Johann Nestroy: Freiheit in Krähwinkel. Posse mit Gesang in zwei Abteilungen und drei Aufzügen
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Johann Christian Schoeller, Szenenbild aus »Freiheit in Krähwinkel«, 2. Akt, mit Johann Nestroy als Eberhard Ultra (in Verkleidung als russischer Fürst), Heinrich Moritz als Rummelpuff, Johann Baptist Lang als Nachtwächter u. a., Aquarell, 1848
ISBN 978-3-8430-8532-8
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-7893-1 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-7894-8 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Entstanden 1848. Erstdruck: Wien 1849. Uraufführung am 1.7.1848.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Johann Nestroy: Werke. Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Oskar Maurus Fontana, München: Winkler, 1962.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Bürgermeister und Oberältester von Krähwinkel.
Sperling Edler von Spatz.
Rummelpuff, Kommandant der Krähwinkler Stadtsoldaten.
Pfiffspitz, Redakteur der Krähwinkler Zeitung.
Eberhard Ultra, dessen Mitarbeiter.
Reakzerl Edler von Zopfen, geheimer Stadtsekretär.
Frau von Frankenfrei, eine reiche Witwe.
Sigmund Siegl,
Willibald Wachs, subalterne Beamte.
Frau Klöppl, Witwe.
Franz, Kellner.
Klaus, Ratsdiener.
Emerenzia, dessen Gattin.
Cäcilie, seine Tochter.
Der Nachtwächter.
Walpurga, dessen Tochter.
Pemperl, Klempnermeister,
Schabenfellner, Kirschner, Ratsbeisitzer.
Frau Pemperl.
Frau Schabenfellner.
Babette, Pemperls Tochter.
Frau von Schnabelbeiß, Geheimrätin.
Adele, ihre Tochter.
Eduard, Bedienter der Frau von Frankenfrei.
Einwohner von Krähwinkel.[650]
Wirtshaus in Krähwinkel.
Nachtwächter, Pemperl, Schabenfellner, Bürger sitzen um einen Tisch und trinken.
CHOR.
Was recht is, is recht, doch was z'viel is, is z'viel,
Der Chef unserer Stadt tut mit uns was er will,
D' ganze Welt tut an Freiheit sich lab'n,
Nur wir Krähwinkler soll'n keine haben.
Die Krähwinkler, Mordsapperment,
Sind ebenfalls ein deutsch Element,
Drum lassen wir jetzt nimmer nach, Freiheit muß sein,
Wir erringen s', und sperren s' uns auch lebenslänglich ein.
NACHTWÄCHTER. Anders muß's wern, und anders wird's wern, die Zeiten der Finsternis sind einmal vorbei.
PEMPERL. Wenn d' Finsternis abkummt, können d' Nachtwachter alle Tag verhungern.
NACHTWÄCHTER. Hör auf, Klampferer, mit deine blechenen G'spaß. Wir sitzen hier versammelt, als Kern der Krähwinkler Bürgerschaft, und da kann nur von einer Geistesfinsternis die Red' sein.
SCHABENFELLNER. Mir wär' d' Freiheit schon recht, wenn ich nur wußt', ob dann die hiesige Nationalgarde Grenadiermützen kriegt.
NACHTWÄCHTER. Sie sind mehr Kirschner als Mensch.
PEMPERL. Durch die Freiheit kommt auch 's Fuchsschwanzen ab, is auch wieder ein Schaden für die Kirschner.[651]
NACHTWÄCHTER. Von ein Menschen, der seine Ware aus Rußland bezieht, laßt sich nichts Liberales erwarten.
PEMPERL. Still, ich glaub' – richtig, 's kommt einer vom Amt.[652]
Klaus durch die Mitte. Vorige.
KLAUS. Schön' guten Abend, meine Herren Mitbürger.
NACHTWÄCHTER leise zu Pemperl. Is schon wieder der Spitzl da.
PEMPERL leise zum Nachtwächter. Ach, das wär' z' rund, wenn der a Spitzl wär'.
KLAUS. Ich werd' a bisserl mittrinken, im übrigen, trinken S' ungeniert fort.
NACHTWÄCHTER. Wir werden so frei sein.
