu;
Da sieht er, bei der Mondeshelle,
Ein Mädchen auf ihn eilen zu.
Sie reicht ein Blatt ihm und verschwindet,
Eh er zu fragen Worte findet,
Er bricht die Siegel auf und liest:
»Entfliehe! wenn dies Blatt gelesen
Du hast, und rette so dich mir.
Mir ist, als sey ich einst gewesen,
Die Gegenwart erstirbt in mir,
Und lebend ist nur jene Stunde,
Sie spricht mir mit so süßem Munde,
Von dir, von dir, und stets von dir.«
Er liest das Blatt mit leisem Beben
Und liebt's, und drückt es an sein Herz.
Gewaltsam theilet sich sein Leben,
In große Wonne – tiefen Schmerz.
Solt er die Theuerste nun meiden?
Kann sie dies Trauern ihm bereiten!
Soll er sie nimmer wieder sehn?
Er geht nun, wie sie ihm geboten;
Da trifft ein Mörderdolch die Brust.
Doch steigt er freudig zu den Todten,
Denn der Erinn'rung süße Lust,
Ruft ihm herauf die schönste Stunde,
Er hänget noch an ihrem Munde;
Entschlummert sanft in ihrem Arm.[26]
Schüler.
Weiser Meister! ich war gestern in den Katakomben der Könige von Schweden. Tags zuvor hatte ich die Geschichte Gustav Adolphs gelesen, und ich nahte mich seinem Sarge mit einem äusserst sonderbaren und schmerzlichen Gefühl, sein Leben und seine Thaten gingen vor meinem Geiste vorüber, ich sah zugleich sein Leben und seinen Tod, seine große Thätigkeit und seine tiefe Ruhe in der er schon dem zweiten Jahrhundert entgegen schlummert. Ich rief mir die dunkle grausenvolle Zeit zurück in welcher er gelebt hat, und mein Gemüth glich einer Gruft, aus welcher die Schatten der Vergangenheit bleich und schwankend herauf steigen. Ich weinte um seinen Tod mit heissen Thränen, als sey er heute erst gefallen. Dahin! Verlohren! Vergangen! sagte ich mir selbst, sind das alle Früchte eines großen Lebens? Diese Gedanken, diese Gefühle überwältigten mich, ich mußte die Gruft verlassen, ich suchte Zerstreuung, ich suchte andere Schmerzen, aber der unterirdische trübe Geist verfolgt mich allenthalben, ich kann diese Wehmuth nicht los werden, sie legt sich wie ein Trauerflohr über meine Gegenwart; dies Zeitalter däucht mir schaal und leer, ein sehnsuchtsvoller Schmerz zieht mich gewaltig in die[27] Vergangenheit. Dahin! Vergangen! ruft mein Geist. O möchte ich mit vergangen seyn! und diese schlechte Zeit nicht gesehen haben, in der die Vorwelt vergeht, an der ihre Größe verlohren ist.
Lehrer.
Verlohren junger Mensch? Es ist nichts verlohren, und in keiner Rücksicht; nur unser Auge vermag die lange unendliche Kette von der Ursache zu allen Folgen nicht zu übersehen. Aber wenn du auch dieses nicht bedenken willst, so kannst du doch das nicht verlohren und dahin nennen, was dich selbst so stark bewegt, und so mächtig auf dich wirkt. Schon lange kenne ich dich, und mich däucht, dein eignes Schicksal und die Gegenwart haben dich kaum so heftig bewegt, als das Andenken dieses großen Königs. Lebt er nicht jetzt noch in dir! oder nennst du nur Leben, was im Fleisch und in dem Sichtbaren fortlebt? und ist dir das dahin und verlohren, was noch in Gedanken wirkt, und da ist?
Schüler.
Wenn dies ein Leben ist, so ist es doch nicht mehr, als ein bleiches Schattenleben; dann ist die Erinnerung des Gewesenen, Wirklichen, mehr, als ihre bleiche Schatten dieser Wirklichkeit!
Lehrer.
Die positive Gegenwart ist der kleinste und flüchtigste Punkt; indem du die Gegenwart gewahr wirst,[28] ist sie schon vorüber, das Bewußtseyn des Genusses liegt immer in der Erinnerung. Das Vergangene kann in diesem Sinn nur betrachtet werden, ob es nun längst oder so eben vergangen, gleichviel.
Schüler.
Es ist wahr. So lebt und wirkt aber ein großer Mensch nicht nach seiner Weise in mir fort, sondern nach meiner, nach der Art wie ich ihn aufnehme, wie ich mich und ob ich mich seiner erinnern will.
Lehrer.
Freilich lebt er nur fort in dir, in sofern du Sinn für ihn hast, in sofern deine Anlage dich fähig macht ihn zu empfangen in deinem Innern, in sofern du etwas mit ihm Homogenes hast, das Fremdartige in dir tritt mit ihm in keine Verbindung, und er kann nicht auf es wirken; und nur mit dieser Einschränkung wirken alle Dinge. Das, wofür du keinen Sinn hast, geht für dich verlohren, wie die Farbenwelt dem Blinden.
Schüler.
Hieraus folgt, daß nichts ganz verlohren geht, daß die Ursachen in ihren Folgen fortwirken, (oder wie du dich ausdrückst, fortleben), daß sie aber nur auf dasjenige wirken können, das Empfänglichkeit, oder Sinn für sie hat.
Meister.
Ganz recht.
[29] Schüler.
Gut! die Welt und die Vernunft möge genug haben an diesem nicht verlohren seyn, an dieser Art fort zu leben, aber mir ist es nicht genug; eine tiefe Sehnsucht führt mich zurück in den Schoos der Vergangenheit, ich mögte in einer unmittelbaren Verbindung mit den Manen der großen Vorzeit stehn.
Lehrer.
Hälst du es denn für möglich?
Schüler.