Sophokles: Antigone. Eine Tragödie
Übersetzt von Karl Wilhelm Ferdinand Solger
Vollständige Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Frederic Leighton, Antigone, 1882
ISBN 978-3-8430-5705-9
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-4652-7 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-4653-4 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Entstanden und aufgeführt um 442 v. Chr. Der Text folgt der Übersetzung von K.W.F. Solger.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Griechische Tragiker: Aischylos, Sophokles, Euripides. Hg. v. Wolf Hartmut Friedrich, übers. v. J. G. Droysen (Aischylos), K. W. F. Solger (Sophokles), J. A. Hartung (Euripides), München: Winkler, 1958.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
Antigone
Ismene
Kreon
Haimon
Eurydike
Teiresias
Ein Wächter
Ein Bote
Ein Diener
Chor thebanischer Greise[314]
Vor dem königlichen Palast zu Theben.
Antigone und Ismene treten auf.
ANTIGONE.
O teures, mitgebornes Haupt, Ismene, sprich,
Gedenkst du eines jener Wehn von Ödipus,
Das nicht in unserm Leben schon uns Zeus erfüllt?
Denn nichts Bejammernswertes, nichts Abscheuliches,
Nichts Schnödes, nichts Ehrloses bleibt, das nicht bereits
Ich ganz in meiner und in deiner Not gesehn!
Und welchen Ausruf, heißt es, hat nur heute noch
Die ganze Stadt durch unser Oberhaupt gesandt?
Wie? Weißt du mehr von diesem? Oder siehst du nicht
Der Feinde Bosheit nah heran den Lieben dräun?
ISMENE.
Von unsern Lieben kam zu mir, Antigone,
Nicht süßes noch betrübtes Wort, seitdem beraubt
Der beiden Brüder beide wir geblieben sind,
Die hin an einem Tage schlug zwiefältge Faust.
Und seit in dieser letzten Nacht das argische
Kriegsheer dahinschwand, hab ich nichts vernommen mehr,
Mir nicht zu neuer Freude noch Bekümmernis.
ANTIGONE.
Wohl wußt ich dies und rief dich dieserhalb heraus
Zum Tor des Vorhofs, dir allein es kundzutun.
ISMENE.
Was ist's? Ein tief aufwogend Wort doch sicherlich.
ANTIGONE.
Hat unsrer Brüder Kreon den des Grabes nicht
Sogleich gewürdigt, aber den voll Schmach beraubt?
Denn zwar Eteokles hat er, wie man sagt, gerecht
Und guter Ordnung folgend, gleich in Erde wohl
Verhüllt, damit ihm Ehre bei den Toten sei;
Polyneikes' elend umgekommnen Leib jedoch
Verbeut er, heißt es, unter Heroldsruf der Stadt
Zu klagen noch ins Grab zu tun; nein, diesen soll
Grablos sie lassen, unbeweint, zum süßen Fund
Den Vögeln, welche Fraßbegier herniedertreibt.
Dergleichen habe der edle Kreon, heißt es, dir
Und mir, auch mir ja, sag ich, angekündiget[315]
Und kehre nochmals, allen noch Unkundigen
Es deutlich auszurufen, und betreibe nicht
Für nichts die Sache; sondern wer dagegen tut,
Dem droht des Steinwurfs herber Tod in offner Stadt.
Nun, so verhält sich dieses, und du zeigest bald,
Ob selbst du edel sprossest, ob von Guten schlecht.
ISMENE.
Wie aber, Unglückselge, steht es so, vermag
Ich aufzuheben oder mehr zu gründen dies?
ANTIGONE.
Sieh, ob du mit es wagen, mit angreifen willst.
ISMENE.
Doch welches Wagstück? Sprich, worauf gerietest du?
ANTIGONE.
Ob jenen Leib du neben dieser Hand entrückst.
ISMENE.
Und den begraben willst du, den die Stadt versagt?
ANTIGONE.
Ja, meinen Bruder und, du wollest oder nicht,
Den deinen; treulos will ich nicht befunden sein.
ISMENE.
Unselge! Wider Kreons Strafverkündigung?
ANTIGONE.
Nicht hält mich dieser von den Meinen je zurück.
ISMENE.
O weh! Den Vater denke, Mitgeborne, doch,
Wie der verabscheut, schmachbehäuft daniederfiel,
In Greuelirrung selbstertappt und reißend sich
Mit selbstempörten Händen aus sein Augenpaar!
Drauf jen', in einem Namen Weib und Mutter, bringt
Mit aufgewundnem Seile frech ihr Leben um;
Zum dritten tun die Gebrüder an demselben Tag
Unheilverblendet beide brudermörderisch
Mit Wechselhänden gleiches Todeslos sich an.
Nun aber wir allein Zurückgebliebne, sieh,
Wie schlimmsten Tod wir leiden, wenn wir ohne Recht
Der Herrscher Ausspruch und Gewalt beleidigen.
Bedenken mußt du nur zuerst, daß Weiber wir
Erwuchsen, gegen Männer nicht in Kampf zu gehn;
Dann aber, daß wir, untertan weit Stärkeren,
Dies hören müssen und sogar Betrübteres.
Ich also will, anflehend jen' im Erdenschoß
Um ihre Nachsicht, weil ich hier gezwungen bin,
Der Oberherrschaft Lenkern Folge tun; dieweil
Sich über Kraft zu wagen nie Verstand beweist.
ANTIGONE.
Auch fordr ich das mitnichten; auch, wenn selbst sogar[316]
Du wolltest, ungern nähm ich dich zur Helferin.
Nein, handle, wie dir dünket. Ich begrabe den
Allein. Mit Freuden sterb ich dann nach dieser Tat.
Beim lieben Freunde lieg ich dann geliebt, dieweil
Heiligen Betrug ich übte; denn den Untern muß
Ich längre Zeit gefallen als den Hiesigen.
Denn immer lieg ich dort einmal. Du aber, wenn
Du meinst, entehre, was die Götter ehren, auch.
ISMENE.
Es ist ja mir auch nicht verehrungslos; jedoch
Den Bürgern Trotz zu bieten, bin ich nicht gemacht.
ANTIGONE.
Nimm diesen Vorwand. Aber ich will ungesäumt
Ein Grab dem teuren Bruder aufzuschütten gehn.
ISMENE.
O weh des Elends! wie erbeb ich deinethalb!
ANTIGONE.
Nicht beb um mich so! Sichre nur dein eignes Los!
ISMENE.
Du wirst jedoch nicht andern dieses Werk zuvor
Kundtun? Verbirg es! Gern verschweig auch ich es tief.
ANTIGONE.
Weh! Allen ruf es! Viel verhaßter wirst du mir
Nur schweigend werden als es laut verkündigend.
ISMENE.
Sehr heiß erglüht dein Busen für Erkaltete.
ANTIGONE.
Ich will genugtun, wem ich meist gefallen muß.
ISMENE.
Ja, wenn es möglich. Du begehrst, was nie gelingt.
ANTIGONE.
So werd ich, wenn ich's nicht vermag, zurückgestürzt.
ISMENE.
Auch nicht von Anfang jage man Unmögliches.
ANTIGONE.
Durch solche Reden wirst du nicht nur mir verhaßt,
Nein, ganz mit Recht auch jenem Toten hassenswert.
Drum mich und meines Rates Unverständigkeit
Laß dieses Unheil leiden. Nichts erleid ich doch
So Böses, daß nicht edel mir zu sterben sei.
ISMENE.
Nun, dünkt es dir, so eile. Wiß indes, du gehst