KLAUS. So frei sein? – So ruchlose Ausdruck sollten Sie nicht gebrauchen, ich bin vom Amt, und wir lieben das nicht, daß der Mensch frei is.
PEMPERL zur Gesellschaft. Setzen wir uns in Garten hinaus, 's is angenehmer in der freien Luft.
KLAUS. Wenn s' nur nicht gar so frei wär' die Luft, ich bleib' herin.
PEMPERL. Das is g'scheit, so brauchen wir Ihnen nicht auf'n G'nack z' haben, Zum Nachtwächter. komm' der Herr.
NACHTWÄCHTER. Nein, ich bleib' noch a Weil da, ich muß ihm a Gall machen.
DIE BÜRGER ihre Gläser nehmend, und Klaus mit einem scheelen Blick ansehend. Schau'n wir, daß wir weiterkommen. Rechts ab.
Nachtwächter. Klaus.
KLAUS. Sonderbar, daß wir vom Amt so wenig Sympathie haben unterm Volk.
NACHTWÄCHTER. Is Ihnen leid, daß S' jetzt nichts rapportieren können bei Sr. Herrlichkeit?
KLAUS. Herr Nachtwachter, frotzeln Sie mich nicht, Sie sind selbst Beamter.[652]
NACHTWÄCHTER. Ich tu' meine Schuldigkeit, deswegen bin ich aber doch ein freisinniger Mensch.
KLAUS. Als solcher sind Sie uns bereits denunziert, wir wissen, daß Sie auswärtige Blätter lesen, sogar österreichische.
NACHTWÄCHTER. Na, und was is weiter?
KLAUS. Diese Blätter waren einst – so unschuldig, wie gewässerte Millich, und jetzt unterstehen sie sich, den Absolutismus zu verheanzen.
NACHTWÄCHTER. Unser Bürgermeister kriegt gewiß über jeden Artikel die Krämpf'.
KLAUS. Sie haben noch einen Fehler, den wir recht gut wissen.
NACHTWÄCHTER. Und der wär'? –
KLAUS. Sie denken bei der Nacht über das nach, was Sie beim Tag gelesen haben, das liebt die Krähwinkler Regierung nicht.
NACHTWÄCHTER. Natürlich, 's Denken is viel größern Regierungen verhaßt.
KLAUS. Mit einem Wort, ich kann Ihnen sagen, daß Sie sehr schwarz angeschrieben sind bei uns.
NACHTWÄCHTER. Mein G'schäft ist die Nacht, die Nacht is schwarz, also verschlagt mir das nix.
KLAUS. Sie reden sich –
NACHTWÄCHTER. Doch nicht um den Kopf?
KLAUS. Das will ich nicht direkte behaupten, aber um den Magen, wenigstens um das, was den Magen füllt.
NACHTWÄCHTER. Larifari! In freisinnigen Ländern wächst auch Getreid.
KLAUS. Sie reden in den Tag hinein, und das is bei einem Nachtwächter unverzeihlich.
NACHTWÄCHTER böse werdend. Herr Klaus –
KLAUS. Kurz und gut, ich sag' Ihnen, beachten Sie meine bürokratischen Winke, wenn Sie anders die Fortdauer Ihrer Existenz nicht in Frage gestellt wissen wollen.
NACHTWÄCHTER. Kümmer' sich der Herr Klaus um die seinige, die Freiheit hat noch keinen einzigen Nachtwächter, wohl aber schon a paar tausend Spitzln brotlos gemacht.[653]
KLAUS stolz. Verhungert is deswegen doch noch keiner, a Zeichen, daß s' noch alleweil heimlich g'futtert werden. Und jetzt schweigen Sie, Sie sind ein Aufrührer, ein Wühler, ein Demagog.
NACHTWÄCHTER. Ich bin ein Nachtwächter, der in einer Stund schreien wird: »Zwölfe hat's g'schlagen«, und die Zwölfe wird der Herr Klaus auf sein' Buckel haben.
KLAUS. Hilfe! Meuterei, Blutbad, Verrat![654]
Vorige. Cäcilie. Walpurga.
CÄCILIE. Himmel, der Vater! –
WALPURGA. Was is denn g'schehen! –
NACHTWÄCHTER. 's is nix als ein Streit.
KLAUS. Ein Meinungskrieg. –
CÄCILIE. Aber der Herr Nachtwächter hat ja die Faust geballt.
KLAUS. Er spielt eine mir feindlich-politische Farbe.
NACHTWÄCHTER. Der Herr Klaus wird gleich braun und blau spielen. –
WALPURGA. Wär' nicht übel, die Töchter flattern als sanfte Tauben herein –
NACHTWÄCHTER. Und die Väter stehen da im Hahnenkampf.
CÄCILIE zu Klaus. Ich habe Ihnen den Hausschlüssel gebracht.
WALPURGA zum Nachtwächter. Und ich dem Vater die Schlafhauben.
KLAUS zu Cäcilie. Du bist eine gute Tochter, die andere auch, aber es is mir leid –
NACHTWÄCHTER zu Cäcilie. Wenn Sie nicht die Ratsdienerische wären, hätte ich gar nichts gegen die Bekanntschaft mit meiner Tochter.
KLAUS zu beiden. Meine Beziehungen zum Staat machen eure fernere Freundschaft unstatthaft. –
CÄCILIE. Was? –
WALPURGA. Ich soll die Cilli nicht mehr gern haben?[654]
NACHTWÄCHTER zu Cäcilie. Sie haben einen absoluten Vater.
KLAUS zu Walpurga. Und Sie einen radikalen Erzeuger.
NACHTWÄCHTER. Geben S' acht, daß S' vom Radikalen kein Radi krieg'n. Komm, Tochter, ehe mich diese bürokratische Zuwag zum zweitenmal aus der Fassung bringt. Mit Walpurga zur Mitte ab.[655]
Klaus, Cäcilie, später Sigmund und Willibald.
KLAUS. Maßlose Kühnheit! Aber jedes Wort soll zu den höchsten Staatsohren, nämlich zum Bürgermeister seine gelangen. – Schad', daß ich nicht gesagt hab': Sie Esel Sie! Aber die guten Gedanken kommen immer zu spät.
CÄCILIE. Die Tochter aber kann doch gewiß nichts davor.
KLAUS. Still, unwürdiges Staatskind.
Sigmund Siegl und Willibald Wachs treten zur Mitte ein.
SIGMUND. Was bedeutet die Aufregung, in der ich dem Nachtwächter begegnete?
WILLIBALD. Walpurga warf mir einen traurigen Blick zu.
KLAUS lächelnd. Ihnen? glauben S', man weiß das nicht? –
WILLIBALD. Was? –
KLAUS. Na, mir g'fallt das, wenn sich zwei Nebenbuhler so gut miteinander vertragen.
SIGMUND. Ich, Willibalds Nebenbuhler?
KLAUS. Bei der Nachtwächterischen Tochter. –
WILLIBALD. Die hat ja der Alte dem Schwadroneur Ultra zugedacht.
SIGMUND leise zu Cilli. Meine Cäcilie! –
CÄCILIE leise. Gott! wenn's der Vater merkt!
WILLIBALD. Ich habe keine Hoffnung. –
KLAUS. Die hätten Sie auf keinen Fall, denn das is ja der Beglückte.
Auf Sigmund deutend.
WILLIBALD. Bei Walpurga? Beiseite. der Irrtum kann meinem Freunde von Nutzen sein.
KLAUS. Sehen S', jetzt gibt er grad meiner Cilli a Post auf an sie.[655]
SIGMUND ohne zu bemerken, daß er beobachtet wird. Ach! –
KLAUS zu Willibald. Hören Sie, wie er seufzt, Laut. Mussi Siegl!
SIGMUND erschrocken sich umwendend. Herr Klaus –
KLAUS. 's is nichts, meine Tochter darf nicht mehr hin zu der Nachtwächterischen Walperl. Zu Cäcilie. Geh nach Haus und sag der Mutter, daß sie mir ja nicht mehr den Nachtwächter grüßt, wenn sie ihm begegnet.
CÄCILIE. Gleich, Vater! Adieu. Mit einem schüchternen Knix die beiden Herrn grüßend zur Mitte ab.[656]
Vorige, ohne Cäcilie.
KLAUS. Nicht wahr, der Nachtwächter haßt nicht den Menschen, sondern nur den Beamten in Ihnen?